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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagbild: Feuerwehr Mülheim an der Ruhr und Marc Stier
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-034918-6
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pdf: ISBN 978-3-17-034920-9
epub: ISBN 978-3-17-034921-6
mobi: ISBN 978-3-17-034922-3
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Das Vergaberecht ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmend komplexer geworden. Neben den vergaberechtlichen Vorschriften sind bei Beschaffungen das Haushaltsrecht und mitunter auch europarechtliche Regelungen zu berücksichtigen. Hinzu kommen unterschiedliche Vergabegesetze in den einzelnen Bundesländern. Dies stellt alle Beteiligten eines Beschaffungsverfahrens in Bereichen der Feuerwehr und des Rettungsdienstes sowie in den Verwaltungen vor enorme Problemstellungen. Die vergaberechtskonforme Formulierung von Leistungsverzeichnissen und Ausschreibungskriterienbedarf der Kenntnis des Vergaberechts, um rechtssichere Ausschreibungsunterlagen erstellen und das Vergabeverfahren sicher durchführen zu können.
Mit diesem Buch wird die Struktur des Vergaberechts erläutert und durch zahlreiche Fallbeispiele der Bezug zur Praxis hergestellt. Es werden Bewertungsmethoden zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes vorgestellt und insbesondere in diesem Bereich auf Fallstricke hingewiesen, die dem Anwender schnell zum Verhängnis werden können. Muster für Vergabevermerke und Verfügungen dienen der Erleichterung in der vergaberechtlichen Anwendung, da die Dokumentation von Vergabeverfahren in der Praxis gerade technische Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung oft vor erhebliche Herausforderungen stellt.
Das vorliegende Buch soll ein Grundlagen- und Nachschlagewerk darstellen, das als Hilfestellung im komplexen Beschaffungsvorgang jederzeit herangezogen werden kann.
Die Autoren
Alexa Jentges und Michael Lülf
Aufträge über die Beschaffungen von Feuerwehren und Rettungsdiensten sind, wenn diese in öffentlicher Trägerschaft stehen, nach besonderen Vorschriften zu vergeben. Diese Vorschriften sind erforderlich, weil öffentliche Aufträge einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellen, um eine effiziente und wirtschaftliche Auftragsvergabe sicherzustellen. Die Vorschriften werden unter dem Begriff »Vergaberecht« zusammengefasst.
Als Vergaberecht wird die Gesamtheit der Normen bezeichnet, die ein Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben benötigt, zu beachten hat (BVerfG 1 BvR 1160/03). Dabei ist das Vergaberecht in Deutschland nicht einheitlich, sondern in verschiedenen Gesetzen, Vergabeverordnungen und Verfahrensordnungen geregelt. Es wird daher in der Praxis zu Recht als unübersichtlich und komplex bewertet.
Ursprünglich war das Vergaberecht ausschließlich im Haushaltsrecht beheimatet; die Vergabevorschriften waren Verwaltungsvorschriften, die sich an die Vergabestellen der öffentlichen Auftraggeber wandten, um die sparsame und wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel zu sichern. Das Vergaberecht diente damit allein dem wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand und der sparsamen Verwendung von Steuergeldern.
Unter dem Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts musste dieser haushaltsrechtliche Ansatz des Vergaberechtes teilweise aufgegeben werden: Die europäischen Vergaberichtlinien verfolgten das Ziel, das öffentliche Auftragswesen für einen gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu öffnen. Die Interessen der Bieter sollten durch eine schnelle und wirksame Nachprüfung vor Verletzungen der Vergabevorschriften geschützt werden (Bundestag Drucksache 13/9340). Zur Umsetzung dieser europäischen Vergaberichtlinien hatte der deutsche Gesetzgeber in den Jahren 1993 und 1994 zunächst eine »haushaltsrechtliche Lösung« gewählt und für Vergabeverfahren, deren Beschaffungsgegenstände einen bestimmten Auftragswert überschritten, im Haushaltsrecht (§ § 57 b und 57 c HGrG in der damaligen Fassung für die Jahre 1993 und 1994) ein zweistufiges Nachprüfungsverfahren vorgesehen, das aber keine einklagbaren subjektiven Rechte potentieller Auftragnehmer vorsah.
