Prof. Dr. Helmut K. Seitz|Ingrid Thoms-Hoffmann
Die berauschte Gesellschaft
Alkohol – geliebt, verharmlost, tödlich
Kösel
Das Buch
Alkohol gilt als Todesursache Nr. 1 in Deutschland. Trotzdem gehört die älteste Droge der Welt in allen Gesellschaftsschichten zum Lebensstil. In manchen Kreisen gilt es als schick, Alkohol unbefangen zu konsumieren. Warum ist das so? Woher kommt diese gesellschaftliche Akzeptanz? Und wie schnell werden dadurch Existenzen zerstört?
Was das Buch nicht will: Den Menschen die Freude am genussvollen Trinken nehmen. Nur sollten alle wissen, was es heißt, Alkohol zu trinken. Die Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden. Wer lernt, wo die Grenzen liegen, kann auf die Gesundheit anstoßen.
Die Autoren
Prof. Dr. Helmut Seitz, geboren 1950, ist Honorarprofessor für Innere Medizin, Gastroenterologie und Alkoholforschung an der Universität Heidelberg und leitet das dortige Alkoholforschungszentrum. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt am Krankenhaus Salem und St. Vincentius in Heidelberg. Professor Seitz ist ein international anerkannter Wissenschaftler mit über 450 Publikationen zum Thema Alkohol. Er war lange Jahre Präsident der Europäischen Alkohol Forschungsgesellschaft und wurde mit zahllosen Preisen ausgezeichnet.
Ingrid Thoms-Hoffmann, geboren 1951, übernahm Mitte der neunziger Jahre die Ressortleitung für die überregionale Seite der Rhein-Neckar-Zeitung. Von 2005–2016 leitete sie die Stadtredaktion Heidelberg.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München
Satz: Fotosatz Amann, Memmingen
ISBN 978-3-641-23083-8
V002
www.koesel.de
»Bacchus hat mehr Menschen ertränkt als Neptun.«
Der englische Historiker Thomas Fuller, 1732
Inhalt
Vorwort
Die »Upper Class« säuft
Riskanter Genuss
Die teuflische Wirkung von Bier, Wein und Co.
Frauen sind anders
Mama, trink heute nicht
Fünf Bier sind auch ein Schnitzel
Gebt Wein den betrübten Seelen
Berühmte Alkoholiker
Als Gorbatschow die Planierraupe in die Weinberge schickte
Welche Konsequenzen braucht es?
Wider den totalen Rausch – rund um die Uhr
Alkohol als Wirtschaftsfaktor
Unschuldig im Suff?
Das »hässliche Laster der Trunkenheit« …
Ist Alkoholismus heilbar?
Wichtige Adressen
Dank
Vorwort
Weniger Alkohol ist mehr
Es gibt Menschen, die haben nicht so viel Glück. Nach zwei Gläsern Wein bekomme ich schreckliche Kopfschmerzen, das ist zwar nicht schön, aber so bin ich wenigstens gegen Alkoholschäden etwas gefeit. Dass ich mich in puncto Alkohol immer zurückgehalten habe, hat, das muss ich ehrlich zugeben, ursprünglich damit zu tun. Längst, bevor mich dieses kleine Molekül Ethanol, genannt Alkohol, nicht mehr losgelassen hat. Bis heute. Denn wir kennen auf diesem Gebiet längst noch nicht alles, aber wir werden immer ein Stück schlauer.
