Aus dem Italienischen
von August Wilhelm Rehberg
Herausgegeben und erläutert
von Max Oberbreyer
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Textvorlage dieser Ausgabe ist Macchiavelli’s Buch vom Fürsten, erschienen um 1879 im Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig. Die Übersetzung A. W. Rehbergs sowie die Erläuterungen Max Oberbreyers wurden für die vorliegende Ausgabe von Kai Kilian überarbeitet.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2010 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
ISBN 978-3-7306-9067-3
V002
www.anacondaverlag.de
Zueignung an den Großmächtigen Lorenzo, Sohn des Piero, von Medici
1. Verschiedene Arten der Herrschaft und Wege, zu ihr zu gelangen
2. Von den erblichen Fürstentümern
3. Von vermischten Herrschaften
4. Warum das Reich des Darius nach dem Tod Alexanders nicht gegen seine Nachfolger aufstand
5. Wie Städte oder Fürstentümer zu behandeln sind, die vor der Eroberung ihre eigene Verfassung hatten
6. Von neuen Herrschaften, die durch eigene Waffen und Tapferkeit errungen werden
7. Von neuen Fürstentümern, die durch fremde Unterstützung und durch Glücksfälle erworben werden
8. Von denjenigen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen
9. Vom Volk übertragene Herrschaft
10. Wie die Kräfte der Fürstentümer zu schätzen sind
11. Von geistlichen Fürstentümern
12. Von den verschiedenen Arten der Truppen
13. Von Hilfstruppen
14. Was der Fürst im Kriegswesen zu beachten hat
15. Wodurch die Fürsten Lob und Tadel erwerben
16. Von Freigebigkeit und Geiz
17. Von Grausamkeit und Milde
18. Inwiefern ein Fürst sein Wort halten muss
19. Verachtung und Hass sind zu vermeiden
20. Ob Festungen und andere Sicherheitsvorkehrungen der Fürsten nützlich oder schädlich sind
21. Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um großen Ruhm zu erwerben
22. Von den Ministern
23. Schmeichler sind zu meiden
24. Wie die Fürsten Italiens ihre Herrschaften verloren haben
25. Welchen Einfluss das Glück auf die Angelegenheiten der Menschen hat
26. Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien
Erläuterungen
ANMERKUNGEN
Diejenigen, welche die Gunst eines Fürsten zu erwerben trachten, pflegen sich ihm mit dem zu nähern, was ihnen unter all dem, das sie besitzen, das Liebste ist oder mit dem, was ihm am meisten zu gefallen scheint: Daher werden ihm so oft Pferde, Waffen, Teppiche, Edelsteine und anderer Zierrat überreicht, die seiner Größe würdig scheinen. Indem ich mich Euch, großmächtiger Herr, mit einem Beweis meiner untertänigen Ergebenheit zu nahen wünsche, finde ich nichts in meinem Vorrat, was mir werter wäre oder das ich höher schätzte als die Kenntnis der Handlungen großer Männer, die ich mir durch lange Erfahrung der neueren Zeit und unablässiges Lesen der alten erwarb. Diese habe ich mit großem Fleiß lange durchdacht und geprüft und jetzt in ein kleines Buch zusammengefasst, welches ich Euch überreiche, großmächtiger Herr. Und obgleich ich einsehe, dass es nicht wert sei, vor Euch gebracht zu werden, so hoffe ich doch von Eurer freundlichen Gemütsart, es werde gut aufgenommen werden in Anbetracht dessen, dass ich kein größeres Geschenk zu geben vermag als dieses, welches in die Lage versetzt, in so kurzer Zeit alles einzusehen, was ich in vielen Jahren, mit so vielen Gefahren und Mühseligkeiten erlernt und begriffen habe. Dieses Werk ist von mir weder ausgeschmückt noch mit vielem Wortgepränge oder anderer Schminke und äußerer Zierde aufgeputzt worden, wie viele andere ihre Werke zu schreiben und zu schmücken pflegen: Denn ich wollte, dass die Sache selbst sich ehre und die Wahrheit des Inhalts und der Ernst der Ausführung allein das Buch empfehle. Es werde mir aber nicht als eine Anmaßung ausgelegt, dass ich, ein Mann von geringem Stand, es wage, über die Handlungen der Großen zu urteilen und mich erdreiste sie zurechtzuweisen. Denn so wie diejenigen, welche Landschaften aufnehmen, in die Ebene herabsteigen, um die Gestalt der Berge und Höhen zu betrachten, und auf die Berge steigen, um die Täler zu beobachten, so erkennen zwar die Großen am besten die Natur des Volkes; um aber die Fürsten zu kennen, muss man aus dem Volke sein. Nehmt daher, großmächtiger Herr, dieses kleine Geschenk in der Gesinnung, mit welcher ich es überreiche. Ihr werdet darin einen brennenden Wunsch sehen, dass Ihr zu der Größe gelangt, zu welcher Euch die Glücksumstände und andere Eigenschaften bestimmt haben. Wenn Eure Hoheit aber von Eurem erhabenen Standpunkt auf die niederen Orte herabsieht, in denen ich mich befinde, so werdet Ihr erkennen, mit welchem Unrecht ich ein anhaltend widriges Schicksal ertragen muss.
