IMPRESSUM

Hans-Ulrich Lüdemann

Ein mörderisches Dreh

Detektei Rote Socke, Band 2

ISBN 978-3-86394-860-3 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2001 in der DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) beim Verlag Das Neue Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Wolfgang Schmolinske

 

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Ich bedanke mich bei Generalmajor a. D. OMR Dr. med. Gert Köhler für seine medizinischen Hinweise.

 

Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Vorspann

Gestatten Sie: Mein Name ist Mildred Sox, Diplom-Kriminalistin. Ich bin also diejenige, die aufgrund besonderer Lebensumstände aus dem Polizeidienst gefeuert wurde und demzufolge geradezu eine Privatdetektei gründen musste …

Ich war sichtlich irritiert, als die Frau meines Ex-Geliebten KHK Edwin Roeder um Beistand für ihren Schwiegersohn bat. Kay Denkert besitzt eine Anlage-Firma. Unbekannte haben den Mittdreißiger überfallen, zwei Tage später wird er Opfer eines Mordanschlages. Rechtsmediziner können zwar den komplizierten Tatvorgang klären, Hinweise zum Täter haben auch sie nicht. Ich ermittelte also gegen einen Gläubiger, befragte alle drei Geschäftspartner des Denkert. Ich werde mehrmals bedroht, weil ich nichtsdestoweniger diesen kniffligen Fall weiter verfolge. Eine heiße Spur führt in die USA und ich muss klären, was die angebliche Lebensmittelvergiftung eines aidskranken ehemaligen Sheriffs in Lyme mit Denkerts Firma zu tun hat. Schließlich gelingt es mir, bereits geplante Morde zu verhindern bzw. dass ein millionenschwerer Coup auffliegt. Bleibt aber dennoch die Frage – wer hat Kay Denkert ermordet? Des Rätsels überraschende Lösung findet sich buchstäblich erst auf den letzten Seiten ...

1. Kapitel

Nein, ich bin kein femininer Philip Marlowe-Verschnitt in deutschen Landen. Auch wenn mein BUREAU OF INVESTIGATION ähnlich spartanisch aussehen mochte wie das des Privat-Detektivs á la Raymond Chandler, dessen Vorliebe für einen BOURBON weltbekannt sein dürfte. Zugegeben - es gab Situationen nach 1990, da stand vor mir eine offene Flasche GOLDKRONE. Nicht, dass mich mein fünfzigster Geburtstag an diesem 16. September 1997 zum Alkohol verleiten würde – aber immer oder zumindest oft war Bruno Halske nicht da, wenn ich ihn brauchte. Ausgerechnet heute mutterseelenallein auf meiner breiten Liege aufgewacht zu sein, das war schon schlimm genug; ich musste ja noch fortwährend in die Küche, um in den Hinterhof respektive Seitenflügel zu äugen, ob Bruno wieder zu Hause war und nur vergessen hatte, sich bei seiner Milli zurückzumelden. Aber alle Fenster seiner Wohnung blieben dicht. Das musste zwar nicht viel besagen, denn Bruno war empfindlich gegen Zugluft. Es brauchte immer etwas Zeit, bis seine Nase ihm riet, wieder Frischluft in sein vermuchtes Hinterhof-Chaos zu lassen ...

Es klingelte. Wie ein verliebter Backfisch stürzte ich aus meinem Büro, jagte über den Korridor und riss die Wohnungstür auf, bereit, mich Bruno an den Hals zu werfen. Gerade noch rechtzeitig bremste ich ab und dachte: Mildred Sox, du bist mitunter doch eine blöde Gans!

