Aufregung um Prinz Luc
Kaum will Luc sich auf der idyllischen Ranch eines Freundes ein paar Tage lang erholen, sorgt eine schöne Frau für ungeahnte Aufregung in seinem Leben. Seit Carly aufgetaucht ist, weicht sie nicht mehr von seiner Seite. Und ehe er sich versieht, kann er Tag und Nacht bloß an eins denken: Wie verlockend ihre Küsse schmecken, wie erregend ihre zärtlichen Berührungen sich anfühlen … Doch er muss aufpassen: Auf gar keinen Fall darf er ihr so nah kommen, dass sie entdeckt, wer er wirklich ist …
JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20354 Hamburg, Valentinskamp 24
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© 2006 by Linda Goodnight
Originaltitel: „Prince Incognito“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA
Band 1761 (10/2) 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Jutta Ploessner
Fotos: Anne von Sarosdy
Veröffentlicht als eBook in 07/2011 - die elektronische Version stimmt mit der Printversion überein.
ISBN: 978-3-86295-778-1
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
ROMANA, BACCARA, BIANCA, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL
www.cora.de
Carson Benedict stand auf dem Balkon und ließ seinen Blick über seinen Besitz, die Benedict Guest Ranch, schweifen. Heute war sein Geburtstag, doch ein besonders froher Tag war es nicht für ihn. Dafür hatte Teddi, seine ausgeflippte Schwester, schon gesorgt. Sie lag ihm wieder einmal mit ihren verrückten Ideen in den Ohren, die sie sich ständig einfallen ließ, um die Ranch erfolgreicher zu machen. Ihr neuester Einfall übertraf alle bisherigen.
„Sieh dir doch die Bücher an, Carson!“ Mit Nachdruck klopfte Teddi auf den Ordner in ihrer Hand, wodurch sechs bunte Perlenarmbänder an ihrem schlanken Handgelenk heftig in Bewegung gerieten. „Wir müssen uns schleunigst etwas einfallen lassen, oder unsere Gäste-Ranch geht baden.“
„So schlecht laufen die Dinge doch gar nicht“, meinte Carson. Allerdings musste er eingestehen, dass sie auch nicht besonders gut liefen.
„Die Buchungen sind diesen Sommer abermals zurückgegangen“, hielt Teddi ihm vor Augen. „Reiter-Ranches im Westernstil haben ihre Anziehungskraft verloren. Diese ganze Cowboy-Romantik ist out. Wir brauchen neue Ideen, neue Attraktionen.“
Carson unterdrückte einen Seufzer. Er ging wieder in sein Büro zurück, obwohl ihm klar war, dass er seiner Schwester nicht entkommen konnte, wenn sie erst einmal in Fahrt geraten war. „Glaubst du denn im Ernst, das Problem lösen zu können, indem du die Ranch in ein Liebesnest verwandelst?“
Natürlich war Teddi ihm auf den Fersen gefolgt. „Das Wellness-Resort für Meditation und ganzheitliche Körperreinigung hattest du ja bereits abgelehnt. Im Übrigen ist einzig und allein Liebe die Antwort auf alle Probleme. Liebe und Aromatherapie.“
Carson konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Seine kleine Schwester hatte sich völlig der New-Age-Ära verschrieben und war zu einer leidenschaftlichen Verfechterin von Frieden, Liebe und Heilkräutern geworden. Mit dem Schwerpunkt auf Liebe.
„Das hier ist eine Ranch, kein Bordell“, betonte er. Urlaubsgäste aufnehmen zu müssen war für ihn schon schlimm genug. Auf keinen Fall wollte er einen Haufen liebestoller Singles hier herumlaufen haben.
„Ach, du!“ Teddi schüttelte den Kopf, wobei ihre grünen Ohrringe, die die Form einer Pyramide hatten und in deren Mitte ein Auge aufgemalt war, hin und her baumelten. „Davon hatte ich auch nichts gesagt. Erinnerst du dich noch an das ‚Love Boat‘? Warum also nicht eine Love Ranch, wo Singles Gelegenheit haben, die Liebe ihres Lebens zu finden?“
„Nein!“, versetzte Carson entschieden.
