Tauberflüstern

 

 

 

Sagen aus Rothenburg

und dem Taubertal

neu erzählt

 

 

Illustriert & herausgegeben

von Kurt Neubauer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage November 2015)

© 2015 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Illustration: Kurt Neubauer

Lektorat: Johanna Cattus-Reif

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-615-8

 

Inhalt

 

Vorwort

Der Schäfertanz – Gerd Berghofer

Die Ballade von den verschiedenen Kirchtürmen – Gerd Berghofer

Die vergebliche Brautwerbung – Anne Hassel

Des Teufels zweite Brautwerbung – Anne Hassel

Der Bäcker List – Gerd Berghofer

Der Fall des Königs von Rothenburg – Elmar Tannert

Die Rache des Storches – Anne Hassel

Der Meistertrinker von Rothenburg – Elmar Tannert

Der Sackpfeifer – Gerd Scherm

Der blutige Bach – Gerd Berghofer

Die Wilde Jagd – Gerd Scherm

Der Bettler am Spitaltor –Gerd Scherm

Das Ende der Marienwallfahrt in Kobolzell – Gerd Scherm

Das Kobolzeller Kirchlein und die geheimnisvolle Fremde – Anne Hassel

Der Teufelsstein von Rödersdorf – Elmar Tannert

Wie das Hundheimer Tor zu seinem Namen kam – Gerd Berghofer

Der Alchemist von Schloss Weikersheim – Gerd Scherm

Der Chor der Schafe – Elmar Tannert

Der Knoten im roten Faden – Elmar Tannert

Der Pfeifer von Niklashausen – Gerd Scherm

Die traurige Geschichte von der schönen Wasserfrau – Anne Hassel

Abt Franziskus’ wundersame Erscheinung – Anne Hassel

Von der Burg im Schönert* und dem Schatz – Gerd Berghofer

Die 14 Steinkreuze von Reicholzheim – Kurt Neubauer

Das Wunder am Hirschtor der Burg zu Wertheim – Anne Hassel

Die Autoren

Quellen

 

 

Vorwort

ROTHENBURG ist der Inbegriff einer mittelalterlichen Stadt. Besucherscharen aus aller Welt sind hier Jahr für Jahr auf der Suche nach dem romantischen Lebensgefühl. Das Bild der Stadt enttäuscht die Erwartungen nicht. Trotz der unterschiedlichen Entstehungszeiten fügen sich die einzelnen historischen Bauwerke harmonisch zusammen. Sie bilden in ihrer ungestörten Geschlossenheit ein einmaliges Gesamtkunstwerk. Doch die faszinierende Erscheinung der Stadt ist mehr als nur Kulisse. Hinter all den wehrhaften Mauern und Türmen, den stolzen Patrizierhäusern und den Kirchen steht eine große und bewegte Geschichte, die zeigt, wie Rothenburg seinen Platz als Reichsstadt gegenüber mächtigen Nachbarn behauptet hat, oft in dramatischen Auseinandersetzungen.

 

Das TAUBERTAL, eine Landschaft mit malerischen Orten, im anmutigen Wechsel von Wiesen, Ackerland, Waldschluchten und Weinhängen. Nirgendwo in Franken sind so viele Herrschaften auf engstem Raum aufeinandergestoßen, was häufig zu politischen Spannungen führte. Die idyllische Landschaft war auch Unruheherd. Ihr Boden wurde im Bauernkrieg und im Dreißigjährigen Krieg mit Blut getränkt.

 

Vier fränkische Autoren erzählen alte Sagen der Region neu und berichten von Begebenheiten, die den Leser in die Vergangenheit führen. Die hier versammelten Sagen ermög- lichen einen emotionalen Zugang zu dem, was die Menschen in Rothenburg und dem Taubertal damals erlebt und erlitten haben. Hansotto Neubauer fasst die Historie hinter den Sagen zusammen und geht auf ihre Spielorte ein.

 

Im künstlerischen Dialog mit den Autoren will ich den Geist der Geschichten in Bildern sichtbar machen. Der Leser soll einen umfassenden Eindruck von Rothenburg und dem Taubertal gewinnen. Dieses Ziel bestimmte die Auswahl der Sagen in diesem Buch.

Die literarische Form der Sage wird von der berichtenden historischen Erläuterung ergänzt. Meine Illustrationen öffnen dem Leser zusätzliche Blickwinkel. Auf diese Weise entstand ein reich bebildertes Geschichts- und Geschichtenbuch, in dem nicht nur Besucher Neues entdecken können.

