Der Autor

Der Geschichtsanalytiker und Sachbuchautor Mario Arndt schreibt über Themen, die Sie nicht in traditionellen Geschichtsbüchern finden. Seine Analysen der offiziellen Geschichte decken auf, wie das Mittelalter, die Antike und die dazugehörigen Zeitrechnungen gefälscht und erfunden wurden.

Mario Arndt wurde 1963 in Rostock geboren und hat seit 2002 seinen Wohnsitz in Frankfurt am Main. Website: www.HistoryHacking.de

Seine Entdeckung der artifiziellen Strukturierung der Reihenfolge der Namen der christlichen, europäischen Herrscher des Mittelalters stellt einen entscheidenden Durchbruch in der Geschichtsanalytik dar und ist möglicherweise die Kopernikanische Wende in der Erforschung des europäischen Mittelalters.

Vom Autor sind außerdem erschienen:

Das wohlstrukturierte Mittelalter (2012), ISBN: 978-38423487762

Wer war Karl der Große wirklich? (2014), ISBN 978-3-7386-4420-3

History Hacking (2018), ISBN: 978-3752878707

Die wohlkonstruierte Chronologie (2020), ISBN: 9783751980814

Astronomie und Chronologiekritik (2020), ISBN: 9783751997935

Abbildung Titelseite: Darstellung des christlichen Schöpfergottes als Geometer. Miniatur aus einer französischen Bible moralisée, 13. Jahrhundert (gemeinfrei).

Alle Grafiken und Tabellen im Buch wurden vom Autor dieses Buches erstellt. Alle anderen Abbildungen im Buch ohne Angaben zum Autor sind gemeinfrei und stammen aus wikipedia.

Danksagung

Besonders danke ich den Teilnehmern einer langjährigen Email-Diskussionsrunde mit Prof. Gunnar Heinsohn und anderen sowie den Teilnehmern unzähliger Diskussionen in Internetforen, sowohl Anhängern als auch Kritikern, die es mir ermöglicht und erleichtert haben, meine Ideen weiterzuentwickeln.

© 2020 Mario Arndt (4. Auflage)

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783739277714

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Geschichte nach geometrischer Methode

Vormoderne Vorstellungen über die Strukturierung
von Raum und Zeit

Dieses Kapitel gibt einen kurzen Einblick in die antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorstellungen über die Strukturierung von Raum und Zeit, da diese für das Verständnis des Hauptteils des Buches wesentlich sind. Denn damals entstanden die Vorstellungen über die Chronologie der Geschichte dieser Zeiten, die heute noch Stand der Geschichtswissenschaft sind, also niemals einer radikalen Prüfung unterzogen worden sind.

Abb. 1 zeigt eine mittelalterliche (Ideal-)Vorstellung des Universums mit der Erde im Mittelpunkt. Um die Erde bewegen sich Mond, Sonne und die damals bekannten fünf Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn) auf Kreisbahnen. Ganz außen befinden sich die Fixsterne, hier konkret die zwölf Sternbilder des Tierkreises.

Aber: Man wusste jedoch (spätestens seit dem antiken Astronomen Claudius Ptolemäus), dass das eigentlich nicht stimmte, denn bei den Planeten waren eben keine exakten Kreisbahnen beobachtbar, sondern sogenannte Epizyklen (kleinere Kreisbahnen auf der großen). Kreisbahnen waren das Paradigma dieser Zeit, da sie als ideale Form der Bewegung galten, wie es der antike griechische Philosoph und Wissenschaftler Aristoteles gelehrt hatte.

