1. KAPITEL

DAS GLÜCK IST UNSER BESTER BEGLEITER

Verdammt, ich musste mich endlich zusammenreißen. Immerhin war ich bereits sechzehn und damit eindeutig zu cool, um loszuheulen wie ein Baby, nur weil meine Familie und ich nun auswanderten.

Stöhnend lehnte ich meine Stirn gegen die Wand der engen Toilettenkabine, in die ich mich bereits vor einer kleinen Ewigkeit gequetscht hatte. Der Start unseres Flugzeugs war um eine halbe Stunde verschoben worden und ich hatte es einfach nicht mehr auf meinem Platz ausgehalten. Die Wahrheit war nämlich: Ich fühlte mich überhaupt nicht cool, nicht mutig und schon gar nicht abenteuerlustig. Ich fühlte mich echt beschissen.

Da hatte Mark, der süße Torwart unserer Fußballmannschaft, mich endlich bemerkt, und was geschah? Ich musste meine Zelte hier abbrechen. Das Leben war ja so was von unfair!

Böse richtete ich mich etwas auf und schaute mich im Spiegel rechts von mir an, versuchte mit purer Willenskraft, endlich wieder normal zu werden, damit meine Oma kein schlechtes Gewissen bekam.

Doch nichts passierte. Ich sah nach wie vor aus, als würde ich gleich losheulen. Na toll!

Meine langen blonden Haare lagen wirr auf meinen Schultern und schienen heute ihren ganz eigenen abgefahrenen Plan zu verfolgen, während mein blasses Gesicht dem einer Untoten Konkurrenz machte. Kein Wunder, dass ich das Gefühl hatte, heute würde mich jeder entgeistert anstarren.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. »Hey, machen Sie endlich auf! Ich muss auch mal! Dringend!«

Genervt verzog ich meinen Mund, fuhr herum und riss die Tür auf.

Ein dicker Mann stand vor mir und musterte mich abschätzig von oben bis unten.

»Genug gesehen?«, blaffte ich ihn an und drängte mich an ihm vorbei, spürte dabei gleichzeitig, wie ich vor Verlegenheit rot anlief.

Er murmelte noch etwas, das sich verdächtig nach einer Bemerkung zu unverschämten Teenies anhörte, bevor er sich selbst in die kleine Kabine zwängte.

Doch ich ignorierte ihn und ging zurück zu meinem Platz neben meiner Oma Holly. Sie erzählte meinem Stiefopa Chasper gerade Geschichten aus ihrer Kindheit in Norwegen. Dem Land, das von nun an unsere Heimat werden sollte.

»Bereit?« Voller Vorfreude sah meine Oma mich an.

»Klar«, nickte ich und lächelte gezwungen, während ich mich anschnallte und auf das Rollfeld des Hamburger Flughafens hinausblickte.

Meine Mutter war in Norwegen geboren und aufgewachsen. Irgendwann ging sie jedoch nach Hamburg, da sie meinen späteren Vater dort beim Studium kennengelernt hatte. Als mein gebürtiger Opa wenige Jahre darauf starb, zog meine Großmutter zu uns nach Deutschland und wir verlebten eine glückliche Zeit zusammen. Nach Norwegen kamen wir nur mehr im Winter, um Urlaub zu machen, oder weil meine Eltern – sie sind Meeresbiologen gewesen – mal wieder irgendetwas erforschen wollten.

»Schätzchen, ist alles gut?« Meine Oma Holly schaute mich von der Seite her an.

Ich schaffte es abermals, mir ein Lächeln abzuringen, während ich ihre weißen Haare betrachtete, die sie in einer kecken Kurzhaarfrisur trug. »Natürlich. Ich bin nur ein wenig nervös.«

»Kann ich verstehen. Dieses Fliegen war mir immer schon suspekt. Aber es dauert nur ein paar Stunden, und dann sind wir endlich wieder zu Hause«, strahlte sie mich an und ergriff dabei meine sowie Chaspers Hand, während sie sich zurücklehnte. »Ich freue mich so, dass ich mit meinen liebsten Menschen zurückkehre.«

Ich nickte langsam und lehnte mich ebenfalls zurück, während die beiden schon wieder in alte Geschichten vertieft waren.

Oma Holly hatte ihre Heimat immer vermisst, genauso wie ihr Elternhaus, das wir, seit ich denken konnte, immer nur als Urlaubsdomizil genutzt hatten. In wenigen Stunden jedoch würde es unser festes Zuhause sein. Nun, da meine Eltern tot waren und Großmutter nichts mehr in Deutschland hielt, wollte sie unbedingt wieder zurück. Chasper begleitete sie nur zu gern, da er ohnehin kaum noch Verwandte in der Schweiz hatte, wo er ursprünglich herstammte.

Und was mich anbetraf: Auch wenn mir mein neues Leben Angst machte, wollte ich mich nicht von ihnen trennen. Ich hatte nur noch die beiden – da würde mein erster großer Schwarm Mark wohl oder übel zurückstecken müssen.

Ich seufzte leise und schaute wieder aus dem Fenster.

***

»Adella, du musst aufwachen. Wir sind schon die Letzten.« Sanft rüttelte Chasper mich aus meinem Schlummer.

Erschrocken fuhr ich hoch und rieb mir die Müdigkeit aus den Augen, bevor ich mich umsah. Draußen war es dunkel und der Flieger war fast leer. Eine Stewardess beobachtete uns lächelnd und schien nur noch auf uns zu warten.

Hastig erhob ich mich, wobei ich kurz wie eine Betrunkene schwankte, und ließ mir von Chasper meine Handtasche aus dem Gepäckfach reichen.

»Bin schon wach«, murmelte ich und torkelte ihm und Oma Holly hinterher, die wissende Blicke austauschten. Die zwei wirkten kein bisschen müde, trotz der zwei Zwischenstopps in Amsterdam und Oslo. Nein, sie waren sogar erschreckend fit, als wir mit all unserem Gepäck aus dem Flughafen Sogndal in Norwegen traten und kurz darauf in ein Taxi stiegen.

Zwar hatten wir im Vorfeld schon einiges verschiffen lassen, aber die wichtigsten Sachen wie Chaspers geliebte Krimi-Sammlung und seine Angelruten waren mit in den Flieger gekommen, was uns so einiges gekostet hatte.

Während das Taxi nun beinahe lautlos, wie es schien, durch die winterliche Stadt fuhr, deren weiße Pracht die Dunkelheit erstrahlen ließ, betrachtete ich den klaren Sternenhimmel und spürte Ruhe in mir aufkommen. Irgendwie würde schon alles gut werden. Ganz bestimmt sogar!

Nachdem der Taxifahrer uns an unserem neuen Zuhause abgesetzt und netterweise noch beim Tragen der Koffer geholfen hatte, ging ich schon einmal hinauf in mein neues Zimmer, das doch irgendwie bereits mein altes war, da ich es von unseren früheren Aufenthalten her kannte, und machte im Halbschlaf mein Bett.

Kaum waren die Decken bezogen, sank ich schon darauf zusammen und fiel in einen tiefen Schlaf.

***

»Guten Morgen, du Schlafmütze«, flötete meine Oma und tätschelte liebevoll meine Wange, als ich etliche Stunden später die Küche betrat. Sie hatte für mich bereits das Frühstück vorbereitet, das bei uns wie gewohnt aus frischem Brot mit salziger Butter und Rührei bestand.

