Inhalt

  1. Cover
  2. Über das Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. JUNI: Verliebt, verlobt, verlassen
    1. Freitag, 13. Juni
    2. Samstag, 21. Juni
    3. Sonntag, 22. Juni
    4. Montag, 23. Juni
    5. Dienstag, 24. Juni
    6. Mittwoch, 25. Juni
    7. Freitag, 27. Juni
    8. Samstag, 28. Juni
    9. Sonntag, 29. Juni
  8. JULI: Geduld ist eine Tugend
    1. Dienstag, 1. Juli
    2. Mittwoch, 2. Juli
    3. Donnerstag, 3. Juli
    4. Samstag, 5. Juli
    5. Sonntag, 6. Juli
    6. Donnerstag, 10. Juli
    7. Freitag, 11. Juli
    8. Montag, 14. Juli
    9. Freitag, 18. Juli
    10. Samstag, 19. Juli
    11. Sonntag, 20. Juli
    12. Montag, 21. Juli
    13. Dienstag, 22. Juli
    14. Samstag, 26. Juli
  9. AUGUST: Schicksal oder Hokuspokus?
    1. Freitag, 1. August
    2. Samstag, 9. August
    3. Samstag, 16. August
    4. Sonntag, 17. August
    5. Montag, 18. August
    6. Epilog
    7. Dank

Über das Buch

»Ich sehe sieben Männer. Du wirst sie alle in dein Bett lassen müssen, um den Richtigen zu finden.« Was macht man mit einer solchen Weissagung? Für die abergläubische Sophie steht außer Frage, dass man sich daran hält – zumal sie nur noch zwei »Zwischenmänner« hinter sich bringen muss. Dummerweise lassen die sich gar nicht so einfach auftreiben, und Adam, der neue Regisseur ihrer TV-Sendung »Wir kriegen’s gebacken«, hat mehr als nur Traummannpotenzial, wäre aber erst Nummer fünf …

Über die Autorin

Sandra Grauer wurde 1983 im Ruhrgebiet geboren. Schreiben, Lesen und in die Welt fremder Geschichten einzutauchen war schon immer ihre Leidenschaft. In Heidelberg studierte sie Sprach- und Übersetzungswissenschaften; später absolvierte sie ein fachjournalistisches Fernstudium und ein Volontariat in einer PR-Agentur in Karlsruhe. Mit ihrem Mann und zwei Meerschweinchen lebt sie inzwischen wieder im Ruhegebiet. Sie schreibt, z.T. unter Pseudonym, Romane für Jugendliche und Frauen, von denen einige bereits mit Leserpreisen ausgezeichnet wurden.

Sandra Grauer

Der verflixte
7. Mann

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Für Christian
und für unseren Krümel

JUNI

Verliebt, verlobt, verlassen

Freitag, 13. Juni

Große Veränderungen stehen ins Haus.
Sind Sie bereit dafür?

Ich schaute auf meine Uhr. Jan war zehn Minuten zu spät. Zehn Minuten! Eine verdammt lange Zeit, wenn man so einen Tag wie ich hinter sich hatte. Es hatte beim Weckerklingeln angefangen und sich wie ein roter Faden von morgens bis abends durchgezogen. Dabei sollte es doch einer der schönsten Tage meines Lebens werden.

Jan hatte mich vorgestern angerufen und beinahe schüchtern gesagt, wir sollten mal wieder schön zusammen essen gehen – nur wir beide, ohne Freunde. Für mich konnte das nur eines bedeuten: Er würde heute um meine Hand anhalten, ganz sicher sogar. Schließlich waren wir seit fünf Jahren ein Paar und hatten in der letzten Woche endlich unser Traumhäuschen im Grünen gefunden. Der Moment, auf den ich so lange gewartet hatte, war endlich gekommen. Vielleicht würden wir uns sogar gleich an die Familienplanung machen … Und meine Schwester Bea hatte schon geglaubt, Jan würde mich nie heiraten.

Ungeduldig schaute ich noch einmal auf meine Uhr. Von Jan war nach wie vor nichts zu sehen. Ich seufzte. Wenn nur das Datum nicht wäre. An einem Dreizehnten schmiedete ich normalerweise keine langfristigen Pläne – und schon gar nicht, wenn der Dreizehnte auf einen Freitag fiel.

Ob ich den morgigen Tag wirklich freinehmen musste? Nach dem desaströsen ersten Drehtag mit unserem neuen Regisseur hätte ich eigentlich morgen arbeiten müssen. Zähneknirschend hatte ich ihm heute Nachmittag gestanden, dass ich da keine Zeit hätte. Immerhin würde Jan mir heute einen Antrag machen. Sicherlich saßen wir nachher noch lange zusammen, um zu feiern, und morgen würden wir dann in Ruhe ausschlafen und gemütlich frühstücken, um anschließend erste Pläne für unsere bevorstehende Hochzeit zu schmieden.

Wenigstens hatte die Zusammenarbeit mit dem neuen Regisseur recht gut geklappt. Adam Ritter hatte mir keinerlei Vorwürfe gemacht, obwohl ich einen schrecklichen Eindruck bei ihm hinterlassen haben musste. Oh Gott, ich durfte gar nicht daran denken.

Zum Glück öffnete sich in diesem Moment die Tür des kleinen Restaurants, und Jan trat ein. Er sah sich kurz um und steuerte dann auf unseren Tisch zu. Wie meistens, wenn er von der Arbeit kam, trug er einen dunklen Anzug. Er hätte durchaus als Calvin-Klein-Model arbeiten können: groß, sportlich, blonde Haare. Ich spürte Stolz in mir aufsteigen: Dieser Mann würde gleich um meine Hand anhalten. War das nicht der Wahnsinn?

Blumen hatte er allerdings keine dabei. Nur gut, dass ich die Organisation des Abends in die Hand genommen und dafür gesorgt hatte, dass wir einen kleinen Tisch in einer Nische bekommen hatten, Kerzen und rote Rosen auf dem Tisch standen und die passende Musik lief. Nichts hatte ich dem Zufall überlassen, schließlich sollte schon meine Verlobung perfekt werden. Wobei ich mich viel lieber erst später mit Jan getroffen hätte, achtzehn Uhr fand ich persönlich für ein Verlobungsessen ziemlich früh. Aber Jan hatte sich unbedingt direkt nach der Arbeit treffen wollen. Offenbar konnte er es gar nicht mehr abwarten, um meine Hand anzuhalten. Hach!