Die haushaltsrechtliche Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien wurde von der damaligen EG-Kommission beanstandet und führte schließlich im Jahr 1999 dazu, dass der Bundesgesetzgeber die haushaltsrechtliche Lösung aufgab und das Vergaberecht für Verfahren, deren Beschaffungsgegenstände einen bestimmten Auftragswert erreichten oder überschritten, im sogenannten Kartellvergaberecht umsetzte. Diese »kartellrechtliche Lösung«, die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetzt wurde, führte zu einer Zweiteilung des Vergaberechts in Deutschland: Das Haushaltsvergaberecht (Unterschwellenrecht) und das Kartell- oder GWB-Vergaberecht (Oberschwellenrecht) (zu den Begrifflichkeiten vgl. Burgi, 2016).
Das Vergaberecht in Deutschland ist zweigeteilt.
Eine letzte große Änderung des Vergaberechts fand 2016 durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz statt. Begründet war die Änderung durch neue EU-Vergaberichtlinien:
Richtlinie für die klassische Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU)
Richtlinie für die Auftragsvergabe in den Bereichen der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Richtlinie 2014/25/EU)
Richtlinie über die Konzessionsvergabe (Richtlinie 2014/23/EU)
Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Richtlinie 2009/81/EG)
Im Zuge der Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien wurde die Struktur des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überarbeitet und eine grundlegend geänderte Vergabeverordnung erlassen. Die Änderungen betrafen damit nur den Oberschwellenbereich.
Einen unmittelbaren Einfluss auf die Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich hatte die Vergabemodernisierung nicht. Sie wurde aber zum Anlass genommen, auch die Vergabe öffentlicher Aufträge auf nationaler Ebene unterhalb der EU-Schwellenwerte zu reformieren. Dies erfolgte durch die neue Unterschwellenvergabeordnung, die im Februar 2017 im Bundesanzeiger bekannt gemacht wurde. Das neue Regelwerk ersetzt die bisher geltende Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A Abschnitt 1).1
Die Trennlinie zwischen dem Haushaltsvergaberecht und dem GWB-Vergaberecht ist der EU-Schwellenwert. Wird er unterschritten, ist das Haushaltsvergaberecht anwendbar, wird er erreicht oder überschritten, gilt das GWB-Vergaberecht.
Bild 1: Zweiteilung des Vergaberechts
Der Ursprung des EU-Schwellenwertes liegt in einer internationalen Vereinbarung, dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (»Government Procurement Agreement«, kurz GPA). Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Das GPA findet Anwendung auf Aufträge oberhalb bestimmter Schwellenwerte, die im GPA festgelegt sind (EU Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 18). Entsprechend gilt auch das GWB-Vergaberecht erst, wenn der geschätzte Auftragswert der zu beschaffenden Lieferung oder Leistung den aus dem GPA resultierenden und in Euro umgerechneten EU-Schwellenwert erreicht oder übersteigt.
Aus der Zweiteilung des Vergaberechts ergeben sich einige Unterschiede zwischen dem Haushaltsrecht als Unterschwellenvergabe- und dem GWB-Vergaberecht als Oberschwellenvergaberecht. Der bedeutendste Unterschied liegt in den Rechtsschutzmöglichkeiten der an Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen:
Das GWB-Vergaberecht ist als Eintrag im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Wettbewerbsrecht. Aus dem Schutz des Wettbewerbs folgt ein Rechtsschutz der auf dem Wettbewerbsmarkt tätigen Unternehmen:
»Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.«, § 97 Abs. 4 GWB.
Werden vergaberechtliche Vorschriften verletzt, haben die beteiligten Unternehmen einen umfassenden Primärrechtsschutz, der in den § § 155 ff. GWB geregelt ist. Nachprüfende Instanz sind die Vergabekammern und als Zweitinstanz die Oberlandesgerichte.
Im Gegensatz dazu bietet das Unterschwellenvergaberecht, das im Haushaltsrecht beheimatet ist, nur eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Unternehmen haben lediglich die Möglichkeit, Zivilgerichte anzurufen, um im Eilverfahren Zuschlagserteilungen zu verhindern oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Auch das EU-Primärrecht, das keine spezifischen vergaberechtlichen Vorschriften enthält, hat Einfluss auf das Vergaberecht. Das Primärrecht ist das ranghöchste Recht der Europäischen Union (EU). Es stammt im Wesentlichen aus den Gründungsverträgen, insbesondere dem Vertrag von Rom und dem Vertrag über die Europäische Union. Aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vor allem aus seinen Artikeln 49 und 56 folgen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz.
