Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel
»The Four Tendencies. THE INDISPENSABLE PERSONALITY
PROFILES THAT REVEAL HOW TO MAKE YOUR LIFE BETTER
(AND OTHER PEOPLE’S LIVES BETTER, TOO)«
bei Harmony Books, New York, USA.
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1. Auflage
Deutsche Erstausgabe
© 2017 Gretchen Rubin
Published in the United States by Harmony Books,
an imprint of the Crown Publishing Group,
a division of Penguin Random House LLC, New York.
© 2018 Kailash Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Lektorat: Ralf Lay, Mönchengladbach
Umschlaggestaltung: ki36 Editorial Design,
Daniela Hofner, München
Satz und Layout: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-23214-6
V002
www.kailash-verlag.de
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Für Christy Fletcher (Hinterfragerin)
Inhalt
1 Die vier Tendenzen
Die Entdeckung der vier Grundverhaltensmuster | Wie diese Muster unseren Charakter prägen | Vom Nutzen, die eigene Tendenz zu kennen | Vom Nutzen, die Tendenz unserer Mitmenschen zu kennen
2 Entdecken Sie Ihre Tendenz
Der Vier-Tendenzen-Fragebogen
Der Pflichterfüller
»Disziplin ist meine Art der Freiheit.«
3 Den Pflichterfüller verstehen
Stärken (und Schwächen) | Schwächen (und Stärken) | Unterschiedliche Ausprägungen der Tendenz | Warum der Pflichterfüller einen starken Selbsterhaltungstrieb hat | Wieso der Pflichterfüller mitunter in die Falle tappt | Warum der Pflichterfüller seine inneren Erwartungen klären sollte
4 Pflegeanleitung für den Pflichterfüller
Der Pflichterfüller bei der Arbeit | Der Pflichterfüller in der Partnerschaft | Der Umgang mit einem Pflichterfüller-Kind | Der Pflichterfüller als Patient | Der Pflichterfüller und die Berufswahl
Der Hinterfrager
»Mach ich – wenn du mich überzeugen kannst.«
5 Den Hinterfrager verstehen
Stärken (und Schwächen) | Schwächen (und Stärken) | Unterschiedliche Ausprägungen der Tendenz | Warum der Hinterfrager sich nicht gern fragen lässt | Wie der Hinterfrager seine »Analyse-Paralyse« überwinden kann | Wie der Hinterfrager unbegründete Erwartungen erfüllen kann, indem er eigene und bessere Gründe findet
6 Pflegeanleitung für den Hinterfrager
Der Hinterfrager bei der Arbeit | Der Hinterfrager in der Partnerschaft | Der Umgang mit einem Hinterfrager-Kind | Der Hinterfrager als Patient | Der Hinterfrager und die Berufswahl
Der Teamplayer
»Du kannst dich auf mich verlassen; und ich verlasse mich darauf, dass du das tust.«
7 Den Teamplayer verstehen
Stärken (und Schwächen) | Schwächen (und Stärken) | Unterschiedliche Ausprägungen der Tendenz | Wie der Teamplayer seinen inneren Erwartungen gerecht wird, indem er Druck von außen schafft | Wenn der Druck von außen wegfällt | Wie der Teamplayer mit seiner Tendenz am besten klarkommt | Wie der Teamplayer die Grenze zwischen inneren und äußeren Erwartungen verschieben kann | Wieso der Teamplayer mitunter rebelliert und wie man sich davor schützen kann
8 Pflegeanleitung für den Teamplayer
Der Teamplayer bei der Arbeit | Der Teamplayer in der Partnerschaft | Der Umgang mit einem Teamplayer-Kind | Der Teamplayer als Patient | Der Teamplayer und die Berufswahl
Der Rebell
»Du kannst mich nicht zwingen, ich mich aber auch nicht!«
9 Den Rebellen verstehen
Stärken (und Schwächen) | Schwächen (und Stärken) | Unterschiedliche Ausprägungen der Tendenz | Wie man den Rebellen dazu bekommt, Erwartungen zu erfüllen | Wie der Rebell sich selbst motiviert, Erwartungen zu erfüllen | Warum es manche Rebellen zu einer stark reglementierten Laufbahn zieht
10 Pflegeanleitung für den Rebellen
Der Rebell bei der Arbeit | Der Rebell in der Partnerschaft – mit besonderer Berücksichtigung der Rebell-Teamplayer-Beziehung | Der Umgang mit einem Rebellen-Kind | Der Rebell als Patient | Der Rebell und die Berufswahl
Das Wissen um die vier Tendenzen anwenden
11 Wie die vier Persönlichkeitstypen zusammenpassen
12 Wie sich jede Tendenz am besten überzeugen lässt
13 Zum Schluss: Wie wir die Tendenzen zu unserem Vorteil nutzen
Anhang
Dank
Der Schnelltest –
Wie Sie rasch herausfinden,
zu welcher Tendenz jemand gehört
Quellen
Ich bin schließlich zu der Schlussfolgerung gelangt, dass mein höchstes Ziel ist, der zu sein, der ich bereits bin.