Er beugte sich zu mir, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. Sein Parfüm, das ich so an ihm mochte, stieg mir in die Nase, ein schwerer Moschusduft. Mit einem Stöhnen ließ er sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. »Das war vielleicht ein Verkehr da draußen. Warum haben wir uns nicht bei unserem Lieblingsitaliener am Heumarkt getroffen?«

Wirklich gut, dass ich die Organisation nicht Jan überlassen hatte, Romantik war leider nicht so seine Sache. Er war mehr der pragmatische Typ. »Da ist freitags die Hölle los, und du wolltest doch in Ruhe reden«, sagte ich.

Erst jetzt bemerkte er den Strauß roter Rosen auf dem Tisch. Irritiert sah er sich um. Auf den anderen Tischen standen keine Rosen, nur kleine Gestecke mit Steinen und Kunstblumen. Jan schob die Vase beiseite und lockerte seine Krawatte, bevor er nach der Speisekarte griff, die der Kellner bereits gebracht hatte.

Ich ignorierte das ungute Gefühl in meinem Bauch und griff ebenfalls nach der Karte, obwohl ich sie schon studiert hatte. Jan ist ein Mann, er kann mit Blumen eben nicht so viel anfangen, beruhigte ich mich. Solange er an den Ring gedacht hat, ist alles paletti.

»Was nimmst du?«, fragte ich.

Jan zuckte missmutig mit den Schultern. »Keine Ahnung. Eigentlich hatte ich mich auf die Pasta mit Meeresfrüchten gefreut, aber Pasta bestelle ich beim Franzosen lieber nicht.«

»Nimm doch stattdessen den Meeresfrüchtesalat«, schlug ich vor.

»Meinetwegen.« Er klappte die Karte wieder zu.

Kurz darauf trat ein Kellner an unseren Tisch, ein kleiner Franzose mit dunklem Schnurrbart. »So, Kinner, wat hätt’er denn jern? Erst mal ’ne Kölsch?«

Ich war so überrascht, dass ich keinen Ton herausbekam. Also doch kein Franzose. Jan bestellte ein Glas Weißwein und den Meeresfrüchtesalat. Ich entschied mich schließlich für ein Glas Rotwein und das Coq au Vin.

»Wird dir der Salat denn reichen?«, fragte ich, als wir wieder unter uns waren.

»Ich hatte mittags schon was zu essen.«

Wie bitte? Ich schluckte meine Enttäuschung hinunter. Ich selbst hatte mittags nur einen kleinen Salat gehabt, und selbst wenn: An seinem Verlobungstag durfte man doch wohl mal schlemmen. Ich überlegte sogar schon, ob ich mir zum Nachtisch eine Mousse au Chocolat gönnen sollte, die hier einfach göttlich war. Wirklich. Als gelernte Konditorin konnte ich das beurteilen. Aber so war Jan nun einmal: achtete immer auf seine Linie und ging mindestens drei Mal in der Woche ins Fitnessstudio. Seit fünf Jahren versuchte er schon, mich zu überreden, ihn einmal zu begleiten, aber das war nichts für mich. Ich ging lieber zu Hause auf den Crosstrainer und schaute eine Folge Gilmore Girls dabei.

»Also … Warum ich mit dir reden wollte …« Jan schaute mich an und legte die Finger aneinander.

Mein Herz schlug sofort schneller. Das war wohl der große Moment. »Ja?«

»Wie fühlst du dich in unserer Beziehung?«

Hä? Was war das denn bitte für eine Frage? War das seine Art, anzudeuten, dass es Zeit war, einen Schritt weiterzugehen?

Jan sah mich über die Kerzen hinweg aufmerksam an.

»Gut … wunderbar«, sagte ich schnell. »Ich bin glücklich. Was ist mit dir?«

»Ich will ehrlich zu dir sein. Ich habe das Gefühl, wir haben uns in zwei völlig verschiedene Richtungen entwickelt.«

»Bitte?« Da lief doch gerade etwas gewaltig schief! Jan und ich waren uns doch einig, dass wir das Häuschen am Kölner Stadtrand mieten wollten, das ich letzte Woche entdeckt hatte. Nervös fingerte ich an meiner Kette, deren Hufeisenanhänger sich verdreht hatte. Kein gutes Zeichen. Und das schon zum zweiten Mal heute. Schnell drehte ich den Anhänger richtig herum.

Der Kellner brachte den Wein und verschwand sofort wieder, doch statt mit mir anzustoßen, schwenkte Jan nur sein Glas und nahm einen Schluck. Ich starrte ihn ungläubig an. »Wie meinst du das?«

»So, wie ich es gesagt habe. Sieh mal, Sophie, du möchtest ganz andere Dinge als ich. Du bist zufrieden mit dem, was du hast, oder nicht? Ein Häuschen mit Garten und vielleicht noch ein bis zwei Kinder, und das war’s. Ich erwarte etwas mehr vom Leben. Vor allem möchte ich reisen und meine Freiheit genießen.«

»Ich fahre auch gern in Urlaub«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Für was hielt er mich denn? Für eine Paradehausfrau aus den Fünfzigerjahren?

»Du verstehst mich völlig falsch. Es geht hier nicht um den Familienurlaub an der Nordsee. Ich werde demnächst geschäftlich viel unterwegs sein: London, New York, Hongkong. Und ich will, dass meine Frau mich begleitet.«

Meine Frau – das klang schon besser. Wir waren wieder auf Kurs. »Ich begleite dich gerne ab und zu mal, Schatz. Das sollte kein Problem sein.« Ich wollte über den Tisch nach Jans Hand greifen, doch er zog sie weg.

»Wir passen nicht zusammen, Sophie.«

»Wie meinst du das: ›Wir passen nicht zusammen‹? Es läuft doch alles wunderbar. Ich habe gerade erst dieses hübsche Häuschen gefunden. Gut, vielleicht stecken wir ein wenig fest, aber das liegt allein daran, dass es Zeit ist, endlich einen Schritt weiterzugehen.«

»Ich möchte lieber einen Schritt zurückgehen.«

Mir brach der Schweiß aus. »Jan, bitte. Was willst du damit sagen?«

»Ich bin nicht mehr glücklich, Sophie.«

Es dauerte einen Moment, bis die Worte und ihre Bedeutung in mein Bewusstsein sickerten. »Du machst doch nicht etwa Schluss mit mir?«

Jan sah aus, als müsse er sich ein »Halleluja, sie hat’s gerafft!« verkneifen. Stattdessen setzte er eine zerknirschte Miene auf.

