Einfach tief durchatmen – hinter dieser Selbstverständlichkeit verbirgt sich ein komplexes Wunder der Natur, das sich mit jedem Atemzug wiederholt – 20.000 Mal am Tag. Im Zentrum dieses Wunders steht unsere Lunge, die zugleich wie kaum ein zweites Organ durch unsere Lebensführung und Umwelt bedroht ist. Sie bewältigt gigantische Mengen von Bakterien, Feinstaub und anderen Luftschadstoffen. Und schafft es meistens dennoch auf erstaunliche Weise, lebenslang funktionsfähig zu bleiben. Mitreißend und voller Begeisterung für sein Thema vermittelt der Lungenspezialist Kai-Michael Beeh so unterhaltsam wie humorvoll alles Wissenswerte über die Lunge, ihre erstaunlichen Fähigkeiten und darüber, wie wir sie jung und gesund erhalten können.
Dr. med. Kai-Michael Beeh
Die atemberaubende Welt der Lunge
Warum unser größtes Organ Obst mag, wir bei Konzerten husten müssen und jeder Atemzug einzigartig ist
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Originalausgabe 10/2018
Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Thomas Bertram
Bildredaktion: Tanja Zielezniak
Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie, Zürich
unter Verwendung eines Fotos von: Flashfotos.de/Daams Naber GBR/ Random House
Innenteilmotive: Heyne Verlag: Bild01, Bild02, Bild03 (Veronika Moga); Shutterstock: Bild05, Bild04 (Sebastian Kaulitzki), Bild06 (crystal light), Bild07 (Alila Medical Media)
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-23649-6
V001
www.heyne.de
Für Hedda, Hannah und Jutta
One ship drives east and another drives west
With the selfsame winds that blow.
Tis the set of the sails
And not the gales
Which tells us the way to go.
ELLA WHEELER WILCOX, THE WINDS OF FATE
Inhalt
Vorwort
1. Solide: Architektur und Wohnen
»Können Sie etwas sehen?« – »Ja, wunderbare Dinge!«: Der menschliche Atemtrakt von vorne bis hinten
Schengen-Raum und Außengrenze: Die Lunge und ihre Nachbarn
Die Verwandlung: Lungenentwicklung und Reifung. Warum Frühchen keine »kleinen Menschen« sind
Vergiss mein nicht: Was unsere Nase mit der Lunge zu tun hat
Lass’ mich rein, lass’ mich raus: Wie der Kehlkopf unsere Atemwege schützt
Ein Baum, viele Straßen: Bronchialsystem und Lungenbläschen
Von Häuptlingen und Indianern: Immunabwehr
Mitwohnzentrale: Das »Mikrobiom« der Lunge
2. Alles, was zählt: Funktion und Alltag oder die schlichte Schönheit des Atmens
Über sieben Brücken: Gasaustausch und Lungendurchblutung – eine kurze Geschichte der Atmung
An den Hebeln der Macht: Wie das Gehirn die Atmung steuert
Es geht voran! Der mukoziliäre Reinigungsapparat
3. Maschine brennt oder Die drei Fragezeichen: Typische Symptome und was sie verraten
Gemeinsam einsam: Husten
Wechselt sein Gesicht wie die Ampel ihr Licht: Was Ihr Auswurf (nicht) verrät
Lebendig begraben: Atemnot
4. Menschliches, allzu Menschliches: Wichtige Erkrankungen der Atemwege und Lunge (und was man dagegen tun kann)
Alle Jahre wieder: Atemwegsinfekte
Ausweitung der Kampfzone: Lungenentzündung
Unter dem Vulkan: Tuberkulose
Eine enge Kiste: Asthma
Wie war noch gleich Ihr Name? COPD, die unbekannte Volkskrankheit
Das wüste Land: Erkrankungen der Lungenbläschen
Sonnenfinsternis: Lungenkrebs
Still, so still: Die sterbende Lunge
Das Leben ist anderswo: Lunge und Psyche
5. Du liebst mich nicht: Lunge und Umwelt
Der Hauch des Todes: Rauchen
Der Himmel über der Wüste: Luftverschmutzung
Der klimatisierte Albtraum: Lunge und globale Erwärmung
6. Es führt kein Weg zurück: Lungenalterung
Die Kraft und die Herrlichkeit: Altern und Alterungsvorgänge
Ton, Steine, Scherben: Die drei Kennzeichen der Lungenalterung
7. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: L-I-E-B-E, die fünf Säulen für altersloses Atmen!
L wie Luft zum Atmen – nicht nur sauber, sondern rein
I wie Infektabwehr – das Immunsystem schlägt zurück
E wie Ernährung – Ihr täglich Brot heute für die Luft von morgen
B wie Bewegung – Regen, Dampf, Geschwindigkeit
E wie Entspannungs- und Atemtechniken – take it easy, altes Haus
Schlusswort: Schau heimwärts, Engel!