Aus dem Tagebuch von Thomas Merton (Rebell)
1
Die vier Tendenzen
Die Entdeckung der vier Grundverhaltensmuster | Wie diese Muster unseren Charakter prägen | Vom Nutzen, die eigene Tendenz zu kennen | Vom Nutzen, die Tendenz unserer Mitmenschen zu kennen
Als ich an einem stürmischen Winternachmittag durch die Tür des »Atlantic-Grill«-Restaurants trat, ahnte ich nicht im Mindesten, dass mir eines der wichtigsten Gespräche meines Lebens bevorstand. Während ich an meinem Cheeseburger kaute und meine Freundin in ihrem Salat herumstocherte, sagte sie so ganz beiläufig etwas, was mich viele Jahre beschäftigen sollte: Sie würde so gern wieder regelmäßig Sport treiben, könne sich aber partout nicht dazu aufraffen, und das ärgere sie sehr. Das Merkwürdige aber sei, dass sie früher sogar zum Leichtathletik-Team ihrer Highschool gehört und kein Training verpasst habe. Heute schaffe sie es nicht mal mehr, sich zum Joggen aufzuraffen. »Warum ist das bloß so?«
Darauf konnte ich ihr spontan auch keine plausible Antwort geben. Unser Gespräch wandte sich aber bald wieder anderen Themen zu. Doch selbst nachdem wir uns schon verabschiedet hatten, ging mir unsere Unterhaltung immer noch im Kopf herum. Meine Freundin war schließlich noch der gleiche Mensch, der sie an der Highschool gewesen ist. Und sie wollte etwas tun, was sie schon damals gemacht hatte. Wenn sie es seinerzeit schaffte, regelmäßig Sport zu treiben, warum dann nicht auch jetzt? Hing das mit dem Alter zusammen, mit ihrer Motivation, der familiären Situation, dem Wohnort, mit mangelndem Teamspirit oder womit sonst?
Ihre Vermutung war, dass wir uns schließlich alle schwer damit tun, »etwas Zeit für uns selbst abzuzwacken«. Aber offen gesagt habe ich überhaupt keine Probleme damit. Was also war der Unterschied zwischen ihr und mir?
Die Beantwortung dieser Fragen sollte mich die nächsten Jahre beschäftigen.
Die Entdeckung der vier Grundverhaltensmuster
Man sagt ja, auf dieser Welt gäbe es zwei Arten von Menschen: diejenigen, die die Menschheit in zwei Gruppen einteilen, und diejenigen, die das nicht tun. Ich gehöre eindeutig zur ersten Sorte. Die menschliche Natur interessiert mich nun mal brennend, und ich versuche, immer und überall Muster aufzuspüren in dem, was wir tun, und dafür Gründe zu finden.
Viele Jahre lang habe ich mich ausführlich damit befasst, wie unser Glück mit unseren Gewohnheiten zusammenhängt. Dabei wurde mir immer klarer, dass es kein einfaches Rezept gibt, sich ein glückliches, gesünderes und produktiveres Leben aufzubauen, kein Rezept, das für alle gleichermaßen taugt. Ganz im Gegenteil – was dem einen hilft, kann den anderen förmlich lähmen. So sind manche Leute eben Morgenmenschen (»Lerchen«) und andere Nachtmenschen (»Eulen«). Die einen fahren besser damit, einer starken Versuchung aus dem Weg zu gehen, die anderen damit, ihr in kleinen Dosen nachzugeben. Die einen mögen es karg und schlicht, die anderen brauchen es so opulent wie möglich.
Und das ist noch nicht alles. Während ich so über das Problem meiner Freundin nachgrübelte, beschlich mich der Verdacht, hinter solch eher oberflächlichen Unterschieden wie dem zwischen »Lerchen« und »Eulen« müsse sich eine grundsätzliche Verschiedenheit verbergen, die das Naturell der meisten Menschen entscheidend prägt. Etwas sehr Grundlegendes und doch Klares und Eindeutiges. Dennoch wusste ich nicht, was es hätte sein können.
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, bat ich die Besucher meiner Website, mir ein paar Fragen zu beantworten. Zum Beispiel »Wie stehen Sie zu Neujahrsvorsätzen?«, »Halten Sie sich an die Verkehrsvorschriften und warum beziehungsweise warum nicht?« und »Würden Sie sich einfach zum Spaß zu einem Kurs anmelden?« … Bald konnte ich in den zahlreich eingehenden Antworten wiederkehrende Muster ausmachen. Es war fast schon ein bisschen unheimlich – als hätten die Leute ihre Beantwortungen gruppenweise abgesprochen.
So fiel zum Beispiel die Antwort auf die Frage nach den Neujahrsvorsätzen bei einer ganzen Reihe nahezu wortgleich aus: »Wenn es sinnvoll ist, halte ich mich an Vorsätze, aber ich fange damit nicht unbedingt am Neujahrstag an, weil der 1. Januar ein vollkommen willkürliches Datum ist.« Eine bestimmte Gruppe benutzte durch die Bank den Begriff »willkürlich«. Diese spezielle Wortwahl faszinierte mich, denn dass der 1. Januar ein »willkürliches« Datum sein könnte, hatte mir noch nie schlaflose Nächte bereitet. Trotzdem gaben all diese Menschen dieselbe Antwort – was also hatten sie gemeinsam?
Eine andere wiederkehrende Antwort war: »Ich fasse zu Neujahr keine guten Vorsätze mehr, weil ich es doch nie schaffe, sie einzuhalten – ich nehme mir einfach nie genug Zeit für mich selbst.« Bei einer dritten Gruppe ließen sich die Antworten auf folgenden Nenner bringen: »Ich fasse keine Neujahrsvorsätze, weil ich mich nicht selbst einschränken will.« Dahinter steckte ein Schema, so viel war klar, doch ich kam immer noch nicht dahinter, welches.
