Inge Schwarz-Winklhofer
Hans Biedermann

Das Buch der

ZEICHEN

und

SYMBOLE

V. F. SAMMLER

Mit Beiträgen von

VOLKER MÖLLER

Symbolzeichen der nichtchristlichen Religionen

GÜNTHER SCHÖN

Zeichen und Symbole auf mittelalterlichen,
neuzeitlichen und modernen Münzen

WILHELM RAAB

Symbole der Rosenkreuzer

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz
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grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in
Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

ISBN 3-85365-203-4
eISBN 978-3-85365-327-2
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen,
fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck
oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen
aller Art, sind vorbehalten.
© Copyright by V. F. SAMMLER, 5. Aufl. (Sonderausgabe) Graz 2004
Gesamtherstellung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan
Printed in Austria

INHALT

Ur- und Frühgeschichte

Altsteinzeit – Mesolithikum und Neolithikum – Symbole des Megalithikums – Labyrinthe – Symbole der Kulturen des Mittelmeerraumes

Die frühen Schriftsysteme

Altchina – Die Kulturen Alt-Amerikas – Indianische Schriftzeichen – Altägypten – Vorderasien – Der Weg zum Alphabet

Die Runen

Die Futhark-Reihe und magische Zeichen

Christliche Symbole

Christus-Monogramme – Kreuzformen – Dreifaltigkeitssymbole u.a.

Symbolzeichen der nichtchristlichen Religionen

Hinduismus – Buddhismus – Shintoismus – Zarathustrismus – Jüdische Religion – Islam – Baha ’i

Magische Zeichen und Symbole

Astrologische Symbole – Alchemistische Symbole – Symbole der Ritualmagie – Talismane und Amulette

Symbole aus der Paläographie

Herrschermonogramme – Künstlermonogramme – Zahlzeichen – Zeichen für Münzen, Gewichte, Maße – Tironische Noten – Abbreviaturen

Geheimschriften

Diplomatische Geheimschriften – Geheime Schriftsysteme magischer und esoterischer Gruppen – Freimaurer- Geheimschriften

Die Steinmetz-Zeichen

Antike und Orient – Rom und Byzanz – Die Bauhütten des Mittelalters – Steinmetz-Zeichen des Barock – Die Schlüsselfiguren

Einfache heraldische Formen und Hausmarken

Schildteilungen und Heroldsbilder – Natürliche Figuren – Hausmarken

Zeichen und Symbole auf mittelalterlichen, neuzeitlichen und modernen Münzen

Musikzeichen

Hauptzeichen unserer heute gebräuchlichen Notenschrift – Buchstaben-Tonschrift der griechischen Antike – St. Gallener Neumen – Römische Choralnotation – Gotische Choralnotation – Mensuralnotation – Graphische Notation

Marken und Signaturen in Handwerk, Kunsthandwerk und Kunst

Töpfermarken – Fayencemarken – Porzellanmarken – Goldschmiede-Merkzeichen – Zinnmarken – Waffenschmiedemarken – Künstlersignaturen – Druckermarken – Wasserzeichen u. a.

Geheimsymbole

Symbole der Freimaurer – Symbole der Rosenkreuzer – Gaunerzinken – hobo’s marks

VORWORT ZUR 5. AUFLAGE

Was sind Zeichen, was sind Symbole? Das seit dem 16. Jhdt. bezeugte Fremdwort „Symbol“ wird vom griechischen „sýmbolon“, „Kennzeichen“, „Zeichen“, entlehnt, das zu „symbállein“, „zusammenwerfen“, „zusammenfügen“, gehört. Es werden somit heterogene Elemente in Zusammenhang gebracht, etwa gegensätzliche Teile eines in innerem Zusammenhang stehenden Ganzen: Dies läßt sich so auffassen, als sei hier die Zusammenordnung von Urbild (Archetypus) und Abbild im irdischen Bereich gemeint, und es sprechen viele Kriterien dafür, daß wir hier den ursprünglichen Sinn des Symbols vor uns haben. In jüngeren Epochen der Geistesgeschichte änderte sich der Sinn der Bezeichnung insofern, als nunmehr als „zusammengeworfene“ Elemente ein sinnfälliges Zeichen und ein Inhalt stehen: ein Ausdruck ersetzt den anderen, um etwa eine einfache bildliche Formulierung zu ermöglichen. Eine die Tiefenschichten der Persönlichkeit ansprechende, unmittelbare Symbolsprache ist hier nicht mehr unbedingt gegeben; zur Lesung dieser Art von Symbolen ist meist das Wissen um die konventionelle Verschlüsselungsweise notwendig.