So auch im April 2018, als eine bemerkenswerte Analyse, also eine Zusammenfassung von vielen großen epidemiologischen Untersuchungen, über die Gefährlichkeit von Alkohol im renommierten Fachjournal »Lancet« publiziert wurde. 83 Studien wurden unter die Lupe genommen, die die getrunkene Menge Alkohol mit unterschiedlichen Erkrankungen in Zusammenhang brachten. Die ungeheure Datenmenge von nahezu 600000 Menschen stand zur Verfügung. Das Zahlenwerk stammte aus unterschiedlichen geografischen Regionen und wurde auch teilweise unterschiedlich erhoben. Klar wurde nur: Die Menge Alkohol, die täglich ohne gesundheitliche Bedenken getrunken werden kann, ist deutlich geringer, als bislang angenommen. Bisher galt ein Viertel Liter Wein pro Tag für den Mann und die Hälfte für die Frau als relativ risikoarm. Nach den Ergebnissen dieser neuen und größten Analyse überhaupt muss dies eindeutig korrigiert werde. Das Überschreiten von bereits 100 Gramm Alkohol pro Woche, also ca. 1/8 Liter Wein am Tag, ist bereits mit einem Risiko für unterschiedliche Erkrankungen verbunden. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Alkohol weder das Risiko für Gefäßerkrankungen des Herzens noch zur Verhinderung eines Schlaganfalls gut ist. Das Risiko, zum Beispiel für Krebserkrankungen oder Bluthochdruck, steigt schon bei kleinen Mengen. Das »Deutsche Ärzteblatt« veröffentlichte die neuen Richtlinien zum Umgang mit Alkohol unter dem Titel »Konsum ist immer Risiko« und berief sich auf unzählige Einzelstudien. Das Ergebnis war mehr oder weniger dasselbe. Es ist selbstverständlich, dass bei der Erhebung von Alkoholkonsumdaten eine gewisse Unschärfe besteht, da die Befragten nicht immer exakte Angaben zu ihrem Konsum machen, es versteht sich aber auch, dass je mehr Daten zur Verfügung stehen, die Gefahren im Umgang mit Alkohol deutlicher werden und besser quantifiziert werden können.
Eine Voraussetzung für Empfehlungen im Umgang mit Alkohol ist die Entscheidung, welches Risiko für Menschen als akzeptabel gilt. Individuelle Merkmale, wie genetische Faktoren, Geschlecht, Lebensstil sowie vorbestehende, sich durch Alkohol verschlechternde Krankheiten, modifizieren das Erkrankungsrisiko. Die Risikoentscheidung kann letztlich nur jeder Einzelne für sich selbst treffen. Wissenschaft und Gesundheitswesen haben die Aufgabe, das bestmögliche Wissen bereitzustellen, im Interesse maximaler öffentlicher Gesundheit. Dabei orientiert sich die Richtschnur für Empfehlungen immer am Organ mit dem höchsten Erkrankungsrisiko. Eine Wertung von Risiken soll dabei nicht vorgenommen werden. Aber wir wissen jetzt, dass auch moderater Alkoholkonsum mit erhöhten Risiken für Erkrankungen verknüpft ist. Alle bisherigen Aussagen, die moderaten Alkoholkonsum als risikoarm bezeichnen und die von einer Schwellendosis (wie niedrig sie auch sein mag) ausgehen, können so nicht mehr unterschrieben werden.
In den neuen Empfehlungen im Umgang mit Alkohol wird auf wesentliche Punkte eingegangen:
Wir wissen heute, dass Alkohol für über 200 Krankheiten und Organschäden verantwortlich ist, wir wissen, dass Alkohol krebserregend ist, können Aussagen zu Dauerkonsum und die Gefährlichkeit von Koma-Saufen am Wochenende machen, zur Kombination von Nikotin und Schnaps, zu Demenz, in Verbindung mit Alkoholkonsum. Wenn ich als Alkoholforscher mit Frauenärzten darüber rede, dass auch kleine Mengen Alkohol dem Fötus schaden, sind einige immer noch sehr erstaunt. Und gerade Frauen reagieren empfindlicher als Männer auf Alkohol und mit zunehmendem Alkoholkonsum ist das Risiko für Brustkrebs oder andere Krebsarten höher. Gelegentlich ernte ich dafür ein mitleidiges Lächeln. Verwundert bin ich auch darüber, dass bei der Veröffentlichung über Lebererkrankungen im Deutschen Ärzteblatt (1. Juni 2018) die alkoholische Lebererkrankung nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Dabei ist das die häufigste Lebererkrankung in Europa, einschließlich Deutschland. Aber ich will meinen Kollegen nicht unrecht tun. Denn auch bei vielen von ihnen hat ein Umdenken eingesetzt. Und das ist auch notwendig, nicht nur bei Ärzten. Die Gesellschaft muss sensibilisiert werden. Dass auf diesem Weg auch mit alten Märchen wie »das tägliche Viertel Rotwein tut dem Herzen gut« oder »ein Glas Sekt hat noch keiner Schwangeren geschadet« aufgeräumt wird, ist zwingend notwendig. Auch sollte sich in das gesellschaftliche Bewusstsein eingraben, dass es nicht der arme Hartz-IV-ler ist, der zu tief ins Glas schaut, sondern es ist in viel stärkerem Maß der erfolgreiche Akademiker, der sich nicht am Teeglas festhält. Mein Patient mit dem höchsten Alkoholkonsum, zumindest was die Flüssigkeitsmenge anging, war ein Jurist, mit zwei Kästen Bier pro Tag – wie er das mit den 20 Litern meisterte, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Interessant ist, dass trotz der hohen gesundheitlichen Gefahren kaum staatliche Gelder für die Alkoholforschung in Deutschland fließen und dass zudem das öffentliche wie auch das fachspezifische Interesse der Ärzte zu diesem Thema doch recht begrenzt ist.