Ich schluckte schwer. »Du hast eine andere, stimmt’s?«

»Sophie, bitte.« Er schüttelte den Kopf. »Es geht bei dieser Sache nicht um andere Frauen. Es geht darum, dass wir einfach nicht zusammenpassen.«

»Ach, und das fällt dir jetzt ein? Nach fünf Jahren? Kurz bevor wir zusammenziehen wollen? Ich war dir all die Jahre lang treu, und du betrügst mich einfach?«

»Hör auf, dir was zusammenzureimen! Es tut mir leid, okay? Manchmal nimmt man sich eben nicht die Zeit, um zwischendurch Bilanz zu ziehen. Ich gebe zu, das hätte ich viel früher machen sollen, aber so ist es nun mal.«

Mein Herz schlug schneller, und ich spürte, dass mir die Tränen kamen. Ich biss mir auf die Zunge. Ich würde hier ganz sicher nicht vor Jan sitzen und losweinen, während er offensichtlich nur bereute, dass wir viel zu lang zusammen gewesen waren. »Willst du mir jetzt auch noch sagen, du hättest längst Schluss machen sollen? Das glaube ich einfach nicht!«

»Wie gesagt: Es tut mir leid.«

»Das ist doch Blödsinn! Dir tut überhaupt nichts leid. Dafür kenne ich dich viel zu gut. Wir waren fünf Jahre lang zusammen, schon vergessen?«

»Sophie, bitte.« Verlegen sah Jan sich um. Szenen in der Öffentlichkeit mochte er überhaupt nicht, aber das war nicht mein Problem. Nicht mehr.

»Wer ist sie? Kenne ich sie?«

Er verdrehte die Augen. »Ich habe dir bereits gesagt, dass es bei dieser Sache nicht um andere Frauen geht.«

»Hörst du bitte auf, von uns als Sache zu sprechen? Und lüg mich nicht an! Nach fünf verdammten Jahren habe ich zumindest ein Recht auf die Wahrheit. Das bist du mir schuldig.«

»Ich bin dir überhaupt nichts mehr schuldig, Sophie.«

»Ist das dein Ernst? Fünf Jahre, Jan! Wir waren fünf Jahre zusammen. Bedeute ich dir denn gar nichts mehr?«

»Würdest du bitte etwas leiser reden? Das hier muss wirklich nicht jeder mitkriegen.«

»Was? Dass du mit mir Schluss machst?« Nun sprach ich extra laut. »Meinetwegen können ruhig alle mitbekommen, dass du ein Arschloch bist.«

Wütend sprang ich auf. Sollte ich Jan den Wein über den teuren Armani-Anzug kippen? Nein, besser nicht. Es würde nichts ändern, und wahrscheinlich würde er mir auch noch die Reinigungskosten aufbrummen. So verpasste ich ihm stattdessen eine altmodische Ohrfeige, bevor ich erhobenen Hauptes aus dem Restaurant stolzierte. Erst vor der Tür konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Ich war zutiefst verletzt – und ärgerte mich über mich selbst. Ich hätte es einfach wissen müssen. Was sollte man von einem Freitag, dem Dreizehnten, auch anderes erwarten?

Elf Stunden zuvor

Schon in dem Moment, in dem ich den Wecker ausschaltete, wusste ich, was er anzeigen würde. Müde zwinkerte ich ein paar Mal, aber das änderte auch nichts. Es war immer noch Freitag, und es war immer noch der dreizehnte Juni. Wie gern hätte ich mich umgedreht und den Tag einfach verschlafen, aber das war keine Option. Heute hatte ich meinen ersten Drehtag mit dem neuen Regisseur, und am Abend würde ich mich mit Jan treffen, und wir würden uns endlich verloben. Hach! Allerdings fragte ich mich schon, warum all das ausgerechnet heute geschehen musste.

Ich tastete nach meinem Smartphone auf dem Nachttisch und schaltete es an. Sofort piepste es: die Horoskope-App. Gespannt las ich, was mich heute erwartete: Große Veränderungen stehen ins Haus. Sind Sie bereit dafür? Und ob ich das bin, beantwortete ich mir die Frage.

Ab diesem Moment nahm das Unglück seinen Lauf: Kaum hatte ich mich aus dem Bett gequält, stieß ich mir auch schon den großen Zeh an der Kommode. Im Bad verwechselte ich Duschgel und Shampoo, und die einzige Milch, die ich noch im Haus hatte, war sauer. Das bedeutete, dass ich keinen Milchkaffee zum Frühstück haben würde – eine Katastrophe der zweiten Kategorie. Und das nicht nur, weil ich nach dem Aufstehen einfach meine tägliche Dosis Koffein brauchte. Zu meinem morgendlichen Ritual gehörte auch, mir aus dem Kaffeesatz zu lesen und das Ergebnis mit meinem Horoskop abzugleichen. Ausgerechnet heute musste ich das ausfallen lassen.

Vermutlich hätte ich Jan doch davon abhalten sollen, heute Abend essen zu gehen. Wenn ein Freitag, der Dreizehnte, schon so anfing. Aber jetzt konnte ich nichts mehr ändern, es war bereits alles arrangiert. Doch die schlechten Omen häuften sich. Als ich mir die Haare trocknen wollte, gab mein Föhn plötzlich hustende Geräusche von sich, dann breitete sich ein angesengter Geruch im Bad aus. Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Auch an einem Tag wie diesem konnte nicht alles schiefgehen. Allerdings zerschlug ich vorsichtshalber in der Spüle einen Frühstücksteller, der ohnehin einen Sprung hatte – ganz nach dem Motto »Scherben bringen Glück«.

Ohne richtig gefrühstückt zu haben, stieg ich schließlich in meine Pumps, griff nach meiner Handtasche und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

»Fräulein Lechner, was für eine Überraschung.«

Im zweiten Stock traf ich auf Frau Krause, eine nette ältere Dame um die achtzig, die sich meist einsam fühlte. Wie so oft saß sie neben ihrer Haustür auf ihrem Rollator und kraulte gedankenverloren ihre rotbraune Katze. Wie immer trug sie ein geblümtes Kleid, das aussah, als wäre es in einem früheren Leben eine Kittelschürze gewesen. Ich mochte sie sehr, nahm ihr die Überraschung aber nicht ab, denn sie wusste ganz genau, dass ich jeden Tag um diese Zeit das Haus verließ.

