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»Geh, Kilian! Tu deine Finger aus dem Teig!«

Maresa, die mit dem Rührgerät Butter, Eier und Zucker für einen Kuchen anrührte, klopfte ihrem Sohn auf die Hand.

»Aber wenn es halt so gut schmeckt, Mama!« Kilian leckte sich genüsslich die Finger ab. »Was für ein Kuchen wird das denn? Vielleicht so ein russischer Zupfkuchen?«

»Nein! Ein Zitronen-Mohn-Kuchen, den magst du doch so gern!«, erwiderte seine Mutter. »Gib mir mal die Tüte mit dem Mohn rüber. Da drüben steht sie!« Sie deutete mit dem Kopf auf den großen Tisch in der geräumigen Küche. »Und der Opa mag ihn auch!«

»Wo steckt er denn, der alte Ben?«, fragte Kilian und tauchte noch einmal mit dem Finger in den Teig. »Ich hab ihn heut noch gar net g’sehen!«

»Ich weiß es net. Er ist schon ganz früh aus dem Haus, gleich nach dem Frühstück, vielleicht hinaus in den Wald.«

»Am besten wär’s, er tät draußen bleiben. Ich mein nur, weil heut wieder die ganze Bagage daherkommt!«, fügte er erklärend hinzu.

»Jetzt red mal net so respektlos von deinem Großvater, Kilian«, tadelte Maresa ihren Sohn. »Immerhin ist er der Herr im Haus!«

»Aber wenn er sich immer gleich so aufregt, nur weil es mal lustig wird!«

»Lustig? Er kann halt den Krach net vertragen, den ihr macht.«

»Das ist doch kein Krach! Das ist Musik!«

»Was ihr so Musik nennt! Dieses Hottentotteng’schrei!« Maresa schüttelte den Kopf.

Kilian brummelte etwas Unverständliches vor sich hin, während Maresa den Teig in eine Form füllte und diese in den Backofen stellte.

»Wie du wieder ausschaust, Kilian!« Sie ging zur Tür und holte aus dem Regal daneben eine Haarbürste. »Lass dich wenigstens mal kämmen, Bub!«

»Geh, hör auf, Mama!«, wehrte Kilian lachend ab. »Ich bin doch kein kleines Kind mehr.« Er wand seiner Mutter die Bürste aus der Hand und fuhr sich mit der Hand durch sein verwuscheltes, rotblondes Haar. »Das hat man heut so!«

»Aha! Das hat man heut so, dass einem die Haare hochstehen wie einem zerrupften Gockel.«

»Klaro! Ich tu mir extra Zuckerwasser rein, damit sie schön steif sind. Magst mal probieren?« Er streckte seiner Mutter den Kopf hin.

Maresa schüttelte sich. »Bäh! Und rasiert bist auch net, ich glaub schon seit drei Tagen nimmer!« Trotz des Tadels schaute sie ihn liebevoll an. Plötzlich musste sie lachen. »Und das Hosentürl hast auch offen!«

Kilian schaute an sich hinunter, dann zog er den nicht vorhandenen Bauch ein und schloss den Reißverschluss seiner zerschlissenen Jeans.

»Okay, jetzt passt’s wieder, oder?«

Maresa seufzte. »Ich bin neugierig, wann du mal erwachsen wirst!«

»Geh, Mama! Erwachsen bin ich noch lang genug! Machst auch einen Salat für uns?« Er legte den Arm um seine Mutter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Freilich! Wo ich doch so viel Salat im Garten hab, der wächst mir ja schon aus. Und von den Tomaten ist auch jede Menge reif!«

»Du bist halt doch die beste Mama auf der Welt«, Kilian drückte sie wieder an sich, Maresa konnte ein stolzes Strahlen nicht unterdrücken.

»Wann kommens’ denn, deine Freunde?«, fragte sie und machte sich an der Spüle zu schaffen.

»Die werden bald da sein!«

»Und die Fricky, kommt die auch mit?« Maresa verzog leicht das Gesicht.

»Klar! Ohne die Fricky geht nix«, gab Kilian zurück und schaute aus dem Küchenfenster. »Ich glaub, da sind sie schon. Heut werden’s fünf, Mama. Der Paul bringt noch einen Freund mit, den Hasso. Der ist aus Norddeutschland, glaub ich.«

»Hasso? So hat früher unser Hund geheißen. Hasso! Wie kann man ein Kind nur Hasso nennen, so ein armes, unschuldiges Würmerl!« Maresa schüttelte missbilligend den Kopf. »Studiert der auch Informatik?«

»Nein, irgendwas Langweiliges, ich glaub Jura. Ich schau mal raus, damit sie net wieder vor dem Haus parken, wo es dem alten Ben net g’fällt!«

»Du, der alte Ben ist immer noch dein Opa!« rief ihm Maresa noch warnend hinterher.