Nach ein paar Monaten verschärften Nachdenkens hatte ich schließlich meinen Heureka-Moment. Ich saß zu Hause an meinem Schreibtisch und warf einen zufälligen Blick auf meine wild zusammengekritzelte To-do-Liste – da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die einfache, alles entscheidende Frage war: »Wie reagiert ein Mensch auf Erwartungen?« Hurra, das war’s!
Endlich hatte ich den entscheidenden Punkt entdeckt. Ich war so aufgeregt, wie Archimedes es gewesen sein musste, als er in seinen Zuber stieg und das Prinzip der Wasserverdrängung entdeckte.
Ich saß ganz still da, doch in meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was hatte es wohl auf sich mit den Erwartungen? Die zweite Erkenntnis war, dass jeder Mensch sich mit zwei Arten von Erwartungen konfrontiert sieht:
Von diesem Punkt an vollzog sich meine Erleuchtung mit folgendem Ergebnis: Je nach Reaktion auf äußere beziehungsweise innere Erwartungen gehört ein Mensch zu einem der folgenden vier Persönlichkeitstypen:
Es war tatsächlich so simpel. Mit seiner Antwort auf eine einzige einfache Frage lässt sich jeder Mensch einer dieser Kategorien zuteilen.
Jetzt begriff ich auch, warum meine Freundin solche Probleme damit hatte, wieder regelmäßig zu joggen: Sie gehörte zum Typus der Teamplayer. Als sie noch Teil einer Gemeinschaft war und ihr Coach Erwartungen an sie richtete, fiel es ihr leicht, zum Training zu kommen. Sobald sie nur noch mit ihren eigenen Erwartungen konfrontiert war, wurde es schwierig. Ich verstand nun auch, wieso es bei der Frage nach den Neujahrsvorsätzen so viele wiederkehrende Kommentare gegeben hatte. Und das war nur der Anfang meiner tiefgreifenden Erkenntnisse.
Das Rätsel um die auffälligen Ähnlichkeiten in den Verhaltensmustern, die ich bemerkt hatte, war mit dem System der vier Tendenzen im Verhalten gelüftet. Damit konnte ich eine sinnvolle Erklärung für ein Phänomen liefern, das zwar alle anderen auch schon beobachtet, aber nie wirklich wahrgenommen hatten.
Als ich das System der vier Grundverhaltensmuster in Gestalt von vier symmetrisch angeordneten, sich überschneidenden Kreisen auf ein Blatt malte, zeigte diese Struktur die Schönheit eines Farnwedels oder einer Nautilusmuschel. Ich hatte wirklich das Gefühl, ein Naturgesetz entdeckt zu haben: den Bauplan der menschlichen Natur.
Na ja, vielleicht glich meine Erleuchtung auch eher dem Aufsetzen des »Sprechenden Huts« aus Harry Potter, der in Hogwarts beurteilt, in welches der vier Häuser der Schulanfänger am besten passt.
Sobald mir das System der vier Tendenzen klar war, ging es darum, mein Verständnis zu vertiefen. Diese vier Menschentypen wurden zur Grundlage meines Buchs Erfinde Dich Neu,1 in dem es darum geht, wie man seine Gewohnheitsmuster ändern kann. Ich habe darüber auch auf meiner Website gretchenrubin.com geschrieben.2 Meine Schwester und Co-Moderatorin Elizabeth Craft und ich haben das Thema zudem in unserem wöchentlichen Podcast »Happier with Gretchen Rubin« diskutiert. Immer wenn es um dieses System ging, gab es lebhafte Reaktionen vonseiten der Zuhörer beziehungsweise Leser.
Den meisten genügte eine kurze Beschreibung, um ihr Grundverhaltensmuster herauszufinden. Für alle, die sich nicht sicher sind beziehungsweise ihre Antworten ausgewertet haben wollen, habe ich einen entsprechenden Fragebogen entwickelt. Dieser Fragebogen, den Sie in Kapitel 2 finden, ist mittlerweile von Hunderttausenden Menschen beantwortet worden. Aus ihren teils vorformulierten, teils freien Antworten konnte ich viele weitere wertvolle Einsichten gewinnen. So stellte ich zum Beispiel fest, dass es einen klar erkennbaren Zusammenhang gibt zwischen der Tendenz eines Menschen und seiner Bereitschaft, den Fragebogen auszufüllen. So wollen Hinterfrager manchmal wissen: »Warum soll ich Zeit und Mühe darauf verwenden, all diese Fragen zu beantworten?« Von den Rebellen hingegen kamen Reaktionen wie: »Sie wollen, dass ich diesen Test mache? Nein, das fällt mir gar nicht ein.«
Um meine Beobachtungen bezüglich der vier Grundverhaltensmuster zu überprüfen, beschloss ich, eine Studie mit einer nach Geschlecht, Alter, Wohnort und Haushaltseinkommen gestreuten repräsentativen Testgruppe durchzuführen, die die US-amerikanische Bevölkerungsstruktur widerspiegelte.3
Was ist nun die wichtigste Erkenntnis, die ich aus meiner Studie gewonnen habe? Die prozentuale Verteilung der vier Persönlichkeitstypen in der Bevölkerung. Mit 41 Prozent lagen die Teamplayer an der Spitze, gefolgt von den Hinterfragern mit 24 Prozent. Die Rebellen stellten mit 17 Prozent die am schwächsten besetzte Gruppe – wobei ich überrascht war, dass ihre Prozentzahl überhaupt so hoch lag. Die Gruppe, zu der auch ich gehöre, die Pflichterfüller, lag knapp über 19 Prozent. Diese Studie bestätigte viele der Beobachtungen, die ich mit den vier Tendenzen gemacht hatte. So sind zum Beispiel die Pflichterfüller diejenigen, die am wahrscheinlichsten Neujahrsvorsätze fassen, während die Rebellen dafür gar nichts übrig haben. Hinterfrager fassen gute Vorsätze dann, wenn ihnen der Zeitpunkt angemessen scheint, und warten damit nicht bis zu einem willkürlich gewählten Datum. Die Teamplayer hingegen haben es meist aufgegeben, überhaupt Vorsätze zu fassen, weil sie sie doch nie einhalten.
