Dr. Daniel Classic
– 17 –

Ein Doktor in Nöten

Marie Francoise

Impressum:

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Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-285-3

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Das klirrende Geräusch von zerspringendem Glas lockte Dr. Robert Daniel unweigerlich ins Labor.

  »Das ist ja wieder typisch für diesen Tag«, knurrte seine junge Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, während sie vorsichtig die größeren Glasscherben vom Boden aufhob.

  Hilfsbereit ging Dr. Daniel ihr zur Hand, doch Sarina wehrte ab.

  »Bemühen Sie sich nicht, Herr Doktor«, bat sie. »Sonst schneiden Sie sich womöglich noch.« Sie zögerte. »Wundern würde es mich nicht. Heute muß einfach alles schiefgehen.«

  Mit einem amüsierten Schmunzeln betrachtete Dr. Daniel seine Sprechstundenhilfe. Normalerweise war sie die Ruhe in Person, und manchmal hatte er schon den Eindruck gehabt, es gebe nichts, was sie erschüttern könnte.

  »Was ist denn mit diesem Tag so Besonderes?« wollte er wissen.

  Sarina betrachtete ihn mit einem Blick, als hätte er eine ganz törichte Frage gestellt.

  »Heute ist Freitag der Dreizehnte«, erklärte sie in Weltuntergangsstimmung.

  Da lachte Dr. Daniel auf. »Sie sind doch wohl nicht abergläubisch, Fräulein Sarina?«

  »Doch, und wie«, gestand die Sprechstundenhilfe offen. »Und an solchen Tagen passieren mir auch immer die unmöglichsten Sachen.«

  Dr. Daniel nickte. »Das glaube ich gern. Sie gehen schon mit einem Vorurteil an den Tag heran, aber wenn Sie mal objektiv sind, werden Sie merken, daß Ihnen an einem Freitag dem Dreizehnten nicht mehr Mißgeschicke passieren als sonst.«

  Sarina seufzte. »Vielleicht haben Sie recht.« Sie schwieg kurz. »Aber heute ist mir zu allem Überfluß auch noch eine schwarze Katze über den Weg gelaufen, als ich zur Arbeit gegangen bin. Das konnte wirklich nichts Gutes bedeuten.«

  Dr. Daniel lachte wieder. »Sie sind unverbesserlich, Fräulein Sarina.« Dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Können wir heute etwa schon Feierabend machen?«

  Sarina schlug sich mit einer Hand an die Stirn. »Das hätte ich ja beinahe vergessen. Frau Heger ist vorhin gekommen – ohne Termin. Sie hat starke Unterleibsschmerzen.«

  Dr. Daniel nickte. »Ich kümmere mich sofort darum. Haben Sie mir die Karteikarte schon herausgesucht?«

  »Ja, Herr Doktor, sie liegt beim Empfang«, erklärte Sarina. »Ich wollte Frau Heger gerade anmelden, als ein Schwangerschaftstest dazwischenkam. Und dann dieses Malheur.« Sie deutete auf die Scherben, die sie jetzt auf dem kleinen Tisch in der Ecke gestapelt hatte.

  »Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen«, riet Dr. Daniel ihr, dann verließ er das Labor und betrat das Wartezimmer, um seine Patientin persönlich ins Ordinationszimmer zu holen.

  »Meine Sprechstundenhilfe hat mir gesagt, daß Sie Schmerzen haben«, begann Dr. Daniel, als er der knapp vierzigjährigen Frau gegenübersaß, dann warf er einen Blick auf die Karteikarte. »Sie waren schon ziemlich lange nicht mehr bei mir.«

  Konstanze Heger nickte. »Ich war nie krank, Herr Doktor, und die Pille oder so was brauche ich nicht. Sie wissen ja…« Sie beendete den Satz nicht, aber Dr. Daniel wußte auch so Bescheid.

  Konstanze Heger war bereits wenige Jahre nach ihrer Heirat Witwe geworden und von da an allein geblieben. Sie war eine sehr ruhige Frau, die ganz zurückgezogen lebte.

