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Inhaltsverzeichnis














Danksagung

Für geduldige Auskunft den zahlreichen wie namenlosen Anonymous-Anhängern, die wir in Chats und von Angesicht zu Angesicht getroffen haben, insbesondere bei den drei Hamburger Aktivisten sowie Gregg Housh und Barrett Brown. Für Analysen und Einschätzungen der Forscherin Gabriella Coleman, die wir auf der Re:publica in Berlin trafen, dem Comiczeichner Alan Moore, sowie unserem Kollegen Frank Patalong, der bereits 2009 über Anonymous berichtet hat. Für seine Geduld, während wir dieses Buch im November 2011 geschrieben haben, unserem Netzwelt-Kollegen Matthias Kremp. Für Anmerkungen und Fehlersuche Annika Stenzel und Ingeborg Stöcker.

Nachwort

Wie geht es weiter? Als wir diese Zeilen schreiben, im Januar 2012, sind die Protestcamps der Occupy-Bewegung geräumt. Die Masken sind vorerst aus den Städten verschwunden. In Winterstarre verharrt Anonymous trotzdem nicht. Am 25. Dezember 2011 hackten sich Unbekannte in die Server von Stratfor, einem Strategieberatungsunternehmen, das kostenpflichtige Newsletter und spezifische Analysen zu Sicherheitsthemen und globaler Politik anbietet. Zu den Abonnenten gehören Firmenvertreter, Militärs und Medien, darunter die U.S. Air Force, Apple und der »Spiegel«. Auch der Name eines der Autoren dieses Buches steht in der Datenbank, die geknackt wurde. Mehrere Tausend Namen, Adressen und Kreditkarteninformationen wurden kopiert. Offenbar hatten die Verantwortlichen bei Stratfor sie unverschlüsselt gespeichert. Angeblich hat Anonymous insgesamt 200 Gigabyte Daten entwenden können. Listen mit persönlichen Daten wurden veröffentlicht, unter den Betroffenen waren auch Angehörige britischer Geheimdienste. Einige der Datenklau-Opfer fanden Abbuchungen an Hilfsorganisationen auf ihren Kreditkarten-Abrechungen – frohe Weihnachten vom Internet. Eine Million Dollar sollte so umverteilt werden.

»Das ist sehr wahrscheinlich nicht das Werk von Anonymous«, hieß es in einer Mitteilung am selben Tag. Schließlich greife man keine Medienorganisationen an, und wer Stratfor als Teil des mi-litärisch-industriellen Komplexes betrachte oder als Think Tank, habe seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die Namen von Abonnenten eines Newsletters zu veröffentlichen sei etwas anderes als ihre Kreditkartendaten mit allen zum Missbrauch nötigen Informationen für jeden Interessenten frei verfügbar ins Netz zu stellen.

Barrett Brown rechtfertigte den Angriff hingegen. Zwar sei Stratfor kein großes, hochkarätiges Ziel, die Kundenliste aber dennoch von Interesse. Dass dabei »so einfach« Kreditkartendaten gefunden werden würden, habe man nun wirklich nicht ahnen können. Der Stratfor-Leak, der in seiner Ausführung an LulzSec erinnert, war innerhalb des Kollektivs umstritten. Auch von der deutschen Piratenpartei gab es Kritik: »Ich habe beispielsweise Verständnis dafür, wenn Greenpeace ein Transparent aufhängt. Wenn sie dazu aber eine Scheibe einschlagen, ist das nicht in Ordnung«, sagte Parteichef Sebastian Nerz.

Ebenfalls zu Weihnachten 2011 wurde »Nazi-Leaks« gestartet, eine Website, auf der Namen und Adressen von echten oder angeblichen Neonazi-Sympathisanten gesammelt werden. Dahinter stand die »Operation Blitzkrieg«, initiiert von linksstehenden Anonymous-Anhängern. Die Daten waren alt, standen aber bisher nicht in gesammelter Form zur Verfügung. Bereits bei einer Aktion im November, der »Operation Darknet«, bei der es gegen mutmaßliche Pädokriminelle ging, waren Namen und Adressen veröffentlicht worden. Die radikale Methode des öffentlichen Internet-Prangers passt zu Anonymous – verschreckt aber jene, die sich dem Kollektiv in der Hoffnung angeschlossen haben, hier so etwas wie die politisch aufgeweckte und zu leichterem Ungehorsam bereite Netz-Öffentlichkeit entdeckt zu haben. Auch manche Forscher und Journalisten müssen feststellen, dass ihr neuer Robin Hood launisch ist und im Zweifelsfall auch mal zuschlägt, ohne sich um die guten Sitten zu kümmern. Dieser Robin Hood ist bereit, für die tatsächliche oder vermeintlich gute Sache Gesetze zu brechen und Grenzen zu überschreiten – oder auch nur für die lulz.