Kilian ging vor die Tür des schönen, stattlichen Bauernhauses und blickte zur Straße hin, die auf den Hof führte. Von dort rollte ein alter, etwas verbeulter VW Variant Kombi in einer undefinierbaren Farbe heran.

Es waren Kilians Freunde aus der Stadt und seine Freundin Fricky.

Kilian ging ihnen schnell entgegen und wies ihnen einen Parkplatz hinter dem Haus zu, auf dem Weg zum Stall und zur Scheune.

»Parkt’s lieber da hinten, net dass den Opa gleich noch mal der Schlag trifft, wenn er heimkommt«, rief er seinem Freund Paul zu, der das Auto lenkte.

Unter Gelächter schälten sich sechs Personen aus dem Wagen: Paul, Tommy und Wolfi, die Freunde aus der WG, Fricky, Kilians Freundin, und Hasso, den Kilian bereits aus der Stadt kannte. Dazu kam noch ein weiteres Mädchen. Recht eng musste es in dem Gefährt gewesen sein.

»Grüß dich, Kilian!« Paul klatschte Kilian in die Hand. »Wir haben noch ein Mädl mitgebracht, die haben wir gestern kennengelernt, die ist auch aus dem Norden, wie der Hasso, und ganz scharf auf’s Land. Wie sie gehört hat, dass wir heut zu dir rausfahren zum Feiern, da wollte sie unbedingt mit. Es macht dir doch nix aus, oder?« Er sah Kilian fragend an.

»Ach wo! Eine mehr geht schon!« Kilian zwinkerte Paul zu. Die anderen hoben inzwischen zwei Kästen Bier, einen Kasten Limo und zwei Körbe mit Essbarem aus dem Kofferraum.

»Guck mal, Kilian, ich hab heute extra was Besonderes für dich mitgebracht.« Fricky kam mit einem Korb auf Kilian zu. »Leeberkääs!«, meinte sie gedehnt. Alle lachten, denn Leberkäs war das Normalste, was man sich für eine bayrische Brotzeit vorstellen konnte.

Kilian legte den Arm um das Mädchen, das für ländliche Verhältnisse etwas abenteuerlich aussah: An den Oberarmen und am Dekolletee war sie tätowiert, an Ohren und Nase gepierct, selbst durch die Zunge hatte sie ein Piercing.

»Was hast du denn heute an?«, prustete Kilian los, als er Frickys Outfit sah. Sie hatte sich ein Mini-Dirndl angezogen, das zu den Tätowierungen extrem komisch aussah. »Wir sind doch hier nicht auf dem Oktoberfest!«

»Ja, aber auf dem Land! Schau, die Jacqueline hat auch ein Dirndl an.« Jetzt erst sah Kilian das andere Mädchen genauer an, das neben dem Auto stand und mit großen Augen um sich blickte.

Es war sehr groß und sehr schlank, in Bayern würde man respektlos »dürr« sagen.

»Hey, Jacky, komm doch mal her!«

Sie kam auf Kilian zu. »Hey, det ist echt geil hier!«

Sie schüttelte Kilian die Hand so kräftig, als müsste sie einen Pumpenschwengel bedienen. »Hoffe, es stört dich nicht, dass ick auch mitjekommen bin, wa’?«

An ihrer Aussprache war unverkennbar, dass Jacqueline aus Berlin kam.

»Nein, das geht schon in Ordnung! Hoffentlich gefällt’s dir hier bei uns.«

»Es ist supertoll! Wie aus ’nem Bilderbuch!« Sie blickte sich um, sah das behäbige alte Bauernhaus, weiß gestrichen mit grünen Fensterläden, die prachtvollen roten Geranien an den Fenstern und dann erst die Aussicht!

Der Berger-Hof stand auf einer Anhöhe außerhalb des Dorfes Weidach mit einem sagenhaften Blick über das hügelige, bayrische Oberland, das im Hintergrund von der imposanten Kulisse der Chiemgauer Berge begrenzt wurde. Heute, an diesem herrlichen Sommertag, war dieser Anblick besonders schön.

»Gefällt’s dir?«, fragte Kilian mit Stolz in der Stimme.

»Det ist echt super! Und det jehört alles dir?«, fragte sie fast neidisch.