Als ich das System weiter ausarbeitete, wies ich jeder Tendenz zudem eine eigene Farbe zu, wobei ich mich zunächst an einer Verkehrsampel orientierte. Gelb steht für die Hinterfrager, weil sie – wie das Gelblicht, das uns signalisiert, zu »warten« und zu entscheiden, ob wir stehen bleiben oder weiterfahren wollen – ständig meinen: »Warte mal! Wieso denn?«, ehe sie irgendwelchen Erwartungen entsprechen. Grün steht für die Teamplayer, die bereitwillig »losgehen«. Rot steht für die Rebellen, die zum »Stopp« neigen, zum Neinsagen. Da Ampeln bekanntlich nur drei Farben haben, wählte ich Blau für die Pflichterfüller, was mir auch ganz passend schien.
Je intensiver ich mich mit den vier Tendenzen beschäftigte, desto deutlicher wurde mir, welch ungeheuren Einfluss sie haben. Wenn wir uns mit diesen vier Grundverhaltensmustern auseinandersetzen, werden wir uns selbst besser verstehen. Und sich selbst zu kennen ist eine entscheidende Voraussetzung für ein glückliches Leben. Denn das Leben gelingt nur, wenn es sich auf unser innerstes Wesen, unsere wahren Interessen und Werte gründet.
Doch das Wissen um diese vier »Happiness-Typen« ermöglicht uns auch, andere besser zu verstehen, was nicht minder wichtig ist. Wissen wir, zu welchem Typus unsere Mitmenschen – Kollegen, Chefs, Lehrer, Trainer, Ehepartner, Kinder, Therapeuten oder Patienten – gehören, so können wir unser Zusammenleben und unser Schaffen fruchtbarer und kooperativer gestalten.
Kurz, die vier Tendenzen zu kennen und zu verstehen ermöglicht uns ein umfassenderes Verständnis der Welt.
Wie diese Muster unseren Charakter prägen
Unsere Tendenzen sind angeboren und haben nichts zu tun mit der Position in der Geschwisterfolge, dem Erziehungsstil unserer Eltern, unseren religiösen Prägungen oder unserem Geschlecht. Sie hängen auch nicht damit zusammen, ob wir intro- oder extravertiert sind. Es hat keinerlei Bedeutung, ob wir allein zu Hause, bei der Arbeit oder mit Freunden zusammen sind. Selbst das Alter hat keinerlei Einfluss auf die Muster. Wir kommen schon mit einer dieser vier Tendenzen auf die Welt.
Tatsächlich fallen so gut wie alle Menschen in eine dieser vier Kategorien, und das in einem Maße, das mich selbst erstaunt. Zwar kann es bei einem Kind mitunter schwierig sein, seine Tendenz eindeutig zu bestimmen (bei einer meiner Töchter zum Beispiel bin ich mir immer noch nicht sicher, welcher Kategorie sie angehört), doch sobald wir erwachsen sind, beherrscht eine eindeutig bestimmbare Tendenz unsere Weltsicht und unser Verhalten auf eine sehr grundlegende Weise. Und sofern sich unser Charakter nicht durch dramatische Erfahrungen wie zum Beispiel eine Nahtoderfahrung, eine schwere Krankheit oder ein massives Suchtproblem grundlegend verändert, bleibt dieses Verhaltensmuster unverändert bestehen.
Freilich kann sich unsere Tendenz je nach Zeit und Lebensumständen als mehr oder weniger hilfreich herausstellen. Einem Hinterfrager kann seine Gewohnheit, Dinge in Zweifel zu ziehen, in Nordkorea eine Gefängnisstrafe einbringen, im Silicon Valley dagegen eine Beförderung.
Es ist auch nicht so, dass Menschen mit derselben Tendenz einander gleichen wie Abziehbilder, vielmehr sind die Persönlichkeitsprofile auch in sich breit gefächert. Ganz egal, welcher Tendenz sie angehören, manche Menschen sind umsichtiger als andere, ehrgeiziger, intellektueller, herrschsüchtiger, charismatischer, freundlicher, vorsichtiger, tatkräftiger oder risikofreudiger. Eigenschaften wie die eben genannten beeinflussen den individuellen Ausdruck der jeweiligen Tendenz massiv. Ein ehrgeiziger Rebell, der ein angesehener Geschäftsmann werden möchte, wird sich anders verhalten als ein »Typgenosse«, dem das Karrieremachen gleich ist.
Nun behaupten viele, sie seien ein Mischtyp, zum Beispiel Pflichterfüller ebenso wie Teamplayer. Andere meinen, dass ihre Tendenz sich je nach Umfeld ändere. Das klingt zunächst durchaus plausibel, doch sobald ich ein wenig nachhake, zeigt sich, dass die Betreffenden sich so gut wie immer problemlos einer bestimmten Kategorie zuordnen lassen.
