Alle sind gemein zu Lotta

Als Lotta aus der Krachmacherstraße gerade fünf Jahre alt geworden war, wachte sie eines Morgens auf und hatte schon von Anfang an schlechte Laune. Sie hatte etwas geträumt, was sie ärgerte, und sie glaubte, was man träume, sei wahr, die kleine, dumme Lotta.

Darum war sie böse.

„Die haben meinen Teddy gehauen!“, schrie Lotta, als Mama hereinkam, um nachzusehen, weshalb Lotta morgens um acht im Bett saß und laut heulte.

„Wer hat deinen Teddy gehauen?“, fragte Mama.

„Jonas und Mia-Maria!“, schrie Lotta.

„Liebe Lotta, das hast du nur geträumt“, sagte Mama. „Jonas und Mia-Maria sind in die Schule gegangen. Sie haben gar keine Zeit gehabt, deinen Teddy zu verhauen.“

„Sie haben es aber doch getan, auch wenn sie keine Zeit hatten“, schrie Lotta und streichelte den armen Teddy.

Lottas Teddy war ein dickes Schweinchen, das Mama aus hellrosa Stoff genäht und Lotta geschenkt hatte, als sie drei Jahre alt geworden war. Damals war der Teddy sauber und rosa und fein gewesen, jetzt war er schmutzig und sah wirklich aus wie ein richtiges Schweinchen. Lotta aber meinte, er wäre ein Bär, und darum musste er Teddy heißen, obwohl Jonas immer sagte: „Hahaha, es ist kein Bär, es ist ein Schwein!“

„Du Dummer“, sagte Lotta dann, „es ist doch ein Bär!“

„Denkst du“, sagte Jonas. „Aber was glaubst du, ist es ein Eisbär oder ein gewöhnlicher Bär?“

„Es ist ein Schweinsbär“, sagte Lotta, „stell dir mal vor!“

Und ihren Schweinsbären hatte Lotta gern. Er durfte nachts in ihrem Bett schlafen, und sie erzählte sich viel mit ihm, wenn Jonas und Mia-Maria es nicht hörten.

Aber jetzt lag der Teddy dort auf dem Kissen und war traurig, weil Jonas und Mia-Maria ihn gehauen hatten, wie Lotta meinte. Sie weinte und streichelte den Teddy und sagte: „Armer Teddy, ich verprügle Jonas und Mia-Maria. Das tu ich!“

Jonas und Mia-Maria und Lotta und Mama und Papa wohnten in einem gelben Haus in der Krachmacherstraße. Jonas und Mia-Maria gingen jeden Morgen in die Schule und Papa ging ins Büro, Mama und Lotta blieben als Einzige zu Hause.

„Es ist ein wahres Glück, dass ich meine kleine Lotta habe“, sagte Mama immer. „Sonst wäre ich den ganzen Tag hier allein.“

„Ja, es ist ein wahres Glück, dass du mich hast“, sagte Lotta dann. „Sonst könntest du einem wirklich leidtun.“

Aber das sagte sie nicht jetzt, nicht an diesem Morgen, als sie böse war. Da sagte sie nichts, sondern saß nur da und maulte und machte ein beleidigtes Gesicht.

Als sie sich dann anziehen sollte, brachte Mama den weißen Pullover, den Oma für Lotta gestrickt hatte.

„Den nicht“, sagte Lotta. „Der kratzt und pikst.“

„Der kratzt und pikst bestimmt nicht“, sagte Mama. „Fühl mal, wie weich und mollig er ist.“

„Nein, der kratzt und pikst“, sagte Lotta, ohne zu fühlen. „Ich will mein Sandkleid anziehen.“

Sie hatte ein hellblaues Samtkleid, das ihr bestes Kleid war. „Sandkleid“ nannte Lotta es. Und jetzt wollte sie das anziehen und dabei war heute Donnerstag, ein ganz gewöhnlicher Donnerstag.

„Sonntag darfst du das Samtkleid anziehen“, sagte Mama. „Heute wird dieser Pullover angezogen.“

„Dann laufe ich lieber nackt herum“, sagte Lotta.

„Dann tu das“, sagte Mama und ging in die Küche hinunter.

Lotta blieb oben im Kinderzimmer sitzen, böse und nackt, ja, natürlich nicht ganz nackt. Sie hatte ein Hemdchen an und Höschen und Strümpfe.

„Aber sonst ganz und gar nackt“, sagte Lotta zu ihrem Teddy – er war ja der Einzige, mit dem sie reden konnte.