Über Jutta Voigt

Jutta Voigt, geboren in Berlin, Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität, Redakteurin, Essayistin und Kolumnistin bei den Wochenzeitungen Sonntag, Freitag, Wochenpost und Zeit. 2000 Theodor-Wolff-Preis. Bei Aufbau erschienen: »Der Geschmack des Ostens. Vom Essen, Trinken und Leben in der DDR«, »Westbesuch. Vom Leben in den Zeiten der Sehnsucht«. Zuletzt: »Spätvorstellung. Von den Abenteuern des Älterwerdens«. Neu im Aufbau Verlag erscheinen 2016 von Jutta Voigt: »Stierblutjahre. Die Boheme des Ostens« und »Verzweiflung und Verbrechen. Menschen vor Gericht«.

Informationen zum Buch

Sie sitzen in einem Café und plötzlich kommt eine Frau auf Sie zu und fragt, ob Sie nicht Lust hätten sich ein wenig mit ihr zu unterhalten. Einen Kaffee lang, jetzt sofort. Diese flüchtigen »Wahlbekanntschaften« hat Jutta Voigt in diesem Buch versammelt. 47 Gespräche, mit 47 Menschen, die in 47 unterschiedlichsten Cafés in Berlin spielen, vom Hotel Adlon bis zum Hinterhof im Prenzlauer Berg. Dort sprach Sie mit ihren Zufallsbekanntschaften über deren Hoffnungen, Ängste und die Dinge des Lebens. Flüchtige Begegnungen eingefangen in ihren Kolumnen.

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Jutta Voigt

Wahlbekanntschaften

Menschen im Café

47 Kolumnen

Inhaltsübersicht

Über Jutta Voigt

Informationen zum Buch

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Warum haben Sie mich ausgewählt?
Ein Vorwort

Die Begleiterin

Der verliebte Student

Schüchternes Genie

Heimweh

Die Untermieterin

Der Fotograf

Frauen pur

Die Sammlerin

Hochwürden

Schmitt & Voss

Muttis kleiner Engel

Kurze Freiheit

Glück – was ist das?

Der bleiche Freund

Eine russische Seele

Verklärung des Augenblicks

Dame von damals

Der junge Gott

Das Leben – ein Windbeutel

Prinz ohne Träume

Die Witwe

Die Dinge des Lebens

Der Himmelskörper

Der Chauffeur

Sibirische Augen

Helden der Arbeit

Die Abenteuerin

Der Zyniker

Wunschlos unglücklich

Die Absage

Die Ehefrau

Der Tangotänzer

Einsames Segel

Der Schattenmann

Bubikopf

Ein stadtbekannter Typ

Mona Lisa

Der Nachtmensch

Kaiserschmarren

Der Liebhaber

Paradies war gestern

Draußen vor der Tür

Die Sängerin

Süße Jungs

Der Zeitreisende

Doppelleben

Jutta

Die Cafés

Impressum

Für Peter

Warum haben Sie mich ausgewählt?
Ein Vorwort

Ich passe nicht in das Café, und doch ist es mein Stammcafé. Hier ist man jung. Verträumte Studenten versinken samt Notebook in geblümten, alten Couchgarnituren, Schauspielschülerinnen lernen, hingeräkelt auf ausgeblichene Chaiselongues, Kleist-Texte. Einmal war eine frisch angestellte Moderatorin da, sie konnte ihr Glück nicht fassen und erzählte ihrer Freundin so laut vom Vertrag mit dem Fernsehen, dass jeder im Café davon erfuhr. Sie haben alles noch vor sich, alles oder nichts. Sie lesen die »taz« und hören leise Tangos aus Argentinien, sie haben die Schuhe ausgezogen und streicheln ihre Freundinnen wie Wunderwerke. Ich nehme sie wahr, ohne aufzusehen, ich höre sie, ohne ihnen zuzuhören, ich vergleiche mich mit ihnen, ohne Absicht, es geschieht einfach. Wie immer setze ich mich auf das hellgrüne Sofa, es hat einen absonderlichen Schwung, weich und nachgiebig ist die Plattform meiner Kontemplation. Cafés sind Umschlagplätze von Erinnerungen, Zwischenlager der Zukunft – so oder so.