»Wann bist du denn aufgestanden? Um das alles schon fein säuberlich aus den Küchenkartons zu räumen, hast du doch sicher Stunden gebraucht.« Ich gähnte und setzte mich auf einen Stuhl, während ich mich ein wenig verwundert in der komplett eingerichteten Küche umsah, wo bereits alle unsere Küchenmaschinen, die gestern noch sorgsam in Umzugskartons verstaut gewesen waren, einen eigenen Platz hatten.

»Nein. Wir haben Mittag und waren schon einkaufen. Du hast einfach nur sehr lange geschlafen«, lachte Chasper, der gerade die Küche betrat.

Betont gleichmütig zuckte ich mit meinen Schultern, bevor ich ihm die Zunge rausstreckte und einen Platz weiter rückte, damit er sich neben mich setzen konnte.

»Du bist aber muffelig heute Morgen«, lachte er und strich mir über den Kopf. Das hatte er sich angewöhnt, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war, und wollte es sich offenbar auch jetzt nicht nehmen lassen.

»Ich bin müde«, nuschelte ich und betrachtete meinen Stiefopa. Er und meine Oma hatten vor zehn Jahren geheiratet. Damals war ich sechs, fast sieben gewesen und ich konnte mich sogar noch an den Tag erinnern. Ich hatte ein rosa Kleid angehabt und durfte länger aufbleiben als sonst. Leise lächelnd dachte ich daran zurück, während meine Oma uns Kaffee kochte und sich danach zu uns an den Tisch setzte.

»Bist du immer noch traurig, weil du all deine Freunde zurücklassen musstest?«, ergriff Chasper erneut das Wort.

»Nein.«

»Du lügst!«

»Chasper, ich bin sechzehn und kurz davor gewesen, das erste Mal geküsst zu werden. Natürlich bin ich traurig«, erklärte ich ihm seufzend und hob meine Augenbrauen, nur um es noch ein wenig deutlicher zu machen.

»Also dann können wir ja froh sein, dass wir ausgewandert sind. Vielleicht haben wir uns damit ein oder zwei Jahre Aufschub für das große Aufklärungsgespräch erkauft«, lachte meine Oma Holly.

Auch wenn die zwei echt cool waren, wurde ich rot. »O Gott, ihr seid peinlich! Außerdem bin ich dafür wohl schon ein wenig zu alt, denn dieses ganze Aufklärungszeug haben wir schon längst in der Schule besprochen.«

»Wir sind deine Familie. Wir müssen peinlich sein.«

Ich hob meine Hände und bedeutete den beiden damit, das Thema zu wechseln, bevor ich zu essen begann. Chasper und Oma Holly ergriffen indes ihre dampfenden Kaffeetassen.

»Du sollst wissen, dass wir wieder umkehren würden, wenn es dir zu schwerfällt«, lächelte mein Stiefopa gütig und in seinen Augen lag Wahrheit, die mir zeigte, dass er es vollkommen ernst meinte.

»Richtig«, nickte nun auch meine Oma, und auch wenn sie mich aufmuntern wollten, fühlte ich mich in Anbetracht ihrer liebevollen Worte einmal mehr wie die schlechteste Enkeltochter der Welt.

»Quatsch, so einen Unsinn machen wir jetzt nicht. Dafür bin ich keine Millionen Kilometer gereist.«

»Millionen?« Chasper runzelte die Stirn.

Sofort begann ich bedächtig und ein wenig übertrieben zu nicken. »Trilliarden.«

»Wow, dann sind wir ja wohl bis auf den Mars gezogen.«

»Gefühlt sogar noch weiter weg«, lachte ich und zog meine Nase kraus. »Aber solange wir zusammen sind, wird alles gut.«

»Manchmal bist du genauso wie deine Mutter«, murmelte Oma Holly und atmete tief durch, während ihre Augen zum Fenster wanderten, hinter dem ein strahlend blauer Wintersonnenhimmel zu sehen war.

»Das ist ein gutes Kompliment«, bemerkte ich und versuchte die Stimmung wieder ein wenig aufzulockern. »Wie kommt es eigentlich, dass ihr nicht so müde seid wie ich? Immerhin seid ihr steinalt und ich müsste doch nur so vor Energie strotzen, weil ich noch so jung bin.«

Sofort begann meine Großmutter schallend zu lachen. »Das liegt daran, dass du in deinem Herzen eine Oma bist.«

»Und ihr seid Kinder?«

»Richtig. Was hält denn die Oma von einem Ausflug?«, fragte sie und grinste mich breit an.

Alarmiert hob ich meine Augenbrauen. »Was schwebt dir denn so vor?«

»Ich würde gern mal wieder die Höhlen besichtigen. Das letzte Mal ist so lange her …«

***

Nach dem Frühstück zogen wir uns Wintersachen an und fuhren mit einem Taxi nach Gaupne – ein beschaulicher Ort in der Kommune Luster -, wo wir auf eine größere Gruppe mit dick eingemummten Personen stießen, die bereits angeregt miteinander schwatzten und laut lachten. Eine Person löste sich aus dem Gewimmel, stapfte auf uns zu und begrüßte meine Großeltern und mich mit einem festen Handschlag. Unser Reiseleiter. Ich konnte ihm kaum in die Augen sehen, weil mir unsere letzte Begegnung auf der Beerdigung meiner Eltern noch lebhaft in Erinnerung war.

Meine Mutter hatte in ihrem Testament, das sie auf Grund ihres nicht ganz ungefährlichen Berufs bereits aufgesetzt hatte, darauf bestanden, in ihrem Geburtsland bestattet zu werden. Und mein Vater wollte schon immer dort sein, wo meine Mutter war …

»Mein Beileid noch mal«, murmelte er mit belegter Stimme.

Zögernd nickte ich, bevor ich ein wenig Abstand hielt und dann kurz entschlossen zu den Schneemobilen ging und darauf wartete, dass wir die Tour endlich starteten. Noch immer war es mir unangenehm, wenn die Menschen mir ihr Beileid aussprachen. Ich hatte es mit einer guten Therapie – zu der mich meine Oma gezwungen hatte – geschafft, damit umzugehen, dass meine Eltern nicht mehr bei uns waren, nachdem sie so plötzlich aus unserem Leben gerissen worden waren. Ja, ich kam im Alltag klar, aber das bedeutete nicht, dass ich bereit war, mit fast Fremden über sie zu sprechen.

Der Wind war eisig und riss fordernd an meinem Schal. Ich wollte ihn gerade tiefer in meine Jacke stopfen, als plötzlich ein heftiger Windstoß ihn mit Eisesfingern von meinem Hals zog und in die Ferne schleudern wollte.

Bevor ich überhaupt reagieren konnte, packte eine Hand den Schal und hielt ihn mir wieder hin. »Hier.«

Ein Junge, vielleicht zwei Jahre älter als ich, trat auf mich zu.