Wenn diese Verschlüsselung kunstvoll ausgeklügelt wird, so sprechen wir üblicherweise von Allegorien. Bilder dieser Art sind etwa die barocken Embleme. Wir wollen uns jedoch nicht damit befassen, sondern mit den einfachen graphischen Zeichen, die in ihren Anfängen wohl echte unmittelbare Grundbilder waren, später jedoch zu markanten Signaturen für ganz bestimmte Inhalte vielfältigster Art wurden. Es handelt sich um zeichnerisch komprimierte Bilder, die wohl schon in der Altsteinzeit als Kommunikationsmittel dienten. Der spontane Ausdruck schwindet offenbar, je näher wir den Hochkulturen kommen, und das Wissen um die „Lesungsmöglichkeit“ ist als Überlieferungsgut die Voraussetzung dafür, daß diese Zeichen ihre adäquate Sinnerfüllung erhalten. Dennoch finden wir auch in jüngeren Kulturschichten immer wieder großartig vereinfachte Glyphen, deren Deutung sich als unreflektierter Eindruck sofort erschließt.

Da wir jedoch von jeglicher Werteskala subjektiver Art absehen wollten, war es nötig, die gesamte Bandbreite der einfachen graphischen Ausdrucksmittel mit Hilfe einer großen Anzahl von Zeichen wenigstens andeutungsweise darzustellen. Aus einem Grundbestand von mehreren Tausend Formen wurden für dieses Buch die uns am signifikantesten scheinenden Zeichen ausgewählt, wobei freilich klar ist, daß sich auch andersartige Selektionen ausreichend hätten motivieren lassen.

An dieser Stelle ist ein Wort zur Art der Wiedergabe angebracht. Die zum Teil hochstilisierten graphischen Formen verlangen scheinbar nach adäquat „schöner“ Ausführung, doch würde eine kalligraphische Wiedergabe etwa der Symbolzeichen, die der Alchemist in sein Merkbuch setzte, um auf diese Weise seine Operationen aufzumerken, einer Fälschung gleichkommen; auch in Amulette geritzte Runen leben nicht durch eine wohlgeglättete und verschönte Ausführung, sondern aus ihrer Gestalt. Den kalligraphischen Vorlagen entsprechende Arten der Wiedergabe konnten daher aus Gründen der Quellentreue nur dort durchgeführt werden, wo die Originale in diese Richtung hin „hochgezüchtet“ wurden – nicht jedoch bei der Wiedergabe von Typen, wie sie etwa frühgeschichtliche Felsritzungen aufweisen. Deren Retusche auf völlig einwandfreie Grapheme hin hätte zu seelenlosen Formen geführt, weshalb wir nach anfänglichen Versuchen von einer ganz einheitlichen graphischen Wiedergabe abgesehen haben.

Daß nicht alle einfachen graphischen Formen „Symbole im hohen Sinne“ sein können, daß sie also in dieser Hinsicht nicht religiösen oder magischen Bildtypen zu vergleichen sind, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß auch kunstgewerbliche Marken und Signaturen in den Band aufgenommen wurden. Ihre Berücksichtigung läßt sich dadurch motivieren, daß der Mensch offenbar auch dann, wenn sich der ursprüngliche Zauber einer sigelartigen graphischen Darstellung verflüchtigt hat und das profane Leben nach seinem Recht verlangt, auf ganz einfache und einprägsame Bildtypen nicht verzichten kann.