»Nein, das gehört meinem Großvater«, entgegnete Kilian etwas verlegen.

»Aber dann erbst du mal alles, was?«

»Ach geh, hör auf! Ich bin doch ein Stadtmensch, was tät ich denn mit einem Bauernhof?«, gab er fast unwirsch zurück.

»Mir täte det jefallen!« Jacky bemerkte nicht, dass Kilian dieses Thema unangenehm war. »Ick liebe Tiere!«, gab Jacky noch schwärmerisch eins drauf.

»Ja, auf’m Bild vielleicht«, gab Kilian zurück. »Aber wenn’s dann mal ans Ausmisten geht, dann tät dir der Spaß wahrscheinlich schnell vergehen. Außerdem«, und damit hoffte er das Thema beenden zu können, »haben wir gar keine Viecher mehr. Die Landwirtschaft ist aufgegeben!«

»Wieso denn das?«, hörte sie nicht auf.

Kilian holte tief Luft, da zog Paul Jacqueline weg.

»Jetzt sei mal net so neugierig, des geht doch dich nix an! Hilf lieber mal, das Zeug in die Küche tragen zur Maresa, dem Kilian seiner Mama. Und frag ihr bitte net auch gleich wieder um ein Fünferl ein Loch in den Bauch. Das g’hört sich net bei uns!«

»Na, aber ick wollte doch nur …« Paul schnitt ihr das Wort ab. »Nix willst, hast mich verstanden?«

Sie folgten den anderen ins Haus und in die Küche, wo Maresa werkelte.

»Na, seid’s alle gut angekommen?«, fragte sie die jungen Leute, die jetzt die Küche bevölkerten.

Paul, Tommy und Wolfi und Fricky, Kilians Freundin, kannte sie bereits. Eigentlich hieß Fricky Friederike, doch der Name war ihr zu »spießig«. »Spießig« schien überhaupt Frickys Lieblingswort zu sein, zumindest benutzte sie es bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.

Doch heute war noch ein langes, sehr schlankes Mädchen in einem Minidirndl mitgekommen, einem »Herrendirndl«, wie man spöttisch sagte, wenn eine Frau das Oberteil des Kleides beim besten Willen nicht ausfüllte. Neben ihr stand ein junger Mann, bei dessen Anblick Maresa sich kaum das Lachen verkneifen konnte. Er hatte sich, wohl für den Ausflug aufs Land, in eine karierte Kniebundhose gezwängt, die eher einer Überfall-Knickerbocker glich. Dazu trug er ein weißes Hemd und, Maresa traute ihren Augen nicht, eine getüpfelte Fliege! Er sah aus wie aus einem Witzblatt! Das konnte nur Hasso sein!

Fricky drängelte sich zu Maresa hin. »Ich hab heute Leberkäse mitgebracht, den kann man doch auch grillen, nicht wahr, Maresa? Hast du denn schon Kartoffelsalat gemacht?«

Maresa sah auf. »Nein, hab ich nicht! Ich mach euch heute eine große Schüssel mit gemischtem Salat, Kopfsalat, Gurken, Tomaten und so, ganz frisch aus dem Garten.«

Fricky zog einen Flunsch. »Och, ich hatte mich so auf einen Kartoffelsalat gefreut!«

»Na, dann machst halt noch einen!« Maresa zog ein Fach auf, in dem erdverkrustete Kartoffeln lagen. »Musst die Kartoffeln nur noch waschen und kochen. Kannst den Dampfkochtopf nehmen, dann geht’s ganz schnell!«, ermunterte sie das Mädchen.

»Ach nee, dann lieber nicht!«, meinte Fricky und betrachtete mit gerümpfter Nase die Kartoffeln.

Maresa schmunzelte. »Weißt, Fricky, so kommen die aus dem Boden, die sind net gewaschen wie die im Supermarkt. Sind aber bio.« Sie holte einige der Kartoffeln aus der Schublade und legte sie in die Spüle. »Also, dann mach ich euch halt noch einen Kartoffelsalat«, meinte sie gutmütig.

»Ei, super! Da freu ich mich!«

Maresa sah die schrille Fricky von der Seite an. Was der Kilian an der fand? Die hatte doch so gar nichts Liebes an sich, fand sie zumindest. Aber so ernst nahm sie Kilians »Gspusi« wiederum auch nicht; die beiden waren noch jung, und es war sicherlich nur eine vorübergehende Liebelei.

