Auf historischen Spuren mit gerik CHIRLEK
Adolf Mützelburg
Das Schloss an der Ostsee
Erzählung
Original: 1869
Neuausgabe mit einer Ergänzung
zum Leben und Wirken des Autors
gerik CHIRLEK2017
Einer der gewaltigsten Stürme, welche seit Jahren die gefährliche Ostsee aufgewühlt, war vorübergebraust. Am Morgen noch hatte sich ein Mensch kaum aufrechthalten können, wenn die Windsbraut ihn auf ungeschützter Stelle ergriff. Aber gegen Mittag war der Himmel plötzlich klar und die Luft ruhig geworden. Aus dem blauen Äther strahlte die Oktober-Sonne nieder, als wolle sie über einem zweiten Frühling leuchten. Nur die See ging noch hoch und in langen, unruhigen, sich überstürzenden Wellen rauschte sie donnernd auf den flachen, sandigen Strand, der sich am Fuß der mit Buchen bewaldeten Berge dahinzog.
Es war ein eigentümlicher Gegensatz: diese strahlende Sonne, der blaue Himmel, die ruhigen, hier und dort schon rötlich gefärbten Buchenkronen, der tiefe Frieden auf dem Lande – und dort unten die endlose, bis zum Horizont mit Schaum bedeckte See, die sich hineinarbeiten zu wollen schien in das Land, und deren zischend heransprühende Wellen doch immer wieder ohnmächtig zurückrauschten, verzweifelnd grollend ob des ohnmächtigen Beginnens. Kein Fahrzeug nah und fern, nicht einmal ein verwegener Dampfer, nur Möwen über der wildbewegten Wasserwüste, soweit das Auge blickte. Doch nein. Da, in weiter Ferne, fast am Horizont, zeigte sich ein dunkler Punkt. Für das bloße Auge war er kaum erkennbar. Aber mit dem Fernrohr musste sich bereits unterscheiden lassen, ob es ein Schiff in Fahrt – oder in Not – oder ein Wrack sei.
Und ein solches Fernrohr war jetzt auf jenen Punkt gerichtet, von dem Balkon eines Gebäudes aus, das sich auf hohem Berge hart an der See erhob und sowohl durch seine stattliche Erscheinung, wie durch seine Ausdehnung den Namen eines Schlosses verdiente.
Auf diesem Balkon – man hätte ihm wegen seiner Größe auch die Bezeichnung einer gemauerten Veranda geben können – saßen vier Personen um den Kaffeetisch, zwei ältere und zwei jüngere. Der Hausherr ließ sich leicht erkennen an dem langen, bis oben zugeknöpften Rock, wie man ihn eben nur zu Hause zu tragen pflegt. Obgleich er noch nicht über die Fünfziger hinaus schien, waren sein starkes Haar und der mächtige Schnurbart bereits schneeweiß, und das magere, aber von der Luft gerötete Gesicht zeigte auf der Stirn tiefe Furchen und um die Augen und den Mund frühzeitige Falten. Die buschigen weißen Brauen hingen tief auf die blauen Augen nieder und verdeckten sie halb, ohne ihnen ihre Schärfe und ihren Glanz nehmen zu können. Der ganze Ausdruck der markierten Züge hatte etwas Verschlossenes, Trotziges, Abweisendes. Neben ihm stand auf einem Gestell das große Fernrohr, und von Zeit zu Zeit sah der Hausherr hindurch, nach jenem schwarzen Punkt.
Ihm zur Seite saß eine Dame, die nur wenige Jahre jünger sein mochte und an ihrer zwar eleganten, aber doch bequemen Toilette leicht als die Hausfrau zu erkennen war. Auch ihr Gesicht hatte etwas Herbes und Strenges und aus den dunkelbraunen Augen blitzten unverkennbar Klugheit und Energie.
Diesen beiden Leuten gegenüber befand sich das jüngere Paar – ein ungefähr achtzehnjähriges Mädchen mit sanftem, regelmäßigem Gesicht und freundlichen hellen Augen und ein vielleicht dreißigjähriger Mann, dessen kecke Züge, verbunden mit dem Schnitt des dunklen Haares und Bartes, auf einen Militär in Zivil oder einen früheren Offizier zu deuten schienen. Er plauderte angelegentlich und heiter mit dem jungen Mädchen, das jedoch meist die Augen niederschlug oder den Kopf seitwärts nach der See zu wandte, wenn er sie anhaltend mit seinem gar zu sichern, etwas übermütigen Blick musterte.
Offenbar hörte ihm die Hausfrau aufmerksamer zu, als die beiden anderen Tischgenossen. Der Hausherr blickte wiederholt durch das Fernrohr.
„Nun, was ist es, Franz?“, fragte ihn die Hausfrau, als er das Auge wohl eine Minute oder länger an dem Okular behielt.
„Ein Wrack“, erwiderte er. Dann stand er auf und verließ mit einigen flüchtigen Worten der Entschuldigung den Balkon.