Diese Grundsätze gelten nicht nur für Vergaben oberhalb des EU-Schwellenwertes, sondern auch für Vergaben, deren Auftragswerte die EU-Schwellenwerte nicht erreichen, sofern an diesen ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Ein grenzüberschreitendes Interesse kann angesichts eines gewissen Volumens des Auftrags in Verbindung mit dessen technischen Merkmalen oder dem Leistungsort vorliegen. Es kann auch das Interesse von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern an der Teilnahme am Verfahren zur Vergabe dieses Auftrags berücksichtigt werden, sofern sich erweist, dass dieses Interesse real und nicht fiktiv ist (EuGH C-278/14).
Aufträge, deren Werte den EU-Schwelllenwert nicht erreichen, sind unter Beachtung der EU-primärrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz zu vergeben, wenn an den Aufträgen ein grenzüberschreitendes Interesse besteht.
Die Pflicht zur Beachtung der genannten europarechtlichen Grundprinzipien für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte kann sich auch aus den Vergabevorschriften der Länder ergeben. So heißt es in den kommunalen Vergabegrundsätzen des Landes NRW (Ziffer 3.1): »Auch unterhalb der EU-Schwellenwerte sind die europarechtlichen Grundprinzipien der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz zu beachten. Die Auftragsvergabe muss im Einklang mit den Vorschriften und Grundsätzen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfolgen.«
Die nachfolgende Übersicht gibt schemenhaft den Aufbau des Vergaberechts oberhalb und unterhalb des EU-Schwellenwertes wieder:
Bild 2: Aufbau des Vergaberechts oberhalb und unterhalb des EU-Schwellenwertes
Das Vergaberecht in Deutschland ist zweigeteilt.
Die Zweiteilung erfolgt durch den EU-Schwellenwert.
Vergaben über dem EU-Schwellenwert werden nach dem GWB-Vergaberecht durchgeführt.
Das GWB-Vergaberecht ist Wettbewerbsrecht.
Vergaben unterhalb des Schwellenwertes werden nach haushaltsrechtlichen Regelungen in Verbindung mit der Unterschwellenvergabeordnung (oder VOL/A) durchgeführt.
Bei Vergaben unterhalb des EU-Schwellenwertes sind die europarechtlichen Grundprinzipien der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz zu beachten.
Oberhalb der EU-Schwellenwerte gilt das europäische Vergaberecht (Richtlinie 2014/24/EU), das in Deutschland durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und die Vergabeverordnung umgesetzt wurde.
Vergaberechtliche Regelungen für die Beschaffung von Lieferungen und Leistungen, deren Auftragswerte den EU-Schwellenwert erreichen oder übersteigen, finden sich zunächst im 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Aufträge, die in den Anwendungsbereich des GWB fallen, sind europaweit auszuschreiben.
Das 1. Kapitel, das in drei Abschnitte und in weitere Unterabschnitte aufgeteilt ist, befasst sich mit den Vergabeverfahren.
Im 2. Kapitel finden sich Regelungen zum Nachprüfungsverfahren, einem vergaberechtlichen Rechtsschutzverfahren. Auch dieses Kapitel ist in drei Abschnitte unterteilt.
Der 4. Teil des GWB gilt gemäß § 106 GWB für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen – bei diesen besteht die Gegenleistung nicht in Geld, sondern in dem Recht zur Verwertung der erbrachten Leistungen- deren geschätzte Auftrags- oder Vertragswerte ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreichen oder überschreiten.
Ein Auftrag ist unter Beachtung des GWB und damit europaweit ausschreibungspflichtig, wenn
der Auftraggeber ein öffentlicher Auftraggeber ist (99 GWB),
der Auftrag ein öffentlicher Auftrag ist (§ 103 GWB),
der Auftrag entgeltlich ist,
der Auftragswert den einschlägigen Schwellenwert erreicht oder übersteigt (§ 106 Abs. 1 GWB) und
kein Ausnahmetatbestand einschlägig ist, der die Nichtanwendung der Vergabevorschriften erlaubt.
Bild 3: Unterteilung des 4. Teils des GWB, 1. Kapitel
Bild 4: Unterteilung des 4. Teils des GWB, 2. Kapitel
Wann ein Auftraggeber ein öffentlicher Auftraggeber ist, ist in § 99 GWB geregelt. Zu den öffentlichen Auftraggebern gehören auch Sektorenauftraggeber, § 100 GWB und Konzessionsgeber, § 101 GWB.