»Danke.« Ich wollte lächeln, doch da bemerkte ich seinen starren Blick, der nicht auf mein Gesicht, sondern auf meine Kette gerichtet war, die nun ohne den schützenden Schal zu sehen war. Sie bestand aus einem Lederband mit einer rosa schimmernden Perle – mein ganzer Stolz und mein größter Schatz. Ich hatte sie von meinen Eltern nach einer Expedition geschenkt bekommen, kurz bevor sie gestorben waren. Dazu besaß ich noch einen passenden Ring, doch dieser war gut unter meinen Handschuhen versteckt. Die darin eingefasste Perle hatte ich nach unten gedreht, damit ich einfacher in die Handschuhe kam.

»Schöne Kette.«

Ich nickte und wickelte schnell den Schal um meinen Hals, bevor ich die Enden unter meine Jacke stopfte. »Danke. Bist du auch bei der Tour dabei?«

»Klar. Ich war schon öfter hier, aber es ist immer wieder interessant«, grinste er und nickte zu der Gruppe. »Ich denke, wir brechen jetzt auf. Ach, ich bin übrigens Luke.«

Er blieb stehen und wartete darauf, dass ich ihm folgte, wobei in seinen Augen ein seltsamer Glanz lag.

Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, welches ich jedoch schnell von mir schob. Stattdessen steuerte ich betont lässig eines der Schneemobile an, setzte mir den Helm auf den Kopf, der darauf gelegen hatte, und machte mich wie die anderen der Gruppe zum Start bereit. Die Fahrt auf solch einem Vehikel war stets Bestandteil unserer Norwegenurlaube gewesen, so dass sie mir keine Sorgen bereitete.

Wir fuhren zum Nigardsbreen, einer Gletscherzunge des Jostedalsbreen, welcher der größte Festlandgletscher Europas war. Zwischendurch begegneten wir Skilangläufern, die die Natur langsamer genießen wollten als wir, ansonsten herrschten um uns herum nur Berge und glitzernder Schnee. Eine unermesslich friedvolle Weite. Doch ich war viel zu versunken in Erinnerungen, um diese Schönheit angemessen würdigen zu können, und ließ mich zum Ende der Gruppe zurückfallen.

Schließlich kamen wir auf einer Anhöhe unweit des Nigardsbreen zum Stehen. Wir ließen unsere Schneemobile zurück und machten uns auf den Weg zur Haupthalle, die in einem monumentalen Gebilde aus Eis lag.

Beim Abstieg hinunter zum Eingang gesellte sich Luke wieder zu mir. »Ich habe dich gar nicht gefragt, wie du heißt.«

»Kein Problem. Ich heiße Adella.«

»Das ist aber ein außergewöhnlicher Name, oder?«

»Ja. Meine Eltern dachten sich wohl, dass ihre einzige Tochter einen besonderen Namen haben müsste. Außerdem haben sie ihr halbes Leben beim Tauchen verbracht und fanden Arielle, die Meerjungfrau ganz toll. Adella hieß nämlich eine von Arielles Schwestern. Das könnte also eine Rolle gespielt haben. Oder meine Oma hat sich das alles nur ausgedacht.« Ich zuckte mit den Schultern und räusperte mich verlegen, weil allein mit dieser Antwort eine Erinnerung verbunden war, die mir den Hals zuschnürte. Als kleines Mädchen hatte ich unbedingt wissen wollen, warum ich Adella hieß, und meine Eltern hatten es witzig gefunden, mich mit einem vielsagenden Schweigen zu betrachten, während meine Oma mir ausgelassen erzählte, dass ich nur wegen des Disney-Films so hieß.

»Ich finde den Namen schön.« Luke lachte leise neben mir, was mich automatisch dazu brachte, ihn anzulächeln, obwohl ich ihn doch irgendwie seltsam fand. Schnell blickte ich wieder weg und schaute stattdessen zu meiner Oma, die neben Chasper herging und sich mit einer anderen Frau aus der Gruppe unterhielt, die in etwa ihr Alter haben musste. Überhaupt gab es eigentlich nur Luke, der altersmäßig genauso aus der Reihe tanzte wie ich.

Als hätte Oma Holly meine Gedanken erraten, drehte sie sich halb zu mir um und schenkte mir ein amüsiertes Zwinkern. Danach wanderte ihr Blick mehr als offensichtlich zu Luke hinüber.

Ich verdrehte meine Augen und gab ihr damit zu verstehen, dass er nicht mein Typ war.

Oma Holly biss sich auf ihre Unterlippe und nickte dann kaum merklich, bevor sie sich wieder umdrehte und unserem Gruppenführer lauschte, der gerade wieder seine Stimme ertönen ließ.

Von hier hinten aus, wo der Wind laut um meinen Kopf fegte, konnte ich ihn kaum verstehen. Doch das schien wohl auch nicht nötig zu sein, denn er hatte seine Erläuterungen bereits wieder beendet und die Gruppe machte sich auf den Weg ins Innere der Höhle. Als ich den aus Eis bestehenden Eingang betrachtete, der nun vor uns aufragte, begann mein Herz plötzlich wie verrückt zu schlagen.

Luke stieß mich leicht mit seinem Ellbogen an, schien meine Anspannung zu bemerken und schaute mich fragend an.

Doch ich schüttelte nur meinen Kopf und blickte geradeaus, sah, wie die Gruppe zielstrebig immer weiterlief und dabei gebannt an den Lippen des Reiseleiters zu hängen schien.

Ich tat es den anderen nach und ließ den Eingang hinter mir. Ein Schauer glitt über meinen Rücken, da mein Blick auf die glitzernden Eiswände fiel, die in einem wunderschönen, unwirklichen Blau erstrahlten. Sie hatten nichts von ihrer Faszination eingebüßt.

Doch es blieb keine Zeit zum Innehalten. Immer tiefer ging es in die Höhle hinein und nach nur wenigen Schritten erreichten wir die Haupthalle. Über uns wölbte sich ozeanblau schimmerndes Eis und unter uns war festes Gestein. Es war unglaublich! Wie jedes Mal zuvor schon raubte es mir schier den Atem.

Die Gruppe verteilte sich, schoss Fotos und betrachtete die unwirklichen Gebilde, die das Eis geformt hatte.

Gedankenverloren starrte ich diese Kunstwerke an und lief ein wenig weiter, strich vorsichtig mit meinen behandschuhten Händen darüber und merkte erst, wie weit ich mich von der Gruppe entfernt hatte, als auf einmal Luke neben mir auftauchte. »Du warst hier schon mal, oder?«

Ich nickte langsam und schaute ihn an, wobei ich versuchte, die Farbe seiner Haare zu erraten, die seine dicke Mütze verbarg. Seine Augenbrauen jedenfalls waren eine Mischung aus Braun und Schwarz.

»Ja, mehrmals«, verriet ich schließlich.

»Soll ich dir mal was Geniales zeigen? Ich habe es erst letzte Woche entdeckt.«

»Was genau?« Mein Blick wanderte zu meiner Oma, die etwas weiter von uns weg stand und uns sicher nicht hören konnte.

»Einen Eingang, der noch tiefer in den Gletscher hineinführt. Wusstest du, dass es hier drunter noch einen rauschenden Fluss gibt?«

»Ähm … nein«, gab ich zu und spürte, wie Neugier mich überkam.