Ich habe mir ein Kännchen Earl Grey geholt – Selbstbedienung. Eine halbe Stunde später bestelle ich noch mal einen Tee, diesmal nehme ich ein Zitronentörtchen dazu, von dem das schwarzhaarige Mädchen am Tresen sagt, dass sie das auch gern isst, es bringe die Kindheit zurück, besonders der Geruch nach Zitronenschalen. Mein Stammcafé liegt an einer dörflich anmutenden Straßenecke im Prenzlauer Berg, die obdachlosen »Straßenfeger«-Verkäufer haben hier mehr Chancen, ihre Zeitungen loszuwerden, als woanders. Es gefällt mir, weil das Interieur theatralisch ist und die Musik über den Zeiten schwebt. Weil ich mich angesichts der fremden Lebenszeichen auf mich selbst konzentrieren kann. Zu sich kommen, indem man zu anderen geht. Anderen zusehen und sich besinnen. Andacht halten im Trubel des Seins. Was dem Gläubigen die Kirche, ist mir das Café.

Seit 300 Jahren gibt es Kaffeehäuser, habe ich bei der Kaffeeforscherin Ulla Heise nachgelesen. Aus dem Kaffee-Ausschank in schlichten Stuben wurde das Grand Café der Belle Epoque – schlossartige Säle, die nach Mokka dufteten und das Bildnis ihrer Kundschaft auf glitzernden Spiegelwänden strahlend vervielfältigten. Marmor, Kronleuchter, Silberkännchen. Kommen und Gehen. Sehen und Gesehenwerden. Es gab Leute, von denen sagte man, sie wohnten im Café: »Nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft«, kommentierte der Dichter Peter Altenberg. Als seine Adresse nannte er:

Café Central, Wien, Herrengasse 1.

In den Speisekarten einiger Berliner Cafés findet man noch heute sein Gedicht über die Bedeutung des Kaffeehauses als Drehscheibe der menschlichen Existenz:

»Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene – ins Kaffeehaus!

Du bist Beamter und wärest gern Arzt geworden – Kaffeehaus!

Du stehst innerlich vor dem Selbstmord – Kaffeehaus!

Du hasst und verachtest die Menschen und kannst sie dennoch nicht missen – Kaffeehaus!«

Der Zeitgeist hat immer mit am Tisch gesessen, doch auch er dürfte die meiste Zeit damit zugebracht haben, Kaffee zu trinken, Zeitung zu lesen und zu spielen. Mozart spielte Billard im Café, Johann Strauß dirigierte seine Wiener Walzer im Cafégarten. Voltaire und Robespierre widmeten sich dem Schachspiel, auch Trotzki, der revolutionäre Russe. Von Anfang an, so hat die Kaffeeforscherin herausgefunden, waren Kaffeehäuser neben vielem anderen auch Bühnen für die Aufführung neuer Ideen und aufrührerischer Absichten. Hier wurden Manifeste verfasst und Revolutionen angezettelt. Dazwischen – und die meiste Zeit war Zwischenzeit – wurde gelebt, gespottet, Torte gegessen und gewartet auf irgendwas. Auch die Liebe hat sich gern am Marmortisch niedergelassen: »In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee …«

Alltag und Sensation haben sich im Kaffeehaus gesucht und gefunden. 1789 rief der Journalist Desmoulin im Pariser Café de Foy die Menge auf, zu den Waffen zu greifen. Im Café Stehely in Berlin stritten ein halbes Jahrhundert später der junge Marx und Friedrich Engels mit Max Stirner über Hegel und den Weltgeist, die Subversion war auch dabei. Im Moskauer Poetencafé wurde der Futurismus zelebriert, und in den düsteren Stolowajas von St. Petersburg hockten im November 1917 übernächtigte Männer mit roten Armbinden und Gewehren und wärmten sich am Kaffee-Ersatz. Auf die Nachricht, dass in Russland eine Revolution vor der Tür stehe, hatte ein Wiener Ministerialbeamter bemerkt: »Gehn’s, wer soll denn in Russland eine Revolution machen? Vielleicht der Herr Trotzki aus dem Café Central?« Des öfteren warfen die Ereignisse dieser Welt ihre Schatten als erstes auf Kaffeehaustische. Zwei Wochen vor dem Einmarsch Hitlers in Wien hielt der österreichische Prosaist Anton Kuh im Central die letzte seiner berühmten Stegreif-Reden: »Sind die Juden intelligent? Wenn ja, rettet euch! Es ist höchste Zeit!«