„Aber Carson, Partnervermittlung ist heutzutage das Thema, ob im Internet, bei den Kirchen oder an den Unis. Es gibt sogar jede Menge professionelle Vermittler.“
„Nicht hier bei uns.“ Carsons Stimme klang endgültig.
„Na gut, wie du meinst.“ Aufreizend lässig klopfte Teddi mit der Spitze ihres hellgrünen Schuhs auf den Boden. „Du hast gewonnen. Lass die Ranch doch noch tiefer in Schulden versinken. Lass sie uns an unseren Cousin Arnold verkaufen, damit er ein Outletcenter draus machen kann.“ Mit verschränkten Armen lehnte Teddi sich gegen die Wand und klopfte weiterhin mit der Schuhspitze auf den Boden.
Carson kannte diese Körpersprache zur Genüge. Er wusste, dass seine Schwester einfach weiter hartnäckig über das Thema Liebe reden würde, bis er am liebsten vom Balkon springen und schreiend über die Felder rennen würde.
Er stieß einen so tiefen Seufzer aus, dass einige Blätter vom Schreibtisch flatterten. So ungern er es auch zugab, mit der Benedict Guest Ranch ging es tatsächlich steil bergab. Sie brauchten eine zugkräftige Werbeidee, um mehr Gäste auf die Ranch zu locken. Carson hatte gehofft, dass der Reiz des Wilden Westens auch weiterhin ziehen würde, aber Teddi hatte recht. Das war nicht mehr der Fall.
„Kannst du dir nicht etwas anderes als eine Love Ranch einfallen lassen?“, brummte er.
„Hör mal, nur weil Suzy dich wegen Brad Holder und seinen Ölquellen verlassen hat, brauchst du die Liebe doch nicht gleich in Bausch und Bogen abzulehnen“, protestierte Teddi.
Bei der Erwähnung seiner Exfrau und des reichen Brad geriet Carsons Blut in Wallung. Suzy hatte ihm ewige Liebe und Treue geschworen – bis er finanzielle Probleme gehabt hatte.
„Darüber werde ich mir zu einem anderen Zeitpunkt Gedanken machen.“ Abgesehen von seinem knappen Budget, mit dem er zu kämpfen hatte, musste Carson sich noch um eine seiner Rinderherden kümmern, wo die Kälber von ihren Müttern getrennt werden mussten. Außerdem hatte er noch eine Geburtstagsparty zu überstehen. „Diskussion beendet.“
„Nein.“ Energisch stemmte Teddi die Hände in die Hüften. Ihre Ohrringe baumelten wild. So flatterhaft sie manchmal auch war, wenn sie etwas durchsetzen wollte, war sie beinahe ebenso hartnäckig wie ihr Bruder. „Das hier ist auch mein Zuhause, Carson. Und es zu erhalten ist ebenso meine Aufgabe wie deine. Der einzige Weg, um mehr Gäste anzulocken, ist eine zündende Marketingidee. Und was zieht besser als Romantik?“
„Vielleicht Rasierklingen essen?“
Teddi schaute ihn aus schmalen Augen an. „Ah, das ist es also!“, stellte sie fest.
Carson war gespannt, was er jetzt wieder zu hören bekommen würde. Teddi sah so angriffslustig aus. „Was meinst du damit?“, erkundigte er sich vorsichtig.
„Dass du, herzallerliebster Bruder …“, sie schlug mit der Hand auf seinen Schreibtisch, „… einfach Angst hast!“
Er zog die Brauen zusammen. „Wovor?“
„Vor diesem Wort mit fünf Buchstaben: L-I-E-B-E. Du hast so große Angst vor der Liebe, dass du nicht einmal Romeo und Julia überreden könntest, miteinander auszugehen, selbst wenn es Pizza umsonst gäbe.“
„Natürlich könnte ich das“, widersprach Carson heftig. Allmählich begann er sich über seine Schwester zu ärgern. Die Behauptung, er, der hartgesottene Rancher und Geschäftsmann, habe vor irgendetwas Angst, ärgerte ihn. „Aber ich habe keine Lust auf solche Dinge.“
„Du brächtest es auch gar nicht fertig.“ Teddi setzte sich auf die Schreibtischkante, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß.