Natürlich teilen Menschen oft gewisse Merkmale mit den Verhaltensmustern, die sich mit ihren eigenen überschneiden (siehe dazu jeweils den Abschnitt über die unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Tendenzen). Dennoch bleiben sie fest in ihrer Kerntendenz verankert.
Und natürlich trifft es zu, dass jeder von uns auch ein bisschen was vom Pflichterfüller hat, vom Hinterfrager, vom Teamplayer und vom Rebellen, ganz egal, was unsere Haupttendenz sein mag.
Wir alle erfüllen Erwartungen, die an uns herangetragen werden, wenn wir die Konsequenzen, die sich aus deren Nichtbeachtung ergeben, nicht tragen wollen. So wird auch der Rebell den Sicherheitsgurt anlegen, nachdem man ihm ein paarmal ein ordentliches Bußgeld aufgebrummt hat.
Und jeder von uns wird sich irgendwann einmal fragen, warum er tun soll, was von ihm erwartet wird, beziehungsweise auf mangelnde Effizienz genervt reagieren oder sich weigern, willkürliche Anordnungen auszuführen.
Wir alle tun Dinge, die von uns erwartet werden, wenn sie für einen anderen Menschen wichtig sind. Selbst die entschlossenste Pflichterfüllerin wird das regelmäßige Montagsmeeting sausenlassen, wenn ihr Kind sich gerade von einer Blinddarmoperation erholt.
In jedem von uns existiert das starke Verlangen nach Autonomie und Selbstbestimmung, gleich welcher Tendenz wir angehören. Wir möchten, dass man uns bittet und nicht befiehlt, etwas zu tun. Wird das Gefühl, kontrolliert zu werden, übermächtig, kann es bei dem Betreffenden eine sogenannte »Reaktanz« auslösen. Darunter versteht man eine Abwehrreaktion gegen äußeren Druck, der als Bedrohung unserer persönlichen Freiheit und als Beschneidung unserer Möglichkeiten erlebt wird.
Nachdem ich auf einer Konferenz die vier Tendenzen vorgestellt hatte, kam einmal ein Mann auf mich zu und sagte: »Meiner Meinung nach sollte jeder so schnell fahren dürfen, wie er es für sicher hält. Dann bin ich wohl ein Hinterfrager.«
Ich musste schmunzeln, doch ganz so simpel ist die Sache nicht. Zu sagen: »Ich pfeife aufs Tempolimit« macht mich noch nicht zum Hinterfrager. Ebenso wenig ist einer ein Rebell, weil er sagt: »Ich weigere mich, den Abwasch zu machen.« Oder ein Pflichterfüller, weil er gern To-do-Listen schreibt. Um herauszufinden, welcher Tendenz wir tatsächlich angehören, müssen wir uns anhand möglichst vieler Beispiele ansehen, wie wir uns normalerweise verhalten, und uns fragen, warum wir das so und nicht anders machen. So können sich beispielsweise der Hinterfrager und der Rebell weigern, eine bestimmte Erwartung zu erfüllen, doch der Hinterfrager weigert sich, weil er es für sinnlos hält, während der Rebell sich sagt: »Ich lasse mir von dir nicht sagen, was ich tun soll.«
Wie ich festgestellt habe, bringt zwar jede der vier Tendenzen ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich, doch der Teamplayer und der Rebell stellen ihre Mitmenschen gewöhnlich vor die größte Herausforderung – ob sie nun selbst dazugehören oder es mit einem Exemplar dieser Spezies zu tun haben. (Darum fallen die Kapitel über den Teamplayer und den Rebellen auch länger aus als jene über den Pflichterfüller und den Hinterfrager.)
Häufig wird versucht, das System der vier Tendenzen mit anderen Typologien zur Deckung zu bringen, angefangen beim Big-Five- oder Fünf-Faktoren-Modell über StrengthsFinder, das Enneagramm, den Myers-Briggs-Typindikator und den Charakterstärkentest der Positiven Psychologie VIA-IS oder den vier Häusern von Hogwarts.
Sosehr mich Systeme faszinieren, die mir die menschliche Natur zu verstehen helfen, sosehr halte ich es dennoch für einen Fehler, diese Methoden gleichzusetzen. Hinter jedem dieser Modelle steckt eine bestimmte Erkenntnis, die verloren ginge, wollte man sie in einen Topf werfen. Kein einzelnes System kann die menschliche Natur in ihrer Tiefe und Vielfalt vollständig erfassen.
Zudem bin ich der Auffassung, dass die meisten dieser Persönlichkeitsmodelle viel zu viele Aspekte in ihr System packen wollen. Dagegen beschränken sich die vier Tendenzen auf einen kleinen Ausschnitt des menschlichen Charakters, einen sicher bedeutsamen, aber eben nur einen Ausschnitt der vielfältigen Facetten, die einen einzelnen Menschen ausmachen. Die vier Tendenzen bieten eine Erklärung, warum wir aktiv werden beziehungsweise warum wir inaktiv bleiben.
Vom Nutzen, die eigene Tendenz zu kennen
Wenn ich über die vier Tendenzen spreche, habe ich manchmal den Eindruck, dass meine Zuhörer herauszufinden versuchen, welches nun das »beste« Grundverhaltensmuster ist, um sich dann in dieses wie in ein Korsett zu quetschen. Doch es gibt kein bestes beziehungsweise schlechtestes Grundverhaltensmuster. Die glücklichsten, gesündesten und produktivsten Menschen sind all dies nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie. Es liegt vielmehr daran, dass sie gelernt haben, sich die Stärken ihrer Tendenz zunutze zu machen, deren Schwächen auszugleichen und sich ein Leben aufzubauen, das für sie stimmig ist.