Danksagung
Allgemeine Quellen und Literatur
Vorwort
In Deutschland scheint sich eine »neue Innerlichkeit« breitzumachen. War das Erkunden menschlicher Organe bis vor Kurzem noch medizinischen Fachkräften, Biologielehrern oder Hypochondern vorbehalten, so stehen heute Bücher über Herz, Haut, Prostata oder Darm auf den Bestsellerlisten. Und nun also ein Buch über die Lunge.
Warum die Lunge? Die Antwort könnte lapidar lauten: darum. Weil sie einfach dran war. Weil es noch kein vergleichbares Buch über die Lunge gab. Weil ich Lungenfacharzt bin und daher nur auf diesem Gebiet kompetent, so wie Manuel Neuer eben Torwart und kein Stürmer ist, Lady Gaga Performance-Künstlerin und nicht Sachbearbeiterin und Jörg Pilawa Quizshows und nicht die Tagesthemen oder das Literarische Quartett moderiert. Unser ärztliches Ausbildungssystem zwingt uns früher oder später zu einer Spezialisierung. Wir müssen unser berufliches Tun mehr oder weniger exklusiv einem einzelnen Organ oder Organsystem widmen. Ob das sinnvoll ist, soll hier nicht erörtert werden. Wenn man mich zu Beginn meines Studiums gefragt hätte, zu welcher Fachrichtung ich tendiere, wäre die Lunge, ein unscheinbares, glattes, asymmetrisches Organpaar von zäher, schwammiger Konsistenz mit knorpeligem Inhalt, ganz sicher weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze gelandet. Kennen Sie Arztromane oder -serien, in denen ein Lungenfacharzt mitspielt? Die Führungsriege von Chicago Hope und Emergency Room war ein komplett Pneumologie-freier Club.
Es ging mir nicht anders als den meisten meiner Studienkollegen: Man rutscht irgendwie in ein Fachgebiet hinein – und schafft vor der Facharztprüfung den Absprung nicht mehr. Und dann bleibt man halt dabei. Manchmal aber wird tatsächlich Liebe zum jeweiligen Fach daraus. Hält die Liebe an, wird man im besten Fall ein Enthusiast, im schlimmsten Fall schrullig, ein Fachidiot mit Scheuklappen, für den medizinische Wissenschaft und ärztliche Kunst exakt an der im Anatomieatlas definierten Organgrenze enden. Nicht verhandelbar. Brustschmerz? Das Herz! Luftnot? Das Herz! Brennen beim Wasserlassen? Das Herz, natürlich!!! Oder auch: Brustschmerz? Wahrscheinlich die Nerven. Luftnot? Ganz sicher die Nerven. Brennen beim Wasserlassen? Ganz unzweifelhaft die Nerven …
Warum also ein Buch über die Lunge? Meine subjektive Antwort lautet: Weil ich die Lunge für das komplexeste, faszinierendste, schönste, relevanteste, unersetzlichste, kurz: wichtigste Organ der Welt und aller Zeiten halte, schlicht für die erste Geige im Orchester der menschlichen Biologie. Weil sich nahezu jede Erkrankung und jedes Symptom ursächlich in irgendeiner Weise auf die Lunge und das Atmungssystem zurückführen lässt oder dieses unmittelbar berührt und betrifft.
Über meine persönliche Einschätzung hinaus gibt es jedoch eine Reihe erstaunlicher Fakten, die einen genaueren Blick auf die menschliche Lunge rechtfertigen. Und eine objektiv begründbare Antwort auf die Frage liefern: Warum ein Buch über die Lunge?
Darum also ein Buch über die Lunge. Allerdings benötigt die Lunge »PR«, weil sie in den meisten Ländern außerhalb von Nichtraucherkampagnen keine echte Lobby hat. Lungenerkrankungen schreien uns nicht in Fußgängerzonen von Plakaten an, wie Herzinfarkt, Diabetes, Leberentzündung oder Erektionsschwäche. Initiativen zu Früherkennungsprogrammen für Lungenerkrankungen werden in der Regel mit dem lapidaren Rat »Hört einfach auf zu rauchen« abschlägig beschieden und erhalten keine oder nur unzureichende Förderung. Die Lungenheilkunde ist trotz Millionen betroffener Patienten und einer stetig wachsenden Zahl von Behandlungsfällen in deutschen Praxen an Universitäten und Krankenhäusern gegenüber anderen Fächern der Inneren Medizin hoffnungslos unterrepräsentiert. Im Jahr 2012 gab es in Deutschland mehr als 10000 Facharztanerkennungen: lediglich 90 Lungenfachärzte waren darunter, weniger als ein Drittel der im gleichen Jahr anerkannten Kardiologen und halb so viele wie Magen-Darm-Spezialisten. Praktisch jeder Hausarzt hierzulande kann ein EKG schreiben, aber eine einfache Lungenfunktionsmessung, die weniger als dreißig Sekunden in Anspruch nimmt, wird nur von einem Bruchteil der Praxen angeboten.