„Frau Sox.“

Das klang nicht wie eine Frage, es war eher eine Feststellung. Hätte ich einen Fünfer im Lotto gehabt, ich wäre nicht weniger überrascht gewesen. Karin Roeder mit ihrer getönten Brille löste alles Mögliche in mir aus – Glücksgefühle waren nicht dabei. Da hieß es immer, man solle alte Geschichten ruhen lassen – und das Verhältnis zwischen ihrem Mann und mir lag fast ein Vierteljahrhundert zurück: Die hoffnungsvolle Genossin Absolventin der Humboldt-Uni, Sektion Kriminalistik, und ihr Genosse Vorgesetzter Edwin Roeder, der ein landesweit geachteter Schäferhund-Züchter war und wohl auch noch ist ...

Die Frau vor meiner Wohnungstür war es, die damals unsere Parteigruppe alarmierte und ich verlor Wochen später nicht nur den Geliebten, sondern auch unser gemeinsames Kind in der schmuddligen Hinterhof-Praxis eines Gynäkologen. Zugegeben, die Roeder hatte als Ehefrau und Mutter gekämpft – aber Edwin war wie ein Schlappschwanz zu Kreuze gekrochen. Als ich dann noch mitbekam, dass er kriminell gewordene Kinder der Parteioberen vor Strafverfolgung schützte, um sich nach seiner Degradierung wieder einzukratzen, da wollte ich privat nichts mehr mit ihm zu tun haben.

„Ich bitte Sie um Ihre Hilfe, Frau Sox.“

Der Satz klang weniger fest. Ich tat, als würde ich wegen Karin Roeders Brille die abschätzigen Blicke nicht bemerken, mit denen sie mein Büro taxierte. Bitte, meine Teuerste, dachte ich, wenn das nicht deine Kragenweite ist, dann solltest du schleunigst wieder verschwinden. Für meinen Fünfzigsten konnte ich mir Angenehmeres vorstellen als ein Gespräch mit der Frau eines Ex-Geliebten. Dass unter der Asche noch etwas Glut liegen würde - nach Roeder kamen schöne Jahre mit Rudolf Schnittomeit, dem ich aus Gründen meiner Selbstachtung Anfang der Neunziger das heilige Versprechen abnahm, sich nie wieder bei mir blicken zu lassen. Bruno Halske war der dritte Mann im bisherigen Leben, dem ich erlaubte, allüberall meine Sommersprossen zu zählen und meine grünen Augen zu preisen und meine naturroten Haare zu bewundern. Aber wie gesagt – Bruno war nicht da, um mich vor diesem Besuch zu schützen ...

„Was führt Sie zu mir?“

Ich wusste nicht warum, aber es fiel mir schwer, sie beim Namen zu nennen. Da Edwin sieben Jahre älter war als ich, schätzte ich die Frau auf sein Alter. Ich versuchte, mir ihr Gesicht ohne Mafia-Brille vorzustellen. Und wie recht hatte meine Kosmetikerin, wenn sie meinte, dass man früh genug etwas tun müsse, um altersbedingte Veränderungen zu kaschieren. Andernfalls sähe man eines Tages so alt aus, wie man nie werden würde.

„Wir werden bedroht“, sagte die Roeder, nachdem sie sich vorsichtig in meinen altersschwachen Besuchersessel niedergelassen hatte. „Die Familie meiner Tochter Mandy wird bedroht.“

„Und da kommen Sie ausgerechnet zu mir?“

Sie hatte zu Hause einen Kriminalhauptkommissar am Tisch zu sitzen und kam ausgerechnet in meine Privatdetektei? Karin Roeder drehte am Ehering, als sei der im Augenblick ihr letzter Halt. „Edwin darf davon nichts wissen, Frau Sox. Dass ich hier bei Ihnen bin wegen der Sache mit Kay Denkert. Das ist mein Schwiegersohn, müssen Sie wissen.“