Was wir in diesem Buch bieten möchten, kann naturgemäß nicht so verstanden werden, als wollten wir fast unübersehbare Kapitel wie etwa „Magische Zeichen und Symbole“ auch nur annähernd erschöpfend behandeln. In den Literaturangaben zu den einzelnen Abschnitten sind wichtige Quellenwerke genannt, die sich zum Nachschlagen eignen und zu den einzelnen Spezialpublikationen hinführen. Nur diese Bücher können als Basis für im eigentlichen Sinne wissenschaftliches Arbeiten dienen – der vorliegende Band kann den Typenreichtum und die bestehende Problematik gelegentlich nur andeuten und zu intensiverer Arbeit anregen. Es war jedoch unumgänglich, die Zeichen selbst nicht bloß kommentarlos aneinanderzureihen, sondern ihre Genese und Bedeutung wenigstens skizzenhaft zu umreißen. Schon mit Hilfe der hier vorliegenden Auswahl werden sich dem Benützer dieses Handbuches Probleme um Zusammenhänge und Formänderungen aufdrängen, und als Hilfsmittel hierfür möchten wir das Buch verstanden wissen.

Abschließend einige Worte zur 5. Auflage: Im Gegensatz zur – wesentlich umfangreicheren – 4. Auflage wurde hier auf die Aufnahme von Symbolen der modernen Welt, wie Firmen-, Verkehrs-, Karten- u.a. Zeichen, Piktogrammen, Graffiti, mathematischen Symbolen und solchen aus der (Computer-)Technik, bewußt verzichtet, zumal sie sich oft als äußerst kurzlebig erwiesen haben und für die Grundthematik des Buches nur von marginaler Bedeutung sind. Der geschätzte Leser möge daher entschuldigen, wenn es somit bei der Durchnumerierung der jeweiligen Zeichen und Symbole zu einigen Lücken gekommen ist.

Möge „Das Buch der Zeichen und Symbole“ auch nach über dreißig Jahren seinen festen Platz als Einführungs- und Orientierungswerk behaupten!

Graz, im Frühjahr 2004

LITERATUR

Bauer, W. / Dümotz, I. / Golowin, S.: Lexikon der Symbole. Wiesbaden 2002.

Becker, U.: Lexikon der Symbole. Köln 2002.

Blachetta, W.: Das Buch der deutschen Sinnzeichen. Coburg 2000.

Boysen, T. v.: Lexikon der magischen Symbole. Uelzen – Holdenstedt 1990.

Bruce-Mitford, M.: Zeichen und Symbole. München 1992.

Bühler-Oppenheim, K.: Zeichen, Marken, Zinken. Teufen 1971.

Cassirer, E.: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. 2. Aufl. Darmstadt 1959.

Cooper, J. C.: Das große Lexikon traditioneller Symbole. München 2003.

Frutiger, A.: Der Mensch und seine Zeichen. 7. Aufl. Wiesbaden 2000.

Heinz-Mohr, G.: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. Düsseldorf – Köln 1971.

Hoffsümmer, W.: Lexikon alter und neuer Symbole. Mainz 1999.

Jung, C. G.: Der Mensch und seine Symbole. Zürich 1968.

Kirchgässner, A.: Die mächtigen Zeichen. Basel – Freiburg – Wien 1959.

Kirchgässner, A.: Die Welt als Symbol. 1968.

Koch, R.: Das Zeichenbuch. Leipzig 1936.

Lurker, M.: Wörterbuch der Symbolik. Stuttgart 1991.

Lurker, M.: Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter. Frankfurt a. M. 2003.

Oesterreicher-Mollwo, M. (Bearb.): Herder Lexikon Symbole. Freiburg – Basel – Wien 1978.

Schlesinger, M.: Geschichte des Symbols. Berlin 1912.

Schlesinger, M.: Grundlagen und Geschichte des Symbols. Berlin 1930.

Silberer, H.: Probleme der Mystik und ihrer Symbole. Wien 1914.

Wills, F. H.: Schrift und Zeichen der Völker. Düsseldorf – Wien 1977.

Wittlich, B.: Symbole und Zeichen. Bonn 1965.

