Doris Röckle-Vetsch, geboren 1963, lebt mit ihrer Familie in Vaduz im Fürstentum Liechtenstein. Nebst ihrer Tätigkeit im medizinischen Sektor gehört ihre Leidenschaft dem Schreiben historischer Romane. 2010 gewann sie den Literaturwettbewerb des Kulturvereins Schloss Werdenberg. Von der Mystik des Alpenrheintals und seinen Burgen gefangen, lässt sie das Mittelalter nicht mehr los.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

 

 

Für Irmgard,

die mir mehr Schwester als Schwägerin war und

still und leise von uns gegangen ist

Dramatis Personae

Hanna – liebäugelt mit dem Wehmutteramt und tut alles für die Gerechtigkeit, was sie manchmal fast mit dem Leben bezahlt

Lena – Frau des Rheinmüllers, Hannas Freundin

Jodok Waser – städtischer Rheinmüller, Lenas Mann

Peter – Geselle des Müllers

Klara – Magd bei Jodok und Lena

Jerg – junger Torwächter des Petershausertores

Heribert Zipp – bischöflicher Pfister (Bäckermeister)

Bleichgesichtiger – sein Geselle, lauert Hanna ständig auf

Hiltbert Fronlein – bischöflicher Müller, ein Gauner, der es mit dem Wiegen nicht so genau nimmt

Haus in der Mordergasse

Conrad von Liebenfels – adeliger Ritter, Besitzer der Burg Liebenfels und des vornehmen Hauses in der Mordergasse

Endlin von Liebenfels – seine junge Gemahlin

Ursus – Stallknecht der von Liebenfels und Hannas heimlicher Geliebter

Wicca – die Köchin

Barbel – junge Magd

Agnes – reife Magd, ehemals im Dienst von Reinhild Blarer

Haus in der Neugasse

Reinhild Blarer – Witwe des reichen Leinwandhändlers Gerwig Blarer und vermeintliche Freundin von Endlin von Liebenfels

Holda – deren Köchin

Beginenhof in der Wittengasse

Guta von Wellershausen – Mutter Oberin

Schwester Gisela – zuständig für die Küchenstube, Jodok Wasers Schwester

Schwester Ottilia – Begine

Schwester Luzia – junge Begine, leidet an Fallsucht

Schwester Agrikola – alte Begine, zuständig für die Kräuterstube

Katharina von Rhäzüns – vornehme Adelige aus den Bündner Bergen, findet Zuflucht im Hause der Schwestern und spielt eine entscheidende Rolle im Komplott gegen Bischof Rudolf

Franziskanerkloster, auch Barfüßer genannt

Bruder Wigand – Kustos der Barfüßer, den Sammlungsschwestern zugetan

Bruder Ludger – Betbruder der Sammlungsschwestern, hält regelmäßig die Messe in der Wittengasse

Leben in der Vorstadt

Meister Fridolin – alter Flickschuster

Wendelgart – Wehmutter, die ihr Handwerk gerne an Hanna übergeben würde

Meister Ziprian – Bader und Besitzer der Badestube neben dem Pilgerhospital

Alma – junge Bademagd, Hannas Verbündete

Odo – ihr kleiner Bruder

Gunda – Bademagd

Wilfried – Badeknecht

Berta – Köchin in der Badestube

Else – alte Witwe, Muhme von Klara

Großer Rat

Brun von Tettikoven – Bürgermeister

Lütfried In der Bünde – Ratsherr, Verbündeter der Endlin von Liebenfels

Weitere

Bischof Rudolf von Montfort-Feldkirch – Bischof von Konstanz 1322  1334

Johannes Pfefferhard – Kanoniker von Konstanz 1318  1325, danach Bischof von Chur

Augusta Pfefferhard – seine Mutter

Prolog

Mit gesenkten Lidern saß die Frau am Tisch, demütig, fast schon eine Spur zu unterwürfig. Verstohlen musterte sie den Mann gegenüber. Im Schein der beiden Talglampen wirkte sein Gesicht wächsern. Die Schweißperlen auf seiner Stirn waren nicht zu übersehen. Hin und wieder entfuhr ihm ein Stöhnen, besonders dann, wenn er versuchte, einen Bissen gewaltsam hinunterzuschlucken.

»Soll ich nicht doch den Medicus rufen?«, fragte die Frau. Ihre Mundwinkel zuckten. Die Frau drehte den Kopf zur Seite, damit der Mann ihr triumphierendes Lächeln nicht bemerkte.

»Der Medicus kann bestimmt helfen«, betonte sie noch einmal mit zuckersüßer Stimme. Sie war sich sicher, dass er diesen Rat ausschlagen würde, wie er es immer tat. Er hielt den Stadtmedicus für einen Scharlatan, und daraus machte er auch keinen Hehl. Seit der Medicus seinen Nierenstein für einfaches Bauchgrimmen gehalten hatte, wollte er nichts mehr mit dem angesehenen Gelehrten der Stadt Konstanz zu schaffen haben.

Und in der Tat, die Antwort des Mannes war ein abwehrendes Heben seiner linken Hand. Die Schmerzen drohten ihn zu übermannen, das sah man ihm an, doch er hielt sich noch immer aufrecht. Einzig den Löffel hatte er zur Seite gelegt. Der Hunger war ihm endgültig vergangen, und dies trotz der reich gedeckten Tafel. Seine Finger umklammerten die Kante des Tisches jetzt mit solcher Härte, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.

»Noch ein wenig vom guten Würzwein?«, lockte die Frau abermals. »Ich habe in der Küche Anweisung gegeben, eine zusätzliche Gabe Kräuter hineinzutun. Kümmel und Anis werden bestimmt helfen.«

Der Mann knurrte und stöhnte gleichzeitig, doch griff er sich folgsam den Weinbecher, der seit einer Ewigkeit unberührt vor ihm stand. Bevor er jedoch einen Schluck nahm, hielt er sich das Gebräu vor die Nase und roch daran.

Die Frau erschrak. Das Lächeln in ihrem Gesicht erstarrte. Hatte sie sich einen Fehler erlaubt? Trotz der aufkeimenden Angst schaffte sie es, eine Träne herauszudrücken, die ihr nun über die Wange lief.

»Die Reise dauerte dieses Mal einfach zu lange«, hüstelte sie mit tränenerstickter Stimme. »Zudem ist doch bekannt, dass es in den Tavernen am Rhein nur so von Wanzen und Flöhen wimmelt.« Die Frau schnupfte. »Bestimmt rührt diese unsägliche Krankheit daher. Man hört ja allerlei Schauergeschichten aus diesen Spelunken.«

»Das Mitgefühl tut gut«, stöhnte der Mann, wobei er sich den schmerzenden Bauch rieb. Ein letztes Zögern, dann gab er sich einen Ruck und leerte den Becher in einem Zug. Das Gebräu linderte die bohrenden Schmerzen tatsächlich.

Er suchte wohl bereits nach Worten des Dankes, als der Schmerz mit solcher Härte zurückkehrte, dass er seinen Unterleib mit beiden Armen umklammerte.

