Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
ISBN 978-3-492-97590-2
Juli 2017
© Piper Verlag GmbH, München 2017
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Sygma / Getty Images
Datenkonvertierung: psb, Berlin
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.
Helmut Kohls Name steht in der Welt für jenes so andere Deutschland, das in den Jahren 1989/90 in einer friedlichen Revolution Mauer und Stacheldraht überwunden hatte und unter seiner Führung nach den Jahrzehnten der gewaltsamen Teilung seine staatliche Einheit wiedererlangte. Er war aber auch das Synonym für die Verlässlichkeit eines wirtschaftlich starken, freiheitlichen Deutschlands und dessen fester Verankerung in der westlichen Wertegemeinschaft. Helmut Kohls Popularität bei den europäischen Nachbarn gründete vor allem in seinem steten Eintreten für die europäische Integration. Seine Europapolitik nahm den Völkern des alten Kontinents die in der Geschichte wurzelnden Vorbehalte gegenüber den Deutschen und ließ diese zu ganz normalen Europäern werden. Ja, der Name des sechsten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland hat im Ausland einen guten Klang.
Im Inland ist das Bild Helmut Kohls ein ambivalentes. Die Linke sah in ihm zunächst einen überforderten Politparvenü aus der Provinz. Und auch im bürgerlichen Lager wurde ihm nach den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft Mittelmaß attestiert. In seiner zweiten Legislaturperiode schien er sogar reif zum Sturz. Dann wurde er das Staunen der Deutschen, machte er doch auf schwierigstem Terrain eine intelligente, zielgerichtete Politik, an deren Ende die deutsche Wiedervereinigung stand. Diese große Leistung attestierten ihm selbst seine erbittertsten Gegner. Doch in der Mühsal der politischen Wirklichkeit im zusammmenwachsenden Deutschland redeten die einen bald sein Werk gering und beschimpften ihn später – als die CDU-Parteispendenaffäre die Öffentlichkeit beschäftigte – als den »Herrn der schwarzen Kassen«, der es mit dem Gesetz nicht so genau nehme. Für die anderen blieb er unangefochten der Kanzler der Einheit und der große Europäer.
So sehr Helmut Kohl polarisierte, so schwierig ist er politisch-weltanschaulich zu verorten. Das liegt daran, dass er sich oft jeglicher Festlegung entzog. Dies geschah aus Kalkül. Denn so konnte er zu einer Art Projektionsfläche für unterschiedliche politische Positionen werden. Er wirkte damit integrierend zum Wohle der modernen Volkspartei, zu der er die CDU, die einstige Honoratiorenpartei Konrad Adenauers, in den 70er-Jahren umgebaut hatte. Denn als solche musste sie in einer sich wandelnden Nachkriegsgesellschaft ein immer breiter werdendes Wählerspektrum abdecken. Helmut Kohl deshalb auf einen Technokraten der Macht zu reduzieren wäre allerdings genauso verfehlt, wie ihn umgekehrt als Wertkonservativen zu sehen.
Dass er weder das eine noch das andere war, verdeutlichen nicht zuletzt die Gegensätze, die mit seiner Person und deren politischen Positionierungen verbunden sind. So trat er zum Beispiel als traditionsbewusster Katholik auf und drängte gleichwohl den traditionellen katholischen Einfluss in der rheinland-pfälzischen Schulpolitik zurück. Er galt als Modernisierer und war doch nicht modern. Er agierte, als sei er ein reiner Machtmensch, aber er war auch politischen Prinzipien verhaftet. Er hatte nichts mit Ideologie im Sinn und verfügte auch nicht über ein geschlossenes Weltbild, aber er hatte dafür ein eigenes Geschichtsbild. Historische Momente konnten ihn tief bewegen, war er doch ein stark emotionaler Mensch. Dagegen stand eine bemerkenswerte Kälte, die er nicht nur als Parteiführer und Kanzler mitunter an den Tag legte.
Wer ist dieser Mann gewesen? Was prägte ihn? Auf welchen Fundamenten stand er? Was waren die Motive seines politischen Handelns? Wie konnte er an die Spitze seiner Partei und des Staates aufsteigen? Wie funktionierte sein Machtapparat oder das, was seine politischen Gegner das »System Kohl« nannten? Wie bewerkstelligte er den immer noch unverstandenen deutschen Einigungsprozess? Und was ließ ihn an seine Vision von den Vereinigten Staaten von Europa glauben? Auf diese und andere Fragen werden in dem vorliegenden Buch Antworten gegeben. Es werden darin aber auch die Hintergründe der Parteispendenaffäre erhellt. Und Helmut Kohls familiäre Tragödie wird ebenfalls thematisiert. War sie der Tribut, den er für sein Leben für die Politik zollen musste? Das Buch schließt mit einer kurzen Einordnung der Kanzlerschaft Helmut Kohls in die Geschichte.
Annäherung an Helmut Kohl ist aber keine weitere umfassende Biografie, wie sie von Hans-Peter Schwarz und anderen vorliegt. In diesem in seinem Umfang vergleichsweise schmalen Band werden vielmehr die wichtigsten Aspekte und Fragen zum Thema Helmut Kohl in sechs Kapiteln abgehandelt. Reihenfolge, Verknüpfung und Darstellungsform verleihen dem Buch dennoch etwas vom Charakter einer kleinen Biografie. Eine solche Herangehensweise ermöglicht es gegenüber der chronologisch weitgespannten Lebensschilderung, Sachverhalte und Zusammenhänge deutlicher zu machen und damit dem zeitgeschichtlich interessierten Leser das ein oder andere zum Thema Helmut Kohl schärfer konturiert zu vermitteln.
Das Buch stützt sich neben der Literatur über Helmut Kohl auf dessen biografische Hinterlassenschaft. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang neben Mein Tagebuch 1998–2000 vor allem die dreibändigen, von Heribert Schwan verfassten voluminösen Memoiren, die zwischen 2004 bis 2007 erschienen. Derselbe Verfasser veröffentlichte 2014 das Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle, aus denen hier ebenfalls zitiert wird. Außerdem muss das Buch Helmut Kohl. Ich wollte Deutschlands Einheit genannt werden, in dem Kai Diekmann und der Verfasser bereits 1996 als Chronisten die Erinnerungen des Kanzlers an die dramatischen Wendejahre, gestützt auf die von diesem zur Verfügung gestellten Dokumente, niederschrieben. Da Helmut Kohl damals noch Regierungschef war, konnte manches dort noch nicht seinen Niederschlag finden. Grundlage des vorliegenden Buches sind vor allem aber auch die zahlreichen Gespräche über Zeitgeschichte und Politik, die der Verfasser mit dem Altkanzler bis wenige Jahre vor seinem Tod führte.