Fast unmittelbar darauf sagte das junge Mädchen: „Ach, liebe Tante, ich habe ganz vergessen, dass ich heute noch nach Volckenberg schicken muss! – Ich bin bald zurück“, und verließ ebenfalls den Balkon.
So blieben denn die Hausfrau und der junge Mann sich allein gegenüber.
„In der Tat eine reizende Erscheinung!“, sagte der Letztere und ließ die Hand leicht über den Schnurrbart gleiten. „Aber, wissen Sie, gnädigste Frau, ich scheine nur sehr langsam zu avancieren. Sagen Sie offen – kommt es Ihnen nicht auch so vor?“
„Sie vergessen, dass es einer Dame nicht ziemt, entgegen zu kommen, lieber Herr Lieutenant“, antwortete die Hausfrau. „Wahrscheinlich sind Sie von früher her etwas verwöhnt. Meine Nichte ist trotz ihrer Sanftmut ein ziemlich selbstständiger Charakter. Sie wird nicht im Sturm erobert, wie die Herren das lieben; sie will umworben sein.“
„Ganz wohl, gnädigste Frau“, sagte der junge Mann. „So habe auch ich den Charakter der Comtesse aufgefasst. Aber meinen Sie nicht, dass ich sehr eifrig werbe?“
„Nun ja“, erwiderte die Dame. „Aber Sie verlangen zu viel. Heut sind es gerade vierzehn Tage, dass Sie Ihren ersten Besuch bei uns machten. Ich meine, das ist eine zu kurze Zeit, um ein ganz freies Herz für sich zu gewinnen. Marianne hat bis jetzt noch nie daran gedacht, dass jemand ernstlich um sie werben könne.“
„Ein ganz freies Herz – sehen Sie, gnädigste Frau, das ist es!“, rief der Lieutenant, seinen Stuhl näher rückend und die Stimme dämpfend. „Sind Sie wirklich überzeugt, das Herz der Comtesse sei nicht schon durch irgendeine andere Neigung in Anspruch genommen?“
Die Dame sah ihn mit ihren großen Augen fragend und aufmerksam an. Seine Miene war etwas ernster geworden und hatte einen erwartenden, spähenden Ausdruck.
„Ich wüsste nichts, auch nicht das Geringste, Herr von Bittensee, was auf irgendeine Neigung Mariannens hindeuten könnte“, sagte sie dann, langsam den Kopf schüttelnd. „Soll ich Ihnen die volle Wahrheit sagen, so muss ich gestehen: ich halte meine Nichte für etwas befangen. Sie ahnt zum ersten Mal, dass ihr eine ernste Bewerbung in bestimmter Absicht dargebracht wird – keine vorübergehende zwecklose Huldigung. Wäre das Letztere der Fall, so würde sie frei und heiter sein, wie immer. Jetzt aber ruft das Bewusstsein, es handle sich um einen folgenschweren Antrag, auch in ihr einen gewissen Ernst und eine durchaus natürliche Befangenheit hervor, die Sie sich, meiner Ansicht nach, zu Ihren Gunsten auslegen können.“
„Ich bin unendlich dankbar, gnädigste Frau!“, rief der Lieutenant und küsste die Hand der Dame, die er schnell ergriffen hatte. „Möge es so sein, wie Sie sagen! Ich für mein Teil bin von Comtesse Marianne bereits in einer Weise eingenommen, wie nie für eine andere Dame. Wenn irgendein Wesen auf der Welt, so glaube ich, könnte die Comtesse mich zu einem ruhigen, soliden Mann machen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie doch noch zweifeln?“, fragte die Hausfrau mit einem aufmerksamen Blick.
„O nein, ich scherze nur“, erwiderte er lachend. „Es ist ja eine alte Wahrheit, dass Leute wie ich, die ein wenig toll gelebt haben, die besten Ehemänner werden. Sie sollen es gewiss nie bereuen, mir Ihre Protektion geschenkt zu haben…“
Er unterbrach sich, denn die Hausfrau, die einen Moment über die Brüstung des Balkons geblickt hatte, war hastig aufgestanden. Auch er erhob sich.