»Es wird besser sein, ich begebe mich heute früher zu Bett«, presste er mit zittriger Stimme hervor. »Sollte das vermaledeite Brennen und Stechen nicht besser werden, befolge ich den Rat wohl doch und werde morgen beim Stadtmedicus vorstellig, auch wenn ich den Kerl noch immer für einen Quacksalber halte.«

Die Frau fühlte seinen Blick auf sich. Es kostete sie erdenkliche Mühe, ihren Schreck hinter einem wehmütigen Lächeln zu verbergen. Sie nickte und erhob sich. »Wir werden gleich morgen früh nach ihm schicken lassen«, sprach sie leise. »Doch jetzt hilft sicher ein wenig wohlverdienter Schlaf.«

Ihre Beine fühlten sich mit einem Mal schwer wie Blei an, als sie auf die Tür zuging. Sie war jetzt überzeugt, dass er etwas ahnte. Nie und nimmer durfte der Medicus das Haus betreten, solange er noch am Leben war. Sie musste es zu Ende bringen, hier und heute, wollte sie nicht im Mörderturm landen.

Als die Frau nach der Magd rief, haftete ihrer Stimme eine Brüchigkeit an, die ihr sonst völlig fremd war. Ihr ganzes Inneres war in Aufruhr. Sie vermochte das Zittern ihrer Hände kaum unter Kontrolle zu bringen.

»Hilf dem Herrn in seine Schlafkammer«, fuhr sie die herbeieilende Magd an, wobei sie den Kopf in den Nacken warf und die Lippen fest aufeinanderpresste.

Als die Magd die Tür zu seiner Schlafkammer mit dem Ellenbogen aufstieß, schlurfte der Mann kreidebleich, doch erleichtert auf seine Bettstatt zu. Stöhnend fiel er auf die Matratze, die Augen starr auf den roten Baldachin aus schwerem Samt gerichtet. Auf ein Zeichen seiner Gattin verließ die Magd die Kammer.

»Ich werde dir aus den Kleidern helfen«, sagte die Frau mit einer Strenge, die keinerlei Widerrede duldete. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Es war ein Kraftakt gewesen, den fülligen Körper die Treppe hochzuschleppen. Sie vermochte den Widerwillen kaum noch zu verbergen, den sie beim Anblick ihres Gatten empfand. Die blutunterlaufenen Augen, die hängenden Tränensäcke und dazu der penetrante Gestank, der ihm seit Tagen aus dem Maul kroch. Sie hielt es keinen Tag länger mit diesem Mann aus. Mit hartem Griff öffnete sie die Hornknöpfe seines Wamses.

Während sich der Mann aus seiner Kleidung schälte, drehte sie sich um und fingerte einen kleinen Leinenbeutel aus der Falte ihres Gewands. Sie schluckte hart, als sie das weiße Pulver in den Weinbecher kippte. Ihre Hände begannen abermals zu zittern, und doch schaffte sie es, sich mit einem Lächeln umzudrehen.

»Trink, mein Lieber. Der Wein wird dir helfen, einzuschlafen. Ich habe Anweisung gegeben, ihn mit etwas Baldrian zu versetzen«, drängte sie. Sie hielt den Becher dicht an die Lippen ihres Gatten.

»Mir ist speiübel«, stöhnte der Mann, wobei er seine Augen schloss und heftig würgte.

Durst war das Letzte, was er in diesem Augenblick verspürte, das wusste die Frau, doch er würde sich ihr nicht widersetzen, und wenn doch, dann würde sie ihm das Gebräu eigenhändig in den Rachen schütten.

Arsenik zu bekommen war leicht und es im Wein aufzulösen noch leichter. Das Gift war geruch- und geschmacklos. Ratten tötete es ebenso wie Menschen. Seit Wochen verabreichte sie ihm nun schon das Gift, stets in kleinen Portionen, um keinen Verdacht zu erregen.

Das Dahinsiechen des reichen Kaufmanns sorgte für Gesprächsstoff in den Gassen von Konstanz, und es ging das Gerücht, dass er diese Krankheit an der Messe in Köln aufgelesen habe. Sie selbst wandelte seit Wochen mit zur Schau getragener Verzweiflung über die Marktplätze der Stadt, jammerte vor den reichen Matronen mit Tränen in den Augen und besuchte jeden Sonntag die Messe im Münster, wo jedermann sie eifrig betend sehen konnte. Das Gesicht hielt sie stets unter einem Schleier verborgen.

Ein Stöhnen vonseiten der Bettstatt holte sie aus ihren Gedanken. Der Mann hatte den Becher artig ausgetrunken und ließ sich eben auf das Kissen zurücksinken. Er zog sich das leinene Laken bis unter das Kinn.

Die Frau wartete. Die Gesichtsfarbe ihres Gemahls glich mittlerweile dem Leinentuch, das seine Blöße bedeckte. Und nun weiteten sich plötzlich seine Augen. Hilfesuchend griff er sich an die Kehle. Die Frau wich einen Schritt zurück – keinen Wimpernschlag zu früh, denn schon ergoss sich ein Schwall Erbrochenes über die Bettstatt. Sie nestelte sich ein Tüchlein aus ihrem Gürtel und hielt es sich vor die Nase. Der säuerliche Gestank brachte sie zum Würgen. Tränen des Ekels liefen ihr über die Wangen.

Sie hasste diesen Mann, seine Vergänglichkeit ebenso wie sein großspuriges Gehabe vor den Stadträten. Einzig und allein wegen des unermesslichen Vermögens hatte sie ihn damals umgarnt. Sie schüttelte den Gedanken an die letzte gemeinsam verbrachte Nacht mit einem angewiderten Lächeln ab. Es würde bald ein Ende haben.

Der Mann krümmte sich mittlerweile wie ein sich windender Wurm. Sein Stöhnen erfüllte die Kammer. Als ihm ein Furz entwich, fraß sich der Gestank in Windeseile in die Ritzen der Wände. Das Gift zeigte Wirkung. Die Frau drehte sich auf dem Absatz um und ging mit erhobenem Haupt aus der Kammer. Draußen lehnte sie sich gegen die Tür und schloss die Augen. Jetzt hieß es warten.

Aus der Gasse drangen kaum noch Geräusche ins Haus. Die Dämmerung war über Konstanz hereingebrochen. Bald würden die Nachtwächter ihre Runden drehen und die letzten Herumtreiber nach Hause scheuchen. Die Frau sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach der Dunkelheit.

Ein schepperndes Geräusch aus der Küche ließ sie zusammenfahren. Sie straffte ihren Rock, griff sich die Talglampe von einer der Truhen und ging langsam auf ihre eigene Kammer zu. Da ihr Gatte seit Langem wie ein Berserker schnarchte, hatte er ihrem Drängen nach einer eigenen Kammer bereits kurz nach der Vermählung zugestimmt. Dass dies nicht der einzige Grund für ihre selbst gewählte Einsamkeit war, hatte er nie erraten. Wie dumm dieser Mann doch war.

Als die Tür hinter der Frau zufiel, konnte sie sich eines erlösenden Seufzers nicht erwehren. Dies war ihr Refugium. Langsam wanderte ihr Blick über die schemenhaft zu erkennenden Truhen und Kästen. Die filigranen Schnitzereien waren im schwachen Schein der Talglampe kaum auszumachen, ebenso wenig die kostbar ausgestattete Bettstatt, doch sie waren da und zeigten, dass sie zur besseren Gesellschaft von Konstanz gehörte. Bald würde sie allein über den unermesslichen Reichtum verfügen.

