Joseph Conrad

Lord Jim

Joseph Conrad

Lord Jim

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Hedwig Lachmann
1. Auflage, ISBN 978-3-954188-29-1

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Achtund­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­dreis­sigs­tes Ka­pi­tel

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

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Erstes Kapitel

Es moch­ten ihm ein bis zwei Zoll zu sechs Fuß feh­len; er war un­ge­wöhn­lich kräf­tig ge­baut und pfleg­te, den Kopf vor­ge­streckt, mit leicht ein­ge­zo­ge­nen Schul­tern und ei­nem star­ren Blick von un­ten her schnur­stracks auf einen los­zu­kom­men, was an einen Stier in An­griffs­stel­lung ge­mahn­te. Sei­ne Stim­me war tief, laut, und in sei­ner gan­zen Art lag eine ge­wis­se knur­ri­ge Selbst­be­haup­tung, die doch nichts Feind­se­li­ges hat­te. Sie schi­en not­wen­dig zu sei­nem We­sen zu ge­hö­ren und war of­fen­sicht­lich eben­so­sehr ge­gen sei­ne ei­ge­ne Per­son wie ge­gen je­den an­de­ren ge­rich­tet. Er war ma­kel­los sau­ber, vom Kopf bis zum Fuß in blen­den­des Weiß ge­klei­det, und stand in al­len Hä­fen des Ori­ents, wo er schon als Was­ser­kom­mis ei­nes Schiffs­lie­fe­ran­ten sei­nen Un­ter­halt ge­fun­den hat­te, in ho­hem An­sehn.

Ein Was­ser­kom­mis braucht in gar kei­nem Fach sein Ex­amen ab­zu­le­gen, doch muß er Ge­schick­lich­keit in ab­strac­to be­sit­zen und sie prak­tisch be­wei­sen kön­nen. Sei­ne Ar­beit be­steht dar­in, an­dern Was­ser­kom­mis un­ter Se­gel, Dampf oder Ru­der den Rang ab­zu­lau­fen, wenn ein Schiff vor An­ker ge­hen will, den Ka­pi­tän freu­dig zu be­grü­ßen, in­dem er ihm eine Kar­te auf­zwingt – die Ge­schäfts­kar­te des Schiffs­lie­fe­ran­ten – und ihn bei sei­nem ers­ten Be­such an Land be­stimmt, doch un­auf­fäl­lig, in einen um­fang­rei­chen, höh­len­ar­ti­gen La­den zu steu­ern, der al­les ent­hält, was an Bord ge­ges­sen und ge­trun­ken wird, wo man al­les be­kom­men kann, um das Schiff see­tüch­tig und schön zu ma­chen, von ei­nem Satz Ket­ten­ha­ken für das An­ker­tau bis zu ei­nem Heft Blatt­gold für das Schnitz­werk des Hecks, und wo der Ka­pi­tän von ei­nem Schiffs­lie­fe­ran­ten, den er nie zu­vor ge­se­hen hat, wie ein Bru­der auf­ge­nom­men wird. Da har­ren sei­ner ein be­hag­li­ches Wohn­zim­mer, Fau­teuils, Fla­schen, Zi­gar­ren, Schreib­zeug, die Sta­tu­ten für den Ha­fen­ver­kehr und eine Wär­me der Be­grü­ßung, die da­nach an­ge­tan ist, das Salz ei­ner drei­mo­na­ti­gen See­fahrt aus dem Her­zen ei­nes See­manns her­aus­zu­schmel­zen. Die so be­gon­ne­ne Be­kannt­schaft wird, so­lan­ge das Schiff im Ha­fen bleibt, durch die täg­li­chen Be­su­che des Was­ser­kom­mis auf­recht­er­hal­ten. Die­ser bringt dem Ka­pi­tän die Treue ei­nes Freun­des, die Für­sorg­lich­keit ei­nes Soh­nes, die Ge­duld ei­nes Hiob, die selbst­lo­se Hin­ga­be ei­ner Frau und die fröh­li­che Stim­mung ei­nes Zech­kum­pans ent­ge­gen. Nach ei­ni­ger Zeit kommt die Rech­nung. Kurzum: es ist ein schö­ner, mensch­li­cher Be­ruf. Da­her sind gute Was­ser­kom­mis sel­ten. Wenn ein Was­ser­kom­mis, der die Ge­schick­lich­keit in ab­strac­to be­sitzt, noch dazu den Vor­zug hat, für die See her­an­ge­bil­det zu sein, dann wiegt ihn sein Dienstherr mit Gold auf und be­han­delt ihn mit großer Rück­sicht. Jim be­kam stets hohe Löh­ne und er­fuhr so viel Rück­sicht­nah­me, daß ein Stein sich da­von hät­te er­wei­chen las­sen. Trotz­dem konn­te er mit schwar­zem Un­dank plötz­lich al­les hin­wer­fen und auf und da­von gehn. Die Grün­de, die er sei­nem je­wei­li­gen Dienstherrn an­gab, wa­ren kei­nes­wegs stich­hal­tig. Sie sag­ten »ver­flix­ter Narr«, so­bald er ih­nen den Rücken kehr­te. Dies war ihr Ur­teil über sei­ne hoch­gra­di­ge Emp­find­lich­keit.

Für die Wei­ßen im Küs­ten­han­del und die Schiffs­ka­pi­tä­ne war er schlank­weg Jim – wei­ter nichts. Er hat­te selbst­ver­ständ­lich noch einen an­dern Na­men, doch war er ängst­lich dar­auf be­dacht, daß man ihn nicht aus­sprach. Sein In­ko­gni­to, das so lö­che­rig war wie ein Sieb, soll­te kei­ne Per­sön­lich­keit, son­dern eine Tat­sa­che ver­ber­gen. Wenn die Tat­sa­che durch das In­ko­gni­to hin­durch­schim­mer­te, ver­ließ er schleu­nigst den See­ha­fen, in dem er sich ge­ra­de be­fand, und ging nach ei­nem an­dern – ge­wöhn­lich wei­ter nach Os­ten. Er blieb in den See­hä­fen, weil er ein See­mann war, der von der See ver­bannt war und die Ge­schick­lich­keit in ab­strac­to be­saß, die für kei­nen an­dern als für einen Was­ser­kom­mis taugt. Er nahm sei­nen ge­ord­ne­ten Rück­zug der auf­ge­hen­den Son­ne ent­ge­gen, und die Tat­sa­che folg­te ihm von un­ge­fähr, doch un­ver­meid­lich. So sah man ihn im Lauf der Jah­re hin­ter­ein­an­der in Bom­bay, Kal­kut­ta, Ran­gun, Pen­ang und Ba­ta­via – und in je­dem die­ser An­le­ge­plät­ze war er schlank­weg Jim, der Was­ser­kom­mis. Spä­ter­hin, als ihn sein bren­nen­des Ge­fühl für das Nicht-zu-Er­tra­gen­de ein für al­le­mal aus den See­hä­fen und fort von den Wei­ßen bis in den Ur­wald hin­ein trieb, füg­ten die Malai­en des Dschun­gel­dorfs, das er sich zum Ver­steck für sei­ne be­kla­gens­wer­te An­la­ge aus­ge­sucht hat­te, noch ein Wort zu dem Ein­sil­ber sei­nes In­ko­gni­tos hin­zu. Sie nann­ten ihn Tuan Jim, was so­viel heißt wie Lord Jim.

Er stamm­te aus ei­nem Pfarr­haus. Vie­le Be­fehls­ha­ber großer Han­dels­schif­fe stam­men aus die­sen Stät­ten der Fröm­mig­keit und des Frie­dens. Jims Va­ter be­saß jene ge­wis­se Kennt­nis des Uner­forsch­li­chen, die sich be­son­ders mit der Red­lich­keit der Ar­men be­faßt und die Ge­müts­ru­he je­ner nicht stört, die eine un­fehl­ba­re Vor­se­hung in den Stand ge­setzt hat, in Her­ren­häu­sern zu woh­nen. Die klei­ne Kir­che auf ei­nem Hü­gel war wie ein moos­be­wach­se­ner, al­ters­grau­er Fels, der durch eine zer­ris­se­ne Blät­ter­wand schim­mert. Sie stand da seit Jahr­hun­der­ten, doch die Bäu­me, die sie um­ga­ben, wa­ren wohl schon Zeu­gen ge­we­sen, als ihr Grund­stein ge­legt wur­de. Un­ter­halb leuch­te­te die rote Fassa­de des Pfarr­hau­ses mit war­me Tö­nung mit­ten aus den Ra­sen­plät­zen, Blu­men­bee­ten und Tan­nen her­vor, mit ei­nem Obst­gar­ten an der Rück­sei­te, ei­nem ge­pflas­ter­ten Hof zur Lin­ken und den schrä­gen Glas­dä­chern der Treib­häu­ser, die sich längs der Back­stein­mau­er hin­zo­gen. Der Wohn­sitz hat­te seit Ge­ne­ra­tio­nen der Fa­mi­lie ge­hört; doch Jim war ei­ner von fünf Söh­nen, und als sich ein­mal nach ei­ner Fe­ri­en­zeit, wäh­rend de­ren er sich mit See­ge­schich­ten voll­ge­pfropft hat­te, sei­ne Nei­gung zum See­manns­be­ruf of­fen­bar­te, tat man ihn so­fort auf ein Schul­schiff für Of­fi­zie­re der Han­dels­ma­ri­ne.