Zu den öffentlichen Auftraggebern nach § 99 GWB gehören:
Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, § 99 Nr. 1 GWB. Zu den Gebietskörperschaften gehören die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesländer, Stadtstaaten, die Kreise, Städte und Gemeinden. Zu den Sondervermögen der Gebietskörperschaften gehören zum Beispiel die Vermögensmassen unselbständiger Stiftungen oder der Eigenbetriebe.
Juristische Person des öffentlichen und des privaten Rechts, die gegründet worden sind, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, und die eine besondere Staatsnähe aufweisen, § 99 Nr. 2 GWB. Für die Staatsnähe bedarf es einer überwiegenden Finanzierung seitens der öffentlichen Hand oder der Leitung oder Aufsicht des Staates bzw. seiner nachgeordneten Stellen (OLG Düsseldorf, VII-Verg 22/05.).
Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen, § 99 Nr. 3 GWB. Zu den Verbänden im Sinne der Vorschrift gehören alle Kooperationen von öffentlichen Auftraggebern mit der gemeinsamen Zwecksetzung der Deckung eines Beschaffungsbedarfs. Hierbei kann es sich auch um privatrechtliche Zusammenschlüsse handeln, etwa in Form von Einkaufskooperationen oder um einen Zusammenschluss mehrerer Gebietskörperschaften im Rahmen einer Beschaffung. Auch ein als Verein eingetragener Bezirksfeuerwehrverband ist öffentlicher Auftraggeber (OLG München, Verg 17/13).
Natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, die von öffentlichen Auftraggebern nach den Nrn. 1-3 bei bestimmten Vorhaben subventioniert werden.
Gesetzliche Regelungen zu Feuerwehren unterliegen der Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Bundesländer. Insofern finden sich unterschiedliche Regelung in den Ländern und Stadtstaaten zu Organisation und Aufbau der Feuerwehren. Allen Regelungen ist aber gemein, dass zwischen Berufs-, Freiwilligen- und Pflichtfeuerwehren als öffentliche Feuerwehren und den Werk- und Betriebsfeuerwehren als betriebliche Feuerwehren unterschieden wird.
Eine Feuerwehr als solche kann nur dann selbst Auftraggeber sein, wenn sie über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Das ist in der Regel nicht der Fall.2 Die »Auftraggebereigenschaft« von Feuerwehren richtet sich deshalb nach deren jeweiligem Träger bzw. dem hinter der Feuerwehr stehenden Unternehmen.
Berufsfeuerwehren, Freiwillige Feuerwehren und Pflichtfeuerwehren als öffentliche Feuerwehren sind nach den jeweiligen Ländergesetzen hauptsächlich gemeindliche Einrichtungen. Träger dieser Feuerwehren sind die jeweiligen Gebietskörperschaften. Die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber folgt damit aus 99 Abs. 1 GWB.
Berufsfeuerwehren, Freiwillige Feuerwehren und Pflichtfeuerwehren sind mit der sie tragenden Gebietskörperschaft öffentliche Auftraggeber.
Betriebe oder Einrichtungen, bei denen die Gefahr eines Brandes oder einer Explosion besonders groß ist oder bei denen in einem Schadenfall eine große Anzahl von Personen gefährdet wird, müssen eine Werkfeuerwehr aufzustellen und unterhalten; die Werkfeuerwehr wird staatlich angeordnet. Werkfeuerwehren sind auch staatlich anerkannte Feuerwehren, die freiwillig gebildet wurden.
Fällt der Betrieb oder die Einrichtung, die die Feuerwehr aufgestellt hat und unterhält, unter den öffentlichen Auftraggeberbegriff, umfasst dieser ebenfalls die Werkfeuerwehr.
Die Planck GmbH betreibt ein Forschungszentrum mit Werkfeuerwehr. Einziger Gesellschafter der GmbH ist die Stadt Thalburg an der Ohm. Die GmbH ist nach § 99 Nr. 2 GWB öffentlicher Auftraggeber; Beschaffungen der Werkfeuerwehr sind vergabepflichtig.
Werkfeuerwehren können Teil eines öffentlichen Auftraggebers sein.
Werkfeuerwehren können aber auch von privaten Unternehmen aufgestellt sein.
Die Firma Rakete GmbH, die Feuerwerkskörper produziert, unterhält eine staatlich angeordnete Werkfeuerwehr. Alleiniger Gesellschafter der GmbH ist Herr Müller. Herr Müller fällt nicht unter die in § 99 GWB genannten öffentlichen Auftraggeber. Vergaberechtliche Bestimmungen muss die Rakete GmbH bei Beschaffungen ihrer Werkfeuerwehr nicht beachten.