Schwer atmend griff sie sich den Rosenkranz und trat ans Fenster. Morgen würde sie all ihre Kräfte brauchen, um ein eindrückliches Schauspiel zu liefern. Unwillkürlich ertasteten ihre Finger die kostbaren Glasperlen. Erlösung, Erlösung, Erlösung – das Wort wiederholte sie so lange, bis das Jammern aus der gegenüberliegenden Schlafkammer immer leiser wurde und schließlich völlig versiegte.

Lange Zeit stand die Frau nur da und schaute hinaus in die Dunkelheit. Die Stille hatte etwas Unheimliches, Drohendes, und doch lag in ihr auch Hoffnung, die Hoffnung auf ein Leben, wie sie es immer gewollt hatte.

Die Sterne standen bereits hoch am Firmament, als sie sich die Talglampe abermals griff und leise über die Schwelle trat. Das Knarren der Dielen jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Ein schwacher Lichtschein drang die Stiege hoch. Die Magd wartete, ebenso wie sie.

Ihr Gatte war tot, das wusste die Frau, noch bevor sie ihm zwei Finger an den Hals gelegt hatte.

Die beiden Frauen verstanden sich ohne große Worte. Ohne Hast griff sich die Magd das verschmutzte Laken, ehe sie ihrem Herrn die Spuren des Erbrochenen aus dem Gesicht wischte. In stummer Einigkeit wechselten sie die Bettwäsche, bevor sie den Mann in ein frisches Nachthemd steckten. Anschließend strichen sie ihm die zerzausten Haare aus dem Gesicht, drapierten seine Hände zum Gebet und umwickelten sie mit dem Rosenkranz.

Der Mann war im Schlaf verstorben, nach einem für ihn zu üppigen Essen. Seine Krankheit aus fernen Landen hatte ihn aufgefressen. Sie würden dies beide mit aller Inbrunst bezeugen, sollte jemand irgendwelche Zweifel hegen.

1. Kapitel

Konstanz, 1323

Seit dem frühen Morgen zogen dunkle Wolken auf und verdeckten die Sonne zunehmend. So Gott wollte, würde es bald zu regnen beginnen. Das erfrischende Nass wurde sehnlichst erwartet, von den Bauern auf den Fronhöfen rund um Konstanz nicht minder als von den Fischern, die kaum noch genügend Gangfische aus dem See zogen. Der ewige Sonnenschein und die flirrende Hitze der letzten Wochen waren zermürbend und taugten mehr für den Hochsommer als für den späten Frühling.

Die Holzbohlen der Rheinbrücke, die die Stadt mit der Benediktinerabtei in Petershausen verband, glichen ausgebleichten Tierknochen, und viele der alteingesessenen Konstanzer waren sich einig, dass der Bodensee noch nie so wenig Wasser geführt hatte. Das Niedrigwasser des Seerheins verlangsamte das Leben in Konstanz. Selbst die wackeren Wasserräder der beiden Rheinmühlen drehten sich dieser Tage nur noch langsam. Bald würde kaum noch genügend Korn gemahlen werden, um den Brotbedarf der Stadt zu decken.

Die Brücke war Konstanz’ ganzer Stolz, doch die Rodung auf der Petershauser Insel war nicht überall auf Zustimmung gestoßen, besonders der Große Rat hatte Bedenken angebracht, doch schlussendlich hatten sich die Kleriker durchgesetzt, wie sie es die letzten Jahrhunderte immer getan hatten. »Kirchenrecht vor Stadtrecht«, hatte der Bischof gerufen und damit Erfolg gehabt.

Petershausen war trotzdem ein Kleinod geblieben. Nebst dem noch immer dichten Eichenwald gab es jetzt auch große Grünflächen mit Obstbäumen und Reben, in denen von morgens bis abends die Vögel ihre Lieder sangen. Die mächtige Abtei thronte wie eine Königin auf einem sanften Hügel, umgeben von einer dicken Mauer.

Etwas abseits standen drei Häuser. Das eine hölzerne Haus gehörte dem Stadtmüller Jodok Waser, der das Privileg genoss, hier zu wohnen, obwohl er der Stadt unterstellt war. Das andere Holzhaus nannte der alte Kirchenmüller Hiltbert Fronlein sein Eigen. Das große Steinhaus bewohnte Bäckermeister Heribert Zipp, der ebenfalls in den Diensten der Kleriker stand. Wenn der angesehene Zipp seine Hostien für das Münster und die vielen anderen Kirchen der Stadt buk, rauchte das Backhaus von morgens bis abends.

Im hinteren Teil der Landzunge hatten die Fischer ihre Hütten gebaut. Natürlich mit der Erlaubnis des Bischofs, der hierfür zwar die Hälfte der Fänge verlangte, sie jedoch ansonsten in Ruhe ließ. Die Netze hingen wie Spinnweben auf den Holzstangen, und oft blies der Wind den modrigen Gestank nach faulem Fisch hinüber zur Abtei, sehr zum Verdruss der Mönche. Die Hitze der vergangenen Wochen verstärkte diese Misere noch, sodass die Mönche bereits Klage beim Bischof und vorsorglich auch beim Großen Rat der Stadt eingereicht hatten. Bislang ohne Erfolg. Der Stadtrat hatte das Begehren erst gar nicht vor die Ratssitzung gebracht und den Mönchen mit einem schalen Lächeln erklärt, dass hierfür allein der Bischof zuständig sei. Dieser wiederum verschanzte sich während der Hitzewochen auf einer seiner Burgen außerhalb der Stadt und überließ die Mönche sich selbst.

Dumpfes Donnergrollen ließ Hanna, die in Gedanken gefangen im Haus des Stadtmüllers Jodok am Fenster stand, zusammenfahren. Hastig griff sie sich einen der Weidenkörbe, die hinter der Tür standen, und lief humpelnd die Stiege hinab. Den Schweißperlen auf der Stirn versuchte sie mit dem Handrücken den Garaus zu machen. Doch gegen die Schwüle anzukommen, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Als sie durch die Tür des Hauses trat, rann ihr der Schweiß bereits den Rücken hinab. Sie rieb sich kurz den schmerzenden Knöchel. In solchen Momenten verfluchte sie die verdammten Wilderer und ihre Falle, doch genauso wütend war sie auf sich selbst, dass sie so achtlos gewesen und mit dem Fuß in deren Fangeisen geraten war.

»Was hast du denn so lange gemacht?« Lena, die junge Müllersfrau, drückte ihren Rücken durch und blickte der verschwitzten Hanna mit gespieltem Tadel entgegen. »Wenn wir uns nicht beeilen, bleiben nur noch die schlechten Fische übrig, und du weißt, dass mir allein beim Gedanken kotzelend wird.« Lena strich sich mit einem verschmitzten Lächeln über den gerundeten Leib. In wenigen Monaten erwartete sie ihr erstes Kind.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Hanna grinsend. »Doch der Gang zum Abort ließ sich leider nicht aufschieben.«

Fröhlich lachend machten sich die beiden Frauen auf den Weg in die Stadt, hielten aber plötzlich inne, als sie das Fuhrwerk bemerkten, das langsam über die Brücke auf die Abtei zufuhr. In der Öffentlichkeit mussten sie ihre Freundschaft stets verbergen und den Schein von Magd und Herrin wahren.