„Was ist das?“, rief die Dame. „Mein Mann dort unten am Strande – das Boot wird hinausgeschoben – was bedeutet das? Will er hinaus in die See? Unmöglich! Und doch – jenes Wrack! Wenn er entdeckt hat, dass Menschen in Gefahr sind, ist er im Stande, sein eigenes Leben zu wagen, wie so oft. Es ist eine Manie bei ihm, fast eine Art Wahnsinn, die mich schon oft in die furchtbarste Angst versetzt hat. Bei Gott – es ist so! Er lässt die Segel herbei bringen - nein, das dulde ich nicht. Ich muss hinunter, ich lasse ihn nicht fort. Das ist offenbarer Wahnwitz; er muss zu Grunde gehen! Entschuldigen Sie mich, Herr Lieutenant!“
Sie eilte in das Innere des Hauses. Der junge Mann, der ihr erstaunt zugehört, strich sich abermals seinen Schnurrbart und blickte hinab nach dem Strand. Der Hügel, auf dem das Schloss sich erhob, fiel nach der Seeseite steil ab und man konnte den ganzen Strand überblicken. Unten, dicht an der steilen Bergwand, erhob sich ein länglicher Schuppen, wie man sie an der See häufig findet, um Boote in ihnen während des Winters oder bei hohem Wellengange zu bergen. Aus diesem Schuppen hatte man vermittelst Walzen ein Boot von mittlerer Größe herausgerollt, nach der See zu. Einige Männer waren damit beschäftigt, das Steuer einzuhängen und die Segel zu befestigen. Der Schlossherr, in kurzer Wachstuchjacke, einen breitrandigen sogenannten Südwester auf dem Kopf, stand daneben und schien, aus einzelnen kurzen Handbewegungen zu schließen, seine Befehle zu geben.
„Ich möchte wohl hinuntergehen und mir den alten Kauz anschauen, wie er bei dieser Brandung in die See sticht“, dachte der junge Mann bei sich; „aber er wäre im Stande, mich aufzufordern, ihn zu begleiten, und dazu habe ich nicht die mindeste Lust. Was zum Kuckuck steckt hinter dieser Rettungs-Manie, hinter diesem Wahnsinn, wie meine Gönnerin ganz richtig sagte? Es braucht nur ein Haus zu brennen, ein Boot in Gefahr zu sein, so ist der wunderliche Patron bei der Hand und riskiert seine gesunden Glieder um irgendwelcher ganz unbedeutenden Geschöpfe willen, aus denen er sich im gewöhnlichen Leben doch nicht viel macht – denn er hat seinen Stolz, wie nur einer von uns. Ich will doch einmal durch das Fernrohr sehen.“
Es währte einige Zeit, ehe der junge Mann den dunklen Punkt auf dem Meer fand. Dann aber sah er inmitten eines wahren Getümmels von Wogenkämmen und Schaum ein Wrack, das langsam von den Wellen gehoben und gesenkt wurde. Es schien das Vorderteil eines kleinen Fahrzeuges zu sein. Das untere Stück des Mastes stand noch, und um dasselbe herum flatterten Fetzen von Segeln. Ganz vorn erblickte er eine, wie es schien, männliche Gestalt, die zu knieen oder zu sitzen schien und neben der ein weißes und ein rotes Tuch im Winde flatterten.
„Teufel – das ist eine Situation, die ich mir nicht gönnen möchte!“, flüsterte er fast erschreckt. „Die Wellen können das Wrack jeden Augenblick zerschlagen und der Mensch, der dort sitzt, muss bereits von dem Spritzwasser sehr mürbe sein. Will der alte Erneckow zu dem hinaus? Das könnte ihm doch schlecht bekommen. Nun, was geht‘s am Ende mich an! Die Erbschaft wird dadurch nicht kleiner, und zurückhalten lässt sich der alte Eigensinn doch nicht!“
Darin schien er vollkommen Recht zu haben. Denn die Hausfrau, die, wie sie ging und stand, den Berg hinab geeilt war, trat jetzt auf den Gatten zu. Ihn mit großen, zürnenden Augen anblickend, fragte sie ernst: „Franz, was willst du tun? Denkst du an dich und an mich?“
Der Schlossherr, der vorher so ruhig auf dem Balkon gesessen, war jetzt ein ganz anderer. Die weißen Brauen hingen ihm noch tiefer über die Augen und der zusammen gepresste Mund öffnete sich nur zu kurzen Worten. Aber in seiner ganzen Haltung lag etwas fieberhaft Erregtes, das sah man an dem Leuchten seines Blickes, an der Art, wie er den Arm hob, um hin und wieder einem Befehle Nachdruck zu geben.
„Geh hinauf, Sophie!“, sagte er, ihren Blick ruhig aushaltend.
„Du willst in die See hinaus, bei diesem Wellengang?“
„Ja.“
„Und du glaubst, dass ich es zugeben würde?“, rief sie.
„Ich denke ja“, erwiderte er mit einem leichten Aufblitzen des Auges, „Frommelt, treibt den Keil fester ein! So ist es gut. Nun hinein in die See mit dem Boot. Etwas mehr rechts, sonst treibe ich an das Badehaus!“
Diese Befehle gab er, seiner Frau den Rücken zukehrend, als sei sie nicht mehr da.