Mich störte, wie vertraulich-familiär der Name Edwin über ihre etwas zu schmalen und blassen Lippen gekommen war. Aber letztendlich war ich als Chefin einer detektei mildred sox auf Publikumsverkehr angewiesen. Hier ermittelt die Detektei Rote Socke, hatten irgendwelche Schmierfinken an die erst im Jahr zuvor renovierte Fassade unseres Mietshauses gesprüht. Mittlerweile konnte ich damit locker umgehen. Ausgerechnet Bruno hatte den Anstoß für red sox geliefert, als er vor unserer gemeinsamen Zeit auf dem Lichtwerbekasten der Detektei die Silbe mild in meinem Namen mit Klo-Papier abgedeckt hatte. Für ein Geständnis hatte sich dieses Schlitzohr damals den besten Augenblick ausgesucht: Bruno lag schwerverletzt im Krankenhaus. Er hatte mir im FALL GUDOW (JANUSGESICHTER, Detektei Rote Socke 1. Band) das Leben gerettet, indem er – bildlich gesprochen - die für mich bestimmte Kugel einfing ...

„Was ist denn mit Ihrem Schwiegersohn?“

Während ich sprach, ging ich zum klobigen Safe und begann, die Nummernscheibe zu drehen. Eine filmreife Situation: Das alte Eisending gab einen zischenden Laut von sich, als ich die Tür öffnete. An der nostalgisch anmutenden Flasche GOLDKRONE lag es sicherlich nicht, dass die Roeder sich weit vorbeugte und vor Staunen erstarrte. Ich sage nur soviel: Es gab im Tresor alles zu sehen, was für eine deutsche Privatdetektei an modernen Hilfsmitteln zu ergattern war ...

„In den letzten Wochen sind schlimme Dinge passiert, so dass ich nicht mehr an Zufälle glauben kann: Zuerst ist Kay, also mein Schwiegersohn, überfallen worden. Aber er konnte sich gegen den Schläger-Trupp seiner Haut wehren.“ Sie schluckte erregt. „Angeblich soll der Junge die Glatzköpfe gereizt haben, weil er sie als Nazis beschimpfte.“ Die Roeder hob ihr Nasenfahrrad kurz an, um sich eine Träne fortwischen zu können. „Nun erst zeigt sich, dass er was zurückbehalten hat. Irgendetwas funktioniert nicht mehr folgerichtig in seinem Gehirn. Er wird für sein Leben wohl ein Pflegefall bleiben.“

„Sie sagten – angeblich. Und das wahre Motiv?“

„Kay sieht etwas fremdländisch aus. Wissen Sie, er ist so ein Typ, der selbst im Schatten braun wird, wie meine Tochter immer etwas neidisch sagt. Dann sein schwarzes lockiges Haar ...“

„Fremdenhass?“

Roeders Frau schüttelte heftig den Kopf. „Er muss Neider haben. Seine Geschäfte als Anlageberater gehen sehr gut. Man hat gestern eine Scheibe im neuen Haus eingeworfen. Vorgestern Nacht schlich wieder jemand um das Anwesen herum. Ich bin raus und habe laut gerufen, wer da sei ...“

„Wohnen Sie bei Ihren Kindern?“

In meiner Stimme lag etwa soviel Interesse, als hätte ich mich nach der Uhrzeit erkundigt. Beides war mir egal und ich überlegte bereits, wie ich diesen Besuch loswerden konnte. Schließlich hatte ich Geburtstag. Wie meine von den Nazis ermordete Namenspatronin Mildred Harnack, geborene Fish, die heute 95 Jahre alt geworden wäre. Angebliche Namenspatronin. Eine Lügengeschichte, die Mama beim Grenzübertritt in die DDR den zuständigen Behörden aufgetischt hatte.

Was würden Lafontaine oder der weltbekannte Magier David Copperfield sagen, müssten sie an diesem 16. September arbeiten? Selbst einem Columbo alias Peter Falk würde der Geduldsfaden reißen, käme das L.A.P.D. auf die Idee, ihm am heutigen 70. Geburtstag einen Mordfall - salopp gesprochen - unterzujubeln ...