Obwohl ich eigentlich so schnell wie möglich loswollte, blieb ich stehen. »Guten Morgen, Frau Krause. Wie geht es Ihnen heute?«

»Der Ischias zwickt mal wieder, aber ansonsten bin ich fit wie ein Turnschuh. Und bei Ihnen?«

»Alles in Ordnung«, antwortete ich. Sah man einmal vom Datum ab. Automatisch griff ich zu meinem Talisman: einer Kette mit Hufeisenanhänger, ohne die ich nie das Haus verließ. Oh nein, der Anhänger hatte sich verdreht! Mit einem raschen Handgriff richtete ich ihn. Die Öffnung des Hufeisens musste nach oben zeigen, damit das Glück nicht herausfiel.

»Das ist schön. Sie freuen sich sicher schon auf das Wochenende, was? Ich hab mich immer auf den Sonntag gefreut, damals, als ich noch als Verkäuferin gearbeitet habe.« Frau Krause seufzte, während mich ihre Katze misstrauisch beäugte. Ich mochte Katzen, aber diesem speziellen Exemplar ging ich aus dem Weg, seit es nach mir geschlagen hatte. Dabei hatte ich die Katze damals nur streicheln wollen.

»Ach ja, das waren noch Zeiten«, fuhr Frau Krause fort. »Da hat man so viel erlebt. Heute ist ein Tag wie der andere.«

»Das tut mir leid«, sagte ich und warf verstohlen einen Blick auf meine Uhr.

»Sagen Sie, Fräulein Lechner, könnten Sie mir eventuell kurz helfen?« Meine Nachbarin richtete sich ein wenig auf und sah mir erwartungsvoll in die Augen. »Ich müsste eine Ladung Wäsche anstellen. Mein Sohn kommt aber erst übermorgen wieder vorbei, und alleine schaffe ich es nicht in den Keller.«

»Könnten wir das vielleicht auf heute Nachmittag verschieben? Ich bin etwas spät dran.« Woran unter anderem das Shampoo-Duschgel-Debakel schuld war.

»Sicher, Kindchen, sicher. Haben Sie einen schönen Tag.« Sie klang enttäuscht.

Natürlich entschied ich mich dann doch anders. Zwar sollte heute die erste Sendung mit dem neuen Regisseur aufgenommen werden, und ich wollte einen guten Eindruck machen, aber so lange würde es auch nicht dauern, Frau Krause kurz zu helfen. »Wissen Sie was? Die Arbeit kann auch noch ein paar Minuten warten.«

Nun strahlten ihre Augen. »Oh, das ist aber nett!«

Gemeinsam machten wir uns an die Wäsche. Anschließend trank ich noch schnell einen Kaffee, den Frau Krause mir zum Dank anbot und den ich nach der Saure-Milch-Katastrophe einfach nicht ablehnen konnte. Vielleicht sollte ich die Kaffeesatzleserei doch noch schnell nachholen? Nein, besser nicht. Frau Krause hätte sicherlich große Augen gemacht, wenn ich sie um ihren Kaffeesatz gebeten hätte, außerdem musste ich mich nun wirklich beeilen. Zum Glück war es zu den Fernsehstudios mit der Bahn nicht weit.

Während des kurzen Wegs zur U-Bahn-Haltestelle entspannte ich mich ein wenig. Die Junisonne wärmte mein Gesicht, und die Vögel zwitscherten fröhlich um die Wette. Vielleicht würde der Tag doch nicht in einem Fiasko …

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als mir eine schwarze Katze vor die Füße sprang. Von links. Das Unglück war vorprogrammiert.

»Sophie, du bist spät dran.« Adam Ritter, unser neuer Regisseur, blickte auf, als ich mit einem Becher Kaffee in der Hand von der Maske ins Studio hastete. Mit den dunklen Haaren, die etwas wild um seinen Kopf standen, und dem Bartschatten wirkte er allerdings, als ob auch er gerade eben erst aus dem Bett gefallen wäre. Nur schnell Jeans und Pullover drübergezogen, das war’s.

»’tschuldigung«, murmelte ich, während ich mir durch die Kameras und Scheinwerfer einen Weg zur Kochinsel bahnte. Ich hasste es, wenn jemand auf mich warten musste, und ein guter Ruf war schnell dahin. Doch zum Glück war das nicht meine erste Begegnung mit Adam. Wir waren uns schon die Woche über bei Vorbereitungsgesprächen immer mal wieder kurz begegnet. Schon bei unserem ersten Aufeinandertreffen war er zum Du übergegangen – nicht ungewöhnlich bei uns Fernsehleuten.

»Alles okay?«, fragte er.

Ich nickte. »Sicher. Tut mir leid, meine Nachbarin brauchte noch schnell Hilfe, aber jetzt kann’s losgehen. Was war heute noch mal dran?« Hoffentlich die Blaubeermuffins und nicht das …

»Das Maracuja-Soufflé«, antwortete Adam, noch bevor ich im Sendeplan nachsehen konnte.

Na super! Ich verkniff mir ein Stöhnen. Normalerweise gehörten Soufflés zu meinen Spezialitäten, aber an Tagen wie diesem wäre mir ein einfacher Kuchen lieber gewesen. Doch das behielt ich natürlich für mich. Schließlich zählten hier alle auf mich. »Gut, dann wollen wir mal«, sagte ich stattdessen.

Klara, unsere Produktionsassistentin, hatte bereits alle nötigen Zutaten und Utensilien fein säuberlich auf der Arbeitsfläche aufgereiht, sodass es gleich losgehen konnte. Ich nahm meine übliche Position ein – Hände locker auf der Arbeitsplatte – und lächelte in die Kamera. Adam gab dem Kameramann Harry ein Zeichen, dass er mit der Totalen auf die Kochinsel anfangen sollte. Dann hielt der neue Praktikant eine Klappe vor die Linse.

