GIPFELpink

Stina Jensen

Sótano

Inhalt

Über die Autorin

Das Buch

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Die Vorgeschichte

Leseprobe GIPFELrot

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Über die Autorin

Über die Autorin

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm.

Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.

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Das Buch

So hat Susa sich das nicht vorgestellt: Ihren vierzigsten Geburtstag soll sie ohne ihren Mann Tobi verbringen, weil ihm der Job mal wieder wichtiger ist. Kurzentschlossen bucht sie eine Single-Reise nach Teneriffa. Durch einen Buchungsfehler ist dort allerdings statt Sonne, Strand und Meer Wandern auf dem Vulkan angesagt!

Zum Glück ist da der attraktive Sebastian, der ihre wunden Füße mit Pflastern versorgt. Seine liebevollen Aufmerksamkeiten sind wohltuend wie die pinkfarbenen Blüten inmitten der kargen Berglandschaft.

Während Susa Gipfel erklimmt, wächst zu Hause bei Tobi die Unsicherheit. Würde Susa ihn jemals betrügen – oder hat sie es gar schon getan?

Aus der Ferne versucht sie, ihn zu beruhigen – dabei stellt sich heraus, dass auch ihr Mann so seine Geheimnisse hat. Wer muss hier eigentlich wem verzeihen? Und gibt es überhaupt noch Hoffnung auf ein neues Kribbeln in ihrer alten Liebe?

Sebastian macht ihr mit seiner charmanten Art die Antwort auf diese Frage nicht leicht …

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

obwohl ich mir Mühe gebe, bei den Ortsbeschreibungen so exakt wie möglich zu bleiben, komme ich nicht darum herum, die örtlichen Gegebenheiten teilweise den Erfordernissen der Handlung anzupassen. Sollten Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen bestehen, wären sie rein zufällig.

Prolog

Es gibt diese Momente im Leben, die du niemals vergisst.

Der erste Kuss ist so einer. Oder auch der zweite, der dann hoffentlich besser gelingt als der davor.

Der Augenblick, wenn du alleine Fahrradfahren kannst.

Der allererste Sprung vom Fünfmeterbrett mit angehaltenem Atem.

Die Frage des Standesbeamten, die du aus vollem Herzen mit »Ja« beantwortest.

Der Blick in die Augen deines neugeborenen Kindes.

Die Sekunde, in der du erkennst, dass dein Vater gestorben ist.

Und der Moment, wenn dein Ehemann, mit dem du seit zweiundzwanzig Jahren zusammen bist, an einem Ort auftaucht, an dem du niemals im Leben mit ihm gerechnet hättest. Die Schrecksekunde, in der du realisierst, ihm erklären zu müssen, was du gerade tust. Mit diesen beiden Männern. Und wie es dazu kam.

Diese Momente vergisst du nie wieder.

1

Alles begann an einem jener Tage, an denen ich mich besonders verloren fühlte. An denen ich mich fragte, ob ich an den verschiedenen Abzweigungen, die das Leben in fast vierzig Jahren für mich bereitgehalten hatte, zu oft falsch abgebogen war. In solchen Momenten, in denen mir eigentlich nur zum Weinen zumute ist, zerstreut es mich, das Haus sauberzumachen. Mein Verdacht lautet, dass die Frauen, deren Häuser besonders sauber sind, sich sehr oft verloren fühlen. Eigentlich ist diese immerwährende Putzerei doch nur eine Ablenkung vom Wesentlichen. Verstaubte Regalflächen zu reinigen ist nun mal viel einfacher, als in seinem Leben aufzuräumen. Jedenfalls ging es mir an diesem Tag gar nicht gut.

Zum einen, weil mein Mann Tobi wie so oft seit Tagen auf Geschäftsreise war und sich kaum meldete – und deshalb zum wiederholten Male die Frage in mir bohrte, ob ich ihm komplett gleichgültig war. Zum anderen lag mein vierzigster Geburtstag vor mir. Ich meine: 40! Das klang doch recht alt. Und ich hatte noch keinen Plan, was ich an diesem denkwürdigen Tag eigentlich anstellen wollte. Irgendetwas Außergewöhnliches und Aufregendes wäre schön.

Bislang hatte ich noch nicht viel Aufregendes erlebt. Nur eine Sache hatte mich über alle Maßen in Unruhe versetzt, aber die versuchte ich nun schon seit zwei Jahren auszublenden. Es gibt nämlich Dinge, die sind zu aufregend.

Ich hatte mir jedenfalls vorgenommen, zusätzlich zum Reinemachen mal wieder ein paar Kleider auszumisten – es sammelt sich im Laufe der Jahre verdammt viel an.

Dabei stieß ich in meiner Strumpfschublade unter all den einzelnen Socken und Feinstrumpfhosen auf mein altes Tagebuch. Die Außenseite des Heftes zierte das unverwechselbare Abbild von Hello Kitty. Es war das einzige Tagebuch, das ich je besessen hatte. Kurz blätterte ich darin. Der erste Vermerk stammte aus dem Jahr 1992, als ich zwölf Jahre alt war. Insgesamt waren es neun Einträge, in denen ich besondere Ereignisse meines Lebens festgehalten hatte. Nicht besonders viele – das allein sprach doch Bände. Die letzte Notiz war ein Jahr alt.