»Soll ich ihn dir zeigen?« Da ich nicht sofort antwortete, fügte er noch hinzu: »Es dauert nicht lange, aber wenn du Angst hast, dann ist das okay. Der Weg dahin ist ein wenig … eng.«

Ich biss mir auf die Unterlippe und wusste genau, dass das nur ein billiger Trick war, um mich zu überreden. Und doch fragte ich mich gleichzeitig, was schon dabei sein sollte. Ein kleines Abenteuer würde mich nicht umbringen und Luke wirkte nicht gerade so, als wäre er ein Serienmörder, der regelmäßig irgendwelche Mädchen in Gletscherspalten lockte.

Obwohl …

Nein, Quatsch! Ich musste echt aufhören, mir ständig Chaspers Krimis durchzulesen!

Als ich schließlich nickte, begann Luke zu grinsen und wandte sich um. »Der Eingang ist gleich dort.«

Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick zu meiner Oma und Chasper schweifen, bevor ich Luke zu einer schmalen Gletscherspalte folgte, die man nur sehen konnte, wenn man ganz nah herantrat. Sie war gerade mal so breit, dass Luke und ich seitwärts reingehen mussten. Sofort waren wir von Eis umzingelt. Glücklicherweise hatte ich keine Klaustrophobie, jedoch schlug mein Herz immer unruhiger, denn mit jedem Meter, den wir uns weiter vortasteten, stieg auch das Rauschen an, das ich zunächst nur leise wahrgenommen hatte. Luke hatte anscheinend nicht gelogen, hier musste es einen unterirdischen Fluss geben.

Ich atmete auf, als wir eine kleine Halle erreichten. Die Enge ließ nach, mein Herzschlag beruhigte sich. Neugierig betrachtete ich die Eiswände, an denen ein schmaler Fluss vorbeirauschte, dessen Wasser ungewöhnlich dunkel war. Nahezu schwarz. Er umspülte eine kleine Insel aus Stein.

»Habe ich zu viel versprochen?«, fragte mich Luke grinsend.

»Auf gar keinen Fall«, lächelte ich und stellte überrascht fest, dass die Höhle hier sogar noch schöner zu sein schien als der Teil, in dem sich der Rest der Gruppe befand. Sanft strich ich über das schimmernde Eis.

Ein blubberndes Geräusch ertönte, ich drehte mich um und bemerkte Luke nun ein Stück entfernt von mir. Er beugte sich gerade über den unterirdischen Fluss und irgendwie war mir, als würde er darin etwas suchen.

»Alles okay mit dir?«

Sein Kopf hob sich und sein Blick wirkte auf einmal seltsam entrückt, während seine Augen vollkommen schwarz wurden.

»Ähm …?« Zögernd machte ich einen Schritt zurück, löste meine Hände von der Wand und konnte das Zittern nicht unterdrücken, das mich auf einmal erfasste.

Luke legte seinen Kopf schief, bevor er zu lächeln begann und so plötzlich ins Wasser sprang, dass ich erschrocken aufschrie. Automatisch stürzte ich nach vorn zum Eisufer des Flusses und kniete mich hin, suchte das dunkle Wasser nach einem Lebenszeichen ab, doch ich konnte nichts sehen. »Luke?«

Plötzlich ertönte ein Knall, der so laut war, dass die gesamte Höhle zu beben schien.

Um mich herum rissen die Wände ein, eisiges Gestein rieselte auf mich hernieder und ein Keuchen entfuhr mir, als ein großer Brocken nur wenige Zentimeter an meinem Kopf vorbeizischte.

Auf einmal verstummte das Beben, alles stand still. Ich hörte nur noch meinen Atem und ein Plätschern direkt hinter mir, ebenso das heftige Pochen meines Herzens. Langsam wandte ich mich um und mir war, als hätte ich tatsächlich einen Stein an den Kopf bekommen oder als würde ich träumen.

Direkt vor mir auf der kleinen Felsinsel erhob sich etwas. Die obere Hälfte dieses Wesens glich dem Oberkörper einer Frau, doch der Rest … einem Fisch?

Ich stolperte, fiel hin, so dass ich mit meinem Steißbein auf dem harten Boden der Höhle aufschlug. Erschrocken krabbelte ich mit meinen Armen und Beinen zurück, bis ich gegen die Wand stieß und nicht weiter zurückweichen konnte. Dabei ließ ich das Wesen nicht aus den Augen, das mich ebenso fixierte.

Seine Haut war von der seltsamen Schwanzflosse bis zu den Armen schwarz gefärbt – nein, mit schwarzen Schuppen übersät. Hellgraue Haut hingegen bedeckte Gesicht und Hände. Auf den langen schwarzen Haaren thronte eine silberne Krone, die mit schwarzen Edelsteinen verziert war. Das Wesen hatte ein menschenähnliches Gesicht, doch waren die Ohren winzig und spitz. Die Augen funkelten schwarz wie das Wasser des Flusses, wirkten düster und furchteinflößend. Zwischen den Fingern des Wesens saßen Schwimmhäute, die genauso grau waren wie die umgebende Haut. Wasser umschloss die Kreatur wie eine Blase, ließ sie verschwommen und doch gleichzeitig klar erscheinen.

»Menschenkind.« Die Stimme des Wesens hallte durch die Höhle und ließ mich zusammenzucken.

»Willst du mich etwa nicht begrüßen?«, fuhr es fort und sah mich spöttisch an, da ich es nur mit großen Augen anstarren konnte und kein Wort über die Lippen brachte.

»Ähm … hi«, stotterte ich endlich und eher wie im Reflex, während jähe Furcht meinen Körper durchflutete und meine Augen kurz zu dem wenige Meter entfernten schmalen Gang zuckten. Er erschien mir plötzlich kilometerweit weg.

»Hast du etwa Angst vor mir?« Das Fischwesen grinste und legte seinen Kopf schief, während es mich betrachtete. »Das kann ich dir auch nur raten.«

Ich rührte mich nicht, gleichzeitig schrie alles in mir danach, wegzulaufen, doch meine Muskeln waren wie gelähmt und wollten sich nicht rühren.

Ich drückte mich näher an die Wand, soweit es meine Kräfte zuließen. Sofort bohrte sich das Eis mit tausend kleinen Nadelspitzen durch meine Jacke bis in meine Haut – was zweifelsohne schmerzhaft war, mich jedoch spüren ließ, dass ich noch am Leben und bei Sinnen war.

»Du hast etwas, das mir gehört.« Das Wesen machte eine fließende Handbewegung in meine Richtung, als könne es mich so gleich zur Herausgabe bewegen.

»Was … bist … du?« Ich wunderte mich, dass meine zugeschnürte Kehle diese Worte überhaupt freigegeben hatte, auch wenn meine Stimme vor lauter Panik zitterte und dünn klang.

Das Fischwesen – eine Meerjungfrau? begann laut zu lachen und schloss dabei genüsslich die Augen. »Ich bin Königin Octavia, Herrscherin über die Ozeane und all ihre Lebewesen. Ich bin die Angst und die Hoffnung zugleich.« Ihre Worte dröhnten in meinen Ohren, als wäre ihre Stimme direkt in meinem Kopf.

»Was?«, hauchte ich und ein heftiger Schwindel erfasste mich, weil ich vor lauter Panik kaum noch Luft bekam. »Was … was willst du von mir?«

Ihre schwarzen Augen funkelten und erst jetzt nahm ich ihre silbernen Pupillen wahr. »Was ich von dir will?«, schrie sie und ihre Stimme toste in meinem Kopf, ließ mich erneut zusammenfahren. Doch wagte ich es nicht, meine Augen von ihr abzuwenden, und riss sie weit auf, während mein Herz laut in meinen Ohren pochte.

