Kaya kommt vom Turnier zurück und spürt, dass die anfängliche Euphorie der Freundinnen über ihren ersten Platz in Neid umschlägt. Wie soll sie sich verhalten? Ihre Freude zugeben? Oder besser nicht? Chris kippt noch Wasser auf die Mühlen, weil er ihre Leistung immer wieder vor allen anderen lobt. In dieses ganze Drama platzt dann auch noch Lina, die junge und schöne Brasilianerin, die ihre Deutschlandreise vorverlegt hat. Lina wirbelt das Leben im Stall mit ihrer unbekümmert-freundlichen Art völlig durcheinander. Als Kaya sie allerdings mit Chris im Heuboden, noch dazu in ihrem Amazonen-Versteck, verschwinden sieht, hält sie es nicht mehr aus und spielt mit äußerst rachsüchtigen Gedanken. Wird es ein Happy End geben?
Für meinen Reiterhof Vox,
wo jeder Urlaub ein echtes Pony-Abenteuer ist.
Euch, Doerthe, Peter, Möppi und Simone,
herzlichen Dank für den jahrelangen Spaß!
Valeska und Sir Whitefoot
»Ein Pferd ist ein Pferd ist ein Pferd.
Keine Leistungsmaschine.
Gönnt ihm den Ausritt, die Koppel,
den Freund zum Knabbern und Spielen.
Einzelhaft hinter Gittern ist auch
für uns Menschen unerträglich.
Seid Freunde,
keine Ausbeuter.«
Es war ein herrlicher Maitag. Die Luft roch nach Frühling, die Pflanzen blühten in allen Farben und die großen und kleinen Tiere suchten die wärmenden Sonnenstrahlen. Überall war Leben und die ganze Natur entfaltete sich mit Macht – nur eine bekam es nicht mit: Kaya. Sie stand in Sir Whitefoots Paddock, streichelte ihrem Pony gedankenverloren die Nüstern und kaute auf einem Strohhalm herum.
»Na, träumst du schon wieder von deiner Karriere als zweite Meredith?«
Kaya drehte sich um. Reni, eine ihrer Freundinnen, stand hinter ihr.
Ja, dachte sie, Meredith Michaels-Beerbaum war ihr großes Vorbild. Sie hätte nichts dagegen, so zu werden wie sie.
»Quatsch«, gab sie sich betont entrüstet. »Ich weiß schon, was ich kann und was nicht.«
»Ach, wirklich?« Das kam spitzer über ihre Lippen, als Reni es eigentlich sagen wollte.
Ihre Blicke trafen sich kurz. Reni war von ihren vier Freundinnen die kernigste. Sie spielte nebenher noch Handball und war stämmiger und kraftvoller als die anderen. Und normalerweise auch gemütlicher und freundlicher. Davon aber war gerade nichts zu spüren, dachte Kaya. Seit ein paar Tagen schon merkte sie, dass sie von einigen plötzlich irgendwie mit anderen Augen angesehen wurde.
Was war los?
Sie wusste es selbst nicht so genau.
Dabei war doch vor Kurzem noch alles im Lot gewesen: Der unerwartete Erfolg beim Springturnier in Donaueschingen hatte Kaya eine Weile wie auf einer Glückswelle getragen. Plötzlich hatte sie das Gefühl gehabt, dass alles gelang. Chris, ihre große Liebe, schien zwar noch immer nicht rasend in sie verliebt zu sein, aber immerhin hatte er ihr eine SMS geschickt, die entscheidend zu ihrem Hochgefühl beigetragen hatte: Ich bin stolz auf dich! Hast mich zwar geschlagen – aber das sehr souverän. Und dann hatte sie in Mathe auch noch eine glatte Zwei geschrieben, das war noch nie da gewesen.
Andy, das Pony, das sie zum Sieg getragen hatte, belohnte sie für diesen irren Erfolg immer wieder mit Karotten, sodass Sir Whitefoot schon eifersüchtig mit den Augen rollte. Daraufhin knuddelte sie ihn jedes Mal besonders stark, denn der kleine Fuchs sah mit seiner großen weißen Blesse und seiner dichten roten Mähne einfach umwerfend süß aus.
Und überhaupt – Kaya hätte die ganze Welt umarmen können.