Um nicht falsch verstanden zu werden, Nein, eine Republik von Abstinenzlern, die wünsche ich mir nicht. Aber was ich mir wünsche, das ist der bewusstere Umgang mit diesem ganz besonderen Saft. Denn es ist vermeidbar, dass in Deutschland 20000 bis 30000 Menschen jährlich allein an den Folgen der alkoholischen Lebererkrankung sterben. Heute werden etwa 30 Prozent aller Lebertransplantationen an Menschen ausgeführt, die sich nie mit den Gefahren des Alkohols ernsthaft auseinandergesetzt haben. Pro 100000 Einwohner sterben in Deutschland etwa 16 an den Folgen von Alkohol. Damit liegen wir in Europa an der Spitze. Nur noch übertroffen von einigen osteuropäischen Ländern und weit vor Italien, Spanien oder auch Frankreich. Was machen die Menschen in diesen südlichen Ländern anders? Schließlich trinken sie ja auch ihren Wein. In Italien zum Beispiel ist in den letzten Jahrzehnten der Alkoholkonsum signifikant zurückgegangen, da man eine alte Tradition durchbrochen hat, nämlich zum Mittagessen ein Gläschen zu trinken. Genuss und Missbrauch liegen also nahe beieinander. Das muss die Gesellschaft lernen, das müssen aber auch die Politiker lernen. Denn sie können dazu beitragen, dass sich der Alkoholkonsum mithilfe von strengeren Gesetzen in vernünftigeren Bahnen bewegt. Und erst wenn wir gelernt haben, wo die Grenzen liegen, können wir alle gemeinsam auf die Gesundheit anstoßen. In diesem Buch wollen wir in einer umfassenden Darstellung den Ist-Zustand beschreiben und Wege aufzeigen, dass weniger Alkohol viel mehr sein kann.
Prof. Dr. Helmut K. Seitz
Die »Upper Class« säuft
Eine kleine Geschichte des Alkohols
Heute ist doch alles wie vor Tausenden von Jahren: Die »Upper Class« säuft. Hätte es damals schon den Alkohol-Atlas des Deutschen Krebsforschungszentrums gegeben, dann wäre – wie jetzt auch – vermerkt worden: Menschen mit höherem Sozialstatuts trinken mehr. Woran das liegt? Weil sie es sich leisten können, weil sie fürchterlich gestresst sind, weil die Ansprüche der Gesellschaft an sie hoch sind. Es gab aber auch Zeiten, da dröhnten sich die Armen in Europa dermaßen zu, vor allem im 19. Jahrhundert, dass die Politiker nach drastischen Gegenmaßnahmen suchten.
Alkohol und die Menschheit – eine untrennbare Geschichte, voller Genuss und entsetzlicher Qualen, voller Nutzen, aber auch voller Gefahren.
Angefangen hat alles vermutlich vor 10000 Jahren, als unsere Vorfahren sesshaft wurden und irgendwann entdeckten, dass die gelagerten alten Früchte so ganz anders schmeckten und dabei noch lustig machten. Die Früchte waren vergoren. Alkohol war entstanden. Irgendwann kamen unsere Urahnen dahinter, dass es keine schlechte Idee wäre, Alkohol zu produzieren. Und so begannen sie zu keltern. Die bislang älteste Kelteranlage wurde im Iran gefunden und ist über 7000 Jahre alt. Um dieselbe Zeit hatten unsere Ahnen auch entdeckt, dass aus Getreide und Wasser und ein paar Hefesporen ein besonderer Saft entsteht. Das Ur-Bier. Nachweislich kommt das älteste, entgegen der verbreiteten Überzeugung, aus dem Sudan. Hergestellt im 8. Jahrtausend v.Chr. aus einer Hirseart. Allerdings dürfte der Alkoholgehalt deutlich unter dem heutiger Biere gelegen haben. Und der Geschmack verlangte nicht unbedingt nach mehr. Denn ohne technische und biologische Hilfsmittel entstand eine breiartige Suppe, mit bis zu zwei Prozent Alkohol: ziemlich sauer – aber sättigend. Mit der Zeit lernte man, den flüssigen, alkoholhaltigen Teil von den Feststoffen zu trennen. Jetzt machten die Weine und Biere zwar nicht mehr satt, aber sie berauschten, weil mehr getrunken werden konnte.