»Wie ich schon sagte: Du hast etwas, das mir gehört. Und ich werde alles daransetzen, es zu bekommen, nachdem ihr widerlichen Menschen es an Land gebracht habt.«

Plötzlich tauchte ein weiteres Wesen hinter ihr auf und lenkte mich für einen kurzen Moment ab. Es hatte einen genauso schwarzen Unterleib wie die Königin, jedoch war es dem Anschein nach kein weibliches Wesen. Die schwarze Schuppenhaut der Flosse endete schon an den Hüften und männliche Muskeln zeichneten sich darüber ab. Die schwarzen Haare waren kurz und standen zu allen Seiten hin ab, doch die Augen waren nicht so tiefschwarz wie die der Königin. Man konnte das Weiß um die silbernen Pupillen herum erkennen.

»Hallo, Adella.« Die Stimme fuhr mir bis ins Mark.

»Luke?« Ich schnappte nach Luft, als ich in dem Wesen den Typen wiedererkannte, der mich erst hierhergelockt hatte.

»Schlaues Mädchen.«

»Wie … aber …«, stotterte ich und verstummte, da er weiterredete, nun ebenfalls in einem überheblichen Tonfall. »Nun ja, meine Königin verlangt nach etwas, das in deiner Gewalt ist. Und ich bin der Einzige, der ihr helfen kann. Obwohl ihr Menschen mir jedes Mal, wenn ich an Land bin, wirklich suspekt seid.« Sein arrogantes Grinsen ließ Übelkeit in mir aufsteigen, während ich meine zitternden Hände zu Fäusten ballte.

»Was … Aber ich … ?« Mein Stammeln tat meiner Kehle weh, kalte Furcht streckte ihre eisigen Klauen nach mir aus und das Wummern meines Herzens wurde zu einem lauten Dröhnen. Ich bekam kaum Luft und versuchte doch zu verstehen, was hier gerade vor sich ging.

»Genug gespielt«, dröhnte die Königin auf einmal. Ruckartig riss sie ihre Arme auseinander und legte ihren Kopf in den Nacken. Gleichzeitig wurde ich hochgerissen und meine Jacke zerfetzte in Tausende kleine Fäden, während mein Schal ebenfalls von meinem Hals gezerrt wurde. Eisige Kälte legte sich auf meine Haut, überzog sie mit einer schmerzhaften Gänsehaut.

Die unsichtbare Kraft zerrte mich weiter hoch, bis ich schwebte, und positionierte mich in der Mitte der Höhle. Meine zerfetzte Kleidung wehte um mich herum.

Jede Bewegung wurde mir verwehrt, jedwede Möglichkeit zur Flucht genommen. Ich konnte gerade noch so atmen.

Die schwarzen Haare der Königin peitschten im Wind und ihre Krone glitzerte gespenstisch. Plötzlich bewegte sie ihre Hand auf mich zu und lechzte nach meiner Kette. Ich spürte einen stechenden Schmerz, als das Lederband in meine Haut schnitt und daraufhin selbst zerriss, konnte sehen, wie es eins wurde mit dem Sog um mich herum und zwischen den Resten meiner Jacke umherflog. Gleichzeitig landete mein Anhänger zwischen den grauen Fingern der Königin.

»Neeeein!«, schrie ich gellend, doch wusste nicht, ob meine Stimme vom Wind fortgetragen wurde und die Königin erreichte, denn sie starrte wie gebannt auf meinen Anhänger: die Perle, die das letzte Geschenk meiner Eltern an mich gewesen war.

Ich spürte vor Eiseskälte keinen Muskel mehr, dafür die brennenden Tränen in meinen Augen.

»Bitte …« Der kalte Wind brannte in meiner Lunge und ließ jede Faser meines Körpers erzittern.

Diesmal schien die Königin mich gehört zu haben, denn sie hob ihren Blick von dem Perlenanhänger und grinste mich höhnisch an. Ihre Stimme ließ meinen gesamten Körper erbeben. »Ich wünsche dir ein schönes Leben als dummer kleiner Fisch! Und dafür kannst du dankbar sein, denn meine Laune ist heute phänomenal. Sieh es als Geschenk, denn es ist immer noch besser, als ein elendiger Mensch zu sein!«

Ein greller Lichtstrahl durchzuckte die Höhle und zwang mich, meine Augen zusammenzupressen. Im selben Moment, als sich meine Lider schlossen, überrollte mich ein entsetzlicher Schmerz, der es mir nicht einmal möglich machte, aufzuschreien. Alles in mir war nur mehr Schmerz, Qual und Leid. Gleichzeitig schwand die unsichtbare Kraft, die mich in der Höhe gehalten hatte, und ließ meinen Körper hart auf dem Boden der Höhle aufkommen. Mein Kopf prallte auf meinen rechten Arm und ich hörte ein lautes Krachen. Das Knacken meiner Knochen.

Ein neuerlicher entsetzlicher Schmerz durchzog mich und ich stöhnte laut auf, um Sauerstoff in meine Lungen zu pressen. Doch meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich nach Luft schnappend meinen Mund öffnete. Es war, als würde ich ersticken, als hätte sich etwas um meine Luftröhre gelegt.

Flieh!, schrie meine innere Stimme abermals laut in mir auf und verstärkte das Pochen in meinem Kopf.

Ich stützte mich auf meinen schmerzenden Armen ab und kroch nach Luft schnappend in die Richtung, in der ich den Ausgang vermutete.

Meine Beine spürte ich nicht mehr – nur noch Schmerz. Vor meinen Augen blitzten helle Lichter auf und erschwerten mir die Sicht. Jede meiner Bewegungen war mit schier unerträglicher Qual verbunden. Wie ein loderndes Feuer, das sich unaufhörlich über meinem gesamten Körper ausbreitete und das Fleisch verbrannte.

Doch ich zwang mich, weiterzukriechen. Meine tauben Beine schleifte ich hinter mir her und ignorierte den Schmerz in meinen Ellbogen, in die sich kleine spitze Steine bohrten. Das Einzige, das mich antrieb, war der Gedanke daran, irgendwie hier wegzukommen. Ich wusste nicht, ob diese seltsamen Wesen noch in meiner Nähe waren, aber es war mir egal.

Um Atem ringend zog ich mich weiter voran, der Blick seltsam trübe, fast blind. Nur noch Sinn für hell und dunkel. Zentimeter um Zentimeter quälte ich mich – bis ich so plötzlich in die Tiefe rutschte, dass ich aufschrie, während das Wasser des Flusses mich verschluckte.

Meine schmerzenden Glieder erschlafften und hießen die Kälte des Wassers willkommen, die sie betäubte. Das Licht vor meinen Augen verschwand und ich konnte die Luftbläschen über mir erkennen, die meinem Mund entwichen. Da schloss ich meine Lider.

Sie hatte gesagt, dass sie mich zu einem Fisch machen wollte … Doch offenbar hatte das nicht geklappt, denn ich fühlte mich nicht wie ein Fisch.

Ich versuchte hämisch zu lächeln, doch selbst meine Gesichtsmuskeln waren erschöpft.