»Maracuja-Soufflé, Klappe, die erste.«

»Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Wir kriegen’s gebacken«, trällerte ich, immer noch in die Kamera strahlend. Sollte meine Backshow irgendwann in ferner Zukunft einmal eingestellt werden, stand mir immer noch eine Karriere in der Werbung offen. Das Zahnpastalächeln hatte ich jedenfalls bereits perfektioniert. »Heute zeige ich Ihnen, wie man Soufflés richtig gut hinbekommt. Sie wissen schon: Das sind diese Dinger, die gerne in sich zusammenfallen. Vorzugsweise natürlich, wenn sich der Chef samt Frau angemeldet hat.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Adam grinste. Ein gutes Zeichen.

Ich angelte nach einer Vanilleschote, schnitt sie in der Mitte durch und kratzte das Mark heraus. »Frische Zutaten sind immer die besten, wie Sie wissen, aber wenn Sie es mal eilig haben, können Sie auch gerne Vanillezucker nehmen. Geben Sie nicht nur das Vanillemark in die Milch, sondern auch die ganze Schote. Da steckt noch sehr viel Aroma drin.« Ich machte es vor und stellte den Topf anschließend auf den Herd.

Und so ging es weiter. Während ich den Teig für das Soufflé zubereitete, redete ich ohne Unterbrechung auf die Kamera ein. Ich erklärte, gab Tipps und versuchte, lustig zu sein. Anfangs war es gar nicht so leicht gewesen, ohne Punkt und Komma zu quatschen, aber nach mehr als fünfzig Sendungen war es kein Problem mehr.

»Beim Eischnee müssen Sie sich besonders viel Mühe geben. Am besten nehmen Sie einen Schneebesen. Das ist ein bisschen mühsamer als mit dem elektrischen Gerät, aber es lohnt sich.« Während ich das Eiweiß steif schlug, plauderte ich weiter: »Der Rührbecher sollte gekühlt und absolut fettfrei sein. Und achten Sie darauf, dass kein Eigelb in die Masse kommt. Wer sich unsicher ist, trennt das Ei vorher in zwei Schälchen und gibt es erst nach und nach in die Rührschüssel.«

Als der Teig fertig vor mir stand und bereit für die Förmchen war, griff ich nach dem Salzstreuer. »Und denken Sie dran: Geben Sie in Süßspeisen immer eine Prise Salz, auch wenn es nicht im Rezept steht.«

Bis hierhin war alles gutgegangen, jetzt aber passierte etwas, das mir während meiner fünfzig Shows noch nie passiert war: Der Salzstreuer kippte um, nachdem ich ihn zurück auf die Arbeitsfläche gestellt hatte. Kleine weiße Kügelchen ergossen sich vor mir. Ich starrte sie an. Ein weiteres schlechtes Omen. Und was fast noch schlimmer war: Umgekipptes Salz bedeutete nicht nur Unglück, sondern auch Streit. Das war gar nicht gut. Es sprach wirklich alles dafür, dass ich Jan für den Abend absagen sollte.

Ich spürte ein Ziehen in meinem Magen. Nein, das ging nicht. Ich konnte unser Date auf keinen Fall verschieben. Ein lang ersehnter Traum würde sich endlich erfüllen. Jan und ich würden heiraten, bald Kinder kriegen. Ich hatte so lange darauf gewartet, und jetzt, wo es endlich so weit war, wollte ich keinen einzigen Tag länger warten.

Ich zögerte einen Moment, sah aber aus den Augenwinkeln, wie Adam unruhig wurde. Mit einer schnellen Bewegung wischte ich das Salz in meine Hand und warf es mir über die linke Schulter. »Wussten Sie, dass die Menschen früher dachten, verschüttetes Salz bringt Unglück? Man hat es sich über die linke Schulter geworfen, um das Unglück zu bannen.«

Mein alter Regisseur hätte mir das nie und nimmer durchgehen lassen, doch Adam warf mir nur einen skeptischen Blick zu. Zwar zögerte er kurz, aber er ließ die Kameras weiterlaufen.

Kurz darauf waren die Soufflés im Ofen. Ich unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. »Die Soufflés brauchen etwa fünfundzwanzig Minuten«, sagte ich und wischte mir die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Gerade, wenn man sie zum ersten Mal macht, ist man natürlich aufgeregt und fragt sich, ob auch alles geklappt hat und ob sie wirklich aufgehen. Aber verkneifen Sie es sich bitte, nachzuschauen, wenn Sie Ihren Besuch nicht enttäuschen wollen.« Ich lächelte in die Kamera, bis ich das rote Lämpchen nicht mehr leuchten sah. Pause. Endlich! Jetzt hieß es erst einmal abwarten, bis die Soufflés fertig waren. Früher hatte ich immer etwas vorbereitet, das ich dann direkt aus dem Ofen zaubern konnte, aber das hatten wir irgendwann aufgegeben, weil es nicht wirklich Zeit sparte.

Adam nickte zufrieden und kam auf mich zu. »Sehr gut.« Mit dem Zeigefinger fuhr er über den Innenrand der Rührschüssel und leckte ihn ab. »Aber was hatte das mit dem Salz-über-die-Schulter-Werfen auf sich?«

»Kennst du das nicht?«, fragte ich. »Ich dachte mir, es passt ganz gut in die Sendung. Immerhin ist heute Freitag, der Dreizehnte.«

Adam grinste. »Verstehe, da ist wohl jemand ein wenig abergläubisch.«

Ich spürte die Hitze in meinen Wangen – sie kam definitiv nicht vom Backofen –, drehte den Kopf weg und zupfte einen Fussel von meinem Kleid.

»Meine Oma war wahnsinnig abergläubisch«, fuhr Adam immer noch grinsend fort. »An solchen Tagen wie heute hat sie das Haus gar nicht erst verlassen.«

Daran hatte ich auch schon mehr als einmal gedacht, aber es schien mir dann doch etwas übertrieben, extra Urlaub zu nehmen. »Wie du siehst, bin ich hier«, sagte ich und wandte mich ihm wieder zu. »Wie sieht’s denn mit dem Plan für nächste Woche aus? Wenn er schon vorliegt, kann ich Klara einen Einkaufszettel schreiben, damit alles da ist, um die Rezepte auszuprobieren. Oder willst du das lieber in der Redaktionssitzung besprechen?«

Die Redaktionssitzungen am Montag waren normalerweise dazu da, um Themen und Rezepte für die weiteren Sendungen durchzugehen. Wir drehten zwei Staffeln im Jahr mit je vierundzwanzig Folgen, sodass schlussendlich so gut wie jede Woche eine Episode unserer Backshow über die deutschen Fernseher flackerte. Die Dreharbeiten fanden immer von Januar bis März und von Juni bis August statt. Während der anschließenden Postproduktion hatte das Team einige Wochen Urlaub, danach fand es sich wieder zusammen, um die nächste Staffel zu planen. Und da wir durchschnittlich nur zwei Folgen in der Woche aufzeichneten, war es auch nicht völlig unmöglich, sich auch während der Dreharbeiten einmal einen Tag freizunehmen. Bei mir sah das allerdings etwas anders aus – ich musste zwischen den Aufzeichnungen die Rezepte ausprobieren und schrieb einmal im Jahr ein Backbuch mit den besten Rezepten zur Sendung. Das neuste sollte im Dezember veröffentlicht werden.

