Teuflisches Handy
Kosmos
Umschlagillustration von Ina Biber, München
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© 2009, 2012 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-13364-4
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Eine geheimnisvolle E-Mail
Alle paar Meter auf dem Weg zum Präsidium drehte Marie sich um und musterte prüfend die Fußgänger auf dem Gehsteig hinter sich. So harmlos die meisten auch aussahen, irgendwie wurde Marie das Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurde. Automatisch beschleunigte sie ihre Schritte und umklammerte das Handy in ihrer Hosentasche. Seit sie das brandneue Teil mit Touchscreen, Internetzugang, GPS und diversen weiteren Extras von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen hatte, hütete sie es wie einen wertvollen Schatz. Sogar ihr cooles Outfit, das sie heute trug, hätte Marie, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen das Handy eingetauscht. Obwohl es wirklich schade drum gewesen wäre, denn das weiße Shirt mit den aufgestickten Muscheln und die meerblaue Jeans passten perfekt zum rosafarbenen Handy-Anhänger mit dem süßen Kristall-Seestern. Ihr Vater, der berühmte Fernsehkommissar Brockmeier aus der Vorabendserie Vorstadtwache, im richtigen Leben Helmut Grevenbroich, war wieder mal mehr als großzügig gewesen. Marie lächelte glücklich vor sich hin. Was würde sie nur ohne ihren tollen Vater machen?
Plötzlich hörte sie eilige Schritte hinter sich und zuckte zusammen. Da packte sie auch schon jemand unsanft an den Schultern.
»Lassen Sie mich sofort los!«, rief Marie. Blitzschnell drehte sie sich um und ballte ihre Fäuste. Wer der Angreifer auch immer war, Marie würde nicht zulassen, dass er ihr neues Handy klaute.
Kim prustete los. »Wie bist du denn heute drauf? Ich bin’s doch nur!«
Erleichtert ließ Marie ihre Fäuste sinken und grinste verlegen. »Entschuldige, ich dachte, du hast es auf mein neues Handy abgesehen.«
Ihre Freundin verdrehte die Augen. »Keine Angst, ich nehme es dir schon nicht weg, solange du es für unsere Ermittlungen zur Verfügung stellst.«
»Klar!«, sagte Marie.
Für den Club würde sie alles geben. Seit Marie mit Kim und Franzi die drei !!! gegründet hatte, war sie total im Detektivfieber. Inzwischen hatten die drei Freundinnen gemeinsam schon 18 Fälle gelöst, zwei davon sogar im Ausland: einmal in Paris und einmal an der Côte d’Azur. Dabei hatten sie bereits einigen Betrügern, Erpressern, Schmugglern und Entführern erfolgreich das Handwerk gelegt.
Kim hakte sich bei Marie unter und ging mit ihr die letzten Meter zum Polizeipräsidium. »Ich bin schon total gespannt auf den Detektiv-Workshop. Echt nett von Kommissar Peters, dass er uns den Gutschein geschenkt hat. Jetzt wird es aber auch höchste Zeit, dass wir ihn endlich einlösen!«
»Finde ich auch«, sagte Marie und musste wieder an ihren Vater denken. Er hatte ihnen den Kontakt zu seinem Freund Kommissar Peters vermittelt, und seither stand der Kommissar den drei !!! bei ihren Ermittlungen zur Seite. Bei einigen Fällen war dabei auch eine Belohnung für die Detektivinnen herausgesprungen, wie zum Beispiel dieser Gutschein.
»Da sind wir!«, rief Kim, als sie vor dem Haupteingang des Polizeipräsidiums standen. »Jetzt fehlt nur noch Franzi. Wo bleibt sie bloß?« Kim runzelte verärgert die Stirn und tippte auf das Ziffernblatt ihrer Armbanduhr.
»Sie kommt sicher gleich«, sagte Marie und musste grinsen.
Normalerweise war sie es, die zu spät kam und sich Kims Sticheleien anhören durfte. Kim war nicht umsonst der Kopf der drei !!!. Sie hatte gern alles im Griff, kannte sich super mit Computern und Technik aus und führte ein Detektivtagebuch, in dem sie alle Einzelheiten der Fälle akribisch festhielt.
Während Kim und Marie vor der Tür standen und auf Franzi warteten, drängelten sich einige Mädchen und Jungen an ihnen vorbei, die offenbar auch zum Detektiv-Workshop wollten.
Kim wurde von Minute zu Minute nervöser und stöhnte: »Ich hasse es, zu spät zu kommen!«
»Wir können ja schon mal reingehen«, schlug Marie vor.