Betriebsfeuerwehren sind im Gegensatz zu Werkfeuerwehren weder staatlich angeordnet noch staatlich anerkannt. Auch hier richtet sich die Auftraggebereigenschaft nach dem die Feuerwehr aufstellenden Betrieb.
Ebenso wie die Feuerwehren wird die Organisation und Bereitstellung der Rettungsdienste durch Gesetze der Bundesländer und Stadtstaaten geregelt. Träger des Rettungsdienstes sind die Kommunen oder auch Landkreise. Als Gebietskörperschaften sind die Träger des Rettungsdienstes öffentliche Auftraggeber.
Sektorenauftraggeber sind öffentliche Auftraggeber, die eine Sektorentätigkeit ausüben, § 100 GWB. Was eine Sektorentätigkeit ist, ergibt sich aus § 102 GWB: So sind zum Beispiel das Bereitstellen von Trinkwasser-, Elektrizitäts-, Gas- und Wärmenetzen und die Einspeisung von Trinkwasser, Elektrizität-, Gas und Wärme Sektorentätigkeiten. Auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung eines Flughafens sind Sektorentätigkeiten, § 102 Abs. 5 GWB.
Übt ein Unternehmen, das nach § 99 GWB als öffentlicher Auftraggeber zu qualifizieren ist, Tätigkeiten im Bereich eines Flughafens aus, ist es Sektorenauftraggeber.
Die Stadt Thalburg an der Ohm betreibt ihren Flughafen über die »Airport Thalburg an der Ohm GmbH«; alleiniger Gesellschafter ist die Stadt. Die Airport Thalburg an der Ohm GmbH unterhält eine Flughafenfeuerwehr. Die GmbH und damit eingeschlossen die Werkfeuerwehr ist nach § 99 Nr. 2 GWB öffentlicher Auftraggeber. Bei Beschaffungen der Werkfeuerwehr ist das Sektorenvergaberecht zu beachten.
Für Sektorenauftraggeber gilt die Sektorenverordnung (SektVO). Sie enthält wie auch das GWB einige Erleichterungen für die Beschaffungen von Sektorenauftraggebern. So können diese zwischen den Verfahrensarten freier wählen, vgl. § 141 GWB.
Bei einem eine Werkfeuerwehr haltenden Unternehmen kann es sich um einen Sektorenauftraggeber handeln.
Konzessionsgeber sind öffentliche Auftraggeber, die eine Konzession vergeben, § 101 GWB. Eine Dienstleistungskonzession ist gegenüber einem Dienstleistungsauftrag dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenleistung des Auftraggebers nicht in einem geldwerten Vorteil, also weder in Geld noch in Sachleistungen, sondern nur in dem Recht zur wirtschaftlichen Verwertung der erbrachten Leistung besteht, wobei der Leistungserbringer ganz oder überwiegend das Nutzungsrisiko übernimmt (OLG Düsseldorf, VII-Verg 34/15.).
Die Feuerwehr der Stadt Thalburg an der Ohm will ihre Betriebskantine bewirtschaften lassen. Sie vergibt eine Dienstleistungskonzession: Der Kantinenbetreiber erhält keine Vergütung von der Stadt, sondern erhält das Recht, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Essen und Getränke in der Kantine zu verkaufen. Das wirtschaftliche Risiko trägt der Kantinenbetreiber. Verkauft er zu wenig, muss er den Verlust selbst tragen.
Für Konzessionsgeber gilt die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV).
Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben, § 103 GWB.
Tabelle 1: Übersicht über die öffentlichen Auftraggeber
NormBeispieleZu beachtende Vorschriften
Wesensmerkmal eines öffentlichen Auftrags ist die Teilnahme des öffentlichen Auftraggebers am Markt; das ist dann der Fall, wenn er seine interne Aufgabenorganisation verlässt, um Verträge mit außenstehenden Dritten abzuschließen (1 Verg. 4/01).
Öffentliche Aufträge lassen sich in folgende Kategorien unterteilen:
Lieferaufträge: Verträge zur Beschaffung von Waren durch Kauf, Leasing, Miete oder Pacht.
Beispiele: Kauf eines Krankentransportwagens, Leasing eines Drehleiterfahrzeugs
Bauaufträge: Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen.