Er lern­te dort ein we­nig Tri­go­no­me­trie und Bram­ra­hen kai­en. Er war all­ge­mein be­liebt. Er war Drit­ter in Schif­fahrts­kun­de und Vor­mann im ers­ten Kut­ter. Da er einen ru­hi­gen Kopf hat­te und gut ge­baut war, so war er sehr tüch­tig in der Ta­ke­lung. Sein Platz war auf dem Vor­mars, und oft blick­te er von da mit der Ver­ach­tung ei­nes Man­nes, der be­stimmt ist, sich in Ge­fah­ren aus­zu­zeich­nen, auf die fried­li­chen Dä­cher der Häu­ser hin­ab, die von der brau­nen Flut des Stro­mes durch­schnit­ten wur­den, wäh­rend am Ran­de der um­lie­gen­den Ebe­ne die Fa­brik­schlo­te senk­recht und schlank wie Stif­te in den Him­mel rag­ten und gleich Vul­ka­nen ih­ren Rauch aus­spien. Er konn­te die großen Schif­fe in See ste­chen, die wuch­ti­gen Fäh­ren auf und nie­der fah­ren und tief un­ter sich die klei­nen Boo­te da­hinglei­ten se­hen, wäh­rend in der Fer­ne der duns­ti­ge Glanz der See wink­te und die Hoff­nung auf ein be­weg­tes Le­ben in der Welt der Aben­teu­er.

Auf dem Un­ter­deck, im Ge­wirr von zwei­hun­dert Stim­men, ver­gaß er sich selbst und ge­noß im Geis­te im vor­aus das See­manns­le­ben, wie es sich in der Un­ter­hal­tungs­lek­tü­re dar­stellt. Er sah sich auf un­ter­ge­hen­den Schif­fen Men­schen das Le­ben ret­ten, wäh­rend ei­nes Or­kans die Mas­ten kap­pen, mit ei­nem dün­nen Seil durch die Bran­dung schwim­men oder als ein­sa­men Schiff­brü­chi­gen bar­fuß und halb­nackt auf den blo­ßen Rif­fen Schal­tie­re su­chen, um dem Hun­ger­to­de zu ent­ge­hen. Er maß sich mit den Wil­den an den Tro­pen­küs­ten im Kampf, mach­te Meu­te­rei­en, die auf ho­her See aus­bra­chen, ein Ende und rich­te­te Verzwei­fel­te auf, die er in ei­nem klei­nen Boot durch den Ozean ru­der­te – je­der­zeit ein Bei­spiel auf­op­fern­der Pf­licht­treue und so un­ent­wegt wie ein Held im Buch.

»Es ist et­was los! Rasch auf Deck!«

Er sprang auf die Füße. Die Schiffs­jun­gen stürm­ten die Lei­tern hin­auf. Oben hör­te man ein furcht­ba­res Ge­tö­se und Ge­schrei, und als er durch den Lu­ken­weg hin­auf­kam, blieb er ste­hen – wie be­täubt.

Es war die Däm­me­rung ei­nes Win­ter­ta­ges. Der Sturm, der seit Mit­tag an­ge­wach­sen war, hat­te den Ver­kehr auf dem Fluß ins Sto­cken ge­bracht und tob­te nun mit der Ge­walt ei­nes Or­kans in stoß­wei­sen Aus­brü­chen, die wie schwe­re Ge­schütz­sal­ven über das Was­ser don­ner­ten. Der Re­gen er­goß sich in schrä­gen, klat­schen­den Strö­men, und durch ihn hin­durch sah Jim ab und zu die wil­de, hoch­ge­hen­de Flut, das klei­ne Fahr­zeug, das am Ufer hin und her ge­wor­fen wur­de, die im zie­hen­den Ne­bel reg­los da­ste­hen­den Ge­bäu­de, die großen ver­an­ker­ten Fäh­ren, die schwer ans Ufer schlu­gen, die rie­sen­haf­ten, von Güs­sen über­flu­te­ten, auf und nie­der schau­keln­den Lan­dungs­brücken. Der nächs­te Schwall schi­en al­les weg­zu­bla­sen. Die Luft war voll Was­ser­staub. Im schril­len Pfei­fen des Win­des, im ra­sen­den Aufruhr des Him­mels und der Erde lag et­was wie eine fins­te­re Ab­sicht, ein grim­mi­ger Ernst, der sich ge­gen ihn zu rich­ten schi­en und ihm den Atem in der Keh­le zu­sam­men­preß­te. Er stand ganz still, doch mit ei­nem Ge­fühl, als wür­de er im Krei­se her­um­ge­wir­belt.

Man stieß ihn an. »Den Kut­ter be­man­nen!« Schiffs­jun­gen stürm­ten an ihm vor­bei. Ein Küs­ten­fah­rer, der sich un­ter Land ret­ten woll­te, war ge­gen einen vor An­ker lie­gen­den Scho­ner an­ge­rannt, und ei­ner der Leh­rer des Schul­schiffs hat­te den Un­fall be­merkt. Ein Ru­del Jun­gen klet­ter­te an der Re­ling, hing in Klum­pen um die Da­vits her­um. »Zu­sam­men­stoß! Dicht vor uns. Herr Sy­mons hat es ge­se­hen!« Ein Stoß ließ ihn ge­gen den Be­san­mast stol­pern. Er hielt sich an ei­nem Tau fest. Das alte Schul­schiff, das auf sei­nen Ver­täu­un­gen lag, beb­te in al­len Flan­ken. Sacht neig­te es den Bug ge­gen den Wind, und sein spär­li­ches Ta­kel­werk summ­te in tie­fem Baß das äch­zen­de Lied von sei­ner Ju­gend zur See. »Boot nie­der­las­sen!« Er sah das Boot, be­mannt, un­ver­züg­lich an der Re­ling hin­un­ter­glei­ten und woll­te ihm nach. Ein Klat­schen scholl her­auf. »Zu­rück! Werft die Fang­lei­ne los!« Er beug­te sich vor. Längs­seit bro­del­te der Fluß in schäu­men­den Strei­fen. In der sin­ken­den Dun­kel­heit lag der Kut­ter einen Au­gen­blick wie ge­bannt un­ter dem Druck von Flut und Wind und schau­kel­te Sei­te an Sei­te ne­ben dem Schiff. Ein gel­len­der Ruf drang schwach bis zu ihm. »Takt hal­ten, jun­ge Brut, wenn ihr je­mand ret­ten wollt! Takt hal­ten!« Und plötz­lich hob sich der Bug des Boots, und es sprang, mit Rie­men hoch, über einen Kamm, von dem Bann be­freit, in dem Wind und Flut es ge­hal­ten hat­ten.

Jim fühl­te einen fes­ten Griff an sei­ner Schul­ter. »Zu spät, mein Jun­ge!« Der Ka­pi­tän des Schiffs hielt den Kna­ben zu­rück, der im Be­grif­fe schi­en, über Bord zu sprin­gen. Jim blick­te auf, im schmerz­li­chen Be­wußt­sein ei­ner Nie­der­la­ge. Der Ka­pi­tän lä­chel­te ver­ständ­nis­voll. »Das nächs­te Mal wird es bes­ser glücken. Dies wird dich leh­ren, rasch bei der Hand zu sein.«

Ein gel­len­des Hur­ra be­grüß­te den Kut­ter. Er kam tan­zend zu­rück, bis zur Hälf­te mit Was­ser ge­füllt, das um zwei halb­to­te, auf dem Bo­den lie­gen­de Män­ner spül­te. Nun­mehr ka­men Jim der Tu­mult und die Dro­hung von Wind und See recht ver­ächt­lich vor, und sein Ver­druß über das ei­ge­ne Grau­en vor ih­ren lee­ren Schreck­nis­sen stei­ger­te sich noch. Er wuß­te jetzt, was er da­von zu hal­ten hat­te. Es schi­en ihm, daß er sich nichts aus dem Sturm mach­te. Er konn­te grö­ße­ren Ge­fah­ren trot­zen. Und er woll­te es tun – bes­ser als je­der an­de­re. Kein Tüt­tel­chen Furcht war mehr üb­rig. Nichts­de­sto­we­ni­ger hielt er sich an die­sem Abend in fins­te­rem Brü­ten ab­seits, wäh­rend der Bug­gast des Kut­ters, ein Kna­be mit ei­nem Mäd­chen­ge­sicht und großen grau­en Au­gen, der Held des Un­ter­decks war. Neu­gie­ri­ge Fra­ger um­dräng­ten ihn. Er er­zähl­te: »Ich sah ge­ra­de noch sei­nen Kopf auf­tau­chen und warf mei­nen Boots­ha­ken ins Was­ser. Der blieb in sei­nen Ho­sen sit­zen, und ich wäre bei­na­he über Bord ge­gan­gen, wie ich mir's gleich ge­dacht hat­te, doch der alte Sy­mons ließ die Ru­der­pin­ne los und pack­te mei­ne Bei­ne. Das Boot schlug bei­na­he voll. Der alte Sy­mons ist ein Pracht­kerl. Ich ver­ü­b­le es ihm gar nicht, daß er uns manch­mal an­schnauzt. Er schimpf­te fort­wäh­rend mit mir, wäh­rend er mein Bein hielt, aber das war nur so sei­ne Art, mir zu sa­gen, daß ich den Boots­ha­ken nicht los­las­sen soll­te. Der alte Sy­mons ist schreck­lich reiz­bar – nicht wahr? – Nein – nicht der klei­ne Blon­de –, der an­de­re, der Gro­ße mit dem Bart. Als wir ihn ins Boot her­ein­zo­gen, stöhn­te er: ›Oh, mein Bein! oh, mein Bein!‹ und ver­dreh­te die Au­gen. Un­glaub­lich! Ein so großer Kerl fällt in Ohn­macht wie ein Mäd­chen! Wür­de ei­ner von euch we­gen ei­nes Krat­zers mit ei­nem Boots­ha­ken in Ohn­macht fal­len? – Ich si­cher nicht! Der Ha­ken drang in sein Bein, so tief!« Er zeig­te den Boots­ha­ken, den er zu dem Zweck her­un­ter­ge­bracht hat­te, und er­ziel­te großen Ein­druck da­mit. »Nicht doch, wie dumm! Er war doch nicht in sein Fleisch ein­ge­hakt, son­dern in sei­ne Ho­sen. Na­tür­lich ver­lor er eine Men­ge Blut.«