Wenn Maresa allerdings das Zungenpiercing von Fricky sah, grauste ihr immer wieder. Sie stellte sich das beim Küssen widerlich vor, so ein hinderliches Metall, oder noch schlimmer, beim Essen, wenn sich zum Beispiel das Sauerkraut so um diesen Nagel schlingt. Igitt, wie unappetitlich!

Schnell wandte sie sich ab, da kam auch schon der neue Gast, Hasso, auf sie zu und verbeugte sich zackig vor ihr. »Es freut mich sehr, Ihnen meine Aufwartung machen zu dürfen, Frau Berger!«

Maresa sah ihn erstaunt an. Aus welchem Jahrhundert war denn der gefallen?

»Ach geh, hier draußen sagen wir alle du zueinander! Ich bin die Maresa und du bist sicherlich der Hasso!« Sie verkniff sich noch zu sagen, »wie unser toter Hund«.

»Gerne! Also dann – Maresa!« Er machte wieder eine Verbeugung.

»Und wer bist du?« Sie wandte sich der Langen im Dirndl zu.

»Ich bin die Jacqueline, aber meine Freunde nennen mich einfach Jacky! Dann bist du also Kilians Mutter!« Sie schaute Maresa anerkennend an. Maresa sah mit ihren dunklen, halblangen Haaren sehr gut aus, etwas mollig, aber das passte wunderbar zu ihrem Dirndl in gedeckten Farben. »Ick wusste nicht, dass Bäuerinnen so gut aussehen!«

»Warum sollen denn die Frauen auf dem Land net gut ausschau’n?«, gab Maresa etwas spitz zurück. »Und außerdem bin ich keine Bäuerin, ich führe nur meinem Vater die Wirtschaft!«

»Ach was, ’ne Wirtschaft habt ihr auch noch?«, fragte Jacky erstaunt.

»Nein, keine Gastwirtschaft. Ich mein, ich führe meinem Vater den Haushalt und was so dazugehört!«

»Ach so. Und dann erbst du wohl mal alles!«

Maresa atmete tief durch, wie unverblümt neugierig das Mädchen war! »Vielleicht, wenn er net lieber alles der Kirche vermacht«, gab sie, kurz angebunden, zurück, und bevor Jacqueline noch weiter fragen konnte, meinte sie: »Jetzt geht ihr am besten alle raus und baut draußen mit dem Kilian zusammen die Tische und Bänke auf und zündet den Grill an, ich mach derweilen den Kartoffelsalat.«

»Und einen super guten Kuchen hat meine Mutter auch noch gebacken!«, hörte sie Kilian stolz sagen, als sie zusammen die Küche verließen.

»Sinds’ endlich alle draußen?« Benno Berger kam in die Küche, gestützt auf seinen Krückstock.

Maresa drehte sich zu ihrem Vater um.

»Ja, sie bauen draußen auf, zum Grillen. Soll ich dir ein Schnitzel braten, Vater? Salat ist genug da und Kartoffeln koch ich grad. Wenn du magst, mach ich dir ein paar Bratkartoffeln zum Fleisch dazu.«

Benno setzte sich an den Tisch und schaute auf den riesigen Weidling voll Salat und auf den noch warmen Kuchen.

»Dass du dir nur immer so viel Arbeit machen magst«, er schüttelte missbilligend den Kopf.

»Ach geh, Vater! Das macht mir doch Freude. Was glaubst, wie denen das schmeckt! Wahrscheinlich essens’ drin in der Stadt nur Hamburger bei McDonalds oder Pizza. So was Frisches kriegen die bestimmt net oft. Und die Getränke und das Fleisch bringens’ ja eh mit.« Dabei verschwieg sie dem Alten, dass sie vorsorglich beim Metzger im Dorf Grillkoteletts und Würstl gekauft hatte, denn dem Fleisch, das die aus dem Supermarkt mitbrachten, misstraute sie gründlich nach all den Lebensmittelskandalen, von denen man in den Zeitungen las oder im Fernsehen hörte: Von Vogelpest bis Schweinegrippe, von Rinderwahnsinn bis Gammelfleisch, und jetzt hatte man auch noch Pferdefleisch in Fertiggerichten gefunden! Pferdefleisch war ja an sich nichts Schlechtes, aber es war eben ein Betrug am Verbraucher.

Beim Dorfmetzger wusste man, woher das Fleisch stammte. Da hing jede Woche eine Tafel mit dem Namen der Kuh und des Hofes, von dem das Tier stammte. Früher hatte der Metzger auch bei ihnen Kühe und Schweine gekauft und selbst im Schlachthaus geschlachtet. Da wusste man um die Qualität des Fleisches.

