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PeP eBooks erscheinen in der Verlagsgruppe Random House
Copyright © 2006 by Christoph Hardebusch
Copyright © 2006 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Karten: Andreas Hancock, Animagic
Redaktion: Angela Kuepper
ISBN 978-3-894-80983-6
V003
www.pep-ebooks.de
Karten
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Dramatis Personae
Prolog
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Epilog
Danksagung
Über das Buch
Über den Autor
Copyright
Schwarz und einsam will mein Weg mir scheinen Den nur kennt, wer selbst ihn auch bereist Schert sich der Tod, wer bald um mich wird weinen? Kalter Gräber Finger umklammern meinen Geist
SALTATIO MORTIS, SEHNSUCHT
Trolle
Anda
Druan
Pard
Roch
Turk
Zdam
Wlachaken
Freie Wlachaken
Aurela Dan Schankmaid und Rebellin in Teremi
Cartareu Heiler in Désa, Vater von Livian
Costin Kralea Maler und Rebell in Teremi
Cron Stammesführer aus dem Mardew
Danae Späherin aus dem Mardew
Eregiu Amânas Voivode von Zalsani und Vater von Mihaleta
Flores cal Dabrân Söldnerin aus Teremi, Schwester von Sten cal Dabrân
Giorgas Schuster und Rebell in Teremi
Ionna cal Sares Herrscherin im Mardew, Sitz in Désa, auch genannt die Löwin von Désa
Istran Ohanescu Rebell in Désa
Leanna cal Pascali Rebell in Désa
Linorel cal Doleorman Hafenarbeiterin und Rebellin in Teremi
Livian Heilerin in Désa, Tochter von Cartareu
Natiole Târgusi Rebell aus dem Mardew
Neagas Rebell aus dem Mardew
Octeiu Rebell in Teremi
Reza Verwalter in Désa
Sten cal Dabrân Rebell, Bruder von Flores cal Dabrân
Tamos Späher und Rebell aus dem Mardew
Vangeliu Geistseher
Geiseln in Teremi
Cipriu Geisel an Zorpads Hof
Leica cal Poleamt Geisel an Zorpads Hof
Mihaleta Amânas Geisel an Zorpads Hof, Tochter von Eregiu Amânas
Suhai Geisel an Zorpads Hof
Viçinia cal Sares Geisel an Zorpads Hof, Schwester von Ionna cal Sares
Historische Personen und andere
Ana cal Dabrân Mutter von Sten und Flores, verstorben
Carein Ilias Majordomus in Dabrân, verstorben Historischer Held
Larea Wirt in Teremi
Léan Peres Historische Königin Historischer Held, auch genannt der Tänzer Petriu Treidler
Radu Sitei cal Dabrân Historischer erster König, auch genannt der Heilige Vater von Sten und Flores, verstorben
Tirea Traia Historischer letzter König Jägerin in Teremi
Masriden
Hof von Zorpad Dîmminu
Avram Waffenmeister in Teremi
Bàjza Majordomus in Teremi
Hernád Händler in Teremi
Imreg Kóvasz Sonnenmagier in Starig Jazek Diener von Hernád in Teremi
Lájos Matyás Pájòs Tamlós Zorpad Dîmminu Sonnenpriester in Starig Jazek, Lángor Söldling in Teremi Sonnenpriester in Starig Jazek Sonnenpriester in Starig Jazek Herrscher über den Sadat, Sitz in Teremi
Andere Höfe
Bankóth Gesandter in Désa
Gyula Békésar Laszlár Szilas Herrscher über das Cireva, Sitz in Turduj Herrscher über das Valedoara, Sitz in Bracaz
Maiska Kriegerin in Turduj
Historische Personen und andere
Arkas Dîmminu Historischer König
Mikás Historischer Sonnenpriester
Szarken
Hof von Zorpad Dîmminu
Ezro Soldat von Hernád in Teremi
Házy Csiró von Dabrân
Mirela Zofe in Teremi
Sciloi Kaszón Untergebene von Zorpad in Teremi
Szàrbed Heilerin aus Baça Mare
Andere Völker
Hesoates Historischer Poet aus dem Dyrischen Imperium
Sargan Vulpon Abenteurer aus dem Dyrischen Imperium
Zwerge
Ansprand, Sohn des Anthar Schlachtenmeister
Bodvarr, Sohn des Balldor Historischer Held, Elfenschlächter
Erko, Sohn des Elkoin Arachnidenmeister
Goldulf, sohn des Gripert Krieger, Anführer 3. Kompanie
Gunolf der Gerechte König unter dem Berge
Hrodgard, Sohn des Haldigis Kriegsmeister des Kleinen Volkes
Larnard Schmiedemeister
Olging, Sohn des Orild Arbeiter
Reccard, Sohn des Rotald Gesandter des Königs
Teinelm, Sohn des Timold Krieger, Anführer 2. Kompanie
Elfen
Ruvon Jäger im Norden des Landes
In den Eingeweiden der Welt, weit unter dem Land, herrschten ewige Wärme und Dunkelheit. Endlose Tunnel und Höhlen zogen sich durch die Knochen der Berge und boten unzählige Verstecke.