 

Kurt Neubauer

 

 

 

 

 

Der Schäfertanz – Gerd Berghofer

Zu der Zeit, in der diese Geschichte sich zutrug, befanden sich viele Juden in Rothenburg. Sie waren geduldet, und man kam mit ihnen aus. Wenn ein Geschäft sich nicht so vollzog, wie gewünscht, sagte man bei einem Christen: ein gewiefter Geschäftsmann. Bei einem Juden sagte man: Saujud. In dieser Zeit trug der Rothenburger Schäfer Paul einen heftigen Groll gegen den Juden Eisik, Sohn des Samuel, der mit Vieh handelte und auch Geld verlieh, als Zins Lumpen bekam und Kleidung und mit diesen von Haus zu Haus zog. Eisik hatte dem Schäfer einst eine Milchziege verkauft, sie mit hoher Milchleistung angepriesen, und hernach hatte sie keinen vernünftigen Tropfen gegeben. Während Eisik beteuert hatte, dass die Ziege beim Vorbesitzer noch Milch gegeben und sich ihr Euter entzündet hatte, und zwar deshalb, weil es beim Paul im Stall so schmutzig war, stand für den Schäfer fest: Der Jude war ein Betrüger. Der Vorbesitzer hatte zwar bestätigt, dass die Ziege Milch gegeben hat, aber für den Schäfer steckte der, obwohl ein Christ, mit dem Juden unter einer Decke. Das Verhältnis war zerrüttet, und sie gingen sich aus dem Weg. Aber Paul sann auf Rache; er mochte die Juden nicht, mit ihren vielen Festen, er mochte nicht, wie sie sich am Samstag herausputzten und am Sonntag arbeiteten, wenn die guten Christen ruhten. Er mochte nicht, wenn sie sich in ihrer Sprache unterhielten, und er mochte es nicht, wie sie sich vermehrten, mit einer unzähligen Kinderschar, er mochte es nicht, wenn sie Häuser erwarben von Christen und wenn es Christen gab, die Geschäfte mit ihnen machten, obwohl, bis auf Einzelne, alle Juden so bescheiden lebten wie die Schäfer selbst. Paul hauste mit seinem zänkischen Weib und einer kleinen Schar von unfolgsamen Kindern in einer einfachen Hütte, und der Zwist war auch hier ein täglicher Begleiter.

Als der Schäfer eines Tages, es war nach einem langen Winter endlich Frühling geworden, vom Hüten in die Stadt zurückkam, passierte er das Brunnenhaus, ganz in Gedanken versunken. Viele Menschen trieb es jetzt wieder in die kleinen Gärtchen und vor die Tore der Stadt. Doch da drang die ihm so verhasste Stimme des Eisik an sein Ohr, und er beobachtete, wie dieser Wasser schöpfte und sich dabei mit einem anderen Juden namens Menachem unterhielt, der von den Christen Emanuel genannt wurde. Rasch verbarg sich der Schäfer in einem Winkel zwischen den dicht stehenden Häusern, da er den beiden nicht begegnen wollte. Nicht einmal dieselbe Straße wie sie wollte er benutzen! Aber seine Ohren sperrte er auf; denn er hatte sich das Hebräisch ein wenig beigebracht, wie er gerne prahlte, damit ihn nie mehr ein Jud übers Ohr hauen könnte. Aber gut hatte er die schwere Sprache nie zu verstehen gelernt, und überhaupt hörte der Schäfer nur, was er hören wollte, doch über eines war er sich ganz sicher: Wenn zwei Juden am Brunnen standen, konnte das nur gefährlich werden. Die wüstesten Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er lauschte und hörte und sich doch nur seine eigene Geschichte zurechtlegte. Als die beiden Juden sich entfernten, sah er ihnen nach. Wie er sie verabscheute: ihre langen Gewänder, ihre spitzen Hüte, ihre langen Bärte. Dass die meisten Rothenburger friedlich und doch auch freundlich mit ihnen auskamen, das schob er darauf, dass sie sich von ihnen hatten einwickeln lassen. Nur er, der Schäfer, sah die Juden, wie sie wirklich waren, nur er allein erkannte die Wahrheit. Jetzt fasste er einen teuflischen Plan. Niemanden weihte er ein. Er verließ nochmals die Stadt und sammelte Kräuter, böse Kräuter, die Krämpfe und Schmerzen und in hoher Dosis sogar den Tod herbeiführen konnten. Nach seiner Rückkehr versteckte er sie in einem unbeobachteten Moment in der Brunnenstube. Noch am Nachmittag wurde er beim Rat der Stadt vorstellig und berichtete, dass er die Juden Menachem und Eisik zufällig belauscht habe; sie wollten gemeinsam mit der übrigen Judenschaft die Stadt übernehmen, indem sie die Christen vergifteten. Er habe gehört, so führte der Schäfer aus, dass die Juden das Brunnenwasser mit betäubenden Kräutern versetzen wollten. Der Rat war über alle Maßen empört wie entsetzt: Also sind sie doch Brunnenvergifter, wie man es sich andernorts erzählt!