Jo, Andys Besitzerin, die krank gewesen war und deshalb nicht starten konnte, hatte ihr lobend auf die Schultern geklopft, nachdem sie sich das Turniervideo mit kritischem Blick angesehen hatte. Und das war so etwas wie ein Ritterschlag. Mit Andy, dem wertvollsten Pony, das Kaya kannte, vor dessen Können sie so viel Respekt hatte, das immerhin Deutscher Meister in der Pony-Vielseitigkeit war – mit ihm hatte sie alle anderen geschlagen, hatte den A-Parcours schnell und fehlerfrei gesprungen und Chris auf den zweiten Platz verwiesen.
Manchmal, nachts, vor dem Einschlafen, musste sie das immer wieder vor sich hersagen, weil sie es selbst nicht so richtig glauben konnte.
Ihre Mutter hatte ein Foto vergrößern lassen, das sie mit Andy im vollen Sprung über ein Hindernis zeigte, und das nun als Riesenposter über ihrem Bett hing. Das Leben war herrlich.
Reni wies auf den Schubkarren neben Kaya. »Ich sollte Sunny ausmisten, brauchst du den noch? Irgendwie siehst du nach Dornröschenschlaf aus …«
Reni hatte recht. Der Mistkarren war erst halb voll und die Mistgabel lehnte am Paddock. Sie hatte tatsächlich mitten beim Arbeiten zu Träumen begonnen und den Rest vergessen.
»Muss es unbedingt der sein?«, fragte Kaya etwas gereizt.
»Der andere hat einen Platten.«
Kaya riss sich zusammen. »Gut, ich bin gleich fertig!«
Reni nickte und trollte sich zu Sunnys Box, um den Norweger schon einmal in die Führmaschine zu stellen. Sunny war ihr Pflegepferd, und wenn die Besitzerin keine Zeit oder keine Lust hatte, durfte sie ihn reiten.
»Na, Sir Whitefoot«, sagte Kaya und schob den Mistkarren in seine Box. »Irgendwie sind alle komisch. Dabei haben sie sich doch auch so über meinen Sieg gefreut!«
Sie musste über ihre eigenen Worte nachdenken. Ja, stimmt eigentlich, überlegte sie, während sie seine dicke Strohmatte nach nassen Stellen durchforstete. Anfangs konnten sie alle nicht genug bekommen, überall und jedem mussten sie erzählen, dass sie dank ihres Sieges mit Andy gegen den nachbarlichen Nobelstall gewonnen hatten. Einzeln Kaya und als Mannschaft. Aber bald darauf war die Stimmung dann gekippt und sie hatte das Gefühl, dass man jetzt besser gar nicht mehr darüber sprach.
Kaya wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ihr war es zu heiß und sie fand, dass dieser Tag für Mai viel zu schwül war. Wahrscheinlich schlüpfen jetzt überall tausend Mücken und wir bekommen eine irre Plage, dachte sie. Dann wird jeder Ausritt zum Spießrutenlauf. Und auf den Koppeln wird es auch unerträglich.
»Wir sollten in den Norden ziehen«, sagte sie zu Sir Whitefoot. »Da geht immer ein schöner Wind und es ist nicht so stickig wie hier bei uns im Süden.« Sir Whitefoot, der sich draußen die Sonne auf sein rötliches Fell brennen ließ, drehte den Kopf zu ihr und ließ seine Ohren spielen. »Oder noch besser nach Westfalen. Oder Niedersachsen oder irgendwo da. Rheinland. Jedenfalls Pferdeland. Dort kommen auch alle großen Reiter her …« Sie seufzte. Vielleicht hatten die anderen ja doch recht und ihr war der Erfolg zu Kopf gestiegen.
Auf der anderen Seite: Sie war erst 14, Meredith bestimmt schon 40. Und irgendwann hatte Meredith schließlich auch mal klein angefangen. Aber möglicherweise hatten Merediths Eltern auch mehr Geld. Und ganz sicher waren sie richtige Pferdeleute – wohingegen ihre eigenen Eltern mit Pferden ja so gar keine Erfahrung hatten und zudem, bis auf ganz wenige Ausnahmen, auch nie Zeit. Sie hatten mit ihrem Restaurant genug zu tun. Kaya wollte damit auch nicht hadern, schließlich hatten sie ihr Sir Whitefoot geschenkt, und das, obwohl sie gerade gebaut hatten und für so ein großes Geschenk eigentlich überhaupt kein Geld übrig war.
Trotzdem.
Manchmal schossen ihr schon solche Gedanken durch den Kopf, dass es andere Jugendliche deutlich leichter hätten. Minka beispielsweise, deren Vater mit ihr und Luxy zu unzähligen Trainingsstunden und auch zu vielen Turnieren fuhr.