Leisten konnten sich diese Getränke allerdings nur die Oberschicht.
Forscher fanden heraus, dass es Beispiele exzessiven Alkoholkonsums in Ägypten schon um 3000 v.Chr. gab. Kein Wunder, gehörte doch der Rausch zu den Kulthandlungen der Könige, ihrer Priester und Beamte. Da wurde bis zur Bewusstlosigkeit Becher für Becher geleert. Wir wissen von Echnaton, dass er Gesetze erließ, um den Bierausschank zu regeln. Ob allerdings seine Gemahlin Nofretete (um 1400 v.Chr.) davon betroffen war, ist nicht überliefert. Die Schönheit vom Nil trank nämlich auch gerne ihr Krüglein Bier, vornehmlich aus der eigenen Brauerei. Trinken bis zur Bewusstlosigkeit war an Festtagen auch noch unter Pharao Ramses II. (1292 bis 1225 v.Chr.) heilige Pflicht. Ansonsten war Ramses nicht so großzügig und gründete wohl die älteste Liga gegen den Alkohol.
Der übermäßige Genuss von Wein ist uns aber auch aus der Bibel überliefert. Im ersten Buch Genesis steht: »Noah, aber der Ackermann, pflanzte als Erster einen Weinberg. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag aufgedeckt im Zelt.« Da hatte er gerade die Sintflut heil überstanden.
Ganz wild soll es der größte Feldherr aller Zeiten, Alexander der Große, getrieben haben. Nach dem Tod seines Geliebten, Hephaistion, gab es kein Halten mehr. Orgien und Sauftouren gehörten zum Alltagsprogramm. Den Wein soll er wie Wasser konsumiert haben. Noch heute rätselt die Wissenschaft, woran der Tyrann 323 v.Chr. starb. Malaria, Gift oder Alkohol?
Auch bei den Germanen ging es hoch her. Es war aber vermutlich nicht ihr wertvoller Met aus Honig von Wildbienen, der sie berauschte, sondern der starke römische Wein, den sie nicht gewohnt waren. Darüber ließ sich auch der römische Geschichtsschreiber Tacitus (58 bis 120 n.Chr.) aus. Der mokierte sich über die archaischen Trinkgelage der alten germanischen Führungseliten.
Julius Cäsar wiederum verordnete seinen Soldaten als Medizin gegen Durchfall und andere Erkrankungen, täglich einen Liter Wein zu trinken. Wie auch im alten Griechenland wurde der Wein stark verdünnt zu sich genommen. Ziel war es dabei nicht, sich in die Arme von Bacchus bzw. Dionysos fallen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Es kam lediglich auf die Flüssigkeit an. Was Cäsar damals wusste, nämlich, dass Wein oder auch der daraus gewonnene Essig das Trinkwasser keimfrei machten, davon profitierten auch die wachsenden Städte späterer Jahrhunderte. Denn das Trinkwasser der verunreinigten Brunnen war nicht trinkbar – ohne sich die schrecklichsten Krankheiten zu holen. Also löschte Bier den Durst in den unteren Schichten, der Wein war dem Bürgertum vorbehalten, schlicht aus Kostengründen. Dennoch kamen im Mittelalter nur Adel und Klerus in den exzessiven Alkoholgenuss. In der frühen Neuzeit wurde aber auch an den Universitäten reichlich dem Alkohol zugesprochen. Ebenso waren die Offiziere für ihre Trinkfestigkeit bekannt. Und die Unterschichten? Die leisteten sich den Vollrausch lediglich an Feiertagen.