Zerbst, M. / Kafka, W.: Das große Lexikon der Symbole. Leipzig 2003.

Ur- und Frühgeschichte

In den meisten Bildbänden und Büchern über die Kunst der Steinzeit werden nur die schönsten und naturgetreuesten Kunstschöpfungen des vorgeschichtlichen Menschen abgebildet; dies bringt es mit sich, daß unser Gesamtbild von den bildnerischen Leistungen dieser Epochen verzeichnet und nicht den Tatsachen entsprechend ist. Zweifellos lassen sich in der vorgeschichtlichen Kunst großartige, unmittelbar zu uns sprechende Bildwerke in großer Zahl finden, aber sie stellen Einzelleistungen dar, die aus der Masse der künstlerischen Werke hervorragen.

Neben ihnen gibt es nicht nur zahllose nicht restlos überzeugende Bilder, sondern auch unscheinbare Zeichen und Glyphen, die nur höchst selten in Bildbänden wiedergegeben werden. Es handelt sich offenbar um einfache Symbole und Hinweiszeichen, die einst dem Menschen etwas gesagt haben müssen. Eigentlich wäre zu erwarten, daß jene aus den ältesten greifbaren Epochen des menschlichen Geisteslebens stammenden Glyphen so unmittelbar verständlich wären, daß sich auch uns ihr Sinn ohne langwierige Reflexion erschließt. In der Praxis ist es jedoch so, daß wir beim Durchforschen der bildergeschmückten Kulthöhlen des Eiszeitmenschen neben den Tierdarstellungen sonderbare Punktreihen und Liniennetze finden, von welchen wir nicht sagen können, was sie für ihre Schöpfer vor mehr als zehn Jahrtausenden bedeutet haben mögen. Auch Stein- und Knochenstücke tragen immer wieder Ritzungen, die nichts mit den naturhaften Tierbildern zu tun haben und wie echte Symbolzeichen wirken. Handelt es sich bloß um rein spielerisch hervorgebrachte „Parerga“ des bildnerischen Triebes, oder haben wir es mit den Anfängen eines abstraktiven Gestaltens zu tun?

Es wird ohne Zweifel nötig sein, daß sich die Erforschung der prähistorischen Kunst in höherem Ausmaß als bisher auch diesen anspruchslos scheinenden Glyphen zuwendet und zunächst mit ihrer dokumentarischen Sammlung beginnt. Erst dann, wenn auch sie in großer Zahl veröffentlicht sind und sich ihre Variationsbreite überblicken läßt, werden wir dazukommen, uns Gedanken über ihre etwaige Herleitung aus Naturformen machen zu können. Zur Zeit gibt es erst Ansätze zu einer lückenlosen Dokumentation des Bildbestandes einzelner Eiszeithöhlen, die auch jene früher kaum beachteten uralten Zeichen und Symbole abbilden.

Eines der einfachsten und bekanntesten ist offenbar das Bild der menschlichen Hand, das entweder als „Negativ“ wiedergegeben ist (hier wurde die Hand auf eine grundierte Steinfläche gelegt und Farbstaub darübergeblasen, wodurch der Umriß der Hand farblos zurückblieb), während „Positive“ (Abdrücke der eingefärbten Handflächen) seltener auftreten; auch Umrißzeichnungen von Händen sind bekannt. Da es sich hier um bloße Abklatsche der Natur handelt, kann man von einer künstlerischen Produktion eigentlich nicht sprechen. Es wäre naheliegend, Bildnereien dieser Art als rein spielerische Schöpfungen anzusehen, fänden wir sie nicht in den offenbar dem Kult dienenden „Höhlentempeln“ des altsteinzeitlichen Jägers, wo sinnlose Wandkritzeleien ebenso fehl am Platze wären wie in Kathedralen. Abdrücke von verstümmelten Händen mit abgeschlagenen Fingergliedern, wie sie etwa aus der Grotte von Gargas (Hautes-Pyrenées) in großer Zahl entdeckt wurden, sprechen ebenfalls gegen die Annahme rein spielerischer Produktionen: die einzelnen Fingerglieder wurden offenbar geopfert, und die Wiedergabe der Versehrten Hände mag das Opfer verewigt haben. Das Bild der Hand an sich legt uns unmittelbar die Geste des Ergreifens und Besitzens nahe – so etwa in unmittelbarer Nachbarschaft der „gefleckten Wildpferde“ des Magdelénien in der Grotte von Pech-Merle (Dépt. Lot), wo wir versucht sind, etwa so zu „lesen“: Wildpferde in großer Zahl, zahlreich wie die Flecken auf ihnen, wir wollen sie haben, festhalten.