Jim er­schi­en dies als eine jäm­mer­li­che Prah­le­rei. Der Sturm hat­te ei­nem He­ro­is­mus zur Ent­fal­tung ver­hol­fen, der eben­so nich­tig war wie Jims ei­ge­ne vor­geb­li­che Schre­cken. Jim zürn­te dem wil­den Aufruhr des Him­mels und der Erde, weil er da­durch über­rascht und weil sei­ner ed­len Be­reit­wil­lig­keit, das Le­ben zu wa­gen, schnö­de Halt ge­bo­ten wor­den war. And­rer­seits war er froh, nicht in den Kut­ter ge­gan­gen zu sein, da ja of­fen­bar ein ge­rin­ge­rer Grad der Vollen­dung aus­ge­reicht hat­te. Er war rei­cher an Er­fah­rung ge­wor­den als die an­dern, die die Sa­che aus­ge­führt hat­ten. Wenn alle zit­ter­ten, dann – das wuß­te er – wür­de er al­lein der nich­ti­gen Dro­hung von Wind und Wel­len zu trot­zen wis­sen. Er wuß­te, was er da­von zu hal­ten hat­te. Nüch­tern be­trach­tet, er­schi­en sie ver­ächt­lich. Er konn­te nicht die Spur ei­ner Er­re­gung in sich ent­de­cken, und das En­d­er­geb­nis die­ses auf­re­gen­den Vor­falls war, daß er, un­be­merkt und ab­seits von der lär­men­den Schü­ler­schar, ins­ge­heim frohlock­te, neu­be­stärkt in sei­ner Gier nach Aben­teu­ern und im Be­wußt­sein viel­sei­ti­gen Muts.

Zweites Kapitel

Nach zwei­jäh­ri­ger Aus­bil­dung ging er zur See, und als er in die Re­gio­nen ein­trat, die sei­ner Phan­ta­sie so ver­traut wa­ren, fand er sie selt­sam leer und un­frucht­bar an Aben­teu­ern. Er mach­te vie­le See­rei­sen. Er lern­te die zau­ber­haf­te Ein­tö­nig­keit des Da­seins zwi­schen Him­mel und Was­ser ken­nen; er hat­te die Kri­tik der Men­schen, die An­for­de­run­gen des Mee­res und die pro­sa­i­sche Stren­ge des Ta­ge­werks zu er­tra­gen, das ei­nem wohl Brot gibt – des­sen ein­zi­ger wirk­li­cher Lohn aber in der voll­kom­me­nen Lie­be zur Ar­beit be­steht. Die­ser Lohn blieb aus. Den­noch konn­te Jim nicht zu­rück, weil es nichts gibt, was ver­lo­cken­der ist, was mehr ent­täuscht und zum Skla­ven macht als das Le­ben zur See. über­dies wa­ren sei­ne Aus­sich­ten gut. Er hat­te gute Ma­nie­ren, war zu­ver­läs­sig, um­gäng­lich und war sich in ho­hem Gra­de sei­ner Verant­wort­lich­keit be­wußt; und in noch recht jun­gen Jah­ren wur­de er Ers­ter Of­fi­zier auf ei­nem großen Schiff, ohne daß er sich je vor­her bei Vor­fäl­len be­währt hät­te, die erst den in­ne­ren Wert ei­nes Man­nes, sei­nen wah­ren Kern und Halt, bei Ta­ges­licht zei­gen und nicht bloß vor an­dern, son­dern auch vor dem ei­ge­nen Selbst den Grad der Wi­der­stands­kraft und die ge­hei­me Be­rech­ti­gung des Ei­gen­dün­kels dar­tun. Nur ein ein­zi­ges Mal in der gan­zen Zeit hat­te er wie­der einen flüch­ti­gen Ein­druck von dem Ernst, der im Zür­nen des Mee­res wal­tet. Die­se Wahr­heit wird ei­nem nicht so häu­fig of­fen­bar, wie man leicht­hin glau­ben möch­te. Die Ge­fah­ren der Aben­teu­er und Stür­me sind reich an Schat­tie­run­gen, und nur ab und zu er­scheint auf dem Ant­litz der Er­eig­nis­se je­ner schick­sals­vol­le Zug ge­walt­sa­mer Ab­sicht, je­nes un­be­schreib­li­che Et­was, das dem Men­schen die Über­zeu­gung auf­zwingt, es läge in der Ver­ket­tung der Zu­fäl­lig­kei­ten, dem Ra­sen der Ele­men­te et­was Bös­ar­ti­ges, das auf ihn ab­zie­le, um mit ei­ner Wucht oh­ne­glei­chen, ei­ner maß­lo­sen Grau­sam­keit al­les Hof­fen und Ban­gen, je­des Seh­nen und Wün­schen aus sei­nem Her­zen zu til­gen; al­les, was er ge­kannt, ge­liebt, ge­nos­sen oder ge­haßt hat, was un­schätz­bar und not­wen­dig ist – den Son­nen­schein, die Erin­ne­run­gen, die Zu­kunft — zu zer­schmet­tern, zu zer­stö­ren, aus­zu­lö­schen; ein­fach da­durch, daß es ihm das Le­ben nimmt, die­se gan­ze kost­ba­re Welt sei­nen Au­gen zu ent­rücken.

Jim, der zu An­fang ei­ner Wo­che, von der sein schot­ti­scher Ka­pi­tän spä­ter­hin im­mer sag­te: »Mensch, es ist mir ganz un­be­greif­lich, wie wir da durch­ge­kom­men sind!«, von ei­ner her­un­ter­fal­len­den Spie­re dienst­un­fä­hig ge­macht wor­den war, ver­brach­te vie­le Tage auf dem Rücken aus­ge­streckt, be­täubt, zer­schla­gen, mut­los und ge­pei­nigt, wie in einen Ab­grund der Un­rast ver­sun­ken. Das Ende küm­mer­te ihn nicht, und in sei­nen kla­ren Au­gen­bli­cken über­schätz­te er sei­ne Gleich­gül­tig­keit. Die Ge­fahr hat, wenn man sie nicht mit Au­gen sieht, die gan­ze Un­be­stimmt­heit des mensch­li­chen Ge­dan­kens. Die Furcht wird we­sen­los; und die Phan­ta­sie, die Er­zeu­ge­rin al­ler Schreck­nis­se und den Men­schen feind, sinkt, wenn sie nicht wach­ge­hal­ten wird, in der Öde zu­sam­men, die die Er­schöp­fung ver­brei­tet. Jim sah nichts als die Un­ord­nung in sei­ner durch­ge­schüt­tel­ten Ka­bi­ne. Er lag da, ein­ge­schient, in­mit­ten des Durchein­an­ders sei­ner en­gen Um­ge­bung, und war ins­ge­heim froh, daß er nicht auf Deck zu ge­hen brauch­te. Aber zu­wei­len schnür­te ihn ein un­er­klär­li­ches Angst­ge­fühl zu­sam­men, daß er nach Luft schnapp­te und sich un­ter sei­nen De­cken hin und her wälz­te; und dann er­füll­te ihn die sinn­lo­se Qual, die ihm die­se Ver­ge­wal­ti­gung ver­ur­sach­te, mit dem ver­zwei­fel­ten Wunsch, um je­den Preis zu ent­kom­men. End­lich kam wie­der schö­nes Wet­ter, und er dach­te nicht mehr dar­an.

Sei­ne Lahm­heit dau­er­te je­doch fort, und als das Schiff einen Ha­fen des Os­tens an­lief, muß­te er sich in ein Ho­spi­tal be­ge­ben. Sei­ne Ge­ne­sung ging lang­sam von­stat­ten, und er wur­de zu­rück­ge­las­sen.