Alle Staaten und Gewalten, welche Herrschaft über die Menschen gehabt haben und noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer. Diese sind entweder ererbt, indem sie von dem Geschlecht des Herrschers schon lange regiert worden sind; oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Francesco Sforza zu Mailand; oder sie sind nur als Teile dem erblichen Staat dessen, der das Land erwirbt, hinzugefügt, wie zum Beispiel das Königreich Neapel dem König von Spanien gehört. Solche neu erworbenen Staaten sind entweder schon früher an die Herrschaft gewöhnt gewesen oder die Freiheit ist in ihnen hergebracht. Sie werden erworben durch fremde Gewalt oder durch eigene Kräfte, durch Glück oder durch Tapferkeit.
Von Republiken will ich nicht reden, weil ich dies bereits in einem anderen Werk ausführlich getan habe. Ich wende mich zur Alleinherrschaft und werde nach der oben angegebenen Ordnung erörtern, wie solche erworben und behauptet werden kann. Ich sage also, dass in den erblichen Fürstentümern, die an die Dynastie ihrer Herren gewöhnt sind, viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu erhalten und zu behaupten, als bei neuen: Denn es kommt nur darauf an, die Verhältnisse, so wie sie unter den Vorfahren waren, nicht zu verändern und bei allen Vorfällen in die Gelegenheit zu sehen. Ein solcher Fürst wird sich also stets auf dem Thron erhalten, es sei denn, dass ganz ungewöhnliche und außerordentliche äußere Gewalt ihn desselben beraube; und wird er der Herrschaft beraubt, so vermag er sie wiederzuerlangen, sobald dem, der sie ergriffen hat, etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien ein Beispiel an dem Herzog von Ferrara, der den Venezianern im Jahre 1484 und darauf Papst Julius II. durch nichts anderes Widerstand geleistet hat als durch seine in langer Zeit fest begründete Herrschaft. Denn der angestammte Herrscher hat weniger Veranlassung und ist seltener in der Notwendigkeit, Härte zu zeigen. Er ist daher weitaus beliebter und es ist natürlich, dass die Seinigen ihm wohlwollen, wenn er sich nicht durch außerordentliche Last verhasst macht. In der Länge der Zeit einer fortgesetzten Herrschaft werden die Veranlassung der Neuerungen und die Erinnerung daran vergessen, wohingegen eine Neuerung immer durch sich selbst die Veranlassung zu anderen nachfolgenden zurücklässt.
Aber die neuen Herrschaften sind ganz anderen Schwierigkeiten unterworfen. Und zwar erstens, wenn nicht das ganze Reich neu ist, sondern nur ein Teil davon und es also ein vermischtes Reich genannt werden könnte, so entstehen gewaltsame Veränderungen aus einer natürlicher Schwierigkeit, welche allen neuen Herrschaften gemein ist und daher rührt, dass die Menschen gern ihren Herrn verändern in der Hoffnung, dass es ihre Lage verbessern könne, und hierauf die Waffen ergreifen: Darin aber irren sie, denn sie erfahren bald, dass es schlimmer wird. Und das liegt wieder in der Natur der Dinge: Weil der neue Herr seine Untertanen mit Soldaten und auf manche andere Art niederzuhalten genötigt ist, bloß weil die Herrschaft neu ist. Du wirst also all diejenigen zu Feinden haben, die du durch die Eroberung selbst geschädigt hast, ohne diejenigen, durch deren Hilfe du Herr geworden bist, zu Freunden zu behalten, weil du sie nicht nach ihren Wünschen befriedigen kannst und auch keine kräftigen Heilmittel anwenden darfst wegen der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch der Mächtigste bedarf der Begünstigung von Einheimischen, um in das Land einzudringen. Aus dieser Ursache hat Ludwig XII. von Frankreich Mailand so geschwind erobert – und so geschwind wieder verloren. Das erste Mal war die eigene Kraft des vertriebenen Herzogs Ludovico Sforza hinreichend, weil das Volk, das jenen eingeführt hatte und sich in seiner Hoffnung getäuscht fand, den Widerwillen gegen die neue Herrschaft nicht ertragen mochte. Es ist wahr, dass auf solche Weise zum zweiten Mal eroberte Länder nicht wieder so leicht verloren gehen, weil der Herr von der Rebellion Veranlassung nimmt, sich durch strenge Maßregeln zu sichern, Verbrecher zu strafen, Verdacht aufzuklären und an den schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. Wenn es, um Mailand den Franzosen wieder zu entreißen, das erste Mal hinreichend war, dass Herzog Ludovico an der Mailänder Grenze Rumor anfing, so musste sich beim zweiten Mal die ganze Welt dagegen vereinigen, um die französischen Heere zu vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind oben angegeben. Dennoch verlor Frankreich das mailändische Gebiet zum zweiten Mal. Die allgemeinen Veranlassungen der ersten Begebenheit sind erzählt; es bleibt also noch übrig, die Ursachen der zweiten zu betrachten und die Mittel anzugeben, wie man sich in solcher Lage besser behaupten kann, als der König von Frankreich es getan hat. Ich sage also, dass solche Provinzen, welche erobert und mit den alten Staaten des Eroberers verbunden werden, entweder zu demselben Land gehören und dieselbe Sprache reden oder dies nicht tun. In dem ersten Fall ist es sehr leicht, sie festzuhalten, vorzüglich wenn sie nicht an Unabhängigkeit gewöhnt gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten; denn weil die Einwohner ihre alten Gewohnheiten und Verhältnisse beibehalten, auch übrigens gleiche Sitten mit ihren neuen Mituntertanen haben, so leben sie ruhig; wie man es in der Bretagne, der Gascogne und der Normandie gesehen hat, welche schon lange mit Frankreich verbunden sind. Wenngleich zwischen diesen Provinzen und dem übrigen Frankreich in der Sprache geringer Unterschied ist, so stimmen doch die Sitten überein und daher vertragen sie sich leicht miteinander. Wer solche Provinzen erobert hat und sie behalten will, muss auf zwei Dinge Rücksicht nehmen. Erstens: Die Familie der vorigen Regenten muss ausgelöscht werden. Zweitens: Die alten Gesetze und Verfassungen darf er nicht verändern. So werden alte und neue Staaten baldmöglichst zu einem Ganzen zusammenschmelzen. Aber wenn Provinzen eines Landes erobert werden, das an Sprache, Sitten und Verfassung verschieden ist, so entstehen Schwierigkeiten und es gehört viel Glück und große Bemühung dazu, sie zu behalten. Eines der kräftigsten Mittel ist, dass der Eroberer selbst sich dorthin begebe, um daselbst seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So haben es die Türken mit dem griechischen Reich gemacht, welches sie trotz aller übrigen angewandten Bemühungen nicht hätten behaupten können, wenn sie nicht die Residenz in Konstantinopel genommen hätten. Denn wenn der Regent sich selbst dort befindet, so sieht er alle Unordnungen in ihrer Entstehung und kann geschwind abhelfen. Ist er jedoch nicht an Ort und Stelle, so vernimmt er sie erst, wenn sie schon sehr angewachsen sind und keine Abhilfe mehr möglich ist. Außerdem wird das Land nicht von den Beamten des Regenten ausgeplündert: Es beruhigt die Einwohner, dass sie zu ihm selbst ihre Zuflucht nehmen können. Ist er gut, so wird er geliebt; ist er es nicht, so wird er doch gefürchtet. Fremde, die den Staat angreifen möchten, haben mehr Rücksicht zu nehmen. Solange der Regent dort wohnt, ist es schwer, ihn dessen zu berauben.