Um mich herum war alles weiß, als würde das Eis meinen Weg in die Tiefe begleiten. Ich versuchte mich zu bewegen, doch das Wasser hielt mich fest in seinem Bann, während meine Augen sich langsam öffneten.

Die kleinen Luftbläschen um mich herum verwandelten sich zu Bildern. Zu kurzen Ausschnitten aus meinem Leben. Zu Gesichtern von den Menschen, die ich am meisten liebte.

Dann spürte ich, wie der letzte Lufthauch aus meinen Lungen wich, wie meine Muskeln sich versteiften, mein Herz zu stolpern begann. Doch all der Schmerz in mir verstummte. Ein dumpfes Gefühl von Taubheit breitete sich in mir aus und schenkte mir Frieden.

Dann kam die Dunkelheit.

2. KAPITEL

WUNDER GESCHEHEN

Ein Traum. Es war alles ein Traum.

Mein Körper brannte und fühlte sich seltsam schwerelos an, während ein Gesicht vor mir auftauchte. Es gehörte einem Jungen – nein, einem Mann, nur wenig älter als ich. Um sein Kinn lag ein Bartschatten, genauso dunkel wie sein schwarzes Haar, das sein Gesicht umrahmte. Er musterte mich aus ungewöhnlich hellen blauen Augen, interessiert und auch ein wenig verwundert. Seine Nase war gerade und lang, doch passte perfekt in sein Gesicht, das leicht abgekämpft wirkte, als hätte er schon mehr von der Welt gesehen, als es mir jemals zuteilwerden würde.

Auf einmal lächelte er.

Mein Herz vollführte einen Sprung. Ich wollte etwas sagen, doch im selben Moment wachte ich auf und er verschwand.

Eine helle Stimme ließ meinen Kopf dröhnen. Ich bewegte mich leicht, doch Schmerz durchzuckte mich sofort wie ein Dolch, so dass ich nicht anders konnte, als liegen zu bleiben.

Blinzelnd versuchte ich meinen verschwommenen Blick zu klären und atmete tief ein. Meine Lungen füllten sich endlich wieder mit Sauerstoff, meine Brust hob und senkte sich. Erleichtert schloss ich meine Augen, gab mich für einen kurzen Moment der Hoffnung hin, dass ich alles nur geträumt hatte und ich gleich die Stimme meiner Oma hören würde, die nach mir rief.

Doch mein rechter Arm schmerzte pochend und die Erinnerung daran, wie ich über den eisigen Boden gekrochen war, holte mich langsam wieder ein. Ich rieb über die brennenden Stellen und seufzte leise. Wenigstens schien das zuvor vernommene Knacken keine ernsthaften Nachwirkungen gehabt zu haben.

Abermals hörte ich eine Stimme, lauter jetzt. Sie zwang mich, meine Augen zu öffnen.

Nur wenige Zentimeter über mir strahlten mich zwei silberne Augen an, die umringt waren von Lachfältchen und in einem reizenden Gesicht saßen. Ein schwarzer Schein waberte drumherum, der so aussah, als würde er jeden Moment den hübschen Kopf verschlucken. Dieser Anblick ließ mich erschauern und sofort schloss ich meine müden Augen wieder. So seltsam hatte ich schon lange nicht mehr geträumt. Wach konnte ich unmöglich sein. Oder?

Im nächsten Moment stieß mich etwas hart an und erwischte dabei die Verletzung an meinem Arm.

»Ahhh!« Ich schrie auf, öffnete erneut meine Augen und setzte mich nun trotz der Schmerzen langsam auf.

Direkt vor mir erblickte ich ein Mädchen, das so alt zu sein schien wie ich, doch es sah mich neugierig an und strich sich dabei über …

Erschrocken starrte ich auf die Stelle, an der eigentlich Beine hätten sein müssen.

»O mein Gott!«, krächzte ich und wich so weit zurück, wie ich nur konnte, ignorierte dabei jegliche Schmerzen, das Wesen vor mir fest im Blick, dessen Oberkörper aussah wie der eines Menschen. Doch der Unterleib … Der Unterleib war der eines Fisches. Nur länger. Wie bei einer Meerjungfrau.

Das konnte nicht sein! O Gott, ich halluzinierte!

»Nein, ich heiße Saniya.« Die unbekannte Schönheit schmunzelte. Ihre langen schwarzen Haare lagen wallend auf ihren Schultern, während sie mich mit ihren silbernen Augen ansah. Sie sprach in einer melodischen Sprache, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Trotzdem verstand ich jedes Wort – was mich nur noch mehr verwirrte.

Ich blinzelte und spürte auf einmal eine leichte Strömung, fast wie ein Luftzug, nur noch sanfter, weicher und fast zärtlich, der mir durchs Haar fuhr.

Wasser! Ich war im Wasser!

»Was ist hier los?«, brachte ich gerade noch so heraus und presste mich instinktiv an den Stein hinter mir.

Meine Stimme hörte sich rau an, doch seltsamerweise benutzte ich dieselbe unbekannte Sprache wie mein Gegenüber. Ganz automatisch.

»Wie bitte?« Das Wesen, das sich Saniya nannte, legte seinen Kopf schief und presste dabei die Augen zu Schlitzen.

»Was bist du?«, wiederholte ich und konnte nicht aufhören, den grazilen Körper zu betrachten.

Saniya hatte eine weinrote Schwanzflosse, die durch etwas wie schmale Bauchflossen an den Hüften unterbrochen wurde. Weiter oben wurden ihre Brüste von grauen Linien bedeckt, die beginnend vom Bauch bis zu den Schultern kreuz und quer verliefen und sich wie ein Aquarell mit dem Rot ihrer Flosse vermischten.

»Du hast wirklich eine bemerkenswert schöne Flosse. Deine Eltern sind sicher aus dem tiefen Atlantikmeer. Du siehst aus wie ein Korallenriff. Sehr hübsch.« Neugierde blitzte aus ihren Silberaugen.

»Was …?« Meine Stimme versagte, als ich an mir heruntersah. Dort, wo meine Beine hätten sein müssen, war eine grünlich schimmernde Flosse, die changierte wie feinster Perlmutt.

Meine zitternde Hand wanderte über die mit Schuppen übersäte Haut. Sie war weich und fühlte sich überraschend zart an. Ich spürte, wie meine Finger an ihr hinabglitten, und konnte doch nicht glauben, dass dies ein Teil von mir sein sollte.

Fassungslos starrte ich dorthin, wo früher meine Füße gewesen waren und nun die Flossenspitze saß. Sie bestand aus einer seidenartigen, durchsichtigen Haut und schwang sachte hin und her. Wie von selbst.

Erschrocken wandte ich meinen Blick ab und inspizierte ängstlich den Rest meines neuen Körpers. Genau über meiner Hüfte entdeckte ich eine Erhöhung. Ich berührte sie und hatte den Eindruck, als wäre dort ein zusätzlicher Knochen. Wie eine Trennlinie zwischen meinem Unter- und Oberkörper. Und genau wie bei meinem Gegenüber umspielte diesen Bereich eine weitere samtige Flosse.