„Selbstverständlich brächte ich das fertig.“
„Ha, nie! Nie, nie, nie.“ Bei jedem Nie klopfte sie mit der Schuhspitze auf den Boden.
Sie machte sich lustig über ihn! Bald würde sie ihn dort haben, wo sie ihn haben wollte. „Gut, ich habe schlechte Erfahrungen gemacht“, knurrte er. „Aber ich habe keine Angst vor der Liebe.“
„Dann beweise es“, verlangte sie.
„Und wie soll ich das anstellen?“
„Indem du ein wenig zwischen unseren Gästen vermittelst.“
„Nein, auf gar keinen Fall!“, wehrte Carson ab.
„Siehst du?“, sagte sie herausfordernd. „Ich wusste ja, dass du es nicht fertigbringen würdest.“
Carson knirschte mit den Zähnen. Niemand sollte ihm vorwerfen, dass er etwas nicht fertigbrachte, auch nicht seine Schwester. „Wetten, dass ich es fertigbringe?“
„Wirst du nicht“, trällerte Teddi.
„Werde ich schon.“
„Okay. Ich wette, dass du es nicht schaffen wirst, dass sich die nächsten zwei alleinstehenden Gäste ineinander verlieben.“
Carson reckte das Kinn vor. „Und wenn ich die Wette gewinne?“
„Dann werde ich kein Wort mehr wegen einer Love Ranch sagen“, versprach seine Schwester. „Aber wenn du die Wette verlierst, darf ich die Ranch umbenennen und eine Werbekampagne starten.“
Gegen seinen Willen musste Carson lächeln. „Die Wette gilt.“
Teddi schoss vom Schreibtisch hoch und fiel ihm um den Hals, wobei sie ihn beinahe umgeworfen hätte. „Großartig! Ich werde dir sogar helfen.“
„Moment mal …“ Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? „Warum willst du mir dabei helfen?“
„Wenn du erst siehst, wie allmächtig die Liebe ist, wirst du nicht mehr davon loskommen und alles tun, damit unsere Ranch die Love Ranch wird.“
Carson war entsetzt. „Nie im Leben! Du sagtest, du würdest das Thema dann fallen lassen.“
„Das werde ich auch, falls du es dann immer noch willst. Aber erst musst du ein Pärchen zusammenbringen.“ Ausgelassen tanzte Teddi durchs Büro, und Carson wusste, dass sich die Rädchen in ihrem Kopf mit Höchstgeschwindigkeit drehten. „Wir haben bereits ein Bild von einem Mann hier.“
Carson versteifte sich. Abwehrend streckte er die Hände aus. „Falls du Luc Gardner meinst, er ist absolut tabu.“
Teddi blieb stehen. Nachdenklich schaute sie ihren Bruder an. „Aber er ist solo, nicht wahr?“
Ja, Luc war Single, und er hatte eine Menge mehr zu bieten, als eine Frau sich jemals träumen lassen würde. Doch Carson hatte seinem adligen Freund versprochen, seine wahre Identität zu schützen, damit er einen ungestörten Sommer verbringen konnte. Zum Glück war Teddi nicht hier gewesen, als Luc das letzte Mal nach Oklahoma gekommen war.
„Nein, nicht Luc“, beharrte er.
„Aber du hast keine andere Wahl“, rief Teddi. „Er ist der erste männliche Single hier, und das war Bestandteil unserer Wette.“
Als draußen das Zuschlagen einer Autotür zu hören war, lief sie eilig zum Fenster und spähte durch den Vorhang. Mit einem Händeklatschen fuhr sie wieder herum. „Und gerade ist das perfekte weibliche Gegenstück angekommen! Sieht zwar ein bisschen gewöhnlich aus, aber sie ist immerhin eine Frau.“
Teddi segelte auf ihn zu, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und riss die Tür dann mit einem solchen Ungestüm auf, dass Carson gequält das Gesicht verzog.
„Ich laufe rasch hinunter und heiße sie willkommen“, rief sie. Bevor sie aus der Tür ging, drehte sie sich noch einmal um und deutete mit dem Finger auf ihn.