Mit der Einsicht, der Erfahrung und Selbsterkenntnis, die wir durch das System der vier Tendenzen gewinnen, können wir unsere Zeit produktiver nutzen und bessere Entscheidungen treffen. Der Druck im Leben lässt nach, wir werden gesünder, und die Beziehungen zu unseren Mitmenschen werden befriedigender.
Wissen wir dagegen nicht, wo wir im System der vier Tendenzen stehen, gelingt es uns vielleicht nicht, die Gründe festzumachen, aus denen wir in einer bestimmten Situation scheitern beziehungsweise Erfolg haben. Ein Literaturagent unter meinen Lesern hat mir einmal Folgendes erzählt: »Ich vertrete einen Journalisten, der bei der Zeitung, für die er schrieb, exzellente Arbeit geleistet hat. Nie Terminprobleme, tolle Arbeitsmoral. Jetzt hat er sich eine Auszeit vom Journalistendasein genommen, um ein Buch zu schreiben, und seit Monaten eine Schreibblockade.«
»Ich wette, er hat gar keine Schreibblockade. Vielleicht gehört er zu den Teamplayern«, erwiderte ich. »Solange er immer knappe Termine hatte und entsprechend Druck von außen bekam, hatte er keine Probleme, etwas zu Papier zu bringen. Doch mit einem offenen Termin und wenig Kontrolle bringt er nichts zuwege. Vielleicht sollte er seinen Verleger bitten, sich jede Woche mit ihm zu treffen. Oder er könnte sich einer Schreibgruppe anschließen. Vielleicht geben auch Sie ihm vor, dass er jeden Monat so und so viele Seiten abliefern soll. Denn er braucht eine äußere Instanz, der gegenüber er Rechenschaft ablegen muss.«
Ebenso kann es vorkommen, dass wir in Unkenntnis der vier Verhaltensmuster völlig unrealistische Vorstellungen entwickeln, inwieweit ein Mensch sich ändern kann. So schrieb mir eine Frau:
Mein Mann ist Rebell, und ich finde die Aussicht, dass das tatsächlich sein Charakter ist und er sich nie ändern wird, nicht gerade ermutigend. Kann es sein, dass ein Rebell ein Mensch ist, der schlicht und einfach nicht erwachsen werden will, der nicht begreift, dass man in der Welt nicht nur tun kann, worauf man gerade Lust hat? Ist es möglich, dass er das eines Tages versteht?
Ich wollte es ihr nicht so direkt sagen, aber lieber Himmel, nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich ändern wird.
Oft werde ich auch gefragt: »Sollte ich meine Berufswahl an meiner Tendenz ausrichten?« Grundsätzlich lässt sich jeder der vier Typen mit fast jeder Art von Beruf vereinbaren, doch es ist eine interessante Überlegung, welche Wechselwirkungen es zwischen unserer persönlichen Tendenz und einem eventuellen Beruf geben könnte. So kenne ich zum Beispiel einen Hundetrainer, der ein klassischer Pflichterfüller ist. Genauso geht er auch an seine Arbeit heran. Doch kann ich mir gut vorstellen, dass auch ein Hinterfrager, ein Teamplayer oder ein Rebell diesen Job macht.
Während Menschen jeder Tendenz grundsätzlich jeden Beruf ausüben können, heißt das nicht, dass sie das auch sollten. Die vier Kategorien helfen uns herauszufinden, warum uns bestimmte Beschäftigungen mehr Spaß machen als andere – oder eben weniger. Ein Leser schrieb mir zum Beispiel: »Jetzt verstehe ich, warum ich meinen Beruf verabscheue. Ich bin ein hundertprozentiger Hinterfrager und Steuerberater. Ich habe eigentlich nicht die geringste Lust, mich ständig über irgendwelche willkürlichen Regelungen zu informieren, die völlig sinnfrei sind.«
Wenn wir unsere Tendenz kennen, haben wir vielleicht mehr Mitgefühl mit uns selbst, weil wir sehen: »He, ich bin der und der Typ. Es stimmt ja gar nicht, dass mit mir was nicht in Ordnung ist. Ich kann durchaus das Beste aus mir machen.« Eine Pflichterfüllerin schrieb mir: »Alle haben mir immer gesagt, ich solle doch mal lockerlassen: meine Eltern, mein verstorbener Mann und letztens auch noch meine Tochter. Jetzt weiß ich, dass ich mich einfach wohler fühle, wenn ich Regeln befolge, die ich mir selbst gesetzt habe.«
Und ein rebellischer Leser erklärte mir einmal:
Als ich herausfand, dass ich ein Rebell bin, verstand ich plötzlich, warum mir all die Jahre Psychotherapie nichts gebracht hatten. Wir analysierten meinen Mangel an Disziplin, probierten und verwarfen alle möglichen Techniken, die sich letztlich nur als kontraproduktiv erwiesen. (Verantwortungsgefühl? Pff!) Es ist ja nicht nur so, dass gewisse Techniken beim Rebellen ins Leere laufen. Man sagt uns auch ständig (und wir glauben das), mit uns stimme etwas nicht. Ein ansonsten hoch funktionaler, höchst erfolgreicher Erwachsener, der es trotzdem nicht auf die Reihe kriegt, seine Rechnungen pünktlich zu bezahlen, seine Projekte abzuschließen oder überhaupt bei der Stange zu bleiben, egal, was er tut? Der es nicht schafft, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen – nicht mal seine eigenen? Das ist nicht nur ungewöhnlich, in der heutigen Welt gilt das als geradezu krankhaft. Ihr System zeigt uns Rebellen, dass das nicht stimmt. Es war eine grenzenlose Erleichterung für mich, mich statt auf meine Fehler auf das konzentrieren zu können, was für mich funktioniert.
