Möge in der Menschheit das Bewusstsein erwachen,
dass alle Tiere fühlende Wesen sind,
die Schmerzen und Leid, Freude und Liebe
genauso empfinden können wie wir Menschen …
ISBN Ebook: 978-3-946723-35-6
ISBN Printversion: 978-3-946723-34-9
Christine Goeb-Kümmel
Sterne sind Hoffnung
in einem Leben ohne Namen
Copyright 2017
Illustrationen: Christine Goeb-Kümmel
Hintergrundfoto Cover: © @nt - Fotolia.com
Hundefoto Cover: © @nt - Fotolia.com, paul prescott
Korrektorat: Gisela Polnik
Verlag: Begegnungen – Verlag für Natur und Leben
www.verlagbegegnungen.de
Alle Rechte vorbehalten
Sterne sind Hoffnung
in einem Leben ohne Namen
Gewidmet allen Hunden ohne Namen,
wo auch immer auf dieser Welt
Inhalt
Impressum
Vorwort
Nachwort
Projekt Sternschnuppenlicht
Die magere sandfarbige Hündin lag ausgestreckt auf dem harten Boden. Einige vereinzelte Strahlen der Sonne fielen auf ihr schmutziges Fell, durchzogen es wie leuchtende Fäden und wärmten ihre Haut. Sie rekelte sich wohlig und robbte etwas zur Seite, um dem Verlauf der Sonne zu folgen und noch mehr dieser wohltuenden goldenen Wärme zu erhaschen. Der feine Staub, den sie dabei aufwirbelte, waberte in trägen Schwaden durch die Luft, schwebte dann still und langsam zurück auf den Boden, und ein wenig davon ließ sich auch auf ihrem stumpfen Fell nieder.
Einen Moment lang lag sie vollkommen regungslos, selig entrückt, mit geschlossenen Augen und sog die Wärme und die ungewohnte intensive Helligkeit in sich auf. Ihr schmächtiger Körper hungerte nach dem lang entbehrten Sonnenglanz und eine Welle des Glücks durchströmte sie. Das helle lebenspendende Licht schien bis in ihr Herz zu leuchten und wie nahrhafte Energie durch ihre Adern zu fließen.
Ohne ihre – trotz des harten Untergrundes – nicht unangenehme Lage zu verändern, versuchte sie nun ihren Hals auf dem steinigen Boden zu scheuern. Die Haut dort war kahl, gerötet und mit kleinen Wunden übersät. Noch bis vor wenigen Stunden hatte ein schweres Metallhalsband in ihr Fleisch gedrückt. Sie hatte es getragen, so lange sie sich erinnern konnte.
Sie reckte und streckte sich, rollte sich nun halb auf den Rücken und schaute blinzelnd in den Himmel. In diesem Moment war sie glücklich. Sie war noch nie so glücklich gewesen und genoss den Augenblick. Sie genoss ihn nicht aus der Angst heraus, dass er vergehen, dass sie das Glück nicht halten könne – so wie die Menschen es meist zu tun pflegen –, nein, sie genoss ihn um seiner selbst willen, weil er da war und ihr guttat. Sie nahm diesen sonnendurchfluteten Moment dankbar an, genau so, wie er sich ihr schenkte.
Nun richtete sie sich auf, drehte ihr Gesicht in Richtung des etwas schief in den Angeln hängenden Gartentors und legte schließlich ihren Kopf auf den Vorderpfoten ab, ohne dabei den Blick von den Menschen zu wenden, die dort am Tor standen. Durch das verrostete Gitter ihres kleinen Geheges beobachtet sie, was dort vor sich ging, und sah schließlich, wie der alte Mann sich verabschiedete und das Grundstück verließ. Der andere Mann, einer der Menschen, die hier lebten und zu denen sie zu gehören glaubte, drehte sich um und ging zum Haus, ohne nochmals zu ihr herüberzublicken. Sie hatte ihn heute zum ersten Mal seit Langem in ihrer Nähe erlebt und die Freude über sein Erscheinen war groß gewesen, auch wenn er sie – wie bei den Begegnungen zuvor – nicht ansprach, nicht berührte, nicht beachtete.