Das zweite vorzügliche Mittel ist, Kolonien an ein oder zwei Orten zu errichten, die Schlüsselstellen des Landes sind. Dies ist notwendig; wer es unterlässt, muss dorthin wenigstens eine hinreichende Kriegsmacht entsenden. Die Kolonien kosten den Fürsten nicht viel. Er besetzt sie ohne großen Aufwand und fügt nur denjenigen einen Schaden zu, die von Haus und Hof vertrieben werden, um neuen Bewohnern Platz zu machen. Dies ist immer nur der kleinere Teil. Diese Geschädigten leben zerstreut und sind arm: Sie können selbst wenig Schaden anrichten; und alle Übrigen werden leicht beruhigt oder sie fürchten sich, dass es ihnen so ergehen könnte wie jenen, wenn sie sich rühren. Wohl zu merken ist, dass die Menschen entweder zur Ruhe geschmeichelt oder vernichtet werden müssen. Denn wegen geringer Bedrängnisse rächen sie sich; wegen großer vermögen sie das nicht. Jede Verletzung muss also so zugefügt werden, dass keine Rache zu befürchten ist. Wird statt der Kolonien Besatzung gehalten, so kostet das so viel, dass die gesamten Einkünfte des neuen Staats dafür aufzuwenden sind. Die Eroberung schlägt also zum Schaden aus und verletzt weit mehr, weil sie den ganzen neuen Staat trifft. Jeder fühlt die Last der Einquartierung und jeder wird Feind; diese Feinde aber bleiben, wenn sie geschlagen sind, in ihren eigenen Wohnungen. Nach allen Seiten also ist diese Besatzung schädlich: Die Kolonien hingegen sind nützlich. Ferner muss der Herr einer solchen für sich bestehenden und abgesonderten Provinz sich zum Oberhaupt und Beschützer der schwächeren Nachbarn machen und die mächtigen unter ihnen zu schwächen suchen: Vor allen Dingen aber muss er verhindern, dass ein anderer Fremder, der so mächtig ist wie er selbst, hereindringt. Solche werden immer von Unzufriedenen, aus Ehrgeiz oder aus Furcht hereingelassen. Man hat einst gesehen, dass die Römer durch die Ätolier nach Griechenland gelassen wurden. Ebenso wurden sie in alle Länder, in die sie eingedrungen sind, durch die Einwohner hereingerufen. Es geht damit folgendermaßen zu: Sobald ein Fremder in einem Land Fuß fasst, so hängen sich alle Mindermächtigen in demselben an ihn aus Neid gegen denjenigen, der im Land selbst der Mächtigste war. Gegen jene Mindermächtigen ist also nur wenig zu tun. Sie sind leicht gewonnen und machen gemeinschaftliche Sache mit dem neu Eingedrungenen. Dieser hat nur dafür zu sorgen, dass jene nicht mächtiger werden; und er kann leicht diejenigen, welche das Haupt emporheben, niederdrücken und also selbst die Oberhand behalten. Wer diese Verhältnisse nicht gut zu regieren weiß, verliert seine Eroberung und hat unendliche Mühe und Verdruss, solange er sie behält. Die Römer führten ihre Sache in den eroberten Provinzen sehr gut, sandten Kolonien hin, unterstützten die Schwachen, ohne sie zu stark werden zu lassen, demütigten die Mächtigen und ließen mächtige Fremde zu keinem Ansehen aufkommen. Griechenland dient hinlänglich zum Beispiel. Sie hielten die Achäer und Ätolier aufrecht, sie erniedrigten die Könige von Mazedonien, vertrieben den Antiochus. Achäer und Ätolier konnten trotz all ihrer Verdienste um sie doch nicht die Erlaubnis erwirken, irgendeinen Staat mit sich zu verbinden; durch alle Schmeicheleien des Philipp ließen sie sich nicht dazu verleiten, seine Freunde zu sein, ohne ihn niederzuhalten; Antiochus konnte mit all seiner Macht nicht erreichen, dass sie ihm zugestanden hätten, in Griechenland festen Fuß zu fassen. Die Römer taten in diesen Fällen, was alle vorsichtigen Regenten tun müssen, welche nicht allein auf die gegenwärtigen, sondern auch auf die künftigen Unruhen achten und diesen begegnen. Was man von ferne kommen sieht, dem ist leicht abzuhelfen; wenn man aber wartet, bis das Übel da ist, so kommt die Arznei zu spät und es geht, wie die Ärzte von der Lungensucht sagen: dass sie am Anfang zwar leicht zu heilen, aber schwer zu erkennen sei; wenn sie aber am Anfang verkannt werde, sei sie in der Folge zwar leicht zu erkennen, jedoch schwer zu heilen. Ebenso geht es dem Staat. Auch in ihm sind die Übel, die man von fern erkennt, (das vermag aber nur der, welcher Verstand hat) leicht und geschwind geheilt; hat man sie aber so weit anwachsen lassen, dass jeder sie erkennt, so ist kein Mittel mehr dagegen zu finden. Die Römer also sahen die Verlegenheiten, ehe sie entstanden, von ferne und ließen sie nicht näher kommen, um einen Krieg für den Augenblick zu vermeiden. Denn sie wussten, dass man einem Krieg auf solche Weise nicht entgeht, sondern ihn nur zum Vorteil des Gegners aufschiebt. Sie beschlossen also mit Philipp und Antiochus in Griechenland Krieg zu führen, um ihn nicht in Italien selbst bestehen zu müssen. Sie konnten ihn zu der Zeit wohl vermeiden; aber es gefiel ihnen nicht, was die Weisen unserer Zeit im Munde führen: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Sie verließen sich vielmehr auf ihre Tapferkeit und Klugheit. Denn die Zeit treibt alles vor sich her, Gutes wie Schlimmes; Schlimmes fühlt sie aber auch ebenso leicht herbei wie Gutes.
Jetzt wende ich mich Frankreich zu und will untersuchen, ob es eine ähnliche Politik verfolgt hat, und zwar rede ich von Ludwig XII. und nicht von Karl VIII., weil jener sich länger in Italien gehalten hat und der Gang seiner Unternehmungen daher klarer vor Augen liegt. Wir werden also sehen, wie er das Gegenteil von allem getan hat, was geschehen muss, um in einem fremden Land Provinzen zu behaupten. Ludwig XII. wurde nach Italien gebracht durch den Ehrgeiz der Venezianer, welche dadurch die Hälfte von Mailand zu erwerben hofften. Ich will diese seine Unternehmung nicht tadeln; denn da er nun einmal in Italien Fuß fassen wollte und wegen des Betragens seines Vorfahren, Karl VIII., keine Freunde in diesem Land hatte, so musste er wohl die Verbindungen knüpfen, die sich anboten: Und die Sache wäre auch gelungen, wenn er keinen anderweitigen Fehler gemacht hätte. Sobald der König die Lombardei erobert hatte, war der Ruf, den Karl verloren hatte, sofort wiedergewonnen; Genua fiel und die Florentiner traten auf seine Seite. Alles kam ihm entgegen, der Marchese von Mantua, der Herzog von Ferrara, Bentivoglio (welcher Bologna innehatte), die Dame von Forli, die Herren von Faenza, von Pesaro, von Rimini, von Camerino, von Piombino, die Republiken Lucca, Pisa, Siena – alle bewarben sie sich um seine Freundschaft. Und nun konnten die Venezianer schon einsehen, wie unüberlegt sie gehandelt hatten, als sie, um selbst zwei Städte zu erlangen, ihn zum Herrn über zwei Drittel von ganz Italien gemacht hatten. Jeder kann sehen, wie leicht es dem König gewesen wäre, sein Ansehen in Italien zu behaupten, wenn er die erwähnten Grundsätze befolgt und dem großen Haufen seiner Freunde durch seinen Schutz Sicherheit gewährt hätte. Die große Zahl derselben musste ihm wohl anhängen, denn sie waren insgesamt schwach und voller Furcht, teils vor dem Heiligen Stuhl, teils vor den Venezianern; mit ihrer Hilfe jedoch hätte er wieder alles, was noch groß und mächtig im Land war, im Zaum halten können. Kaum aber war er Herr von Mailand, so tat er das Gegenteil, indem er Papst Alexander VI. zur Herrschaft in der Provinz Romagna verhalf. Er bemerkte nicht, dass er durch diese Entschließung sich selbst Freunde und Anhänger nahm und den Papst erhob, da er diesem zu seinem so kräftigen geistlichen Ansehen noch so große weltliche Macht gab. Dieser erste Fehler zog andere nach sich, sodass er am Ende selbst nach Italien kommen musste, um der Macht Alexanders Grenzen zu setzen und um zu verhindern, dass dieser die Herrschaft über die Toskana an sich brachte. Nicht genug, dass er den Papst auf seine eigenen Unkosten groß gemacht hatte; aus Begierde, das Königreich Neapel zu erlangen, teilte er es mit dem König von Spanien. Das Schicksal von Italien lag bis dahin ausschließlich in seinen Händen. Hiermit aber gab er sich selbst einen Genossen, an den alle, die mit ihm unzufrieden waren, sich wenden konnten. Statt in jenem Reich einen König zu lassen, der von ihm abhängig gewesen wäre, zog er einen hinein, der ihn selbst daraus vertreiben konnte. Sie ist in der Tat eine natürliche und gewöhnliche Sache, die Begierde zu Eroberungen: Und die Menschen, die so etwas unternehmen, werden immer gelobt und nicht getadelt, wenn sie es ausführen; wenn sie das aber nicht vermögen und doch unternehmen, koste es, was es wolle: Darin liegt