Das Buch
»Man kann auch ohne Paarbeziehung glücklich sein. Liebe gibt es nicht nur zu zweit.«
Edition-F-Redaktionsleiterin Silvia Follmann räumt auf mit gängigen und vollkommen überholten Klischees rund um den weiblichen Single – denn es gibt mehr als nur ein Glücksprinzip!
Silvia Follmann
A Single Woman
Ein Plädoyer für Selbstbestimmung
und neue Glückskonzepte
Originalausgabe
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1. Auflage
Originalausgabe März 2019
Copyright © 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,
unter Verwendung eines Motivs von
© FinePic®, München
Lektorat: Doreen Fröhlich
DF · Herstellung: kw
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-25278-6
V001
www.goldmann-verlag.de
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Für alle,
die ihre Geschichte vom guten Leben
selbst erzählen wollen.
Vorwort
1.
Die Familienfeier: Oder wie ich begriff: Um Singles muss man sich Sorgen machen
2.
Das große Scheitern: Weiblich, alleinstehend, um die dreißig
3.
»Ich wünsche mir so sehr, dass du jemanden findest«: Von der sehr kleinen Idee des Glücks
4.
»Streng dich doch mal an«: Wer Single ist, ist selbst schuld
5.
Beruflich erfolgreich: War das jetzt alles?
6.
»Du bist ja nur neidisch!«: Immer im Verdacht
7.
Auf einmal ist da diese Einsamkeit, die nicht mehr gehen will
8.
Die Liebe und das Geld: Wie wir uns dankbar von der Industrie verarschen lassen
9.
Sexuelle Freiheit? Klar, aber bitte nur innerhalb von Beziehungen!
10.
Liebe kann auch Angst machen
11.
Emotionale Sackgasse geht auch zu zweit
12.
Und was ist mit dem Kinderwunsch?
13.
Single-Sein ohne Stigma: Verrücktes, gutes Leben
Danksagung
Als Frau kann man heute vieles, aber eines ganz sicher nicht: ungestört Single sein. Denn noch immer wird einem ohne eine Paarbeziehung ganz schnell das Label der Einsamkeit und der großen Suche um den Hals gehängt, als könne es gar nicht anders sein. Wieso haben wir uns nicht längst von der kruden Idee verabschiedet, dass das Single-Dasein auf jeden Fall ein Zustand des Mangels oder des Wartens ist? Wieso glauben wir immer noch so fest daran, dass wir ohne romantische Beziehung kein gutes Leben haben können?
Ich dachte lange Zeit, wir hätten dieses Klischee der Single-Frau als Mängelexemplar längst hinter uns gelassen, wären so frei in unseren Lebensentscheidungen und Lebensläufen, wie wir gemeinhin erwarten zu sein – wer sollte uns schon aufhalten, wer uns einschränken? Bis ich das bereits verschwunden geglaubte Label in meinen Zeiten als Single doch aufgedrückt bekam und mir von genau dieser Erfahrung in den unterschiedlichsten Varianten immer wieder erzählt wurde. Von ganz jungen Frauen, von Frauen in meinem Alter, von Frauen, die älter als ich sind. Es brauchte gar nicht mehr den Moment, in dem kürzlich eine sehr viel jüngere Kollegin zu mir sagte: »Ich bin bereit viel zu ertragen, aber ich will niemals als Alleinstehende enden.« Oder eine Frau um die 50 mir zu dem Thema meines Buches zurief: »Single-Frauen sind ab einem bestimmten Alter irgendwie alle vollkommen verrückt, total fernab der Realität.« Wessen Realität das ist, wird noch zu ergründen sein. Denn genau das sind die Aussagen, die viele Single-Frauen auch heute noch verbindet, selbst wenn sie ansonsten komplett unterschiedliche Leben führen. Es sind Erfahrungen, die uns an Stereotype binden und vollkommen ausblenden, wer man ist, wie man lebt, was man will und was einem zusteht – nämlich frei zu sein in dem, was man tut und fühlt. Diese Stereotype nehmen Frauen oft derart in Beschlag, dass sie ganz vergessen, sich auf ihre ureigenen Bedürfnisse zu konzentrieren. Dass sie vergessen, sich zu fragen: Will ich da überhaupt reinpassen?