Während im Café des Westens und im Romanischen Café in Berlin Literaten und Schauspieler Tag für Tag und Abend für Abend sich selber und die Kunst revolutionierten oder darauf warteten, dass es passierte, versammelten sich in den Hinterzimmern verqualmter Nacht-Cafés diese und jene Führer der Arbeiterbewegung und planten Umsturz. In Cafés wurden Zeitungen gemacht, Meinungen, Kunstrichtungen und Philosophien, Kubismus und Existentialismus wurden zwischen Pernod und Mokka geboren. Wenn es keine Cafés gegeben hätte, würde es keinen Sartre gegeben haben, schrieb Boris Vian. Sartre und Simone de Beauvoir hielten sich das ganze Jahr 1940 hindurch täglich und den ganzen Tag über im Café de Flore auf: »Das Flore war sozusagen unsere Wohnung. Selbst wenn Fliegeralarm bekanntgegeben wurde, taten wir nur so, als ob wir in den Keller gingen, schlichen uns dann aber in die erste Etage hinauf und arbeiteten weiter.« Die Alltäglichkeit des menschlichen Daseins als existenzphilosophische Erkenntnis – dafür brauchte Sartre das Milieu seines Cafés.

Der Umstand übrigens, dass es in der DDR auffällig wenige Cafés gab, dürfte auf derartigen Erfahrungen beruhen. Wo Menschen zusammenkommen und reden, so witterte die Partei, da ist Gefahr – da lauert der Dämon Veränderung, Kommunikation ist die Mutter der Konterrevolution! Stimmt ja und gilt auch umgekehrt. Nach der Wende schossen die Cafés aus östlichem Boden wie die Tausendschönchen im Frühling. Der Prenzlauer Berg wurde der Stadtteil mit den meisten Kaffeehäusern in Berlin, es gab einiges nachzuholen. Vielen dieser Lokale sieht man heute noch an, dass sie nicht nur aus Geschäftsinteresse eröffnet wurden, sondern ein Programm hatten: Orte der Offenheit zu sein, Orte für das unaufhörliche Fest von Freiheit und Demokratie. Man duzte sich, die Einrichtung war spartanisch: Holztische, Dielen, riesige Fenster – eine Einheitsfront wiedergeborener Individualität. Inzwischen ist die Utopie erwachsen geworden, Geschäft geht vor Traum.

Als mich die Redaktion der »Zeit« fragte, ob ich Lust hätte, eine Gesellschaftskolumne zu schreiben, sah ich mich schon auf Empfängen rumstehen, wo Garnelenschwänze am Spieß gereicht werden. Sah mich auf Sinnsuche bei Werbe-Events teurer Juweliere und Modenschauen von Jil Sander. Sah mich bei Verkostungen edler Weine und Eröffnungen luxuriöser Zigarrenhäuser den Reichen und Schönen der Hauptstadt hinterherhecheln. Der Fernsehtalkerin Christiansen und ihrem Friseur. Dem untoten Playboy Rolf Eden samt Gespielin. Désirée Nick, Jeanette Biedermann, Schröderschilywesterwelle, welch Glanz in unserer Hütte.

Gesellschaftskolumne ja, aber nicht Promis wollte ich aufsuchen, sondern Menschen. Die Gesellschaft in ihrer merkwürdigen Alltäglichkeit fassen, den Glanz des Gewöhnlichen aufspüren, es gibt ihn. Den Zufall wollte ich mitspielen lassen, die Intuition und einen klassischen Treffpunkt: das Café. Das zugige Bahnhofscafé und das in der exklusiven Halle vom Hotel Adlon, die Lümmel-Lounge von Starbucks am Hackeschen Markt und das stille, schmale Refugium in der Kulmer Straße in Schöneberg. Momentaufnahmen menschlicher Existenz sollten es sein, Schicksalsskizzen. So entstanden die »Wahlbekanntschaften«. Jede Woche eine andere Berliner Gegend, eine andere Art von Café, ein anderer Mensch. Ein Jahr lang zog ich durch die Kaffeehäuser zwischen Mitte und Grunewald, trank Tee und wählte aus. Hatte Lampenfieber vor dem entscheidenden Schritt an den anderen Tisch: Hätten Sie Lust, sich ein bisschen mit mir zu unterhalten?