  »Und jetzt haben Sie also Schmerzen«, hakte Dr. Daniel nach. »Seit wann?«

  Konstanze zuckte die Schultern. »Seit einem halben Jahr etwa.«

  Völlig fassungslos sah Dr. Daniel sie an. »Und da kommen Sie erst heute zu mir? Oder waren Sie vielleicht bei einem anderen Arzt?«

  Konstanze schüttelte den Kopf. »Zu wem sollte man hier in Steinhausen wohl gehen? Der alte Dr. Gärtner ist nicht gerade der Typ Arzt, zu dem man unbedenklich Vertrauen haben kann.«

  Dr. Daniel begriff das alles immer noch nicht. »Aber wenn Sie seit einem halben Jahr Schmerzen haben…«

  »Ach, Herr Doktor«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin nicht wehleidig. Und wegen jedem bißchen Bauchzwicken renne ich nicht gleich zum Arzt.« Wieder zuckte sie die Schultern. »Und als die Schmerzen dann schlimmer wurden, habe ich mir aus der Apotheke ein leichtes Schmerzmittel geholt. Aber das hilft jetzt nicht mehr.«

  Dr. Daniel zeigte sein Entsetzen ganz offen. Es war ihm unbegreiflich, wie ein Mensch so nachlässig mit seiner Gesundheit umgehen konnte, doch es hatte keinen Sinn, Konstanze Heger jetzt noch Vorwürfe zu machen.

  »Was sind denn das für Schmerzen?« wollte er daher nur wissen.

  »Tja, wie soll ich das beschreiben? Ziehende Schmerzen… manchmal sticht es auch. Ich weiß nicht so recht… es tut einfach schrecklich weh.«

  »Und wo sitzt dieser Schmerz?«

  Konstanze fuhr mit einer Hand über ihren Unterbauch. »Hier überall.«

  »Haben Sie sonst noch etwas an sich festgestellt… irgendeine andere Veränderung? Blutungen, Ausfluß oder etwas in der Art?«

  Konstanze runzelte die Stirn. »Ja, ich hatte öfter mal Zwischenblutungen, aber das kam bei mir auch vorher schon hin und wieder vor.«

  »Ich fürchte, das muß ich mir ansehen«, meinte Dr. Daniel und hatte dabei ein sehr ungutes Gefühl.

  Sein veränderter Tonfall fiel auch Konstanze auf. Und plötzlich erschrak sie.

  »Glauben Sie, daß das etwas… Schlimmes ist?« fragte sie plötzlich ängstlich.

  »Das kann ich so nicht sagen«, wich Dr. Daniel aus. »Allerdings wäre es in jedem Fall besser gewesen, Sie wären früher zu mir gekommen.« Er stand auf. »Gehen wir nach nebenan, dann werde ich Sie untersuchen.«

  Konstanze folgte ihm in den Nebenraum und machte sich auf seine Aufforderung hin hinter dem dezent gemusterten Wandschirm frei, dann legte sie sich auf den gynäkologischen Stuhl.

  »Ich werde erst mal einen Abstrich nehmen«, erklärte Dr. Daniel, während er mit seinem fahrbaren Stuhl näher rückte. Er griff nach den Instrumenten, doch schon ein erster Blick in den Gebärmutterhals ließ ihm den Atem stocken. Er wußte genau, daß hier kein Abstrich mehr nötig war. Vorsichtig zog Dr. Daniel die Instrumente zurück und stand auf.

  »Kleiden Sie sich bitte wieder an, Frau Heger«, bat er, und seine Stimme klang dabei ein wenig rauh. »Ich muß Sie sofort in die Klinik überweisen.«

  Konstanze erschrak. »Ist es so schlimm?«

  Dr. Daniel nickte. »Ich fürchte schon. Deshalb will ich hier auch keine Zeit vertrödeln, indem ich Untersuchungen durchführe, die in der Klinik sicher wiederholt werden würden. Bitte, Frau Heger, ziehen Sie sich an, dann fahre ich Sie persönlich nach München.«

  »Nach München?« wiederholte Konstanze gedehnt, während sie vom Untersuchungsstuhl stieg. »Wieso denn das? Steinhausen hat doch jetzt auch ein Krankenhaus.«

  »Das stimmt, aber ich will Sie bei einem Spezialisten haben«, erklärte Dr. Daniel, dann verließ er das Untersuchungszimmer.