Es gab freilich auch Zweifler, doch zum Beweis seiner Aussage erzählte der Schäfer, dass er auch gehört habe, wie die Juden darüber sprachen, dass sie die giftigen Kräuter in der Brunnenstube verstecken wollten, um sie am nächsten Abend, nach dem Schabbes, in den Brunnen zu geben. Die Zweifler wollten sich mit eigenen Augen davon überzeugen, und so führte der Schäfer Paul den Rat in die Brunnenstube, wo man sich daranmachte, nach den Kräutern zu suchen. Und wahrlich: Sie fanden Kräuter, unter anderem in großer Menge Baldrian und Eisenhut. »Das ist der Beweis«, rief der Bürgermeister, und der Schäfer rang untertänig die Hände und wiederholte immer wieder: »Nicht wahr, Herr? Nicht wahr, Herr? Ich habe es immer gewusst.« Nun traf ein schweres Gericht die Juden, die sich gerade auf den Schabbes vorbereiteten. In Windeseile sprach sich der angebliche Frevel herum. Die Bürgerschaft war so aufgebracht, dass sie in die Häuser eindrang und den männlichen Juden die Bärte schnitt, die Frauen an den Haaren über die Straßen zerrte, die Habe auf die Gassen warf und darauf herumtrampelte. Menachem und Eisik schlug man grün und blau und warf die Geschundenen ins Gefängnis. Die übrigen Juden mussten die Stadt binnen Stundenfrist verlassen, was eine große Not bei ihnen hervorrief, da ihnen das Reisen am Schabbes verboten war. Doch der Rat kannte kein Mitleid mehr, so verloren die Juden ihre Heimat in Rothenburg, und Menachem und Eisik am Ende sogar ihr Leben, obwohl sie bis zuletzt ihre Unschuld beteuerten, selbst noch beim hochnotpeinlichen Verhör. Als Eisik erfuhr, auf wen all das Elend zurückzuführen sei, nämlich auf den Schäfer, da verfiel er in eine Art von klagendem Sprechgesang, der in ein Flüstern überging, immer wieder nur dieselbe Formel, von der ihn weder die Daumenschrauben noch die Streckbank abbrachten, und schließlich ging er mit diesem Flüstern auf den Lippen aus dieser Welt, wie auch zuvor schon Menachem.

Der Schäfer konnte zufrieden sein: Er galt als ein Held. Die Schäfer ehrte man allesamt. Ab sofort wurde ihnen erlaubt, sich mit ihren Frauen und Mädchen am Dienstag nach Bartholomäi zu versammeln und einen Festtag zu begehen; das nutzten sie dazu, sich schön zu machen, mit Schmaus und Tanz, mit herrlichen Kleidern und Sonntagsgewändern, geschmückt mit bunten Bändern und mit fröhlichen Herzen. Keiner dachte mehr an das Elend der Juden. Die Schäfer tanzten zur Sackpfeife paarweise um den Brunnen, Paul war der ausgelassenste von allen. Er tanzte mit seiner Frau und einigen anderen jungen Paaren bis auf den Mauerkranz des Rathauses hoch, beseelt vom Glück über die Erfüllung seines niederträchtigen Planes. Er hatte sie durchschaut, er hatte recht behalten, er tanzte und tanzte und jauchzte und sang. Er strahlte vor Freude, ließ die Vorsicht so außer Acht, dass er beim Jubeltanz in schallendem Gelächter auf dem Mauerkranz plötzlich fehltrat. Er strauchelte. Seine Augen weiteten sich aufs Schrecklichste, und er riss sein Weib mit in die Tiefe, wo sie im nächsten Moment zerschmettert am Platz drunten mit verrenkten Gliedern lagen. Manch einen befiel beim Anblick seiner Leiche das kalte Grausen, und man raunte sich zu, der Jude Eisik hätte ihn mit seinen letzten Worten verflucht. Das Fest wurde beendet. Doch schon im nächsten Jahr beging man es wieder; an den Schäfer Paul dachte man nicht lange, nur manchmal warnt man heute noch die jungen Paare, nicht zu ausgelassen zu feiern.