In dem Moment sauste Franzi auf ihren Inlinern heran, machte zwei rasante Kurven um ihre Freundinnen herum und stoppte, indem sie Kim und Marie umarmte. »Sorry! Es ging leider nicht schneller. Ich musste meinem Vater in der Tierarztpraxis helfen.«
Kim lächelte schon wieder. »Ist ja gut, Hauptsache du bist jetzt da. Los, kommt, lasst uns reingehen.«
Zwei Minuten später betraten Kim, Franzi und Marie einen großen Konferenzraum im zweiten Stock. Sie waren die letzten. Alle anderen Teilnehmer saßen bereits im Stuhlkreis zusammen mit Kommissar Peters und seinem Mitarbeiter Polizeimeister Conrad.
Der Kommissar lächelte ihnen zu. »Schön, euch zu sehen! Wie geht es euch?«
»Sehr gut«, sagte Marie, während sie sich auf einen Stuhl fallen ließ. Kim und Franzi setzten sich links und rechts neben sie.
Da beugte sich ein blondes Mädchen zu ihnen herüber. »Sagt mal, seid ihr nicht die drei !!!? Die berühmten Detektivinnen?«
»Ja, genau!«, rief ein Junge. »Ich hab’ neulich einen Artikel in der Zeitung über euch gelesen. Ihr seid echt cool!«
»Danke«, sagte Franzi nur und lächelte. Kim winkte bescheiden ab.
Marie hätte nichts dagegen gehabt, schnell ein paar Autogramme für ihre Fans zu geben, aber sie verkniff es sich lieber, weil sie wusste, dass Kim und Franzi das nicht gewollt hätten. Im Grunde hatten sie ja recht. Die drei !!! scheuten das Rampenlicht und wollten auch in Zukunft so ungestört wie möglich ermitteln können.
Da räusperte sich Polizeimeister Conrad. »Ihr könnt später gerne weiterreden. Jetzt sollten wir anfangen, damit ihr so viel wie möglich lernt.«
Sofort verstummten alle und sahen die beiden Polizisten erwartungsvoll an.
»Unsere Kollegen haben als Erstes eine kleine typische Situation aus dem Polizeialltag für euch vorbereitet«, erzählte Kommissar Peters. »Seht gut zu, und prägt euch alle Details ganz genau ein. Ihr werdet sie noch brauchen.« Der Kommissar zog eine Trillerpfeife aus seiner Hemdtasche und blies kurz hinein.
Sofort ging die Tür auf, und mehrere Männer und Frauen in Zivil kamen herein. Einige trugen Einkaufstüten, andere Aktenkoffer oder Handtaschen. Die Personen liefen vor den Kindern auf und ab und taten so, als seien sie ganz normale Passanten auf der Straße. Ein paar unterhielten sich miteinander, andere stapften schweigend oder mit gesenktem Kopf dahin. Eine Frau schien besonders fröhlich zu sein. Sie schwenkte ihre Handtasche und pfiff dabei ein Lied. Plötzlich wurde die Tür ein zweites Mal aufgerissen. Ein schlanker junger Mann mit einer Bankräubermütze im Gesicht drängelte sich zu der Frau durch, riss ihr die Handtasche vom Arm, kehrte blitzschnell um und knallte die Tür hinter sich zu. Das Ganze hatte höchstens fünf Sekunden gedauert.
Ein Raunen ging durch den Raum. Kim, Franzi und Marie tauschten kurz einen Blick. Auch sie waren ziemlich geplättet von der Überraschungs-Aktion.
Polizeimeister Conrad lächelte. »Na, habt ihr gut aufgepasst? Jetzt seid ihr dran. Kommt bitte mit in den Nebenraum. Dort gibt es eine Gegenüberstellung. Hinter einer Glaswand werdet ihr mehrere Verdächtige sehen. Nur einer der Männer ist der Täter. Ihr sagt mir bitte, wer das ist und woran ihr ihn erkannt habt.«
Aufgeregt folgten die Teilnehmer dem Kommissar und Polizeimeister Conrad. Eine Gegenüberstellung war auch für die drei !!! etwas Neues. Sie versammelten sich vor der Glaswand und musterten konzentriert die zehn Verdächtigen.