Abb. 1: Das geozentrische Weltbild in einer mittelalterlichen Handschrift

Auch Nikolaus Kopernikus (1473-1543), der als Begründer des neuen Weltbildes gilt, dass sich die Planeten um die Sonne und nicht um die Erde bewegen, hielt an Kreisbahnen als idealer Bewegungsform der Planeten fest. Dadurch war die Theorie des Kopernikus zunächst ungenauer als die damalige herrschende Meinung zum Thema, das geozentrische Weltbild. Auch widersprach natürlich die Vorstellung von der Sonne im Mittelpunkt und einer durch das Universum fliegenden Erde ganz offensichtlich dem gesunden Menschenverstand und dem damaligen Stand der Wissenschaft. Jeder konnte schließlich die Bewegung der Himmelskörper um die Erde beobachten, angefangen von der Sonne, die jeden Morgen aufging. Es gab auch z.B. keinen Gegenwind, obwohl die Erde sich nach Kopernikus bewegen sollte, und die Gegenstände fielen gerade herunter und nicht schräge. Das waren tatsächlich Gegenargumente nach dem damaligen Wissensstand. Die Vorstellung eines Vakuums, eines völlig luftleeren Raumes, wurde nämlich abgelehnt, und auch die heute bekannten Bewegungsgesetze waren noch nicht entdeckt worden. Auch hier war Aristoteles maßgebend.

Daher wurde Kopernikus zunächst nicht ernst genommen und das heliozentrische Weltbild galt als Bullshit, wie man heute sagen würde, und die Anhänger des Kopernikus hätte man heute Spinner und Crackpots genannt.

Obwohl die Grundidee von Kopernikus richtig war (die Planeten bewegen sich um die Sonne und nicht um die Erde), hatte er noch nicht die richtige Art der Bewegung erkannt. Er ging eben davon aus, dass sich die Planeten in Kreisen um die Sonne bewegen. Dass es sich bei der tatsächlichen Bewegungsform um Ellipsen handelt, erkannte erst Kepler 100 Jahre später. Auch das physikalische Weltbild musste sich ändern, was grundlegend erst Newton (1643-1726) gelang. Erst nach seinem Tode gelang die Widerlegung des geozentrischen Weltbildes.

Es war also ein langer Weg

  1. von der neuartigen These des Kopernikus,
  2. über die spätere Erkenntnis der Falschheit der herrschenden Meinung in der Wissenschaft
  3. bis zu ihrer endgültigen Widerlegung.

Aber zurück zur Zeit vor Newton: Dieser antiken und mittelalterlichen Strukturierung im Raum – die 12 Sternkreiszeichen des Himmels – entspricht eine Strukturierung in der Zeit: die 12 Monate eines Jahres, die einem Umlauf der Erde um die Sonne entsprechen bzw. nach früheren Vorstellungen einem Umlauf der Sonne um die Erde wie in Abb. 1. Namensgeber für das Wort “Monat“ war der Mond, der die Erde in einem (Sonnen-) Jahr etwas mehr als zwölfmal umläuft.

Abb. 2: Uhr des Freiburger Münsters,

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Freiburger_M%C3%BCnster#/media/File:Die_Uhr_des_Freiburger_M%C3%BCnsters.jpg Autor: Gabriel Rinaldi, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Diese Aufteilung des Jahres im Großen in 12 Monate, denen im Kleinen die Aufteilung eines gesamten Tages in 2 x 12 Stunden entspricht, geht auf die alten Völker in Mesopotamien (Sumerer/Chaldäer und später Babylonier) zurück Aufgrund dieser identischen Strukturierung im Großen und im Kleinen überrascht auch die große Ähnlichkeit des Ziffernblattes einer Uhr mit der Vorstellung des Universums in der Antike und im Mittelalter nicht.

Eine weitere Identität der Strukturierung von Raum und Zeit gibt es mit der ebenso heute noch gebräuchlichen sogenannten Sieben-Planeten-Woche Diese geht auch auf die alten Mesopotamier zurück. In den semitischen Sprachen hat das Wort für “Sieben“ die gleiche Wurzel wie das Wort für “Woche“. Als Planeten werden dabei neben Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, abweichend von unserer heutigen Definition, auch Sonne und Mond bezeichnet. Diese Planeten sind in Abbildung 1 in der Reihenfolge ihrer siderischen Umlaufzeit geordnet.

Der Wochentag ergibt sich aus folgender Regel: Der Tag ist in 2 x 12 Stunden unterteilt. Jede Stunde wird nacheinander von einem Planeten regiert, umlaufend in der Reihenfolge der siderischen Umlaufzeit. Der 1. Tag beginnt mit dem Saturn. Die sieben Planeten (inklusive Sonne und Mond) wiederholen sich also an einem Tag dreimal. Danach folgen die ersten drei bis zur 24. Stunde. Der 2. Tag beginnt dann also mit dem 4., der Sonne. dasselbe wiederholt sich stündlich. Der 3. Tag beginnt dann mit dem Mond usw., also unsere bekannten Wochentage (3 x 7 + 3 = 24).