Ich setzte mich aufs Bett und schlug die erste Seite auf. Nur fünf Minuten. Solange konnte der Hausputz warten.


1. Juli 1992

Hallo liebes Tagebuch!

Du gehörst jetzt mir, Susanna Weninger, geboren am 4. Juli 1980. Ich habe dich gekauft, weil heute mein allergrößter Traum in Erfüllung geht. Ich fliege zum allerersten Mal mit einem Flugzeug. Nach Teneriffa!!!! Gleich kommt das Taxi, und dann geht es los zum Flughafen. Ich freu mich so, aber eins macht mich doch ein bisschen traurig. Dass ich meinen zwölften Geburtstag ohne Valerie verbringen muss. Papa hat gesagt, man kann nicht alles haben, und ich könnte ja noch die nächsten dreißig Jahre mit meiner besten Freundin feiern. Na ja, ich hab die Augen verdreht. Da bin ich ja dann uralt!

Jedenfalls habe ich dich gekauft, um die Reise ganz genau aufzuschreiben. Und danach, wenn noch Platz ist, kann ich weiter die wichtigsten Ereignisse meines Lebens hier festhalten.

Ich bin gespannt, was die Zukunft für mich bereithält.

Susa


Ich lächelte in mich hinein. Obwohl ich erst zwölf Jahre alt gewesen war, klang ich schon ganz schön neunmalklug. Ich erinnerte mich daran, dass ich die Worte sehr achtsam wählte, da ich keinesfalls klingen wollte wie ein Kind, und an die Freude auf diesen Urlaub, der wirklich außergewöhnlich schön war. Mit gesenktem Blick las ich weiter.


10. Juli 1992

Liebes Tagebuch, mir ist was ganz Blödes passiert. Kaum war ich auf Teneriffa, hab ich vollkommen vergessen, dass ich dich dabei hab! Oh je. Und jetzt hab ich auch gar nicht so richtig Lust, alles aufzuschreiben, was passiert ist. Außer, dass es total toll war. Wir hatten ein Hotel direkt am Strand. Mit Schwimmbad! Ich war den ganzen Tag draußen im Wasser, meine Finger waren andauernd aufgeweicht. Mama hat gemeint, mir wachsen bald Schwimmhäute. Außerdem bin ich so braun geworden wie noch nie, und mein Haar ist jetzt strohblond. Zum Glück gab es genügend andere Kinder, mit denen ich spielen konnte, sodass ich Valerie kaum vermisst habe.

Das beste Erlebnis war, als wir einen Ausflug in den Loropark gemacht haben. Das war super! Es gab eine Delfinschau, eine mit Papageien und eine mit Seehunden. Was die alle für Kunststücke draufhatten! Und Kanarienvögel gab es. Zirkusnummern konnten die aber nicht.

Was mir an diesem Urlaub auch noch besonders gefallen hat, war, dass Papa so viel Zeit für mich hatte. Er hat gesagt, das wird leider vorerst das letzte Mal sein, weil er sich selbstständig macht, er gründet eine Firma. Es soll so ein richtiges Familienunternehmen werden, bei dem Mama im Büro mitarbeitet und später auch ich, wenn ich weiter in der Schule so gut mitmache. Allerdings will ich keine Elektrikerin werden, das hab ich ihm schon mal gesagt …

Jedenfalls war es ein toller Urlaub, und ich hab mir geschworen, dass ich irgendwann mal wieder hinwill nach Teneriffa. Dann ja vielleicht auch mit Valerie.

Susa


Schmunzelnd betrachtete ich die kindlichen Zeilen. Zu einem Urlaub mit Valerie auf Teneriffa war es leider niemals gekommen, da nach meinem Schulabschluss andere Dinge passiert waren, die das verhinderten.

Plötzlich erfasste mich ein aufgeregtes Kribbeln. Wie wäre es, wenn ich meinen Vierzigsten auf Teneriffa feiern würde? Das war doch die Idee!

Schnell verstaute ich das Heft wieder unter den Socken in der Schublade. Dann ließ ich den restlichen Hausputz einfach ausfallen und setzte mich an den Computer.

2

Es war der Sonntag nach meiner unvollendeten Putzaktion, mein Sohn Ben lehnte in der Küchentür. »Was gibt’s denn so Dringendes?«, fragte er auf meine Bitte hin, sich einen Moment zu Tobi und mir in die Küche zu setzen. Mit einer fließenden Bewegung zog er den Reißverschluss seiner Trainingsjacke hoch. »Ich muss gleich los.«

Tobi und ich hatten gerade gefrühstückt. Seit einiger Zeit taten wir das allein, weil unsere Kinder so früh – zehn Uhr dreißig! – nicht aus dem Bett zu bekommen waren. Ben nahm sich meist Bananen und Erdnussbutter mit zum Training, das um zwölf Uhr stattfand.

