Cover

IAIN BANKS

 

 

 

BLICKE WINDWÄRTS

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der Originalausgabe
LOOK TO WINDWARD
Aus dem Englischen von Irene Bonhorst
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 2000 by Iain M. Banks
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: Das Illustrat
Satz: Winfried Brand
ISBN 978-3-641-16378-5
V002
www.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Der idiranische Krieg treibt seinem Höhepunkt entgegen: Als Rache für die Niederlagen, die ihnen die KULTUR beigebracht hat, planen die Chelgrianer einen Anschlag auf das Masaq‘-Orbital, ein künstliches Gebilde von drei Millionen Kilometern Durchmesser, bewohnt von fünfzig Milliarden Menschen. Zwar wird das Orbital von einer KI geleitet, die Jahrhunderte lang an Raumschlachten teilgenommen hat – doch wie soll sie einen Gegner erkennen, der eine unsichtbare Waffe in sich trägt?

 

 

 

 

 

Der Autor

Iain Banks wurde 1954 in Schottland geboren. Nach einem Englischstudium schlug er sich mit etlichen Gelegenheitsjobs durch, bis ihn sein 1984 veröffentlichter Roman »Die Wespenfabrik« als neue aufregende literarische Stimme bekannt machte. In den folgenden Jahren schrieb er zahllose weitere erfolgreiche Romane, darunter »Bedenke Phlebas«, »Exzession« und »Der Algebraist«. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der britischen Gegenwartsliteratur. Am 9. Juni 2013 starb Iain Banks im Alter von 59 Jahren.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

Heide oder Jude

O du, der das Rad dreht und windwärts lugt,

Bedenke Phlebas, der einst schön und stark wie du.

 

T.S. Eliot

›Das wüste Land‹ IV

 

 

Für die Veteranen des Golf-Krieges

Inhalt

 

Prolog

1   Das Licht alter Fehler

2   Wintersturm

3   Infra-Dämmerung

4   Versengter Boden

Luftsphäre

5   Ein sehr anziehendes System

6   Widerstand formt den Charakter

7   Bezugsgruppe

8   Rückzug bei Cadracet

Lenkschiff

Erinnertes Laufen

9   Land der Masten

10 Die Meeressäulen von Youmier

11 Nicht vorhandene Schwerkraft

12 Besiegte Echos

Flug

13 Einige Todesarten

14 Rückkehr zum Abschied, Gedenken ans Vergessen

15 Ein gewisser Beherrschungsverlust

16 Erlöschendes Licht

Raum, Zeit

Schluss

Epilog

Prolog

 

Um die Zeit, da wir beide wussten, ich würde ihn verlassen müssen, war es schwer zu unterscheiden, welche Lichtzuckungen Blitze waren und welche von den Energiewaffen der Unsichtbaren stammten.

Eine gewaltige Explosion aus blau-weißem Licht erhellte den Himmel, machte aus der Unterseite der gezackten Wolken eine auf dem Kopf stehende Landschaft, durchbrach den Regenschleier und enthüllte die Verwüstung um uns herum: das Gerippe eines fernen Gebäudes, dessen Inneres bei einer früheren Katastrophe ausgehöhlt worden war, die ineinander verhakten Überreste von Schienen in der Nähe des Kraterrands, die zerbrochenen Versorgungsrohre und eingestürzten Tunnel, die der Krater freigelegt hatte, sowie den gewaltigen Körper des Landzerstörerwracks, das halb untergetaucht in dem schmutzigen Wasserteich am Grund des Loches lag. Als der Lichtblitz erstarb, hinterließ er nur eine Erinnerung im Auge und das matte Flackern des Feuers im Innern des Zerstörerwracks.

Quilan umklammerte meine Hand noch fester. »Du musst dich unbedingt in Sicherheit bringen. Und zwar sofort, Worosei.« Ein weiterer, kleinerer Blitz beleuchtete sein Gesicht und den ölschaumigen Dreck um seinen Leib, wo dieser unter der Kriegsmaschine eingesunken war.

Ich rief mit viel Aufhebens die Meldungen ab, die mein Helm mir anzeigte. Der Flieger des Schiffs war auf dem Heimweg, allein. Das Display verriet mir, dass er von keinem größeren Gefährt begleitet wurde; das Ausbleiben jeglicher Meldung auf dem allgemeinen Kanal bedeutete nichts Gutes. Es war kein Schwerlifter, keine Rettung in Aussicht. Ich schaltete aufs Nahbereichsbild um. Auch von dort gab es keine bessere Meldung. Die wirren, pulsierenden Schaltbilder besagten, dass die Darstellung auf großer Unsicherheit beruhte (an sich schon ein schlechtes Zeichen), aber es sah ganz so aus, als befänden wir uns genau in der Angriffslinie der vorrückenden Unsichtbaren und würden bald überrannt werden. Vielleicht in zehn Minuten. Oder in fünfzehn. Oder in fünf. Unbestimmt. Trotzdem versuchte ich zu lächeln, so gut ich konnte, und bemühte mich um einen möglichst gelassenen Ton.

»Ich kann mich erst dann in Sicherheit bringen, wenn der Flieger hier ankommt«, erklärte ich ruhig. »Das Gleiche gilt für dich.« Ich verlagerte mein Gewicht an dem schlammbedeckten Hang und versuchte, einen besseren Halt zu finden. Mehrmaliges Knallen erschütterte die Luft. Ich beugte mich über Quilans ungeschützten Kopf. Ich hörte, wie Schutt auf den Hang gegenüber polterte und etwas ins Wasser platschte. Ich blickte zu dem Teich in der Talsohle des Kraters, wo die Wellen gegen die meißelförmige Frontpanzerung des Landzerstörers schlugen und wieder zurückfielen. Wenigstens stieg das Wasser anscheinend nicht weiter.

»Worosei«, sagte er. »Ich glaube, ich komme hier nicht mehr raus. Das Ding, das auf mir drauf liegt, ist zu schwer. Bitte, sieh das ein! Ich versuche nicht, heldenhaft zu sein, und das solltest du auch nicht. Hau jetzt einfach ab. Verschwinde.«

»Es ist noch Zeit genug«, entgegnete ich. »Wir schaffen es. Du darfst nicht immer so ungeduldig sein.« Wieder pulsierte Licht über uns und hob jeden einzelnen Regentropfen in der Dunkelheit hervor.

»Und du darfst nicht …«

Was immer er auch hatte sagen wollen, seine Worte wurden von einer weiteren ohrenbetäubenden Kanonade übertönt, der mehrere heftige Erschütterungen folgten; der Krach rollte über uns hinweg, als ob die Luft zerrissen würde.

»Ziemlich laut heute Nacht«, bemerkte ich, während ich mich wieder über ihn beugte. In meinen Ohren war ein Klingeln. Weitere Lichtblitze zuckten auf, und aus der Nähe sah ich den Schmerz in seinen Augen. »Sogar das Wetter ist gegen uns, Quilan. Dieser schreckliche Donner!«

»Das war kein Donner.«

»O doch! Da! Jetzt blitzt es wieder«, sagte ich, während ich mich tiefer über ihn beugte.