Neben der Tafel mit der Kuh hing beim Metzger Grasser noch eine andere Tafel:

»Das Wort ›Vegetaria‹ kommt aus dem Indianischen und heißt: Zu blöd zum Jagen!«

Das hatte der Otto, der Sohn des Metzgers, aufgehängt, und Maresa hatte herzlich gelacht, als sie es zum ersten Mal gelesen hatte.

Vegetarier waren hier auf dem Land die wenigsten, wenn man auch nicht mehr so viel Fleisch aß wie früher, als die Bauernarbeit noch härter gewesen war.

Sie seufzte, wenn sie an früher dachte, an ihre Kindheit, als der Hof noch voll bewirtschaftet gewesen war: Der Stall voller Rinder und Schweine, im Hühnerhof kratzten die Hennen, und ein stolzer Gockel krähte. Draußen, auf der Weide, hatte der Vater Schafe gehalten, und die Felder ringsum hatte er zusammen mit seinem Sohn, Benno junior, der den Hof einmal übernehmen sollte, bestellt.

Dann war alles anders geworden, ein Schicksalsschlag nach dem anderen war über die Familie gekommen.

Maresa wendete die Schnitzel in der Pfanne, legte einige der gekochten Kartoffeln dazu und briet sie in Butterschmalz knusprig braun. Dann verteilte sie das Essen auf zwei Teller und stellte sie auf den Tisch. Benno war in die Zeitung vertieft.

Sie betrachtete gedankenvoll ihren Vater. Er sah immer noch gut aus, auch wenn sein Haar in den letzten Jahren schlohweiß geworden war. Früher war er ein ausnehmend schneidiger Mann gewesen und stolz dazu. Wie ein König in seinem Reich hatte er auf dem Hof geherrscht. Die Mutter hatte es mit ihm sicher nicht immer leicht gehabt. So wie nun sie, Maresa.

Jetzt jedoch hatte er einen bitteren Zug um den Mund, sah müde aus und war noch schwieriger geworden als damals, nach dem Tod der Mutter. Fast nichts konnte man ihm recht machen.

»Iss doch, Vater! Sonst wird’s Essen kalt, wär schade drum.«

Brummend legte er die Zeitung beiseite und begann zu essen.

»Schmeckt’s dir?«

Er nickte nur.

Maresa schaute aus dem Fenster. »Heut gegen Abend soll’s zu regnen anfangen, hat der Wetterbericht gesagt.«

»Mhm, kann schon sein«, brummte ihr Vater. Er schien heute mal wieder nicht zum Reden aufgelegt zu sein.

Maresa stand auf und stellte ihren Teller in die Geschirrspülmaschine. »Lass dir nur Zeit mit dem Essen, Vater. Ich schau mal raus zu dem Jungvolk, was die da so treiben.«

»Ja, das wird gut sein. Die haben eh nur Blödsinn im Kopf.«

»Ach geh, Vater! Sie sind halt jung, vergiss net, dass du auch einmal jung warst!«

»In dem Alter, da hab ich auf dem Hof gearbeitet, da sind mir die Flausen schon vergangen.«

Maresa entgegnete nichts, doch sie wusste aus früheren Erzählungen von der Mutter und auch aus dem Dorf, dass ihr Vater in jungen Jahren ein rechter Hallodri gewesen sein soll. Kein Rock war vor ihm sicher, und er war eine begehrte Partie gewesen bei den Bauerntöchtern der Gegend. Schlussendlich hatte er dann die Mutter geheiratet, die keine reiche Bauerntochter gewesen war, sondern nur aus einem kleinen Hof aus der Gegend des Chiemsees stammte. Wo die Liebe halt hinfällt!

Die Ehe zwischen dem selbstbewussten Mann und der eher ruhigen, sensiblen Barbara war trotz aller Vorhersagen gut gewesen, was allerdings bei dem sanften, nachgiebigen Wesen Barbaras kein Wunder war.

Zwei Jahre nach der Hochzeit war sie, Maresa, auf die Welt gekommen; dann hatte es einige Jahre gedauert, bis endlich der ersehnte Stammhalter, Benno junior, geboren wurde. Doch ab seiner schweren Geburt war die Mutter kränklich geworden, und so war es gut, dass Maresa sechs Jahre älter als ihr Bruder war. So konnte sie sich um ihn kümmern, und das tat sie auch gerne. Sie hatte ihn sehr lieb gehabt. Maresa seufzte in der Erinnerung daran und an das, was später noch an Schicksalsschlägen die Familie getroffen hatte, gerade so, als wäre mit dem Tod der Mutter der gute Geist des Hauses fortgegangen.