»Setz dich einfach kurz«, bat ich ihn abermals und rief ins Treppenhaus nach meiner Tochter. »Miri! Ich wollte mal kurz mit euch reden, kommst du bitte?« Ich hatte sie schon dreimal geweckt.

Ich hörte die Badezimmertür im oberen Flur klappen, Ben zog sich einen Stuhl heran und setzte sich auf die äußerste Kante. »Was also?« Fragend zog er die Augenbrauen nach oben.

Na gut, ich konnte ja schon mal anfangen. Ich zog den Farbausdruck des Prospekts eines Reiseveranstalters von der Anrichte – ich hatte lieber was in der Hand – und legte die Zettel auf den Tisch. Das Cover zeigte die geschwungene Küstenlinie Teneriffas inmitten des Atlantiks. Im Zentrum der Insel erkannte man den schneebedeckten Vulkan Teide. Die Aufschrift des Prospekts lautete Teneriffa – Insel der Träume.

In diesem Moment schlurfte Miri in die Küche und plumpste auf ihren Stuhl, gähnte demonstrativ. Wenn sie verschlafen war, erinnerte ihr Gesichtsausdruck an den eines Faultiers. Kaum zu glauben, dass dieses Kind früher keine Sekunde stillsitzen konnte und meist gerannt war. Müde hob sie ein Augenlid und schielte in Richtung des Ausdrucks. »Was ist das?« Ihre Stimme hätte nicht gelangweilter klingen können.

»Es geht um meinen Geburtstag«, sagte ich in die Runde. »Zu meinem Vierzigsten würde ich gern eine Woche mit euch und Oma auf Teneriffa verbringen.« Erwartungsvoll sah ich meine Familie an. Als die Jubelschreie ausblieben, tippte ich auf die Bilder der Hotelanlage. »Hier. Da ist für jeden etwas dabei. Es gibt Tennisplätze, Billard, Minigolf, verschiedene Pools, Massagen und …« ich warf Tobi einen Blick zu, »rund um die Uhr kostenloses W-LAN.«

Bisher war noch kein Urlaub vergangen, in dem mein Mann nicht mal zwischendurch arbeiten musste. Nur im letzten Jahr in Husum hatte er darauf verzichtet. Aber auf dieser Reise war alles anders gewesen.

»Echt jetzt?« Miri hatte inzwischen immerhin beide Augen geöffnet. Früher hätte die Aussicht auf eine Flugreise – wir waren meist an die Nordsee gefahren – einen Freudentanz hervorgerufen. Der blieb jetzt aus. Und auch Tobi und Ben schauten irritiert drein. Es mochte ja sein, dass unsere Kinder uns schon verschiedene Male zu verstehen gegeben hatten, dass sie nicht mehr mit uns in den Urlaub wollten. Aber das hier war anders!

»Hört zu«, sagte ich, »es geht hier wie gesagt um meinen Vierzigsten. Den will ich gebührend feiern, und zwar mit euch. Aber eben nicht irgendwo hier, sondern auf der Insel, auf der ich mal sehr schöne Tage mit Opa und Oma verbracht habe. Genauer gesagt hab ich schon meinen zwölften Geburtstag dort gefeiert. Valerie werde ich auch dazu einladen, sie hat mir damals schon gefehlt.«

»Valerie?« Miri sah mich grübelnd an. »Du hast doch am 4. Juli. Wenn ich mich nicht total täusche, sind sie und Matt da auf Sardinien.«

»Auf Sardinien?«

»Terry heiratet. Du weißt doch, Matts Ex-Schwägerin, oder wie man das nennt.«

Meine Freundin Valerie lebte inzwischen in Schottland, wo sie letztes Jahr auf ihrem Trip mit meiner Tochter einen Mann – Matt – kennengelernt hatte, ohne den sie nie wieder sein wollte. Im Mai war sie Mutter eines kleinen Jungen geworden. Kurz nach der Geburt hatte ich sie schon zusammen mit Miri besucht.

Jetzt ließ mein Kind die Zunge aus dem Mund hängen wie ein Tier, das nach Wasser lechzt. »Du weißt doch außerdem, dass ich zu Jamie wollte – und jetzt hat er ja sturmfrei, wenn Matt und Valli nach Sardinien fliegen.« Jamie war der Sohn von Matt. Miri hatte sich letztes Jahr auf ihrem Schottlandtrip in ihn verliebt, und bisher schien die Liebe noch kein bisschen abgekühlt.

Hilfesuchend sah ich zu Tobi, der zwischen den Zetteln blätterte, als suchte er etwas Bestimmtes. Ihm waren Geburtstagsfeiern noch nie wichtig gewesen. Seinen eigenen Vierzigsten hatte er nicht feiern wollen, dabei hatte ich ihm ein Fest in unserem Garten vorgeschlagen. Ich hätte neben meiner Familie und Valerie seine Arbeitskollegen eingeladen, aber bei diesem Vorschlag hat er sich fast überschlagen vor Ablehnung.