Au­ßer ihm wa­ren nur noch zwei Kran­ke in dem Spi­tal für Wei­ße: der Zahl­meis­ter ei­nes Ka­no­nen­boots, der eine Lu­ken­lei­ter hin­un­ter­ge­fal­len war und sich da­bei den Fuß ge­bro­chen hat­te, und eine Art Ei­sen­bahn­un­ter­neh­mer aus ei­ner be­nach­bar­ten Pro­vinz, der von ei­ner ge­heim­nis­vol­len Tro­pen­krank­heit be­fal­len war, den Dok­tor für einen Esel hielt und hin­ter des­sen Rücken Ge­heim­mit­tel nahm, die sein ta­mi­li­scher Die­ner ihm mit un­er­müd­li­cher Er­ge­ben­heit ver­schaff­te. Sie er­zähl­ten sich ge­gen­sei­tig ihre Le­bens­ge­schich­ten, spiel­ten ein biß­chen Kar­ten oder la­gen gäh­nend und in Py­ja­mas den Tag über im Lehn­stuhl, ohne ein Wort zu re­den. Das Spi­tal stand auf ei­nem Hü­gel, und eine sanf­te Bri­se, die durch das stets weit­ge­öff­ne­te Fens­ter her­ein­weh­te, trug den mil­den Glanz des Him­mels, die schmach­ten­de Träg­heit der Erde, den be­stri­cken­den Hauch der Ge­wäs­ser des Ori­ents in den kah­len Raum. Da wa­ren Wohl­ge­rü­che, die der See­le ein Ge­fühl un­be­grenz­ten Aus­ru­hens ga­ben, sie in end­lo­se Träu­me­rei­en ein­span­nen. Jim blick­te Tag für Tag über die dich­ten Ge­bü­sche der Gär­ten jen­seits der Dä­cher der Stadt, über die Pal­men­we­del am Ufer hin­weg auf die Ree­de, die eine Durch­fahrt zum Os­ten bil­det – die Ree­de mit ih­ren grü­num­rank­ten, von Son­nen­schein strah­len­den In­sel­chen, ih­ren klei­nen, spiel­zeug­ar­ti­gen Schif­fen, ih­rer glit­zern­den Be­wegt­heit, die ei­nem Fest­tags­auf­zug glich, in der ewi­gen Bläue des mor­gen­län­di­schen Him­mels und dem lä­cheln­den Frie­den der mor­gen­län­di­schen Mee­re, die, so weit das Auge reich­te, den Raum be­herrsch­ten.

So­bald er ohne Stock ge­hen konn­te, mach­te er sich in die Stadt auf, um ein Schiff nach der Hei­mat zu er­kun­den. Es war ge­ra­de kei­nes da, und wäh­rend des War­tens ver­kehr­te er na­tür­lich mit sei­nen Be­rufs­ge­nos­sen im Ha­fen. Die wa­ren von zwei­er­lei Art. Die einen, ge­ring an Zahl und nur sel­ten zu se­hen, führ­ten ein ge­heim­nis­vol­les Da­sein, hat­ten sich eine un­ge­schwäch­te Tat­kraft, das ra­sche Tem­pe­ra­ment von Frei­beu­tern be­wahrt und die Au­gen von Träu­mern. Sie schie­nen in ei­nem wir­ren Durchein­an­der von Plä­nen, Hoff­nun­gen, Ge­fah­ren und Un­ter­neh­mun­gen zu le­ben, in den dunklen Schlupf­win­keln der See, ab­seits der Zi­vi­li­sa­ti­on, und ihr Tod war das ein­zi­ge Er­eig­nis ih­res phan­tas­ti­schen Da­seins, des­sen Ein­tref­fen mit ei­ni­ger Be­stimmt­heit an­zu­neh­men war. Die meis­ten wa­ren, gleich ihm, durch ir­gend­ein Miß­ge­schick dort­hin ver­schla­gen wor­den und dann als Of­fi­zie­re von Küs­ten­fah­rern dort ge­blie­ben. Sie hat­ten nun ein Grau­en vor dem hei­mi­schen Dienst mit sei­nen här­te­ren Be­din­gun­gen, sei­ner stren­ge­ren Pf­lichtauf­fas­sung und den Fähr­nis­sen der stür­mi­schen See. Sie wa­ren auf den ewi­gen Frie­den des mor­gen­län­di­schen Him­mels und Mee­res ge­stimmt. Sie lieb­ten kur­ze Fahr­ten, be­que­me Deck­stüh­le, zahl­rei­che Mann­schaf­ten von Ein­ge­bo­re­nen und den Ge­nuß des Vor­zugs, der wei­ßen Ras­se an­zu­ge­hö­ren. Sie schau­der­ten bei dem Ge­dan­ken an schwe­re Ar­beit, woll­ten lie­ber ein leich­tes, wenn auch un­si­che­res Le­ben füh­ren, im­mer auf dem Sprung, ent­las­sen zu wer­den; dienten Chi­ne­sen, Ara­bern, Misch­lin­gen und hät­ten dem Teu­fel ge­dient, wenn er ih­nen das Le­ben leicht ge­macht hät­te. Sie spra­chen un­auf­hör­lich von Glücks­zu­fäl­len: wie der und der das Kom­man­do auf ei­nem chi­ne­si­schen Küs­ten­fah­rer be­kom­men hät­te – eine fei­ne Sa­che; wie je­ner ir­gend­wo in Ja­pan einen leich­ten Pos­ten habe und ein an­de­rer sein gu­tes Fort­kom­men in der sia­me­si­schen Ma­ri­ne fän­de; und in al­lem, was sie sag­ten, in ih­ren Hand­lun­gen, ih­ren Bli­cken, ih­rer Er­schei­nung ent­deck­te man die wei­che Stel­le, den fau­len Fleck, das Be­mü­hen, sich ohne An­stren­gung und Ge­fahr durchs Le­ben hin­durch­zu­win­den.

Jim fand die­se Schar von Schwatz­brü­dern an­fangs, wenn er sie als See­leu­te be­trach­te­te, so we­sen­los wie Schat­ten. Mit der Zeit aber fand er et­was An­zie­hen­des im An­blick die­ser Män­ner, de­nen es bei so ge­rin­gem Auf­wand an Mut und Kraft doch an­schei­nend so gut ging. All­mäh­lich kam ne­ben der ur­sprüng­li­chen Ver­ach­tung ein an­de­res Ge­fühl hoch; und plötz­lich gab er den Plan, nach Hau­se zu­rück­zu­keh­ren, auf und nahm einen Pos­ten als Ers­ter Of­fi­zier der Pat­na an.

Die Pat­na war ein Lo­kal­damp­fer, so alt wie die Ber­ge, so dürr wie ein Wind­hund und so rost­zer­fres­sen wie ein aus­ge­mus­ter­ter Was­ser­tank. Sie ge­hör­te ei­nem Chi­ne­sen, war von ei­nem Ara­ber gechar­tert und von ei­nem Deut­schen aus Neusüd­wales, ei­ner Art Über­läu­fer, be­feh­ligt, der sehr dar­auf er­picht war, sein Ge­burts­land öf­fent­lich zu ver­flu­chen, da­bei aber, wahr­schein­lich kraft Bis­marcks sieg­rei­cher Po­li­tik, ge­gen alle, die er nicht fürch­te­te, den Herrn her­aus­kehr­te und eine Ber­ser­ker­mie­ne zur Schau trug zu­gleich mit ei­ner pur­pur­ro­ten Nase und ei­nem ro­ten Schnurr­bart. Nach­dem die Pat­na au­ßen frisch be­malt und in­nen weiß ge­tüncht wor­den war, be­kam sie un­ge­fähr acht­hun­dert Pil­ger (es kön­nen mehr oder we­ni­ger ge­we­sen sein) an Bord, wäh­rend sie schnau­bend an ei­nem höl­zer­nen Lan­dungs­steg lag.

Sie ström­ten über drei Lauf­plan­ken an Bord, ström­ten her­ein, ge­trie­ben vom Glau­ben und der Hoff­nung aufs Pa­ra­dies, ström­ten her­ein mit dem un­un­ter­bro­che­nen Trap­peln und Schlur­ren ih­rer blo­ßen Füße, ohne ein Wort, ein Ge­mur­mel oder einen Rück­blick, und ver­brei­te­ten sich, als das ab­schlie­ßen­de Ge­län­der weg­ge­nom­men war, über das gan­ze Deck, flu­te­ten nach vorn und ach­tern, über­flu­te­ten die gäh­nen­den Nie­der­gän­ge, füll­ten die in­ne­ren Schlupf­win­kel des Schiffs – wie Was­ser eine Zis­ter­ne füllt, wie Was­ser, das in alle Spal­ten und Ris­se dringt, wie Was­ser, das laut­los bis zu Deck­hö­he steigt. Acht­hun­dert Män­ner und Frau­en mit ih­rem Glau­ben und ih­ren Hoff­nun­gen, ih­rer Lie­be und ih­ren Erin­ne­run­gen hat­ten sich da ge­sam­melt, zu­sam­men­ge­weht aus Nord und Süd und von den äu­ßers­ten Gren­zen des Os­tens; nach­dem sie durch die Dschun­gel ge­wa­tet, die Flüs­se her­un­ter, in Praus das Flach­was­ser der Küs­ten ent­lang ge­fah­ren, in klei­nen Bor­ken­käh­nen von In­sel zu In­sel über­ge­setzt, durch Lei­den hin­durch­ge­gan­gen wa­ren, selt­sa­me Schau­spie­le er­blickt und selt­sa­me Schre­cken durch­lebt hat­ten, von ei­ner ein­zi­gen Sehn­sucht auf­recht­er­hal­ten. Sie ka­men aus ein­zel­ste­hen­den Hüt­ten in der Wild­nis, aus volk­rei­chen ma­lai­ischen An­sied­lun­gen, aus Dör­fern am Meer. Dem Ruf ei­ner Idee fol­gend, hat­ten sie ihre Wäl­der, ihre Lich­tun­gen, den Schutz ih­rer Herr­scher, ih­ren Wohl­stand, ihre Ar­mut, die Welt ih­rer Ju­gend und die Grä­ber ih­rer Vä­ter ver­las­sen. Sie ka­men mit Staub, Schweiß, Schmutz be­deckt, die star­ken Män­ner an der Spit­ze von Fa­mi­li­en­ver­bän­den, die ha­ge­ren Al­ten vor­wärts­drän­gend, ohne Hoff­nung auf Wie­der­kehr; Kna­ben mit furcht­lo­sen Au­gen, die neu­gie­rig um sich blick­ten; scheue klei­ne Mäd­chen mit zer­zaus­tem lan­gem Haar; schüch­ter­ne, ein­ge­mumm­te Frau­en, die ihre schla­fen­den Säug­lin­ge, die un­be­wuß­ten Pil­ger ei­nes ge­bie­te­ri­schen Glau­bens, in die schmut­zi­gen En­den ih­rer Kopf­tü­cher ein­ge­wi­ckelt, an ih­rer Brust hiel­ten.