Maresa ging hinter das Haus, um zu sehen, was Kilian und seine Freunde trieben. Sie hatten in der offenen Scheune Biertische und Bänke aufgestellt, und auf einen der Tische hatten sie die mitgebrachten Würstl und Frickys Leberkäse platziert.

»Passt auf, dass euch die Katze nix anfrisst«, meinte Maresa mit einem Blick auf die graue Hofkatze Mimi, die um den Tisch schlich und sich bereits das Maul leckte. »Warum habt ihr denn nicht draußen gedeckt, es ist doch so schönes Wetter? Und ein Sonnenschirm ist auch da, falls es euch zu heiß wird.«

Die jungen Leute verharrten unschlüssig und sahen fragend auf Kilian.

»Ja, jetzt ist es schon noch schön, Mama, aber der Wetterbericht sagt für später Regen voraus, und dann müssen wir wieder alles umräumen. Da hab ich mir gedacht, wir gehen gleich in die Scheune.«

»Macht es, wie ihr wollt, aber blitzblank aufräumen, das müsst ihr schon hinterher!«

»Klar, Maresa!«, scholl es zurück. »Sie können sich darauf verlassen, Frau Berger«, versicherte Hasso, und auch Jacky versprach es eifrig. »Mach dir keene Sorgen, es wird alles aussehen wie vorher, wenn wir zurückfahren!«

»Ich will’s hoffen! Du weißt, Kilian, dass der Großvater sonst grantig wird! Ihr Mädels, ihr könnt jetzt die Salate holen!«

Benno hob nur kurz den Kopf, als Maresa mit den beiden in die Küche kam, aber als die Mädchen, mit den Schüsseln beladen, wieder draußen waren, fragte er mürrisch: »Hat er jetzt noch so eine Zupfgeigen? Da schaut ja eine wilder aus wie die andere!«

»Ach geh, Vater! Ja, die Fricky, die schaut schon ein bisserl verrückt aus, aber die andere, die Jacqueline, die ist eigentlich ganz nett, find ich. Eine Berlinerin halt mit einem flotten Mundwerk.«

»Wie heißt die?«

»Scha-ke-line!« Maresa sprach es extra deutlich für den Vater aus.

»Was? Dakeline?« Er zog die Stirn kraus.

»Nein«, lachte Maresa. »Jacqueline! Die kommt sicher aus dem Osten, da habens’ ihren Kindern solche Namen gegeben wie Jacqueline oder Kevin oder so.« Der Alte schüttelte den grauen Kopf.

»Na ja, es kann halt net jeder Sepp oder Benno heißen! Aber mit Maresa habt ihr euch ja auch einen besonderen Namen für mich ausgedacht, oder nicht?«

»Das war der Mama ihr Wunsch, das wollt ich ihr net abschlagen, nachdem du ein Mädel warst. Beim Benno, da war es klar, dass der Benno heißen wird – so wie ich und wie mein Vater und mein Großvater auch schon Benno geheißen haben.« Er faltete die Zeitung zusammen. »Aber so wie es jetzt ist …« Schwerfällig stand er auf, nahm seinen Stock und schlurfte zur Tür. »Wie lang glaubst denn, dass die da bleiben?«

»Ich weiß es net genau, aber es ist ja auch egal, oder?«

»Na ja, egal ist es net. Bei dem Krach, den die machen, kann man ja kein Aug zutun!«

»Also, Vater, jetzt ist erst Nachmittag, da wirst net schon ins Bett gehen, oder?«

Durchs Fenster sah sie, wie er zum hinteren Hof ging, wo die Brutzelei am Grill schon in Gange war.

Kurze Zeit danach kam Kilian aufgebracht in die Küche. »Mei, wie mich der aufregt, Mama! Schon wieder hat er rumgebelfert, wir sollen den Grill aus der Scheune raustun und draußen grillen. Es könnt die Scheune ja Feuer fangen, wenn ein Funken wegspringt. Als wenn wir kleine Kinder wären!« Er verdrehte genervt die Augen.

»Na ja, ganz unrecht hat er net, der Großvater. Schnell ist was passiert, und das Wetter ist doch noch schön, stellt halt in Gottes Namen den Grill raus ins Freie. Ist doch eh schöner, oder?«

»Okay!«, regte sich Kilian ab. »Mhm, der Kuchen schaut gut aus! Da freu ich mich schon drauf. Gell Mama, du machst uns doch später noch einen Kaffee, oder?« Er sah sie mit einem Blick an, von dem er genau wusste, dass sie ihm nichts abschlagen konnte.