Ben griff nach den Resten einer Eierschale und zerbröselte sie in kleinste Teile. »Ich wollte es dir ja schon längst sagen, Mama. Dein Geburtstag fällt genau auf den Start des Trainingcamps in Marburg. Ich hab schon zugesagt, kann da auch nicht fehlen.« Er hob die Schultern. »Ich bin der wichtigste Stürmer, das wäre echt fatal.«

»Also gut.« Ich schluckte die Enttäuschung hinunter. »Dann eben ohne euch und Valerie.« Erwartungsvoll sah ich zu Tobi. »Aber du hast doch hoffentlich nichts Besseres vor?« Zu dritt mit Mama war zwar auch nicht meine Traumvorstellung. Aber was sollte man machen?

Mein Mann rückte seine Brille gerade, dann nestelte er an seinem Hemdsärmel herum. »Ich werd wohl nicht freinehmen können«, murmelte er. »Also – nicht, dass ich nicht mit dir feiern möchte. Aber ich kann keine ganze Woche weg.« Er hob bedauernd die Schultern. »Wir haben doch …«, sein Blick flog zu Ben, der die Augen verdrehte, »… den Rollout.«

Tobi arbeitete nun schon so lange in der Software-Branche, doch was ein Rollout war, hatte ich bis heute noch nicht richtig begriffen.

Niedergeschlagen blinzelte ich die aufsteigenden Tränen fort. Warum ließen mich denn alle im Stich?

Tobi griff nach meiner Hand. »An deinem Geburtstag hätte ich mir natürlich freigenommen, ist doch klar. Ich dachte, wir gehen irgendwo in ein nettes Lokal …«

Zu Papas Beerdigung waren wir auch in »ein nettes Lokal« gegangen. Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte auf Teneriffa feiern. Diese Idee hatte mir so gut gefallen!

Miri beugte sich über den Tisch und tätschelte mir den Arm. »Fahr doch mit Oma. Die würde sich bestimmt über so eine Auszeit freuen. Und ihr beide könntet mal wieder so richtig schön in Erinnerungen an Opa schwelgen. Und wie ihr da mal vor dreißig Jahren zusammen wart.«

Fast hätte ich gelacht. Den Vierzigsten allein mit meiner Mutter? Zum Glück hatte ich Mama noch nicht gefragt, ob sie mit uns mitkommen würde. Nicht, dass wir uns nicht gut verstanden hätten, im Gegenteil. Aber es entsprach einfach nicht meiner Traumvorstellung.

Ben rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »War’s das? Ich muss echt los.«

Miri pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich würd mich auch echt gern noch mal hinlegen.«

Wieder sah ich hilflos zu meinem Mann, der sich das stoppelige Kinn kratzte.

»Miris Vorschlag ist doch gar nicht so verkehrt – wenn du so unbedingt über deinen Geburtstag verreisen möchtest, fahr doch mit deiner Mummel. Ansonsten feiern wir ihn eben gebührend hier.« Er nahm meine Hand und drückte sie kurz. »In der Gerbermühle zum Beispiel. Das Ganze könnten wir mit einem ausgiebigen Spaziergang am Main verbinden.« Er hob den Zeigefinger. »Man kann, glaube ich, auch ein Feuerwerk anmelden. Da würde ich mich drum kümmern.«

Miri und Ben stießen synchron ihre Stühle zurück und kamen sich in der Küchentür fast ins Gehege. Was ging sie der Rest der Unterhaltung an, sie waren an meinem Geburtstag ja nicht mal in der Nähe.

»Und wenn wir auf Teneriffa nachfeiern würden? Vielleicht am Ende der Ferien?«, rief ich ihnen noch hinterher. Aber sie hörten mich gar nicht mehr.

Tobi stippte mit der Fingerspitze ein paar Brötchenkrümel vom Tisch. »Wir haben uns doch immer gewünscht, dass sie selbstständiger werden. Und letztes Jahr waren wir sogar ganz froh, ohne sie wegzufahren. Wenn du nicht in Frankfurt bleiben willst, könnten wir auch an den Rhein. Oder ins Elsass, in ein schönes Weinhotel. Wie gesagt, Donnerstag kann ich mir freinehmen. Aber mehr nicht.«

Wäre es eine Option, mit Tobi für einen Tag nach Teneriffa zu fliegen? Nein. Dazu war die Flugzeit einfach zu lang.

Wehmütig dachte ich an unseren Urlaub vom letzten Jahr. Tobi und ich hatten in dem Ferienhäuschen in Husum so etwas wie einen zweiten Frühling erlebt. Ich hatte die Zeit sehr genossen, auch wenn die Frage in meinem Kopf aufgepoppt war, ob ich die Gelegenheit unserer wiedererlangten Nähe dafür nutzen sollte, reinen Tisch zu machen und ihm von einem Fehltritt zu erzählen, der mir schwer auf der Seele lag. Vor allem aber wollte ich ihm sagen, dass diese Sache endgültig vorbei war. Vielleicht hätte Tobi mir bei der wieder aufgeflammten Verliebtheit dieser zwei Wochen verziehen? Wenn man jemanden nur genug liebte, dann konnte man ihm doch alles vergeben?