„Du hast eine Wette abgeschlossen, Carson Benedict“, erinnerte sie ihn. „Du kannst dich jetzt nicht davor drücken. Es würde ein sehr schlechtes Karma zur Folge haben und die Ranch aus ihrem kosmischen Gleichgewicht werfen.“
Das kosmische Gleichgewicht der Ranch war bereits in schlechter Verfassung, wenn Carson es nüchtern betrachtete. Aber er hatte sich noch nie im Leben vor einer Wette gedrückt. So sehr er jetzt auch wünschte, den Mund gehalten zu haben, er war an sein Wort gebunden. Er würde seinen Studienfreund ins Reich der Liebe locken.
Carson seufzte.
Ja, er würde alles tun, um zu verhindern, dass die Ranch seiner Ahnen in eine Love Ranch verwandelt wurde!
In die Wüste geschickt …
Mit einem abgrundtiefen Seufzer öffnete Carly Carpenter den Kofferraum ihres grünen Toyota Camry und hievte ihre Reisetasche heraus, ebenso das Aufnahmegerät und ihren Laptop. Nach kurzem Überlegen tat sie den Rekorder wieder zurück. Hier in Maribella, Oklahoma, würde sie sicher niemandem begegnen, der es wert war, aufgenommen zu werden.
Sie blickte auf das dreistöckige, um die Jahrhundertwende erbaute Ranchhaus, das inmitten von Tausenden von Hektar Einsamkeit lag, und fragte sich, warum ihre Schwester Meg ausgerechnet diesen Ort für ihre Verbannung gewählt hatte. Zwar hatte sie gesagt, dass es keine Verbannung in dem Sinn war, doch Carly wusste es besser. Eric, Megs Mann und Inhaber der Privatdetektei Wright Stuff Investigations, hätte sie auf der Stelle gefeuert, wenn Meg sie nicht irgendwo hingeschickt hätte, wo sie untertauchen konnte, bis Gras über die Sache gewachsen war.
„Nur wegen einem einzigen kleinen Fehler“, murrte Carly verdrossen vor sich hin. Es war eine dunkle Nacht gewesen, und sie hatte den Blumenkübel nicht gesehen. In ihrer Aufregung, Sam Kensel endlich ohne seinen Rollstuhl und ohne seine Halskrause erwischt zu haben, hatte sie das offene Fenster nicht gesehen. Immerhin hatte der Kerl seinen Arbeitgeber um Millionen verklagt und behauptet, durch seinen Arbeitsunfall zum vollkommenen Krüppel geworden zu sein. Und da hatte er nun dagestanden und Zentnergewichte gestemmt wie Arnold Schwarzenegger, ohne Rollstuhl, ohne Halskrause und offensichtlich auch ohne Schmerzen. Auf Zehenspitzen war sie näher geschlichen, hatte nach ihrer Kamera geangelt und war dabei über den Kübel mit den Azaleen durchs offene Fenster gefallen, direkt in Sam Kensels Allerheiligstes hinein. Klar, dass ihre monatelangen Ermittlungen damit ruiniert gewesen waren. Ihr Schwager hatte nicht nur eine Menge Geld verloren, sondern auch sein Ruf, das beste Detektivbüro im amerikanischen Westen zu sein, war beschädigt. Aber hatte sie etwas dafürgekonnt, dass jemand diesen verflixten Kübel unter das Fenster gestellt hatte? Und war sie nicht sowieso schon gestraft genug, immer als Carly, die Tollpatschige, dazustehen?
„Ach, zum Kuckuck!“ Sie warf den Kofferraum zu und stellte dann fest, dass sie sich den Ärmel ihres weiten Schlabberblazers dabei eingeklemmt hatte. Ärgerlich zerrte sie daran, bis sie Stoff reißen hörte. Auch das noch!
Carly bevorzugte weite, übergroße Kleidung. Sie verlieh ihr das Gefühl, kleiner zu sein als ihre fast einsachtzig. Nicht, dass sie sich viel aus Mode machte. Sie war Privatdetektivin – oder zumindest wollte sie das sein – und hatte keine Zeit für lackierte Nägel und andere Faxen. Der Einfachheit halber hielt sie ihr dichtes dunkles Haar im Nacken mit einer Spange zusammen und hoffte, dass es so bleiben würde. Aber das tat es nie. Auch jetzt nicht, als Carly die Achseln zuckte. Schon fiel ihr das Haar auf die Schultern. Was soll’s, dachte sie, lass es einfach fallen.
