Zugegeben: mir, dem Sohn rundum protestantischer Eltern, hat nie ein Beschneidungsmesser gedroht. Und dennoch, die Art, wie die Debatte des vergangenen Sommers abgewürgt wurde, wie der Rechtsstaat vor den Frommen kapitulierte und Kritik als Häresie verfolgte, finde ich empörend und gefährlich. Darum diese Streitschrift, die freilich ohne Meinhard Schmidt-Degenhard, dem mein erster Dank gebührt, wohl nie geschrieben worden wäre. Ende Juni 2012 rief mich der Fernseh-Kirchenredakteur des Hessischen Rundfunks an, ein Aufrechter mit viel diplomatischem Geschick, und fragte, ob ich Interesse habe, eine ARD-Reportage zum kontroversen Thema der Beschneidung zu drehen. Ich habe das Angebot gerne angenommen. Einiges meiner Fernseharbeit zum Streitfall Beschneidung ist in diesen Essay eingeflossen. Ich hatte großartige Interviewpartner: Reinhard Merkel verdanke ich die Formulierung vom »Sündenfall des Rechtsstaats« und Michael Wolffsohn die Einsicht, dass es sich lohnt, lang gehegte Feindbilder gelegentlich zu überprüfen.
Mir schien es allerdings reizvoll, das Thema noch einmal grundsätzlicher – und ein wenig meinungsfreudiger anzugehen, jenseits des Fernsehens und seiner von den Hierarchen, gerade in Fragen des Glaubens, zunehmend eingeklagten Ausgewogenheit. Mein sturmerprobter Lektor Thomas Schmitz, der meine Bücher nun bald 15 Jahre solidarisch begleitet, hat mich dazu ermuntert. So konnte diese Streitschrift entstehen, deren Dramaturgie sich »aus gegebenem Anlass« immer wieder verändert hat. Die Beschneidungsdebatte steht in der Rückschau exemplarisch für ein Verhältnis von Staat und Kirche, das kräftig aus dem Lot geraten ist. Großer Dank gebührt Juliane Köhler, die das Projekt von Anfang an begleitet hat und beim Lesen des Manuskripts so manche konstruktive Anmerkung beisteuerte, meiner Mitarbeiterin Bettina Bundschuh, die mich in den vergangenen Monaten mehr als nur einmal gerettet hat ... und Antonia natürlich, again and again.
Tilman Jens, im März 2013
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