Maresa hätte ohnehin Kaffee gemacht. Sie wollte, dass Kilian sich wohlfühlte hier draußen mit seinen Freunden. Sie freute sich, wenn er an den Wochenenden aus der Stadt hierher kam, nachdem sie ihre Wohnung in München aufgegeben hatte und wieder hier wohnte, um dem Vater den Haushalt zu führen.

Was würde Kilian hier draußen schon gefallen, alleine bei ihr und dem alten, grantigen Großvater? Da musste sie die Freunde schon in Kauf nehmen. Abgesehen davon, sie mochte die jungen Leute, die etwas Leben auf den Hof brachten, auf dem sie und ihr Vater alleine lebten. Nur die Katze Mimi gab es noch.

Hinterm Haus war die Party in vollem Gange. Aus einem Radio klang lautstark Musik, der Grill rauchte, und Paul betätigte sich als Grillmeister.

»Ach, ist det super hier!«, schwärmte Jacky. »Hier fühl ick mir so richtig wohl! Gut, dass ick euch gestern kennenjelernt habe!«

»Was studierst’n du eigentlich?«, fragte Kilian, der sich gerade reichlich von Mutters Kartoffelsalat auf seinen Teller häufte.

»Medizin«, gab Jacky mit vollem Mund zurück.

»Und? Gibt’s das in Berlin an der Uni net?«

»Na klar, gibt es det auch in Berlin. Aber ich wollte mal weg von zuhause.«

»Und? Gefällt’s dir da bei uns?«

»Na ja, es geht so! Muss mich noch etwas eingewöhnen. Die Bayern, det sind so ein bisschen Sturköppe, weißte!

»Hey, jetzt hör aber auf! Und außerdem, an der Uni in München gibt’s so viele Preußen und andere Ausländer, da wirst schon welche finden, die keine Sturköpf sind, oder?«

»Und was machst du, Kilian?«

»Ich studier Informatik!«

»Was machste denn mit Informatik auf ’nem Bauernhof?«

»Fangst schon wieder an! Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich mit dem Bauernhof da nix zu tun hab. Ich bin nur da, weil meine Mama da ist und sie sich freut, wenn ich am Wochenende gelegentlich rauskomm.«

»Aber wer erbt denn dann mal alles hier? Ist doch’n toller Besitz, nicht? Schade, dass keine Tiere mehr hier sind. Deine Mutter, die könnte hier ’ne kleine Fremdenpension aufmachen!« Sie stand auf und holte sich eine Wurst vom Grill.

»Da hat sie eigentlich recht, Kilian«, meinte jetzt auch Fricky, die eng an Kilian gedrängt auf der Bank saß. »Da hättet ihr ein Zusatzeinkommen, und Platz genug habt ihr ja!«

»Jetzt reicht es aber!«, gab Kilian ärgerlich zurück. »Kannst du dir hier Gäste vorstellen, mit dem Opa? Der tät die gleich am ersten Tag vergraulen. Und Geld brauchens’ net, glaub ich wenigstens. Aber was kümmert euch der Hof da?«

»Musst nicht gleich eingeschnappt sein, ich mein ja nur«, schmollte Fricky. Sie schmiegte sich eng an Kilian. »Ich bin müde von dem vielen Essen.« Sie warf ihm einen verliebten Blick zu und deutete mit dem Kinn auf den Heuboden. »Bist du nicht auch müde?«

»Nein, ich hab keine Lust«, wehrte Kilian ab »und außerdem – wir sind ja nicht alleine da.« Er sah auf die anderen.

»Aber davon brauchst du dich doch nicht aufhalten lassen«, flüsterte ihm Fricky ins Ohr.

»Ich hab gesagt, ich mag net«, gab Kilian barsch zurück, worauf Fricky einen beleidigten Schmollmund zog.

Kilian stand auf und schlenderte vors Haus, von wo man einen Blick auf die Wetterseite hatte. Weit hinten ballten sich graue Wolken am sommerlich blau-weißen Himmel zusammen. Vermutlich hatte der Wetterbericht recht und es würde später noch Regen oder ein Gewitter geben. Schwül genug war es, vielleicht machte ihn auch das so gereizt.

Irgendwie war er missmutig, die Fragerei dieser Jacky und dann auch noch Fricky hatten ihm die anfänglich gute Laune verdorben. Mädchen konnten manchmal echt nervend sein. Doch im Innersten musste er sich eingestehen, dass er sich ähnliche Fragen auch schon insgeheim gestellt hatte.