Carlys Beruf war ihr ganzer Lebensinhalt. Sie hielt sich für eine gute Detektivin, auch wenn ihr Schwager und halb Dallas sich über diesen Punkt streiten mochten. Irgendwie musste sie es schaffen, bei ihnen wieder in Gnaden aufgenommen zu werden. Ein neuer Fall, den sie auf brillante Weise löste, wäre der beste Weg dorthin. Aber was sollte es in dieser Einöde hier, wo man meilenweit nichts anderes als Rinder und Weiden sehen konnte, schon Interessantes aufzuspüren geben? Im Geist sah sie schon die Schlagzeilen vor sich: Privatdetektivin entlarvt Bürgermeister beim mitternächtlichen Küheschubsen …
„Fahr in Urlaub. Erhol dich. Tank neue Kräfte“, hatte ihre Schwester ihr ans Herz gelegt und ihr einen Prospekt von der Benedict Guest Ranch in die Hand gedrückt, die knapp zwei Fahrstunden von Dallas entfernt lag. „Das ist noch eine richtige Ranch mit Cowboys und Pferden. Es wird dir dort gefallen.“
Als Carly hatte widersprechen und versichern wollen, dass sie viel lieber einen neuen Fall übernehmen wollte, hatte Meg sie mit befehlend erhobener Hand zum Schweigen gebracht.
„Schwesterherz, ich versuche, deinen Job zu retten. Du hast einen bezahlten Urlaub vor dir, also verschwinde. Lass die Lage sich hier erst mal ein wenig beruhigen und gib mir Zeit, um mäßigend auf Eric einzuwirken.“
Und hier war sie nun, mit einem zerrissenen Ärmel und einem angeschlagenen Ego, für unbestimmte Zeit auf die Benedict Guest Ranch verbannt. Meg hatte ihr befohlen, nicht nach Hause zu kommen, bevor sie zurückgerufen wurde. Carly fand das ziemlich beunruhigend.
Carly straffte die Schultern und ging auf das Ranchhaus zu, das aus einem Westernfilm zu stammen schien. Hölzerne Stufen führten zu einer Veranda, die um das gesamte Haus lief.
Eine Bewegung über ihr zog ihre Aufmerksamkeit an. Am Fenster hinter dem Balkon bewegte sich ein Vorhang, und für einen kurzen Augenblick erschien dort ein Gesicht.
Sofort war ihre detektivische Neugier geweckt. Wer konnte Interesse an ihrer Ankunft haben? Absolut niemand.
Carly setzte ihr Gepäck ab, schob den eingerissenen Ärmel hoch und öffnete die Eingangstür, an der ein wuchtiger Messinggriff prangte. Sie betrat ein altmodisches Foyer. Von der viktorianischen Rosentapete starrten ihr von einem Porträtbild ein verdrießlich blickender Mann mit geschniegeltem Haar und eine nicht minder säuerlich dreinschauende Frau entgegen. Warum hängte man ein so unfreundlich wirkendes Bild in die Eingangshalle?
Aus den Augenwinkeln heraus nahm sie einen weiteren Raum wahr, in dem sich eine hufeisenförmige Rezeptionstheke befand. Den Blick noch immer auf das unsympathische Paar geheftet, begab sie sich dorthin und prallte dabei gegen die Brust eines hochgewachsenen und gut gebauten Mannes. Eines nach sehr teurem Parfum riechenden Mannes, wie Carly sofort auffiel. Langsam hob sie den Blick von den Perlmuttknöpfen seines klassischen Westernhemds zu seinem männlich-schönen Gesicht auf, das der griechischen Mythologie zu entstammen schien. Unbewusst hielt sie den Atem an.
„Hallo.“ Sein Lächeln sagte ihr, dass er es gewohnt war, dass die Frauen ihm zu Füßen fielen. Er wusste nur nicht, dass Carly über jedermanns Füße fiel, ob er nun attraktiv war oder nicht.
