IMPRESSUM

©Ralf Mattern, Wernigerode, 2001

Gestaltung: Melanie Mattern & Ingo Naujoks

Grafik, Layout: Ingo Naujoks

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7357-7696-9

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www.aufbruch-rockband.de

aufbruch@web.de

INHALTSVERZEICHNIS

Das Herz auf der Zunge

Ein Vorwort von Christian Hentschel

Wenn man heute im Rückblick über die Rockmusikgeschichte der DDR liest, scheint es im Ostrock nur zwei Extreme gegeben zu haben: Nämlich zum Einen die großen Etablierten, die man in großen Kulturpalästen live erleben, im „Kessel Buntes“ sehen und auf Amiga-Schallplatten hören konnte. Die heute sagen: „Klar konnten wir Kohle ohne Ende einsacken und in den Westen fahren, aber was sollten wir denn tun?“ Und zum Glück erinnern sie sich dann daran, dass das staatliche Rundfunklektorat mal einen ihrer Texte ablehnte. Noch mal Schwein gehabt... Das zweite Extrem ist genau die Kehrseite davon: Die sogenannten „anderen Bands“. Mitte der 80er gab es neben den typischen Ostrockern an sich diese Welle an jungen, durchaus frischen Bands, die tatsächlich nichts mit Karat & Konsorten am Hut hatten, aber ansonsten genau die gleichen Strukturen nutzten. Die wenigen Medien und die Schallplattenfirma nannten diese Entwicklung „Die anderen Bands“, aber letztlich waren zum Beispiel die Skeptiker in den 80ern nicht revolutionärer als die Puhdys in den 60ern. Die einen trugen lange Haare und favorisierten Deep Purple und Uriah Heep, die anderen sangen ihre kritischen Texte so schnell, daß man sie eh’ nicht verstehen konnte und nannten das Punk. Beide Phänomene befolgten jedoch dieselben Spielregeln. Selbst die skeptischen Skeptiker waren letztendlich nicht so skeptisch und unterschrieben FDJ-Förderverträge und Amiga-Quartettsingle-Deals... Herbst in Peking war dermaßen undergroundig, dass der Musikerin Tatjana dennoch Zeit als IM blieb. Pankow sangen davon „zulange das selbe Land gesehen“ zu haben und „von alten Männern in der Politik“, während ihr Gitarrist ebenfalls als IM Auskünfte an die Stasi gab. Das soll alles an dieser Stelle gar nicht verurteilt werden, doch - der, um den es hier gehen soll - Ralf Mattern, in den 80ern Liedermacher und Texter seiner Band „Flexibel“, bekam erst gar nicht die Chance, sich an die Spielregeln zu halten, sich für „Kessel Buntes“ und Westtournee oder Quartettsingle zu entscheiden. Mattern war so anders, dass er nicht mal zu den von Amiga so genannten „anderen“ Bands gehören durfte. Dabei war Mattern nicht wirklich anders, sondern vor allem direkt in seinen Texten: Er ging nicht über sieben Brücken, trat nicht in den Dom ein, sah keinen Schwanenkönig sterben und besang auch keine Sixtinische Madonna, dafür aber fanden in seinen Reimen Gedanken Platz, die tatsächlich von den meisten Leuten gedacht wurden. Er textete vom Westberliner Mädchen, die um Zwölf wieder „drüben“ sein musste, er kritisierte Umweltprobleme, obwohl offiziell der Smog an der Mauer westlicherseits Halt machte, persiflierte Militärzustände und, und, und... Dabei wollte Ralf Mattern ganz bestimmt kein Held sein, aber er behielt sich die Naivität, dass Dinge, die stören, auch genannt werden müssen. Kulturfunktionäre und Spitzel, die sich heute als Widerstandskämpfer bezeichnen und Künstleragenturen oder Immobilienbüros besitzen, sorgten dafür, dass zumindest Mattern nicht auf den großen Bühnen der kleinen DDR landete. Wenn Ralf Mattern heute gern gesprochene Zitate aus den Mündern der Etablierten, aber auch der „Anderen“ hört, wie „Wir haben absichtlich immer zwei, drei offensichtliche Kritiken im Text gehabt. Die wurden beim Lektorat dann rausgenommen. Und die anderen zehn versteckten Kritikpunkte haben wir somit durch die Zensur gekriegt“, muss ihm speiübel werden, denn das ist - gelinde gesagt - absoluter Bullshit. Denn wer wirklich das Herz auf der Zunge trug, landete im Extremfall im Knast, im Mindestfall nicht in der medienwirksamen Öffentlichkeit. An der DDR gab es nichts zu kritisieren, schon gar nicht von kritischen Liedermachern und Rocktextern. Erschwerend kam für Mattern hinzu, dass sein Zuhause und somit seine Wirkungsstätte Provinz war. „Was in Berlin normal war, war in der Provinz Aufruf zum Systemsturz“, erklärte mir Ralf anlässlich meines Interviews mit ihm für mein im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag veröffentlichtes Buch „Du hast den Farbfilm vergessen - und andere Ostrockgeschichten“. Ich freute mich sehr, von dem talentierten Musiker eine Interviewzusage erhalten zu haben. Zwar hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon mit Nina Hagen auf dem Sofa gesessen, mit Dieter Birr Bier getrunken, doch ich wusste, dass mein Buch um so spannender wird, wenn auch Ralf Mattern seinen Beitrag leistet. Er war nämlich weder Star, noch Underground, sondern nur eine ehrliche Haut, die sich nicht biegen lassen wollte. Eine Spezies übrigens, die auch heute selten anzutreffen ist. Hätte er sich nur halbwegs zusammen gerissen und nicht immer gleich die Kinder beim Namen genannt, wäre Mattern der Udo Lindenberg oder der Rio Reiser des Ostrocks geworden.

Jetzt kann ich mich ein weiteres Mal freuen, denn seine Texte, die damals nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden durften, liegen nun in Buchform vor. „Verbotene Lieder! Verlorene Lieder?“ heißt sein Buch ein wenig plakativ, aber genau das spricht wieder für ihn: Er nennt die Sachen beim Namen. Sicher würde er heute - man lernt ja nie aus - einiges anders formulieren, bei anderen Texten lässt sich nicht mehr nachvollziehen, warum er damit noch vor zwölf Jahren mit einem Bein im Knast stand. Nichtsdestotrotz ist das Buch notwendig, zeigt es doch die wahre Szene jenseits der Puhdys und Skeptiker und es hilft enorm, dass Ralf Matterns verbotene Lieder zumindest nicht mehr verloren gehen.

Hätte es in der DDR viel mehr von diesen Typen gegeben, die es nicht lassen können, zu sagen, was Sache ist, wäre alles ganz anders gekommen. Nicht nur im Ostrock.

Christian Hentschel, August 2001

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