Die Idee einer amorphen, gesichtslosen Bewegung von Informations-Anarchisten, der mit herkömmlichen Mitteln der Strafverfolgung nur schwer beizukommenden ist, wird kaum mehr wegzukriegen sein aus dem Netz. Nur die totale Kontrolle und Überwachung des Internets, wie China sie anstrebt und arabische Despoten letztlich erfolglos erreichen wollten, könnte daran etwas ändern. Solange das supranationale Gebilde Internet aber in dieser Form weiter existiert, wird es etwas wie Anonymous weiterhin geben – auch wenn sich die Aktivisten womöglich neue Wege werden suchen müssen, um anonym zu bleiben, und neue Taktiken, um aufzufallen und anzuecken.

Sie werden bleiben – nicht zuletzt weil das öffentliche Bild von Hackern sich wandelt. Zumindest in Deutschland gibt es in der Öffentlichkeit ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die Technik-Kenner mit ihrer Kritik an biometrischen Pässen, Wahlcomputern und Vorratsdatenspeicherung womöglich richtig liegen und nicht eine Regierung, die von absolut sicheren Systemen ohne jede Möglichkeit des Missbrauchs schwärmt.

Auch die Rolle des Internets im Arabischen Frühling hat das Web einer notorisch fortschrittsängstlichen Öffentlichkeit ein Stück sympathischer gemacht.

»Wer das Netz zensiert, verliert«, das ist nicht nur eine Botschaft, die von Anonymous stammen könnte, sondern eine Twitter-Meldung der »Digitalen Gesellschaft«, einer Berliner Internetnutzer-Lobby, deren Vertreter regelmäßig mit Politikern und Beamten zusammensitzen – ganz legal. Internet-Veteran Richard Stallman findet Anonymous schon ganz normal. Es sei eine logische Konsequenz: Menschen suchen sich Mittel und Wege, um zu protestieren. In der physischen Welt können sie Einkaufszentren stürmen und Straßen besetzen, schrieb er schon im Dezember 2010. Im Internet sehen die Methoden eben anders aus, da sind massenhafte Abfragen der neue, seiner Ansicht nach legitime, Protest. Und die illegalen Hacker-Angriffe einiger selbsternannter Rächer diskreditieren nicht gleich die gesamte Bewegung.

Wie Anonymous in ein paar Monaten oder in einem Jahr aussehen wird, lässt sich kaum vorhersagen. Fraglich ist, ob das Kollektiv Institutionen ausbildet, so wie soziale Bewegungen schließlich Gewerkschaften hervorgebracht haben oder wie die Fürsprecher Freier Software sich organisiert haben. Bisher sind Versuche in dieser Richtung mehr oder weniger gescheitert, sieht man einmal von AnonOp ab, dem Chatnetzwerk, von dem nach wie vor viele Anonymous-Operationen ausgehen. Doch selbst wenn der Name »Anonymous« nicht fällt, sind die vom Kollektiv erprobten Mittel und Wege nun da und können von Gruppen genutzt werden, die sich um die Belange des Netzes kümmern.

Sicher ist eins: Wir werden uns an Anonymous gewöhnen müssen. Vielleicht verschwindet die Grinsemaske – den Hamburger Anons etwa gefällt der Rummel um dieses Symbol immer weniger. Von zu vielen wird sie mittlerweile verwendet, aufgeladen mit zu viel Bedeutung. Pseudonyme würde man schließlich auch einfach wechseln, darin habe man Übung. Man solle die Maske nicht überbewerten. Was bleibt, sind die lulz und der unbedingte Kampf für Netz-Freiheit, bei dem die Hacker-Ethik, die Kerngedanken von WikiLeaks und die von Anonymous verschmelzen.

Etwas ist den Internet-Trollen dann aber doch ans Herz gewachsen. Es ist ihre Beschwörungsformel, und solange die existiert, ist es noch nicht vorbei: »We are Anonymous. We are Legion. We do not forgive. We do not forget. Expect us.«

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Zeitleiste

1. Oktober 2003: Christoper Poole startet unter dem Pseudonym »moot« das Webforum 4chan. Standardmäßig schreibt jeder Nutzer seine Beiträge als »Anonymous«. Ein Jahr später gründet Mark Zuckerberg Facebook.

12. Juli 2006: Überfall auf »Habbo Hotel«, der erste raid der 4chan-Nutzer, der Unbeteiligte trifft. Ein voller Erfolg.

22. Oktober 2006: Ein 4chan-Nutzer droht damit, Stadien zu bombardieren, schafft es damit in die Nachrichten, gewinnt eine Wette und bekommt Besuch von der Polizei.

12. Dezember 2006: Ältester bekannter caturday-Thread auf 4chan, im darauffolgenden Jahr wird »Can I Haz Cheeseburger« geboren. Anonymous verteidigt seitdem Katzen gegen Tierquäler. Mit allen Mitteln.

20. Dezember 2006: Erster Hal-Tuner-raid, Anonymous legt sich mit einem rassistischen Radiomoderator an. Das ist lustig und trifft jemanden, der ohnehin unbeliebt ist. Erste moralfag-Vorwürfe.