Es ergeben sich auf Latein die Wochentage:

Dies Saturni (Samstag), Solis (Sonntag), Lunae (Montag), Martis (Dienstag), Mercurii (Mittwoch), Iovis (Donnerstag), Veneris (Freitag). Im Deutschen entsprechen heute nicht mehr alle Wochentage ihren ursprünglichen Planetennamen.

Einen Zusammenhang zwischen der Zwölfer- und der Siebener-Strukturierung gibt es mit dem antiken römischen Osterzyklus, der der Ermittlung des Osterdatums, des wichtigsten Festes der Christenheit, dient. Dieser Zyklus umfasst 12 x 7 = 84 Jahre, und wiederholt sich danach fortlaufend.

Und ebenso wie es den Zwölfer-Rhythmus zeitlich sowohl im Kleinen (Stunden des Tages) als auch im Großen (Monate des Jahres) gibt, so hatten die Babylonier auch schon einen Siebener-Rhythmus sowohl im Kleinen (Tage der Woche) als auch im Großen (Zeitalter der Welt). Der für die Landwirtschaft geltende Sabbatjahreszyklus des Alten Testamentes ist ein weiteres Beispiel für die Siebener-Strukturierung. Nach diesem Zyklus sollten die Felder sechs Jahre lang bestellt werden und im jeweils siebenten Jahr brachliegen.

Strukturierung des Raumes Strukturierung der Zeit
12 Sternbilder des Tierkreises 12 Monate eines Jahres
2 x 12 Stunden eines Tages
7 Planeten 7 Weltzeitalter 7 Tage einer Woche
Jerusalem
in der Mitte der Welt
Jesus Christus
in der Mitte der Zeit

Tabelle 1: Antike und mittelalterliche Strukturierung von Raum und Zeit

Jesus Christus in der Mitte der Zeit
und in der Mitte der Welt

Was die späteren Weltzeitalter im christlichen Weltbild von den anderen Rhythmen unterscheidet, ist, dass sie sich nicht wiederholen. Die Schöpfung der Welt steht am Beginn des ersten Weltzeitalters und das Ende der diesseitigen Welt am Beginn des siebten.

Das 6. Weltzeitalter (und unsere heutige Zeitrechnung) beginnt mit dem Leben von Jesus Christus, und zwar nach frühchristlicher Vorstellung genau in der Mitte des 6. Jahrtausends seit Erschaffung der Welt, im Jahre 5500 (Später wurden auch davon abweichende Daten “ermittelt“). Eine Unterteilung der ersten 6000 Jahre in 12 x 500 Jahre legt Jesus Christus an den Anfang der letzten 500 Jahre. Dies war der nach offizieller Geschichte ursprüngliche Entwurf, von dem z.B. die im Byzantinischen Reich gültige Zeitrechnung bis zum Untergang 1453 nur um neun Jahre abwich (5509). In Russland wurde diese Zeitrechnung bis zum Jahre 1700 u.Z. verwendet.

Das 7. Weltzeitalter mit Beginn des 7. Jahrtausends seit Erschaffung der Welt (6000) sollte dann mit der Wiederkehr von Jesus Christus anfangen, verbunden mit dem Untergang der diesseitigen Welt und dem Weltgericht. Das 7. Weltzeitalter war den erlösten Menschen im Jenseits vorbehalten, in ewiger Ruhe.

Nach christlichem Verständnis lebt Jesus Christus in der Mitte der Zeit. Nach dem Lukas-Evangelium wird die Zeit eingeteilt in

  1. Die Zeit vor Jesus Christus: das Gesetz des Alten Testaments und die Propheten bis zu Johannes dem Täufer
  2. Die Zeit von Jesus Christus als die “Mitte der Zeit“ [Conzelmann 1954]
  3. Die Zeit zwischen Jesu Himmelfahrt und dem Beginn des 7. Weltzeitalters

Auch bei Jesus Christus gibt es eine Identität der Strukturierung von Raum und Zeit, denn Jerusalem, wo er nach christlicher Auffassung am Kreuze starb und wo sein Grab liegt, befindet sich nach mittelalterlicher Auffassung in der Mitte der Welt.