Hanna warf der jungen Müllersfrau einen dankbaren Blick zu. Auch wenn ihr Gatte nie den Sitz in einer der Zünfte der Stadt innehaben würde, so tat Lena doch alles, um ihren geliebten Jodok nicht in Verruf zu bringen. Schließlich hatte er schon genug Ärger mit dem bischöflichen Müller Hiltbert Fronlein und seinen Sticheleien. Zwei Mühlen auf der Brücke schafften Neid, besonders dann, wenn es einer von beiden nicht so genau mit dem Abmessen nahm. Dass dieser Jemand nicht Jodok war, das wusste zwar die halbe Stadt, doch die Kleriker schien dies nicht zu stören. Solange Hiltbert seine Abgaben regelmäßig zahlte, drückten sie gern ein Auge zu.

Als das Fuhrwerk den Weg zur Abtei einschlug, atmeten die beiden Frauen erleichtert auf. Stadtluft macht frei – so hieß es allgemein, doch dazu musste man erst ein ganzes Jahr inmitten der Mauern verbracht haben und, was ebenso wichtig war, über einen tadellosen Leumund verfügen.

Mit Letzterem hatte gerade Hanna ihre liebe Mühe. Wüsste Hiltbert Fronlein von ihrer Vergangenheit, würde er keine Sekunde zögern, sie bei Bischof Rudolf und wohl auch beim Stadtrat anzuschwärzen. Vor drei Monaten war sie als entlaufene Leibeigene des Grafen Wilhelm von Montfort-Tettnang in Konstanz eingetroffen, und seither war sie keinen Tag sicher, nicht doch entdeckt zu werden. Zwar war die Möglichkeit gering, dass ein Söldner des mächtigen Grafen in Konstanz auftauchte und sie erkannte, doch leider zählte auch der Bischof von Konstanz zur Verwandtschaft des Hauses Montfort, und diesem Mann war ihr Gesicht sehr wohl bekannt. Bislang war sie von einer Entdeckung nur deshalb verschont geblieben, weil Bischof Rudolf der Hitze wegen so gut wie nie in der Stadt weilte. Doch ewig würde dieses Glück nicht andauern.

So schnell es Lenas wohlgerundeter Leib und Hannas Hinken zuließen, liefen die beiden Frauen den schmalen Uferweg entlang. Das Fuhrwerk entschwand eben durch das mächtige Tor aus ihrem Blickfeld.

Die Rheinbrücke lag in einem gespenstigen Farbspiel aus Licht und Schatten. Die Sonne lieferte sich einen unerbittlichen Kampf mit den düsteren Wolken. Schwarz und bedrohlich türmten sie sich am Himmel zu Bergen. In aller Eile trieb ein kleiner Junge eine Schar Schweine über die Brücke. Die Eichelmast im Petershauser Wald war begehrt, wenn auch nur für die bischöflichen Schweine gedacht. Doch daran hielten sich die wenigsten Schweinehirten. Der Junge warf ihnen ein verschwörerisches Grinsen zu, ehe er mit seinen Tieren zwischen den Bäumen verschwand.

Lena blieb stehen, hielt sich am Brückengeländer fest und blickte sehnsuchtsvoll auf die immer größer werdenden dunklen Wolkenberge. »Glaubst du, dass es dieses Mal für Regen reicht? Jodok schafft es kaum noch, die Mühlräder am Laufen zu halten.«

»Hoffentlich«, erwiderte Hanna. »Auch die Bauern würden dankbar sein für ein wenig Regen. Die Wiesen sind so verdorrt wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.«

»Und woher willst du das wissen, du bist doch erst seit gut drei Monaten in der Stadt?«

Hanna hatte sich in Konstanz schnell eingelebt. Das Labyrinth aus Gassen, Winkeln und Schlupflöchern behagte ihr ebenso wie die offenherzige Art der Konstanzer Bürger. »Hab es von den Bauern gehört, die regelmäßig ihr Korn zu Jodok in die Mühle bringen«, bemerkte sie mit einem Schulterzucken. »Draußen vor den Stadtmauern im Debele und im Paradies soll es besonders schlimm sein. Wenn es nicht bald regnet, müssen die Bauern einen Großteil ihrer Tiere schlachten.«

»Das wäre wirklich eine Tragödie. Die Bauern und ihre Familien haben es ohnehin nicht leicht auf den Fronhöfen.« Lena seufzte. »Das Land ist einfach zu sumpfig. Besonders hart trifft es die Bauern auf den bischöflichen Höfen, denn die werden zusätzlich noch von Hiltbert Fronlein um ihren Verdienst geprellt. Die Säcke sind kaum halb voll, die er ihnen für ein Fuder Korn mahlt. Der Rest werde von der Mühle verstoben, redet er sich immer wieder heraus, welch ein Hohn! Mir ist es ein Rätsel, warum man dem Mann nicht endlich sein Handwerk legt.«

Hanna nickte. Sie selbst brauchte zwar keinen Hunger zu leiden, doch die Angst, irgendwann Bischof Rudolf von Montfort in die Arme zu laufen, verfolgte sie Tag und Nacht. Nun, wer hatte es schon leicht in Konstanz? Den Fischern fehlten die Fische, den Händlern verfaulte das Obst auf den Ladentischen, und die noblen Geschlechter lamentierten über den üblen Gestank, der seit Wochen über Konstanz hing. Und auch Lena trug ihr Bündel, still und leise.

Sie und Lena waren gleichzeitig auf die vermaledeite Burg des Grafen von Montfort im Rheintal gekommen, sie als Magd in der Waschstube und ihre Freundin Lena als Zeitvertreib des Grafen. Das Ergebnis hatte nicht lange auf sich warten lassen. Nicht mehr lange, und die Frucht jener unglückseligen Nächte in der Kammer des Grafen von Montfort würde das Licht der Welt erblicken. Hanna konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sich Lena auf diesen Bastard freute. Ebenso wenig konnte sie verstehen, dass offenbar auch Jodok damit keine Probleme hatte. Lenas Mann freute sich auf das Kind, als wäre es sein eigenes.

»Kommst du?«, fragte Hanna.

Lena gab sich einen Ruck und ging weiter. Das Klappern der mächtigen Mühlräder wurde mit jedem Schritt lauter. Unter der Brücke schwamm eine Handvoll Enten, während eine Schar krächzender Raben über ihren Köpfen schwirrte. Das nahende Gewitter brachte Unruhe.

Die beiden Frauen beschleunigten ihre Schritte und passierten mit gesenkten Köpfen die Mühle Fronleins. Wie immer drang aus dem Inneren ein Fluchen und Zetern – Hiltbert Fronlein galt als aufbrausender Gesell. Zudem hinderte ihn sein Alter leider auch nicht daran, jedem Weiberrock geifernd hinterherzugaffen.