„Wie das heutzutage so ist – eine Oma hilft eben: Da sind die Zwillinge und der jüngste Nachwuchs. Caroline und Marlene, beides liebe Mädchen und René, mein kleines großes Sorgenkind – der Vater bettlägerig. An Schläuche gebunden, die sein Leben erleichtern und verlängern sollen. Kay braucht vierundzwanzig Stunden Pflege und meine Tochter will niemand Fremdes an ihn heranlassen. Das ist aller Ehren wert, aber die reine Unvernunft. Auch wenn Firma und Wohnung jetzt in einem Gebäude untergebracht sind - eine Frage der Zeit, Frau Sox, dass mir mein Mädel zusammenklappt. Ich war ja von Anfang an dagegen, dass sie ihn so schnell aus der Klinik nach Hause geholt hat. Aber mach einer was dagegen, wenn Mandy sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Da kommt sie ausnahmsweise ganz nach ihrem Vater.“

Ich nickte beiläufig und dachte an Mama. Mir war eine Pflege rund um die Uhr erspart geblieben, weil sie in Boston an Alzheimer und später an Brustkrebs erkrankt war. Ein Visum hätte ich damals wegen meines Berufs ohnehin nicht bekommen, zumal Mama Mitte der achtziger Jahre von einer Besuchsreise zu James Fenimore Sox nicht in die DDR zurückgekehrt war. An ihr Grab konnte ich auch erst nach dem Mauerfall ...

„Ich bitte Sie um Ihre Hilfe, Frau Sox“, wiederholte sich Karin Roeder in diesem Augenblick.

Aus trüben Gedanken aufgestört, sah ich sie fragend an. Es irritierte mich nach wie vor, dass ihre Brillengläser undurchdringlich waren. Schließlich heisst es, Augen widerspiegeln die Seele eines Menschen.

„Vielleicht ist das wichtig für Sie: Unsere Kinder haben sich diesen Arbeits- und Wohnkomplex bauen lassen. Sind nach der Fertigstellung wohl mit den Zahlungen nicht hinterhergekommen. Aus welchen Gründen auch immer. Sie sagen einem ja nichts. Möglich, dass hinter allem Unheil die HEIMATBAU GMBH beziehungsweise die Familie Eggersdorf steckt.“

„Aber vielleicht gibt es auch einen Anleger, der auf diese brutale Art und Weise mit Nachdruck sein Geld eintreiben will?“, reagierte ich grob auf den vagen Verdacht. Wer wie Kay Denkert eine Baufirma auf ihren Rechnungen sitzen ließ, der konnte auch Renditen seiner Kunden einbehalten.

„Egal, wer das ist, Frau Sox. Sie sind Privatdetektivin – finden Sie diese Leute! Sie glauben ja gar nicht, welche Ängste ich seit dem Überfall auf Kay um meine Tochter und Enkelkinder ausstehe.“

„Und die Polizei?“

Ohne es zu wollen, lächelte ich anzüglich. Aber ich unterschätzte die Roeder. Sie wusste sofort, worauf ich hinauswollte.

„Mein Mann darf vom Besuch bei Ihnen nichts wissen. Er meint nämlich, dass ich mir alles nur einbilde. Es gäbe keinen Beweis dafür, dass der Anschlag auf seinen Schwiegersohn und jene Telefonanrufe ...“

„Man bedroht die Familie Ihrer Tochter auch telefonisch?“, fragte ich dazwischen.

Die Roeder nickte heftig. „Zum Glück habe ich bisher alle Gespräche angenommen, da Mandy sich außer um ihren Mann auch um die Firma kümmern muss. Ich höre zwar jemanden atmen, aber gesagt wird kein Wort. Manchmal denke ich, Ausländer haben ihre Hand im Spiel ...“

Ein Blick auf die elektrische Uhr über der Tür sagte mir, dass es nur noch zwanzig Minuten bis 18 Uhr 47 waren. Die 79. Mondfinsternis, letzte totale Mondfinsternis im 20. Jahrhundert, wollte ich nicht verpassen.