21. Juli 2007: »Voldemort tötet Snape«, zur Veröffentlichtung des letzten Bandes von »Harry Potter« trollen 4chan-Nutzer die nachts vor den Buchläden wartenden Fans.

26. Juli 2007: Ein Fox-Sender berichtet im US-Fernsehen atemlos über »Hackers on Steroids«, spätestens seitdem ist Anonymous über die 4chan-Grenzen hinaus bekannt.

14. Januar 2008: Ein internes Scientology-Video mit Tom Cruise in der Hauptrolle wird im Netz veröffentlicht, Scientology wehrt sich und lernt den Streisand-Effekt kennen. Einen Tag später ruft ein Anonymous-Anhänger auf 4chan zum Protest gegen die Sekte auf.

10. Februar 2008: Rund 5500 Anons demonstrieren ganz in echt in mehreren Städten gegen Scientology, von da an finden die Proteste einmal im Monat statt.

25. März 2008: WikiLeaks veröffentlicht eine Sammlung mit Scientology-Dokumenten.

10. Juli 2008: Ein Hakenkreuz führt die Liste der aktuell am meisten gesuchten Begriffe bei Google an.

16. September 2008: Sarah Palins private E-Mails werden geknackt.

3. Oktober 2008: Die Apple-Aktie bricht nach einer Falschmeldung kurzzeitig ein.

10. Februar 2009: In Australien protestieren Anons gegen geplante Internet-Zensur, »Operation Titstorm«.

Juni 2009: Im Webforum »Why We Protest« wird ein Bereich eingerichtet, in dem Netz-Hilfsaktionen für die iranische Opposition verabredet werden.

26. Juli 2009: Der große US-Provider AT&T blockiert zum Teil den Zugriff auf 4chan.

9. September 2009: DDoS-Attacke auf die Website des australischen Premierministers – aus Protest gegen die Einführung von Internetsperren.

18. November 2009: Dmitriy Guzner wird wegen der DDoS-Angriffe auf die Website von Scientology im Januar 2008 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – weitere Verurteilungen folgen.

17. September 2010: »Operation Payback« startet.

8. Dezember 2010: Unterstützung für WikiLeaks.

2. Januar 2011: Anonymous unterstützt die Aufständischen des Arabischen Frühlings, zunächst in der »Operation Tunisia«, später auch in Ägypten und weiteren Ländern.

Januar 2011: Anonymous verbündet sich in den USA mit der »99 Prozent«-Bewegung, die gegen ökonomische Ungerechtigkeit protestiert.

4. Februar 2011: Der Chef der IT-Firma HBGary Federal kündigt an, Anonymous-Anführer bloßzustellen – als Antwort hackt Anonymous die Firma und veröffentlicht die Daten selbst.

16. April 2011: Das Playstation-Netzwerk von Sony bricht zusammen, Anonymous protestiert mit der Aktion gegen das Vorgehen des Konzerns gegen Hacker. In der Folge haben Unbekannte Zugriff auf mehr als 100 Millionen Kundendaten – Anonymous bestreitet, damit etwas zu tun zu haben.

15. Mai 2011: Massenproteste in Spanien wegen grassierender Jugendarbeitslosigkeit – zum Teil mit Anonymous-Masken.

Mai und Juni 2011: 50 Tage lang unterhält die Hacker-Gruppe LulzSec ihr Publikum mit immer neuen Einbrüchen und Datendiebstählen. Am 20. Juni wird die »Operation AntiSec« in Zusammenarbeit mit Anonymous angekündigt.

Juli 2011: Das Magazin »Adbusters« ruft zur Besetzung der Wall Street auf, die »Occupy«-Bewegung ist geboren. Anonymous unterstützt den Aufruf.

8. August 2011: Die Website des syrischen Verteidigungsministeriums wird von Anonymous-Anhängern gehackt.

August 2011: Anonymous wolle Facebook vernichten, schreiben Nachrichtenseiten aufgeregt. Die Aktion, für den 5. November angekündigt, fällt allerdings aus.

Oktober 2011: Anonymous legt sich mit Drogenkartellen in Mexiko an, nachdem angeblich Mitstreiter entführt worden waren.

15. Oktober 2011: Im Zuge der »Operation Darknet« enttarnt Anonymous mutmaßliche Pädophile, die im Internet Kinderpornografie getauscht haben.

17. September 2011: Erste »Occupy«-Proteste an der Wall Street.

15. November 2011: Die New Yorker Polizei löst das Occupy-Camp auf, in Dutzenden US-Städten passiert ähnliches.

23. Dezember 2011: Anonymous startet »Nazi-Leaks«, eine Plattform, auf der die Kontaktdaten von angeblichen Neonazi-Anhängern gesammelt werden.

Literatur

Über Anonymous gibt es bisher vergleichsweise wenig ausführliche Betrachtungen. Die folgenden Autoren haben uns dabei geholfen, Anonymous besser zu verstehen: