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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2021

© 2021 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D-80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Tobias Goldfarb

Cover- und Innenillustrationen: Verena Körting

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition, unter Verwendung einer Illustration von Verena Körting

ISBN eBook 978-3-8458-4530-2

ISBN Printausgabe 978-3-8458-4266-0

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Cover

Titel

Impressum

  1. Dezember

  2. Dezember

  3. Dezember

  4. Dezember

  5. Dezember

  6. Dezember

  7. Dezember

  8. Dezember

  9. Dezember

10. Dezember

11. Dezember

12. Dezember

13. Dezember

14. Dezember

15. Dezember

16. Dezember

17. Dezember

18. Dezember

19. Dezember

20. Dezember

21. Dezember

22. Dezember

23. Dezember

24. Dezember

Der Autor

Die Illustratorin

Der Geist aller Geister, der gelehrte Professor Phantomio, seufzte und pustete etwas Staub von dem dicken Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag. Wer war als Nächstes dran? Da stand es ja: Bob. Einfaches Nachtgespenst. Gerade einmal zweihundert Jahre alt. Na schön, vielleicht gab es ja eine Überraschung.

»Der Nächste bitte!«, rief der Professor mit donnernder Stimme.

Die schwere Tür des Turmzimmers öffnete sich einen kleinen Spalt.

»Bin ich das?«, wisperte ein leises Stimmchen.

»Wie heißt du denn?«, dröhnte der Geist aller Geister.

»Bob«, flüsterte es durch die Ritze zurück.

»Ja, dann bist du dran.«

»Ach, wie schön.«

Die Tür öffnete sich, bis der Professor laut »Halt!« schrie.

»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Du kommst gefälligst durch das Schlüsselloch rein, wie es sich für ein Nachtgespenst gehört, auch wenn es erst läppische zweihundert Jahre alt ist wie du.«

»’tschuldigung«, säuselte das junge Gespenst, schloss die Tür und flog wie ein leichter Windhauch durchs Schlüsselloch.

»Schon besser«, brummte der Geist aller Geister.

Er musterte die kleine Gestalt, die da vor seinem schweren Schreibtisch schwebte. Schön durchsichtig, das musste man sagen, luftig, nicht zu rauchig, ein leichter Stich ins Blaue, alles in allem eine schöne Gespenster-Erscheinung. Leider nur überhaupt nicht gruselig. Eher umgab dieses junge Nachtgespenst etwas besonders Liebes, Gütiges und Freundliches. Was sollte er mit diesem Geisterkind bloß anfangen? Ach, die Gespenster waren nicht mehr das, was sie früher einmal waren.

»Du bist also ein Nachtgespenst …«, begann er.

Das freundliche Wesen nickte eifrig. »Ja!«

»Und seit zweihundert Jahren spukst du durch die Welt?«

»Ja!«

»Und jagst den Menschen Furcht und Schrecken ein? Vor allem den Kindern, wie es sich für Junggespenster gehört?«

»Nein!«

»Was, nein? Du meinst wohl Ja und hast bloß Nein gesagt.«

»Ich habe Nein gesagt, weil ich Nein gemeint habe.«

Der Geist aller Geister schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nie gehört.

»Wozu soll ein Gespenst gut sein, das niemandem Angst macht?«

Das junge Gespenst wurde fast ganz durchsichtig, so schüchtern war es in diesem Augenblick.

»Ich möchte ja auch jemandem Angst machen. Aber nicht den Kindern.«

Hätte Professor Phantomio eine Stirn gehabt: Er hätte sie jetzt gerunzelt. Zum Glück hatte er wenigstens ein paar buschige Augenbrauen, die er entrüstet hochziehen konnte.

»Soso. Leute erschrecken: ja. Kinder erschrecken: nein. Da wollen wir mal sehen. Du bist jetzt alt genug, um deine Berufung in der Geisterwelt zu finden. Also, was hast du dir vorgestellt? Poltergeist? Irrlicht? Schreckgespenst? Flaschengeist?«

»Nein«, sagte das schüchterne Nachtgespenst wieder mit leiser, aber fester Stimme. »Ich möchte ein Weihnachtsgespenst werden.«

»Ein was?«

»Ein Weihnachtsgespenst.«

Der Geist aller Geister schnaubte. »Unsinn. So etwas gibt es gar nicht.«

»Doch«, widersprach das kleine Nachtgespenst und ein wenig Rot mischte sich in den blau-weißen Nebel seiner Wangen. »Habt Ihr, verehrter Professor Phantomio, noch nie vom Geist der Weihnacht gehört?«

Der hochberühmte Professor fühlte sich ziemlich ertappt, denn er hatte tatsächlich noch nie von diesem speziellen Geist gehört.