„Edwin hält leider nichts von seinem Schwiegersohn“, gestand Karin Roeder, unvermittelt das Thema wechselnd. „Bloß, weil der in jungen Jahren mal in den Westen türmen wollte, geschnappt wurde und dann freigekauft worden war.“

Ich nickte. Das war typisch Edwin Roeder. Nachtragend bis zum Sanktnimmerleinstag. Dabei war Haft wegen versuchter Republikflucht heutzutage in gewissen Kreisen eher eine Art Ritterschlag.

„Wenn es sich in Ihrer Branche so gehört, Frau Sox, dann leiste ich eine Anzahlung.“ Ohne ihre getönten Gläser abzunehmen, suchte sie jetzt im Handtäschchen nach der Geldbörse.

„Nicht nötig!“ Ich hob abwehrend beide Hände. „Wenn es Ihnen und Ihrer Tochter recht ist, dann schaue ich morgen am Vormittag mal vorbei und wir reden über Möglichkeiten, wie die Familie zu schützen ist. Übrigens - meine Rechnung pflege ich den Klienten zuzuschicken. Aber“, dieses Mal gab ich mir keine Mühe, ein anzügliches Lächeln zu unterdrücken, „es sollte mich wundern, wenn der Herr Kriminalhauptkommissar davon nichts mitbekommt.“

„Sie werden ihm nichts sagen“, erwiderte die Roeder ungerührt. „Eine Bitte müssen Sie mir allerdings erfüllen.“

„Welche?“ In mir fühlte ich nur Ablehnung.

„Sie müssen mir jeden Tag Nachricht geben über den Stand Ihrer Ermittlungen.“

Ich atmete erleichtert auf. Das ist eine meiner leichtesten Übungen, dachte ich und besaß nicht die blasseste Ahnung, auf was für eine makabere und lebensgefährliche Geschichte ich mich da einließ.

2. Kapitel

Ich vermisste Bruno, schlief unruhig, glaubte seine geschmeidigen Hände zu spüren, schließlich hatte ich sogar den Geschmack von Rührei mit schwarz gebratenen Zwiebeln auf der Zunge, ganz so, wie Bruno es immer nach unserem Jour fixe zubereitete ...

Wer immer es war, der mich durch seinen Anruf aus einem meiner schönsten Träume gerissen hatte, er würde dafür büßen müssen. Ich taumelte hinüber in mein Büro.

„Sox.“

Blind wie ein Maulwurf legte ich den Hörer auf meinen Schreibtisch und schaltete den Raumton ein.

„Hallo, Red! Happy Birthday, my Darling!“

„Dad!?”

Ich war wie vom Blitz getroffen. Vor Rührung schossen mir Tränen in die Augen. Ist ja Quatsch, dass Blut dicker als Wasser sei. Dass ein 76-Jähriger James Fenimore Sox die Zeitverschiebung zwischen Boston und Old Germany nicht bedacht hatte – Mildred, forget it!

„Hast du bekommen meine Post, Red?“

„Nein!“ Blöderweise schrie ich in den Hörer, obwohl zur Nachtzeit eine ausgezeichnete Verbindung nach Übersee bestand.

„Dann kommt sie bestimmt morgen, Red! Pinkpank hatte geschickt alles mit UPS ...“ Eine Pause entstand. Dann fragte Dad und seine etwas kratzige Stimme klang fürsorglich: „Du weißt, was ist UPS, my Darling?“

Ich warf einen Blick zur Zimmerdecke. Für J. F. S. lebte ich noch immer in der DDR und somit nicht weit weg entfernt von Sibirien. Da mochte er als Big Boss des US-amerikanischen Firmen-Imperiums ANIMALS EQUIPMENT LTD.. manches in der Welt bewegen können, konkret kannte der ehemalige GI sich nur in seinem God’s Own Country aus. Aber für alle Dinge in der kleinen und großen Welt hatte Dad ja seinen Privatsekretär Joshua Pinkpank, der einzige Mensch in seiner näheren Umgebung, dem er voll und ganz vertraute. Ein promovierter Jurist, dessen Haupt an den Weißkopfadler im US-Staatswappen oder an die Comic-Figur Trapper Geierschnabel erinnerte. Der pensionierte Major aus Langley erweckte immer den Eindruck, er könne sich nur setzen, wenn der verschluckte Besenstiel in ihm zerbrechen würde. Seine Umgangsformen und straffe Haltung zeigten keine amerikanische Lässigkeit; Joshua Pinkpank erinnerte eher an einen englischen Kolonialoffizier. Bei meinem ersten Besuch in Boston hatte der Ex-Geheimdienstler noch nicht bei Dad in Lohn und Brot gestanden. Oberflächlich betrachtet waren wir ja eigentlich Kollegen ...