Marie hatte erwartet, dass es für sie als geübte Detektivin eine leichte Aufgabe werden würde, aber da hatte sie sich getäuscht. Alle zehn Männer waren etwa gleich groß, schlank und trugen Bankräubermützen. Auch die Kleidung sah sehr ähnlich aus: schwarze Pullis, dunkle Stoffhosen und braune Halbschuhe. Marie stöhnte leise. Warum hatte sie bloß nicht besser aufgepasst?
»Na, wer hat einen Verdacht?«, fragte Kommissar Peters.
Betretenes Schweigen im Raum. Doch plötzlich schoss Kims Hand nach vorne. Zielsicher zeigte sie auf den zweiten Mann von links. »Der ist der Täter! Sein schwarzer Pulli hat keinen Rollkragen, und der rechte Schuh hat vorne an der Spitze ein kleines Loch.«
Polizeimeister Conrad pfiff anerkennend durch die Zähne. »Sehr gut, Kim! Du hast wirklich Adleraugen. Gratuliere! Verrätst du deinen …«
Der Rest seines Satzes ging in einer schwungvollen Sambamusik unter. Die elektronische Melodie wiederholte sich rasch und lief in der Endlosschleife. Marie wunderte sich, warum alle sie plötzlich anstarrten. Dann wurde es ihr klar. Hektisch griff Marie in ihre Hosentasche und holte ihr Handy heraus. Die Sambamusik spielte fröhlich weiter. Mit knallrotem Kopf beugte sich Marie über ihr Handy und brauchte ewig, bis sie den Anrufer endlich weggedrückt hatte.
Polizeimeister Conrad warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »’tschuldigung«, murmelte Marie. Dass ihr so was Peinliches ausgerechnet heute passieren musste!
Der Polizeimeister drehte sich wieder zu Kim um, und Marie atmete auf. Bevor sie das Handy zurück in ihre Hosentasche steckte, konnte sie es sich jedoch nicht verkneifen, wenigstens einen kurzen Blick aufs Display zu werfen. »Unbekannter Anrufer« stand da nur. Daneben waren zwei farbige Symbole, die Marie informierten, dass sie eine neue SMS und eine E-Mail bekommen hatte. Marie runzelte die Stirn. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Neugier zu zügeln. Seufzend schaltete sie das Handy aus und packte es weg.
»Langsam glaube ich echt, du bist handysüchtig!«, sagte Kim.
Die drei !!! saßen nach dem Detektiv-Workshop in ihrer Sofaecke im Café Lomo und schlürften ihr Lieblingsgetränk: Kakao Spezial mit Vanillearoma.
»Wie? Was?«, fragte Marie, die nur mit halbem Ohr zugehört hatte. »Bin gleich so weit«, murmelte sie und fuhr mit dem Finger über den Touchscreen ihres neuen Handys. Auf einmal schlug ihr Herz schneller. Die SMS stammte von Holger, ihrem Exfreund! Obwohl sie schon zweieinhalb Monate getrennt waren, dachte Marie immer noch fast jeden Tag an ihn. Abgesehen von der zermürbenden Fernbeziehung war die Zeit mit Holger wunderschön gewesen. Nach einer kurzen Auszeit hatten sie sich zweimal getroffen, einfach so als Freunde. Leider waren die Treffen nicht gut gelaufen. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass sie beide noch mit ihrem Liebeskummer zu kämpfen gehabt hatten. Der war jetzt zum Glück vorbei, zumindest bei Marie. Trotzdem wusste sie nicht, was sie tun sollte: absagen oder vielleicht doch zusagen?
»Kannst du jetzt bitte das nervige Handy weglegen?«, fragte Kim.
Franzi nickte. »Zu einer Clubsitzung gehören drei Detektivinnen. Drei Detektivinnen, die voll bei der Sache sind! Ich dachte, das hätten wir längst geklärt.«
»Ja, natürlich …«, sagte Marie, konnte sich aber nicht von ihrem Handy lösen. Sie musste unbedingt wissen, was Holger ihr schrieb. Mit klopfendem Herzen überflog sie den Text.
Hallo Marie!
Lange nicht gesehen, oder?
Wie wär’s mit einer Mountainbike-Tour,
(fast) so wie früher?
LG, Holger
Marie biss sich auf die Lippen, um nicht rot zu werden. Leider kannten ihre Freundinnen sie viel zu gut und merkten sofort, was mit ihr los war.