Doch dann hatte ich jeden sich bietenden Moment verstreichen lassen, weil ich Angst hatte, er könnte das Ende bedeuten. Und als wir zurück waren und wir uns damit auseinandersetzen mussten, dass unsere Tochter sich unsterblich in einen schottischen Musiker verguckt hatte, da war alles in den alten Trott zurück verfallen. Die wiedergewonnene Verliebtheit hatte sich zurückgezogen wie eine Wüstenblume, die nur für ein paar Stunden blüht und dann erneut im Sand verschwindet. Dabei hatten wir uns bei unserem Liebesrevival versprochen, wieder mehr auf die Körpersprache und die Signale des anderen zu achten. Wir wollten öfter Sex miteinander haben, mindestens einmal im Monat. Man sollte denken, dass das zu schaffen sein könnte. Tatsächlich hatte sich dieses Vorhaben jedoch als Herausforderung erwiesen.

Grundsätzlich hätte ich ja auch gar nichts dagegen gehabt, meinen Geburtstag zu zweit mit meinem Mann zu begehen. Aber eben nicht in Deutschland. Ich wollte es ein bisschen temperamentvoller. Nicht »gediegen« oder »gebührend«. Und auch nicht »gemütlich«. Abgesehen davon hätten wir ja vielleicht in diesem Urlaub mal wieder miteinander geschlafen? Wie lange war das letzte Mal eigentlich her?

Während Tobi vom Tisch aufstand, um mit Klappern und Klirren die Spülmaschine auszuräumen, blätterte ich noch einmal durch die Infozettel. Auf einer Seite blieb ich hängen. Dort bot man eine »abwechslungsreiche Ü30-Singlereise unter dem Motto ›Oro negro‹« an. Schwarzes Gold. Nannte man so vielleicht die dunklen Sandstrände? Auf einem Bild war ein luxuriös aussehendes Strandhotel in Playa de las Américas mit verlockend blau schimmerndem Pool abgebildet. Den Urlauber erwarteten entspannende SPA-Anwendungen. Das Logo des Veranstalters war ein Kanarienvogel mit goldgelbem Gefieder.

Verträumt sah ich aus dem Küchenfenster. Bestimmt existierte auf Teneriffa noch immer der Loropark, den ich damals mit meinen Eltern besucht hatte. Sogleich ließ ich die Schultern sinken. Was sollte ich denn alleine dort anfangen? Das war doch lächerlich. Und Single war ich auch nicht.

Eben griff Tobi nach den leeren Orangensaftgläsern auf dem Tisch und erhaschte einen Blick auf die aufgeschlagene Seite. »Guck mal hier«, sagte er und tippte auf einen Satz. »Der krönende Abschluss der Reise ist das Feuerwerk am 4. Juli am Strand von Las Américas im Hotel Palacio.« Er deutete auf das Datum. »Das ist doch genau dein Geburtstag.«

»Aber das ist eine Singlereise. Du willst mir allen Ernstes vorschlagen, meinen Vierzigsten alleine zu feiern?«

»Na ja, alleine wirst du nicht sein. Du kannst ja wie gesagt deine Mutter mitnehmen. Und bestimmt lernt man da auch andere ganz gut kennen.« Tobi lächelte schräg. Wie ein Verkäufer, der einem ein Gerät mit leichten Macken andrehen will.

Störte ihn der Gedanke denn gar nicht, dass ich jemanden kennenlernen könnte? Mich erfasste ein Kribbeln. Ohne meine Familie könnte ich mich natürlich mal von einer ganz anderen Seite zeigen. Ich wäre nicht Susa Brix, Mutter zweier Jugendlicher und Inhaberin eines Fachgeschäfts für Elektroinstallationen. Ich wäre einfach nur Susanna. Hätte mal keine Verpflichtungen meiner Familie gegenüber und könnte ein paar Tage Freiraum und Erholung genießen. Keiner würde von meinen Eheproblemen etwas ahnen oder von der Tatsache, dass mir Papas Tod noch immer zusetzte. Und ich in der Firma mit Sorgen zu kämpfen hatte, von denen ich manchmal nicht wusste, wie ich ihrer Herr werden sollte. Allen voran die Auseinandersetzungen mit diesem Kotzbrocken Bernd. Seit Papa tot war, gab es immer wieder Beschwerden über ihn. Er arbeitete ungenau. War unpünktlich. Zuletzt hatte eine Kundin sich darüber beschwert, er hätte anzügliche Bemerkungen gemacht. Bernd hätte zu ihr gesagt, er käme jederzeit gerne, wenn es mal wieder etwas »zu nageln« gäbe. Der Typ ging mir so auf die Nerven, es wäre herrlich, einmal eine Woche lang nichts von ihm zu hören oder zu sehen.