»Nicht verwunderlich, dass seine Frau ihn verlassen hat«, lachte Hanna, wobei sie die Augen verdrehte. »Bei dem hätte ich es keinen Tag ausgehalten.«

Lena hob eine Hand und winkte ihrem Mann zu, der eben aus seiner Mühle trat. Sie befand sich keinen Steinwurf von der Bischofsmühle entfernt. Beide Mühlen verfügten über zwei mächtige Wasserräder, die sich Tag für Tag einem Wettrennen gleich drehten. »Da hab ich es deutlich besser getroffen, nicht wahr?«, sagte sie verschmitzt.

Hanna versuchte sich an einem zustimmenden Lächeln. Der klein gewachsene Jodok mit dem kahlen Schädel war keine Augenweide, doch er hatte das Herz am rechten Fleck. Zwar hatte er Lena nur im Auftrag des Grafen von Montfort-Tettnang geehelicht und dafür eine prall gefüllte Geldkatze erhalten, doch dies gehörte der Vergangenheit an. Jodok liebte Lena, daran bestand kein Zweifel. Und seltsamerweise liebte Lena wohl auch Jodok.

»Wir gehen auf den Fischmarkt«, rief Lena über den Lärm der Wasserräder hinweg, wobei sie in Richtung der Stadt zeigte. »Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es vielleicht noch vor dem Regen.«

Jodok war kein Mann großer Worte. Ein Nicken genügte. Seine Wortkargheit hatte schon so manchen Abend verdorben, besonders wenn er beim Nachtmahl nach Gerüchten aus der Mühle gefragt wurde und er nur abwehrend mit den Schultern zuckte.

»Wenn uns das Glück hold ist, ergattern wir vielleicht bei den Brotlauben noch einige süße Wecken. Du magst sie doch so gerne.« Lena lächelte.

Trotz der strengen Haube, die sie als verheiratete Frau auswies, glich Lena in diesem Moment einem Engel. Es war nicht zu übersehen, wie stolz sie auf Jodok war. Als Stadtmüller genoss er Ansehen, und das wiederum warf auch ein gutes Licht auf ihre Person.

Der Torwächter des Petershausertores schenkte den beiden Frauen ein kurzes Lächeln. Jerg war ein ernster junger Mann, der es mit seiner Arbeit besonders genau nahm – schließlich galt es als Privileg, vom Großen Rat für diesen wichtigen Posten ausgesucht worden zu sein. Zwar kannte Jerg die meisten Bauern, die ihr Getreide zu den beiden Mühlen brachten, doch er ließ es sich nicht nehmen, stets einen prüfenden Blick in die Kornsäcke zu werfen. Einzig bei den Mönchen der Abtei verhielt er sich zurückhaltender und winkte sie durch. Doch was hatten Pfaffen auch schon zu verbergen?

Nach einem kurzen Schwatz mit Jerg bogen die beiden Frauen in die Bruggasse ein.

War Petershausen ein Ort der Stille und Abgeschiedenheit, hatten Hektik, Lärm und Enge Konstanz fest im Griff. Aus der einstigen Bischofsstadt war über die letzten Jahre eine Reichsstadt geworden. Der Große Rat der Stadt half, den Stolz und die Freiheit der Bürger zu stärken. Einzig in der Niederburg, dem bischöflichen Viertel rund um das Münster, herrschte der Bischof nach wie vor mit eiserner Hand über die Domherren, Pfaffen und seine ihm treuen Untertanen.

Die Konstanzer brauchten mehr Platz, besonders gen Süden. Vor wenigen Jahren hatte man sogar die Gerber und Fleischhauer außerhalb der Stadt angesiedelt. Man wollte den aasigen Gestank aus Konstanz vertreiben, denn viele der angesehenen Geschlechter hatten sich beim Stadtrat darüber beschwert, dass sie ihre Fenster kaum noch öffnen konnten. Leider hatte man bei dieser Neuansiedlung nicht daran gedacht, dass der neue Mühlbach, in den die Handwerksbetriebe jetzt ihre Abfälle leiteten, ebenfalls in den Seerhein mündete. Noch immer kam das Wasser blutrot unter der Rheinbrücke durch und tötete die Fische.

Jodok hatte vor einiger Zeit wenigstens erreicht, dass die Fleischhauer ihr fauliges und vergammeltes Fleisch mit Karren auf die Brücke fahren und von dort in die Fluten werfen mussten, damit es sich nicht mehr in den Wasserrädern verfing und die Mühlen für Stunden lahmlegte.

Hanna duckte den Kopf, wie sie es stets in der Bruggasse tat. Es war nicht die Enge der Gasse, die ihr nicht behagte, auch nicht der stinkende Unrat in den Winkeln, es war die Nähe zum Münster, die sie mit Sorge erfüllte. Doch anders war die Stadtmitte von der Rheinbrücke aus nicht zu erreichen.

Zum Verdruss der beiden Frauen blockierte eine von einem Esel gezogene Karre die Gasse. Ein Durchkommen war so gut wie unmöglich. Wüste Beschimpfungen und Flüche prallten von den hohen Häusern zu beiden Seiten zurück. Keinen Katzensprung von den beiden Frauen entfernt ragten die beiden halb fertigen Türme des Münsters gen Himmel. Hanna senkte den Blick. Sie sehnte sich nach dem Gedränge der Marktstätten, wo sich Kaufleute, Handwerker und Schaulustige tummelten. Inmitten der Menschenmassen konnte sie untertauchen, wurde sie eine von vielen. Ihr pockenentstelltes Gesicht und das Hinken fielen da kaum auf.

»Müssen die ihr Garn unbedingt heute in die Stadt bringen?«, knurrte Lena, wobei sie unwillig den Mund verzog.

Konstanz war berühmt für seine Leinwandherstellung. In vielen der umliegenden Bauernhöfe wurde am Abend Flachs zu Garn gesponnen – ein kleiner Zusatzverdienst für die vom Hunger geplagten Bauern und ihre Familien. In der Webergasse wurde dieses Garn mit Sicherheit bereits sehnlichst erwartet, denn nächste Woche fand der große Leinwandmarkt statt, der wie immer Händler aus aller Welt anlockte.

Notgedrungen entschieden sich die beiden Frauen für den Weg über die Tümpfelgasse.

Das Münster so nahe vor Augen, zog sich Hanna das Kopftuch noch tiefer in die Stirn. Den Blick auf ihre Füße gerichtet, humpelte sie vorwärts. Sie wagte kaum zu atmen. So nahe war sie dem Münster noch nie gekommen. Lena schien ihre Angst zu spüren, doch helfen konnte sie ihr nicht. Es gab keinen anderen Weg zum Fischmarkt.

»Bleibt doch stehen!«, kreischte es hinter ihrem Rücken mit einem Mal so laut, dass sie erschrocken zusammenzuckten. Hilfesuchend griff Hanna nach der Hand ihrer Freundin. Sie schluckte hart, während sie den Weidenkorb fest gegen ihre Brust drückte. Das Geschrei wurde immer lauter, und einige Schaulustige starrten bereits in ihre Richtung.

»Es ist nur die Barbel«, atmete Lena erleichtert auf, als sie die junge Magd aus dem Hause von Liebenfels bemerkte, die sich mit den Ellenbogen einen Weg durch das Gewühl bahnte.

»Nochmals Glück gehabt«, flüsterte Hanna, wobei sie einen erleichterten Seufzer ausstieß. »Allerdings nur, wenn die dumme Gans endlich mit dem Gekreische aufhört. Die beiden Söldner dort drüben bekommen schon lange Hälse.« Hanna wies mit dem Kinn in Richtung des Münsterplatzes.