Endlich – wenn auch nur widerstrebend – brachte sie es fertig, sich von seiner muskulösen Brust zu lösen. Auch ihre Sprache fand sie wieder.
„Verzeihen Sie bitte. Manchmal bin ich schrecklich ungeschickt. Aber dieses Bild hier …“ Sie warf einen Blick über ihre Schulter und schnitt eine Grimasse.
Der Mann zog seinen Hut, und Carly wurde der Mund trocken. Der attraktive Cowboy besaß genau die Art von Haaren, in die Frauen liebend gern ihre Finger vergruben. Seine dunkelblonden Locken waren jungenhaft zerzaust und eine Kleinigkeit zu lang, doch unglaublich sexy.
„Wenn ich es richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei dem Paar um die Benedicts, die dieses Ranchhaus hier erbaut haben“, erklärte er. „Das Bild wurde an ihrer Hochzeit aufgenommen.“
Während Carly ihren Blick wieder dem mürrischen Paar auf dem Porträt zuwandte, sagte sie sich in aller Strenge, dass sie an Männern im Allgemeinen nicht interessiert war, egal, wie attraktiv und charmant sie waren. „Die Ehe scheint nicht gerade im Himmel geschlossen worden zu sein“, bemerkte sie.
Der Apollo im Cowboy-Outfit lachte. „Der Familiengeschichte nach sollen sie sehr glücklich miteinander gewesen sein.“
„Nun ja, jedem das seine. Aber fragt man sich da nicht unwillkürlich, wie die restlichen Benedicts sein mögen?“
„Oh, sie sind unwahrscheinlich gastfreundlich“, beruhigte er sie.
„Gott sei Dank. Solche sauertöpfischen Gesichter wie auf dem Bild möchte ich nicht jeden Abend beim Dinner sehen.“
„Sie sind also auch ein Gast, nein?“
Die seltsame Satzendung ließ Carly sofort ihre detektivischen Antennen ausfahren. Hatte sie nicht soeben den Hauch eines Akzents herausgehört? Abermals musterte sie den Mann verstohlen. Er sah aus wie ein Cowboy, aber das war auf einer Gäste-Ranch schließlich kein Wunder. Jeder konnte sich einen Westernhut und Cowboystiefel kaufen.
„Ich werde eine Weile hierbleiben“, erwiderte sie, wobei sie sich eher wie eine Gefangene vorkam als wie ein Gast.
„Sie scheinen darüber aber nicht recht glücklich zu sein“, stellte er fest.
„Das ist eine lange Geschichte.“ Nein, von dieser Demütigung würde sie ganz sicher keiner Menschenseele erzählen, schon gar nicht diesem aufregenden Mann, an dem alles Stil und Klasse ausstrahlte. Sie bückte sich nach ihrem Gepäck, doch der Cowboy war schneller.
„Gestatten Sie?“
Carlys Blick ruhte auf seinem muskulösen Rücken, als er sich ihre beiden Taschen unter den Arm klemmte. Wie kam es, dass ein Cowboy sich so kultiviert ausdrückte? Und dass er so straff und aufrecht ging wie ein Soldat, sich zugleich aber mit der lässigen Würde eines Menschen bewegte, der zu Höherem geboren war? Cowboys latschten normalerweise daher. Nicht aber dieser Typ. Im Geist sah sie ihn von Pagen und Dienstboten umgeben, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablasen, und Frauen, die Schlange standen, um in seinem italienischen Sportwagen mitfahren zu dürfen.
Dieser Mann war ebenso wenig ein Cowboy wie sie, ob er nun Sporen und lederne Beinschützer trug und „Yee-haw“ schrie oder nicht. Mit Sicherheit war er ein Aristokrat, und sein Blut war noch blauer als seine Augen. Er roch förmlich nach Wohlstand.
Carly reckte die Nase hoch. Männer wie er hielten sich für unwiderstehlich. Vermutlich erwartete er von ihr, dass sie ihn anschmachtete und mit ihm flirtete. Doch darauf konnte er lange warten.
Sie folgte dem Cowboy zur Rezeption, wo sie von einer unscheinbaren kleinen Frau empfangen wurde.
„Ich heiße Carly Carpenter“, stellte sie sich vor.