Keine grausame Sonne, die den Leib verbrannte, beherrschte hier die Tage, und dennoch gab es Wärme, um die peinigende Kälte zu vertreiben, die von dem Dunkelgeist Besitz ergriffen hatte. So konnte er träumen und schlafen und seine Schmerzen vergessen. In den Traumgesichten sah er das Land, dessen Schicksal untrennbar mit dem seinen verwoben war und das seine Macht durchdrang. Manchmal war sein Schlaf ruhig und friedlich, dann wieder störten Bilder von Blut und Tod seine Ruhe und peinigten ihn. Früher sangen die Menschen für ihn, besänftigten seinen Geist, linderten die Schmerzen mit ihren Gesängen, doch diese Zeiten waren längst vergangen.
Weit über dem Dunkelgeist schritten die Sonnenjahre voran und Jahreszeiten wechselten im ewigen Spiel. Menschen lebten und lachten, weinten und vergossen Blut. Kinder wuchsen heran und starben. In den Tiefen der Berge schürften Zwerge und lebten Trolle, doch sie mieden den Ort seiner Ruhe und fürchteten seine Macht.
Kriege drangen in seine Träume, oder waren es seine Träume, welche in die Kriege drangen? Seit dem Verrat und der nachfolgenden Flucht aus der Welt war sein Geist zerbrochen, und der Dunkelgeist vermochte in den Scherben seiner Wahrnehmung keinen Sinn mehr zu erkennen. Sein einziges Ziel war Vergessen, denn die Erinnerungen brachten Schmerzen und Trauer. Alle Gefühle hatten ihn verlassen, außer dem Zorn und der Pein, deren Stimmen die einzigen waren, welche noch in der Dunkelheit seines Verstandes flüsterten.
Doch selbst im Schlaf drangen Teile der Welt an sein Bewusstsein, und ein neuer Gesang ertönte aus menschlichen Kehlen. Dieser sandte feurige Finger, die sich um den Dunkelgeist legten und seinen Leib vor Schmerz erbeben ließen. Der Druck dieser Finger ließ nur einen Ausweg, nur eine Flucht zu, und so folgte der Gepeinigte diesem Weg, schrie seine Qualen in die Dunkelheit hinaus und ließ das Gestein, das Fundament des Landes selbst, unter seiner Macht erzittern. Höhlen brachen in sich zusammen, Tunnel stürzten ein, und harter Fels begrub Dutzende von Trollen unter sich. Denn auch wenn der Verstand des Dunkelgeistes zersprungen war, so waren die Kraft und die Verbindung zu dem Land zwischen den Bergen geblieben.
Mit dem Schrei verhallten auch die Schmerzen, und die Träume beruhigten sich, doch unaufhaltsam glitt das Wesen aus den Tiefen des Schlafes und des Vergessens empor in die Welt von Sonne und Wind und Regen, und sein Atem durchdrang mit neuer Kraft Erde, Wald und Stadt, Mensch, Elf und Tier.
Der Wald lag in den Abendstunden ruhig da. Kaum ein Tier war zu hören, während die letzten Strahlen der Sonne durch sein Blattwerk drangen. Mächtige, moosbewachsene Bäume ragten Dutzende von Schritten in die Höhe, und zwischen ihnen bildeten Büsche und Farne ein undurchdringliches Unterholz. Als die Hufschläge des Reitertrupps schließlich verhallten, kehrten auch die alltäglichen Geräusche des Forstes zurück und erinnerten Sten an die vielfältigen Gefahren, die sein Leben bedrohten.
Vergeblich rüttelte er an den dicken Eisenstangen seines Käfigs. Natürlich gaben sie nicht nach. Alles in allem haben meine Feinde gute Arbeit geleistet, ging es Sten durch den Kopf.
Auch wenn er aufrecht sitzen konnte, solange er die Beine herausbaumeln ließ, war der Käfig eng und unbequem und schaukelte bei jeder Bewegung. Die kalten Stangen drückten sich gegen Stens nackte Haut und gruben sich schmerzhaft in sein Fleisch. Zu eng waren sie, als dass er hätte hindurchschlüpfen können, doch ohne Frage würde das Maul eines Wolfes oder die Tatze eines Bären ihn erreichen können.
Marczeg Zorpads Krieger hatten die Eisenkonstruktion sorgfältig überprüft und den schweren Bolzen mit Hammerschlägen in der Verankerung verkeilt. Ohne Werkzeug war es unmöglich, den Eisenstift zu entfernen und die kleine Tür zu öffnen. Die Kette, mit welcher der Käfig an dem dicken Ast befestigt war, war ebenso fest und zuverlässig geschmiedet. Auch der Baum war gut ausgewählt, ein altes starkes Eichengewächs, an dessen Stamm feuchtes Moos emporwuchs. Dieser Baum hatte noch viele Jahrhunderte Leben vor sich und würde noch weiter wachsen, wenn Sten schon lange in dem Käfig verrottet war. Die Freiheit war nur zwei Schritt unter ihm, und sie leuchtete im Abendlicht verlockend grün, doch Sten hätte in seinem Käfig statt den zwei Schritt auch hundert hoch hängen können, denn der Boden blieb für ihn unerreichbar.