»Da, se­hen Sie sich das Vieh­zeug an!«, sag­te der deut­sche Ka­pi­tän zu sei­nem neu­en Ers­ten Of­fi­zier.

Ein Ara­ber, der An­füh­rer die­ser from­men Pil­ger­fahrt, kam zu­letzt. Er schritt lang­sam an Bord, schön und ernst in sei­nem wei­ßen Ge­wand und dem großen Tur­ban. Ein Ru­del Die­ner, mit sei­nem Ge­päck be­la­den, folg­te; die Pat­na mach­te los und stieß vom Lan­dungs­steg ab.

Sie nahm ih­ren Kurs auf zwei klei­ne In­sel­chen, kreuz­te den An­ker­grund ei­ni­ger Se­gel­schif­fe, be­schrieb einen Halb­kreis im Schat­ten ei­nes Vor­ge­bir­ges und fuhr dann dicht an ei­ner Ket­te schaum­be­deck­ter Rif­fe ent­lang. Der Ara­ber er­hob sich ach­tern und sprach laut das Ge­bet der Rei­sen­den auf See. Er er­fleh­te die Gna­de des Höchs­ten für die­se Rei­se, sei­nen Se­gen für die har­te Fron der Men­schen und ihre ge­hei­men Zie­le. Der Damp­fer durch­pflüg­te in der Däm­me­rung schwer­fäl­lig das stil­le Was­ser der Meeren­ge; und weit ach­ter­aus schi­en ein Leucht­feu­er, das Ungläu­bi­ge an ei­ner ge­fähr­li­chen Un­tie­fe er­rich­tet hat­ten, mit sei­nem Flam­men­au­ge dem Pil­ger­schiff zu­zu­zwin­kern, als woll­te es der from­men Rei­se spot­ten.

Das Schiff lief aus der Meeren­ge hin­aus, kreuz­te die Bai und hielt ge­ra­de­wegs auf das Rote Meer zu, un­ter ei­nem hei­te­ren, wol­ken­lo­sen, sen­gen­den Him­mel, in eine Son­nenglut gehüllt, die je­den Ge­dan­ken tö­te­te, sich schwer aufs Herz leg­te, jede Re­gung von Kraft und Tat­freu­de er­stick­te. Und un­ter dem töd­li­chen Glanz die­ses Him­mels blieb die See blau, tief und still, ohne Re­gung, ohne ein Well­chen – dick­flüs­sig, sto­ckend, ohne Le­ben. Die Pat­na fuhr mit lei­sem Zi­schen über die glat­te, glän­zen­de Flä­che, ent­roll­te am Him­mel ein schwar­zes Band von Rauch und hin­ter­ließ auf dem Was­ser ein wei­ßes Band von Schaum, das so­fort wie­der ver­ging, wie das Phan­tom ei­ner Spur, auf leb­lo­sem Meer von dem Phan­tom ei­nes Damp­fers ge­zo­gen.

Je­den Mor­gen tauch­te die Son­ne mit ih­rer stumm aus­bre­chen­den Licht­flut ge­nau an der­sel­ben Stel­le hin­ter dem Schiff em­por, als woll­te sie in ih­rer Rei­se mit der Pil­ger­fahrt Schritt hal­ten; stand am Mit­tag über dem Schiff und schüt­te­te das ge­sam­mel­te Feu­er ih­rer Strah­len auf die from­men Vor­sät­ze der Men­schen aus, glitt im Nie­der­ge­hen dar­an vor­bei und sank Abend für Abend ge­heim­nis­voll ins Meer, im­mer in der glei­chen Ent­fer­nung von dem vor­wärts­s­tre­ben­den Bug. Die fünf Wei­ßen leb­ten an Bord mitt­schiffs, von der Men­schen­fracht ab­ge­schlos­sen. Das Son­nen­se­gel brei­te­te ein wei­ßes Dach über das Deck vom Vor­der- zum Hin­ters­te­ven, und nur ein schwa­ches Ge­summ, ein lei­ses Ge­mur­mel ver­riet das Da­sein ei­ner Volks­men­ge auf der wei­ten Glut­flä­che des Ozeans. So schwan­den die Tage, still, glü­hend, schwer, ei­ner nach dem an­dern in die Ver­gan­gen­heit, wie von ei­nem im­mer of­fe­nen Ab­grund im Kiel­was­ser des Schiffs ver­schlun­gen. Und das Schiff zog, schwarz und qual­mend, un­ent­wegt sei­ne Bahn, aus­ge­dörrt von den Flam­men, mit de­nen ein er­bar­mungs­lo­ser Him­mel es gei­ßel­te.

Drittes Kapitel

Eine wun­der­ba­re Stil­le lag über der Welt, und die Ster­ne schie­nen mit der Klar­heit ih­rer Strah­len die Ge­währ ewi­ger Si­cher­heit über die Erde aus­zu­brei­ten. Der jun­ge, auf­wärts ge­bo­ge­ne Mond stand tief im Wes­ten und schi­en der leich­te Ab­fall von ei­ner Gold­stan­ge; das Ara­bi­sche Meer, glatt und kühl wie eine Eis­flä­che an­zu­se­hen, dehn­te sei­ne ge­wal­ti­ge Ebe­ne dem ge­wal­ti­gen Kreis­rund ei­nes dunklen Ho­ri­zonts ent­ge­gen. Die Schrau­be dreh­te sich ohne Hemm­nis, als hät­te je­der ih­rer Schlä­ge zum Sys­tem ei­nes si­che­ren Welt­ge­bäu­des ge­hört; und zwei tie­fe Was­ser­fal­ten zu bei­den Sei­ten der Pat­na, die sich dun­kel und blei­bend von dem fur­chen­lo­sen Glanz ab­ho­ben, schlos­sen in ihre ge­ra­den, waa­ge­rech­ten Käm­me ein paar wei­ße, leis zi­schen­de Schaum­wir­bel ein, ein leich­tes Ge­kräu­sel, ein paar Well­chen, die noch eine Wei­le die Flä­che be­weg­ten, nach­dem das Schiff vor­über­ge­zo­gen war, sanft plät­schernd aus­ein­an­der­lie­fen und dann wie­der in das stil­le Rund von Was­ser und Him­mel über­gin­gen, in des­sen Mit­tel­punkt der schwar­ze Fleck des Schiffs­rumpfs sich vor­wärts­be­weg­te. Jim auf der Kom­man­do­brücke war von dem großen Ge­fühl un­be­grenz­ter Si­cher­heit und dem Frie­den durch­drun­gen, den das ru­hi­ge Ant­litz der Na­tur ge­währ­te, wie man die Ge­wiß­heit zärt­li­cher Lie­be aus den Zü­gen ei­ner Mut­ter emp­fängt. Un­ter dem Zelt­dach schlie­fen, der Weis­heit und dem Mut der Wei­ßen an­heim­ge­ge­ben und der Macht ih­res Un­glau­bens und dem ei­ser­nen Ge­häu­se ih­res Feu­er­schiffs ver­trau­end, die Pil­ger ei­nes an­spruchs­vol­len Glau­bens auf Mat­ten, auf De­cken, auf blo­ßen Bret­tern, auf je­dem Deck, in al­len dunklen Win­keln, ein­gehüllt in far­bi­ge Tü­cher, in schmut­zi­ge Lum­pen ge­wi­ckelt, den Kopf auf klei­ne Bün­del, das Ge­sicht auf den ein­ge­bo­ge­nen Vor­der­arm ge­drückt: die Män­ner, Frau­en, Kin­der; die Al­ten mit den Jun­gen, die Al­ters­schwa­chen mit den Rüs­ti­gen – sie alle gleich vor dem Schlaf, dem Bru­der des To­des.