Die schmächtige Frau, auf deren Namensschild „Macy“ stand, blickte sie über den Rand ihrer übergroßen Brille hinweg an.
„Willkommen, Ma’am. Wir haben Sie schon erwartet.“ Sie schob Carly ein Formular über die Theke zu. „Bitte unterschreiben Sie hier, dann können Sie Ihr Zimmer beziehen. Nummer drei, es befindet sich im ersten Stock. Den Gang hinunter, an Mr. Gardners Zimmer vorbei. Wie ich sehe, haben Sie beide sich ja bereits bekannt gemacht?“
„Ja, wir sind uns sozusagen in die Arme gelaufen“, bemerkte der Mann und lächelte umwerfend, was Carly geflissentlich übersah. Ihr konnten alle Männer gestohlen bleiben. Für immer und ewig.
Er stellte ihr Gepäck ab und reichte ihr eine gepflegte Hand, unter deren Fingernägeln sich nicht der geringste Schmutz befand. „Ich heiße Luc Gardner.“
Carly ergriff seine Hand. Ein leichtes Prickeln durchlief sie. Himmel, sie würde auf der Hut sein müssen!
„Und ich bin Carly Carpenter, die Tollpatschige vom Dienst“, erwiderte sie mit ihrem trockenen Humor. „Ich nehme an, Sie sind kein Amerikaner?“
„Sie haben mich entlarvt.“ Um seine Augenwinkel zeigten sich kleine Lachfältchen, doch sie spürte auch eine plötzliche Reserviertheit. War es ihm unangenehm, dass ihr diese offensichtliche Tatsache aufgefallen war?
Carly kam nicht mehr dazu, sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn gerade kam eine zierliche junge Frau mit braunen Locken und großen grünen Ohrringen die Treppe heruntergeeilt. Sie trug einen mehrlagigen bunten Zigeunerrock.
„Hallo, Luc! Lieb von Ihnen, den Gepäckträger zu spielen. Keine Ahnung, wohin das ganze Personal verschwunden ist.“ Sie zog kurz die Stirn in Falten, dann lächelte sie. „Vermutlich sind sie alle draußen und spielen Cowboy.“ Sie wandte sich Carly zu und reichte ihr die Hand. „Ich bin Teddi Benedict, und Sie müssen Carly Carpenter sein.“ Bevor Carly etwas erwidern konnte, wirbelte Teddi zu der mausgrauen Empfangsdame herum. „Macy, hast du Miss Carpenter und Mr. Gardner schon etwas von dem Barbecue für Carson heute Abend und dem Ausritt morgen früh gesagt?“
Aha, dachte Carly bei sich. Das ist also eine Benedict.
„Mein Bruder hat heute Geburtstag, und wir veranstalten für ihn um sieben Uhr eine Grillparty“, erklärte Teddi. „Das ist eine prima Gelegenheit, das Personal und die anderen Gäste kennenzulernen.“
„Oh … wie nett.“ Genau danach stand Carly im Moment am allerwenigsten der Sinn – freundlich plaudern zu müssen. Viel lieber wollte sie in ihr Zimmer gehen, sich ein heißes Bad gönnen und über ihre Situation nachdenken.
„Hier, bitte sehr.“ Teddi drückte ihr eine Art Programm in die Hand. „Hier steht alles drauf, was Sie wissen müssen. Luc, würden Sie bitte so lieb sein und Carlys Gepäck hinauftragen?“
Kein Mensch außer Harold Watersnout in der vierten Klasse hatte Carly jemals etwas getragen. Und der hatte es auch nur getan, damit sie ihm beibrachte, wie man durch die Zähne pfiff.
Der Mann mit dem bezaubernden Lächeln, dem europäischen Flair und dem athletischen Körperbau neigte den Kopf und nahm mit einer geschmeidigen Bewegung ihre Tasche und ihren Laptop wieder auf. „Es ist mir ein Vergnügen.“
Bestimmt hatte er das nur so dahingesagt, doch Carly musste ihm gutes Benehmen zugestehen. Das Gepäck eines Gastes aufs Zimmer zu tragen war sicher keine alltägliche Beschäftigung für einen griechischen Gott.