Für einen Moment flammte es in ihren Augen auf, wie Zorn. Dann legte sie ihm die Hand auf die Schulter. „Franz“, sagte sie mit weicher Stimme, „dieses eine Mal sei mir zu Willen! Es ist keine Möglichkeit, jenes Wrack zu erreichen.“
„Ich kenne mein Boot, Sophie“, antwortete er etwas milder, aber mit entschiedenem Ton. „Fürchte nichts. Es ist ein Lotsenboot, und die See kann mir nichts anhaben, es ist ja wenig Wind mehr. Es hängt alles davon ab, geschickt zu steuern, und das verstehe ich. Nun, leb wohl! Richte unten das Häuschen ein, für den Fall, dass ich den Mann noch lebend finde und mit zurückbringe.“
Er reichte ihr die Hand, die sie mechanisch nahm. In dem Augenblick kam eine jugendliche Gestalt durch die Buchen den Berg herabgeflogen, das Gesicht gerötet, das helle Haar gelockert von dem raschen Lauf.
„Onkel, Onkel!“, rief sie, noch ehe sie den Strand erreicht, „Du darfst nicht hinaus. Nein – nimm mich wenigstens mit dir!“
Der Schlossherr schien sie gar nicht gehört zu haben. Er ging schnell nach dem Strande.
Die Schiffer, von dem Schaum der Wellen bespritzt, standen halb im Wasser und hielten das Boot, in das der Schlossherr jetzt mit jugendlicher Gewandtheit hineinsprang.
„Nun los!“, rief er, sich sogleich an das Steuer setzend und den Griff desselben mit fester Hand erfassend. „Mehr nach links, damit ich das bisschen Wind fasse. Vorwärts!“
Die drei Männer – kernige Seemannsgestalten, mit Wasserstiefeln, die ihnen bis an den Leib hinaufreichten – setzten ihre ganzen Kräfte an, schoben das Boot hinaus in die Brandung und gaben ihm dann noch einen gewaltigen Stoß. Das schlaffe Segel füllte sich – den Augenblick darauf war das Boot hinter einer langen, stolz heranrauschenden Welle verschwunden – nur den Mast mit dem flatternden roten Wimpel sah man.
„Glücklich hindurch!“, sagte der alte Frommelt, dem Fahrzeug nachblickend und schüttelte unwillkürlich den Kopf.
„Weshalb ist nicht wenigstens einer von Euch mit ihm gefahren?“, rief die Herrin, und aus ihrer Stimme klang es wie verhaltenes Schluchzen.
„Der gnädige Herr hatte es bestimmt verweigert“, antwortete Frommelt. „Wenn‘s gefährlich ist, tut er‘s allein!“
Marianne, die inzwischen neben ihre Tante angelangt war, hatte Hände und Stirn auf die Schulter derselben gelegt und zitterte vom Kopf bis zum Fuß.
„Es ist nicht so schlimm, gnädigste Gräfin“, sagte der alte Schiffer, der es bemerkte. „Das Boot kann viel aushalten. Es ist ein echtes Rettungsboot, schlank und tief. Ich wäre ohne Besinnen mitgefahren, wenn‘s der Herr nur erlaubt hätte.“
Marianne erhob den Kopf nicht; ihre Tante blickte starr auf die See. Das Boot war schon mehr als hundert Schritt vom Lande und hob und senkte sich wie eine Nussschale.
„Mein Gott, mein Gott, warum ist der Onkel so starrsinnig?“, flüsterte Marianne. „Weshalb vermag keine Bitte ihn zurückzuhalten, wenn er Gefahr sieht?“
„Ich weiß es nicht; er war immer so!“, antwortete die ältere Dame kurz. „Lass uns hinaufgehen. Wir sind hier überflüssig. Gott mag ihn beschützen!“
Mit einer Miene, in der Trotz und Wehmut kämpften und zuletzt ein starrer Ausdruck die Oberhand behielt, wandte sie sich dem Fußsteig zu, der zum Schloss hinaufführte. Marianne hatte ihren Arm in denjenigen der Tante gelegt und schritt neben ihr, mit gesenktem Kopf, mühsam ihre Tränen zurückhaltend. Als sie oben, auf der Terrasse vor dem Schloss, angelangt waren, blickten beide unwillkürlich hinter sich. Das Boot tanzte jetzt mitten auf den Wellen und bewegte sich, nicht eben schnell, aber doch sicher der hohen See zu.
„Wir vergessen ganz, dass Herr von Bittensee uns auf dem Balkon erwartet“, sagte die Tante, mit einem tiefen Atemzuge, der wie Erleichterung klang.
„Ich komme bald“, erwiderte Marianne leise. „Nur noch einige Minuten!“
Sie trennten sich; Frau von Erneckow stieg die große Freitreppe hinan, Marianne trat in die unter derselben befindliche Tür. Dabei bemerkte sie das Gesicht eines schon bejahrten Mannes an einem Fenster des hohen Kellergeschosses. Dort waren die Gesindestuben und die Küche.
„Nun, Wilhelm, was sagen Sie wieder zu dem Onkel?“, fragte sie mit Tränen in den Augen.