Das sollte sich mit der Industrialisierung ändern. Vor allem, als Bier im Kohlebergbau teilweise als Entlohnung dafür diente, dass die Kumpel die entsetzlichen Arbeitsbedingungen besser ertrugen. Dazu kam, dass ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Bier in großem Stil produziert wurde und sich jeder den Gerstensaft leisten konnte. Ganz schlimm wurde es schließlich mit der Verbreitung des Branntweins, man sprach sogar von einer »Branntweinpest« in Deutschland, in England war Gin groß in Mode und Jahre später gaben sich die Menschen ungehemmt in Paris dem Absinth hin. Selbst Bismarcks »Reichsbranntweinsteuer« von 1887 senkte den Alkohol-Gesamtverbrauch nicht, obwohl sich die Preise verdoppelt hatten, lediglich der Konsum von Hochprozentigem ging zurück. Aber es gab ja entsprechende Alternativen.
So weit wie in den USA, nämlich den Alkohol ganz zu verbieten, wollten in Europa selbst die schärfsten Antialkoholiker nicht gehen. Denn von dort hatten sie gelernt, dass die zehn Jahre Prohibition in den 20er-Jahren, nur eines brachten: Der Schwarzmarkt gedieh prächtig, die Mafia kontrollierte den Verkauf von Alkohol, Al Capone wurde steinreich und dem Staat entgingen Milliarden an Steuergeldern.
Die kassiert heute der Fiskus. Ein kleiner Teil davon geht in die Prävention. Und Dank der Forschung wissen wir, dass mit dem Vorurteil aufgeräumt werden muss, dass in prekären Verhältnissen mehr als in den gut bürgerlichen getrunken wird. Und wir wissen auch: Es ist schlicht zu viel.
Europa an der Spitze
Nur etwa die Hälfte der Weltbevölkerung trinkt Alkohol. Nach Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation weist Europa den höchsten Alkoholkonsum und auch die höchsten Raten an alkoholbedingten Schäden auf. Hier gehört Alkohol zu den führenden Ursachen für Krankheit und vorzeitigen Tod.
Riskanter Genuss
»Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils«, sagt der Volksmund, und Christoph Martin Wieland, der berühmte Dichter der Aufklärung meint: »Der Wein gibt Witz und stärkt den Magen.« Medizinische aufgeklärt ist das zwar nicht, aber beide Sprüche beschäftigen sich mit etwas ganz Wichtigem: nämlich den menschlichen Organen und wie sich Alkohol auf diese auswirkt. Wer sich näher mit dieser komplexen Thematik befassen will, dem sei das ausführliche nachfolgende Kapitel empfohlen. Um was geht es?
Alkohol ist ein Zellgift und kann alle Organe schädigen. Über 200 Krankheiten können durch Alkohol ausgelöst werden. Nicht alle, die zu tief ins Glas schauen, muss es allerdings treffen, denn da spielen viele Faktoren eine Rolle. Dabei geht es nicht nur um die Menge, sondern auch um die Häufigkeit des Konsums, um Ernährung, Geschlecht, Alter, Rauchen oder genetische Veranlagung.
Schwerstarbeit für die Leber
Fest steht: Alkohol ist die Hauptursache von Lebererkrankungen. Denn die Leber ist dafür verantwortlich, dass der Alkohol abgebaut wird, und von übermäßigem Konsum besonders betroffen. In der Leber laufen eine Menge von biochemischen Prozessen ab, welche das lebenswichtige Organ angreifen. Wir kennen die alkoholbedingte Fettleber, die kaum Beschwerden verursacht und sich bei Alkoholverzicht wieder erholt. Wird jedoch weitergetrunken, dann kann eine Alkoholhepatitis entstehen, verbunden mit Schmerzen, Verdauungsstörungen und Gelbsucht. Nicht mehr heilbar ist schließlich die Leberzirrhose, auch Schrumpfleber genannt. Nach Schätzungen der Deutschen Leberstiftung leiden etwa eine Million Menschen in Deutschland an einer alkoholischen Leberzirrhose. Das Zirrhoserisiko steigt für Männer bereits bei einem täglichen Konsum von 30 Gramm Alkohol pro Tag – dies entspricht 300 ml Wein oder der doppelten Menge Bier. Frauen droht eine Schrumpfleber sogar schon bei der Hälfte dieser Menge. Außerdem steigt das Risiko für Leberkrebs. Darüber hinaus können Leberzirrhosen gefährliche Gefäßerweiterungen in Speiseröhre und Magen hervorrufen. Die Pfortader stellt die Verbindung vom Magen-Darm-Trakt zur Leber dar. Bei Patienten mit Leberzirrhose ist der Blutfluss durch die Leber eingeschränkt. Dadurch kommt es zu einem Blutstau in der Pfortader, der letztlich die Gefäßerweiterungen in der Speiseröhre hervorruft. Reißen diese »Krampfadern« auf, zum Beispiel beim Erbrechen, fließt Blut in den Magen. Das kann im schlimmsten Fall zum Tod führen.