Oder Jo, deren Eltern total hinter ihr standen und ihr den besten Trainer für Andy bezahlten. Oder Chris, der zwei tolle Ponys besaß und dessen Schwester zudem auch noch Dreamy bekommen hatte, das Pony, mit dem Kaya selbst früher auf Turnieren recht erfolgreich gewesen war.
»Bist du jetzt fertig?« Reni stand mit verschränkten Armen an ihrer Boxentür und beobachtete Kaya, die gedankenverloren im Stroh herumstocherte.
Kaya schaute auf. »Nein, irgendwie komme ich heute nicht voran.«
»Ja, lass dir nur Zeit«, nickte Reni. »Minka hat mir eben eine SMS geschrieben, dass sie mit ihrem Vater zum Treffen des Reiterrings fährt. Es geht um die neue Jugendarbeit und außerdem wollen sie wohl heute den Vorstand um Chris herum wählen.« Sie verharrte kurz. »Aber das wirst du ja wissen, dass Chris den Vorsitz schon übernommen hat.«
Allein der Name jagte Kaya einen wohligen Schauer über den Rücken.
»Chris?«, fragte sie und schüttelte den Kopf. »Nein. Weiß ich nicht.«
»Na, jedenfalls, wenn wir mitwollen, schreibt Minka, dann holen sie uns in den nächsten zehn Minuten ab. Wir müssen uns aber schnell entscheiden.«
Kaya warf einen letzten Schwung nasses Stroh in die Mistkarre und schob sie an Reni vorbei hinaus. »Ich habe mich schon entschieden«, sagte sie im Vorübergehen. »Ich komme mit.«
»Darf ich auch?«, fragte Reni überbetont und Kaya fiel auf, dass sie tatsächlich nur von sich gesprochen hatte. Was war nur mit ihr los? War sie wirklich seit Neuestem nur noch auf dem Ego-Trip und hatte ihren Amazonen-Teamgeist komplett verloren?
Sie nickte nur und streute dann in Rekordzeit neues Stroh ein, um wenigstens noch zwei Minuten für den Spiegel zu haben. Immerhin ging es zu Chris, und da musste sie gut aussehen.
Klaus Sonnig, Minkas Vater, hielt wenig später am Straßenrand, und die beiden Mädchen stiegen in seinen Jeep ein. »Wir sind spät dran«, kommentierte er und Minka, die neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu ihren beiden Freundinnen um und sagte zu Kaya: »Wenn Chris den Vorsitz macht, könntest du doch Protokollführerin werden.« »Ich? Protokoll?« Kaya schüttelte entschieden den Kopf. »In Deutsch bin ich eine glatte Null. Ich würde immer was völlig anderes protokollieren, als das, was besprochen wurde. Kein Mensch würde das kapieren.«
»Um was geht es denn überhaupt genau?«, wollte Reni wissen und Klaus Sonnig erklärte, dass die Jugendarbeit im Reiterring gefördert werden sollte. Dafür würde heute Abend eine eigene Abteilung gegründet, damit die Jugendlichen ihre Dinge selbst planen, bestimmen und so durchführen könnten, wie sie es wollten.
»Hört sich ganz gut an«, sagte Kaya.
»Ja, und was soll da geplant werden?«, fragte Reni weiter.
»Das müsst ihr euch ja gerade selbst überlegen«, erklärte Minkas Vater. »Zeltlager zum Beispiel, Trainingscamp, Veranstaltungen, Fangruppen, Partys - was weiß ich.«
»Party finde ich schon mal gut«, erklärte Reni inbrünstig.
Und ich Zeltlager, dachte Kaya. Am liebsten ganz allein mit Chris. Und überhaupt, vielleicht sollte ich da doch irgendwie mitmachen. Wenn Chris Vorsitzender ist, dann habe ich immer einen Grund, mit ihm zusammen zu sein, und das auch noch ganz offiziell.
»Und was kann man noch werden, außer Protokollführerin?«, wollte sie von Minkas Vater wissen.
»Vielleicht Schatzmeister?« Klaus Sonnig zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Das werdet ihr gleich sehen.«
Sie waren schon gut 30 Minuten unterwegs, was Kaya unruhig werden ließ. War doch weiter, als sie gedacht hatte. Ihre Eltern wussten überhaupt nicht, wo sie steckte. Sollte sie die nicht wenigstens informieren? Aber musste man sich in ihrem Alter noch abmelden, bloß wenn man mal woanders war? Doch dann kam schon das Alte Gut in Sicht, in dem die Jugendgruppe gegründet werden sollte, und Kaya vergaß ihr schlechtes Gewissen sofort. Auf dem Parkplatz gab es kaum noch freie Plätze und auch die Tische im rustikalen Gastraum waren fast alle besetzt.