Das Unwahrscheinliche geschah. Die Ausgewählten belohnten meine Grenzüberschreitung mit Einverständnis, Misstrauen kam selten vor. Sie sprachen, ich hörte zu, wir trennten uns. Es waren flüchtige Berührungen, Vertrautheit im Vorübergehen, One-Hour-Stands sozusagen. Zuweilen schien es mir, als hätten sie auf jemanden wie mich gewartet, auf jemanden, der ihnen zuhört. Warum haben Sie gerade mich ausgewählt? fragten einige. Vielleicht war es die Farbe Ihrer Augen, sagte ich dann, oder die Ihres Pullovers oder das Lächeln, mit dem Sie Ihre Bestellung aufgaben, oder weil Sie mich an meine Deutschlehrerin erinnerten – meine Wahlbekanntschaften hatten mehr mit mir selbst zu tun, als mir bewusst war.

Die Redaktion wollte Namen, vor allem authentisch sollte es sein. Ich willigte ein und blieb skeptisch – wer würde unter seinem wirklichen Namen Intimes erzählen wollen? Manch einem stellte ich dann doch frei, seinen Namen zu ändern, drei meiner 47 Wahlbekanntschaften nahmen das Angebot an. Die anderen 44 hatten nichts dagegen, dass ihr wahrer Name gedruckt wird, ja, sie bestanden darauf, es bedeutete ihnen etwas – gewollt, gefragt und ausgewählt zu werden ist in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit. Von Liebe und Einsamkeit war die Rede, von Alkoholismus und Bulimie, von Sehnsucht und Arbeitslosigkeit – Lebenszeichen in Stichworten, Allianzen für eine Stunde, nicht mehr und nicht weniger.

Natürlich gab es Zurückweisungen. In einem weiträumigen Café am Kurfürstendamm war mir eine üppige junge Frau aufgefallen, mit einem sanften, weichen Gesicht, wie von Renoir gemalt. Sie setzte sich auf eine Empore, ziemlich weit entfernt von meinem Tisch. Ich schritt durch den ganzen Saal zu ihr hin und versuchte, mein Ansinnen zu formulieren. Sie fiel mir ins Wort und schrie, dass sie sich das verbitte, auch auf ihrem Handy seien immer solche unverschämten Anrufe. Die Schöne schrie, die Leute im Café blickten auf, ich fühlte mich wie eine ambulante Händlerin für Vibratoren, wenn nicht wie eine Taschendiebin, und machte, dass ich wegkam, ich hatte mich ganz einfach verwählt. Der zweite Fall war Herr Blass, er ist in diesem Buch beschrieben.

Die Prophezeiung, dass seine Zeit vorbei sei, begleitete das Kaffeehaus von Anfang an und erfüllte sich nie. Momentan hat es wieder mal Konjunktur. Trend ist die scheinbare Improvisation in den Coffee-Shops mit dem Coffee-to-go-Pappbecher. Doch gerade die Kaffeeketten mit ihren Selbstbedienungs-Bars, wo alles auf Tempo und Durchlauf eingestellt aussieht, alles genormt ist, gerade die werden als öffentliche Wohnzimmer genutzt, als gesellige Salons und lässige Büros mit Internet-Anschluss. Gerade hier bleibt man lange, Zeit scheint keine Rolle zu spielen. Das Café als Einrichtung zur Verlangsamung des Daseins – eine revolutionäre Rolle!