Inmitten des klerikalen Gedränges tummelten sich auch eine Handvoll Reisläufer. Ihre Gewandung zeichnete sie als Häscher des Bischofs aus. Das Geschrei erregte bereits Neugier. Hanna blickte bedauernd in die angrenzende Gasse. Nur ein paar Schritte, und Barbel hätte sie verfehlt.

»Sie wird uns wieder alles Mögliche und Unmögliche erzählen, und am Schluss haben wir keine Fische im Korb«, brummte Lena ungehalten.

»Dann geh du schon vor zum Markt, während ich versuche, Barbel das Maul zu stopfen. Sie geht mir wirklich auf den Senkel.« Hannas Winken in Barbels Richtung zeigte Erfolg. Die Magd schloss den Mund und drängte sich keuchend an zwei Handkarren vorbei.

»Warum ist die Lena so schnell weg?«, fragte Barbel, wobei sie eine Schnute zog, als hätte man ihr eben einen Honigwecken vom Maul weggestohlen.

»Vielleicht, weil sie dein Geschrei satthat?« Hanna machte keinen Hehl aus ihrem Unmut. Die Hitze und das Gedränge waren ihr lästig. Zudem schienen die beiden Reisläufer das Interesse noch immer nicht verloren zu haben.

»Was gibt es denn so Dringendes?« Die Frage kam schärfer über Hannas Lippen als gewollt, während sie Barbel am Arm packte und zu sich herzog. »Bevor du antwortest, winkst du den Reisläufern freundlich zu, damit sie nicht hierherkommen und Fragen stellen.«

Barbel wollte aufbegehren, aber als sie Hannas erbostes Gesicht sah, tat sie wie ihr geheißen. Die beiden Reisläufer nickten ihr zu und duckten sich wieder in den Schatten der Häuser.

»Wir erwarten nächste Woche viele Gäste in der Mordergasse«, bemerkte Barbel, wobei sie sich mit einem Ruck aus Hannas Griff löste.

»Und was ist daran so besonders, dass du die ganze Gasse zusammenschreien musst?«

Barbel verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich ab. »Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen soll. Du hast mir nämlich wehgetan.«

»Dann lass bleiben.« Hanna schielte hinüber zum Münsterplatz. Die Reisläufer hatten ihr Interesse tatsächlich verloren, zumal eben eine Kutsche auf den großen Platz rollte, die ihre Hilfe benötigte.

»Mein Herr möchte doch schon lange in den Großen Rat«, fuhr Barbel hastig fort, wobei sie einen Schritt zur Seite machte, um Hanna die Sicht auf den Münsterplatz zu versperren. Es war ihr wohl nicht entgangen, dass Hanna den Söldnern mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihr. »Und die Herrin glaubt, dass es jetzt endlich so weit ist. Fünf der Ratsherren werden kommen. Es soll ein Festmahl geben.«

»Schön und recht.« Hanna reckte den Hals. »Doch sag mir lieber, wie es Ursus geht. Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen.« Hannas heimlicher Verlobter war Stallknecht im Hause Liebenfels.

Barbel drückte die Lippen aufeinander, ehe sie sich abrupt abwandte und einen Schritt zur Seite machte. Dabei stieß sie ungewollt mit einem Jungen zusammen, der einen Bauchladen vor sich hertrug. Die Schnüre und Schnallen verteilten sich in Windeseile auf dem Kopfsteinpflaster.

»Dumme Gans!«, schrie der Kleine wütend, der sich hinhockte und ihr gegen das Schienbein schlug. »Kannst du nicht aufpassen?«

Barbel duckte sich und fingerte die Utensilien zusammen. Statt eines Dankes bedachte sie der Junge mit bitterbösem Blick.

»Ursus ist mit Ritter Conrad unterwegs, wohl wegen des blöden Schatzes.« Barbels rotes Gesicht rührte nicht allein von dem eben erlebten Ungeschick. Seit der Stallbursche Ursus vor gut drei Monaten in der Mordergasse aufgetaucht war, um nach Arbeit zu fragen, tat Barbel alles, um ihm zu gefallen.

»Schatz?«, fragte Hanna neugierig.

»Ein Hirngespinst, wenn du mich fragst.« Barbel zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Der Verwalter der Burg Liebenfels kam vor ein paar Wochen zum Herrn in die Mordergasse. Sie haben getuschelt und gemauschelt, was das Zeug hält. Es soll wohl niemand vom Schatz erfahren, den der Verwalter angeblich in einem der Brunnen gefunden hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn es wirklich einen Schatz geben würde, so richtig viele Goldmünzen, dann erzählt man das doch, damit die Leute wissen, dass man reich ist.«

»Und warum weißt du davon, wenn dein Herr ein solches Geheimnis daraus macht?«

Barbel lächelte verschmitzt. »Musste mal des Nachts zum Abort, und da hab ich gehört, wie der Herr und die Herrin darüber gesprochen haben.«

»Und warum hat Ursus mir nichts davon gesagt?«, bohrte Hanna neugierig weiter.

»Weil er dem Herrn versprechen musste, nicht darüber zu reden. Wie es scheint, hat er sich daran gehalten. Und ich habe es auch nur Wicca erzählt und jetzt dir«, fügte Barbel hastig hinzu. »Wicca hat mir verboten, es überall herumzuposaunen. Sie sagt, wenn der Herr nicht will, dass es ganz Konstanz erfährt, wird das seinen Grund haben.«

»Eure Köchin ist schlau, Barbel. Ich denke, es wird besser sein, dass du ihren Ratschlag befolgst, nicht dass dein Herr deswegen noch in Teufels Küche gerät.« Hanna rieb sich die Nase. Ein Schatz in der fernen Burg Liebenfels – der Gedanke kitzelte ihre Neugier und drängte die düsteren Sorgen um Bischof Rudolf für einen Augenblick in den Hintergrund.

»… und eigentlich hätten sie schon gestern zurück sein müssen«, hörte sie Barbel wie aus der Ferne weiterplappern.

»Wer?«, unterbrach sie die Magd zerstreut. »Wer hätte zurück sein müssen?«

»Na, der Herr und Ursus. Die Herrin ist deswegen schon ganz in Sorge. Nicht auszudenken, wenn Ritter Conrad nicht bald zurück ist.« Barbel nickte verschwörerisch. »Die Herrin alleine mit den Ratsherren, was macht das für einen Eindruck!«

»Wenn Ritter Conrad gesagt hat, dass er zurück ist, dann wird er es auch sein, und jetzt wird es Zeit, dass auch ich weiter…«

Noch bevor Hanna den Satz beenden konnte, rollte eine erneute Welle der Angst auf sie zu. Der Geselle des Bäckermeisters Heribert Zipp kam mit einem Handkarren auf sie zu. Ausweichen ging nicht, dazu war die Gasse zu eng. Der Kerl war bekannt dafür, dass er seinem Meister alle Gerüchte der Stadt zutrug, die der wiederum sofort Bischof Rudolf im Münster überbrachte.

»Was habt ihr denn so Wichtiges zu tratschen?«, rief der Bleichgesichtige laut, sodass Hanna erschrocken zusammenfuhr.