Wenn ich in meinem Bekanntenkreis davon erzählte, dass ich ein Buch über Singles schreibe, kam fast immer die erstaunte Frage: DU schreibst einen Ratgeber für Singles? Was ich natürlich vehement verneinen musste, ich bin schließlich weder Psychologin noch Therapeutin, noch habe ich das Gefühl, dass Singles wirklich Rat gegeben werden muss. Schließlich hat man es dabei nicht mit einem Ausnahmezustand zu tun. Und doch scheint ein Ratgeber im ersten Moment das Logischste zu sein, das man zum Thema Single-Leben zum Besten geben kann. Aber nein, ich schreibe nicht, was zu tun ist, um da rauszukommen, sondern in verschiedenen Episoden über die Gefüge und Situationen, in denen man sich selbst als Single als mangelhaft begreifen kann, wer und was zu diesen Gefühlen beiträgt, wieso sich das Leben ohne Beziehung manchmal vollkommen zu Unrecht schlecht anfühlt und warum es das oft nicht müsste, wenn unsere Gesellschaft nicht so auf die Idee von (Lebens-)Glück fixiert wäre, die mit Paarbeziehungen zusammenhängt. Und es wäre auch häufig nicht notwendig, wenn wir uns selbst mehr trauen würden, uns selbst ein wenig mehr vertrauen würden. Unsere Liebesbiografien und unser Datingverhalten ändern sich eben mit der Welt, die sich verändert, und mit einer Gesellschaft, die im Wandel ist. Die Krux dabei ist: Unsere Erwartungen an die (romantische) Liebe, wie und wo sie wartet, dass sie auf jeden Fall wartet und wie sie auszusehen hat, die verändern sich offensichtlich nicht. Ebenso wenig wie die meisten Ratschläge dazu, wie wir auszusehen oder uns zu verhalten haben, um Liebe überhaupt zu verdienen. Aber wenn Single zu sein zeitgleich normal, ja, selbstverständlich zu sein scheint und doch noch immer bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum prekären Zustand erklärt wird, dann führt das zu einer Schräglage und einem Tauziehen um die Deutungshoheit über das geglückte Leben mit uns selbst und den anderen.
All das hängt, ganz gleich, welches Leben wir uns heute für uns selbst eingerichtet haben, unweigerlich mit dieser einen Erzählung zusammen, die in unserer von traditionellen Rollen- und Beziehungsbildern immer noch selig besoffenen Gesellschaft allzu gerne weitergetragen wird und die erst einmal so herrlich ungefährlich, ja, wohlig warm ist und sich als einziger Entwurf unseres Lebens selbstverständlich anfühlt: Frau findet Mann, sie finden sich toll, sie heiraten und bekommen 1,6 Kinder – Happy End, fertig. Das ist das Leben, auf das es im besten Falle hinauslaufen soll. Das ist das höhere Ziel, auf das es noch immer hinzuarbeiten gilt. Das Zusteuern auf und das anschließende Halten einer Paarbeziehung wird noch immer als die universale Glücksformel gehandelt und so eine (hierarchische) Ordnung aufrechterhalten, die Singles zu den Rosinen im Gesellschaftsstollen machen – ob sie da wirklich hineingehören oder man lieber einen ohne will, wird immer Stoff für Diskussionen sein.