Selbstverständlich sind derartige Deutungsversuche subjektiv und nicht verifizierbar, und niemand kann sagen, was nun tatsächlich die Triebfedern der eiszeitlichen Jäger waren, wenn sie die Abklatsche ihrer Hände in ihren heiligen Grotten verewigten. Noch schwieriger wird die Einfühlung eines heutigen Menschen in die Motive der uralten Bildner bei der Betrachtung von eigenartigen Punktsystemen, die oft wie die Eckpunkte eines geschwänzten Papierdrachens aussehen. Handelt es sich etwa nur um Markierungen des Weges durch das Höhlenlabyrinth, also um Wegweiser, die auf Biegungen und Abzweigungen hinweisen? Manchmal läßt sich anhand des Bildmaterials auch die Herkunft eines isoliert unverständlichen Symbols verfolgen, so etwa (wieder in der Grotte von Pech-Merle, deren Bildbestand lückenlos dokumentiert ist) im Falle der „Bisonfrauen“, wo vornübergeneigte, nackte Frauen tierähnlich an die Höhlenwand gemalt sind. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir hier an Symbole eines Fruchtbarkeitszaubers denken, die eine hohe Abstraktion des Gedankenbildes voraussetzen. Bei anderen Bildwerken freilich ist die Interpretation noch schwieriger. Gitterförmige Gebilde werden als „Hütten“ oder „verblendete Fallgruben“ gedeutet, P-förmige Linien als Wurfhölzer, andere Striche als Fangstricke oder magische Geräte. Der Grad der Naturhaftigkeit der Bildwerke wird geringer, je weiter wir uns auf dem Weg zur Gegenwart von der Welt der Eiszeitjäger entfernen. Die ostspanischen Felsbilder der Nacheiszeit werden stark stilisiert, ohne zunächst den Eindruck der Bewegtheit zu verlieren, aber immer häufiger geht die Gestaltung weg von der reinen Wiedergabe der Naturvorbilder, immer mehr nähert sie sich abstrakten Glyphen. Wir können schließen, daß sich der Denkstil der Menschheit änderte, als die jägerische Lebensweise nicht mehr ausreichte, um den Lebensunterhalt zu gewährleisten und die Fruchtbarkeit der Pflanzen, wohl von Frauen gesammelt, in den Brennpunkt der Betrachtung rückte. Herbert Kühn hat dieser geistigen Umstellung eine Reihe von wertvollen Studien gewidmet; wir dürfen aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß es auch in den älteren Epochen bereits naturferne Zeichen gegeben hat, wenn sie auch von den naturalistischen Tierbildern überschattet werden.

In den jüngeren Gemeinschaften etwa des Neolithikums sind naturhafte Bildwerke die Ausnahmen, während hochstilisierte und fast an „Schutzmarken“ erinnernde Zeichen die Regel darstellen. Es ist, als hätten wir es mit bereits stark konventionalisierten Formen zu tun, für deren Deutung eine mündlich übermittelte Tradition vorausgesetzt werden muß. Je höher die Gesellschaft organisiert ist, je mehr Daten übermittelt werden müssen, desto stärker wird das Motiv für die Schaffung einer echten Schrift, die es dem räumlich oder zeitlich Entfernten ermöglicht, Bewußtseinsinhalte mitgeteilt zu bekommen. Die Vorstufen der Schrift und die frühesten Schriftzeichen selbst sind klare Zeichen und Symbole; sie wurden jedoch in schriftgeschichtlichen Werken so ausführlich behandelt, daß ihre Darstellung in diesem Rahmen nur andeutungsweise nötig ist.