„UPS wird bringen dir Gift ...“ Dad lachte kurz auf. „Mein Deutsch, Red. Sorry, kein Gift, sondern mein Geschenk zum Birthday ...“

„Nichts verraten, Dad!“, schrie ich über den Großen Teich.

Aber mein Alter Herr ließ sich nicht bremsen. Hatte er in der Vergangenheit etwas wirklich Großes zu verschenken, dann musste es auch gebührend gesagt oder gezeigt werden. Und wenn es sich einrichten ließ - im Beisein möglichst vieler Menschen.

„Flugtickets nach Toronto. Rent a car for sightseeing Niagara Falls und weiter durch New England States. Aber du musst sein unbedingt Mitte Oktober in Boston. Dann wird aufgestellt in der Hall of Fame eine, wie sagt man, Denkmal von mich, weil ich bin the biggest Sponsor bei das Team von Boston Red Sox...“

Halleluja! Die Stadt Boston und ihr Baseball-Team Red Sox waren ein glorreiches Kapitel US-amerikanischer Sportgeschichte. Wenn ich daran dachte, dass hierzulande der Begriff Rote Socken für ein Schimpfwort stand, da konnte ich nur kichern über die Weltfremdheit eines politischen Pfaffen namens Peter Hinze.

„Du meinst deine Ehren-Büste!“, brüllte ich erneut.

„My God - was für Brüste?“

Ich hätte schwören mögen, dass er grinste. Als Amalie von Hohenstein im Jahre 1946 vom GI James Fenimore Sox geschwängert wurde, da konnte er kaum einige Brocken Deutsch. Mama blieben leider nur drei Jahre, um ihm das Notwendigste beizubringen. 1949 verschwand ihr heißgeliebter James quasi über Nacht und irgendwann erfuhren wir, dass er noch einmal geheiratet hatte. Mein Dad - ein Bigamist! Seine zweite Ehe war kinderlos geblieben. Vielleicht erklärte dieser Umstand sein starkes, wenn auch spät erwachtes Interesse für mich ...

„Bist du noch da, Red?“

„Ja!“, schrie ich. „Und ich danke dir sehr für dein großartiges Geschenk, Daddy!“

Ich sagte selten Daddy zu ihm, obwohl ich wusste, wie viel ihm daran lag, von mir als Vater angenommen zu werden. In der ersten Zeit ritt mich der Teufel oder sonst wer - ich nannte ihn nur J. F. oder James. Damals glaubte ich, dass diese Art von Liebesentzug eine gerechte Strafe für ihn sei. Als nämlich Mama und ich ohne die schützenden Hände des GI Sox in Ostbayern zurücklieben, da war es uns eine Zeitlang ziemlich dreckig ergangen. Nichtsdestoweniger hatten Mama und mein Dad nach 1985 noch eine schöne Zeit miteinander gelebt in seiner Villa auf der Halbinsel Code bei Boston.

„Sorry, Red. Aber das Business, du verstehst? Und viele Grüße an your lover Bruno!“

Ich knurrte etwas Unverständliches.

„Ich freue mich, Red, wenn du kannst im Oktober hier sein. Zur feierlichen Entblößung meiner Brüste ...“

Jetzt war ich hundertprozentig sicher, dass Dad grinste bei der Wiederholung dieser bewusst falsch verstandenen Worte.