Aber diese Geschichte können oder wollen heute immer weniger Menschen erzählen, schon gar nicht in der Stringenz, die der romantischen Liebe immer wieder abverlangt wird, damit sie wahr, groß und gut sein darf – etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland leben allein1, knapp 17 Millionen Menschen sind nicht in einer festen Beziehung2, Beziehungen haben insgesamt eine kürzere Halbwertszeit als früher, und die Scheidungsrate liegt derzeit bei rund 40 Prozent.3 Das ist auch kein deutsches Phänomen, überall auf der Welt sind Menschen länger Single, heiraten später und bekommen später Kinder. Statt diese Entwicklung negativ zu betrachten, könnte man auch sein Gutes darin sehen. Denn Beziehungen, die nicht guttun, werden offensichtlich schneller beendet, und Liebeleien, die kurzweilig sind, aber keine Basis haben, führen wahrscheinlich gar nicht erst in eine. Oder Kompromisse, die einzugehen sich nicht gut anfühlen würde, werden schlicht nicht mehr geschlossen. Doch statt diese positiven Aspekte zu betonen, ist fast immer von Beziehungsunfähigkeit, Unentschlossenheit und Vereinsamung die Rede, denn wir sind eben die unsägliche Generation Y. Als wäre diese Zuschreibung nicht schon schlimm genug. Die Veränderung geht, gerade global gesehen, aber auch mit der steigenden Bildung einher – gerade bei Frauen! Und sie hängt außerdem mit ökonomischen Faktoren zusammen, denn in vielen Ländern können sich junge Menschen weder Heirat, noch den Auszug von zu Hause, noch ein Kind leisten.4 Und das wiederum ist dann gar nicht positiv, weil nicht selbstbestimmt gewählt – das wird aber durch den sozialen Druck, den man als Single so oder so erfährt, nicht besser. Vielen Menschen, das finden zumindest Mutter, Onkel Heinrich, Kolleginnen und Kollegen oder der Taxifahrer, der uns nach Hause fährt und sich über den Beziehungsstatus austauschen will, fehlt also aus verschiedenen Gründen immer häufiger und immer wieder eben jene Paarbeziehung, um ihrem Leben endlich echte Substanz zu verleihen. Trostlos sind dabei gerade wir Frauen, denn wir verschenken unsere saftigen Jahre, weil wir uns nicht genug anstrengen, uns zu sehr auf den Job konzentrieren, zu wählerisch, zu egoistisch oder nicht schön zurechtgemacht sind – oder nicht oft genug gelächelt haben. Es gibt immer jemanden, der so tut, als sei es die gottgegebene Aufgabe der Frau, stets auf die romantische Liebe hinzuarbeiten. Und natürlich auf eine eigene Familie.
Immer wieder habe ich darüber gelacht und gefragt: Was hat euer Problem mit dem Thema mit meinem Single-Dasein zu tun? Und doch ist es eben schwer, in einem System zu leben, in dem Singles stigmatisiert werden – und davon frei zu sein. Frei von Zweifeln zu sein. Denn wie man sich fühlt und was man überhaupt fühlt, hat doch meist sehr viel mehr mit der eigenen Umgebung – oder mit der Annahme von der eigenen Umgebung – zu tun, als dass es ausschließlich uns selbst entspringt. Und das ist auch heute noch in vielen Punkten eine Gesellschaft, die in Bezug auf ihr Frauenbild noch immer Jahrzehnte hinter dem hinterherjapst, was sein könnte – und manchmal sogar durch einen antifeministischen Backlash, der bereits Erkämpftes wieder infrage stellt, bereitwillig wieder in das Alte zurückfällt. Das trägt auch dazu bei, dass man vielleicht selbst oft noch mit alten Rollenbildern kämpft, nicht davon loskommt, weil manchmal noch nicht ganz klar ist, wer man ohne diese Label eigentlich ist. Und das kann auch ein Selbstbild formen, das gar nicht zum eigenen Leben passt. Bin ich wirklich die Frau, die gerade oder generell nach einer Beziehung sucht? Oder die Frau, die auf keinen Fall eine will? Oder die Frau, der das alles eigentlich egal ist, mal sehen, was kommt? Aus diesem innerlichen Ringen entsteht nicht selten eine Selbstwahrnehmung, die mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen kollidiert und so ein Scheitern manifestiert, das keines ist. Doch genau diesem falschen Scheitern auf die Spur zu kommen, darum soll es in diesem Buch gehen.