Abb. 3 zeigt die Erde als damalige Idealvorstellung mit Jerusalem im Mittelpunkt. Auch hier wich man bewusst von der Realität ab, da man natürlich genau wusste, dass die Küstenlinien nicht so exakt dem Ideal folgen.

Diese Stellung von Jesus Christus in der Mitte der Welt und in der Mitte der Zeit, sowie im übertragenen Sinne im Zentrum eines jeden Menschen, ist übrigens noch im heutigen Christentum aktuell. Von Papst Johannes Paul II. erschien 1999 ein Buch mit dem Titel “Jesus Christus: Die Mitte der Zeit“.

Abb. 3: Die Erde mit Jerusalem im Mittelpunkt nach mittelalterlicher, christlicher Vorstellung

Geschichte nach geometrischer Methode

Da liegt natürlich die Annahme nahe, dass es mit der Darstellung der Geschichte in Raum und Zeit ebenso sein könnte wie in der Astronomie, der Zeitrechnung und der Geographie. Der Herrschaftsanspruch der christlichen Könige des Mittelalters wurde ja auf den Schöpfer der Welt, Gott, zurückgeführt. Das (Heilige) Römische Reich galt nach christlicher Vorstellung als das letzte Weltreich vor dem Untergang der diesseitigen Welt. Da liegt es nach damaligem Verständnis nahe, dass sich die Ordnung und Schönheit der Schöpfung Gottes nicht nur im Universum und auf der Erde, sondern auch in der Geschichte der Söhne Adams widerspiegelt, und vor allem in der Abfolge der gottgewollten Herrscher des Mittelalters.

H.W. Goetz, der über den Geschichtsschreiber Otto von Freising und andere Historiographen des Hochmittelalters schreibt, stellt fest: "Zeit ist linear, wenngleich sich in ihr ein ständiges Auf und Ab vollzieht. Dem Historiographen bringt sie gewissermaßen Ordnung in das Chaos der Geschichte. In mittelalterlicher Sicht bedeutet das aber ein Auffinden der vorgegebenen (göttlichen) Ordnung.

[...] die Ordnung hingegen läßt den göttlichen Plan erkennen. [...]

... der wißbegierige Forscher aber - und das ist für Otto der tenor hystoriae - »eine wohlgeordnete Folge der vergangenen Ereignisse« vorfindet.“ [Goetz 1993]

Wichtige Faktoren bei der Strukturierung der Geschichtsschreibung waren Zahlensymbolik und Astrologie. Auf diese Art und Weise wurde z.B. ermittelt, wann die Stadt Rom gegründet wurde. Varro (116 v.u.Z. - 27 u.Z.) ging vom Untergang Trojas aus (1193 v.u.Z. nach heutiger Zeitrechnung), und berechnete die Gründung Roms vier Saecula à 110 Jahre, also 440 Jahre, später. Dies war für ihn die nach Astrologen richtige Zeitspanne zwischen Tod und Wiedergeburt. Das ist das Jahr 753 v.u.Z., das man noch heute allgemein verwendet.

Weitere Beispiele sind das Datum der Erschaffung der Welt oder das Datum der Geburt des Messias. Im christlichen, europäischen Mittelalter war das zahlensymbolische Vorbild natürlich die Bibel. Am Beispiel des “Annoliedes“, einer Geschichtsdichtung, die dem 11. Jahrhundert zugeschrieben wird (erster Druck 1639 nach der einzigen Handschrift, die seitdem verschwunden ist), kann man gut erkennen, wie biblisch geprägte Zahlensymbolik die dargestellte Geschichte strukturiert. Bei diesem Werk spielen die Zahlen 3, 4, 7 und 33 eine besondere Rolle.