  »Fräulein Meindl«, wandte er sich an seine junge Empfangsdame. »Ich muß dringend nach München. Nehmen Sie für heute keinen Termin mehr an. Ich weiß nicht, wann ich in die Praxis zurückkomme.«

  Gabi Meindl nickte. »Ist in Ordnung, Herr Doktor.«

  Doch das hörte Dr. Daniel schon nicht mehr. Er wandte sich Sarina zu.

  »Leisten Sie Frau Heger ein bißchen Gesellschaft«, bat er. »Ich muß Professor Thiersch anrufen.«

  Obwohl Sarina noch nicht lange in der Praxis von Dr. Daniel arbeitete, wußte sie, was das bedeutete. Konstanze Heger schien an einer schrecklichen Krankheit zu leiden.

  Dr. Daniel wartete Sarinas Zustimmung gar nicht erst ab. Er wußte, daß er sich auf seine Sprechstundenhilfe blind verlassen konnte. Mit langen Schritten ging er zu seinem Ordinationszimmer und schloß gewissenhaft die Tür hinter sich. Er wollte nicht, daß Konstanze Heger von seinem Telefongespräch etwas mitbekommen würde.

  Hastig wählte er eine Münchner Nummer und wartete dann ungeduldig darauf, daß sich endlich jemand von der Thiersch-Klinik melden würde.

  »Thiersch-Klinik, guten Tag«, erklang in diesem Moment eine freundliche Frauenstimme.

  »Hier Dr. Daniel aus Steinhausen. Verbinden Sie mich bitte mit dem Herrn Professor. Es ist dringend.«

  Es knackte in der Leitung, dann ertönte die herrische Stimme des Chefarztes.

  »Thiersch!«

  »Guten Tag, Herr Professor, hier Daniel«, begann er, doch weiter kam er gar nicht erst.

  »Was wollen Sie um diese Zeit noch von mir, Daniel?« fragte Professor Thiersch im üblichen barschen Ton. »Es ist Freitag, und ich habe mir mein Wochenende redlich verdient.«

  »Daran besteht kein Zweifel, Herr Professor«, entgegnete Dr. Daniel. »Aber es ist wirklich dringend. Es geht um eine Patientin von mir, Frau Konstanze Heger. Ich möchte Sie bitten, möglichst heute noch eine umfangreiche Untersuchung durchzuführen.«

  »Sind Sie noch zu retten, Daniel?« bellte der Professor ins Telefon. »Glauben Sie denn, wir haben hier nichts anderes zu tun, als auf Ihre Patienten zu warten?«

  »Herr Professor, ich würde Sie nicht bitten, wenn es nicht wirklich dringend wäre«, betonte Dr. Daniel noch einmal. »Es besteht bei Frau Heger der begründete Verdacht auf ein ausgedehntes Zervixkarzinom. Sie hat Schmerzen… seit einem halben Jahr.«

  »Verdammt«, knurrte Professor Thiersch, dann änderte er seinen Ton plötzlich. »Bringen Sie sie her, Daniel. Wir werden alle nötigen Untersuchungen durchführen, und wenn es noch Sinn hat, operiere ich morgen.«

  »Morgen ist Samstag«, wagte Dr. Daniel einzuwenden, obwohl er wußte, daß so etwas für Professor Thiersch bedeutungslos war, wenn es um ein Menschenleben ging.

  »Na und?« brüllte der auch schon ins Telefon. »Ist es nun dringend oder nicht?« Und dann legte er einfach auf.

  Dr. Daniel seufzte. Warum fühlte er sich im Gespräch mit Professor Thiersch immer wieder wie ein dummer kleiner Junge?

  »Er hat schon eine ganz besondere Art, mit Menschen umzugehen«, murmelte sich Dr. Daniel zu, dann betrat er durch die Zwischentür das Untersuchungszimmer, in dem Konstanze Heger in Gesellschaft der Sprechstundenhilfe auf ihn wartete.