Kim fing an zu kichern. »Lass mich raten: Es ist Holger. Sag’ bloß, er hat dich zu einem Date eingeladen? Bist du wieder in ihn verliebt?«
»Nein, bin ich nicht«, antwortete Marie. »Hört mal, das ist alles ganz harmlos und …«
»Au ja!«, rief Franzi, die wie Kim ihren Ärger von einer Sekunde zur nächsten vergessen hatte. »Das wär doch super, wenn ihr wieder ein Paar werdet. Ihr passt so gut zusammen, und Adrian ist sowieso viel zu alt für dich.«
Marie stöhnte. Sie konnte es nicht mehr hören, dass Kim und Franzi sie ständig aufzogen, bloß weil sie ein bisschen mit ihrem attraktiven Nachbarn flirtete, einem achtzehnjährigen Schauspielstudenten, den sie bei einer Theateraufführung kennengelernt hatte.
»Ich will jetzt nicht über Adrian reden«, sagte Marie unwillig und strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Und wenn ihr es genau wissen wollt: Ja, die SMS ist von Holger, und er hat mich zu einer Mountainbike-Tour eingeladen.«
Kim tauschte einen triumphierenden Blick mit Franzi. »Ich hab’s geahnt! Worauf wartest du noch, Marie? Schick’ Holger eine SMS zurück. Du brauchst nur zwei kleine Buchstaben eintippen: ja. Dann kannst du das Handy beruhigt weglegen und dich wieder voll und ganz auf uns konzentrieren.«
Marie griff nach ihrem Becher und nahm einen Schluck Kakao. Er war leider kalt geworden und schmeckte viel zu süß. Marie verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich will auf keinen Fall irgendwas überstürzen.«
»Das tust du doch nicht«, sagte Franzi. »Ihr macht ein bisschen Sport miteinander, tobt euch aus, und dann kannst du immer noch sehen, ob mehr zwischen euch ist oder nicht. Genauso mache ich es mit Benni. Funktioniert super.«
Kim zwinkerte Franzi verschwörerisch zu. »Ihr seid also nach wie vor bloß Skaterkumpel, mehr nicht?«
»Klar«, sagte Franzi, wich aber Kims forschendem Blick aus. Dass sie sich gerade wieder ein bisschen in Benni verliebt hatte, wollte sie nicht zugeben. Das erfuhren ihre neugierigen Freundinnen noch früh genug. Schnell wechselte sie das Thema und gab den Ball an Kim zurück: »Und wie läuft’s denn bei dir in Sachen Liebe? Alles in Butter zwischen dir und Michi?«
»Alles bestens!«, sagte Kim und bekam einen träumerischen Gesichtsausdruck. Seit dem kleinen, aber völlig harmlosen Urlaubsflirt mit Sandro an der Côte d’Azur wusste sie es hundertprozentig: Es gab nur einen Menschen auf dieser Welt, den sie liebte – Michi Millbrandt! Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, gleich beim ersten Fall der drei !!!. Inzwischen war sie mit Michi schon über ein Jahr zusammen. Manchmal konnte sie es selbst kaum glauben.
Marie war froh, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Entspannt lehnte sie sich zurück und nutzte die Gelegenheit, um die neue E-Mail zu checken. Sie stammte von dem unbekannten Anrufer, der bei seinem Anruf keine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen hatte. Marie zögerte. Solche E-Mails löschte sie sonst sofort. Das Spam-Risiko war ihr einfach zu groß, und sie hatte schon viel zu viele Horrorgeschichten von Freundinnen gehört, bei denen eine scheinbar harmlose E-Mail den ganzen Computer lahmgelegt hatte.
»Das glaub’ ich jetzt nicht!«, rief plötzlich Kim empört. »Du klebst schon wieder an deinem blöden Handy.«
»Wenn du es nicht gleich weglegst, gehen wir«, sagte Franzi. Ihrem angriffslustigen Blick nach zu urteilen meinte sie es wirklich ernst.
Marie wurde wütend. Sie hasste es, wenn jemand ihr etwas vorschreiben wollte. Ihre Freiheit ließ sie sich von nichts und niemandem nehmen, nicht mal von ihren besten Freundinnen. Und genau deshalb würde sie auch diese E-Mail öffnen, jetzt erst recht! Eine winzige Bewegung mit dem Zeigefinger genügte, und schon erschien der Text. Marie starrte auf das Display und wurde blass.