Die folgende Zuschrift erhielt ich von einem Teamplayer:
Ich schreibe fürs Fernsehen und habe mir wegen meiner Unfähigkeit, jede Art von selbstgesetzten Terminen einzuhalten, immer fürchterliche Vorwürfe gemacht, während ich bei meinen Chefs als pflichtbewusster Angestellter meine Texte stets pünktlich abgeliefert habe.
Ich gab diesem Charakterzug viele Namen: Faulheit, Verantwortungslosigkeit, Kleinkind in Erwachsenenschuhen und noch ein paar mehr, die Ihr Spamfilter wohl aussortieren würde. Dann haben Sie mir einen neuen Namen verpasst: Teamplayer. Und damit auch eine Möglichkeit, mich selbst zu akzeptieren. Nun kann ich den Selbsthass beiseiteschieben und mir Strategien überlegen, wie ich mich selbst dazu bringe, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Seitdem bin ich nicht nur produktiver geworden, sondern auch, was wichtiger ist, sehr viel glücklicher.
Wenn wir unseren Persönlichkeitstyp kennen, können wir uns vieles so »hinbiegen«, dass unsere Erfolgsaussichten steigen. Unser grundlegendes Naturell zu ändern ist so gut wie unmöglich. Die äußeren Umstände so anzupassen, dass sie unserer Tendenz entgegenkommen, ist dagegen relativ einfach – ob wir uns nun um mehr Klarheit, um sinnvolle Begründungen, Druck von außen oder um mehr Freiheit bemühen müssen. Unsere Tendenz besser zu verstehen ermöglicht es uns, die Art von äußeren Umständen zu schaffen, in denen wir gedeihen können.
Vom Nutzen, die Tendenz unserer Mitmenschen zu kennen
Umgekehrt werden wir auch im Umgang mit anderen verständnisvoller, wenn wir ihr Grundverhaltensmuster kennen. Schon allein deshalb, weil wir sehen, dass ihre Handlungsweise sich nicht gegen uns als Person richtet: Der Hinterfrager zieht nicht dauernd alles in Zweifel, weil er seinen Vorgesetzten demontieren oder die Autorität seines Professors infrage stellen will. Er hat immer irgendwelche Fragen. Wie hilfreich es sein kann, die Tendenz eines anderen Menschen zu kennen, zeigt dieser Leserbrief: »Ich wohne jetzt sieben Jahre mit einem Rebellen zusammen. Es beruhigt mich zu wissen, dass seine Art zu leben für ihn ebenso natürlich ist wie meine als Teamplayerin für mich.«
Kennen wir die individuelle Tendenz eines Menschen, können wir ihn möglicherweise auch leichter überzeugen, ermutigen oder unnötige Konflikte vermeiden. Ohne dieses Wissen würden unsere Worte vielleicht sinnlos verpuffen oder sogar das Gegenteil von dem bewirken, was wir eigentlich angestrebt haben. Tatsache ist nun mal, dass wir den richtigen Ton treffen müssen, wenn wir wirklich mit einem Menschen kommunizieren wollen – und zwar seinen Ton, nicht den unseren. Die Kenntnis der vier Tendenzen macht es uns leichter, unsere Argumente so zu wählen, dass sie das Wertesystem unseres Gegenübers ansprechen.
Nehmen wir auf das Grundverhaltensmuster eines anderen keine Rücksicht, sinken unsere Chancen zu bekommen, was wir wollen. Je mehr der Pflichterfüller den Rebellen schulmeistert, umso stärker wird sich dieser verweigern (Reaktanz). Ein Hinterfrager mag einem Teamplayer ein Dutzend vernünftiger Gründe nennen, warum es für ihn gut wäre, dies oder jenes zu tun, nur sind dem Teamplayer diese Argumente gewöhnlich egal. Entscheidend ist für ihn einzig die Verantwortung gegenüber einer äußeren Instanz.
Ein Leser hat mir die folgenden Scherzfragen und -antworten geschickt, die die Unterschiede zwischen den vier Tendenzen auf den Punkt bringen:
Wie bekommt man den Pflichterfüller dazu, eine Glühbirne zu wechseln? – Antwort: Er hat sie schon gewechselt.
Wie bekommt man den Hinterfrager dazu, eine Glühbirne zu wechseln? – Antwort: Wozu brauchen wir diese Glühbirne überhaupt?
Wie bekommt man den Teamplayer dazu, eine Glühbirne zu wechseln? – Antwort: Bitten Sie ihn, doch schnell die Glühbirne für Sie zu wechseln.
Wie bekommt man den Rebellen dazu, eine Glühbirne zu wechseln? – Antwort: Machen Sie’s doch gleich selbst.