  »Kommen Sie, Frau Heger«, erklärte er. »Fahren wir sofort los.«

  »Herr Doktor, bitte, sagen Sie mir doch, was meine Schmerzen zu bedeuten haben«, bat Konstanze. »Ist es… Krebs?«

  »Möglicherweise«, räumte Dr. Daniel ein. »Genaues kann erst eine gründliche Untersuchung ergeben, aber selbst wenn es Krebs sein sollte, dann sind Sie bei Professor Thiersch in den besten Händen.«

  »O Gott«, stöhnte Konstanze, und dann schlug sie beide Hände vors Gesicht. »Ich hätte früher zu Ihnen kommen sollen, aber ich dachte… wegen so ein bißchen Bauchschmerzen… erst als die Medikamente nichts mehr nützten…«

  »Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern«, meinte Dr. Daniel, während er mit seiner Patientin die Praxis verließ, dann sperrte er sein Auto auf und ließ Konstanze einsteigen, bevor er sich hinter das Steuer setzte und losfuhr.

  Eine gute halbe Stunde später hielt er seinen Wagen auf dem Parkplatz der Thiersch-Klinik an.

  »Ein Stückchen müssen wir noch gehen«, erklärte er, aber Konstanze nickte nur völlig geistesabwesend.

  Dann erreichten sie den Haupteingang der Klinik, doch Dr. Daniel hielt sich hier nicht lange auf. Er steuerte auf einen düsteren Flur zu, an dessen Ende das Zimmer des Chefarztes lag.

  Nach kurzem Anklopfen betrat er das Vorzimmer.

  »Professor Thiersch erwartet uns«, erklärte er und vergaß in seiner Sorge völlig, sich vorzustellen oder die Sekretärin des Professors wenigstens zu begrüßen.

  Herta Bogner wußte allerdings, wen sie vor sich hatte, und machte daher nicht viele Umstände. Über die Gegensprechanlage meldete sie Dr. Daniel an.

  »Herein mit ihm!« bellte der Professor in den Apparat, und als Dr. Daniel mit seiner Patientin das Nebenzimmer betrat, kam er ihm ein paar Schritte entgegen – ein kleiner, untersetzter Mann Mitte Sechzig mit dicker Hornbrille, die ihm ein strenges Aussehen verlieh, was von seiner forschen, manchmal unfreundlichen Art noch unterstrichen wurde.

  »Es ist alles vorbereitet, Daniel«, erklärte er knapp. »Gehen wir in die Untersuchungsräume.«

  Und ohne Konstanze Heger eines Blickes zu würdigen, verließ Professor Thiersch mit kurzen, energischen Schritten sein Büro. Dr. Daniel, den den Professor seit mittlerweile fünfundzwanzig Jahren kannte, wußte, daß diese unhöfliche Art nur Ausdruck seiner Sorge um die Patientin war. Konstanze hatte davon natürlich keine Ahnung.

  »Herr Doktor, ich flehe Sie an, lassen Sie mich nicht bei diesem ungehobelten Menschen«, bat sie flüsternd.

  Tröstend griff Dr. Daniel nach ihrer Hand. »Keine Sorge, Frau Heger, der Professor ist nicht so ruppig wie er tut, und das Schicksal seiner Patienten liegt ihm sehr am Herzen.«

  »So sieht er aber nicht aus«, erwiderte Konstanze.

  »Professor Thierschs Art ist sehr gewöhnungsbedürftig«, gab Dr. Daniel bereitwillig zu. »Und ich kann Ihnen versichern, daß ich während meiner Assistenzzeit, die ich hier an der Klinik absolviert habe, schwer damit zu kämpfen hatte. Aber glauben Sie mir, der Professor ist ein herzensguter Mensch – auch wenn er es nicht so recht zeigen kann.«

*

  In den sehr modern und zweckmäßig ausgestatteten Untersuchungsräumen der Thiersch-Klinik warteten der Oberarzt, Dr. Rolf Heller, und der neue Stationsarzt, Dr. Sebastian Kreis, bereits auf die Patientin. Dr. Kreis nahm Konstanze gleich in Empfang und begleitete sie fürsorglich zu einem riesigen Gerät.

  »Keine Angst, Frau Heger«, meinte er mit einem freundlichen Lächeln. »Ihnen wird hier nichts passieren. Wir müssen ein Computertomogramm machen. Das ist nichts anderes als eine Röntgenaufnahme. Es tut also nicht weh.«