Neben den Schriftzeichen, welcher Natur sie immer waren, gab es jedoch bis hinein in die historischen Epochen immer wieder Symbole, die nicht in die Reihe der Lautwiedergaben hineingehören. Immer dann, wenn auch „Analphabeten“ ein Gedanke übermittelt werden sollte, unabhängig vom sprachlichen Ausdruck, wurden einfache Zeichen geschaffen, die bei ihren Schöpfern kein künstlerisches Talent voraussetzten. Die Symbole der modernen Welt, wie wir sie etwa auf den Verkehrstalein finden, illustrieren deutlich, worum es hier geht. In den alten Kulturen war offenbar die Welt des Magisch-Rituellen der Nährboden für die Formung von einfachen Symbolen dieser Art: auch dem nicht-priesterlichen Menschen sollte die Allgegenwart der lebensbestimmenden Schicksalsmächte, personifiziert in Gestalt der Götter und Übernatürlichen, immer wieder vor Augen geführt werden. In agrarischen Gemeinschaften ist der Regen die Voraussetzung für den Lebensunterhalt, und so finden wir immer wieder Symbole für „Regen“ und „Wasser“, das die Felder fruchtbar macht – noch häufiger als die Zeichen für die Pflanzen selbst. Der Kammstrich steht für die Wolke, aus der Regen herniederströmt, die Wellen- oder Zickzacklinie für das fließende Wasser oder aber auch für das bewässerte Feld. Virile Tierfiguren, vor allem Stiere, verkörpern – oft in stenographisch abgekürzter Form – die Idee der Fruchtbarkeit und Vermehrung. All dies ist bei Kenntnis rezenter Parallelen aus der Bilderwelt von „typologisch jungsteinzeitlichen“ (also den Grundplan der neolithischen Agrargemeinschaft bis in die Gegenwart konservierenden) Völkern ohne große Schwierigkeit verständlich.

Je höher sich eine Kultur und ihre Mythik von einfachen Formen entfernt, je komplizierter ihre Geisteswelt emporwächst, desto schwieriger wird jedoch die Deutung. Ist das im minoischen Kreta allgegenwärtige Bild der Doppelaxt tatsächlich, wie es jüngere Parallelen nahezulegen scheinen, wirklich ein Symbol für den Gewittergott oder handelt es sich etwa um ein gedankentiefes Zeichen für „Zweischneidigkeit“ und Dualismus? Stellen die an Tintenfische erinnernden Glyphen in nordwesteuropäischen Großsteingräbern stark stilisierte Bilder einer mütterlichen Gottheit, Priestergewänder oder Schilde dar? Können wir gitterartige Ritzungen aus dem gleichen Bereich als Symbole für Felder und Nutzland und konzentrische Kreise als Sinnzeichen für Wasser und ringförmige Wellenbewegungen sehen? Der Spekulation sind hier alle Tore geöffnet, und es ist leicht einzusehen, daß sich jeder Betrachter dieser einprägsamen Glyphen darüber Gedanken macht. Zunächst ist es jedoch wertvoller, sie in ihrem Bestand zu sichern und exakt zu dokumentieren – eine Forderung der Wissenschaft, die uns immer wieder begegnen wird.

Wir müssen uns hier mit der Feststellung begnügen, daß es eine formenreiche Welt von Zeichen und Symbolen aus den ur- und frühgeschichtlichen Epochen gibt, die leider in den meisten volkstümlichen Büchern nur ganz am Rande behandelt wird und daher relativ unbekannt ist, die aber bei genauer Kenntnis viel dazu beitragen könnte, unser Wissen um die Denkstile jener fernen Epochen ganz entscheidend zu vertiefen. Hier hat die Wissenschaft der Gegenwart und Zukunft ein reiches Arbeitsfeld vor sich, ein Programm für viele Jahrzehnte wertvoller geistesgeschichtlicher Forschungsarbeit.