»Ach so, doch, na klar, der …«, murmelte er und blätterte hektisch in dem großen, staubigen Geisterverzeichnis, das ebenfalls auf seinem Schreibtisch lag.

»Es war vor ungefähr zweihundert Jahren«, half ihm das schüchterne Nachtgespenst auf die Sprünge, »zu der Zeit, als ich geboren wurde.«

»Moment!«, unterbrach ihn der Professor. »Gespenster werden nicht geboren, sie erspuken

Das junge Nachtgespenst nickte. »Huch, ja, stimmt natürlich. Ungefähr zur Zeit meiner Erspukung gab es einen Geist, der zur Weihnachtszeit erschien. Er hat einem bösen, geizigen und gierigen Mann einen solchen Schrecken eingejagt, dass der daraufhin gut wurde und allen Kindern jede Menge Weihnachtsgeschenke gegeben hat.«

»Jaja«, murmelte Professor Phantomio und sagte plötzlich: »Aha! Ja, hier ist er ja. Geist der Weihnacht. Spukte vor zweihundert Jahren in London herum. Hat dem geizigen Geschäftsmann Scrooge zur Weihnachtszeit einen riesigen Schrecken eingejagt. Der wurde daraufhin gutherzig und hat viele Geschenke verteilt. Danach ist dieses Gespenst nicht mehr aufgetaucht. Mmmh. Jetzt willst du also ein Weihnachtsgespenst werden?«

»Ja, genau.«

»Nun sag mir, Bob: warum?«

»Weil ich den Geruch von Kerzen liebe. Und den Duft von Weihnachtsgebäck. Weil ich Geschenke mag. Und das Warten darauf. Und Tannennadeln und Schnee und Weihnachtslieder und Adventskränze …«

»Jaja, schon gut«, unterbrach ihn der große Phantomio. »Jeder Geist, der etwas Besonderes werden möchte, muss erst zeigen, dass er dafür geeignet ist. Sonst haben wir am Ende lauter Poltergeister, die nicht poltern können, Flaschengeister, die aus Kaffeetassen erscheinen, Irrlichter, die den richtigen Weg anzeigen, und so weiter. Wenn du wirklich ein Weihnachtsgespenst werden möchtest, Rob …«

»Bob«, warf das kleine Gespenst ein.

»… ja, von mir aus«, fuhr der Geist aller Geister fort, »wenn du tatsächlich zur Weihnachtszeit spuken möchtest, dann tu es deinem Vorbild, dem Geist der Weihnacht, gleich: Suche dir einen geizigen und gierigen Menschen und jage ihm einen gehörigen Schrecken ein, sodass er gutherzig und großzügig wird. Dann könnte ich vielleicht darüber nachdenken, dir eine Lizenz als Weihnachtsgespenst zu erteilen. Vielleicht!«

Das kleine Nachtgespenst glühte mittlerweile orange vor Aufregung.

»Danke, Professor Phantomio! Das werde ich tun! Ich werde ihm einen Schrecken einjagen, den er sein Leben lang nicht vergisst, und dann wird sein Herz wieder gut sein und er wird jede Menge Geschenke verteilen«

»Na schön«, brummte der Geist aller Geister. »Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, wenn die Menschen liebenswürdig und großzügig sind, aber offenbar ist das eben die Aufgabe der Weihnachtsgeister. Doch nun beeil dich! Es ist die Nacht zum ersten Advent, wenn du ein richtiges Weihnachtsgespenst werden möchtest, musst du jetzt anfangen zu spuken!«

»Ich eile! Ich fliege!«, rief das kleine Nachtgespenst und verschwand durch das Schlüsselloch. Es hinterließ bloß einen feinen Geruch nach Tannennadeln.