Ein Luft­zug, von dem ei­len­den Schiff zu­rück­ge­fä­chelt, weh­te be­stän­dig durch die Dun­kel­heit zwi­schen dem ho­hen Schanz­kleid, fuhr über die Rei­hen der hin­ge­streck­ten Lei­ber; ein paar trüb bren­nen­de Ku­gel­lam­pen wa­ren hie und da an den Stüt­zen kurz auf­ge­hängt, und in den un­deut­li­chen Licht­krei­sen, die her­nie­der­fie­len und in der ste­ti­gen Be­we­gung des Schif­fes mit­zit­ter­ten, tauch­ten ein auf­wärts ge­rich­te­tes Kinn auf, zwei ge­schlos­se­ne Au­gen­li­der, eine dunkle Hand mit Sil­ber­rin­gen, ein ma­ge­rer Arm, in zer­ris­se­nes Zeug gehüllt, ein zu­rück­ge­bo­ge­ner Kopf, ein nack­ter Fuß, eine blo­ße Keh­le, die sich hin­streck­te, als böte sie sich dem Mes­ser dar. Die Wohl­ha­ben­de­ren hat­ten ihre Fa­mi­li­en mit ei­nem Ge­he­ge von schwe­ren Kis­ten und stau­bi­gen Mat­ten um­ge­ben; die Ar­men la­gen Sei­te an Sei­te und hat­ten al­les, was sie auf Er­den be­sa­ßen, in ein Bün­del un­ter ih­rem Kopf zu­sam­men­ge­schnürt; die ein­sa­men al­ten Män­ner schlie­fen mit hoch­ge­zo­ge­nen Bei­nen auf ih­ren Ge­bet­tep­pi­chen, die Hän­de auf den Ohren und die Ell­bo­gen zu bei­den Sei­ten des Ge­sichts, ein Va­ter schlum­mer­te in ver­krümm­ter Hal­tung ne­ben ei­nem Kna­ben mit zer­zaus­tem Haar, der auf dem Rücken lag und einen Arm ge­bie­te­risch aus­ge­streckt hielt; eine Frau, von Kopf bis Fuß in ein wei­ßes La­ken gehüllt wie ein Leich­nam, hat­te ein nack­tes Kind auf je­dem Arm; hin­ter der Habe des Ara­bers, die wie ein auf­ge­wor­fe­ner Erd­hü­gel hoch­ge­türmt da­stand, mit ei­ner Schiffs­la­ter­ne oben­auf, wur­den al­ler­hand un­deut­li­che Um­ris­se sicht­bar: Re­fle­xe von bau­chi­gen Mes­sing­kan­nen, die Fuß­bank ei­nes Deck­stuhls, Speer­blät­ter, die ge­ra­de Schei­de ei­nes al­ten Schwerts ge­gen einen Hau­fen Kis­sen ge­lehnt, die Schnau­ze ei­ner zin­ner­nen Kaf­fee­kan­ne. Das Log ach­tern gab je­des­mal ein Klin­gel­zei­chen, wenn das Schiff eine Mei­le auf sei­ner Pil­ger­fahrt zu­rück­ge­legt hat­te, über den schla­fen­den Hau­fen hin schweb­te von Zeit zu Zeit ein schwa­cher, ge­dul­di­ger Seuf­zer, das Au­fat­men aus ei­nem angst­vol­len Traum; und aus dem un­tern Schiffs­raum dran­gen ab und zu har­te, klir­ren­de Töne, das schril­le Schar­ren ei­ner Schau­fel, das hef­ti­ge Zu­schla­gen ei­ner Feu­er­tür, als hät­ten die Men­schen, die da un­ten mit den ge­heim­nis­vol­len Din­gen um­gin­gen, das Herz voll fins­te­rer Wut ge­habt, und der­weil glitt das schlan­ke, hohe Schiff ru­hig vor­an, zer­teil­te das Was­ser ohne das lei­ses­te Schwan­ken sei­ner Mas­ten, un­ter dem ma­kel­los kla­ren Him­mel.

Jim ging auf und ab, und in der wei­ten Stil­le hall­ten ihm sei­ne Schrit­te auf­dring­lich ins Ohr; sein Blick, der bis an die Grenz­li­nie des Ho­ri­zonts schweif­te, schi­en vor­wit­zig ins Uner­gründ­li­che drin­gen zu wol­len, sah aber den Schat­ten des kom­men­den Er­eig­nis­ses nicht. – Der ein­zi­ge Schat­ten auf dem Mee­re war der des schwar­zen Rauchs, des­sen end­lo­ses Ban­ner aus dem Schorn­stein des Damp­fers flat­ter­te und sich be­stän­dig in der Luft auf­lös­te. Zwei Malai­en be­dien­ten ohne Laut und fast ohne eine Be­we­gung das Ru­der, je­der an ei­ner Sei­te des Ra­des, des­sen Mes­sin­grand in dem Licht­schein aus dem Kom­paß­haus auf­blitz­te. Hin und wie­der tauch­te im Hel­len eine Hand mit schwar­zen Fin­gern auf, die die krei­sen­den Spei­chen faß­te und wie­der losließ; die Glie­der der Steu­er­ket­te knirsch­ten schwer in den Hohl­keh­len der Trom­mel. Jim sah nach dem Kom­paß, sah in die gren­zen­lo­se Wei­te und streck­te und re­kel­te sich in ei­nem Ge­fühl äu­ßers­ten Wohl­be­ha­gens, bis sei­ne Ge­len­ke knack­ten; an­ge­sichts des un­er­schüt­ter­li­chen Frie­dens fühl­te er eine Ver­we­gen­heit, als küm­mer­te ihn nichts, was ihm bis ans Ende sei­ner Tage zu­sto­ßen konn­te. Von Zeit zu Zeit warf er einen mü­ßi­gen Blick auf eine Kar­te, die mit vier Reiß­nä­geln auf ei­nem nie­de­ren, drei­bei­ni­gen Tisch hin­ter dem Ver­schlag des Steu­er­ge­räts be­fes­tigt war. Der Bo­gen Pa­pier, der die Mee­res­tie­fen an­gab, lag im Schein ei­ner Blend­la­ter­ne, die an ei­ner Sei­ten­stüt­ze an­ge­bun­den war, gleich glatt und eben da wie die schim­mern­de Was­ser­flä­che. Par­al­lel­li­nea­le mit ei­nem Teil­zir­kel la­gen dar­auf; die Po­si­ti­on des Schiffs am Mit­tag des vo­ri­gen Ta­ges war mit ei­nem klei­nen schwar­zen Kreuz be­zeich­net, und die bis Pe­rim ge­zo­ge­ne ge­ra­de Blei­stift­li­nie deu­te­te den Kurs des Schiffs an – den Pfad der See­len nach dem hei­li­gen Ort, dem Ver­spre­chen des Heils, dem Lohn des ewi­gen Le­bens –, wäh­rend der Blei­stift, rund und re­gungs­los wie eine Schiffss­pie­re, die in ei­nem stil­len Ha­fen­be­cken treibt, mit sei­ner Spit­ze die So­ma­li­küs­te be­rühr­te. Wie gleich­mä­ßig es fährt, dach­te Jim stau­nend, mit et­was wie Dank­bar­keit für die­sen großen Frie­den von Him­mel und Meer. Zu sol­chen Zei­ten wa­ren sei­ne Ge­dan­ken ganz bei herz­haf­ten Ta­ten: er lieb­te die­se Träu­me und das Ge­lin­gen sei­ner ein­ge­bil­de­ten Hand­lun­gen. Sie wa­ren das Bes­te vom Le­ben, sei­ne ge­hei­me Wahr­heit, sei­ne ver­bor­ge­ne Wirk­lich­keit. Sie wa­ren un­ge­heu­er mann­haft, hat­ten den Reiz des Un­ge­wis­sen und zo­gen mit he­ro­i­schem Glanz an ihm vor­über; sie nah­men sei­ne See­le mit sich fort und be­rausch­ten sie mit dem Trank schran­ken­lo­sen Selbst­ver­trau­ens. Es gab nichts, dem er nicht Trotz ge­bo­ten hät­te. Er lä­chel­te wohl­ge­fäl­lig bei die­sem Ge­dan­ken, in­dem er den Blick acht­los vor­aus ge­rich­tet hielt; und wenn er zu­fäl­lig zu­rück­blick­te, sah er den wei­ßen Strich des Kiel­was­sers, den der Kiel auf dem Was­ser eben­so ge­rad­li­nig zog, wie ihn der Blei­stift auf der Kar­te ge­zo­gen hat­te.

Die Aschen­ei­mer ras­sel­ten in den Heiz­raum­ven­ti­la­to­ren auf und nie­der, und dies Ge­klap­per mahn­te ihn, daß sei­ne Wa­che zu Ende ging. Er seufz­te vor Be­frie­di­gung, in die sich das Be­dau­ern misch­te, sich von die­ser voll­kom­me­nen Klar­heit tren­nen zu müs­sen, die den aben­teu­er­li­chen Flug sei­ner Ge­dan­ken be­güns­tigt hat­te. Gleich­zei­tig war er ein we­nig schläf­rig und fühl­te eine woh­li­ge Mat­tig­keit in den Glie­dern, als hät­te sich al­les Blut in sei­nen Adern in lau­war­me Milch ver­wan­delt. Sein Ka­pi­tän war im Py­ja­ma und sei­ner weitof­fe­nen Schlaf­ja­cke ge­räusch­los her­auf­ge­kom­men. Ho­chrot im Ge­sicht und noch ganz schlaf­trun­ken, das lin­ke Auge ein­ge­knif­fen, das rech­te blöd und gla­sig star­rend, beug­te er sei­nen großen Kopf über die Kar­te und kratz­te schläf­rig sei­ne Rip­pen. Es war et­was Obs­zö­nes in dem An­blick sei­nes nack­ten Flei­sches. Sei­ne blo­ße Brust glänz­te weich und ölig, als hät­te er im Schlaf sein gan­zes Fett aus­ge­schwitzt. Er mach­te eine be­ruf­li­che Be­mer­kung, mit har­ter, ton­lo­ser Stim­me, die klang, wie wenn eine Säge durch Holz fährt; die Fal­te sei­nes Dop­pel­kin­nes hing wie ein auf­ge­bun­de­ner Sack un­ter sei­ner Kinn­la­de. Jim fuhr in die Höhe, und sei­ne Ant­wort war voll Ehr­er­bie­tung; aber die wi­der­lich flei­schi­ge Ge­stalt — als hät­te er sie in die­sem über­wa­chen Au­gen­blick zum ers­ten­mal ge­se­hen – präg­te sich sei­ner Erin­ne­rung als der In­be­griff al­les Ge­mei­nen und Nied­ri­gen ein, das in der Welt lau­ert, die wir lie­ben: in un­se­ren ei­ge­nen Her­zen, auf die wir un­ser Heil bau­en, in den Men­schen un­se­rer Um­ge­bung, in al­lem, was un­ser Auge sieht, un­ser Ohr hört, und in der Luft, die un­se­re Lun­gen at­men.