Berlin, im Januar 2005

Jutta Voigt

Die Begleiterin

Fabelhaft verführerisch für 12,99 – bei Tchibo halten sich zwei Polizistinnen probeweise schwarze Spitzenhöschen über den groben Stoff ihrer Uniformen. Nachmittag am Alexanderplatz. Grau und geschäftig umstehen die Plattenbauten den windigen Platz, der sich lange schon an seine hurtige Hässlichkeit gewöhnt hat. Der Brunnen der Völkerfreundschaft, Nuttenbrosche genannt, ist verwaist. Punks, Alkoholiker und Arbeitslose, die im Sommer wie freche Vögel an seinen Rändern hocken, sind verschwunden. In den rummelbudigen Flachbauten am Fuße des Hotel-Hochhauses, zwischen Burger King, Saturn und Fielmann, befindet sich das Kaffeehaus Am Alex, voll von majestätischen Champagnertrüffel-, Schwarzwälder Kirsch- und Sachertorten; es gilt, die Ungeborgenheit des Platzes vergessen zu machen. An einem Vierertisch sitzt eine Frau vor einer leeren Kaffeetasse, allein. Sie sieht aus, als würde sie schon lange warten, auf jemanden, der nicht mehr kommen wird. Sie wähle ich aus, sie wird meine erste Wahlbekanntschaft. Ich setze mich an ihren Tisch, das Lächeln der Serviererin wirkt teilnehmend, von Frau zu Frau, von Frau zu Einsamkeit, von Einsamkeit zu Erlösung.

Ich warte, dass der Tag vergeht, sagt Marika Kovacova. Sie ist von jener Blondinen-Schönheit, die ewig reproduzierbar scheint, ein Gemisch aus Claudia Schiffer und tschechischen Knödeln. Ich warte hier, bis mein Freund kommt. Nein, nein, er kommt nicht ins Café, er muss arbeiten, er ist Geschäftsmann, er kommt um halb sechs ins Ibis-Hotel. Marika hat einen breiten Schmollmund, lange Wimpern säumen ihre blauen Augen wie Schilf verschwiegene Seen. Am Morgen um sieben Uhr ist sie aufgestanden und hat mit Hans-Jochen gefrühstückt. Der Geschäftsmann aus Düsseldorf ist zur Arbeit gegangen, sie, seine tschechische Freundin, blieb im Hotelzimmer und sah fern, MTV, den Musikkanal. Mittags aß sie in einem Asia-Bistro Sauerscharf-Suppe und ging zum Alexanderplatz, wohin sonst. Seit drei Stunden nun ist sie im Café und wartet, dass es halb sechs wird. Ich möchte als Model arbeiten, wissen Sie nicht eine Agentur? Ich weiß keine und rate Marika, abends in Clubs zu gehen, wo Leute ihres Alters sind, die wüssten vielleicht was. Ach, nein, Clubs nicht, Hans-Jochen ist schon fünfzig; aber das macht mir nichts aus, er ist sehr vital, wir gehen abends essen oder ins Theater. Hans-Jochen ist viel auf Reisen. Wir haben uns vor einem Jahr in Brno kennengelernt. Er ist gut zu mir, ich begleite ihn. Marika ist 32, sie hat Werbe-Jobs gemacht für eine Staubsauger-Firma und für einen Fleckentferner-Hersteller, einen Beruf hat sie nicht gelernt.

Im Kaffeehaus herrscht eifriges Chaos, östlich dominiert, neben vielen Stühlen stehen Koffer, Treffpunkt Berlin Alexanderplatz. Marika sieht mich aufmerksam an. Was ist wichtig für Sie, heute, in diesem Moment? frage ich sie. Daß Hans-Jochen wieder gut zu mir ist. Gestern Abend war Katastrophe. Ich bin mit einem Toilettenmann ins Gespräch gekommen, ein Schwarzer, der hat mir ein paar Sachen aufgeschrieben, wo ich hingehen kann in Berlin. Das habe ich meinem Freund erzählt. Er wurde sehr böse. Das ist nicht normal, dass du mit so einem Mann sprichst, sagte er. Jetzt muss ich los, Hans-Jochen wird gleich da sein – Marika steht eilig vom Tisch auf, eine kleine, rundliche Person mit einem Teint von der Farbe eines Marzipan-Törtchens. Sie wird zehn Minuten laufen bis zu dem kahlen Hotel neben der Tankstelle, wo sie ihren deutschen Freund treffen wird. Morgen wird sie wieder warten, dass der Tag vergeht und die Liebe anfängt.

Der verliebte Student

Ein Hinterkopf unter blauer Glaslampe, dunkelblond und borstig, auf alle Fälle jung. Über einen Haufen Papiere gebeugt. Der Mann sitzt in einem separaten Kabuff, dem Geschehen abgewandt, allein in murmelnder Gesellschaft, ganz für sich und doch dabei. Ihn wähle ich aus, es ist Donnerstagnachmittag.

Starbucks