Empfindsame Bauspeicheldrüse
Zwischen Magen, Milz und Leber liegt die 15 bis 20 Zentimeter große Bauchspeicheldrüse, und die schätzt Alkohol gar nicht. Besonders scharfe Sachen können ihr gewaltig schaden. Wer regelmäßig am Schnaps hängt, der muss mit einer Entzündung des empfindsamen Organs rechnen. Wer z.B. fünf Doppelte aus 40-prozentigem Branntwein trinkt, erhöht sein Risiko um 50 Prozent, an einer akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung zu erkranken. Anders als eine akute Entzündung (heftige Bauchschmerzen) beginnt eine chronische Pankreatitis schleichend. Betroffene bekommen Probleme mit der Verdauung, Blähungen und Übelkeit. Mit der Zeit kann das Gewebe zerstört werden, es kann zu Blutungen, Verdauungsstörungen und Diabetes mellitus kommen. Bis zu 15 Prozent der chronischen Fälle verlaufen tödlich. Bislang galt die chronische Pankreatitis vor allem als Trinkerleiden. Eine aktuelle US-Studie zeigt allerdings, dass bei mehr als 50 Prozent der Betroffenen andere Ursachen zu finden sind. So scheinen Stoffwechselstörungen und genetische Faktoren eine größere Rolle zu spielen, als bislang angenommen.
Herz aus dem Takt
Herzschwäche oder auch Vorhofflimmern – auch das kann Alkohol auslösen. Wie sehr das Herz leidet, das haben Wissenschaftler um Isaac Whitman von der University of California in San Francisco untersucht. Verglichen wurden Personen, bei denen Alkoholmissbrauch vorlag, mit denen ohne Auffälligkeiten. Der Zusammenhang zwischen der Alkoholüberdosis und den Herz-Kreislauferkrankungen waren nicht zu übersehen. Zum Beispiel das Vorhofflimmern – eine Störung des Herzrhythmus, die einen Schlaganfall auslösen kann, – kam doppelt so häufig vor. Und das Risiko für eine Herzschwäche war sogar 2,3-mal so hoch wie bei der Vergleichsgruppe. Mediziner sprechen vom »Holiday Heart«, wenn ein Patient nach einem feucht-fröhlichen Wochenende wegen »Herzschmerzen« in die Sprechstunde kommt. Der Blutdruck ist hoch, das »Herz stolpert«, der Patient zunächst ratlos. Nach zwei Tagen fühlt er sich besser. Bis zum nächsten Mal, wenn er wieder zuschlägt und die Finger nicht rechtzeitig vom Alkohol lassen kann.
Aber es sind ja noch viel mehr Krankheiten, die durch Alkoholmissbrauch ausgelöst werden. Die Schleimhäute von Mund, Kehlkopf, Rachen und Speiseröhre sind betroffen. Rauchen verstärkt diesen Prozess noch.
Die Details sind den nächsten Kapiteln vorbehalten.
Ein Schlückchen in Ehren
Alkohol trinken und das gesundheitliche Risiko klein halten. Das wissenschaftliche Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen empfiehlt:
Die »risikoarme Schwellendosis« liegt bei Männern bei 24 Gramm Alkohol pro Tag. Das entspricht etwa 0,5 bis 0,6 Liter Bier oder 0,25 bis 0,3 Liter Wein (Alkoholgehalt: 10–12 Prozent). Frauen dürfen nur die Hälfte trinken. Bei 12 Gramm Alkohol ist hier also Schluss. Außerdem: Zwei alkoholfreie Tage sollten auch bei dieser Dosis eingelegt werden.