Das dün­ne gol­de­ne Stück­chen Mond war sacht hin­ab­ge­glit­ten und hat­te sich auf der ver­dun­kel­ten Ober­flä­che des Was­sers ver­lo­ren; und als wäre die Unend­lich­keit jen­seits des Him­mels der Erde nä­her ge­kom­men, be­deck­te die halb durch­sich­ti­ge Kup­pel mit dem er­höh­ten Glanz ih­rer Ster­ne und dem tiefe­ren Glanz ih­res Dun­kels die un­durch­sich­ti­ge, fla­che Schei­be des Mee­res. Das Schiff glitt so eben­mä­ßig da­hin, daß sei­ne Vor­wärts­be­we­gung den Sin­nen kaum wahr­nehm­bar war; wie ein im dunklen Äther­raum hin­ter dem Schwärm der Son­nen da­hin­schwe­ben­der Pla­net, der in der ent­setz­li­chen Ein­sam­keit auf den Hauch künf­ti­ger Schöp­fun­gen war­tet.

»Heiß ist kein Wort für da un­ten«, sag­te eine Stim­me.

Jim lä­chel­te, ohne sich um­zu­bli­cken. Der Ka­pi­tän bot sei­ne brei­te Rück­sei­te be­we­gungs­los dar: es war der Trick die­ses Über­läu­fers, daß er einen ge­flis­sent­lich über­sah, bis es ihm ge­nehm war, sich ei­nem mit durch­drin­gen­dem Blick zu­zu­wen­den und dann erst einen Strom gei­fern­der Schmäh­re­den los­zu­las­sen, die wie ein Guß aus ei­nem Ab­zugs­ka­nal her­vor­bra­chen. Dies­mal gab er nur ein übel­lau­ni­ges Grun­zen von sich. Der Zwei­te Ma­schi­nist, der oben auf der Brück­en­trep­pe stand und mit feuch­ten Hän­den einen schmut­zi­gen Schweiß­lap­pen kne­te­te, setz­te, nicht im min­des­ten aus der Fas­sung ge­bracht, sei­ne Kla­gen fort. Die Ma­tro­sen hat­ten ein schö­nes Le­ben hier oben, und der Teu­fel soll­te ihn ho­len, wenn er ein­se­hen könn­te, wozu sie ei­gent­lich nutz wä­ren. Die ar­men Teu­fel von Ma­schi­nis­ten müß­ten da­für sor­gen, daß das Schiff wei­ter­käme, und sie könn­ten al­les üb­ri­ge auch noch tun, wenn's drauf an­käme, weiß der Teu­fel – – »Maul hal­ten!«, knurr­te der Deut­sche pat­zig. – »Ja­wohl! Maul hal­ten! Und wenn ir­gend­was nicht klappt, dann fal­len sie über uns her, nicht wahr?«, fuhr der an­de­re fort. Er sei mehr als nur halb ge­sot­ten, kön­ne er sa­gen; es sei ihm jetzt ganz egal, wie­viel er sün­di­ge, denn in die­sen letz­ten drei Ta­gen habe er einen fei­nen Vor­be­rei­tungs­kurs für den Ort durch­ge­macht, wo die Bö­sen hin­kom­men, wenn sie ab­damp­fen – zum Teu­fel, ja –, über­dies sei er von dem ver­damm­ten Ei­mer­ge­ras­sel da un­ten bei­na­he taub ge­wor­den. Die ver­fluch­te, elen­de alte Dampf­ma­schi­ne pol­te­re und klap­pe­re da un­ten wie eine alte ros­ti­ge Deck­win­de, nur noch weit schlim­mer; und warum er je­den Tag und jede Nacht, die Gott wer­den ließ, in dem Rum­pel­kas­ten, der sich mit sie­ben­und­fünf­zig Um­dre­hun­gen hin­schlep­pe, sein Le­ben ris­kie­re, kön­ne er nicht sa­gen. Er müs­se wohl toll­kühn ge­bo­ren sein. Teu­fel, ja, er… »Wer gab dir zu trin­ken?«, forsch­te der Deut­sche, sehr wü­tend, blieb aber reg­los ste­hen, wie ein aus ei­nem Fett­klum­pen ge­schnitz­tes Stand­bild. Jim lä­chel­te im­mer noch dem zu­rück­wei­chen­den Ho­ri­zont zu; sein Herz war voll groß­mü­ti­ger Re­gun­gen, und er be­dach­te die ei­ge­ne Über­le­gen­heit. »Zu trin­ken!«, wie­der­hol­te der Ma­schi­nist mit freund­li­chem Hohn: er hielt sich mit bei­den Hän­den an der Re­ling, eine schat­ten­glei­che Ge­stalt mit kau­tschuk­ar­ti­gen Bei­nen. »Sie nicht, Ka­pi­tän. Sie sind viel zu knau­se­rig, weiß der Teu­fel. Sie wür­den einen ar­men Mann lie­ber kre­pie­ren las­sen, als daß Sie ihm einen Trop­fen Schnaps gä­ben. Das ist's, was ihr Deut­schen Spar­sam­keit nennt. Um Pfen­ni­ge knau­sert ihr, und einen Ta­ler werft ihr weg.« Er wur­de sen­ti­men­tal. Der Ober­ma­schi­nist habe ihm um zehn Uhr einen Schluck Ale ge­ge­ben – »nicht mehr, bei Gott!« –, die gute alte Haut; aber den al­ten Heuch­ler aus sei­nem Bett­kas­ten her­aus­zu­krie­gen, das brin­ge kein Fünf-Ton­nen-Kran zu­we­ge. Wahr­haf­tig nicht. Heut nacht ein­mal nicht. Er schla­fe sanft wie ein klei­nes Kind mit ei­ner Fla­sche pri­ma Brannt­wein un­ter sei­nem Kopf­kis­sen. Aus der di­cken Keh­le des Be­fehls­ha­bers der Pat­na ließ sich ein dump­fes Rol­len ver­neh­men, in des­sen Ab­stu­fun­gen von hoch zu tief das Wort »Schwein« tanz­te, wie eine Fe­der in ei­nem lau­ni­schen Luft­zug. Er und der Ober­ma­schi­nist wa­ren durch lan­ge Jah­re Ge­fähr­ten ge­we­sen, in Diens­ten des glei­chen jo­via­len, pfif­fi­gen al­ten Chi­ne­sen, der eine Horn­bril­le trug und in sei­nen ehr­wür­di­gen grau­en Zopf rote Sei­den­sträh­nen ein­ge­floch­ten hat­te. Es war kein Ge­heim­nis in dem Hei­mat­ha­fen der Pat­na, daß die­se bei­den, was das »In-die-ei­ge­ne-Ta­sche-Wirt­schaf­ten« an­geht, ein­fach vor nichts zu­rück­ge­schreckt wa­ren. Äu­ßer­lich wa­ren sie sich sehr un­ähn­lich: der eine glotz­äu­gig, miß­güns­tig, mit wei­chen, flei­schi­gen Li­ni­en; der an­de­re ha­ger, über­all hohl, mit ei­nem lan­gen, kno­chi­gen Ge­sicht, wie ein al­ter Pfer­de­kopf, mit ein­ge­fal­le­nen Ba­cken, ein­ge­fal­le­nen Schlä­fen und lee­rem, gla­si­gem Blick der ein­ge­fal­le­nen Au­gen. Er war da ir­gend­wo im Os­ten ge­stran­det – in Kan­ton, Schang­hai oder, kann sein, in Yo­ko­ha­ma; wahr­schein­lich lag ihm nichts dar­an, sich an die ge­naue Ört­lich­keit oder an die Ur­sa­che sei­nes Schiff­bruchs zu er­in­nern. Er war vor et­li­chen zwan­zig Jah­ren, aus Rück­sicht auf sei­ne Ju­gend, ohne viel Auf­se­hen aus sei­nem Schiff hin­aus­ge­wor­fen wor­den, und es muß schlimm um ihn be­stellt ge­we­sen sein, da sich die­se Epi­so­de in sei­nem Ge­dächt­nis kaum als ein Un­glück dar­stell­te. Da es ge­ra­de die Zeit war, wo in je­nen Mee­ren die Dampf­schif­fahrt zu­nahm und Män­ner sei­nes Ka­li­bers zu­nächst sel­ten wa­ren, so hat­te er ge­wis­ser­ma­ßen »Glück ge­habt«. Er war stets be­reit, Frem­de mit düs­te­rem Ge­brum­me wis­sen zu las­sen, daß er »hier drau­ßen ein al­ter Prak­ti­kus« sei. Wenn er sich be­weg­te, so mein­te man, ein Ske­lett schwan­ke in Klei­dern ein­her. Sein Gang war un­s­tet, und er pfleg­te mit der al­ber­nen Wich­tig­keit ei­nes Den­kers, der aus ei­nem arm­se­li­gen Ge­dan­ken­fetz­chen ein phi­lo­so­phi­sches Sys­tem ent­wi­ckelt, um das Ober­licht des Ma­schi­nen­raums her­um­zu­wan­dern und da­bei aus ei­nem mes­sing­nen Pfei­fen­kopf, der am Ende ei­nes vier Fuß lan­gen Stiels aus Kirsch­holz steck­te, opi­um­ge­tränk­ten Ta­bak zu rau­chen. Er war für ge­wöhn­lich al­les eher als frei­ge­big mit sei­nem Pri­vat­vor­rat an Ge­trän­ken; aber an die­sem Abend war er sei­nen Grund­sät­zen un­treu ge­wor­den, so daß sein Ge­hil­fe, ein geis­tes­schwa­ches Kind des Os­tends von Lon­don, durch die un­er­war­te­te Be­hand­lung so­wohl wie durch die Stär­ke des Stoffs sehr glück­lich, her­aus­for­dernd und red­se­lig ge­wor­den war. Die Wut des Deut­schen aus Neusüd­wales war un­ge­heu­er; er schnauf­te wie ein Dampf­ab­laß­rohr, und Jim, den die­se Sze­ne nur we­nig be­lus­tig­te, war un­ge­dul­dig, hin­un­ter­zu­kom­men: die letz­ten zehn Mi­nu­ten der Wa­che wa­ren auf­rei­zend wie eine Flin­te, die nicht los­geht; die­se Män­ner ge­hör­ten nicht zu der Welt he­ro­i­scher Aben­teu­er; sie wa­ren zwar nicht all­zu schlimm. Selbst der Ka­pi­tän … Ein Ekel über­kam ihn vor die­sem keu­chen­den Fleisch­ko­loß, aus dem sich ein gur­geln­des Ge­pol­ter, ein Sturz­bach un­flä­ti­ger Aus­drücke er­goß; doch war er zu an­ge­nehm müde, um dies oder sonst et­was aus­drück­lich ab­zu­leh­nen. Es tat gar nichts zur Sa­che, wie die­se Män­ner wirk­lich wa­ren; er hielt Ka­me­rad­schaft mit ih­nen, doch sie ka­men ihm nicht nahe, er at­me­te die glei­che Luft mit ih­nen, doch er war an­der­s… Wür­de der Ka­pi­tän den Ma­schi­nis­ten an­pa­cken?… Das Le­ben war leicht, und er war sei­ner selbst viel zu si­cher – viel zu si­cher, um… Die Li­nie, die sei­ne Ge­dan­ken noch von ei­nem ver­stoh­le­nen Ein­schla­fen im Ste­hen trenn­te, war dün­ner als der Fa­den ei­nes Spinn­ge­we­bes.

