Arnulf Krause

Die Wikinger – Männer des Nordens

Campus Verlag
Frankfurt/New York

Über das Buch

Um kaum ein Volk drehen sich so viele Mythen und Sagen wie um die der Wikinger. Wer waren die heidnischen Völker, die die nordischen Gottheiten Odin und Thor anbeteten und aus was bestand die nordische Mythenwelt? Neben den spannenden Heldengeschichten über die skandinavischen Vorfahren gibt Arnulf Krause Einblick in die geheimnisvollen Bräuche und Riten der Wikinger.

Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop

Über den Autor

Arnulf Krause

Arnulf Krause ist promovierter Germanist und Skandinavist, erfolgreicher Sachbuchautor und Experte für germanische Heldensagen und die Dichtung der Edda. Er lehrt als Honorarprofessor am Institut für Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Bei Campus erschienen von Arnulf Krause bisher »Die Geschichte der Germanen« (2002, 2005), »Die Welt der Kelten« (2004, 2007) und »Die Wikinger« (2006). Seit 2013 erscheinen seine Texte in der E-Book-Reihe »Campus Kaleidoskop«.

Inhalt

Krieger, Gold und Mythen

Vom Ende der Welt

Die Welt des Handels

Die Wikinger und der Tod

Die Runen

Die Schiffe der Wikinger

Die Götterwelt der Wikinger

Götter und Gold

Magie bei den Wikingern

Walhall – Das Kriegerparadies

Die Grabhügel von Uppsala und Schwedens sagenhafte Könige

Beowulf – Engländer erzählen sich skandinavische Heldengeschichten

Die Dänen und ihr Reich

Der Apostel des Nordens im Land der Wikinger

Ein Maure am dänischen Königshof

Die mächtige Dame vom Oslofjord

Harald Schönhaar, ein norwegischer Reichsgründer?

Die Kunst der Wikinger

Campus Kaleidoskop

Impressum

Krieger, Gold und Mythen

Vom Ende der Welt

»Die Stämme der Schweden leben im Ozean, und sie verfügen außer über Männer und Waffen auch über starke Flotten. Die Form ihrer Boote zeichnet sich dadurch aus, dass beide Enden einen Bug haben und dadurch eine Seite stets zum Landen bereit ist. Sie benutzen weder Segel noch befestigen sie die Ruder reihenweise an den Schiffswänden ... Bei den Schweden wird Reichtum hoch angesehen, und deshalb herrscht ein Einziger ohne jede Einschränkung mit unwiderruflichem Recht auf Gehorsam. Die Waffen sind dort nicht frei im Gebrauch, wie sonst bei den Germanen, sondern verschlossen und unter der Aufsicht von Sklaven. Denn überraschende feindliche Überfälle verhindert das Meer; außerdem neigen bewaffnete Scharen im Frieden leicht zu Ausschreitungen. Und es gilt tatsächlich als Gebot der königlichen Sicherheit, dass kein Adliger oder Freigeborener und auch kein Freigelassener die Waffen bei sich habe.

Nördlich der Schweden erstreckt sich noch ein Meer, das träge und fast unbewegt ist. Dass es den Erdkreis ringsum begrenzt und umschließt, ist deshalb glaubwürdig, weil der letzte Schein der sinkenden Sonne bis zu ihrem Wiederaufgang anhält. Er ist noch so hell, dass er die Sterne überstrahlt ... Dort liegt – und diese Kunde ist wahr – das Ende der Welt.«

Dies und vieles mehr wusste der römische Historiker Tacitus um das Jahr 100 nach Chr. in seiner Germania vom Norden Europas zu berichten. Das auf Lateinisch Suionen genannte Volk gab seinen Namen an die Schweden weiter, die in ihm ferne Vorfahren sehen. Ansonsten boten die Nachrichten des Römers eine bemerkenswerte Mischung aus realen Fakten und Fantasie. Immerhin hatte er vom Phänomen des Mittsommers gehört, das die Nächte taghell macht, und er wusste, dass die Skandinavier noch keine Segel verwendeten. Damit sollten sie sich viele Jahrhunderte Zeit lassen, um schließlich mit ihren perfekten Segelschiffen zu den besten Seefahrern ihrer Zeit zu werden.

Die Menschen der Antike stellten sich die Erde als Scheibe vor, demnach musste so weit im Norden der furchteinflößende Rand nahe sein. Diese Vorstellung ließ die Römer und Griechen an den Gestaden des Mittelmeeres schaudern, vermuteten sie doch in jenen fernen Regionen schreckliche Ungeheuer und rätselumwitterte Länder und Völkerschaften. Für dies alles stand seit alters her der Name der sagenhaften Insel Thule, die man erst viel später mit Island gleichsetzte.