Meine Augen glitten hin zu meinem Bauch. Dort wurden die Schuppen rosa. Ich tastete mich zu ihnen vor, und tatsächlich: Es fühlte sich an wie meine Haut. Das rosa Gewand hüllte mich bis zu meinen Brüsten ein, kurz über ihnen wurden die Schuppen wieder heller, fast hautfarben. An meinen Armen glitzerten hin und wieder perlmuttartige Schuppen und zwischen meinen Fingern hatten sich Schwimmhäute gebildet. Schwimmhäute!

»Wie … Warum …? Also … was …?«, stammelte ich vor mich hin und starrte abwechselnd das Wesen vor mir und meine Schwimmhäute an.

Ganz sicher war das ein Traum … Das konnte nicht echt sein. Das musste ein Traum sein! O nein, ich wurde wahnsinnig!

Erschrocken starrte ich wieder auf meinen Bauch und keuchte. Mein Bauchnabel war verschwunden! Ach du Scheiße! Dieser Luke hatte mich unter Drogen gesetzt! Ich halluzinierte wirklich!

Mein Atem ging schwerer, als mein Blick zu Saniya zuckte und ich die Kiemen an ihrem Hals sah. Panisch fasste ich an meinen eigenen Hals und fuhr zusammen, als ich dort ebenfalls Öffnungen spürte. Vorsichtig drückte ich darauf – und konnte plötzlich nicht mehr amten.

»Das ist auch eine Methode, sich selbst umzubringen. Aber der Tod durch Ersticken soll sehr unangenehm sein«, befand Saniya mit gerunzelter Stirn. Sie hielt mich offenbar für vollkommen durchgeknallt. Was ja auch stimmte!

»Was?« Ich ließ meinen Hals los und atmete tief ein, sog … Wasser?! in meinen Mund, spürte dann zum ersten Mal, dass es durch meine Kiemen wieder hinausgespült wurde.

»Na ja, deine Kiemen nehmen sich den Sauerstoff aus dem Wasser, wenn du durch den Mund einatmest und das Wasser wieder durch die Kiemen rauspresst«, erklärte mir Saniya, augenscheinlich mit einer engelsgleichen Geduld ausgestattet.

»Aha«, machte ich nur und atmete erneut tief durch, spürte dabei ein seltsames Vibrieren in Mund und Hals, dazu dieses sonderbare Gefühl an meinen Kiemen. Gleichzeitig entstand ein leises Geräusch, fast lautlos, das ich nur hören konnte, weil mein Ohr direkt über den Kiemen saß. O Scheiße! Was für Drogen hatte mir dieser verdammte Luke nur verabreicht?! Meine Oma würde mich umbringen!

»Vielleicht solltest du etwas essen. Du hast dir ganz sicher den Kopf angeschlagen.«

»Nein.« Ich befühlte meine Haare. Sie waren unglaublich weich und ich zog sie vor mein Gesicht, um zu sehen, ob sie noch die gleiche Farbe hatten wie vorher. Ja, sie erstrahlten noch immer in einem hellen Blond, schimmerten allerdings auffallend. Fasziniert lies ich die Strähnen durch meine Finger gleiten – nein, an meinen Schwimmhäuten vorbei und starrte sie an.

Welches Rauschmittel löste solche Halluzinationen aus? Eine Überdosis Ecstasy vielleicht? Ich kannte mich da nicht aus. Oder war es am Ende eine neue unbekannte Droge, die man nur durch Einatmen zu sich nehmen konnte? Scheiße …

»Wie, nein?« Die Stimme des Wesens riss mich aus meinen irrsinnigen Gedanken.

»Was hast du gesagt?«, fragte ich verwirrt und ließ nur langsam meinen Blick von meinen Haaren zu ihr schweifen.

»Ich habe gesagt, dass du dir sicher den Kopf angeschlagen hast und vielleicht etwas essen solltest, damit du nicht umkippst. Um die Nase herum bist du schon ziemlich blass.« Saniya sah mich weiterhin besorgt an.

»Nein … Also … ähm … Ich habe keinen Hunger.«

»In Ordnung. Weißt du, wohin du musst? Du siehst ganz schön orientierungslos aus. Wenn du möchtest, kannst du mich gern ein Stück begleiten.« Langsam erhob sie sich und strich sich den Sand von ihrer weinroten Flosse.

Ich schaute gen Boden und bemerkte erst jetzt den Sand unter mir, der feinkörniger schien als an jedem Strand, den ich bisher besucht hatte.

Dann war mir plötzlich, als würden wir beobachtet werden. Mein Kopf fuhr hoch und hinter Saniya entdeckte ich auf einmal ein Gesicht. Verschwommen, als wäre es weit entfernt, und doch seltsam klar.

Hatte ich nicht gerade von diesem Gesicht geträumt?

Doch nach einem schnellen Blinzeln war die Erscheinung fort und zurück blieb nur die junge Frau, die nun vor mir stand – nein, eher schwebte.

»Hm«, machte ich, nun noch ein wenig verwirrter. »Bist du mit jemand anderem unterwegs?«

»Nein, wieso?«, fragte sie und in ihrem Ton lag Argwohn.

»Aber … wohin gehst du?« Ich versuchte, auf meine Flosse zu kommen, knickte jedoch sofort wieder ungeschickt ein, weshalb ich erst einmal sitzen blieb.

»Ich schwimme, ich gehe nicht. Und ich schwimme ins Königreich des Nordpolarmeeres.« Entrüstet pustete sie Wasser aus ihrem Mund, das von unzähligen kleinen Bläschen begleitet wurde. Fasziniert blickte ich ihnen hinterher, sah, wie sie in Richtung der Wasseroberfläche wirbelten, die sich wie eine Decke über uns ausbreitete – bis ich ruckartig meinen Kopf drehte. »Wohin … Moment! Ein Königreich?!«

Da lachte Saniya laut auf und schüttelte verständnislos ihren Kopf. »Du bist wirklich eine seltsame Media. Du scheinst deinen Kopf wohl doch härter angeschlagen zu haben, als ich dachte.«

»Was soll ich sein? Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist. Da war dieses schwarzflossige Wesen, das so aussah wie du, jedoch meinte, eine Königin zu sein. Irgendetwas mit Octasoundso. Und dann bin ich hier aufgewacht, total verwandelt. Verdammt, wieso erzähle ich dir das überhaupt? Du bist ja nicht einmal echt!« Panik erfasste mich, meine Stimme wurde schriller und schriller, während ich hektisch nach Luft – nein, Wasser! schnappte. »Scheiße! Was ist das hier für ein verdammter Trip? Ich bringe diesen Luke um, wenn ich jemals wieder normal werden sollte!«

Erschrocken weiteten sich Saniyas Augen. »Du bist Königin Octavia begegnet? Wie konntest du das überleben?« Erneut musterte sie mich von oben bis unten und schien nach einem Zeichen dafür zu suchen.

»Keine Ahnung. Und bevor ich ihr begegnet bin, war ich auch noch ein Mensch und nicht … das hier!«, erklärte ich hektisch, und so plötzlich, wie die Panik gekommen war, verschwand sie auch wieder.

Ich atmete tief ein und fuhr mir durch meine Haare. Sicher gab es eine vernünftige Erklärung für all das hier. Ich musste meine Oma anrufen. Sie würde mich finden, wo auch immer ich war, und nach Hause bringen, damit ich in meinem Bett wieder klarkommen konnte – oder man mir den Magen auspumpen konnte, um das Teufelszeug aus meinem Körper zu bekommen. Diese Halluzination vor mir war sicher nur irgendeine Freundin von diesem Luke, also ein ganz normaler Mensch.