Verträumt lächelte ich in mich hinein. Ich würde einen Urlaub von meinem Alltagsdasein bekommen. Danach würde ich erfrischt zurückkehren. Vielleicht würden Tobi und ich uns nach so einer Pause wieder näherkommen?

Ehe ich’s mich versah, zog mein Mann sein Tablet von der Anrichte und rief die Internetseite des Anbieters auf. Schnell fand er das Angebot »Oro negro«. Mit der Maus fuhr er über den Anmeldebutton. Ein Kommentar leuchtete auf. Es gab noch genau zwei freie Plätze. Buchen Sie jetzt!

Tobi tippte auf die Zahl. »Das passt doch perfekt für deine Mummel und dich.«

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. »Wenn ich schon allein verreisen soll, dann richtig. Und es wäre sowieso nicht verkehrt, wenn Mama ein Auge auf Bernd hätte.«

Täuschte ich mich, oder glimmte mit einem Mal ein Funken Unsicherheit in den Augen meines Mannes auf? »Versprich mir, dass du keine Dummheiten machst«, neckte er. Sanft zwickte er mich in die Wange.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, spielerisch aufzulachen. »Und wenn doch?«

»Das würdest du nie tun.«

»Natürlich nicht«, entgegnete ich.

Er hatte ja keine Ahnung, was ich in der Vergangenheit bereits getan hatte.

3

Normalerweise kümmert sich Tobi um die Organisation unserer Urlaube. Ich kann mich an keine Ferien erinnern, in denen es anders gewesen wäre. Zwar entscheiden wir immer gemeinsam, wohin die Reise gehen soll. Aber wenn es um die Buchung und das Kleingedruckte, die Zahlungsmodalitäten und Reiserücktrittsbedingungen geht, ist Tobi verantwortlich. Doch diesmal nicht, ich verreiste allein.

So akribisch ich auch im Beruf war – dort hätte ich niemals ungelesen etwas unterzeichnet –, so nachlässig ging ich bei der Buchung dieser Teneriffa-Reise vor. Nachdem ich mich damit abgefunden hatte, alleine zu fahren, war ich einfach nur beseelt von dem Gedanken, mir diese paar Tage Auszeit zu gönnen, sodass ich nicht mehr genau hinsah. Das versprochene Abschlussfeuerwerk am Strand des Hotels Palacio am Abend des 4. Juli und damit meines Geburtstags hatte den Ausschlag gegeben, die Reise sofort zu buchen.

Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass mir für exaktere Recherchen auch die Zeit gefehlt hatte, weil ich in der Firma genügend zu tun hatte, um meine Abwesenheit zu organisieren. Außerdem half ich Miri bei den Vorbereitungen für ihre Fahrt nach Schottland und wusch eine Maschine Wäsche nach der anderen. An einem Nachmittag shoppte ich blitzartig einen Bikini im Retro-Look, todschicke Sandalen und ein figurbetontes grünes Kleid; obendrein erstand ich ein paar Bücher, die ich am Pool lesen wollte.

Zu Hause schleppte ich den Koffer aus dem Keller nach oben und begann zu packen. Dabei stieß ich in der Sockenschublade wieder auf das Tagebuch. Dieses Heft kannte alle meine Geheimnisse. Nicht, dass es besonders viele gegeben hätte, aber ein paar eben doch.

Ich setzte mich wieder aufs Bett und blätterte darin. Die jugendliche Schrift der anfänglichen Einträge zog mich wieder in ihren Bann. Diesmal ging es um Tobi und wie wir uns kennengelernt hatten. Mein Gott, war das lange her.


15. Juli 1998

Hallo Tagebuch, seit sechs Jahren hab ich dich jetzt und es gibt erst zwei Einträge. Ganz schön armselig. Es hat sich einfach nie eine Schreibroutine eingestellt. Ich mag jetzt auch nicht alles, das ich inzwischen erlebt habe, zusammenfassen, es erscheint mir sowieso komplett belanglos. Jetzt allerdings gibt es doch etwas zu berichten, von dem ich später vielleicht gern mal lesen werde. Ich hab Abi gemacht (Schnitt 1,9!), und außerdem bin ich achtzehn geworden. Davon will ich erzählen.

An dem Tag war eine Open-Air-Disco, wo meine Freunde und ich hingehen wollten. Aber dann wurde Valerie krank, und sie durfte nicht mit. Ihre Eltern sind total schräg, beide Ärzte … Jedenfalls hätte sie sich wegen ihres angeschlagenen Immunsystems angeblich sonst was holen können. Ich war nicht mehr besonders motiviert, mit den anderen hinzufahren, denn ohne Valerie macht alles nur halb so viel Spaß. Ich bin dann aber trotzdem mitgekommen. Und dann hab ich an dem Abend jemanden kennengelernt. Tobi. Ein supernetter Typ, er sieht voll süß aus. So intellektuell. Er hat hellbraune Haare, ist einen Kopf größer als ich, ziemlich schlank und trägt eine Nickelbrille. Irgendwie fand ich ihn direkt zum Knuddeln. Und er kennt sich total gut mit Computern aus, was ich cool finde, weil ich ja seit diesem Sommer selbst einen eigenen PC habe. Tobi studiert in Darmstadt Informatik, er ist fünf Jahre älter als ich.