Die Schweden und andere Stämme vom Rande der Welt ließen die Mittelmeerländer nicht kalt; denn seit Jahrhunderten brachen ihre Scharen immer wieder in den Süden ein: Land suchend, plündernd und für Griechen wie Römer eine große Bedrohung darstellend. Zu ihnen zählte man in der Antike die Kelten, später die Kimbern und Teutonen und schließlich die germanischen Stämme der Völkerwanderungszeit. Und über die Goten, deren Heimat tatsächlich in Schweden lag, seufzte 400 Jahre nach Tacitus der Geschichtsschreiber Jordanes, Skandinavien sei wahrlich ein Völkerschoß.

Die Vorstellung, dass aus den nordeuropäischen Ländern unaufhörlich ganze Völkerscharen in den Süden kämen, war natürlich maßlos übertrieben. Zwar nahmen einige Wanderungen dort ihren Anfang, aber erst in Ost- und Mitteleuropa erhielten diese Stämme immensen Zulauf und wurden für Rom zur Bedrohung. Während das Römische Reich seine Blütezeit erlebte und schließlich in der Völkerwanderungszeit zusammenbrach, erlebte Skandinavien eine ruhigere Entwicklung. Von Invasionen römischer Legionäre blieb man verschont, Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen beruhten zumeist auf internen Stammeskämpfen. Die nordgermanischen Völker siedelten überwiegend als Bauern und Fischer zwischen dem grünen, an Inseln reichen Dänemark, den tiefen Fjorden Norwegens und den undurchdringlichen Wäldern und Gebirgen Schwedens.

An Staaten und Städten gab es nichts, was sich mit der urbanen Zivilisation der Mittelmeervölker messen konnte. Der Reichtum des Imperium Romanum drang mit dessen Händlern und Soldaten bis zum Rhein und nach England vor. Er lockte die Skandinavier an, deren Häuptlinge an den Schätzen und der Pracht des Südens Gefallen fanden. Vielen Bauern schien es zudem verlockend, durch Auswanderung den Naturgewalten und Hungersnöten zu entkommen. Doch die meisten von ihnen blieben zu Hause und suchten anderweitigen Kontakt. Sie handelten mit dem begehrten Bernstein oder verdingten sich als Söldner in römischen Diensten. Als das Imperium zusammenbrach und an seine Stelle schwächere Germanenreiche traten, unternahm man schon einmal den einen oder anderen Raubzug, etwa in das Gebiet der heutigen Niederlande.

Damals kam es zu einem Informationsdefizit des Südens gegenüber dem Norden: Während die Römer und ihre Nachfolger sich oftmals ein märchenhaft unrealistisches Bild von den Skandinaviern machten, wussten diese recht gut über Rom Bescheid. Römische Luxuswaren gelangten nach Nordeuropa, viele Häuptlinge und Stammesadlige imitierten den prächtigen Lebensstil. Ihre geldlose Gesellschaft schuf sich nach dem Vorbild der Römermünzen Goldscheiben, und schon recht früh kannte man die Runenschrift, die Germanen nach norditalienischen Alphabeten entwickelt hatten.

So gingen die Jahrhunderte der Spätantike und des frühen Mittelalters nicht spurlos am Rand der damals bekannten Welt vorüber. Die Mehrzahl der Menschen des Nordens blieb ihrer angestammten Heimat treu und lebte nach den herkömmlichen Traditionen. Und doch sah man weit über den eigenen Horizont hinaus, formte eine ganz eigene Kultur. Auch wenn man nur wenige konkrete Ereignisse jener Zeit zwischen 500 und 800 nach Christus kennt – das Streben nach Gold, die Verherrlichung des Kriegerlebens und die Mythen um die Götter spielten eine herausragende Rolle. Den unspektakulärsten Part übernahmen jedoch die Händler aus Skandinavien und anderen Teilen der Welt, die Waren beförderten und viele Länder miteinander verbanden.

Die Welt des Handels

Der wissbegierige englische König Alfred der Große empfing gegen Ende des 9. Jahrhunderts einen Norweger namens Ottar, der ihm von seiner Heimat berichtete: Er wohne von allen Nordmännern am weitesten im Norden, im nordnorwegischen Halogaland, wo allenthalben Wildnis vorherrsche. In seiner Nachbarschaft lebten die Finnen – wie man damals die Samen respektive Lappen bezeichnete –, die im Winter auf die Jagd gingen und im Sommer Fischfang betrieben. Einmal habe er erkunden wollen, wie die schier endlose Ödnis weiter im Norden aussehe und sei darum viele Tage dem Küstenverlauf gefolgt. Dort oben, in der heutigen Finnmark nahe der russischen Halbinsel Kola, stieß er auf vielerlei fremdartige Volksstämme. Aber sein Hauptinteresse galt den Walrossen, deren Zähne aus edlem Elfenbein bestünden und deren Häute sich gut für Schiffsseile eigneten. Außerdem fände man dort an der Küste Wale in Hülle und Fülle.