„Es ist ja immer so gewesen, gnädigste Comtesse“, sagte der Diener, der einige Jahre älter sein mochte, als der Schlossherr. „Es hält ihn nichts davon zurück – ich habe es längst aufgegeben.“
„Aber was treibt ihn dazu, Wilhelm? Wissen Sie es nicht?“, fragte das junge Mädchen leise und doch voll Eifer und Angst.
Der Diener erwiderte ihren Blick mit einem eigentümlichen Ausdruck seiner klugen und treuen Augen. Dann schüttelte er den Kopf; Marianne ging traurig in das Haus.
„Ich würde wohl nicht anders tun, wenn ich dasselbe auf dem Herzen hätte!“, flüsterte er darauf still vor sich hin und nickte ernst mit dem Kopfe, während er wieder in die See hinausschaute.
– – –
Inzwischen näherte sich, wie erwähnt, das Boot seinem Ziele, freilich sehr langsam. Der alte Herr saß am Steuer, wie aus Marmor gehauen. Selbst die Bewegungen, die er zuweilen mit der linken Hand machte, um das Tau fester anzuziehen oder zu lockern und dadurch mehr Wind zu fangen oder das Segel nachgeben zu lassen, nahmen ihm nichts von diesem ehernen Ausdruck, denn sie ließen die starre Ruhe, welche ihnen folgte, nur umso deutlicher erscheinen. Wahrlich, dieser Mann kannte keine Gefahr und seine Seele war von einem Gedanken in Anspruch genommen, der ihn alles, außer diesem einen, vergessen ließ! Und dabei beherrschte er das Element, soweit ein Mensch es beherrschen kann. Er wusste den schwachen Wind so gut zu benutzen, das Steuer so geschickt zu lenken, dass er sicher hindurch glitt durch jede Welle, mochte sie auch noch so drohend mit gischendem Kamm heranrauschen. Freilich war es eine mühe volle Fahrt, namentlich, als das Boot die freie See erreichte, wo die Wellen regelmäßiger gingen, aber auch der Wind ungünstiger wurde. Hier erhob sich der alte Herr zuweilen, um sich zu überzeugen, dass er die Richtung nicht verloren habe. Nein, noch hielt er sie inne. Auch kam ihm das Wrack, von jeder Welle eine kurze Strecke weitergetragen, näher und näher.
Es war jetzt gegen fünf Uhr Nachmittags und die Sonne stand bereits tief. Erreichte Herr von Erneckow das Wrack und gelang es ihm, den Schiffbrüchigen, der sich auf demselben befand, glücklich in sein Boot zu bringen, so konnte die Rückfahrt verhältnismäßig kurz sein, denn Wind und Wellen begünstigten ihn alsdann. Als er dem Wrack bis auf einige hundert Schritt nahegekommen war, richtete er sich wieder auf und rief mit lauter Stimme. Aber niemand antwortete ihm. Er wiederholte dies einige Mal, aber ohne dass eine Antwort folgte.
„Tot oder ohnmächtig – wahrscheinlich tot!“, murmelte der alte Herr vor sich hin.
Ein frischer Windstoß zwang ihn zur Vorsicht, brachte ihn aber auch näher an das Wrack. Nun sah er deutlich, dass dasselbe aus dem Vorderteil eines kleinen Fahrzeuges bestand, dessen Bauart sehr eigentümlich und elegant gewesen zu sein schien, ähnlich derjenigen schnell segelnder englischer oder amerikanischer Boote. Dass dieses Wrack sich über dem Wasser erhielt, war vermutlich nur der Fürsorge desjenigen zu danken, der sich noch auf demselben befand; denn einige Planken waren auf beiden Seiten so geschickt angebracht, dass sie das Umschlagen des Wracks verhinderten. Auch die menschliche Gestalt sah der alte Herr jetzt ganz deutlich. Sie kauerte mitten auf dem Wrack, hatte die Arme um irgendeinen, noch nicht erkennbaren Gegenstand geschlungen und den Kopf tief niedergesenkt. Das fahle, vom Schaum durchnässe und glatt niederhängende Haar war das Einzige, was Erneckow vom Kopfe zu erkennen vermochte.
Alles hing jetzt davon ab, ob es möglich sei, sich dem Wrack zu nähern und den Toten oder Ohnmächtigen zu er reichen. Das Unternehmen wurde erschwert durch die Planken, welche von dem Wrack in senkrechter Richtung abstanden und ziemlich weit ins Wasser zu reichen schienen, Erneckow musste versuchen, die Spitze des Wracks zu erfassen, sein Boot am Bug zu befestigen und dann zu untersuchen, ob der Mann lebe oder nicht. Aber das war gerade das Gefährliche des Unternehmens. Die mächtigen Wellen konnten Boot und Wrack aneinander schleudern, und wenn Erneckow auch für sein gut gebautes Boot nichts fürchtete, so ließ sich doch mit Sicherheit annehmen, dass das Wrack bei einem solchen Zusammenstoß sich lösen und von den Wellen vernichtet werten würde. Ja, wäre der fremde Mann dort auf dem Wrack bei Besinnung gewesen, hätten sie beide sich in die Hände arbeiten können, dann wäre die Aufgabe erleichtert worden. Nun, sie musste auch jetzt versucht werden!