»Also mir reicht’s!« Abrupt stand Kim auf, warf ein paar Münzen auf den Tisch und sagte zu Franzi: »Kommst du mit?«
Franzi nickte grimmig. »Klar komm’ ich mit. Soll Marie doch alleine hier versauern. Viel Spaß noch mit deinem neuen Spielzeug!«
»Geht nur«, sagte Marie ruhig und zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. »Aber beschwert euch hinterher nicht bei mir, wenn ihr einen neuen Fall verpasst!«
»Was?«, riefen Kim und Franzi gleichzeitig. Sofort setzten sie sich wieder hin und löcherten Marie mit Fragen: »Welcher neue Fall?« – »Wovon redest du?« – »Hast du eine SMS von einem Verdächtigen oder einem Zeugen bekommen?«
Marie spielte lächelnd mit dem Seestern an ihrem Handy und ließ ihre Freundinnen ein bisschen zappeln. Erst als Kim und Franzi sie immer stärker bedrängten, las sie ihnen die Nachricht vor, die sie während des Polizei-Workshops bekommen hatte.
Absender: <no.name@mymail.de>
Betreff:Aufruf an alle Schülerinnen und Schüler des Heinrich-Heine-Gymnasiums
Kommt morgen in der großen Pause zur Info-Aktion im Pausenhof. Ich habe eine wichtige Botschaft für euch. Es geht um euch und eure Sicherheit. Diesen Termin dürft ihr nicht verpassen. Euer Leben hängt davon ab!!!
Viele Grüße von einem Freund,
der euch vor einer großen Gefahr warnen möchte
Gefährliche Strahlen
Kaum hatte am nächsten Morgen die Pausenglocke geläutet, stürmten die Schülerinnen und Schüler des Heinrich-Heine-Gymnasiums aus ihren Klassenzimmern und rannten hinunter in den Pausenhof. Marie ließ sie lächelnd an sich vorbei und schlenderte betont langsam die Treppe hinunter. Die Info-Aktion würde schon nicht ohne sie anfangen. Trotzdem spürte Marie ein leichtes Kribbeln im Bauch. Das hatte sie immer, wenn die drei !!! einen neuen Fall an Land gezogen hatten. Aber vielleicht täuschte sie sich ja auch, und das Kribbeln kam diesmal nur von ihrem nervösen Magen? Wie auch immer, gleich würde sie erfahren, ob sich hinter der merkwürdigen Veranstaltung nur ein billiger Werbegag verbarg oder ob es um eine größere Sache ging.
Marie mischte sich unter die Schüler, die sich in einer großen Traube zwischen dem Pausenverkauf und der Turnhalle aufgestellt hatten. Von verschiedenen Seiten flogen aufgeregte Stimmen und Wortfetzen zu ihr herüber:
»Hast du auch gestern die E-Mail bekommen?« – »Ja! Abgefahren, oder?« – »Ich wusste sofort, da muss ich hingehen.« – »Am Schwarzen Brett im Hauptgebäude hängt übrigens derselbe Aufruf.« – »Scheint ja was wirklich Wichtiges zu sein.«
Während Marie gespannt zuhörte, verstummten plötzlich die Gespräche. Alle starrten zum Eingang hinter der Turnhalle hinüber. Marie schob sich in die erste Reihe vor und reckte den Kopf, um besser sehen zu können.
Eine attraktive Frau und zwei junge Männer betraten mit dynamischen Schritten das Schulgelände. Automatisch prägte Marie sich ihre Personenbeschreibungen ein. Die Frau sah asiatisch aus, hatte schwarze, kurze Haare und einen zierlichen, durchtrainierten Körper. Bestimmt machte sie viel Sport, Krafttraining oder etwas Ähnliches. Der kleinere der beiden Männer hatte auch einige Muskeln zu bieten. Er war rothaarig und hatte seine schulterlangen, glatten Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Schützend stellte er sich vor seinen Begleiter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Da ging ein Raunen durch die Menge.
»Ist das nicht Jimmy?«, rief ein Mädchen.
»Ja, das muss er sein, er sieht genauso aus wie im Fernsehen!«, sagte ein Junge.
Marie pfiff leise durch die Zähne. Die beiden hatten recht. Der zweite Mann dort vorne war tatsächlich Jimmy. Jimmy, der coole neue Moderator des Jugendsenders Afternoon, der hier in der Stadt seinen Sitz hatte. Marie verpasste keinen Nachmittag mit ihm, und das lag nicht nur daran, dass er mit seinen blonden Locken und seinem unwiderstehlichen Lächeln wahnsinnig gut aussah. Jimmy gehörte zu den beneidenswerten Menschen, die immer gut drauf waren und eine unglaublich tolle Stimmung verbreiten konnten. Neben seiner Fernsehtätigkeit legt er auch als DJ im angesagtesten Club der Stadt, der VIP-Lounge, auf.