Denn ein Leben als Single beschreibt eben nicht zwingend ein Leben mit einer Lücke. Weil Menschen nicht auf sozialen Inseln leben, zu der Liebe und Zufriedenheit nur durch eine exklusive Paarbeziehung vorstoßen kann. Single zu sein ist kein Lebensmodell, mit dem man ernsthafte äußerliche Bedrohungen zu fürchten hat – zumindest, wenn man an dieser Stelle etwa das Armutsrisiko von Alleinerziehenden ausklammert –, vielmehr aber doch innere Bedrohungen aus einem selbst, die verborgener sind, kleiner scheinen, aber deshalb nicht weniger wesentlich sind. So wesentlich wie die verdammte Luft zum Atmen. Nämlich jene Gefühle, die infrage stellen, wer wir sind und welches Leben wir führen wollen. Und auf der Suche danach, wie sich das Ich ohne diese inneren Bedrohungen ausdrücken und leben lässt, rennt man häufig immer wieder an mentale Mauern, von Zuschreibungen und dem durch andere geprägten Selbstbild, die dann verbergen, was Realität ist: Single zu sein ist genauso gut, wie nicht Single zu sein. Ist genauso richtig und falsch, genauso lebenswert.
Ich schreibe all das aus meiner Sicht auf das Single-Leben, auf die Liebe und die Erwartungen an Frauen und damit aus der einer heterosexuellen, weißen cis Akademikertochter, was zugegeben eine verdammt bequeme Perspektive ist5. Und wenn Menschen mit dieser Perspektive die Zustände schon so den Nerv rauben, wenn sie durch diese engen Strukturen schon so sehr einem gesellschaftlichen Regelwerk ausgesetzt werden, das oft mehr in die Irre als nach vorne führt, dann kann man sich im Ansatz ausmalen, wie das für jemanden ist, der nicht mit diesen meinen Schubladen dienen kann – was nur einmal mehr zeigt, warum sie ausgedient haben müssen und warum wir grundlegend neue Definitionen brauchen, und zwar ganz viele davon. Das Ich im Buch bin dabei ich, es sind aber auch all die Frauen und ihre Geschichten, die mich umgeben, denen gesagt wurde, sie könnten alles sein, was sie wollen, die sich selbst sagten, sie könnten das – bis der Klaps auf den Hinterkopf kam oder sich dieses ungute Gefühl im Magen breitmachte, dieses unbestimmte Wissen, dass man so, wie man ist, doch nicht in diese Gesellschaft passt. Oder die Gesellschaft nicht zu einem selbst.
Und sollte der Gedanke aufgekommen sein: Das hier ist kein Buch, in dem gegen die Liebe oder Beziehungen angeschrieben wird – ganz im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, dass wir alle ganz selbstverständlich glücklich Liebende in einer Beziehung sein können, aber ebenso auch glücklich und mit der Liebe Verbundene, ohne eine Paarbeziehung zu führen. Und es geht darum, dass Einsamkeit nicht nur und manchmal noch viel weniger auf uns wartet, wenn wir nicht in einer Paarbeziehung sind. Sobald man mit sich selbst glücklich sein kann, streicht man auch die Angst aus seinem Leben, und wenn die Angst geht, wartet Freiheit.6 Die Freiheit, die gelernten Geschichten über das Single-Dasein hinter sich zu lassen und seine eigene zu schreiben.
1 Statistisches Bundesamt, 2017.
2 Deutschlands Single-Studie, durchgeführt von Elitepartner, Parship und Innofact AG, 2018.
3 Statista, Scheidungsrate 2017: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76211/umfrage/scheidungsquote-von-1960-bis-2008/
4 Being single in your 30s isn’t bad luck, it’s a global phenomenon, Quartz, Nov. 2018: https://qz.com/1443640/being-single-in-your-30s-isnt-bad-luck-its-a-global-phenomenon/?utm_source=qzfb&fbclid=IwAR2LbIvRlj4VDceBK-BdFAyNV8C5l4gReMg0wChTv_NA3Yd2T-y-lDabwEs.