Die Sonne sank soeben prachtvoll glühend in das Meer, als der alte Herr das Wrack erreichte. Es gelang ihm, einen Zusammenstoß zu vermeiden und ein Tau um einen hervorstehenden Pflock am Bug zu werfen. Das Segel seines eigenen Bootes ließ er im Winde flattern, damit es neben dem Wrack hertreibe. Nun schwang er sich auf das Wrack. Zeit war nicht zu verlieren. Das Boot musste sich, sobald es nicht mehr vom Steuer gelenkt wurde und seine Breitseite ungeschützt den Wellen darbot, mit Wasser füllen. Erneckow, sich an den Planken des Wracks festhaltend, das unter jedem Wellenschlage erzitterte und zu bersten schien, kroch zu dem Fremden hin und richtete den Kopf desselben in die Höhe.
Aber als ob er ein Gespenst gesehen, fuhr er zurück und ein matter, heiserer Schrei des Entsetzens rang sich über seine Lippen. Er ließ den Kopf des Fremden sinken, doch nur für einige Sekunden – dann hob er ihn wieder empor.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne über strömten das Gesicht des Fremden mit ihrer purpurnen Glut und verliehen den blassen Zügen einen trügerischen Schein des Lebens. Es war ein schönes, ausdrucksvolles Gesicht, aber starr, wie das eines Toten. Eine große Narbe auf der Stirn leuchtete blutrot im Widerschein der sinkenden Sonne; das einst blonde, jetzt fahle Haar, hing wirr um den Kopf der Mund war halb geöffnet – der Mann sah aus, wie ein Erschlagener.
Erneckow hielt den Kopf mit beiden Händen und sah ihn an, immerfort, starr, mit weitgeöffneten Augen. Der alte Herr hatte doch Tote genug gesehen. Warum ergriff ihn bei dem Anblick dieses Gesichts ein so jähes Entsetzen? Er vergaß darüber die Gefahr, die Wellen. Endlich ließ er den Kopf des Fremden wieder sinken. Die Sonne war untergegangen – ein bläuliches Grau hatte sich über die bewegte See gelagert und die Täler zwischen den Wellen öffneten sich dunkel, wie Gräber. Erneckow wandte sich nach seinem Boot um, langsam, als ob ihm jede Bewegung schwer werde. Wieder entrang sich ein kurzer Ruf seinen erblassten Lippen. Das Boot war nicht mehr neben dem Wrack; ungefähr hundert Schritt entfernt, trieb es mit flatterndem Segel, schwankend und zitternd, auf den Wellen.
Das Tau musste sich gelöst haben, während er den Leblosen, sich selbst vergessend, betrachtete.
„Nun, wie Gott will!“, sagte er und sein Blick glitt glanzlos dahin über das schnell verschwindende Rot des Himmels und über die dunkle Wasserwüste rings um ihn her. „Heut ist der Tag – dies ist das Antlitz, das mir Gott in meiner letzten Stunde sendet – mein Geschick ist erfüllt. Ich werde die Meinen nicht wiedersehn!“ –
„Frau von Erneckow war in der Tat eine Frau von Charakter. Nicht nur die Kränkung wusste sie zu verbergen, die sie über die Hartnäckigkeit ihres Gatten empfand, sondern auch die Seelenangst, von der sie gefoltert wurde. Sie saß wieder neben Herrn von Bittensee auf dem Balkon und sprach über verschiedene Gegenstände mit ihm, auch über die Waghalsigkeit und die „Rettungs-Manie“ ihres Mannes, und nur eine flüchtige Bewegung ihrer Finger oder ein Zucken ihrer Mundwinkel oder auch ein Frösteln, das sie überlief, verriet ihre innere Aufregung. Sie hatte jetzt den Platz neben dem Fernrohr eingenommen, den Herr von Erneckow vorher innegehabt, und sah sehr oft durch das Glas.
Marianne war nur für wenige Minuten auf dem Balkon erschienen. Kaum hatte sie Platz genommen, so war sie von einer Dienerin abberufen worden. Dies konnte nicht auffallen, denn die junge Waise, die sich seit ungefähr zwei Jahren bei ihrer Tante aufhielt, sollte sich ja hier in der Führung der Wirtschaft vervollkommnen und leitete deshalb das Hauswesen fast selbstständig. Heut hatte zwar die Tante etwas missmutig gesagt: „So lass doch Johanne allein wirtschaften und gönne dir etwas Ruhe!“, aber Marianne schien diese Erlaubnis überhört zu haben.