Wenn er bedachte, dass Zorpad das Aussetzen eines Mannes in den düsteren Wäldern seiner Heimat von Stens eigenem Volk, den Wlachaken, übernommen hatte, so konnte er durchaus die Ironie seiner ausweglosen Lage erkennen. Die Idee aber, den Verurteilten in einen Metallkäfig zu stecken, stammte natürlich von den Masriden. Früher hatte man die Verbrecher einfach mit festen Stricken an die Bäume gebunden. In den alten Tagen war dies eine Art Gottesurteil gewesen, und nicht wenige Lieder seines Landes erzählten von jenen, die durch Glück oder Geschick dem sicheren Tod entkommen und zurückgekehrt waren, um Rache zu nehmen an jenen, die ihnen den Tod hatten bringen wollen.
Sten lachte bitter auf. Die neuen Herren des Landes wollten allemal sicherstellen, dass die Götter ihre Urteile im Sinne der Masriden fällten. Oder besser gesagt ihr Gott, denn sie verhöhnten die alten Geister des Landes und unterdrückten den Glauben an diese, wo immer sie auf ihn stießen.
Ohne fremde Hilfe würde Sten sich aus dieser Falle nicht befreien können, und so tief im Wald verborgen würde ihn niemand finden, bevor er starb. Das grobe Hemd, das sie ihm als einziges Kleidungsstück gelassen hatten, bot wenig Schutz vor den Elementen. Hinzu kamen die Auswirkungen der Folter, die Sten nicht gerade widerstandsfähiger gemacht hatte. Er konnte sich gut vorstellen, wie er aussah, nur mit dem schmutzigen Leinenhemd bekleidet, überall grün und blau geschlagen, das lange, dunkle Haar strähnig und verfilzt, das schmale Gesicht von Erschöpfung, Schmerz und Schlafmangel gezeichnet.
Vermutlich sehe ich jetzt schon aus wie ein wandelnder Toter, dachte Sten und grinste finster.
Es schien tatsächlich an der Zeit zu sein, sich mit dem Gedanken an den Tod abzufinden. Schnell verdursten würde der junge Krieger nicht, dazu war es zu feucht, und vermutlich würde es in den nächsten Tagen mehr als genug regnen. Wenn er also nicht verhungerte, würde ihn eine der unzähligen Gefahren der dunklen Wälder das Leben kosten.
Auf der Flucht vor den Häschern des Marczegs der Masriden war Sten oft tief in den Wald eingedrungen, und er wusste mehr als genug über den dunklen Forst. Viele Geschichten, die man sich nachts an den Feuern erzählte, waren natürlich Ammenmärchen, aber unter all dem Aberglauben verbarg sich auch ein Körnchen Wahrheit. Es gab gute Gründe, den Wald zu meiden, und je tiefer man sich hineinwagte, desto gefährlicher wurde es. In den lichtlosen Tiefen schlichen Kreaturen durch das Unterholz, denen man besser aus dem Weg ging. Wölfe und Bären, die den Städtern und Bauern solche Angst einjagten, wirkten gegen diese geradezu harmlos. Schlimmere Dinge als Tiere, die ohnehin die Nähe der Menschen eher mieden, bedrohten den Wanderer im Herzen des Forstes. Und in der Nacht kamen diese Kreaturen aus ihren Löchern gekrochen auf der Suche nach Opfern und Beute.
Die spitzohrigen Vînai waren gnadenlose Jäger, die Mensch und Tier aus bloßer Freude am Töten mit ihren zielsicheren Pfeilen spickten. Sie duldeten keinerlei Eindringen in ihre Länder im Herzen des Waldes. Neben ihnen gab es die verfluchten Zraikas, die in eine fremde Gestalt schlüpfen konnten und mit ihren tödlichen Reißzähnen und Klauen kaum zu besiegen waren. Von anderen dämonischen Kreaturen hatte Sten nur gehört, doch auch in den geflüsterten Geschichten mochte durchaus ein Körnchen Wahrheit stecken. Vermutlich würde er es schon bald herausfinden. Er lachte freudlos, als er daran dachte, dass diese Bekanntschaft wohl eine kurze und äußerst unerfreuliche werden würde.
Inzwischen war die Sonne gänzlich hinter den Bergen verschwunden und beleuchtete nur mehr die niedrig hängenden Wolken am Himmel. Zusammen mit dem letzten Licht der Sonne schwand auch Stens letzte Hoffnung auf Rettung. Wenige würden es wagen, nachts in die Wälder einzudringen, selbst wenn sie denn überhaupt wüssten, dass Sten noch lebte.
Immerhin ist es hier ein wenig gemütlicher als in Zorpads Kerkern, dachte Sten grimmig und versuchte eine bequemere Sitzposition zu finden, doch irgendwie schien er überall blaue Flecken zu haben. Vielleicht finde ich heute Nacht ja sogar etwas Schlaf, immerhin prügeln seine Häscher nicht mehr auf mich ein.