»Geh jetzt! Schnell, Worosei!«, flüsterte er. »Du benimmst dich töricht.«

»Ich …«, setzte ich an. Da rutschte mir das Gewehr von der Schulter, und der Schaft traf ihn an der Stirn. »Autsch!«, rief er.

»Tut mir Leid.« Ich warf mir die Waffe wieder über die Schulter.

»In bin schuld, weil ich meinen Helm verloren habe.«

»Aber immerhin« – ich schlug auf ein Stück Raupenkette über uns – »hast du einen Landzerstörer gewonnen.«

Er wollte lachen, doch dann zuckte er zusammen. Er zwang sich zu einem Grinsen und legte eine Hand auf die Oberfläche eines der Antriebsräder des Fahrzeugs. »Komisch«, sagte er. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob es einer von ihnen oder einer von uns ist.«

»Ehrlich gesagt, ich auch nicht«, erklärte ich. Ich blickte zu der zerbrochenen Karkasse hinauf. Anscheinend breitete sich das Feuer im Innern aus; dünne blaue und gelbe Flammen zeigten sich in dem Loch, wo der Hauptgefechtsturm gewesen war.

Auf dieser Seite waren die Raupenketten des angeschlagenen Landzerstörer, der halb trudelnd, halb rutschend in den Krater gestürzt war, noch an ihrem Platz. Auf der anderen Seite lag die weggerissene Raupenkette flach am Kraterhang, ein schrittbreiter Streifen flachen Metalls, der wie eine baufällige Rolltreppe beinahe bis an den ausgefransten Rand des Loches hinaufreichte. Vor uns ragten riesige Antriebsräder aus dem Rumpf der Kriegsmaschine heraus; die mit dicken Scharnieren verbundenen Glieder des oberen Laufs der Raupenkette ruhten darauf. Quilan war unter dem unteren Raupenband gefangen, in den Schlamm gedrückt, sodass nur der obere Teil seines Torsos frei war.

Unsere Kameraden waren tot. Nur noch Quilan und ich waren übrig, sowie der Pilot des Leichtfliegers, der auf dem Rückweg war, um uns zu holen. Das Schiff, das sich nur ein paar hundert Kilometer über uns befand, konnte nicht helfen.

Ich hatte versucht, Quilan herauszuziehen, ohne auf sein unterdrücktes Stöhnen zu achten, aber er steckte fest. Ich hatte die AG-Einheit meines Anzugs bei dem Versuch, das Kettenstück, das ihn gefangen hielt, zu bewegen, ausgebrannt, und ich verfluchte unsere angeblich so wundervollen Projektilwaffen der x-ten Generation; sie waren bestens geeignet, um unseresgleichen zu töten und Schutzanzüge zu durchdringen, aber überaus ungeeignet, um durch dickes Metall zu schneiden.

In der Nähe knisterte etwas sehr laut; Funken flogen aus dem Feuer in der Gefechtsturmöffnung, stoben in alle Richtungen und vergingen im Regen. Ich spürte die Detonationen an der Erschütterung des Bodens, übertragen durch den Körper des Maschinenwracks.

»Die Munition explodiert«, stellte Quilan mit angespannter Stimme fest. »Höchste Zeit, dass du verschwindest.«

»Nein. Ich glaube, als der Gefechtsturm gesprengt wurde – auf welche Weise auch immer –, ist auch die ganze Munition mit in die Luft gegangen.«

»Das glaube ich nicht. Sie könnte immer noch explodieren. Hau endlich ab!«

»Nein. Ich fühle mich hier wohl.«

»Wie bitte?«

»Ich fühle mich hier wohl.«

»Jetzt bist du völlig übergeschnappt.«

»Ich bin überhaupt nicht übergeschnappt. Warum willst du mich unbedingt loshaben?«

»Warum sollte ich nicht? Du bist eine Vollidiotin.«

»Nenn mich nicht Idiotin, ja? Du bist streitsüchtig.«

»Ich bin überhaupt nicht streitsüchtig. Ich versuche nur, dich zur Vernunft zu bringen.«

»Ich bin bei Vernunft.«

»Den Eindruck habe ich ganz und gar nicht. Es ist übrigens deine Pflicht, dein eigenes Leben zu retten.«

»Und deine Pflicht ist es, nicht zu verzweifeln.«

»Nicht zu verzweifeln? Meine Kameradin und Gefährtin benimmt sich wie eine Schwachsinnige, und ich habe …« Quilan riss die Augen weit auf. »Da oben!«, zischte er und deutete hinter mich.

»Was denn?« Ich drehte mich blitzschnell um, brachte das Gewehr in Anschlag – und erstarrte.

Der Kämpfer der Unsichtbaren war am Rand des Kraters und spähte herunter zum Wrack des Landzerstörers. Er hatte so etwas wie einen Helm auf, doch das Gebilde bedeckte seine Augen nicht und war wahrscheinlich wenig sinnvoll. Ich blickte durch den Regen nach oben. Er wurde vom Feuerschein aus dem brennenden Landzerstörer beleuchtet; wir waren vermutlich weitgehend im Dunkeln. Der Kämpfer hielt das Gewehr in einer Hand, nicht in beiden. Ich verhielt mich sehr still.

Er hielt sich etwas vor die Augen und spähte prüfend um sich. Dann hielt er inne und blickte genau in unsere Richtung. Ich hatte das Gewehr erhoben und schoss, als er das Nachtsichtgerät fallen ließ und seinerseits die Waffe ansetzte. Er explodierte in einem Lichtgestöber, als auch schon ein zweiter Blitz am Himmel über uns aufzuckte. Der größte Teil seines Körpers taumelte und rutschte hangabwärts zu uns herunter, um einen Arm und den Kopf ärmer.

»Plötzlich kannst du einigermaßen ordentlich schießen«, stellte Quilan fest.

»Das konnte ich immer schon, mein Lieber«, entgegnete ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich habe es nur für mich behalten, weil ich dich nicht in Verlegenheit bringen wollte.«

»Worosei«, sagte er und ergriff erneut meine Hand. »Der da war bestimmt nicht allein. Jetzt ist wirklich allerhöchste Zeit, dass du verschwindest.«

»Ich …«, setzte ich zu einer Erwiderung an, dann bebte der Rumpf des Landzerstörers und der Krater um uns herum, als etwas im Innern des Wracks explodierte und glühende Schrapnellsplitter aus der Öffnung zischten, wo der Gefechtsturm gewesen war. Quilan rang vor Entsetzen um Luft. Schlammbrocken rutschten zu uns herunter, und die Überreste des toten Unsichtbaren wurden noch ein paar Schritte näher herangeschoben. Sein Gewehr war immer noch von einem Panzerhandschuh umklammert. Ich warf wieder einen Blick auf den Bildschirm meines Helms. Der Flieger war beinahe hier. Mein Geliebter hatte Recht, es war wirklich höchste Zeit zu verschwinden.

Ich wandte mich um und wollte etwas zu ihm sagen.

»Hol mir das Gewehr von diesem Scheißkerl«, sagte er und deutete mit einem Nicken in Richtung des toten Kämpfers. »Wir wollen mal sehen, ob ich den einen oder anderen von denen mitnehmen kann.«

»Mach ich«, sagte ich, und schon krabbelte ich durch den Schlamm und Schutt hinauf und packte das Gewehr des toten Soldaten.