Die Lunge verfügt über kein kräftiges »Organ«, sie ist schlicht zu leise, zu unterschwellig, zu bescheiden. Die Lunge ist ein Teamplayer, unauffällig, aber unverzichtbar. In einer Fußballmannschaft wäre sie am ehesten ein klassischer »Sechser« – entscheidend für Erfolg und Niederlage, im Spielbericht aber sicher nicht mit Bestnoten ausgezeichnet. Zehn Kilometer Laufleistung, 90 Prozent gewonnene Zweikämpfe, kein Tor, keine Torvorlage. Solide Partie. Die Lunge kann nicht mit den anderen A-Promis unter den Organen konkurrieren. Sie ist nicht Herz oder Hirn, wo wir Seele und Verstand verorten und wo sich Dramen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall abspielen, deren Symptome beinahe jedes Schulkind aufsagen kann. Traurige Ereignisse oder Ärger gehen an die Nieren oder schlagen auf den Magen, im schlimmsten Fall fährt man aus der Haut, jedenfalls nicht aus der Lunge. Die Lunge ist auch kein Sinnesorgan, dessen kleinstmögliche und sei es nur vorübergehende Beeinträchtigung uns in Panik versetzt. Unsere Lunge kann problemlos mehr als ein Drittel ihrer Funktion einbüßen, bevor wir es überhaupt bemerken!
Die Lunge zwickt und schmerzt nicht, sie bricht nicht oder reißt, wie ein Oberschenkelknochen oder ein Kreuzband. Die meiste Zeit verhält sich unsere Lunge wie ein stiller Mitbewohner: Man weiß um ihre Existenz, aber man hört und sieht sie kaum. Die Lunge hat kein Schmerzempfinden, wir spüren sie nicht. Wächst eine bösartige Geschwulst in ihr, so geschieht das still und unbemerkt. Sie schmerzt erst, wenn sie die Lungengrenzen überschreitet und beispielsweise in das Rippenfell oder in die Brustknochen einwächst.
Die Lunge kann man nicht sehen. Sie versteckt sich tief in unserem Brustkorb hinter einem Panzer aus Knochen und Muskeln – wir bekommen sie niemals zu Gesicht. Da die Lunge anderer Spezies auch nahezu ungenießbar ist (außer für Liebhaber), haben die meisten Menschen nicht einmal vom Metzgerbesuch eine Vorstellung von ihrem Aussehen. Wenn (Röntgen-)Bilder von der Lunge angefertigt werden, sieht ihr Besitzer in der Regel nur ein Paar schwarzer Klumpen, die an ein halbiertes Graubrot erinnern. (Dazwischen leuchtet, in strahlendem Radiologen-Weiß, das wunderbare Herz!)
Was soll man also von einem Organ halten, das man nicht fühlt, nicht sieht und das unbemerkt seinen Dienst versieht? Die Antwort lautet: alles! Die Lunge atmet für uns. Sie ist stets anwesend, stets involviert, von der Wiege bis zur Bahre. Beim Frühchen, das vom Erstickungstod bedroht ist, im ersten Schrei des Neugeborenen, im Plärren und Schreien von Säuglingen und Kleinkindern, im Stöhnen und Seufzen eines launischen Teenagers, im ekstatischen Pumpen und Schnaufen eines Athleten, im Hecheln, Stöhnen und Pressen der Schwangeren, im ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus der friedlich Schlafenden, im Wehklagen des Schmerzgeplagten, im letzten Atemzug des Sterbenden.
Wie kein zweites Organ ist die Lunge durch äußere Einflüsse bedroht und gefährdet, und allzu oft wird sie krank. Meistens erholt sie sich davon wieder, manchmal aber auch nicht. Dann wirkt sich diese Beeinträchtigung dauerhaft auf die Lebensqualität des Betroffenen aus, im schlimmsten Fall ist sie lebensbedrohlich. Es ist daher ein Anliegen dieses Buches, Gesunden wie Patienten auf einfache und anschauliche Weise zu erklären, wie Lungenkrankheiten entstehen, welche Auswirkungen und Folgen sie haben und, vor allem, was man dagegen tun kann. Die Pflege dieses wundervollen Organs beginnt bei der Vorbeugung und endet bei der bestmöglichen Behandlung zur Vermeidung von Folgeschäden einer Krankheit.
Die Lunge ist viel mehr als nur ein notwendiger »Kraftstofflieferant für Energiebereitstellungsprozesse« – daher lohnt sich ihre Gesunderhaltung umso mehr! Eine gesunde, voll funktionsfähige Lunge ist die wichtigste Quelle körperlicher Leistungsfähigkeit. Wer je bewusst die Freude (und Qual!) einer sportlichen Ausdauer- oder Maximalbelastung erfahren durfte, wird seine Lunge nie mehr mit den gleichen Augen sehen. Ebenso werden diejenigen, die mit einfachen, zum Teil jahrhundertealten Atemtechniken tiefe Entspannung erfahren, geneigt sein, wenigstens einen kleinen Teil unserer Seele auch in diesem Organ zu verorten.
Gehen Sie also sorgsam, pfleglich und nachhaltig mit diesem kleinen Wunderwerk um. Die Lunge braucht Schutz. Die Lunge braucht Lob. Darum dieses Buch. Atmen Sie tief durch und beginnen Sie mit der Lektüre!