Diese werden offensichtlich derzeit in der offiziellen Geschichte als Einzelfälle wahrgenommen, weil das ganze Ausmaß noch nicht bekannt ist. Aber es sind keine Einzelfälle, sondern nur typische Beispiele einer idealisierten Konstruktion der gottgewollten Geschichte nach den Gesetzen der Geometrie in einer Zeit mit andersartigen Gesellschafts-, Religions- und Herrschaftsverhältnissen als heute.

Die Geometrie diente seit der Antike in den Wissenschaften als Methode, alles in ein System mit idealen und symmetrischen Formen zu gießen, auch Dinge, die eigentlich unbekannt waren. Höhepunkt dieser rationalistischen Weltanschauung war das 17. Jahrhundert. Französische Gärten mit ihrer symmetrischen Anordnung (altgriechisch συμμετρία = “Ebenmaß“) veranschaulichen das Prinzip. In der Philosophie schrieb Baruch Spinoza seine bekannte “Ethica, ordine geometrico demonstrata“ (lateinisch = Ethik, nach geometrischer Methode dargelegt) und die Musik Johann Sebastian Bachs durchzieht der der strenge geometrische Aufbau.

Abb. 4: Schloss Versailles

In der Naturphilosophie (heute Naturwissenschaft) wurden mit der geometrischen Methode bahnbrechende Erfolge erzielt. Dabei waren Idealvorstellungen von der Welt Grundlage für erfolgreiche Modelle, die die Welt erklärten und Unbekanntes erschlossen.

Z.B. sah Galileo Galilei (1564-1642) bei den von ihm entdeckten Fallgesetzen von den je realen und je unterschiedlichen Beschaffenheiten der fallenden Gegenstände (Masse, Gestalt, Stoff usw.) und des Mediums (Luft, Wasser usw.) ab und postulierte einen vollkommen leeren Raum. Nur mit Hilfe dieses Ideals konnte er seine Gesetze formulieren und feststellen:

  • Alle Körper fallen gleich schnell.
  • Die Geschwindigkeit steigt proportional mit der Zeit.
  • Der zurückgelegte Weg steigt proportional zum Quadrat der Zeit.
  • Die Beschleunigung ist für alle Gegenstände gleich groß.

Johannes Kepler (1571-1630), der Entdecker der drei Gesetze der Planetenbewegung, schrieb in seinem Buch “Harmonices mundi libri V“ (Fünf Bücher zur Harmonik der Welt):

Ich fühle mich von einer unaussprechlichen Verzückung ergriffen ob des göttlichen Schauspiels der himmlischen Harmonie. Denn wir sehen hier, wie Gott gleich einem menschlichen Baumeister, der Ordnung und Regel gemäß, an die Grundlegung der Welt herangetreten ist.“

Daher ist es naheliegend, auch bei den Geschichtsschreibern und Historikern

  1. die Arbeitsweise und
  2. die Arbeitsergebnisse

daraufhin zu untersuchen, ob sich dieses Weltbild darin wiederfindet.

Die Arbeitsweise der Historiker in dieser Zeit hat vor kurzem B. Steiner analysiert. Er stellt fest (obwohl er das ganze Ausmaß, wie es aus den in diesem Buch beschriebenen Ergebnissen folgt, natürlich noch nicht kannte):

"Doch wird durch eine spezifische Lektüre der Texte von Newton, Leibniz, Locke und anderer deutlich, wie viele Ähnlichkeiten zwischen der physikalischen Sicht der Welt und der der Historiker besteht." [...]

und

"Geschichte funktioniert nach Gesetzen der Geometrie.". [..]

[Steiner 2008, S.6]

“Wie die der europäischen Expansion unterworfene Welt in Koordinatengitter unterteilt wurde, um das noch zu wissende Nicht-Wissen zu markieren, so wurde auch die Vergangenheit als geometrischer Plan aufgerissen.“ [Steiner 2008, S.315]

Die Analyse der Arbeitsergebnisse der Geschichtsschreiber und Historiker bis in die frühe Neuzeit hinein ist Gegenstand dieses Buches. Die heutige offizielle Geschichte stützt sich in ihrer Chronologie und in ihrem Gerüst der angenommenen Ereignisse der Vergangenheit auf diese Ergebnisse. Bislang sind diese – abweichend von anderen Wissenschaften – noch nicht grundlegend revidiert worden. Die “Kopernikanische Wende“ in der Geschichtswissenschaft steht also noch aus.