Aber an Schlaf war kaum zu denken, auch wenn Sten von den Entbehrungen der letzten Tage und den Verhören stark erschöpft war, denn zu unbequem war sein luftiges Gefängnis. Dazu kreisten seine Gedanken unablässig um seine Freunde und die Gefahren, die ihnen drohten.
Mit der Dunkelheit drangen mehr und mehr fremdartige Geräusche an seine Ohren, Tiere schrien, das Laub raschelte, und immer wieder erhaschte Sten aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Die einsetzende Dunkelheit verwandelte den Wald, die Bäume erhoben sich als dunkle Schatten, und zwischen ihnen herrschte schon bald Finsternis, die alle möglichen Schrecken verbergen mochte. Zunächst schien noch der Mond, doch dann türmten sich dunkle Wolken am Himmel auf. Bald schon konnte der Wlachake nur noch wenige Schritt weit sehen, was das nächtliche Spektakel der Waldtiere noch unheimlicher machte. Aber schließlich gewann die Erschöpfung Oberhand, und Sten verfiel in düstere Träume, die von einem Unwetter beendet wurden.
Eiskalter Regen weckte ihn, und der grollende Donner ließ ihn zusammenzucken. Kalte Winde zerrten an seinem Leinenhemd und trieben den Regen fast waagerecht vor sich her. Innerhalb weniger Augenblicke war Sten vollkommen durchnässt und fror erbärmlich.
Immer wieder schlugen Blitze in der Ferne ein, erhellten die Landschaft für einige Augenblicke, gefolgt von mächtigen Donnerschlägen. Sten konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch wütenden Sturm erlebt zu haben. Vielleicht lag es aber auch nur an seiner unbequemen Warte, die ihn dem Zorn der Elemente schutzlos auslieferte. Der schwere Eisenkäfig schaukelte im Wind, der Ast knarrte bedrohlich, und es kam Sten so vor, als werde er sogleich zu Boden stürzen. Doch die starke Eiche hielt und würde wohl zur letzten Ruhestätte für Sten cal Dabrân werden.
Mutlos kauerte er sich zusammen und schlang die Arme um den Oberkörper, um sich ein wenig zu wärmen. Vielleicht würde er schon in dieser Nacht erfrieren, denn zu dem Regen gesellten sich jetzt auch noch eisige Hagelkörner, die ihn schmerzhaft trafen.
Niemals seine Heimat wiedersehen, seine Familie, seine Freunde … Verzweiflung überkam ihn und raubte ihm die letzte Kraft aus den müden Gliedern. So saß er da, während das Unwetter um ihn herum tobte. Er musste an Flores’ warnende Worte bei ihrem letzten Treffen denken, die er so leichtfertig in den Wind geschlagen hatte. Seine letzten Worte seiner Schwester gegenüber waren absichtlich verletzend gewesen, und nun würde er sterben, ohne sie wieder gutmachen zu können.
Ein Knacken, das sogar das Rauschen der Bäume im Wind übertönte, ließ ihn aufschrecken. Hastig suchte er mit Blicken die kleine Lichtung ab, doch in der Dunkelheit konnte er wenig erkennen, bis ein gezackter Blitz über den Himmel zuckte und den Wald für einen Augenblick erleuchtete. Grelle Nachbilder tanzten durch Stens Blickfeld, mehrere riesige, menschenähnliche Gestalten, die auf der Lichtung standen. Es dauerte einige hämmernde Herzschläge lang, bis sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, Herzschläge, in denen er sich einredete, dass er sich getäuscht habe, dass dort in der Nacht nichts gewesen sei.
Und dann sah er sie, schwarze Schatten vor der Dunkelheit des Waldes. Vier, nein fünf, fast doppelt so groß wie ein Mann, mit mächtigen Schultern und langen, muskulösen Armen. Wie von Sinnen vor Angst warf sich Sten gegen die Stangen des Käfigs, um ihnen zu entkommen. In der Finsternis sah er eines der Ungeheuer auf sich zugehen. Verzweifelt versuchte Sten von dem Wesen wegzukommen, doch es war unmöglich. Hilflos musste er zusehen, wie der Schatten sich näherte, bis die Kreatur kaum eine Armeslänge entfernt stehen blieb. Obwohl der Käfig sicherlich zwei Schritt über dem Boden hing, war es dem Monstrum ein Leichtes hineinzuspähen. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel, wieder war die Lichtung für einen Herzschlag in Licht getaucht.
Abgrundtiefe Furcht erfüllte Sten, als er das ebenso massige wie hässliche Haupt sah. Der Kopf war grob menschlich, doch die Linien des Gesichts verliefen nahezu gerade, und die hohen Wangenknochen und das kantige Kinn wirkten wie in Stein gemeißelt. Sein Magen zog sich zusammen, als er die Augen sah, die sich unter knochigen Brauen verbargen, während die Ohren viel zu klein für den riesigen Kopf schienen. Die Stirn war flach und seltsam gefurcht, und darüber ragten fingerdicke, hornige Auswüchse auf, die Sten in Ermangelung eines besseren Wortes als Haare bezeichnete. Zudem wölbten sich zwei mächtige, lange Hörner von der Stirn über den Schädel, was dem Monstrum ein dämonisches Aussehen gab. Am Furcht einflößendsten jedoch war das Maul der Kreatur, breit und mit vollen Lippen, hinter denen gewaltige Hauer wie die eines Ebers zum Vorschein kamen, als es sie hämisch zurückzog.