»Bringst du wieder Hostien ins Münster?«, entgegnete Barbel überschwänglich, wobei sie kokett mit den Hüften wackelte.

Dem Bleichgesichtigen gefiel, was er sah. Seine Stimme überschlug sich vor Stolz. »Ja, ins Münster und nach Sankt Johann. Kommt doch mit. Sie stellen später noch einen neuen Lastenkran an einen der Türme. Gibt bestimmt eine Menge zu sehen.«

»Würde ich gerne, doch ich muss weiter zum Markt«, hob Hanna abwehrend eine Hand, während die andere den Korb immer fester umklammerte. Der alleinige Gedanke, noch näher ans Münster heranzugehen, raubte ihr den Atem.

»Warum zierst du dich eigentlich immer, wenn’s ums Münster geht?«, fragte Barbel vorwurfsvoll. »Wenn ich mich richtig entsinne, habe ich dich noch nie im dortigen Gotteshaus gesehen. Selbst bei der großen Fronleichnamsprozession warst du nicht dabei.«

»Der Stadtmüller und seine Familie gehören zum Pfarrsprengel Sankt Laurenz, wie du sicher weißt.« Der Schweiß lief Hanna mittlerweile in Bächen den Rücken hinab. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, von Barbel ebenso wie vom neugierigen Bleichgesichtigen, der sie mit Argusaugen beobachtete.

»Ich gehöre zum Sprengel von Sankt Paul und besuche trotzdem regelmäßig die Messe im Münster.« Barbel ließ nicht locker. »Das solltest du auch tun, denn es schickt sich nicht, unserem Bischof die Ehre zu verweigern. Mindestens einmal im Monat muss man einfach im Münster sein.«

Ehre hin oder her, Hanna hatte genug. Mit verschwitztem Gesicht schob sie sich am Bleichgesichtigen und Barbel vorbei. Sie fühlte unzählige Augenpaare auf sich, zumal sie sicher war, dass etliche Neugierige ihre Unterhaltung belauscht hatten. Fluchtartig lief sie dem Ende der Gasse entgegen, ehe sie mit wehendem Rock in einer der angrenzenden Gassen verschwand.

Die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken inzwischen endgültig verloren. Als Hanna den Fischmarkt erreichte, lag der Platz bereits in tiefem Schatten. Das lautstarke Rufen der Fischer klang ungeduldig. Frauen in noblen Gewändern streckten ihre mit Kruseler Hauben bedeckten Köpfe über die Auslagen der Marktstände, während ihre Mägde mit Körben bewaffnet hinter ihnen warteten. Das Rümpfen der Nasen und heftiges Gestikulieren ließen erkennen, dass wohl nicht alle Fische an diesem Morgen frisch aus dem See kamen.

Hanna blieb an der Ecke unweit des Rathauses stehen und reckte den Hals. Irgendwo im Getümmel musste Lena sein. Ihr Blick schwenkte zur rechten Seite des Fischmarkts, wo gleich gegenüber dem mächtigen Rathaus der Salemerhof jede Menge Platz für den berühmten Salemer Seewein und das Halleiner Salz bot. Vor Jahren hatte man den Platz um den Fischmarkt mit Bauschutt und Abfällen aufgeschüttet, um dem See mehr Land abzuringen. Nutznießer und Urheber dieses Handstreichs war die Zisterzienserabtei Salem. Seither betrieben die Mönche den stolzen Stadthof, der allgemein als Salemerhof bekannt war. Die Käufer stritten sich regelrecht um die begehrten Güter.

Dem Anschein nach war eben eine neue Schiffsladung eingetroffen, denn die Mönche liefen in einem heillosen Durcheinander zwischen dem Schiff und dem Stadthof hin und her. Nach den wohlwollenden Mienen der beiden Ratsherren zu urteilen, die auf den Stufen des Rathauses standen, schien alles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Hanna duckte sich an den beiden Ratsherren vorbei und lief auf einen der Fischstände zu.

»Da bist du ja endlich«, empfing Lena ihre Freundin tadelnd. »Mit meinem dicken Bauch ist es keine Freude, mich allein durch das Gedränge zu zwängen.« Hastig stopfte sie drei Gangfische in den Leinenbeutel, ehe sie dem Fischhändler ein paar Pfennige in die Hand drückte.

»Ich dachte schon, ich werde die Barbel niemals los«, brachte Hanna entschuldigend vor, als sie sich den Leinenbeutel griff und in den Korb legte. »Zu allem Übel ist auch noch der Bleichgesichtige gekommen. Du weißt schon, der Geselle vom Bäckermeister Zipp. Der Kerl ist eine Plage.«

»Er stellt dir nach, das ist mir auch schon aufgefallen«, pflichtete Lena einlenkend bei. »Du musst dich vor ihm in Acht nehmen. Vielleicht kann ich mal mit Jodok darüber sprechen.«

»Tu das nicht. Ich will kein Aufsehen. Irgendwann wird er das Interesse an mir verlieren, zumal ich kaum ein Wort mit ihm wechsle.«

»Wusste die Barbel wenigstens etwas über Ursus zu berichten? Ich weiß doch, wie sehr dich sein Wegbleiben darbt.«

Ursus war ihr aus dem Rheintal hierher gefolgt, verliebt bis über beide Ohren. Völlig verdreckt und mit wirren Haaren war er in der Mühle aufgetaucht und hatte nach ihr gefragt.

Hanna straffte die Schultern. »Er ist mit Ritter Conrad auf seiner Burg«, antwortete sie zerknirscht. »Barbel faselte etwas von einem Schatz, den es dort geben soll. Aber wenn du mich fragst, spinnt sich die einfach nur etwas zusammen.«

Lena schürzte die Lippen. Noch bevor sie allerdings ihre Meinung zu Barbels Schwatzhaftigkeit äußern konnte, erschütterte ein ohrenbetäubendes Krachen die Stadt, dem ein Blitz nach dem andern folgte.

Die beiden Frauen fuhren erschrocken zusammen. In diesem Augenblick fielen die ersten schweren Regentropfen. Die beiden Ratsherren stürmten zurück ins Rathaus, während sich die Hektik vor dem Salemerhof verstärkte. Etliche der Händler zogen ihre Marktstände enger an die Häuserwände. Wer konnte, suchte Schutz unter den Arkadenbögen. Dann brachen die Wolken, und es goss wie aus Kübeln. Innert Minuten verkam der Marktplatz zu einer Morastgrube. An einer Ecke stand ein Prediger auf einem Podest und verkündete mit erhobenen Armen, dass dies die Strafe Gottes für den Sündenpfuhl Konstanz sei.

In der angrenzenden Brotlaube sah es nicht besser aus. Hätte Lena nicht einen der Pfister mit Namen gekannt, hätten sie wohl keine süßen Wecken mehr ergattert. Der Mann verstaute eben alles unter einer dicken Plane und fluchte lautstark vor sich hin. Doch Lenas Bitten und ihrem Lächeln konnte er trotz des Unwetters nicht widerstehen.