Symbolkundlich belangvoll sind im Hinblick auf die Zeichenformen der Altsteinzeit die Arbeiten des französischen Prähistorikers André Leroi-Gourhan, die jedoch hier nicht im Detail charakterisiert werden können. Interessenten werden auf das im gleichen Verlag wie das vorliegende Buch erschienene „Lexikon der Felsbildkunst“ von H. Biedermann (S. 52 – 54, 129 – 132) hingewiesen, wo die betreffende These diskutiert wird.

Die bildmäßig weiter ausgestalteten Zeichen der ur- und frühgeschichtlichen und der außereuropäischen Kulturen werden ausführlich kommentiert in dem gleichartig ausgestatteten Band „Bildsymbole der Vorzeit, Wege zur Sinndeutung der schriftlosen Kulturen“ von H. Biedermann, Verlag für Sammler, Graz 1977.

1

Schon im Moustérien und Aurignacien finden wir als Verzierung von Knochenstücken eingekerbte Reihen von Einschnitten und Punkten sowie Kreuzkerben. Die Anfänge der Manifestation mit Hilfe von einfachen Glyphen liegen damit etwa 50.000 Jahre zurück.

2

Im Aurignacien können wir auch die weitere Ausbildung des Kreuzkerben-Musters zu Gittern beobachten. Dekor einer Tierfigur aus Knochen.

3

Die Höhlenbilder der jüngeren Altsteinzeit enthalten nicht selten Darstellungen von Pfeilspitzen und ähnlichen Fernwaffen, stark stilisiert und vergrößert, wohl als Ausdruck von Jagdzauber-Ritualen.

4

Auch Zeichen dieser Art, gedeutet als armierte Wurfstöcke, sind im Zusammenhang mit Tierbildern unter den Höhlenmalereien der Altsteinzeit Westeuropas nicht selten zu finden.

5

Nur hypothetisch deutbar sind unter den späteiszeitlichem Höhlenbildern jene „Tektiformen“: Hütten und Windschirme, Tretfallen oder Fanggitter?

6

In vielen Kulthöhlen des Eiszeitmenschen finden wir diese Reihen und Systeme von in roter Farbe an die Felswand gemalten Punkten. Handelt es sich um Wegweiser durch die Grottenlabyrinthe?

7

Am Ende des Magdaléniens (Ausgang der Eiszeit, etwa 12.000 Jahre vor der Gegenwart) werden Tierbilder ornamental vereinfacht und stilisiert: es handelt sich um Steinböcke in Vorderansicht, rechts: wohl „Stenogramm“ eines Fisches.

8

Nach dem Ende der Eiszeit, um 9000 v. Chr. treten „runenähnliche“ vereinfachte Menschenfiguren auf.

9

Mit an Buchstaben unseres Alphabetes erinnernden Symbolzeichen sind die Kieselsteine von Mas-d’Azil bemalt („Azilien“, um 9000 v. Chr.).

10

Die nacheiszeitlichen Felsmalereien Ostspaniens, nicht in Höhlen, sondern unter Felsdächern gefunden, enthalten neben in Strichmanier gezeichneten Tier- und Menschenbildern auch kaum deutbare Strich- und Punktkombinationen.

11

In der „Mittelsteinzeit“ (dem Mesolithikum) entstehen abstrakt wirkende Felsbilder wie jene von Fuencaliente in der Sierra Morena (Südspanien), als kauernder Mensch und Baum gedeutet.

12

Kammartige Symbole aus dem selben Bereich werden als konventionelle Zeichen für den aus der Wolke herniederströmenden Regen aufgefaßt. Ähnliche Bilder kommen in fast allen frühen Agrargemeinschaften vor.