Unfähig, sich zu rühren oder gar etwas zu sagen, starrte Sten auf die albtraumhafte Erscheinung. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell, als das Monstrum mit einer der riesigen Pranken nach dem Käfig griff und ihm einen Stoß versetzte, der Sten durch Mark und Bein fuhr. Schließlich beugte es sich nach vorn, und Sten konnte ein Schnaufen hören, als wolle es in der Dunkelheit seine Witterung aufnehmen. Nach einer schier endlosen Zeit wandte sich das Wesen ab und stapfte zurück zu seinen Gefährten.
Der Regen dämpfte die Geräusche, die es von sich gab, aber Sten vernahm raue Laute, die tief aus der Kehle kamen. Bevor er sich einen Reim auf diese Ungeheuer machen konnte, kehrte eines zu ihm zurück, ergriff ohne viel Federlesens die Eisenstangen des Käfigs und rüttelte an ihnen. Sten wurde von einer Seite auf die andere geschleudert und schlug schmerzhaft gegen die harten Gitterstäbe. Verzweifelt klammerte er sich fest, bis das Monstrum von dem Käfig abließ und ihn musterte.
»Sprichst du?«, fragte es unvermittelt. Die Worte klangen kehlig, aber verständlich. Bei allen Geistern, das Geschöpf spricht meine Sprache!
Für einen Herzschlag lang war Sten zu überrascht, um zu antworten, doch als das Wesen wieder nach dem Käfig griff, beeilte er sich zu bejahen: »Ja! Ja, ich kann sprechen.«
»Gut. Was tust du hier?«, grollte die tiefe Stimme über die Lichtung.
»Äh. Sterben? Ich bin gefangen und soll hier verrecken«, antwortete Sten.
»Gefangen? Von wem?«
»Sein Name ist Zorpad.«
»Zorpad? Wer ist Zorpad?«
»Er ist ein Mensch. So wie ich auch.«
»Wir wissen, was Menschen sind«, sagte das Wesen mit donnernder Stimme.
»Zorpad ist der Herr dieses Landes. Oder zumindest wäre er das gern«, sagte Sten rasch.
Sein Gegenüber legte misstrauisch den gewaltigen Kopf schief. »Nicht so schnell«, knurrte es. »Gibt es noch mehr Menschen hier? Oder bist du allein?«
»Ich bin allein.«
Diesmal wandte das Wesen sich an seine Begleiter und brüllte quer über die Lichtung: »Er ist allein«, was diese veranlasste, sich zu nähern und sich neugierig um den Käfig herum aufzubauen. Plötzlich war Sten von einer Hand voll gewaltiger Kreaturen umgeben, die ihn neugierig musterten. Ihre hässlichen Schädel näherten sich dem Käfig, und die dunklen Augen wanderten über Sten, als sei er ein Stück Vieh auf dem Markt. Einige von ihnen schnüffelten an dem Käfig, und Sten konnte ihren beißenden Atem riechen. Andere berührten die Eisenstangen und stupsten Sten mit ihren dicken Fingern an, deren harte Nägel wie Krallen geformt waren. Der Regen prasselte auf ihre Leiber und lief in Strömen an ihnen herab, doch die Nässe und Kälte schienen ihnen nichts auszumachen.
»Wo ist der Herr des Landes?«, erkundigte sich der bisherige Sprecher.
»In seiner Burg, bei Teremi. Was, bei allen Dunkelgeistern, seid ihr?«, entfuhr es Sten.
»Wir sind Trolle!«, entgegnete das Wesen stolz und richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf, während Sten der Schrecken in alle Glieder fuhr. Seit vielen Jahren hatte man keine Trolle mehr gesehen, und inzwischen hieß es, dass sie ausgestorben seien – oder vielleicht sogar, dass sie niemals mehr als Legenden gewesen seien. Jetzt aber standen sie vor ihm, Kreaturen, die albtraumgleich aus finsteren Geschichten zurückgekehrt waren.
Schlagartig fiel Sten die Legende von Peres dem Tänzer ein, der glaubte, einen riesigen Troll getötet zu haben, nur um dann festzustellen, dass dieses gewaltige Monstrum trotz des Schwertes in seinem Schädel noch lebte. Und das Tänzer, dessen Ruf als Schwertkämpfer legendär war, erschlug und schließlich mit Haut und Haaren verschlang. Menschenfresser!, dachte Sten entsetzt. Da wären selbst die grausamen Vînai besser gewesen, denn ihre Pfeile bringen wenigstens ein rasches Ende.
»Töten wir ihn«, sagte der Troll in diesem Augenblick und griff mit den Klauen nach dem Käfig.
»Warte«, widersprach ein anderer und legte dem Sprecher die Hand auf die Schulter. Für einen Augenblick schwebten die gewaltigen Pranken wie der leibhaftige Tod vor Stens Augen, dann ließ der Troll die Arme sinken.