Es war gerade um die Zeit des Sonnenuntergangs und Herr von Bittensee erzählte so eben nicht ohne Geschick und Witz eine kleine Skandalgeschichte aus dem landeinwärts gelegenen Städtchen Wandelin, als Frau von Erneckow, die während dessen gespannt durch das Fernrohr gesehen, einen Schrei aufstieß. Sie hatte bemerkt, dass das Boot ihres Gatten, sich von dem Wrack getrennt und ohne Leitung auf den Wellen trieb. Dennoch wusste sie auch jetzt sich zu beherrschen.
„Ich kann mich täuschen!“, sagte sie aufstehend und mit der Hand über die Augen fahrend. „Die Sonne blendet entsetzlich. Sehen Sie durch das Glas, Herr von Bittensee!“ Diensteifrig eilte der junge Mann herbei und legte sein Auge an das Fernrohr.
„Was ist denn das!“, rief er. „Ich sehe niemand in dem Boot und auf dem Wrack sind zwei Personen nebeneinander…“
„So habe ich mich nicht geirrt!“, sagte Frau von Erneckow. „Das Leben meines Mannes ist nun in Gottes Hand. Allmächtiger!“ – Sie schlug die Hände vor das Gesicht. „Doch – ich kann nicht helfen!“, fügte sie mit dumpfer Stimme hinzu. „Wir müssen abwarten. Ich habe es immer, immer geahnt. Einmal kostet es ihn das Leben! – Herr von Bittensee, dieses Haus wird in der nächsten Stunde ein Haus der Unruhe sein. Ich verzeihe es Ihnen gern, wenn Sie es verlassen!“
„Aber sicher nicht, meine Gnädigste, wenn Sie es mir nicht befehlen!“, antwortete der junge Mann. „Herr von Erneckow ist in großer Gefahr, das glaube ich selbst – aber lässt sich denn gar nichts dagegen tun? Kann man ihm nicht zu Hilfe kommen?“
Die Hausfrau hatte überlegend gestanden. Jetzt schüttelte sie langsam den Kopf.
„Es gibt kein Mittel. Wir müssen abwarten, was die Nacht oder der Morgen bringt“, sagte sie mit klangloser Stimme. „Von den Fischern und Schiffern wagt sich Keiner hinaus; sie können es auch nicht, ihre Boote sind zu schlecht. Und das Rettungsboot aus Lüngermünde wird man uns nicht senden wollen – auch wenn es noch zur rechten Zeit käme – sie gebrauchen es dort selbst wegen der Schiffe, die in den Hafen einlaufen wollen. O mein Gott, mein Gott – hier verdammt zu sein zur Untätigkeit, während er dort draußen auf dem Wasser schwebt und vielleicht herüberblickt!“
Sie griff hastig nach dem Klingelzug neben der Tür, die vom Hause auf den Balkon führte.
Auf den hellen Klang der Glocke kam Wilhelm, der alte Diener, herbeigeeilt. Mit ihm zugleich erschien auch Marianne.
„Zünden Sie die große Laterne auf dem Belvedere an!“, sagte Frau von Erneckow zu dem Diener. „Und dann senden Sie sogleich hinab ins Dorf und lassen so viel erwachsene Menschen aufbieten, als sich im Dorfe finden. Sie sollen mit Laternen den Strand entlanggehen, bis nach Baringsdorf, hin und zurück.“
„Haben die gnädige Frau besonderen Grund zur Besorgnis?“, fragte Wilhelm erstaunt. „Der gnädige Herr ist der beste Seemann, den ich kenne, und das Boot ist gut.“
„Er ist nicht mehr auf dem Boot“, antwortete Frau von Erneckow. „Er hat das Wrack bestiegen und das Boot ist fortgetrieben.“
Ein Ruf des Schreckens drang über Mariannens Lippen. Sie blickte starr auf ihre Tante und hielt sich mit den Händen an dem Türpfosten.
„Das wäre ja ein großes Unglück!“, sagte der alte Diener tief erschüttert. „Ich werde alles tun, gnädige Frau. Und die Dorfleute lassen es gewiss aus freien Stücken an nichts fehlen. – Verlieren Sie nicht den Mut, gnädigste Comtesse!“, fügte er dann, zu dem jungen Mädchen gewendet, hinzu. „Ihr Herr Onkel ist schon in größerer Gefahr gewesen!“
„Gewiss, Wilhelm hat Recht“, sagte Frau von Erneckow mit starker Stimme. „Triff alle Anordnungen, damit die Diener für die Nacht frei sind und mit nach dem Strande gehen können. Die Hauptsache ist, dass sich Menschen zur Hilfsleistung in der Nähe befinden, wenn das Wrack ans Land getrieben wird. Im Übrigen geht alles seinen gewohnten Gang. Herr von Bittensee wird uns Gesellschaft leisten.“
Das junge Mädchen ging mit schwankendem Schritt in das Innere des Hauses, wohin ihr Frau von Erneckow, sich bei dem Lieutenant entschuldigend, bald darauf folgte. Sie sagte dem Lieutenant noch, dass sie ihn im Gesellschaftszimmer, wo inzwischen Licht angezündet wurde, zu treffen hoffe. Die Dämmerung war angebrochen und die dunkle See, von der sich nur hin und wieder eine höhere Welle als ein schnell verschwindender, weißlich grauer Streifen abhob, bot einen trostlosen Anblick. Deutlicher als bei Tage drang das Donnern der Brandung herauf. Im Belvedere – einem hölzernen, offenen Turm auf der höchsten Stelle des Berges – begann die große Laterne zu leuchten, die zuweilen angezündet wurde, wenn die Schlossbewohner Spazierfahrten auf der See machten, die sich bis in die Nacht hinein ausdehnten. Auch im Dorfe unten, das freundlich in einem Talabschnitt zwischen den Bergen lag, wurde es lebendig. Hier und dort tauchten Laternen auf und begannen, Glühwürmchen ähnlich, ihre Wanderung den Strand entlang.