 

 

 

Zur Geschichte

Überall Schafe

Im Taubergrund Fischzucht, an sonnigen Hängen Weinbau, auf den Hochflächen Getreide und überall Schafherden. Die Schäferei war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Agrarstadt Rothenburg.

Um eine Statue des St. Wolfgang, dem Schutzheiligen der Schäfer, war im Jahr 1475 vor dem Klingentor ein Betplatz entstanden, der lebhaften Zuspruch fand. Bald wurde auch von Wundern berichtet. Das erregte die Aufmerksamkeit des wohlhabenden Wollhändlers Michael Otnat. Er gründete eine Bruderschaft der Schäfer, die er jährlich einmal zu einem mehrtägigen Treffen zusammenrief. So kamen die Schäfer zum Beten, Feiern und zum Handeln.

Um der Bruderschaft eine feste Mitte zu geben, plante Otnat den Bau einer hölzernen Kapelle. Die Stadt schlug vor, eine steinerne Kirche zu bauen, die gleichzeitig die Stadtbefestigung verstärken sollte. Nach außen Stadtmauer, nach innen Kirche, so hatten beide Seiten einen Vorteil.

Später bekamen die Schäfer sogar die Erlaubnis zum Tanzen, was damals ein Privileg war. Heute ist der Schäfertanz eine prächtige Attraktion an Ostern, Pfingsten und den Reichsstadt-Festtagen und zeugt ebenso wie das Schäfer- museum bei der Wolfgangskirche von der Geschichte der Stadt, in der die Schäfer eine besondere Rolle spielten.

 

Die Juden in Rothenburg – eine Spurensuche

»Spurensuche« könnte man die engagierten Führungen nennen, mit denen sich Rothenburg mit der Geschichte seiner jüdischen Gemeinden auseinandersetzt. Im Stadtbild gibt es Orte, die das Verständnis für das Schicksal der Juden wecken können.

 

Erstes jüdisches Viertel – der Kapellenplatz

Schon zur Zeit der Stadtgründung um 1147 bildete sich eine jüdische Gemeinde. Den Juden waren viele Berufe verboten, nicht aber Handel und Geldverleih. Die aufstrebende Stadt brauchte Geld, so räumte man den Juden für ihre Geschäfte einen Platz in guter Lage ein. Trotz der hohen Abgaben, welche die Juden zu leisten hatten, blühte das Gemeindewesen. Von 1246 bis 1286 leitete der weithin bekannte Rabbi Meir ben Baruch die Gemeinde. Sie wuchs auf etwa 500 Mitglieder an, bei 4000 Einwohnern in Rothenburg. Ein Ritter aus Röttingen namens Rintfleisch zog mit seinem Pogrom eine Blutspur durch Franken. 1298 fielen diesem Sturm auch viele Juden in Rothenburg zum Opfer. 1349 wurde die jüdische Bevölkerung unter dem Vorwand der Brunnenvergiftung vertrieben oder getötet.

 

Zweites jüdisches Viertel – die Judengasse

25 Jahre später holte Bürgermeister Toppler wohlhabende Juden nach Rothenburg. Eine neue Gemeinde bildete sich. Es entstand die Judengasse, aber nicht als abgeschlossenes Ghetto, sondern integriert in die Stadt. Die Gasse ist nach Meinung von Fachleuten »die einzige noch erhaltene spätmittelalterliche Judengasse in Europa«.

Im neuen Judenviertel entstand auch ein zweites Judentanzhaus, direkt am Weißen Turm. Die Tanzhäuser der Juden waren Treffpunkte der Gemeinde, es wurde dort oft und gerne getanzt.

 

Der Schrannenplatz – das Schicksal der neuen Synagoge

Wenige Meter nördlich der Judengasse liegt der Schrannenplatz. Hier war der erste Judenfriedhof. 1404 wurde auf dem Judenfriedhof eine Synagoge errichtet. Der Agitator und Judenhasser Dr. Johann Teuschlein erreichte, dass die Synagoge in eine Marienkapelle umgewandelt wurde. 1520 wurden die Juden abermals vertrieben.