Jedenfalls haben wir uns beim Bierholen getroffen. Es war total laut um uns rum und so richtig unangenehm voll, das Bier gab es in Halbe-Liter-Plastikbechern. Tobi war mit einem Freund da, der irgendwohin verschwunden war. Während wir auf die Getränke gewartet haben, habe ich ihm über den ganzen Lärm hinweg zugebrüllt, dass ich die Musik furchtbar finde. Der DJ war auf dem Schlagertrip, keine Ahnung, was das sollte. Tobi hat dann gemeint, dass wir doch einfach gehen könnten, an den See in der Nähe zum Beispiel. Also hab ich zusammen mit ihm das Bier bei den anderen abgeliefert, und dann haben wir uns in die laue Sommernacht abgesetzt. Es hat nach Heu gerochen und Tobi nach Sonnencreme. Wir sind dann zu diesem Badesee, wo ich nachmittags mit den anderen schon schwimmen war, dort haben wir es uns am Ufer bequem gemacht. Und dann haben wir gequatscht. Die ganze Nacht. Ich glaube, ich habe mit noch niemandem – außer mit Valerie natürlich – so viel am Stück gequasselt. Wir haben uns unsere kompletten Lebensgeschichten erzählt. Was aber echt das Verblüffendste war: Unsere Weltanschauungen decken sich voll miteinander. Wir denken zum Beispiel, dass in Israel echt dringend ne Lösung hermuss, sonst gibt es da noch Krieg. Und diese ganzen Konflikte auf der Welt, die machen uns Angst. Genauso wie das ganze Waldsterben und die Atompolitik. Ich hab noch nie einen Jungen getroffen, der zugegeben hat, dass er sich vor was fürchtet. Tobi hat mir sogar gestanden, dass er eigentlich voll schüchtern ist, und dass er noch nie jemanden vorher angesprochen hat. Aber mich hätte er unbedingt kennenlernen wollen. Und dann hat er den Arm um mich gelegt, als mir kalt war. Er hat sehr schöne Hände, so stelle ich mir die Hände eines Klavierspielers vor, aber Tobi kann kein Instrument, er spielt nur gern Computerspiele. Er hat mir ein paar aufgezählt, aber ich kannte kein einziges. Außerdem hat er einen schönen Mund, die Lippen sind genau richtig. Wir haben beide keine Geschwister und finden es manchmal belastend, dass alle Aufmerksamkeit auf uns liegt. Er fand es auch ziemlich abgefahren, dass ich bei Papa im Büro nach den Ferien eine Ausbildung anfangen werde. Immerhin hab ich ein gutes Abi, ich könnte ja auch studieren. Aber ich hab es Papa versprochen, und was soll ich machen? Die Lehre fange ich zwar erst in zwei Wochen an, aber ich helfe auch schon eine ganze Zeit lang im Büro mit. So ist das nun mal in einem Familienbetrieb. Tobis Eltern sind richtig alt, beide in Rente. Sie haben ihn voll spät bekommen, aber eben auch deswegen erwarten sie nur Glanzleistungen von ihm. Er hat vor fünf Jahren das beste Abi seines Jahrgangs gemacht. Und beim Studienabschluss rechnen sie nicht mit weniger.

Jedenfalls waren wir uns einig, dass wir eines Tages mindestens zwei Kinder wollen, damit denen diese Erfahrung erspart bleiben würde. Obwohl wir uns gleichzeitig gefragt haben, wie lange die Erde uns Menschen wohl noch aushalten wird. Und ob man auf diesen Planeten überhaupt Kinder setzen sollte. Doch wenn – dann zwei. Dabei haben wir uns verschwörerisch angegrinst, als hätten wir damit eine stillschweigende Vereinbarung getroffen.

Irgendwann haben wir uns für ein Bad im See entschieden. Wir hatten in dem Moment keine Badesachen, sind einfach aus unseren Klamotten gestiegen und rein. Ich meine, wenn man so unter Wasser an jemandem entlangstreift, sich berührt … Es war irre erotisch, als er mich dann mit der Hand wie zufällig an der Hüfte gestreift hat. Wir haben gekichert und an den Händen gefasst und ganz leicht geküsst. Dann mehr. Wir haben uns umarmt, das Wasser schwappte zwischen uns durch, und es war schon ziemlich offensichtlich, dass Tobi Lust auf mich hatte. Und ich auch auf ihn. Zum Glück hatte er Kondome dabei, wir sind also wieder zurück ans Ufer geschwommen, und dann ... Und, na ja, und seitdem sind wir unzertrennlich. Es ist so schön mit ihm.

Leider hab ich gleich an diesem Abend Mist gebaut, aber davon erzähle ich später. Ich muss los, Papa braucht mich.