»Und schau mal nach, ob er sonst noch was bei sich hat!«, rief Quilan. »Granaten – irgendwas.«

Ich glitt wieder hinunter, überschlug mich und landete mit beiden Stiefeln im Wasser. »Das ist alles, was er bei sich hatte«, sagte ich und reichte ihm das Gewehr.

Er prüfte es, so gut er konnte. »Das wird reichen.« Er legte den Schaft an die Schulter und drehte sich um, so weit es ihm seine gefangene untere Körperhälfte erlaubte, um eine Stellung einzunehmen, die einer Schießposition einigermaßen nahe kam. »Jetzt verschwinde endlich, bevor ich dich eigenhändig erschieße.« Er musste die Stimme erheben, um den Krach weiterer Explosionen zu übertönen, die das Wrack des Landzerstörers erschütterten.

Ich warf mich nach vorn und küsste ihn. »Wir treffen uns im Himmel«, sagte ich.

Für einen kurzen Augenblick wurde sein Gesichtsausdruck zärtlich, und er sagte etwas, doch Explosionen ließen den Boden erbeben, und ich musste ihn bitten, das Gesagte zu wiederholen, während der Nachhall verebbte und weitere Röhrenblitze am Himmel über uns zuckten. In meinem Visier blinkte ein dringendes Signal, um mir mitzuteilen, dass der Flieger direkt über uns war.

»Wie gesagt, alles halb so schlimm«, tröstete er mich und lächelte. »Lebe einfach, Worosei. Lebe für mich. Lebe für uns beide. Versprich es!«

»Ich verspreche es.«

Er deutete mit einem Nicken zum Hang des Kraters. »Viel Glück, Worosei.«

Ich hatte die Absicht, ihm ebenfalls viel Glück zu wünschen oder wenigstens Lebewohl zu sagen, aber leider brachte ich keinen Ton heraus. Ich sah ihn nur hoffnungslos an, blickte ein letztes Mal zu meinem Mann auf, dann wandte ich mich ab und schleppte mich den Hang hinauf, wobei ich im Schlamm immer wieder rückwärts rutschte, mich aber dennoch mehr und mehr von ihm entfernte, vorbei an der Leiche des Unsichtbaren, den ich getötet hatte, am Rumpf der brennenden Maschine entlang und unter dem bauchigen Hinterteil um den hinteren Gefechtsturm herum, während weitere Explosionen Wrackteile zum regenverhangenen Himmel hinauf schleuderten, aus dem sie herunter ins ansteigende Wasser klatschten.

Die Seiten des Kraters waren glitschig von Schlamm und Öl; mir kam es so vor, als ob ich eher tiefer hinabrutschte, als dass ich aufwärts kletterte, und einige Augenblicke lang glaubte ich, dass ich es niemals aus dieser schrecklichen Grube hinaus schaffen würde, bis ich das breite Metallband erreichte, das die herausgerissene Kettenraupe des Landzerstörers war. Das, was meinen Geliebten letztendlich töten würde, rettete mich; ich benutzte die miteinander verbundenen Teile der im Schlamm eingebetteten Raupe als Treppe, die beinahe bis zum Kraterrand führte. Ich hievte mich vollends hinauf.

Hinter dem Rand, in der von Flammen erhellten Ferne, zwischen Ruinen und Regenschwaden, sah ich die wuchtigen Umrisse weiterer großer Kriegsmaschinen sowie die winzigen, wuselnden Gestalten dahinter, die sich allesamt in meine Richtung bewegten.

Der Flieger sank aus den Wolken herab; ich warf mich an Bord, und wir hoben sofort ab. Ich versuchte mich umzuwenden und zurückzublicken, doch die Türen flogen zu, und ich wurde durch das vollgepackte Innere geschleudert, während das winzige Fahrzeug den Strahlen und Geschossen auswich, die auf es gerichtet waren, und zum wartenden Schiff Wintersturm aufstieg.

1 Das Licht alter Fehler

 

Die Kähne lagen auf der Dunkelheit des stillen Kanals; ihre Umrisse waren verfälscht durch den Schnee, der auf ihren Decks zu sanften Polstern aufgehäuft war. Die waagerechten Flächen der Kanalstraßen, Piers, Poller und Hebebrücken trugen das gleiche bauschige Gewicht des Schnees; die Fenster, Balkone und Dachrinnen der hohen Gebäude, die etwas zurückgesetzt vom Kai aufragten, waren in Weiß geätzte Linien.

Dieser Teil der Stadt war zu fast allen Zeiten ruhig, wie Kabo wusste, doch heute Nacht schien er nicht nur, sondern war tatsächlich noch ruhiger als sonst. Er hörte seine eigenen Schritte, die sich in das unberührte Weiß senkten. Jeder Schritt erzeugte ein Knirschen. Er blieb stehen und hob den Kopf, um in die Luft zu schnuppern. Sehr still. Er hatte die Stadt noch nie so lautlos erlebt. Anscheinend dämpfte der Schnee vollends die wenigen Geräusche, die es noch gab. Außerdem herrschte heute Nacht kein wahrnehmbarer Wind in Bodennähe, sodass der Kanal, auf dem sich keinerlei Verkehr bewegte, vollkommen ruhig und still dalag, ohne das Klatschen von Wellen oder das Gurgeln einer Brandung, obwohl er noch nicht zugefroren war.

Es gab keine Lichter in der Nähe, die sich in der schwarzen Oberfläche des Kanals gespiegelt hätten, sodass er wie nicht vorhanden erschien, eine Leere, auf der die Kähne lagen. Auch das war ungewöhnlich. Die Lichter waren in der ganzen Stadt erloschen, beinahe auf der ganzen Seite dieser Welt.

Er blickte nach oben. Der Schneefall ließ jetzt nach. Spinwärts, über dem Zentrum der Stadt und den noch weiter entfernten Bergen, rissen die Wolken auf und enthüllten einige der helleren Sterne, während das Wetter aufklarte. Eine schmale, schwach leuchtende Linie direkt über ihm – durch die langsam ziehenden Wolken blinkend – spendete etwas Licht. Er sah kein Fluggerät und kein Schiff. Selbst die Vögel der Luft waren anscheinend in ihren Nestern geblieben.

Und es gab keine Musik. Gewöhnlich hörte man in Aquime City Musik, die von irgendwoher kam, wenn man nur aufmerksam lauschte (und er war gut darin, aufmerksam zu lauschen). Doch heute Abend hörte er überhaupt nichts.

Gedämpft. Das war das richtige Wort. Der Ort war gedämpft. Heute war eine seltsame, eine ziemlich düstere Nacht (›Heute Nacht tanzt man im Licht alter Fehler‹, hatte Ziller am Morgen in einem Interview gesagt, allerdings eine Spur zu genüsslich), und diese Stimmung hatte anscheinend auf die gesamte Stadt übergegriffen, auf die ganze Xaravve-Platte, sogar auf das gesamte Masaq’-Orbital.