Ob sich der Leser auf die Seite der Verteidiger des alten Weltbildes stellt, oder sich mit Kopernikus eine neue Welt erschließt, hängt weniger vom vorhandenen Wissensstand ab (z.B. über Geschichte), sondern vielmehr von der grundsätzlichen Einstellung der Welt und vor allem der Wissenschaft gegenüber. Warum das so ist, wurde am Anfang dieses einleitenden Kapitels erläutert.

Jemand, der an das alte Wissen glauben will, das ihm irgendwann einmal eingetrichtert wurde, wie seinerzeit diejenigen, die an die Erde im Mittelpunkt des Universums glaubten, kann niemand vom Gegenteil überzeugen. Argumente können Dogmatiker nicht überzeugen.

Aber jemand, der offen ist für neue Erkenntnisse, wird von der Lektüre dieses Buches profitieren und zum Erfolg der Kopernikanischen Wende in der Geschichtswissenschaft beitragen.

Warum war der Name "Karl" im
Hochmittelalter so unbeliebt?

Karl? Fehlanzeige!

Im "Lexikon der Vornamen" von G. Drosdowski lesen wir:

"Der Name Karl wurde, nachdem Karl der Große dem Namen hohes Ansehen verliehen hatte, auch von anderen Herrschergeschlechtern übernommen und drang in andere europäische Sprachen ein." [Drosdowski 1974, S. 127]

Dies ist die allgemein verbreitete Meinung, die sich auch in anderen Werken wiederfindet. Aber nichts könnte falscher sein als diese Behauptung.

Karl der Große lebte nach offizieller Geschichte von ca. 747-814. In Wirklichkeit dauerte es über 400 Jahre, bis ein anderes Herrschergeschlecht den Namen Karl übernahm, bis zu Karl I. von Anjou (1226-1285, König von Sizilien) aus der französischen Kapetinger-Dynastie. Er wird als letztgeborener Sohn des französischen Königs Ludwig VIII. (1187-1226) angesehen, wobei die genauen Umstände der Geburt umstritten sind.

Abb. 5: Statue von Karl I. von Anjou am Königspalast in Neapel. Er ist der erste französischstämmige König mit Namen Karl nach Karl dem Großen und den Karolingern, Autor: Raffaele Esposito, Lizenz: CC BY-SA 2.5

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_I._%28Neapel%29#/media/File:Palazzo_Reale_di_Napoli_-_Carlo_I_d%27Angi%C3%B2.jpg

Ein ca. 20 Jahre zuvor geborener, unehelicher Sohn des französischen Königs Philipp II. wird in den Quellen Peter Karlotus (ca. 1205/09-1249) genannt. Karlotus ist die Diminutivform von Karl, französisch Charlot, deutsch Karlchen. In Deutschland dauerte es noch ein Jahrhundert länger, bis der Name Karl wieder auftaucht.

Selbst beim ansonsten sehr kritischen und genau beobachtenden U. Topper liest man, Karl sei ein im Mittelalter gebräuchlicher Name gewesen.

"Dagegen lauten deutsche Vornamen in der Zeit vor 1350 immer: Karl, Otto, Heinrich, Friedrich, Ulrich, Hermann, Bernhard usw." [Topper 2003, S. 38]

Jedoch ist bereits A. Bach das seltsame Fehlen des Namens Karl nach dem Frühmittelalter aufgefallen. Unter den 1000 Studenten der Universität Köln im 14. und 15. Jahrhundert findet er z.B. keinen einzigen Karl [Bach 1943, S. 351]. Bis zum Beginn des 17. Jahrhundert scheint der Name Karl nur vereinzelt ergeben worden zu sein. Eine wachsende Beliebtheit des Namens Karl kann Bach erst nach 1610 feststellen, nach der Heiligsprechung eines anderen Karls, des Kardinals und Erzbischofs von Mailand Karl Borromäus.