Ergriffen blinzelte ich ein paar Tränen fort. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich am nächsten Tag nach Hause gekommen war und fortan an nichts anderes mehr denken konnte als an Tobi. Es hatte mir so sehr geschmeichelt, dass er ausgerechnet mich auch so toll fand. Mit seinen damals dreiundzwanzig Jahren war er mir vorgekommen wie ein Mann. Dabei waren wir beide unter heutiger Betrachtung noch völlige Kindsköpfe gewesen.

Ich blätterte die Seite um und las weiter.


30. September 1998

Tobi und ich sind jetzt seit fast drei Monaten zusammen. Meine Erwartung ist natürlich nicht, dass wir für immer und ewig ein Paar sein werden. Aber gleichzeitig, und das sag ich jetzt nur hier und nicht mal Valerie, kann ich mir Tobi wirklich gut als Vater meiner zukünftigen Kinder vorstellen. Er kann alles so gut erklären, ist total intelligent. Er liest sich einmal was durch, und zack, ist es auch schon in seinem Kopf. Es gibt nur eine Kleinigkeit, die mich ein bisschen an ihm stört, und das sind die Computerspiele. Zur Zerstreuung, wenn er viel gelernt hat, was er echt meistens tut, spielt er Anno 1602, ein Strategiespiel, in dem er sich richtig verliert. Ich hoffe, das wächst sich nicht zu einem Problem zwischen uns aus. Letztens hat er gemeint, ich sollte doch mal mitspielen, aber ich hab einfach kein Interesse daran. Es sei denn, hab ich lachend gesagt, es gäbe ein Einhorn, das ich reiten könnte – aber das hat noch keiner erfunden, sagt Tobi.

Na ja, eigentlich wollte ich über etwas anderes schreiben, wo ich zuletzt unterbrochen wurde. Tobi wollte bei unserem ersten Abend am See wissen, ob er mein erster wäre und ich hab einfach »Ja« gesagt. Eine richtig doofe Lüge. Über sowas Wichtiges. Dabei hab ich mich ja leider vor drei Jahren dem Erstbesten hingegeben, weil ich die Sache hinter mich bringen wollte. Ich bereue es auch, aber was soll ich machen, es ist nun mal passiert! Jetzt mal angenommen, wir bleiben zusammen, dann würde immer diese Lüge zwischen uns stehen. Irgendwann sollte ich es ihm also besser sagen.

Seit zwei Monaten mache ich jetzt ja auch die Ausbildung bei Papa. Es ist ganz okay. Eigentlich wär ich gern auch mal unter andere Leute gekommen, hätte mir vorstellen können, Germanistik oder sogar Lehramt zu studieren. Stattdessen bin ich jetzt noch mehr mit meinen Eltern zusammen als vorher. Früher war ja wenigstens Schule. Na ja, ich sollte mich nicht beklagen, sie haben ja nur mich. Und irgendwer muss den Betrieb schließlich eines Tages weiterführen. Auch, wenn es lange hin ist – man soll an die Zukunft denken, sagt Papa. Wenn ich an sie denke, sehe ich allerdings nur Tobi. Und das fühlt sich ziemlich schön an.


Mit einem Seufzen schlug ich das Heft wieder zu. Wer hätte damals ahnen können, dass Papa zwanzig Jahre später sterben und mir alles hinterlassen würde? Und dass ich dann immer noch mit Tobi zusammen wäre?

Ich stand auf und legte das Heft zurück in die Schublade, überlegte es mir dann jedoch anders. Besser, ich nahm es mit. Nicht, dass Tobi auch noch Lust bekam, aufzuräumen. Nicht auszudenken, wenn er darin lesen würde. Es blieb nicht bis zum Schluss so harmlos.

Bei einem Skype-Telefonat mit Valerie am selben Tag gestand ich ihr, wie aufgeregt ich darüber war, mich in das Abenteuer dieser Reise zu stürzen. »Mein erster Urlaub nur für mich«, hauchte ich fassungslos. »Ich war noch nie alleine weg!« Tatsächlich fühlte ich mich wie ein Kind vor der ersten Übernachtung ohne Eltern.

Meine Freundin verpasste meiner Euphorie einen Dämpfer. »Es könnte sein, dass deine Mitreisenden alle Mittsechziger sind. Das hört man doch auch von Ü30-Partys immer wieder.«

Mittsechziger? Ich hatte zwar keineswegs vor, mit einem der Gruppenteilnehmer etwas anzufangen. Aber ich würde doch wohl Spaß haben und abends nicht nur Bridge spielen?

Jedenfalls waren dies die einzigen Gedanken, die ich im Vorfeld an diesen Urlaub verschwendete. Kein Mal sah ich mir den Reiseplan genauer an, der vierzehn Tage vor dem Abflug bei mir eintraf. Fahrlässig, ich weiß. Sonst hätte ich sicher bemerkt, dass es sich bei dieser abwechslungsreichen Singlereise keineswegs um einen typischen Strandurlaub mit abendlichen Partys an der Hotelbar handelte. Doch das sollte ich erst später herausfinden.