»Wie heißt du?«, fragte sein Lebensretter.
»Sten cal Dabrân ist mein Name.«
»Ich bin Druan. Erzähl mir von dem Herrscher, Zorkad?«
»Zorpad. Was soll ich sagen? Er ist nicht der wahre Herrscher, dies ist nicht sein Land, und …«
»Lass uns endlich weitergehen. Die Sonne geht bestimmt bald auf«, unterbrach der erste Troll, ohne Stens Worten auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
»Wir müssen mehr erfahren«, entgegnete Druan ungerührt, bevor er sich wieder an Sten wandte: »Herrscht dieser Mensch über die ganze Oberwelt?«
»Nein, nur über dieses Land.«
»Wer herrscht über den Wald?«
Mühsam zuckte Sten mit den schmerzenden Schultern: »Ich weiß nicht. Die Vînai vielleicht? Die Elfen?«
»Er ist nutzlos. Töten wir ihn«, meldete sich der erste Troll wieder zu Wort, den Sten von Mal zu Mal unausstehlicher fand.
Das andere Monstrum setzte zu einer Erwiderung an. »Wir wissen nichts über die Oberwelt, Pard. Vielleicht kann uns der Mensch doch nützen.«
»Dann lass mich mit ihm reden, mir wird er schon alles sagen«, knurrte der erste Troll und ließ die gewaltigen Muskeln spielen.
»Möglicherweise kann ich euch eher helfen, wenn ihr mir genau sagt, was ihr wissen müsst«, warf Sten ein, bevor die Geschehnisse einen üblen Verlauf für ihn nehmen konnten. »Lasst mich heraus, dann helfe ich euch.«
Einen Augenblick zögerte der Troll namens Druan, dann nickte er langsam. »Wir nehmen dich mit.«
»Bist du verrückt, Druan?«, donnerte ihn einer der anderen Trolle an. »Wir sollen einen Menschen mit uns herumschleppen?«
»Wir können ihn immer noch töten«, antwortete Druan lässig, »wenn uns seine Antworten nicht gefallen.«
»Ich zerquetsche ihn jetzt!«
Der Schreihals legte die langen Arme um den Käfig und begann zu drücken. Ungläubig sah Sten, wie die dicken Metallstangen sich unter dem Griff des Trolls verbogen und ihm immer weniger Platz ließen. Dann jedoch gab es einen harten Schlag, und Sten wurde umhergeschleudert. Als er wieder wusste, wo oben und unten war, sah er einen der Trolle als massigen Schatten über einem anderen aufragen, der am Boden lag.
»Druan hat gesagt, dass wir ihn mitnehmen!«, brüllte der stehende Troll seinen Gegner an.
Allein der trommelnde Regen durchdrang die Stille, die auf das Geschrei folgte, während Sten ungläubig zu den Trollen hinübersah. Dann nickte der am Boden Liegende und sagte: »Ja, Pard«, bevor er sich mühsam aufrappelte. Der größte der Trolle, ein wahres Monstrum, schien demnach Pard zu heißen.
Verwirrt schaute Sten zu Druan, der sich unbeteiligt an dem gewaltigen Kopf kratzte. Bevor Sten etwas sagen konnte, fragte der Troll ihn: »Bist du ein Magier?«
Wenn ich einer wäre, dann würde ich kaum noch in diesem lausigen Käfig sitzen, dachte Sten. Laut sagte er: »Nein, ich bin kein Magier.«
»Gibt es Zauberer unter euch?«
»Ja, sicher …«
»Dann sag mir, wo ich sie finden kann!«
»Sprichst du von den Geistsehern oder dem Albus Sunasder Masriden?«
»Masriden? Was soll das sein?«
»Menschen. Zorpad ist einer von ihnen. Ein Volk, das über die Berge kam.«
»Und dieses Alb… Albas…«, stammelte Druan.
»Albus Sunas«, unterbrach ihn Sten. »Das sind die Priester des Masriden-Gottes. Sie glauben an das Licht der Sonne und an das Feuer.«
»Magier, die Sonne und Feuer verehren?«, fragte Druan mit zusammengekniffenen Augen.
»Ja. Sie zwingen den Menschen ihren Glauben auf, aber viele verehren die alten Götter und Geister weiterhin.«
»Sag mir, wo ich eure Zauberer finden kann.«
Verwirrt überlegte Sten, warum diesen Wesen an Magie gelegen sein könnte, doch ihm fiel beileibe nichts ein. Zugleich war er sich sicher, dass Unwissen oder gar Schweigen seinen Tod bedeuten würde, also antwortete er rasch: »Nun, in Teremi gibt es sicher welche.«
»Wo ist dieses Ter… Tera…?«
»Teremi. Richtung Süden, wohl einige Tage zu Fuß durch den Wald«, erwiderte Sten.
Mit einem bösartigen Funkeln in den Augen schlug der riesige Pard vor: »Töten wir ihn und brechen auf.«
Druan nickte ungerührt und wandte sich dann ab.
»He! So wartet! Was soll das? Ich habe euch alles erzählt!«, rief Sten.