»Wir können gerne jetzt schon über den neuen Wochenplan sprechen. Wir haben ja gerade ein wenig Zeit«, sagte Adam. Der alte Regisseur hatte es gehasst, zwischen Tür und Angel über mögliche Themen zu sprechen, aber Adam schien das anders zu sehen. »Hattet ihr schon Scones?«, fragte er. »Das wäre mal was anderes. Vielleicht machen wir gleich einen britischen Monat daraus, was meinst du?«

Ich nickte begeistert. »Klingt toll. Lass mal überlegen … Shortbread darf auf keinen Fall fehlen und natürlich ein Crumble. Am liebsten mit Rhabarber. Die Erntezeit ist zwar bald vorbei, aber das sollte noch gehen.«

Während Adam und ich weiterüberlegten, wuselte Klara um mich herum und machte sich daran, schon einmal ein wenig aufzuräumen. In ihrem Eifer achtete sie nicht auf das Salz, das ich hinter mich geworfen hatte.

»Vorsicht!«, schrie Adam noch, aber es war bereits zu spät.

Klara geriet ins Rutschen, versuchte, sich irgendwo festzuhalten und bekam den Griff des Backofens zu fassen. Die Tür öffnete sich, konnte Klaras Sturz aber nicht bremsen.

Mein Herz stolperte. Noch während Klara stürzte, fielen die Soufflés mit einem kaum hörbaren Pfff! in sich zusammen.

»Ich hätte es wissen müssen«, sagte ich zu Bea, noch ehe sie die Chance hatte, mich zu begrüßen. Während ich zurück ins Wohnzimmer schlurfte, redete ich einfach weiter. »Ich meine, hast du mal auf den Kalender geschaut? Eben. Ich hatte keinen Kaffee, damit fing’s schon an. Und dann ist mir heute Morgen auf dem Weg zur Haltestelle auch noch eine schwarze Katze direkt vor die Füße gesprungen. Ist das zu glauben? Auf dem kurzen Weg! Ich bin extra auf der rechten Seite der Straße gegangen. Du weißt schon, wenn ich auf der linken Seite gelaufen wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit größer gewesen, dass mir eine Katze von links über den Weg läuft. Ich dachte, wenn ich auf der rechten Seite laufe, kommt sie wenigstens von rechts und bringt Glück, und dann so was. Spätestens da hätte ich es wissen müssen.«

Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen und zog ein neues Taschentuch aus der Box, um mir die Nase zu putzen. Anschließend landete es neben den anderen auf dem Parkettboden.

Bea blieb im Türrahmen stehen und musterte mich. Sie war beim Frisör gewesen und, so wie es aussah, auch bei der Maniküre: blonder, schulterlanger Pagenschnitt, French Nails, eine weiße Bluse zur schwarzen Stoffhose und Pumps. Es war nichts Neues, dass ich mir neben meiner Schwester wie Aschenputtel vorkam, doch heute war es noch schlimmer als sonst. Zwar hatte ich mich für mein Date mit Jan zurechtgemacht, doch davon war nicht mehr viel übrig. Das schwarze Kleid hatte ich gegen meinen gestreiften Pyjama getauscht, und die Wimperntusche hatte sich sicher auch längst verabschiedet.

»Was?«, fragte ich ein wenig aggressiv, weil Bea mich immer noch so mitleidig ansah.

»Sophie, ich glaube nicht, dass Jan mit dir Schluss gemacht hat, weil heute Freitag, der Dreizehnte, ist.«

»Du hast keine Ahnung, was heute alles schiefgegangen ist.« Ich richtete mich auf. »Es waren nicht nur der Kaffee und die Katze. Ich bin zu spät zur Arbeit gekommen, und dabei hatten wir heute den ersten Drehtag mit dem neuen Regisseur. Dann sind die Soufflés in sich zusammengefallen, und wir hatten keine Maracujas mehr. Der Praktikant wollte neue besorgen, meine Assistentin Klara hat sich nämlich bei einem Sturz die Hand verstaucht. Und zum Schluss kam der Praktikant auch noch mit leeren Händen zurück. Der halbe Drehtag war umsonst.« Ich holte tief Luft. »Oder wolltest du etwa sagen, ich wäre selbst schuld?«

Bea seufzte. »Du sollst nur nicht immer alles auf deinen Aberglauben schieben. Jan ist ein Idiot. Deshalb hat er Schluss gemacht.« Sie streifte ihre Pumps ab und setzte sich zu mir auf das cremeweiße Stoffsofa mit den erdbeerroten Kissen. Sie hatte eine Stofftasche voller Dinge mitgebracht, die normalerweise einen perfekten Mädelsabend garantierten: eine Familienpackung Eiscreme, Chips, Gummibärchen, zwei Flaschen Crémant und Mitten ins Herz.

Beim Anblick der ganzen Pracht bekam ich ein schlechtes Gewissen. Es war Freitagabend, meine vierjährigen Nichten waren bei der Schwiegermutter, Bea und ihr Mann hatten endlich einmal wieder sturmfrei. Und was machte Bea? Sie hockte mit mir in meiner kleinen Wohnung und hielt Händchen. »Was hat Frank gesagt?«, fragte ich. »War er sauer?«

Bea lachte. »Du kennst doch Frank. Den bringt so leicht nichts aus der Ruhe. Nein, der hat mir noch die zweite Flasche Crémant zugesteckt und schaut sich jetzt das Fußballspiel an.«

Der perfekte Mann. Ich schniefte. Warum konnte Jan nicht auch so sein? Wenigstens ein bisschen? Ich hatte wirklich mit einem Heiratsantrag gerechnet, immerhin waren wir seit fünf Jahren zusammen. Gewesen. Ich habe das Gefühl, wir haben uns in zwei völlig verschiedene Richtungen entwickelt. Seine Worte klangen mir noch in den Ohren. Sie schmerzten. Jans Richtung jedenfalls war klar: Idiot und Lügner. Ich hätte ihm doch den Wein über den Anzug kippen sollen. Warum hatte er nicht gleich zugegeben, dass er eine Neue hatte? Denn die hatte er mit Sicherheit. Immerhin war er mir ein ums andere Mal ausgewichen.