Ja, dieser Gedanke beruhigte mich.

Langsam streckte ich meine Hand aus. »Gib mir mal dein Handy, bitte.« Alle Worte, die ich aussprach, ertönten immer noch in diesem fremden, schönen Singsang. Nur »Handy« kam in der deutschen Sprache raus. Es klang hart, kratzig, seltsam unschön.

Saniya blinzelte verwirrt, bevor sie ihren hübschen Kopf schüttelte. »Du bist ein Mensch?! Eins dieser rosa Wesen, die über dem Meer leben und uns alle töten wollen?« Sie schien meine eigentliche Frage ignorieren zu wollen.

»Ja. Nein. Also, es gibt Menschen, die töten. Aber ich gehöre nicht zu ihnen«, winkte ich verwirrt ab und schüttelte meinen Kopf. Was war das nur für eine seltsame Halluzination? Und was sagte sie über mich aus?

»Die Königin hat dich also angeblich zu einer Media gemacht? Wieso sollte sie so etwas tun?«

»Das weiß ich nicht. Sie meinte, dass ich etwas hätte, das ihr gehöre. Aber das Einzige, was sie sich von mir genommen hat, war mein Anhänger, den ich von meinen Eltern bekommen hatte.« Automatisch fuhr meine Hand zu meinem Hals, doch die Kette war fort. Natürlich.

Ich fasste an meinen rechten Ringfinger, doch an der Stelle, an der ich stets den Ring getragen hatte, spürte ich nur meine weiche Haut und eine schimmernde Schuppe. Sie war genauso schön wie die Perle, die an dem Ring befestigt gewesen war. Rosa-weiß schimmerte sie mir entgegen, als wäre sie eine vage Erinnerung an das filigrane Schmuckstück. Aber der Ring war weg.

»War dieser Anhänger wertvoll?«

Fahrig schüttelte ich meinen Kopf, während ich mir durch meine Haare strich und mich dabei ein wenig wunderte, wie weich sie sich anfühlten. »Er war ein Geschenk meiner Eltern, deshalb ist er für mich das Kostbarste auf der ganzen Welt. Ansonsten war es eine normale Perle, die sicher etwas wert war.«

»Aber wieso wollte die Königin ihn dann haben?«

»Das weiß ich nicht.« Ich starrte auf meine Flosse, die so seltsam fehl am Platz wirkte und doch irgendwie schön war. Gleichzeitig stellte ich mir vor, dass ich in Wahrheit noch immer in dieser Höhle saß und total apathisch meine Beine anstarrte, während ich Selbstgespräche führte. Meine Oma würde mich so was von umbringen …

»Das ist nicht schlimm. Oh! Ich bin ja unhöflich! Wie heißt du überhaupt?«

»Adella«, murmelte ich stirnrunzelnd und versuchte mich zu konzentrieren. Sicher musste man irgendwie eigenmächtig aus dieser Drogen-Halluzination herauskommen können, oder? Aber nichts passierte – verdammt!

»Hallo, Adella.« Saniya hielt mir ihre Hand hin und zögernd nahm ich sie, während ich mich, noch immer im Sand sitzend, leicht aufrichtete.

Ich würde das schaffen. Irgendwie würde ich diesen seltsamen Trip überstehen. Vielmehr sollte ich wirklich dankbar dafür sein, dass zu meinen Halluzinationen kein Verfolgungswahn hinzukam.

Ich schaute mich um und wunderte mich über meine extrem realistische Fantasie. Wahnsinn!

»Wo sind wir hier eigentlich?«, hauchte ich.

Das Meer war unsagbar klar. Man konnte so weit schauen, dass die sichtbare Grenze zwischen Sand und Wasser seltsam schwammig wurde, als stünde Nebel am Horizont. Der Meeresboden wirkte grau, hin und wieder sah ich Eisschollen, die an der Oberfläche trieben. Keine Frage: In meinem Irrsinns-Trip befanden wir uns tatsächlich im Wasser. Allerdings waren wir nur wenige Meter unter der Meeresoberfläche und ich konnte die Strahlen der Sonne, die das Wasser liebkosten, auf meiner Haut spüren.

Seltsamerweise war mir nicht kalt oder warm. Es war normal. Als säße man im Shirt zu Hause. Und es fühlte sich auch nicht nass an, wie man zweifelsohne erwartet hätte, sondern vielmehr ganz … natürlich.

»Im Nordpolarmeer. Aber weit entfernt von dem Königreich. Es dauert noch einige Tagesreisen, bis ich dort ankomme. Du kannst dich mir gern noch anschließen, falls du möchtest.«

»Puh«, machte ich und versuchte mir gerade vorzustellen, wie mich jemand Fremdes fragte, ob ich ihn begleiten wollte – also in der Realität. Eigentlich hatte meine Oma mir ja beigebracht, dass ich mit niemandem mitgehen – na ja, schwimmen – sollte. »Ähm …« Wie erteilte man seiner Halluzination eine Abfuhr?

»Du musst nicht«, lachte Saniya und schwang ihr schwarzes Haar über ihre Schulter. »Aber ich denke, dass man dir dort bestimmt helfen kann.«

»Ähm …« Wow, schlagfertig wie eh und je.

»Du willst doch wieder ein Mensch werden, oder?«

»Natürlich!«, entfuhr es mir ein wenig zu energisch, als würde etwas tief in mir drinnen tatsächlich glauben, dass diese Situation echt war. So was von verrückt!

»Dann komm mit mir. Ich verspreche dir auch, dass ich nett bin – meistens.«

Ich versuchte zu lächeln, stattdessen betrachtete ich ihren eleganten Flossenschlag. »Kann ich das auch?« Abermals versuchte ich mich aufzustemmen, doch fiel sofort wieder zurück auf mein Hinterteil.

Saniya hielt sich die Hand vor den Mund, als würde sie ihr Lachen über mich verbergen wollen. Natürlich sah ich es trotzdem und wurde prompt rot. Meine Güte, das war meine Halluzination, wieso konnte ich dann nicht problemlos mit meinem Fischschwanz schwimmen?

»Du musst mit deiner Flosse hin und her schlagen. Und dann geht das ganz von allein«, erklärte Saniya und hielt mir einladend ihre Hand hin.

Mit beiden Händen nahm ich sie entgegen und zog mich an ihr hoch, woraufhin meine Flosse wie automatisch auf und ab tanzte. Ich schaute an mir herunter und beobachtete, wie die seidenartige Haut an meiner Flossenspitze mit den Wellen des Wassers hin und her schwang.

Ein triumphierender Laut wollte meinen Lippen entweichen, doch da machte ich schon irgendetwas falsch und kippte mit voller Wucht auf meine Seite. »Autsch«, murmelte ich, während ich Sand spuckte und mich wieder hochstützte.

Nun lachte Saniya aus vollem Hals.

Missmutig presste ich meine Lippen zusammen, packte ihren rechten Arm und zog mich an ihr hoch. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich mein Gleichgewicht zu finden. Das war ja wie Einradfahren – und darin war ich schon immer ganz, ganz schlecht gewesen.