Und trotzdem bewirkte der Schnee zusätzlich eine ganz besondere Stille. Kabo blieb noch einen Augenblick lang stehen und überlegte, was wohl die Ursache für diese übermäßige Dämpfung sein mochte. Es war etwas, das ihm zuvor schon aufgefallen war, dem er jedoch nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, um den Versuch zu unternehmen, es wirklich aufzuspüren. Es hatte irgendetwas mit dem Schnee an sich zu tun …

Er blickte zu seinen Spuren in der Schneedecke auf der Kanalstraße zurück. Drei Reihen von Fußabdrücken. Er fragte sich, was ein Mensch – jeder Zweifüßer – von einer solchen Spur halten mochte. Wahrscheinlich, so vermutete er, würden sie ihnen gar nicht auffallen. Und selbst wenn, dann würden sie einfach fragen und sofort eine Erklärung bekommen. Nabe würde es ihnen sagen: das sind die Spuren unseres ehrenwerten homomdanischen Gastes, Ar Kabo Ischloear.

Ach, es gab heutzutage einfach keine Mysterien mehr! Kabo blickte sich um, dann vollführte er schnell einen kleinen hüpfenden, klackenden Tanz, mit einer Leichtfüßigkeit, die man seinem plumpen Körper niemals zugetraut hätte. Wieder blickte er sich um und war froh, dass er – allem Anschein nach – von niemandem beobachtet wurde. Er betrachtete das Muster, das sein Tanz im Schnee hinterlassen hatte. Das war besser … Aber woran hatte er gedacht? An den Schnee, und an seine Stille.

Ja, das war’s; er bewirkte eine Verringerung des Schalls, während man üblicherweise daran gewöhnt war, dass Witterungserscheinungen von bestimmten Geräuschen begleitet wurden: Wind seufzte oder heulte, Regen trommelte oder rauschte oder – wenn es sich um dunstigen Niederschlag handelte, der zu leicht war, um unmittelbar ein Geräusch zu erzeugen – bildete zumindest glucksende Tropfen. Doch Schnee, der ohne die Begleitung von Wind fiel, schien der Natur zu trotzen; es war, als ob man einen Bildschirm mit abgeschaltetem Ton betrachtete, es war, als ob man taub wäre. Das war’s.

Zufrieden stapfte Kabo auf dem Weg weiter, als eine Dachlawine von einem hohen Gebäude ganz in der Nähe abrutschte und mit einem dumpfen, aber deutlichen Plumps zu Boden fiel. Er blieb stehen und betrachte den länglichen weißen Haufen, den die Miniaturlawine geschaffen hatte, während noch ein paar letzte Flocken darum herum wirbelten; dann lachte er.

Lautlos, um die Stille nicht zu stören.

Endlich tauchten ein paar Lichter auf, von einem großen Kahn, der vier Schiffe entfernt hinter einer gemäßigten Biegung des Kanals lag. Und aus derselben Quelle stammte auch der schwache Hauch von Musik. Seichte, anspruchslose Musik, aber immerhin Musik. Ein harmloses Gedudel, eine Art Tonuntermalung oder ›Wartemusik‹. Kein Konzert.

Das Konzert. Kabo fragte sich, warum er eingeladen worden war. Die Kontaktdrohne E. H. Tersono hatte Kabos Anwesenheit gefordert, und zwar mittels einer Nachricht, die er erst an diesem Nachmittag erhalten hatte. Sie war mit Tinte auf Karton geschrieben und von einer kleinen Drohne überbracht worden. Nun, eigentlich von einem fliegenden Tablett. Tatsächlich war es so, dass Kabo für gewöhnlich ohnehin regelmäßig Tersonos Achter-Tags-Konzerte zu besuchen pflegte. Dass er diesmal ausdrücklich dazu eingeladen wurde, musste etwas zu bedeuten haben. Sollte er darauf hingewiesen werden, dass er sich anmaßend verhalten hatte, indem er bei früheren Gelegenheiten einfach erschienen war, ohne ausdrücklich eingeladen gewesen zu sein?

Das wäre verwunderlich, denn theoretisch waren diese Aufführungen für jedermann zugänglich – was war das nicht, theoretisch? –, doch das Gehabe von Kunstschaffenden, besonders von Drohnen, und ganz besonders von alten Drohnen, wie zum Beispiel E. H. Tersono, konnte Kabo immer wieder überraschen. Es gab keine Gesetze oder feste Regeln, doch jede Menge kleine … Verhaltensrichtlinien, Maßstäbe für gute Sitten, höfliches Benehmen. Außerdem wurde alles, dieses und jenes, das Triviale wie das Gewichtige, von der Mode bestimmt.

Das Triviale: Diese auf Papier geschriebene Nachricht, überbracht auf einem Tablett – bedeutete das, dass jetzt alle dazu übergingen, Einladungen und alltägliche Mitteilungen physisch von einem Ort zum anderen zu bewegen, anstatt solche Dinge auf dem normalen Weg zu übertragen, direkt an das Haus des Betreffenden, an den Familiar, an die Drohne, an dessen Terminal oder Implantat? Was für eine abwegige Vorstellung, eine schrecklich ermüdende Prozedur! Und trotzdem war das vielleicht genau die Art von nostalgischer Gefühlsduselei, der man sich neuerdings vielleicht mit Wonne hingab, zumindest für eine Saison oder so – (höchstens!).

Das Gewichtige: Sie lebten oder starben ganz nach Lust und Laune! Einige mehr oder weniger Prominente verkündeten, sie würden einmal leben und für immer sterben, und Millionen folgten ihrem Beispiel; dann entstand irgendwann ein neuer Trend bei den Meinungsbildern, indem sich die Leute Ersatzteile beschafften und ihre Körper runderneuern ließen oder dafür sorgten, dass Körperteile nachwuchsen, oder sie ließen ihre Persönlichkeit in androide Repliken oder noch abartigere Schöpfungen transformieren oder … nun, nichts war unmöglich, es gab keinerlei Beschränkungen. Entscheidend war, dass ein bestimmtes Denken und Handeln Mode war, dann machte es die Menge nach.

War das die Art von Verhalten, die man von einer reifen Gesellschaft erwarten durfte? Sterblichkeit als Lifestyle-Variation? Kabo wusste, welche Antwort sein Volk darauf geben würde. Das war Wahnwitz, kindisches Gebaren, eine Missachtung des eigenen Ichs und des Lebens an sich, eine Art von Häresie. Er selbst war jedoch auch nicht ganz über derlei Dinge erhaben, was einerseits ein Zeichen dafür sein mochte, dass er schon zu lange hier war, oder andererseits, dass er ein erschreckend empathisches Verhalten der Kultur gegenüber an den Tag legte, welches auch der Grund dafür war, dass er überhaupt jetzt hier war.