»Eben. Wir brauchen dich nicht mehr«, entgegnete Pard kaltblütig, während ein anderer an den Käfig herantrat und nach Sten griff. Verzweifelt rüttelte dieser an den Gitterstäben.
»Doch! Ihr braucht mich! Ich kenne den Weg!«, widersprach der junge Krieger, aber das schien den Troll wahrhaftig nicht zu beeindrucken. Wieder legten sich gewaltige Pranken um die Stangen, die schon deutlich verbogen waren, und drückten sie enger und enger zusammen.
»Ihr kennt Zorpad nicht! Und seine Soldaten, seine Krieger! Sie lassen euch niemals in die Stadt, sie werden euch töten!«, schrie Sten, um das Quietschen des gepeinigten Metalls zu übertönen.
»Warte«, sagte Druan und legte Pard eine Hand auf die Schulter, »wie viele Krieger?«
»Hunderte! Zorpad ist ein mächtiger Mann. Er hat viele Männer und Frauen unter Waffen«, antwortete Sten hastig.
»Du sagst, du kannst uns helfen? Wie?«, fragte der Troll scharf.
»Ich weiß, wie man ungesehen nach Teremi hineinkommt. Und lebendig wieder heraus.«Obwohl ich beim letzten Mal nicht allzu erfolgreich war, fügte Sten in Gedanken hinzu. Aber das musste er den Trollen ja nicht gleich auf die Nase binden.
Wieder überlegte Druan eine Weile, bevor er sich an seine hünenhaften Begleiter wandte: »Wir nehmen ihn doch mit.«
Sofort brach ein Tumult unter ihnen aus. Offenbar waren zwei der Trolle mit Druans Vorschlag nicht einverstanden und weigerten sich, ihm zu gehorchen. Ihr Brüllen donnerte durch den Regen, doch schließlich setzte sich Druan durch.
»Wir nehmen den Käfig mit. Wir brauchen den Menschen vielleicht noch. Wir können ihn immer noch loswerden, wenn wir müssen.«
Einer der Trolle, der die Idee dennoch für schlecht hielt, machte seinem Unmut am Rande der Lichtung Luft. Sten konnte in der Dunkelheit wenig erkennen, doch die gewaltigen Schläge und die umherfliegenden Holzstückchen zeugten von der immensen Kraft des Monstrums. Ungläubig beobachtete Sten, wie ein Baum von den Fausthieben so zertrümmert wurde, dass er schließlich mit einem Krachen umfiel. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht gewesen, hier gefangen zu sein, dachte der junge Wlachake, als der Lärm wieder verklungen war.
»Hol ihn runter, Pard«, befahl Druan, woraufhin der größte der Trolle sich mit einem düsteren Blick näherte und abschätzend den Metallkäfig besah. Bevor der Wlachake reagieren konnte, legte Pard die mächtigen Arme um die Konstruktion und zog. Das Metall der Kette knirschte, aber es war der Ast, der den gewaltigen Kräften des Trolls zuerst nachgab. Mit einem ohrenbetäubenden Bersten zersplitterte das Holz. Zwei mal riss Pard noch an den Käfigstäben, was Sten beinahe den Magen umdrehte, bis der Ast schließlich vollkommen abbrach und auf den nassen Waldboden fiel. Achtlos ließ der Troll den Käfig den letzten Schritt bis zum Boden fallen, und Sten konnte gerade noch die Beine einziehen, bevor sie auf den Boden schlugen. Der Aufprall fuhr ihm durch Mark und Bein und sandte scharfe Schmerzwellen durch seinen Körper.
Eingeschüchtert sah Sten auf die Stäbe des Käfigs, die sich unter dem Griff von Pard weiter verbogen hatten. Dieses Monstrum, dieser Troll hätte den Käfig mitsamt dem menschlichen Inhalt wohl einfach zerquetschen können. Aber wenigstens spürte Sten jetzt den feuchten, weichen Waldboden durch die Gitterstäbe, was ihm eine Spur von Wirklichkeit in diesen Albtraum brachte. Er sah zu Druan empor, der nun über ihm aufragte: »Und nun?«
»Jetzt gehen wir.«
Damit packte der Troll die Reste der Kette, drehte seine Schulter unter diese und wuchtete sich den Käfig auf den Rücken, bevor er sich in Bewegung setzte. Die grobe Haut des Trolls schabte über die Eisenstäbe, als er ein- oder zweimal nachfasste, bis er einen sicheren Griff fand. Obwohl der Käfig fraglos so schwer war, dass Pferde ihn an dem Baum hatten hochziehen müssen, bereitete es Pard offenbar kein Problem, ihn samt Inhalt hochzuheben und gar mit sich herumzutragen.
Für lange Zeit konnte Sten wenig mehr sehen als die breiten, grauen Schultern und die seltsamen Hornauswüchse auf dem Kopf des Trolls, die er zuerst für Haare gehalten hatte, die aber bei näherer Betrachtung mehr wie dünne Weidenruten wirkten. Der Regen prasselte weiter auf die seltsame Gruppe nieder, doch jetzt war Sten nah genug an dem Troll, um dessen Geruch zu bemerken. Der Gestank der Kreatur war heftig und durchdringend, und er erinnerte Sten an ein wildes Tier.