Ur- und frühgeschichtliche Symbolzeichen aus aller Welt werden in dem beim gleichen Verlag erschienenen Buch „Bildymbole der Vorzeit“ von H. Biedermann separat behandelt und sollen daher an dieser Stelle nur andeutungsweise dargestellt werden. In dem erwähnten Buch finden sich auch Hinweise auf die symbolkundlich sehr bemerkenswerte bipolare Deutungsweise des französischen Prähistorikers A. Leroi-Gourhan (vgl. S. 5). Um zu zeigen, daß derartige einfache Symbole auch in außereuropäischen Räumen vorkommen, werden hier einige kürzlich in Brasilien entdeckte Ritzbilder wiedergegeben, die von J. von Puttkamer im „National Geographie Magazine“ (Jan. 1979) veröffentlicht wurden. Es handelt sich um Petroglyphen aus der Halbhöhle „Abrigo do Sol“ am Rio Galera, einem Nebenfluß des Rio Guaporé im nördlichen Mato Grosso, die mehrere Jahrtausende alt sein sollen.

12/1, 12/2 –Ritzbilder, die in dieser Art weltweit verbreitet sind und das weibliche Genitale (Schamdreieck) in Vorderansicht darstellen sollen. J. v. Puttkamer bringt diese an dem erwähnten Fundplatz häufigen Zeichen mit den sagenhaften Amazonen in Verbindung, die bei den Indianern des Amazonasurwaldes „Yamuricumá“ heißen.

12/3 –

Sonnensymbol mit einem Näpfchen im Zentrum, nach dem der erwähnte Fundplatz den Namen „Halbhöhle der Sonne“ (Abrigo do Sol) erhalten hat.

12/4 –

Dieses an die „tektiformen Zeichen“ Alteuropas (Fig. 5) erinnernde Zeichen wird von den Wasúsu-Indianern, die heute in der Umgebung der Fundstätte wohnen, als „Haus der heiligen Flöten (Jakui)“ angesprochen.

12/5 –

Dieses halbovale Gesicht interpretieren sie als Maske, wie sie bei schamanistischen Beschwörungen gebraucht wurde.

12/6, 12/7 – Fußabdrücke, entweder flächenhaft in den Stein eingetieft (12/6) oder in Form einfacher Ritzungen wiedergegeben, sind ebenfalls ein weltweit verbreitetes Symbol (vgl. Nr. 36). Die Wasúsu-Indianer vertreten die Ansicht, sie sollten eine einfache Visitenkarte wiedergeben, im Sinn von „ich bin hier gestanden“.

Im Anschluß daran einige Symbolzeichen aus der alten Felsbildkunst Nordamerikas (eine Datierung ist kaum möglich, doch dürfte ihr Alter zumindest einige Jahrhunderte betragen), die dem kürzlich erschienenen Großband „A Survey of North American Indian Rock Art“ von Klaus F. Wellmann – Graz 1979 – entnommen sind. Neben vielen Zeichen mit Bildcharakter kommen auch in diesem Gebiet konventionalisierte Glyphen vor, die offenbar Kommunikationswert besaßen. Hier eine kleine Auswahl.

12/8 –

Ein Clan-Symbol der Hopi-Indianer, das auch auf Felsritzungen auftritt: aufgetürmte Wolken mit Regen-Kammstrich (vgl. 12, 16, 145).

12/9 –

Ein weiteres Hopi-Clansymbol aus dem Südwesten der USA (Willow Springs, Arizona): die aufgehende Sonne mit einem maskenartig stilisierten Gesicht.

12/10 –

Den Gestirnen wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der vierzackige Stern mit den Adlerklauen und dem Menschengesicht (Abo, New Mexico) soll den Morgenstern darstellen.

12/11–

Diese Felsritzung aus Brogan, Oregon stellt einen mit Armen und Beinen versehenen runden Körper dar – vielleicht einen wandernden Himmelskörper? (vgl. 199)

12/12 –

Fußabdrücke in petroglyphischer Wiedergabe sind auch in Nordamerika häufig, ebenso aber Zeichnungen, die Bärenspuren wiedergaben (East Hope, Idaho).

12/13 –

Eines der absonderlichsten Zeichen dieses Erdteils wurde am Alamo Mountain, New Mexico, entdeckt – ein annähernd Swastika-artiges Gebilde aus zwei Armen und zwei Beinen, die ohne Kopf und Körper in einem elliptischen Rahmen stehen. Eine mythische Gestalt?

Nach diesem Exkurs in die Neue Welt wieder zurück in das alte Eurasien.