Während er also über die Stille, die Festlichkeit, die verschiedenen Moderichtungen und seinen eigenen Platz in der Gesellschaft nachgrübelte, gelangte Kabo zu dem kunstvoll geschnitzten Steg, der vom Kai in die sanft beleuchtete Extravaganz aus vergoldetem Holz führte, die der alte Zeremonienkahn Soliton darstellte. Hier war der Schnee von vielen Füßen niedergetrampelt worden, deren Spur zu einem nahen Subtrans-Zugangsbau führte. Offenbar war er ein sonderbarer Kauz, weil es ihm gefiel, durch den Schnee zu stapfen. Aber schließlich wohnte er ja nicht in dieser Gebirgsstadt; dort, wo er zu Hause war, waren Schnee und Eis eine Seltenheit, deshalb war das für ihn etwas Neues.

Kurz bevor er an Bord ging, blickte der Homomdaner hinauf zum Nachthimmel und sah einen V-förmigen Schwarm von großen, makellos weißen Vögeln, die lautlos über ihm dahinglitten, direkt über der Signaltakelage des Kahns, von der Hohen Salzsee aus ins Inland fliegend. Er beobachtete, wie sie hinter den Gebäuden verschwanden, dann strich er sich den Schnee vom Mantel, schüttelte seinen Hut ab und stieg an Bord.

 

»Das ist wie Urlaub!«

»Urlaub?«

»Ja. Urlaub. Das hat früher das Gegenteil von dem bedeutet, was es heute bedeutet. So ziemlich das genaue Gegenteil.«

»Was willst du damit sagen?«

»He, ist das essbar?«

»Was?«

»Das hier.«

»Ich weiß nicht. Beiß rein, dann wirst du schon sehen.«

»Aber es hat ich gerade bewegt.«

»Es hat sich bewegt? Wie, aus eigener Kraft?«

»Ich glaube schon.«

»Also, das ist schwierig! Wenn man von einer echten Raubtiergattung abstammt, wie unser Freund Ziller, dann lautet die instinktive Antwort wahrscheinlich ja, aber …«

»Was war das mit ›Urlaub‹?«

»Ziller war …«

»… was er gesagt hat. Die gegenteilige Bedeutung. Früher war Urlaub die Zeit, in der man verreist ist.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, ich kann mich erinnern, das ich so was mal gehört habe. Primitives Zeug aus dem Zeitalter der Knappheit.«

»Die Leute mussten alle Arbeit selbst verrichten und Wohlstand für sich und die Gesellschaft schaffen, deshalb konnten sie sich nicht viel Freizeit leisten. Also arbeiteten sie, sagen wir mal, den halben Tag, an den meisten Tagen des Jahres, dann hatten sie einen bestimmten Bonus an Tagen, die sie frei nehmen konnten, nachdem sie genügend materielle Absicherung geschaffen hatten …«

»Geld. Ein Terminus technicus.«

»Dann nahmen sie also Freizeit und verreisten.«

»Entschuldigung, bist du essbar?«

»Redest du etwa mit deiner Nahrung?«

»Ich weiß ja nicht, ob es Nahrung ist.«

»In sehr primitiven Gesellschaftsformen gab es nicht einmal das; sie bekamen jedes Jahr nur ein paar Tage frei.«

»Aber solche primitiven Gesellschaftsformen können ganz …«

»Industriell auf primitivem Stand, hat er gemeint. Nimm keine Notiz von ihm. Hör auf, darin rumzustochern! Es wird blaue Flecken kriegen.«

»Aber kann man es essen?«

»Man kann alles essen, das man sich in den Mund stopfen und schlucken kann.«

»Du weißt genau, was ich meine.«

»Frag doch einfach, du Blödmann!«

»Das habe ich ja gerade getan.«

»Nicht es! Herrje, was ist mit deinen Drüsen los? Sollte man dich vielleicht ausrangieren? Wo ist dein Wartungschip, dein Terminal, was auch immer?«

»Na ja, ich wollte nicht einfach …«

»Ach, ich verstehe. Sind sie alle gleichzeitig abgehauen?«

»Wie hätten sie das tun können? Nichts hätte mehr funktioniert, wenn sie alle gleichzeitig nichts getan hätten.«

»Oh, natürlich.«

»Aber es gab schon Tage, da hat nur eine Art Notbelegschaft die Infrastruktur aufrecht erhalten. Sonst haben sie ihre Freizeit abgestottert. Das ist von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit unterschiedlich, wie man sich denken kann.«

»Aha.«

»Während heute das, was wir Urlaub oder Kernzeit nennen, bedeutet, dass alle zu Hause bleiben, weil es sonst keine Zeit gäbe, in der sich alle treffen können. Man wüsste gar nicht, wer die eigenen Nachbarn sind.«

»Ehrlich gesagt, bin ich mir auch nicht sicher, ob ich das weiß.«

»Weil wir so unstet sind.«

»Ein einziger großer Urlaub.«

»Im alten Sinn.«

»Hedonismus.«

»Kribbelnde Beine.«

»Kribbelnde Beine, kribbelnde Pfoten, kribbelnde Flossen, kribbelnde Fühler …«

»Nabe, kann ich das essen?«

»… kribbelnde Gassäcke, kribbelnde Rippen, kribbelnde Flügel, kribbelnde Weichteile …«

»Schon gut, ich glaube, wir haben verstanden.«

»Nabe? Hallo?«

»… kribbelnde Greifzangen, kribbelnde Schleimzipfel, kribbelnde motorische Hüllen …«

»Hör auf!«

»Nabe? Melde dich! Nabe! Scheiße, mein Terminal funktioniert nicht. Oder Nabe antwortet einfach nicht.«

»Vielleicht ist er in Urlaub.«

»… kribbelnde Schwimmblasen, kribbelnde Muskelfalten, kribbelnde … mpf! Was ist? Steckt da was zwischen meinen Zähnen?«

»Ja, dein Fuß.«

»Ich finde, das geht zu weit.«

»Stimmt.«

»Nabe? Nabe? Puh, das ist mir noch nie passiert …«

»Botschafter Ischloear?«

»Hmm?« Sein Name war ausgesprochen worden. Kabo stellte fest, dass er in einen jener seltsamen tranceähnlichen Zustände geraten sein musste, die er manchmal bei Zusammenkünften wie dieser erlebte, wenn das Gespräch – oder vielmehr, wenn mehrere Gespräche gleichzeitig – auf eine Schwindel erregende, fremdartig menschliche Weise hin und her schwirrten und ihn zu überfluten drohten, sodass er Mühe hatte zu verfolgen, wer was zu wem und warum sagte.

Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er sich später oft genau an die gesprochenen Worte erinnern konnte, aber er musste sich anstrengen, den darin enthaltenen Sinn zu erkennen. Im Verlauf solcher Gespräche fühlte er sich seltsam losgelöst von seiner Umgebung. Bis der Bann gebrochen war, so wie jetzt, indem er durch die Nennung seines Namens aufgeweckt wurde.

Er befand sich im oberen Saal der Festbarkasse Soliton, gemeinsam mit einigen hundert anderen Leuten, die meisten davon menschlich, wenn auch nicht alle in menschlicher Gestalt. Das Konzert des Komponisten Ziller – nach einer alten chelgrianischen Mosaikweise – war vor einer halben Stunde verklungen. Es war ein zurückhaltendes, feierliches Stück gewesen, passend zur Stimmung des Abends, dennoch war die Darbietung mit tosendem Beifall bedacht worden. Jetzt aßen und tranken die Leute. Und redeten.