Hin und wieder schob sich einer der massigen Trolle in sein Blickfeld, doch zumeist sah Sten nichts als Finsternis und die Umrisse der Bäume vor dem Himmel, die bedrohlich über ihm aufragten. Wieder fragte sich der Wlachake, ob er womöglich doch nur träume. Doch dann stapften die Trolle durch einen schnell fließenden Fluss, und das eisige Wasser, das über Stens Beine spritzte, ließ ihn spüren, dass dies kein Traum war, aus dem er aufwachen konnte.
Der Gestank von Blut und Tod erfüllte die Kavernen, aber wenigstens war das Stöhnen der Verwundeten verstummt. Mit grimmiger Zufriedenheit betrachtete Hrodgard, Sohn des Haldigis, was sich ihm in der großen Höhle darbot. Überall auf dem Boden lagen Trolle, die von seinen tapferen Kriegern getötet worden waren. Hier hatte der hitzigste Teil des Gefechts stattgefunden, hier hatten seine Feinde eine letzte Verteidigungslinie aufgestellt, um den Angehörigen ihres Stammes, die nicht kämpfen konnten, die Flucht zu ermöglichen. Wie ein Erdrutsch waren die Zwerge über die wenigen, bereits schwer angeschlagenen Verteidiger hergefallen, aber die verfluchten Trolle hatten mit einer Zähigkeit und Verbissenheit gekämpft, die ihresgleichen suchte.
Die Krieger des Zwergenvolkes hatten jeden einzelnen Gegner in der großen Höhle getötet. Noch hatten die Späher keine Meldung gemacht, was darauf schließen ließ, dass sie bisher keine Spur gefunden hatten. Sonst hätten sie längst das Heer davon in Kenntnis gesetzt, damit die Krieger die geflohenen Trolle verfolgen und stellen konnten … Der Gedanke verscheuchte Hrodgards Zufriedenheit und ließ ihn innerlich fluchen, denn sein Plan hatte nicht den gewünschten Erfolg gehabt.
Das letzte Auflehnen der Trolle hier in der Höhle hatte die Zwerge zu viel Zeit gekostet und dem restlichen Stamm die Flucht ermöglicht. Wären die Zwergenkrieger zeitig durch die Linie der Trolle gebrochen, dann hätten sie den Stamm ein für alle Mal ausrotten und den Krieg in diesem Teil der Berge beenden können.
»Kriegsmeister?«, erklang die Stimme eines Zwerges, der auf ihn zukam. Aus den Gedanken gerissen, sah Hrodgard auf und erkannte Tainelm, den Anführer der Zweiten Kompanie und Veteranen zahlloser Schlachten.
»Was ist, Tainelm?«
»Wir haben die Verwundeten in die oberen Gänge gebracht und versorgen sie dort, wie Ihr befohlen habt. Allerdings haben unsere Späher dort Spuren von Trollen gefunden. Anscheinend wurde eine Gruppe von dem Rest abgetrennt und bewegt sich nun in die höheren Ebenen«, berichtete der altgediente Krieger.
»Wie viele?«
»Eine Hand voll vielleicht, wohl nicht mehr als fünf.«
»Nimm die besten Krieger deiner Kompanie und jage sie, Kampfmeister Tainelm. Finde und vernichte sie vollständig«, befahl Hrodgard. »Ich werde das Ende dieser Pest in meinen Tunneln noch erleben!«
»Jawohl, Kriegsmeister. Und noch etwas …«, fuhr Tainelm fort.
»Ja?«
»Die Späher der Ersten Kompanie haben Wohnhöhlen entdeckt. Sie sind verlassen, wie nicht anders zu erwarten war, aber es wurden zwei Kinder gefunden.«
»Trollgezücht?«
»Ja, Kriegsmeister.«
»Schlagt dieser Brut die Schädel ein und nagelt die Leichen an die Wände der tieferen Gänge. Wenn die Trolle wiederkehren, sollen sie nur sehen, was sie hier erwartet. Was sie alle erwartet!«
»Jawohl, Kriegsmeister«, erwiderte Tainelm und sagte dann mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen: »Es war ein großer Sieg!«
Mit einem knappen Nicken entließ Hrodgard seinen Untergebenen und betrachtete die verstreuten Leichen seiner Erzfeinde. Die meisten der Kreaturen waren mehr als doppelt so groß wie er selbst. Seine Krieger hatten die Bestien regelrecht in Stücke gehackt – der einzige Weg, um sicherzugehen, dass ein Troll auch wirklich tot war. Wenn man es versäumte, ihnen den Kopf vom Rumpf zu trennen, so geschah es nicht selten, dass sie sich plötzlich wieder erhoben und selbst im Sterben noch Zwerge angriffen.
Kein großer Sieg, dachte Hrodgard beim Anblick der verstümmelten Gefallenen, denn einige Gegner sind entkommen. Aber wir werden sie finden, und dann löschen wir ihr Volk endgültig aus. Jeden Mann, jede Frau, jedes Kind!