 

Die Judaika-Sammlung im Reichsstadtmuseum

Im Reichsstadtmuseum sind eindrucksvolle Zeugnisse der jüdischen Geschichte zu finden. Im Mittelpunkt stehen 30 erhaltene Grabsteine aus der Zeit von 1266 bis 1395.

 

Ort der Bitteren Klage – der Burggarten

Am Gefallenendenkmal der Kapelle im Burggarten ist seit 1998 eine Gedenktafel, die an das grausame Judenpogrom von 1298 erinnert. Die Inschrift beginnt: »Mit bitterer Seele eine bittere Klage«. Das gilt für die Kriegstoten wie für die Toten der Judenverfolgungen, für beide wird am selben Ort getrauert, eine beispielhafte Symbolik.

 

 

Die Ballade von den verschiedenen Kirchtürmen – Gerd Berghofer

Zu Rothenburg einst ward zu bauen

St. Jakob, ein stolz’ Gotteshaus.

Weithin waren die Türme zu schauen,

geschaffen von Meistern des Baus.

Doch Meister war nur der eine,

der andre, der war grad Gesell,

doch viel schöner wirkte der seine,

und er glänzte fast doppelt so hell

wie der Kirchturm des alten Meisters,

der den südlichen hatte erbaut,

und als er den nördlichen schaute,

wie hat es den Meister gegraut.

Sein Gesell hatte Bessres geleistet

als er, so wies ihm die Vernunft.

Doch dass der Junge sich so erdreistet,

da drohte ihm Ärger der Zunft.

»Gesell, ich muss es dir lassen,

du hast etwas Großes getan.

Ich kann nur vor Neid erblassen,

weil ich dergleichen nicht kann!

Ich spüre den Zorn in mir beben

und den Neid – kein gutes Gefühl.

Mit der Schande kann ich nicht leben,

weil ich nicht verhöhnt werden will.«

»Meister«, so rief der Geselle,

»ich weiß, was ich weiß, nur von dir.

So komm, ich helfe dir schnelle,

so wie du einst geholfen hast mir!«

Der Meister, der nickte wissend

und strich dem Jungen das Haar.

Den letzten Stein noch mal küssend

lächelte er sonderbar.

Aufs Gerüste stieg er behände

bis auf die Spitze hinauf,

stützte sich gegen die Wände

des Kirchturms und rührte den Knauf.

Der Geselle wollt’ ihn noch rufen,

doch der Meister sprang schon hinab.

Unten, direkt vor den Stufen,

der Alte zerschmettert lag.

Nach Tagen der großen Trauer

nahm der Geselle sich den schönsten Stein

und schlug mit Tränen und Schauer

das Abbild des Meisters hinein.

So wurde das steinerne Brustbild

des Alten ein Mahnmal des Baus.

Und manchmal, wie man sich einbild’t,

neigt er sich ein Stück weit heraus.

 

 

 

 

 

Zur Geschichte

Die Jakobskirche – der Stolz der Stadt

Schon von weiter Ferne grüßen die 55 und 57 Meter hohen Türme der St. Jakobskirche. Die Kirche setzt einen prägenden Akzent im Stadtbild von Rothenburg. Die Türme dienten zeitweise den städtischen Wächtern als hochgelegene Standorte zur Bewachung von Rothenburg.

Der mächtige Deutsche Orden begann im Jahr 1311, an der Stelle einer romanischen Kirche, mit einem gewaltigen gotischen Neubau. Schon 25 Jahre später war die Stadt zur Hälfte am Bau beteiligt. Vor allem unter Bürgermeister Toppler (reg. 1373–1408) gelang es der Stadt, den Deutschen Orden aus der Finanzierung und Verwaltung der Jakobskirche zu verdrängen. Die Jakobskirche wurde zum Fanal des reichsstädtischen Bürgerstolzes. Die Wichtigkeit, die Rat und Bürger der Kirche beimaßen, zeigt sich in der Zahl der Priester. 1408 wirkten dort 26 Priester, und das bei etwa 5000 Einwohnern.

1403 sind drei Ratsherrn für die Kirchenverwaltung zuständig.

Letzten Abendmahles

Der eindrucksvolle Bau der Jakobskirche mit seinen großartigen Kunstschätzen ist auch heute noch der Stolz der Stadt.