Er stand bei einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich um einen der Buffettische drängte. Die Luft war warm, angenehm duftend und mit leiser Musik erfüllt. Eine Deckenkonstruktion aus Holz und Glas wölbte sich über ihnen, und von dieser hing ein Beleuchtungskörper der alten Sorte, die keinem direkt ins Gesicht schien, sondern alles und jeden in einen schmeichelnd warmen Schein tauchte.

Sein Nasenring hatte zu ihm gesprochen. Als er anfangs zur Kultur gekommen war, hatte ihm die Vorstellung von einer Kommunikations-Ausrüstung, die ihm in den Schädel (oder, nebenbei bemerkt, auch an irgendeiner anderen Stelle) eingesetzt werden sollte, gar nicht gefallen. Sein Familiennasenring war so ziemlich das einzige Stück, das er ständig an sich trug, also hatte man ihm eine vollkommene Nachbildung angefertigt, die zufällig auch ein Kom-Terminal war.

»Ich bedauere die Störung, Botschafter. Nabe hier. Sie sind am nächsten dran; würden Sie bitte Mr. Olsule darauf hinweisen, dass er zu einer gewöhnlichen Brosche spricht, nicht in sein Terminal?«

»Ja.« Kabo wandte sich an einen jungen Mann in einem weißen Anzug, der ein Schmuckstück in der Hand hielt und ein ratloses Gesicht machte. »Äh … Mr. Olsule?«

»Ja, ich habe es gehört«, sagte der Mann und trat einen Schritt zurück, um zu dem Homomdaner aufzublicken. Er sah verdutzt aus, und Kabo hatte den Eindruck, dass sein Gegenüber ihn irrtümlich für eine Skulptur oder einen monumentalen Einrichtungsgegenstand gehalten hatte. Das geschah ziemlich oft. Im Wesentlichen eine Sache des Maßstabs und der Reglosigkeit. Das war eine von mehreren unerfreulichen Begleiterscheinungen, wenn man eine glänzende schwarze, dreibeinige Pyramide von drei Metern Höhe in einer Gesellschaft von schlanken, matthäutigen, zwei Meter großen Zweibeinern war. Der junge Mann betrachtete wieder blinzelnd die Brosche. »Ich hätte schwören können, dass das …«

»Bitte entschuldigen Sie das Ungemach, Botschafter«, sagte der Nasenring. »Danke für Ihre Hilfe.«

»Ach, gern geschehen.«

Ein schimmerndes, leeres Serviertablett schwebte zu dem jungen Mann, kippte in einer Art Verbeugung nach vorn und sagte: »Hallo. Wieder Nabe hier. Was Sie da haben, Mr. Olsule, ist eine Bernsteinbrosche, eingelegt mit Platin und Summitium. Aus der Werkstatt von Ms. Xossin Nabbard aus Sintrier, im Stil der Quarafyd-Schule. Ein erlesenes Meisterstück des Kunsthandwerks. Doch leider kein Terminal.«

»Verdammt! Und wo ist dann mein Terminal?«

»Sie haben alle Ihre Terminals zu Hause gelassen.«

»Warum hast du mir das nicht gesagt?«

»Sie haben mich gebeten, es nicht zu tun.«

»Wann?«

»Hundert und …«

»Ach, egal! Ersetze diese … äh … ändere diese Anweisung. Wenn ich das nächste Mal ohne eins meiner Terminals von zu Hause weggehe … dann sollen sie irgendeinen Warnton von sich geben.«

»Sehr wohl. Wird ausgeführt.«

Mr. Olsule kratzte sich am Kopf. »Vielleicht sollte ich mir eine Litze besorgen, so was Implantiertes.«

»Zweifellos würden Sie Ihren Kopf nur unter erheblichen Schwierigkeiten vergessen können. Unterdessen werde ich einen der Außen-Koms des Kahns abberufen, damit er Sie für den Rest des Abends begleitet, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Okay.« Der junge Mann steckte sich die Brosche wieder an und wandte sich dem voll beladenen Buffettisch zu. »Also, trotzdem, kann ich das essen …? Oh, es ist weg!«

»Kribbelnde bewegliche Hülsen«, sagte das Tablett und schwebte davon.

»Hä?«

»Ach, Kabo, mein lieber Freund. Da sind Sie ja. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«

Kabo drehte sich um und sah die Drohne E. H. Tersono, die neben ihm schwebte, auf einer Höhe, die für einen Menschen etwas über dem Kopf und für einen Homomdaner etwas unterhalb des Kopfes war. Die Maschine war etwas weniger als einen Meter hoch und halb so breit und tief. Ihre abgerundete, rechteckige Ummantelung bestand aus zartem rosafarbenem Porzellan, gehalten von einem Gitterwerk aus sanft schimmerndem blauem Lumenstein. Unter der durchscheinenden Porzellanoberfläche waren die inneren Bestandteile der Drohne schemenhaft zu erkennen; Schatten unter der dünnen Keramikhaut. Ihr Aurafeld, beschränkt auf einen kleinen Bereich gleich unter dem flachen Sockel, war ein schwacher Hauch von Magenta, was, wenn sich Kabo richtig erinnerte, bedeutete, dass sie beschäftigt war. Beschäftigt damit, sich mit ihm zu unterhalten?

»Tersono«, sagte er. »Ja. Nun, Sie haben mich doch eingeladen.«

»Das habe ich, in der Tat. Wissen Sie, mir ist erst später in den Sinn gekommen, dass Sie meine Einladung möglicherweise falsch deuten könnten als eine Art strenge Aufforderung, vielleicht sogar als Vorladung. Natürlich, wenn solche Nachrichten erst einmal verschickt werden …«

»Ha-ha. Wollen Sie damit sagen, es war keine Vorladung?«

»Eher so etwas wie ein Gesuch. Sehen Sie, ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«

»Ach ja?« Das war etwas Neues.

»Ja. Vielleicht könnten wir uns an einen Ort begeben, wo wir uns etwas intimer unterhalten können?«

Intim, dachte Kabo. Das war ein Wort, das man in der Kultur nicht oft hörte. Wahrscheinlich wurde es vor allem im sexuellen Zusammenhang verwendet, mehr als in jedem anderen. Und selbst dann nicht immer.

»Natürlich«, sagte er. »Gehen Sie voraus.«

»Danke«, sagte die Drohne, schwebte zum Heck und stieg höher, um über die Köpfe der im Funktionsraum versammelten Leute hinwegzusehen. Die Maschine bog in die Richtung und in jene und machte deutlich, dass sie etwas oder jemanden suchte. »Eigentlich«, sagte sie leise, »sind wir noch nicht ganz vollzählig … Ach, wir sind da. Bitte, hier entlang, Br. Ischloear.«

Sie näherten sich einer Gruppe von Menschen, die sich um Mahrai Ziller drängte. Der Chelgrianer war beinahe so lang, wie Kabo hoch war, und bedeckt mit einem Fell, das von Weiß um sein Gesicht herum bis zu Dunkelbraun auf dem Rücken verlief. Er hatte das Äußere eines Raubtiers, mit großen, nach vorn gewölbten Augen in einem massigen Kopf mit breiten Kinnladen. Seine Hinterbeine waren lang und kräftig, zwischen ihnen bog sich ein gestreifter Schwanz, durchwoben von einer Silberkette. Wo seine fernen Vorfahren vielleicht zwei Mittelbeine gehabt haben mochten, hatte Ziller eine einzige breite mittlere Gliedmaße, zum Teil verdeckt durch eine dunkle Weste. Seine Arme glichen denen von Menschen, waren jedoch von goldfarbenem Fell bedeckt und endeten in breiten, sechsfingrigen Händen, die eigentlich eher Pfoten waren.