Der Geist aller Geister seufzte tief. »Diese jungen Geister heutzutage«, murmelte er vor sich hin. »Herumspuken, um jemanden zu einem guten Menschen zu machen? Was für eine gespenstische Idee.«

Simone Pfeffenpuhl, Lehrerin und Leiterin der Theater-AG an der Grundschule Kleine Kobolde, seufzte und pustete etwas Kreidestaub von der Liste, die vor ihr auf dem Pult lag. Wer war als Nächstes dran? Da stand es ja: Sophie. Drittes Schuljahr. Bemerkung: Besonders schüchtern. Na schön, vielleicht gab es ja eine Überraschung.

»Die Nächste bitte!«

Die Tür des Klassenzimmers öffnete sich einen kleinen Spalt.

»Bin ich das?«, wisperte ein leises Stimmchen.

»Wie heißt du denn?«

»Sophie«, flüsterte es durch die Ritze zurück.

»Ja, dann bist du dran.«

»Ach, wie schön.« Die Tür öffnete sich und ein Mädchen mit zwei vom Kopf abstehenden Zöpfen betrat das Zimmer.

»Soso«, sagte Simone Pfeffenpuhl, »du möchtest also mit uns Theater spielen?«

»Nein«, antwortete das Mädchen.

»Was, nein? Du meinst wohl Ja und hast bloß Nein gesagt.«

»Ich habe Nein gesagt, weil ich Nein gemeint habe.«

»Also, Sophie, du meldest dich hier an, aber hast gar keine Lust, Theater zu spielen …«

Sophie wurde rot bis zur Nasenspitze. »Meine Eltern wollen, dass ich hier mitmache. Ich bin nämlich sehr schüchtern und habe keine Freunde in der Schule. Wir waren deswegen sogar bei einer Ärztin, und die hat gesagt, dass Theaterspielen mir helfen könnte. Aber eigentlich habe ich gar keine Lust. Darf ich jetzt wieder gehen?«

»Mmh«, machte die Lehrerin. Sie musterte das kleine Mädchen, das vor ihrem Schreibtisch stand und schüchtern auf seine Schuhspitzen starrte. Was sollte sie mit diesem Kind bloß anfangen?

Dann hatte sie eine Idee.

»Sophie, ich habe die perfekte Rolle für dich: Scrooge!«

»Skruutsch?«

»Ja, so ungefähr. Dieser Scrooge ist in unserem Stück ein unglaublich geiziger, gieriger alter Geschäftsmann, der niemandem etwas zu Weihnachten schenken möchte.«

»Aber ich bin nicht geizig und gierig!«, protestierte Sophie. »Und erst recht nicht alt. Und auch kein Mann.«

»Eben!«, sagte Simone Pfeffenpuhl und war Feuer und Flamme. »Du bist genau das Gegenteil von Ebenezer Scrooge. Und gerade deshalb wirst du ihn so gut spielen können. Es wird für dich sein, als würdest du in eine ganz neue Haut schlüpfen. Ich verspreche dir: Es wird dir Riesenspaß machen!«

»Aber ich spreche nicht gern vor Leuten.«

Die Lehrerin lächelte.

»Du wirst auch gar nichts sagen müssen. Es wird Scrooge sein, der dort auf der Bühne steht, nicht Sophie. Und Scrooge liebt es, vor Leuten zu reden. Versuch es! Nur einmal, und wenn es dir keinen Spaß macht, kannst du gleich wieder aufhören. Einverstanden?«

»In Ordnung«, wisperte das Mädchen.

Simone Pfeffenpuhl schob dem Mädchen einen Stapel zusammengehefteter Blätter zu.

»Das ist unser Stück, von mir selbst geschrieben, frei nach der Weihnachtsgeschichte, die ein Autor namens Charles Dickens vor ungefähr zweihundert Jahren in London geschrieben hat. Ich hoffe, es gefällt dir! Es kommt auch ein Geist darin vor. Schau dir doch bitte den Text auf Seite vier an und versuche, alles, was Scrooge dort sagt, auswendig zu lernen. Keine Bange, es sind nur ein paar Sätze. Am Mittwoch treffen wir uns um drei in der Aula zur ersten Probe. Okay?«

»Na gut«, sagte Sophie, nahm die Mappe und verschwand durch die Tür.

Die Lehrerin seufzte tief. »Eine Schande, dass dieses Mädchen kein Theater spielen möchte. Sie würde einen unglaublich guten Scrooge abgeben. Gespenstisch gut!«