der Fehler und deswegen werden sie getadelt. Konnte Frankreich Neapel mit eigenen Kräften angreifen, so mochte es dies tun; konnte es dies aber nicht, so hätte es das Land doch nicht teilen dürfen. Und wenn die Teilung der Lombardei mit den Venezianern zu billigen war, weil man dieser Maßregel den Eingang in Italien verdankte, so verdient jene zweite Teilung Tadel, weil sie nicht notwendig war. Ludwig beging also fünf Fehler. Er vernichtete die Mindermächtigen, er vermehrte die Macht eines Mächtigen, er rief einen sehr mächtigen Fremden herein, er selbst schlug seinen Wohnsitz nicht im Land auf und führte keine Kolonien ein. Zu seinen eigenen Lebzeiten hätten diese fünf Fehler ihm trotzdem nicht geschadet, wenn nicht der sechste hinzugekommen wäre, die Venezianer herunterzubringen. Hätte er den päpstlichen Stuhl nicht so mächtig gemacht und die Spanier nicht hereingerufen, so wäre es vernünftig und notwendig gewesen, die Venezianer zu erniedrigen. Aber nachdem in jenes Erstere eingewilligt worden war, durfte das Letztere nicht geschehen; denn solange die Venezianer mächtig waren, hätten sie immer die andern davon abgehalten, die Lombardei zu überfallen. Sie hätten darin nie unter anderer Bedingung eingewilligt, als dass das Land ihnen selbst überliefert würde; die andern hätten es aber nie den Franzosen nehmen mögen, um es den Venezianern zu geben, und beide zugleich zu bekriegen hätte man nicht gewagt. Wendet man ein, König Ludwig habe dem Papst Alexander die Romagna und Neapel den Spaniern zugestanden, um einen Krieg zu vermeiden, so antwortete ich: Man darf aus den Gründen, die oben bereits angegeben wurden, niemals ein übles Verhältnis einreißen lassen, um einen Krieg zu vermeiden; denn er wird gar nicht vermieden, sondern nur zu deinem Nachteil aufgeschoben. Sollte man mir aber etwa das Wort entgegensetzen, das der König dem Papst gegeben hatte, dass er ihm nämlich die Unternehmung auf die Romagna verstatten wolle zum Lohn für die Einwilligung in Ludwigs Ehescheidung und für den erbetenen Kardinalshut des Erzbischofs von Rouen, so berufe ich mich auf das, was ich hiernächst über Treu und Glauben der Fürsten sagen werde und über die Art, wie sie Wort halten müssen. König Ludwig hat also die Lombardei verloren, weil er nichts von all dem beachtet hat, wodurch andere ihre Länder erobert und behalten haben. Und so ist es gar nicht verwunderlich, sondern vielmehr sehr begreiflich und natürlich. Ich sprach darüber zu Nantes mit dem Kardinal d’Amboise, Erzbischof von Rouen, als der Herzog von Valentinois (wie Cesare Borgia, Sohn von Papst Alexander VI., gewöhnlich genannt zu werden pflegte) sich zum Herrn über die Romagna machte. Der Kardinal warf mir vor, die Italiener verständen sich nicht auf den Krieg. Ich erwiderte ihm aber, die Franzosen verständen sich nicht auf die Politik: Sonst würden sie den Heiligen Stuhl nicht so mächtig werden lassen. Die Erfahrung hat es bewiesen. Frankreich hat den Papst und die Spanier in Italien groß gemacht und hat es selbst darüber verloren. Hieraus ist eine allgemeine Regel abzuleiten, die niemals oder doch nur selten trügt: Derjenige, der einen anderen groß macht, geht selbst zugrunde. Denn es kann von ihm nur durch zwei Dinge bewerkstelligt werden: durch kluge Bemühung oder durch Gewalt, und beides ist dem, der mächtig geworden ist, verdächtig.