Sobald er und Tersono sich zu der Gruppe um Ziller gesellten, fand sich Kabo umringt von einem anderen verwirrenden Geplapper.

»… natürlich wissen Sie nicht, was ich meine. Sie haben kein Umfeld.«

»Lächerlich. Jeder hat ein Umfeld.«

»Nein. Sie haben kein Umfeld. Sie existieren. Das kann ich Ihnen kaum absprechen, aber das ist nicht dasselbe.«

»Na ja, danke.«

»Sie behaupten also, wir leben nicht wirklich, nicht richtig?«

»Das kommt darauf an, was sie unter ›leben‹ verstehen. Aber sagen wir mal ja.«

»Wie faszinierend, mein lieber Ziller«, sagte E. H. Tersono. »Ich frage mich …«

»Weil wir nicht leiden.«

»Weil Sie kaum zum Leiden fähig zu sein scheinen.«

»Wohl gesprochen! Nun, Ziller …«

»Oh, das ist ein uraltes Diskussionsthema …«

»Aber nur die Fähigkeit zu leiden ist es, die …«

»He! Ich habe gelitten, und wie! Lemil Kimp hat mir das Herz gebrochen.«

»Halt den Mund, Tulyi!«

»… wissen Sie, das macht Sie höchstens vernunft- oder gefühlsbegabt, was auch immer. Das ist nicht eigentliches Leiden.«

»Aber das hat sie getan.«

»Ein uraltes Diskussionsthema, sagten Sie, Ms. Sippens?«

»Ja.«

»Uralt bedeutet schlecht?«

»Uralt bedeutet in Verruf geraten.«

»In Verruf geraten – durch wen?«

»Nicht wen. Was.«

»Nämlich?«

»Die Statistik.«

»Da haben wir es. Statistik. Also dann, Ziller, mein lieber Freund …«

»Das können Sie doch wohl nicht ernst meinen.«

»Ich glaube, sie meint es ernster als Sie, Zil.«

»Zu leiden erniedrigt mehr als dass es adelt.«

»Und diese Behauptung beruht ausschließlich auf der Statistik?«

»Nein. Ich glaube, Sie werden feststellen, dass dafür auch eine moralische Intelligenz erforderlich ist.«

»Eine Grundvoraussetzung in einer gesitteten Gesellschaft, darüber sind wir uns meiner Überzeugung nach alle einig. Nun, Ziller …«

»Eine moralische Intelligenz, die uns alle darauf hinweist, dass alles Leiden schlecht ist.«

»Nein. Eine moralische Intelligenz, die dazu neigt, das Leiden als schlecht anzusehen, bis es sich als etwas Gutes erweist.«

»Aha! Dann räumen Sie also ein, dass Leiden auch etwas Gutes sein kann.«

»Im Ausnahmefall.«

»Ha!«

»Oh, nett!«

»Wie?«

»Wussten Sie, dass das in verschiedenen Sprachen funktioniert?«

»Was? Was funktioniert in verschiedenen Sprachen?«

»Tersono«, sagte Ziller, der sich endlich zu der Drohne umwandte, die auf seine Schulterhöhe niedergesunken war und während der letzten Augenblicke immer näher an ihn herangekommen war, um die Aufmerksamkeit des Chelgrianers auf sich zu lenken; unterdessen war sein Aurafeld zu einem Blaugrau von höflich im Zaum gehaltener Wut verblasst.

Mahrai Ziller, Komponist, Halb-Verfemter, Halb-Exilant, richtete sich aus der Hocke auf und balancierte auf den Hinterläufen. Sein mittleres Glied bildete eine Ablage, und er stellte seinen Drink auf der weichen pelzigen Fläche ab, während er mit den vorderen Gliedmaßen seine Weste glättete und sich die Augenbrauen kämmte. »Helfen Sie mir«, sagte er zu der Drohne. »Ich versuche, ein ernsthaftes Gespräch zu führen, und Ihre Landsmännin ergeht sich in Wortspielereien.«

»Dann schlage ich vor, sie lassen die Sache fürs Erste auf sich beruhen, gesellen sich zu einer anderen Gruppe und hoffen, sie später in einer weniger übermütigen Stimmung anzutreffen. Haben Sie schon die Bekanntschaft von Br. Kabo Ischloear gemacht?«

»Habe ich. Wir sind alte Bekannte. Botschafter.«

»Zuviel der Würde, Sir«, brummte der Homomdaner. »Ich bin eher so etwas wie ein Journalist.«

»Ja, sie nennen uns gern ›Botschafter‹, nicht wahr? Ich bin sicher, das ist als Schmeichelei gemeint.«

»Zweifellos. Sie hegen stets nur gute Absichten.«

»Manchmal sind ihre Absichten allerdings etwas zwiespältig«, sagte Ziller und wandte sich flüchtig der Frau zu, an die seine Worte gerichtet waren. Sie hob ihr Glas und neigte den Kopf ein klein wenig.

»Wenn Sie beide damit fertig sind, Ihre fraglos großzügigen Gastgeber zu bemäkeln …«, sagte Tersono.

»Sie sagten etwas von einer privaten Unterredung, nicht wahr?«, hakte Ziller nach.

»Genau. Seien Sie nachsichtig mit einer exzentrischen Drohne.«

»Sehr wohl.«

»Hier entlang.«

Die Drohne bewegte sich an der Reihe von Buffettischen vorbei zum Heck des Kahns. Ziller folgte der Maschine – auf seinem breiten Mittelglied und den beiden kräftigen Hinterbeinen in geschmeidiger Eleganz scheinbar über das glatte Deck schwebend. Der Komponist hielt immer noch sein volles Kristallglas mühelos ausgewogen in einer Hand, wie Kabo feststellte. Die andere Hand benutzte Ziller dazu, ein paar Leuten zuzuwinken, die ihm im Vorbeigehen zunickten oder ihn grüßten.

Kabo kam sich ihm Vergleich zu ihm sehr plump vor. Er versuchte, sich zur vollen Größe aufzurichten, um weniger schwerfällig zu erscheinen, wäre jedoch beinahe mit einem sehr alten und sehr komplizierten Lampengebilde, das von der Decke hing, zusammengestoßen.

 

Die drei saßen in der Kabine, die vom Heck des großen Kahns vorsprang, und blickten auf das tintenschwarze Wasser des Kanals hinaus. Ziller hatte sich auf einem niedrigen Tisch zusammengefaltet, Kabo hockte bequem auf Polstern am Decksboden, und Tersono ruhte in einem zierlichen und anscheinend sehr alten Flechtspansessel. Kabo kannte die Drohne Tersono seit Anbeginn der zehn Jahre, die er nun schon auf dem Masaq’-Orbital weilte, und er wusste seit langem, dass sie sich gern mit alten Gegenständen umgab; ein Beispiel dafür war dieser alte Kahn und die antiken Möbel und Einrichtungsgegenstände, die er enthielt.