5 Ist von Frauen oder Männern in Bezug auf bestimmte körperliche (Geschlechts-)Merkmale die Rede, geht es um cis Frauen und cis Männer. Als cis Frau oder cis Mann werden diejenigen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
6 Vgl. Interview mit Ulrike Stöhring bei Edition F. https://editionf.com/Interview-Ulrike-Stoehring-Vielen-Dank-fuer-alles-Trennung-Buch
Ich hätte es sehen kommen müssen, ich war schließlich auf einer Familienfeier, der Brutstätte vielen Unsinns. Aber die Feier war noch ganz am Anfang und daher der Moment noch fern, an dem der Alkohol derbe Witze und komische Tanzeinlagen zutage fördert oder jemand dramatisch heulend den Raum verlässt – also die kleine Eskalation, die endlich Schwung in die Sache bringt. Schade eigentlich, denn sich nur immer wieder den Teller mit Bockwurst und Kartoffelsalat aufzufüllen und nett Menschen zuzunicken, die einem längst fremd geworden sind, bringt einen ja auch nicht über den gesamten Abend. Aber wenn ich gewusst hätte, was danach kommt, hätte ich es sicher nur zu gerne dabei belassen, meine Stunden ohne menschliche Interaktion und ausschließlich mit Mayo-Mariniertem zu verbringen.
Denn auf einmal dröhnte es mir über die Schulter: »Na, wo ist dein Glücklicher?« Mein Onkel setzte sich mit einem dicken Grinsen im Gesicht an den Tisch, und ich nuschelte noch mit dem Wurst-Kartoffel-Gemisch im Mund: »Gibt’s nicht.« »Was hast du gesagt?« Er schaute mich mit kritischem Blick an. »GIBT’S nicht!«, rief ich lauter, und möglicherweise flog dabei etwas halb Zerkautes durch die Luft. Ein gequälter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, und seine Rede von: »Du bist doch so hübsch, mach es den Männern doch nicht so schwer, langsam musst du dich wirklich mal ranhalten!« begann schneller, als ich mir wieder eine volle Gabel in den Mund packen konnte, um diese Konversation zu unterbinden. Vielleicht hätte ich sie besser ihm reinstecken sollen. Ganz tief in den Rachen. Aber schon meinte ich meine Mutter am anderen Ende des Tisches seufzen zu hören. Es ist ein leidiges Thema zwischen uns. Möglicherweise quietschte aber auch nur der Stuhl unter meinem Körper, der mittlerweile zum Gefäß für gefühlt zwei Kilogramm Kartoffelsalat geworden war. Wie auch immer, die Situation wurde jedenfalls nicht besser. Alles, was mich jetzt noch retten konnte, wäre, wenn endlich jemand anderes die Rolle des Clowns übernimmt – alles eine Zeitfrage, wie ich meine Familie kenne. Aber auch das kam anders: Denn ich blieb der Clown, einfach nur weil ich Single war.
Ich war damals etwa 24, am Ende meines Bachelorstudiums, und mir ging es prächtig – doch wie der verlässliche Buschfunk es mir nach dem Fest zutrug, war ich diejenige in der Familie, um die man sich am meisten Sorgen machte. So schnell kann’s gehen. Wäre ich mit einem Mann aufgetaucht, hätte ich wahrscheinlich auch von Arbeitslosigkeit und einer Heroinsucht erzählen können, und trotzdem wären alle zufrieden mit mir gewesen. Endlich unter der Haube, das alte Mädchen, wurde aber auch Zeit. Dass mein Jahre älterer Bruder zur gleichen Zeit auf der gleichen Feier vollkommen unbehelligt sein Single-Dasein thematisieren konnte – das hat mich damals vielleicht verwundert, heute tut es das längst nicht mehr. Denn wenn ich eines gelernt habe, dann das: Um Single-Frauen muss man sich Sorgen machen. Und mit dieser Erkenntnis war ich leider nicht allein.