Oh Gott, warum hatte ich schon wieder Tränen in den Augen? So, wie er sich verhalten hatte, war er es gar nicht wert. Oder doch?

»Ach, Süße.« Bea legte mir einen Arm um die Schultern. »Komm, wir köpfen erst mal den Crémant und schauen uns den Film an. Danach geht’s dir bestimmt wieder besser.«

Natürlich ging es mir nach dem Film und einer Flasche Crémant nicht besser, ganz im Gegenteil. Jetzt fühlte ich mich nicht nur verlassen, sondern auch noch fett, weil ich die Familienpackung Schokoladeneis alleine aufgegessen hatte.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte Bea, während sie uns beiden Schaumwein nachfüllte, »aber es liegt nicht an dir. Du bist hübsch, du bist intelligent, und du hast eine gute Figur. Also rede dir bloß nichts ein.«

Ich zog die Schultern hoch. »Lieb von dir, aber an irgendwas muss es doch liegen. Ich meine: Warum verlassen die Männer mich jedes Mal, wenn sie mir eigentlich einen Heiratsantrag machen sollten? Sebastian hat nach zwei Jahren Schluss gemacht, Mark ebenfalls, jetzt Jan nach fünf. Ich sollte längst verheiratet sein und Kinder haben. Stattdessen darf ich mit neunundzwanzig Jahren wieder von vorne anfangen.« Ich spürte schon wieder die Tränen in mir aufsteigen.

Und dabei hatte mir mein Horoskop heute Morgen noch große Veränderungen angekündigt – allerdings ohne eine Info darüber, um was für eine Art von Veränderung es sich handeln würde. Ich seufzte. Mist, eine Trennung galt wohl genauso wie eine Verlobung als große Veränderung.

»Jetzt mal ganz ruhig«, sagte meine Schwester und drückte mir ein volles Glas in die Hand.

Dankbar nahm ich einen großen Schluck. »Vielleicht sollte ich mir die Haare blondieren …«, überlegte ich laut. »Männer stehen doch auf Blondinen. Du bist das beste Beispiel dafür.«

»Frank hat mich nicht wegen meiner Haare genommen, und blond steht dir nicht. Oder muss ich dich an deinen sechzehnten Geburtstag erinnern?«

Ich verzog das Gesicht. »Oh Gott, du hast recht. Das lassen wir lieber. Dann vielleicht rot? Alles ist besser als das hier.« Ich hob eine meiner braunen Locken an.

Bea seufzte. »Sophie, ich sage es dir jetzt noch einmal: Es liegt nicht an dir. Du suchst dir höchstens die falschen Männer aus.«

Frustriert griff ich nach der Tüte Chips und stopfte ein paar in mich hinein. Suchte ich mir wirklich die falschen Männer aus? Nachdem ich erst drei langjährige Beziehungen gehabt hatte, fand ich es für eine generelle Aussage ein bisschen früh. »Findest du?«, fragte ich trotzdem.

Bea nahm sich ebenfalls eine Handvoll Chips. »Aber so was von. Du bist von einer schlechten Beziehung in die nächste geschlittert. Sebastian war einfach nur unreif und überhaupt noch nicht bereit für eine ernsthafte Bindung. Es ist ein Wunder, dass ihr es überhaupt zwei Jahre lang miteinander ausgehalten habt. Mark war noch schlimmer als Sebastian. Na, und Jan? Nimm’s mir nicht übel, aber Jan ist ein totaler Snob.«

»Ein Snob? Das stimmt doch gar nicht.«

Bea zog die Augenbrauen hoch. »Wenn einem Marken und Status wichtiger sind als Menschen, dann ist man meiner Definition nach ein Snob. Jan interessiert sich doch nur dafür, dass er sich seine Armani-Anzüge leisten kann und einen BMW in der Garage stehen hat.«

Mein Protest blieb mir im Hals stecken. An Beas Worten war tatsächlich etwas dran. »Und was nun?«

»Also, Frank hat da ein paar nette Arbeitskoll-«

»Das kommt überhaupt nicht infrage! Ich lasse mich doch nicht von meiner großen Schwester verkuppeln. Wie sieht das bitte aus? Außerdem hasse ich Blind Dates.«

Bea hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut, war ja nur eine Idee. Dann lass uns noch ein bisschen ausgehen, was meinst du? In der Nähe ist gerade Kirmes, da stehst du doch drauf.«

»Hat die überhaupt noch auf?« Ich sah auf die Uhr. Noch nicht mal zehn. »Ich weiß nicht.« Nach Rausgehen war mir heute eigentlich nicht mehr zumute, außerdem hatte ich schon meinen Schlafanzug an.

Eine Weile hingen wir beide unseren eigenen Gedanken nach. Vielleicht war die Option, einen netten Kollegen oder Freunde von Frank kennenzulernen, doch nicht die schlechteste. Ich hatte nicht sonderlich viele Männer in meinem Freundes- oder Bekanntenkreis. Dating-Börsen oder Internetportale waren mir unheimlich, und im Kölner Nachtleben würde ich Mr. Right wahrscheinlich auch nicht finden.

Oh Gott, ich war verflucht. Was, wenn es mir einfach nicht bestimmt war, Mann und Kinder zu haben?

Und ob ich ihn überhaupt finden werde.

Madame Esmeralda nickte erneut. »Die Liebe ist immerrr eine heikle Sache, aberrr ich schau mal, was ich machen kann.« Unablässig bewegte sie ihre Hände über der Kugel. Es dauerte eine Weile, bis sie zu sprechen begann. »Oh, ich sehe einen Jungen und zwei Mädchen, alle mit brrraunen Locken und diesen schönen brrraunen Augen.« Sie lächelte, doch das Lächeln verblasste sofort wieder. »Du wirrrst es nicht leicht haben, den rrrichtigen Parrrtner zu finden. Du wurrrdest schon oft enttäuscht, und es werrrden noch einige Männerrr kommen und gehen.«

»Das habe ich befürchtet«, murmelte ich.