Inzwischen stand Herr von Bittensee noch auf dem Balkon. Er hatte sich eine neue Zigarre angezündet und überlegte. Es schien, als ob der Zufall ihn in unerwarteter Weise begünstigen wolle. Deshalb war es auch notwendig, diesen Zufall geschickt zu benutzen.
Hermann von Bittensee war der einzige Sohn eines Gutsbesitzers in der Nachbarschaft. An geistigen Anlagen fehlte es ihm nicht, aber man hatte ihn schon in früher Jugend verwöhnt und verzogen. Es verstand sich von selbst, dass er zum Militär ging und er trat deshalb schon mit siebzehn Jahren bei der Husaren-Schwadron ein, die in einem benachbarten Städtchen garnisonierte. Dort nannte man ihn allgemein den „wilden Bittensee“, und die Streiche, die man von ihm erzählte, grenzten an Tollheit. Indessen welcher Vater hofft nicht, dass sich sein Sohn allmählich in die Formen des Lebens finden werde! Der alte Herr von Bittensee war ein reicher Mann und konnte die Torheiten des Sohnes mit seinem Gelde decken. Auch manche Tat, die mehr als leichtsinnig war, vergrub er unter einem Haufen Gold. So ging es zehn Jahre lang. Mehr als einmal hatte der junge Bittensee seinen Abschied erhalten sollen; doch um des Vaters willen war noch immer Gnade vor Recht ergangen. Endlich half nichts mehr. Ein roher Streich, zu dem Bittensee in toller Weinlaune seine jüngsten Kameraden angestiftet hatte, kam selbst dem Landesfürsten zu Ohren, und Bittensee musste in aller Eile seinen Abschied nehmen.
Als er zu seinem Vater zurückkehrte und diesem endlich alle seine Schulden eingestehen musste, fand sich, dass der Vater, wenn er zahlen wolle, fast ruiniert sei. Und zahlen wollte der alte Herr, der ein Ehrenmann durch und durch war, obgleich ihn der Sohn deshalb im Stillen einen Narren nannte. Es mussten beträchtliche Schulden auf das Gut aufgenommen werden, das bis dahin frei von allen Lasten gewesen.
Nun ging der alte Herr mit dem Sohne freilich sehr streng ins Gebet und auch Hermann, als er seine Lage erkannte, schmiegte sich wie ein Ohrwurm.
„Von der Landwirtschaft verstehst du bis jetzt nichts“, sagte der Vater, „aber ich hoffe, noch lange genug zu leben, um dich unterrichten zu können. Indessen, wenn du auch ein perfekter Landwirt würdest, so kann dir das nicht viel helfen, denn die Zinsen fressen unsere Einnahmen auf, das Betriebs-Kapital ist fort und ein einziges schlechtes Jahr kann das Gut unter den Hammer bringen. Es bleibt dir also nichts übrig, als ernst mit dir selbst zu reden, dir das Gelübde zu geben, dass du von jetzt ab ein ordentlicher Mensch werden willst und dich daneben nach einer reichen Frau umzusehen. Ohne eine reiche Heirat bist du verloren. Dein Äußeres ist ja leidlich und wenn du willst, kannst du auch liebenswürdig sein. Also geh‘ mit dir zu Rate und denke, dass es sich um deine ganze Zukunft handelt.“ Der Plan war ganz im Geschmack des Sohnes. Tiefe Neigungen des Herzens kannte er nicht, und dass man bei der Wahl einer Gattin nur auf seinen Vorteil sehen müsse, fand er ganz in der Ordnung. Er machte deshalb auch mehrere Versuche, die aber fehlschlugen, obwohl er in der Tat manche äußerlichen Gaben besaß, die ein unerfahrenes Mädchen leicht betören, und es ihm namentlich an der so oft siegreichen Keckheit oder Unverschämtheit nicht fehlte. Sein Ruf stand ihm im Wege; die Eltern wollten einem Manne von solcher Vergangenheit ihr Kind nicht anvertrauen.
Da führte der Zufall ihn mit Frau von Erneckow zusammen, und er fand an ihr eine mächtige Gönnerin.