Abb. 6: Karl der Große (links) zusammen mit Kaiser Karl V. im Erstdruck der Biographie von Karl dem Großen (“Vita Caroli Magni“) von Einhard 1521

Namenswahl im Mittelalter

Die Art der Vergabe der Rufnamen in Mittel- und Westeuropa im Mittelalter lässt sich in drei Phasen einteilen, in denen jeweils andere Motive für die Namenswahl im Vordergrund standen.

  1. Zu Beginn des Frühmittelalters scheint die Individualität bei der Namensgebung im Mittelpunkt zu stehen. Es ist eine derartige Fülle von Namen überliefert, wie aus keiner anderen Epoche. Nachbenennung ist weitgehend die Ausnahme. Allenfalls wird eine Silbe des Namens an die Nachkommen weitergegeben und mit einer neuen kombiniert, oder es findet vereinzelt eine Nachbenennung nach den Großeltern statt. Bei L. Holzfurtner entsteht „der Eindruck einer völlig regellosen Willkür“ [Holzfurtner 1982 S. 3]. Im Laufe der Zeit nimmt die Nachbenennung regional unterschiedlich zu, in Skandinavien eher als in England.

    Seibicke stellt fest, dass es eine „ausgeprägte ständische Schichtung in der Namengebung“ nie im Deutschen gegeben hat [Seibicke 2008, S. 149]. Er bezieht dabei die frühdeutsche Zeit ausdrücklich mit ein. Alle während einer bestimmten Zeit verwendeten Rufnamen scheinen mit nur geringen Abweichungen in allen Bevölkerungsschichten in Gebrauch gewesen zu sein.

    Hierzu im Kontrast stehen die überlieferten Namen der fränkischen Merowinger- und Karolinger-Dynastie. Der Namensvorrat bei diesen ist eng begrenzt, so dass es sehr häufige Namenswiederholungen gibt. Und was das Entscheidende ist: Die typischen karolingischen Königsnamen Karl und Pippin findet man außerhalb der Karolinger-Dynastie nicht an! [vgl. z.B. Geuenich 1976]

  2. Ab dem 10.-11. Jahrhundert beginnt die vermehrte Benennung nach den Namen der herrschenden Fürsten. Dabei sind deutliche Unterschiede zwischen Deutschland, Frankreich und England erkennbar, die mit den jeweiligen Namen der Könige korrelieren. Herrscherdynastien weichen in der Vergabe der Namen des Nachwuchses von den sonst bevorzugten Leitnamen der jeweiligen Dynastie ab, wenn es herausragende Vorbilder als Kaiser und Könige gibt. Dann werden auch deren Namen vergeben.

    Eine überzeugende Erklärung dafür, warum nicht schon zuvor bei Adligen und einfachem Volk die Namen der aktuellen oder verstorbenen Fürsten vergeben wurden, gibt es nicht. Hier besteht ein entscheidender Unterschied zum Byzantinischen Reich, wo es diese Trennung nicht gab.

  3. Ab dem 13. Jahrhundert beginnt die vermehrte Vergabe von (christlichen) Heiligennamen, aber gleichzeitig findet man auch wie zuvor die Namen der Könige und Fürsten wieder. Dieser Prozess ist verbunden mit einem starken Namensschwund, so dass die Anzahl der verschiedenen vergebenen Namen rapide sinkt. Der Höhepunkt des Namensschwundes ist dann im 16. Jahrhundert erreicht.

Bemerkenswert bei den germanisch-deutschen Rufnamen ist, dass die Christianisierung überhaupt keinen Einfluss auf die Namensgebung hatte. Erst ab dem 13. Jahrhundert, also gemäß offizieller Geschichte ca. acht Jahrhunderte danach, beginnen Namen von Heiligen und Personen aus der Bibel bei der Namenswahl eine nennenswerte Rolle zu spielen. Zuvor findet man insbesondere Namen aus dem Alten Testament lediglich in Überlieferungen über Geistliche [Seibicke 2008, S. 132]. Es ist allerdings für das 13. Jahrhundert kein Ereignis überliefert, dass diese Zunahme christlicher Vornamen gerade in dieser Zeit erklären könnte.