Sonnig blieb kurz in der Türe stehen, schaute sich um und sah dann eine erhobene Hand. »Dort!«, sagte er zu Minka und bahnte sich zwischen den Leuten hindurch den Weg nach vorn. Kaya und Reni folgten ihm und als sie an dem Tisch standen, war Kaya erst einmal sprachlos. Claudia und einige andere Erwachsene aus ihrem Stall saßen da, aber auch ihre Freundinnen Cindy und Fritzi. Alle waren hier und nur sie hatte von nichts gewusst. Das beklemmende Gefühl, irgendwie ausgeschlossen zu sein, stieg wieder voll in ihr hoch. Es schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie sagen?
»Setzt euch«, sagte Claudia, »ich habe die Plätze extra frei gehalten.«
Niemand schien überrascht, dass sie auch dabei war, dachte Kaya und setzte sich neben Cindy. Zugleich beschloss sie, hier mit keinem über ihre Gedanken zu reden. Claudia, die Stallbesitzerin und Reitlehrerin, zeigte auf den Tisch, wo in der Mitte ein paar kleine Flaschen Apfelsaftschorle und einige Gläser standen. »Ich habe schon mal etwas besorgt, damit wir nicht gleich wieder losrennen müssen – ist nämlich Selbstbedienung hier.«
Fritzi, die genau wie Kaya 14 war, hatte als einzige eine Flasche Cola vor sich stehen. War klar, dachte Kaya, zu Hause durfte sie keine haben und deshalb trank sie sich an dem Zeugs dumm und dämlich, sobald sie anderswo was davon kriegen konnte. Kaya nickte ihr zu und Fritzi grinste. »Ich hätte gewettet, dass du nicht kommst«, sagte sie zu Kaya.
»Ich?« Kaya stellte sich dumm. »Und warum nicht?«
»Weil du im Moment überhaupt nie mitkriegst, wenn irgendwas läuft. Du hast ja nicht mal den Aushang gelesen, oder?«
Aha, der Aushang. Hatte sie nicht. Natürlich nicht. Das war so eine ihrer Schwächen, dass sie nie nachschaute, was in diesem Glaskasten neben der Hallentüre Neues stand.
Aber Reni schien ja offensichtlich auch nicht viel informierter gewesen zu sein, fiel ihr ein und gerade wollte sie schon etwas Entsprechendes dazu sagen, als Claudia abwinkte. »Na, ist ja egal«, entschärfte sie das Gespräch und zwinkerte Kaya zu. »Hauptsache, ihr seid jetzt alle da. Ist schließlich auch wichtig für euch. Und merkt euch, jetzt nicht nur hier rumsitzen, zuhören und Cola trinken – sondern später auch was tun. Schließlich geht es um euch, um euch Jugendliche!«
Oh je, dachte Kaya, das hört sich irgendwie nach Arbeit an. Aber sie hatte den Gedanken sofort wieder vergessen, denn in dem Moment trat Chris an den langen Tisch direkt vor ihnen. Er blieb hinter seinem Stuhl stehen und am liebsten hätte Kaya ihm gewunken, denn sie befürchtete, dass er sie in der Menge übersehen könnte. Langsam wurde es ruhig, das Stühlerücken, Gläserklirren und Geraune wurde leiser und auch das letzte Getuschel erstarb schließlich ganz. Alle blickten vor zu Chris und das allgemeine Interesse an ihm erfüllte Kaya mit Stolz. In seinen Jeans und seinem blau-weiß gestreiften Hemd sah er trotz seiner erst 16 Jahre unglaublich erwachsen aus. Kaya fand, dass er sich in letzter Zeit sowieso sehr verändert hatte. Er war größer geworden, hatte breitere Schultern gekriegt und seine Gesichtszüge waren markanter als früher. Dagegen strahlten seine blauen Augen fröhlich und vertraut wie immer und seine blonden Haare waren wie gewohnt perfekt gestylt.
»Schön, dass ihr alle hier seid«, begann er. »Ich darf Sie und euch herzlich zu unserer Gründungssitzung begrüßen. Mit so viel Interesse und Willen zur Mitarbeit habe ich gar nicht gerechnet. Aber umso besser, denn worum es geht, wisst ihr ja: Wenn wir Jugendliche gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen, müssen wir Ideen haben und zusammenarbeiten – und zwar alle Jugendliche aus allen Vereinen unseres Reiterrings …«