Der alte Mann dagegen, den sie schon hin und wieder gesehen hatte, der aber nicht hier auf dem Grundstück, nicht hier in ihrer kleinen Welt lebte, war gefühlvoll mit ihr umgegangen. Seine Hand legte er sanft, fast liebevoll auf ihren Kopf, und aus Dankbarkeit für diese Geste leckte sie ihm zuerst zurückhaltend und ergeben, dann mit größer werdender Begeisterung und Zuneigung über seine Finger, nahezu gierig nach Berührung. Im nächsten Moment jedoch, als er nach der schweren Kette griff, die an dem breiten, metallenen Ring um ihren Hals befestigt war, erschrak sie und wich zurück. Doch er sprach beruhigend und freundlich auf sie ein, und sie vertraute ihm. Seine hellen Augen schauten lebendig und gutmütig aus dem faltigen, verwitterten Gesicht. Das Schild an seiner schmutzigen, verschlissenen Kappe war ausgefranst und sie roch interessiert daran, als er sich zu ihr beugte und an dem schweren Halsband fingerte, das sich tief in ihren Hals drückte. Er versuchte, es zu drehen, doch es saß so fest, dass er es nicht bewegen konnte. Sie verstand, als er ihr bedeutet, sich hinzulegen und schließlich auch den Kopf auf dem Boden abzulegen, und folgte vertrauensvoll dieser Aufforderung. Als der Mann die Spitze der klobigen Eisenschere zwischen das Metall des Halsbandes und ihre wunde Haut schob, wagte sie nicht, sich zu rühren. Sie hatte Angst, doch gleichzeitig ruhte ein tiefes Vertrauen in ihr, dass dieser Mensch ihr nichts zuleide tun würde.
Das schnalzende Geräusch, mit dem der Metallring nach dem schnell und präzise durchgeführten Schnitt aufsprang, erschreckte sie jedoch trotzdem und sie fuhr behände hoch und sprang auf die Beine. Ungläubiges Erstaunen und ausgelassene Freude ergriffen sie dann, als sie bemerkte, dass der Druck von ihrem Hals gewichen war, dieser unnachgiebige Druck auf ihre Kehle, den sie verspürt hatte, seit sie erwachsen geworden war, und der ihr das Atmen erschwert hatte. Sie schüttelte sich wieder und wieder, und mit leichtem Herzen, ausgelassen, mit tollpatschigen Sprüngen und im Genuss des Momentes umrundete sie den alten Mann. Kein Klirren der schweren Kette begleitete ihre Bewegungen, kein scharfer Ruck malträtierte ihren Hals, auch dann nicht, als sie sich weiter als die gewohnten zwei Meter von dem Punkt entfernte, an dem die Kette mit einem langen Eisenpflock im Boden befestigt war.
Der alte Mann lächelte über ihre große Freude und ihre schwungvollen Bewegungen und auch sein Herz wurde etwas leichter, war ihm die Situation der Hündin, die ihr Dasein an der kurzen Kette fristen musste, doch schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Viel mehr konnte er allerdings nicht für sie tun. Bereits vor dem vergangenen Winter hatte er ihr wenigstens eine notdürftige Hütte gezimmert, tat es ihm doch stets in der Seele weh, sie im Vorbeigehen bei Wind und Wetter schutzlos zu sehen. Er verstand ihre Menschen nicht, die dies zuließen, genauso wenig wie die meisten anderen Menschen hier im Dorf, die der Not der Tiere so gleichgültig gegenüberstanden. Viele von ihnen kannte er schon ihr Leben lang, hatte sie aufwachsen sehen. Er wusste, dass bereits deren Eltern, von denen sich die meisten in seinem Alter befanden, nicht anders mit den Tieren umgegangen waren, und so hatte den Kindern niemand ein Bewusstsein dafür vermittelt, wie sehr die Tiere litten. Im Gegenteil, kindliches Mitgefühl wurde meist als lächerlich abgetan, es passte nicht in die Gemeinschaft. Kein Kind wollte gerne Außenseiter sein und verhielt sich deshalb schließlich so, wie es erwartet wurde und wie es die anderen taten.
Auch der Besitzer der Hündin gehörte zu denjenigen, die seit ihrer Kindheit hier lebten, die ihr Verhalten den Tieren gegenüber nie infrage gestellt hatten oder denen aufkeimende Empathie bereits in frühen Jahren aberzogen wurde.