Eine Ernährungsberaterin meinte mir gegenüber einmal: »Mein Ziel ist es, die Ernährungsgewohnheiten der Menschen in diesem Land zu verändern. Zu diesem Zweck schreibe ich gerade ein Buch, in dem ich darlege, wie kulturelle und wirtschaftliche Gegebenheiten unsere Ernährungsweise beeinflussen.« Und sie war tatsächlich der festen Überzeugung, ihr Buch würde landauf, landab die Essgewohnheiten der Menschen modifizieren, wenn sie ihre Argumente nur logisch genug darlegen könnte. Auch das ist eine echte Hinterfragerin!
Für eine erfolgreiche Kommunikation mit anderen Menschen müssen wir also auf der Wellenlänge ihrer Tendenz funken und nicht auf unserer eigenen. Das gilt für Ärzte und Professoren ebenso wie für Trainer, Chefs, Partner, Kollegen, Lehrer, Nachbarn oder wen auch immer Sie zu einem bestimmten Verhalten bewegen möchten. Kurz: Diese Regel gilt für uns alle.
Selbst wenn wir uns an ein größeres Publikum wenden, können wir unsere Botschaft so formulieren, dass sie bei den Vertretern aller vier Tendenzen einen Nerv trifft. Ein Beispiel für die kreative Umsetzung dieses Prinzips konnte ich erleben, als ich einmal als Rednerin zu einer Entwicklerkonferenz eines Unternehmens geladen war. Ehe mich der Abteilungsleiter seinen Leuten vorstellte, erklärte er ihnen lang und breit, warum es wichtig sei, dass die Teilnehmer sich zur rechten Zeit und am rechten Ort zu den weiteren Seminaren dieses Wochenendes einfinden sollten. Nach meinem Vortrag hörte ich zu meinem Entzücken, wie er sich mit seinen Mahnungen noch einmal gezielt an jede der vier Grundtypen wandte:
Den Pflichterfüllern möchte ich schon im Voraus dafür danken, dass sie meiner Bitte um Pünktlichkeit nachkommen. Den Hinterfragern unter Ihnen habe ich jede Menge von Gründen genannt, warum Sie zu allen Meetings rechtzeitig erscheinen sollten. Die Teamplayer habe ich besonders im Auge und zähle auf ihr pünktliches Erscheinen. Und den Rebellen sage ich: Heben Sie sich das für später an der Bar auf.
Besser geht’s nicht!
Die Worte, die wir wählen, werden je nach Tendenz ganz unterschiedlich aufgenommen. Ist unser Kind ein Rebell, haben wir vielleicht mehr Erfolg, wenn wir fragen: »Möchtest du jetzt gern Klavier spielen?« Ein Pflichterfüller-Kind hingegen hört es lieber, wenn wir es erinnern: »Zeit zum Klavierspielen.«
Im Gesundheitswesen entstehen regelmäßig immense Zusatzkosten, weil Patienten einfach nicht auf ihre Ärzte hören. In unseren westlichen Gesellschaften sind die Hauptursachen für Krankheit und Tod ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie das Rauchen. Nun sind dies aber Verhaltensweisen, die wir durchaus beeinflussen und ändern könnten. Sicher bringen wir die Menschen eher dazu, weniger Zucker zu essen, täglich zwanzig Minuten zu Fuß zu gehen, ihre Reha-Übungen zu machen, keinen Alkohol mehr zu trinken und ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen, wenn die Ärzte sie so anpacken, wie es ihrer Tendenz entspricht.
Bei alldem dürfen wir aber nicht vergessen, dass das System der vier Tendenzen letztlich uns selbst helfen soll, uns besser zu verstehen und nicht unsere Identität und unsere Chancen zu begrenzen. Manche Leute meinen ja, sich selbst zu definieren heiße, sich Grenzen zu setzen. Ich dagegen bin der Ansicht, dass solche Charaktertypologien ausgesprochen hilfreich sind, weil sie uns einen Ariadnefaden an die Hand geben, mit dem wir in das Labyrinth unseres Selbst eintauchen können. Das System der vier Tendenzen ist kein Schubladenmodell, das unser Wachstum begrenzt, und auch kein Etikett, das alles sagt, was es über uns zu erzählen gibt. Es wirkt vielmehr wie ein Punktstrahler, der verborgene Aspekte unserer Natur ans Licht bringt.
Sobald wir uns selbst verstehen und begreifen, wie unsere Tendenz unsere Weltwahrnehmung prägt, können wir darangehen, unsere äußere Situation gegebenenfalls so umzugestalten, dass sie sich besser mit unserer inneren Natur verträgt. Und wenn wir dann noch verstehen, wie die Sichtweise anderer Menschen durch deren Tendenz geprägt wird, können wir konstruktivere Beziehungen zu ihnen aufbauen.
Mit dem Wissen um die vier Grundtypen werden wir die Erfahrung machen, dass eine geringfügig veränderte Wortwahl, ein kurzes Gespräch oder eine leichte Änderung an einem festgelegten Ablauf schon genügen können, damit der andere ein negatives Verhalten ändert. Und das ist schließlich, worauf es im Umgang miteinander ankommt: Wenn ein Patient seine Blutdruckmedikamente künftig regelmäßig nimmt, lebt er länger. Wenn eine Studentin sich an die Vorgaben ihrer Dozentin halten kann, bekommt sie ihren Schein fürs Seminar. Wenn ein Mann und eine Frau in aller Ruhe miteinander reden können, dann trägt auch ihre Ehe. Und wenn ich am Wochenende keine beruflichen E-Mails an die Leute schicke, mit denen ich arbeite, gehe ich ihnen nicht auf die Nerven …