»Moment, ich sehe … sieben …« Sie öffnete die Augen und sah mich an. »Ich sehe sieben Männerrr. Du wirrrst sie alle in dein Bett lassen müssen, um den Rrrichtigen zu finden – und zwarrr bis zu deinem nächsten Geburrrtstag. Aberrr es lohnt sich, denn er wirrrd dich glücklich machen. Das spürrre ich.«

»Das darf doch nicht wahr sein!« Bea sprang auf und funkelte Madame Esmeralda wütend an. »Sie können ihr nicht so einen Mist erzählen. Meine Schwester ist imstande und glaubt das.«

Die Wahrsagerin ließ sich vom Ausbruch meiner Schwester nicht aus der Ruhe bringen. »Das sollte sie auch, wenn sie glücklich werrrden will.«

»Wie genau …?«, setzte ich an, doch Bea unterbrach mich:

»Das sollte sie überhaupt nicht, und wenn sie das tut, werde ich sie höchstpersönlich einweisen lassen.« Sie wandte sich mir zu. »Und jetzt komm, Sophie, wir gehen.«

Bea war so wütend, dass ich nicht widersprach. Sie knallte einige Euromünzen auf den Tisch und schob mich vor sich her an die frische Luft. Draußen machte ich mich los. »Was sollte das denn?«, fragte ich nun ebenso aufgebracht wie sie. »Jetzt haben wir doch die Erklärung, warum ich bisher mit Männern kein Glück hatte. Es ist mir einfach noch nicht bestimmt, den Richtigen zu finden.«

Bea sah aus, als wollte sie am liebsten schreien. Wahrscheinlich wäre das bei dem Lärm um uns herum nicht einmal jemandem aufgefallen, aber sie beschränkte sich darauf, die Hände theatralisch in die Luft zu werfen. »Sophie, bitte. Jetzt denk doch einmal nach!«

»Das tue ich, und plötzlich ergibt alles einen Sinn.«

»Du hast ’ne Meise.«

Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Das ist echt nicht nett von dir. Du hast immerhin einen Mann und zwei Kinder.«

»Aber bestimmt nicht, weil ich auf eine dahergelaufene Jahrmarkts-Weissagerin gehört habe, die mir so einen Quatsch prophezeit hat.«

»Du hast mich doch hierhergeschleppt.«

Beas Gesicht verfinsterte sich. »Ja, und ich bereue es, seit sie ihre dämliche Leuchtkugel angeknipst hat, das kannst du mir glauben. Ich hatte gehofft, dass sie dich aufmuntert, indem sie dir sagt, dass du den Richtigen schon noch findest. Dass du nur ein bisschen Geduld haben musst. Aber das?« Sie machte eine Handbewegung Richtung Zelt. »Das sollte verboten werden.«

»Jetzt übertreib mal nicht«, versuchte ich, sie zu beschwichtigen. »Und außerdem: Was ist denn schon dabei? Es geht immerhin nur um sieben Männer, nicht um eine ganze Kompanie.«

Bea griff nach meiner Hand. »Sophie, ich halte das wirklich für keine gute Idee. Du wirst den Richtigen schon noch finden. Aber du findest ihn mit Sicherheit nicht, indem du mit wildfremden Männern ins Bett hüpfst.«

»Oh doch, das werde ich. Und ich fange gleich morgen damit an.«

Bea starrte mich an, als wäre ich ihr völlig fremd, aber das war mir egal. Ich würde das durchziehen. Ich musste das durchziehen.

»Ich hätte wirklich nicht mit dir herkommen sollen«, sagte Bea und sah mich ernst an. Sie sprach nun leiser. »Wahrsagerinnen auf dem Jahrmarkt … Ich bitte dich, Sophie. Du kannst doch nicht ernsthaft daran glauben.«

Traurig zuckte ich mit den Schultern. »Was soll ich denn sonst glauben? Dass ich nicht liebenswert bin? Dass die Männer mich nicht wollen?« Entschlossen straffte ich den Rücken. »Ich werde nicht mehr tatenlos herumsitzen und darauf warten, dass Prinz Charming endlich an meine Tür klopft. Ich nehme das jetzt selbst in die Hand, so wie sich das für eine moderne Frau gehört.«

»Willst du nicht erst einmal darüber schlafen?«, wagte Bea einen letzten Versuch.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich geh das jetzt an. Sofort. Außerdem lenkt es mich vielleicht von Jan ab.«

»Na, meinetwegen.« Bea seufzte resigniert. »Ausreden kann ich’s dir offenbar ohnehin nicht mehr. Und wahrscheinlich schadet es nicht, wenn du ein bisschen ausgehst. Du musst ja nicht unbedingt mit allen Männern schlafen. Es reicht vielleicht auch, wenn du sie mal auf deinem Bett sitzen lässt.«

»Nee, nee, nee! Wenn, dann mach ich es gleich richtig. Nicht, dass ich nachher noch mal von vorne anfangen darf. Ich hab auch nicht mehr so viel Zeit. In drei Monaten werde ich schon dreißig. Es wird ohnehin nicht so leicht werden, drei geeignete Männer zu finden, ich will schließlich nicht mit jedem x-Beliebigen ins Bett. Ein bisschen was muss der Typ schon hermachen. Wobei zwei sicher auch reichen, denn der danach müsste laut der Prophezeiung der Richtige sein, oder was meinst du?«

»Nur zwei?« Bea zog die Nase kraus. »Wer denn noch? Sebastian, Mark, Jan und … Oh mein Gott, David! Ich wusste doch gleich, dass du mit ihm geschlafen hast.«

David war meine erste große Liebe gewesen, auch wenn wir nur ein paar Monate zusammengewesen waren, als ich siebzehn war. Er war dann leider mit seiner Familie weggezogen. Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. »Tut mir leid, aber man erzählt seiner großen Schwester eben nicht alles.«

»Zum Glück hat sich das geändert«, sagte Bea und legte mir einen Arm um die Schultern.

Ich lächelte. Wenn sie sich Details von meinen zukünftigen One-Night-Stands erhoffte, hatte sie sich geschnitten.