Der Zwei­te Ma­schi­nist kam nun in leich­ten Über­gän­gen zu der Be­trach­tung sei­ner Finan­zen und sei­nes Mu­tes.

»Wer ist be­trun­ken? Ich? O nein, nein, Ka­pi­tän! Wo den­ken Sie hin? Das könn­ten Sie doch schon wis­sen, daß der Ers­te nicht so­viel her­gibt, um einen Spat­zen be­trun­ken zu ma­chen, zum Teu­fel ja. Mir hat das Trin­ken in mei­nem gan­zen Le­ben noch nichts ge­scha­det. Das Zeug ist noch nicht ge­braut, das mich be­trun­ken ma­chen könn­te. Ich könn­te flüs­si­ges Feu­er trin­ken an­statt eu­res Whis­ky, kü­bel­wei­se, und kühl blei­ben wie eine Gur­ke. Wenn ich mich für be­trun­ken hal­ten müß­te, dann wür­de ich über Bord sprin­gen – wie ich da­ste­he, beim Teu­fel ja. Wahr­haf­tig! Schnur­stracks! Und ich gehe nicht weg von der Brücke. Wo soll ich denn Luft schnap­pen, in ei­ner Nacht wie die­ser, was? Auf Deck, un­ter all dem Ge­schmeiß da un­ten? Ja­wohl – da kön­nen Sie lan­ge war­ten! Und ich fürch­te mich nicht die Boh­ne vor Ih­nen.«

Der Deut­sche hob zwei schwe­re Fäus­te zum Him­mel und schüt­tel­te sie ein we­nig, ohne ein Wort.

»Ich weiß nicht, was Furcht ist«, fuhr der an­de­re mit der In­brunst wah­rer Über­zeu­gung fort. »Ich fürch­te mich nicht da­vor, all die ver­damm­te Ar­beit in die­sem mor­schen Kas­ten zu tun, weiß der Teu­fel! Und Sie kön­nen sich freu­en, daß da in der Welt ein paar von uns her­um­lau­fen, de­nen nicht ban­ge um ihr Le­ben ist, was soll­ten Sie sonst an­fan­gen – Sie und dies alte Ding mit sei­nen Plat­ten wie Pack­pa­pier – wie Pack­pa­pier, hol' mich der Teu­fel? Sie kön­nen la­chen – Sie kom­men auf Ihre Kos­ten, so oder so. Aber ich, was be­kom­me ich? Schä­bi­ge hun­dert­fünf­zig Dol­lar im Mo­nat, und Prost die Mahl­zeit. Ich möch­te Sie re­spekt­voll fra­gen – wohl­ver­stan­den, re­spekt­voll: wer möch­te sich so ein ver­fluch­tes Stück Ar­beit nicht vom Hal­se schaf­fen? 's ist nicht ge­heu­er, sag' ich Ih­nen, nicht ge­heu­er! Aber ich bin ei­ner von den furcht­lo­sen Ker­len…«

Er ließ die Re­ling los und fuch­tel­te mit weit­aus­grei­fen­den Ges­ten in der Luft her­um, als ob er da­mit die Form und Aus­deh­nung sei­ner Tap­fer­keit ver­an­schau­li­chen woll­te; sei­ne dün­ne Stim­me über­schlug sich in lang­ge­zo­ge­nen Quietsch­tö­nen, er wieg­te sich auf den Ze­hen vor- und rück­wärts, um sei­ner Rede mehr Nach­druck zu ver­lei­hen, und plötz­lich schlug er mit dem Kop­fe vor­an der Län­ge nach hin, als ob ihn je­mand von hin­ten mit ei­ner Keu­le nie­der­ge­schla­gen hät­te. Er sag­te »Ver­flucht!«, wäh­rend er um­fiel. Ein Mo­ment des Schwei­gens folg­te sei­nem Ge­schrei. Jim und der Ka­pi­tän schwank­ten bei­de zu­gleich nach vorn und stan­den dann, sich auf­raf­fend, sehr steif und ru­hig da, den er­staun­ten Blick auf die un­be­weg­te Flä­che des Was­sers ge­rich­tet. Dann sa­hen sie zu den Ster­nen em­por.

Was war ge­sche­hen? Das schnau­ben­de Stamp­fen der Ma­schi­ne dau­er­te fort. War die Erde in ih­rem Lauf ge­hemmt wor­den? Sie konn­ten nicht be­grei­fen; und plötz­lich er­schie­nen das ru­hi­ge Meer, der wol­ken­lo­se Him­mel fürch­ter­lich un­si­cher in ih­rer Un­be­weg­lich­keit, hin­ter der das Grau­en der Zer­stö­rung lag. Der Ma­schi­nist schnell­te senk­recht zu vol­ler Län­ge em­por und sank wie­der in ein küm­mer­li­ches Häuf­lein zu­sam­men. Die­ses Häuf­lein sag­te: »Was ist das?«, in den er­stick­ten Lau­ten tiefer Be­küm­mer­nis. Ein schwa­ches Geräusch wie von un­end­lich fer­nem Don­ner, we­ni­ger als ein Ton, kaum mehr als ein Zit­tern, zog lang­sam vor­bei, und das Schiff er­beb­te als Ant­wort, als wäre das Donner­grol­len tief un­ter Was­ser er­k­lun­gen. Die Au­gen der bei­den Malai­en am Rade glänz­ten zu den Wei­ßen auf, aber ihre dunklen Hän­de blie­ben um die Spei­chen ge­schlos­sen. Der rasch da­hinglei­ten­de Schiffs­kör­per schi­en sich der Län­ge nach um ein paar Zoll über das Was­ser zu er­he­ben, als wäre er bieg­sam ge­wor­den, und mach­te sich dann wie­der an sei­ne Ar­beit, die glat­te Was­ser­flä­che zu spal­ten. Sein Be­ben hör­te auf, und der schwa­che Don­ner ver­stumm­te plötz­lich, als wäre das Schiff über einen schma­len Strei­fen vi­brie­ren­den Was­sers und schwin­gen­der Luft ge­fah­ren.

Viertes Kapitel

Als Jim etwa einen Mo­nat spä­ter, da man ihm mit spit­zen Fra­gen hart auf den Leib rück­te, sich be­müh­te, über die­se Be­ge­ben­heit die strik­te Wahr­heit zu be­rich­ten, sag­te er von dem Schiff: »Was das Ding auch ge­we­sen sein mag – die Pat­na fuhr so leicht dar­über weg, wie eine Schlan­ge über einen Stock kriecht.« Die Er­klä­rung war gut. Die Fra­gen ziel­ten auf be­stimm­te Tat­sa­chen, und die amt­li­che Un­ter­su­chung wur­de auf dem Po­li­zei­bü­ro ei­nes mor­gen­län­di­schen Ha­fens ab­ge­hal­ten. Jim stand hoch auf­ge­rich­tet, mit bren­nen­den Ba­cken, in der Zeu­gen­bank, in ei­nem küh­len, ho­hen Raum. Die großen Fä­cher der Pun­kahs be­weg­ten sich sach­te hoch über sei­nem Kopf, und von un­ten wa­ren vie­le Au­gen aus dunklen, aus wei­ßen, aus ro­ten Ge­sich­tern mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit auf ihn ge­rich­tet, als hät­te alle die­se Leu­te, die auf en­gen Bän­ken in ge­ord­ne­ten Rei­hen da sa­ßen, der Klang sei­ner Stim­me im Bann ge­hal­ten. Die­se Stim­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­