»Komm, Lena, wir stellen uns am Rathaus unter«, rief Hanna über den Tumult hinweg. »Vielleicht hört das Ganze eher auf, als wir denken.«

Mit diesem Einfall waren sie nicht allein. Unzählige Leiber drückten sich eng unter die Arkadenbögen des noblen Rathauses. Viele der einst stolzen Kruseler Hauben hingen ihren Besitzerinnen lahm ins Gesicht. Nicht besser erging es den kostbaren Gewändern, deren Rocksäume durch Kot und Schlamm so verunstaltet waren, dass die Farbe kaum noch zu erkennen war. Das Gezeter der Weibsbilder nahm kaum jemand wahr, aller Augen lagen auf dem Prediger, der den Weltuntergang voller Dramatik prophezeite.

2. Kapitel

Der Regen hielt sich auch die nächsten Tage hartnäckig. Konstanz drohte unter den Wassermassen zu ersticken. Erst zu St. Veit lichtete sich allmählich die dichte Wolkendecke und machte der Sonne wieder Platz. Die zurückgekehrte Wärme trieb die Menschen aus ihren Häusern und füllte die Märkte.

Die Sonne brachte das ganze Ausmaß der Verwüstungen ans Licht. Der Bodensee war gefährlich angestiegen und führte Unmengen von Schwemmholz mit sich, das wiederum die kleinen Stadtbäche staute und zu Überschwemmungen in der Stadt führte. Schlamm, Kot und Tierkadaver wurden ohne Gegenwehr in die Gassen gespült und vermischten sich mit dem dortigen Unrat zu einer stinkenden Brühe. Das Kornhaus bei der Schiffslände war geflutet und ein Großteil des eingelagerten Korns verdorben. Auch der Salemerhof beklagte Wasserschäden. Vorsorglich hatte der Große Rat Anweisung gegeben, in den Gassen Bretter auf die Schlammmassen zu legen, damit ein Vorwärtskommen überhaupt noch möglich war.

Die gärende Feuchte hing bleischwer in der Luft und reizte Augen wie Nasen. Das einzig Gute an der ganzen Misere war, dass die unerträgliche Hitze der letzten Wochen ein Ende gefunden hatte.

Hanna war schon seit dem frühen Morgen damit beschäftigt, das untere Stockwerk des Müller’schen Hauses vom Schlamm zu befreien. Am Nachmittag wurde die Wehmutter erwartet, dann musste alles sauber sein.

Die alte Wendelgart war die beste Hebamme der Stadt. Da sie draußen in der Vorstadt lebte und Lena oftmals Kräuter zur Linderung ihrer Beschwerden brauchte, besuchte Hanna die Wehmutter häufig. Inmitten ihres kleinen Hauses hatte sie sich auf Anhieb wohlgefühlt, und in der angrenzenden Kräuterstube war ihre Liebe zur Heilkunst erwacht. Die alte Wendelgart hatte Hanna bereits angeboten, die Lehre bei ihr zu beginnen, doch Hanna besaß kein Bürgerrecht in der Stadt.

Ein Blick durch das Küchenfenster zeigte, dass auch draußen noch eine Menge Arbeit auf Hanna wartete. Das Hochwasser hatte Unmengen von Brombeerranken und Schlehengestrüpp in den Vorgarten gespült. Hanna grauste es, die stechenden Dinger in die Hand zu nehmen. Normalerweise halfen die beiden Müllergesellen ihr gern, doch heute hatte Jodok die jungen Männer noch vor dem Morgenmahl zur Mühle beordert. Eines der Mühlräder war ins Stocken geraten. Kein gutes Omen, schon gar nicht, wenn der Seerhein so hoch stand.

Hanna schwitzte wie ein Berserker, als das Haus endlich sauber und der Vorgarten wieder halbwegs begehbar war. Einzig der säuerliche Gestank hielt sich noch hartnäckig in den Ritzen des alten Holzhauses. Vielleicht fanden sich auf dem Markt ein paar wohlriechende Kräuter, die aufgehängt nicht nur böse Geister vertrieben, sondern auch eine Wohltat für die Nase waren.

Die Sonne stand bereits hoch – Wendelgart konnte jeden Augenblick hier eintrudeln. Hastig gürtete Hanna den verwaschenen Kittel enger, ehe sie eine widerspenstige Strähne in den Zopf zurücksteckte. Sie schlüpfte aus ihren Stiefeln und lief mit bloßen Füßen die Stiege hoch. Bevor sie die Klinke drückte, legte sie ihren Kopf an die Tür. Lena sang ein Kinderlied, wie sie es oft tat, war sie in Gedanken bei ihrem Kind.

Hanna räusperte sich und trat ein. Wie erwartet saß Lena im Lehnstuhl vor dem Fenster, Nadel und Faden in der Hand, und verzierte eines der Kinderhemden mit einer Stickerei. Hanna wusste, dass dies der Lieblingsplatz ihrer Freundin war, denn von hier hatte sie einen hervorragenden Blick auf die Stadt und die Rheinbrücke.

»Das Haus ist so weit wieder sauber. Wenn du keine weitere Arbeit für mich hast, gehe ich jetzt die Eier holen.« Hanna lächelte. »Vielleicht schaffe ich es sogar noch vor dem Eintreffen von Wendelgart.«

»Du magst die alte Wehmutter sehr, nicht wahr?«, meinte Lena.

»Ihr Wissen über die Kräuter gefällt mir, zudem erzählt sie oft Geschichten von früher. Ich höre ihr gerne zu.«

»Jodok und mich würde es freuen, wenn du ihr Angebot annimmst. Das Amt einer Stadthebamme bringt Ansehen, und das ist wichtig hier in Konstanz.«

Hanna blickte betreten auf ihre Füße, die zu ihrem Entsetzen voller Schlammspritzer waren. Im Stillen hatte sie sich längst entschieden. Doch erst musste sie dieses vermaledeite Jahr hinter sich bringen.

»Soll ich dir sonst noch etwas besorgen?«, fragte sie, nachdem sie erleichtert festgestellt hatte, dass sich keine nennenswerten Spuren auf dem frisch geputzten Boden zeigten.

Lena legte die Näharbeit zur Seite und erhob sich mit einem Stöhnen. Sie trat ans Fenster und streckte dabei den Rücken durch. »Du könntest den Nonnen vom Katharinenkloster einen Sack Mehl bringen und sie bitten, mich in ihre Gebete einzuschließen«, sprach sie leise.

Hanna ahnte, welche Gedanken ihre Freundin quälten. Anfänglich hatte sie das wachsende Leben in ihrem Leib gehasst, ja sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, ihm durch Kräuter den Garaus zu machen. Die Gaben an das Frauenkloster sollten helfen, die Schuld ihrer sündhaften Gedanken zu tilgen. Lena hatte Angst, und dies nicht zu Unrecht. Wendelgart hatte ihr eine schwierige Geburt prophezeit. Lenas feingliedriger Körper war nicht fürs Kinderkriegen geeignet, das hatte die Wehmutter schon bei ihrem ersten Besuch erklärt.

»Wenn du die Nonnen weiterhin so mästest, treibt sie der Bischof bald zum Verkauf auf den Markt«, grinste Hanna, wobei sie hoffte, ihre Freundin mit etwas Schalk auf andere Gedanken zu bringen. »Jede Woche einen Sack feinstes Weizenmehl, da könnte selbst mir das Klosterleben schmackhaft werden.«