Alles hatte sich verändert in den letzten Jahren. Von der ersten Klasse Grundschule bis zum Abitur hatte er mit der Mutter in der Stadt gewohnt, und sie waren nur selten aufs Land gefahren, nach dem Tod und dem Begräbnis von Onkel Benno eigentlich gar nicht mehr. Bevor er in die Schule gekommen war, hatten sie hier auf dem Hof gewohnt, die Großmutter war schon gestorben, aber an seinen Onkel Benno erinnerte er sich gut!

Das war ein lustiger Bursch gewesen, und er, Kilian, hatte sehr an ihm gehangen. Selbst der Großvater war damals noch umgänglicher gewesen.

Irgendetwas musste damals geschehen sein. Für ihn urplötzlich hatte seine Mutter ihr Zeug gepackt, war mit ihm in die Stadt, in eine kleine Wohnung in Haidhausen, gezogen und hatte dort eine Stelle als Hauswirtschafterin in einem Seniorenheim angenommen. Auf Fragen antwortete sie nur ungern. »Das verstehst noch net, Kili«, hatte sie gemeint. »Das erzähl ich dir später mal, wenn du erwachsen bist.«

Er erinnerte sich noch gut, wie schwer er sich anfangs an das Leben in der Stadt gewöhnt hatte, an die Schule, an der er nachmittags in den Hort gehen musste, weil die Mutter arbeitete. Das war ein völlig anderes Leben als auf dem Land, und er war ein unglücklicher kleiner Bub gewesen.

Doch im Laufe der Jahre hatte er sich eingewöhnt, hatte Freunde gefunden, und heute, als Student, zusammen mit Paul, Tommy und Wolfi in der Wohngemeinschaft, fand er es gut in der Stadt.

Plötzlich stand Jacky neben ihm.

»Entschuldige Kilian, ick wollte dir nicht ärgern mit meiner Fragerei. Ick weiß, dass ick damit manchmal auf die Nerven falle, aber es ist nicht böse gemeint. Weißt du, es ist nicht leicht, so alleine hier zu leben. Ick bin ja noch nicht lange hier in Bayern und habe noch keine Freunde gefunden.«

»Ist schon gut, Jacky. Wir Bayern, wir mögen halt das Aufdringliche net so, verstehst? Aber – es ist schon okay«, fügte er versöhnlich hinzu, als er Jackys trauriges Gesicht sah. »Schaut nett aus dein Dirndl«, meinte er noch, um ihr eine Freude zu machen.

»Na, ein bisschen verkleidet komme ick mir schon vor«, jetzt lachte sie bereits wieder. »Und es fehlt die Oberweite«, meinte sie selbstkritisch und sah an sich herab. »So ein Dirndl sieht an jemandem wie deiner Mutter ganz anders aus. Die ist ja wirklich nett, nicht?«

»Meine Mama, die ist super!«, bestätigte Kilian. »Schau mal, Jacky, siehst du da unten den kleinen See? Das ist unser Badesee, und wir haben sogar einen eigenen Badesteg, weil unser Grund bis an den See reicht. Wenn ihr Lust habt, könnten wir zum Schwimmen gehen, wenn ihr Badezeug dabei habt.«

»Haben wir«, freute sich Jacky. »Aber wenn ick keines dabei hätte?«, dabei sah sie Kilian kokett von der Seite an.

»Dann müssten wir warten, bis es dunkel ist. Im Dorf sehens’ die Nacktbaderei net so gern, und dem Opa tät es auch net gefallen. Der will keinen Ärger haben.«

»Okay! Dann lass uns doch nach dem Kaffeetrinken runtergehen zum Schwimmen!« Sie strahlte Kilian an, und er fand sie eigentlich ganz nett. Wenn sie nur net so grauslich reden tät!

Als sie zu den anderen zurückgingen, sah Fricky sie ärgerlich an. »Wo habt ihr zwei euch denn rumgetrieben?«, fragte sie spitz.

»Wir haben nach dem Wetter Ausschau gehalten, und dann haben wir beschlossen, dass wir alle nach dem Kaffee runter zum Baden gehen – wenn es bis dahin nicht regnet und wenn ihr Badezeug dabei habt«, meinte er mit vielsagendem Blick zu Fricky.

»Mein Gott, seid ihr spießig hier«, Fricky sah ihn verächtlich an. »In München, im Englischen Garten, da liegen die Nackten frei herum, und kein Mensch stört sich dran!«