Selbst das physische Make-up der Maschine zeugte von einer Art Antikfanatismus. Es war eine allgemein verlässliche Regel: je größer eine Kultur-Drohne erschien, desto älter war sie. Die ersten Exemplare, die aus der Zeit vor acht- oder neuntausend Jahren datierten, hatten die Größe von stämmigen, hochgewachsenen Menschen gehabt. Nachfolgende Modelle waren immer mehr geschrumpft, bis die fortschrittlichsten Drohnen seit einiger Zeit so klein waren, dass sie in eine Tasche passten. Tersonos meterhoher Körper mochte die Vermutung nahe legen, dass er vor Jahrtausenden geschaffen worden war, obwohl er in Wirklichkeit erst ein paar Jahrhunderte alt war, und der zusätzliche Raum, den er einnahm, war Folge der Trennung seiner inneren Bestandteile, um desto besser die zarte Durchsichtigkeit seiner unorthodoxen Keramikhülle zur Geltung zu bringen.

Ziller trank sein Glas leer und zog eine Pfeife aus einer Westentasche. Er sog daran, bis eine kleine Rauchwolke aus dem Kolben aufstieg, während die Drohne mit dem Homomdaner Freundlichkeiten austauschte. Der Komponist versuchte immer noch, Rauchringe herzustellen, als Tersono schließlich sagte: »… was mich zu dem Grund bringt, warum ich Sie beide hergerufen habe.«

»Nämlich?«, fragte Ziller.

»Wir erwarten einen Gast, Br. Ziller.«

Ziller sah der Drohne geradewegs in die Augen. Dann ließ er den Blick durch die breite Kabine schweifen und betrachtete die Tür. »Wie, jetzt? Wen denn?«

»Nicht jetzt. In etwa dreißig oder vierzig Tagen. Ich fürchte, wir wissen noch nicht genau wen. Aber es wird jemand aus Ihrem Volk sein, Ziller. Jemand von Chel. Ein Chelgrianer.«

Zillers Gesicht bestand aus einer pelzigen Kuppel mit zwei großen, schwarzen, beinahe halbkreisförmigen Augen über einem grau-rosafarbenen, haarlosen Nasenbereich und einem teilweise zum Greifen geeigneten Mund. Jetzt zeigte es einen Ausdruck, den Kabo noch nie zuvor gesehen hatte, obwohl er zugegebenermaßen den Chelgrianer seit nicht einmal einem Jahr und auch nur sehr oberflächlich kannte. »Kommt er hierher?«, fragte Ziller. Seine Stimme klang … eisig – das war das richtige Wort, sagte sich Kabo.

»Ja. In dieses Orbital, auf diese Platte.«

Zillers Mund arbeitete. »Kaste?«, fragte er. Das Wort wurde mehr ausgespuckt als ausgesprochen.

»Ein Berührter oder möglicherweise ein Geschenkter«, sagte Tersono gleichgültig.

Natürlich. Ihr Kastensystem. Zumindest ein Teil des Grundes, warum Ziller hier war und nicht dort. Ziller betrachtete eingehend seine Pfeife und blies weiteren Rauch in die Luft. »Möglicherweise ein Geschenkter, wie?«, murmelte er. »Nun, Sie können sich das als große Ehre anrechnen. Hoffentlich machen Sie keine Fehler hinsichtlich deren heikler Etikette. Am besten fangen Sie gleich mal an zu üben.«

»Wir glauben, diese Person kommt vielleicht hierher, um Sie zu besuchen«, sagte die Drohne. Sie drehte sich in dem Flechtspansessel ein klein wenig um und fuhr ein Manipelfeld aus, um die Schnüre zu bedienen, die die Vorhänge aus Goldstoff über die Fenster senkten und so den Blick hinaus auf den dunklen Kanal und die schneebedeckten Kais versperrte.

Ziller klopfte gegen den Kolben seiner Pfeife und betrachtete sie stirnrunzelnd. »Ach, wirklich?«, sagte er. »Na ja. Wie schade. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mich schon vorher an Bord eines Kreuzers zu begeben, um den tiefen Raum zu bereisen. Für mindestens ein halbes Jahr. Vielleicht auch länger. Um genau zu sein, ich bin ziemlich fest entschlossen, es zu tun. Sie werden meine Entschuldigung irgendeinem affektierten Diplomaten oder hochnäsigen Adeligen – wen immer sie uns schicken mögen – übermitteln. Ich bin sicher, man wird Verständnis haben.«

Die Drohne senkte die Stimme. »Ich bin sicher, dass man das nicht haben wird.«

»Ich auch. Ich hab es ironisch gemeint. Aber die Sache mit der Kreuzfahrt meine ich ernst.«

»Ziller«, sagte die Drohne leise. »Sie bestehen auf ein Treffen mit Ihnen. Selbst wenn Sie sich auf eine Kreuzfahrt begeben, würden sie zweifellos versuchen, Ihnen zu folgen und Sie auf dem Schiff zu treffen.«

»Und natürlich würden Sie nichts unternehmen, um sie davon abzuhalten.«

»Wie könnten wir das tun?«

Ziller sog eine Weile lang bedächtig an seiner Pfeife. »Ich vermute, sie wollen, dass ich zurückkehre. Stimmt’s?«

Die Kanonenguss-Aura der Drohne zeigte Ratlosigkeit. »Wir wissen es nicht.«

»Wirklich nicht?«

»Komponist Ziller, ich spreche vollkommen offen mit Ihnen.«

»Aha. Nun, können Sie sich einen anderen Grund für diese Expedition vorstellen?«

»Viele, mein lieber Freund, aber keiner davon erscheint sehr plausibel. Wie gesagt, wir wissen es nicht. Ich war jedoch gezwungen zu spekulieren. Ich neige dazu, Ihnen in der Vermutung zuzustimmen, dass der Hauptgrund für den bevorstehenden Besuch wohl darin besteht, von Ihnen die Rückkehr nach Chel zu verlangen.«

Ziller kaute auf dem Pfeifenstiel herum. Kabo fragte sich, ob er wohl irgendwann durchbrechen würde. »Sie können mich nicht zur Rückkehr zwingen.«

»Mein lieber Ziller, wir denken nicht im Entferntesten daran, Ihnen so etwas vorzuschlagen«, erwiderte die Drohne. »Dieser Gesandte möchte das vielleicht, aber die Entscheidung liegt ganz allein bei Ihnen. Sie sind ein geehrter und geachteter Gast, Ziller. Die Staatsbürgerschaft der Kultur könnte Ihnen jederzeit zugestanden werden, bis zu dem Maße, da so etwas tatsächlich mit einer gewissen formalen Konsequenz existiert. Ihre vielen Bewunderer, zu denen ich mich selbst zähle, hätten sie Ihnen schon längst mit Freuden verliehen, wenn das nicht anmaßend erschienen wäre.«