Dienstleistungsaufträge: Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht Lieferleistung und nicht Bauleistung sind.
Beispiele: Beschaffung von Beratungsleistungen, Reinigungsleistungen
Rahmenvereinbarungen: Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis.
Beispiel: Rahmenvereinbarungen über die Lieferung von Büromöbeln
Wettbewerbe: Auslobungsverfahren, die dem Auftraggeber aufgrund vergleichender Beurteilung durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen zu einem Plan oder einer Planung verhelfen sollen.
Beispiel: Architektenwettbewerbe
Kein öffentlicher Auftrag liegt vor, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht als Nachfrager, sondern als Anbieter von Leistungen auftritt, also nichts beschafft, sondern Leistungen für Dritte erbringt.
Die Feuerwehr der Stadt Thalburg an der Ohm hat ein EDV-Programm für die Archivierung von Einsatzdaten entwickelt. Dieses Programm bietet sie auf dem Markt zum Kauf an. Da keine Leistung beschafft wird, ist kein Vergaberecht zu beachten.3
Der Auftrag muss entgeltlich sein. Das Wort »entgeltlich« bezeichnet nach der gewöhnlichen rechtlichen Bedeutung einen Vertrag, mit dem sich jede Partei verpflichtet, eine Leistung im Gegenzug für eine andere zu erbringen (EuGH, C-606/17).
Der Entgeltbegriff im Vergaberecht ist möglichst weit zu fassen. Er bezieht sich nicht nur auf die Zahlung von Geld als Gegenleistung, sondern umfasst jede Art von Vergütung, die einen geldwerten Vorteil bedeutet (OLG Düsseldorf, VII-Verg 71/03; OLG Frankfurt am Main, 11 Verg 11/04). Das weite Verständnis von der Entgeltlichkeit soll die vergaberechtspflichtigen öffentlichen Aufträge von den vergabefreien Gefälligkeitsverhältnissen oder außerrechtlichen Beziehungen abgrenzen (OLG Naumburg, 1 Verg 9/05).
Daher fällt ein Vertrag, der einen Leistungsaustausch vorsieht, auch dann unter den Begriff »öffentlicher Auftrag«, wenn sich die vorgesehene Vergütung auf den teilweisen Ersatz der Kosten beschränkt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen (EuGH, C-606/17).
Das Unternehmen U bietet der Feuerwehr der Stadt Thalburg an der Ohm an, einen gebrauchten Krankentransportwagen, den die Feuerwehr nicht mehr benötigt, gegen ein neues Einsatzleiterfahrzeug zu tauschen. Die Werte der Fahrzeuge sind ungefähr gleich. Es handelt sich um einen öffentlichen Auftrag, weil ein Entgelt in Form eines gebrauchten Fahrzeugs geleistet wird. Das Angebot von U kann daher nicht angenommen werden, weil es sich sonst um einen, in diesem Fall unzulässigen, Direktauftrag handeln würde.
Die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts setzt außerdem voraus, dass der geschätzte Auftragswert den jeweiligen EU-Schwellenwert erreicht oder übersteigt.
Die Schwellenwerte sind nicht im GWB festgeschrieben, sondern ändern sich alle zwei Jahre. § 106 GWB nennt daher keinen festen Betrag als Schwellenwert, sondern verweist auf Artikel 4 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Artikel 15 der Richtlinie 2014/25/EU (für Sektorentätigkeiten) und Artikel 8 der Richtlinie 2014/23/EU (für Konzessionsvergaben) in der jeweils geltenden Fassung.
Grund für die alle zwei Jahre erfolgende Änderung des Schwellenwertes sind Wechselkursentwicklungen: Die Schwellenwerte sind im Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, kurz »GPA«)4 vorgesehen und werden in Sonderziehungsrechten (SZR) ausgedrückt. Sonderziehungsrechte sind eine weltweite künstliche Währung, die vom Internationalen Währungsfonds eingeführt wurde und denen ein Währungskorb aus den Währungen US-Dollar, japanischer Yen, Euro, britisches Pfund, chinesischer Renminbi mit unterschiedlichen Anteilen zugrunde liegt.
Der Gegenwert der Schwellenwerte in den europäischen Währungen Euro, Pfund, Kronen usw. wird alle zwei Jahre von der EU-Kommission entsprechend den Wechselkursschwankungen zu den Sonderziehungsrechten neu berechnet und veröffentlicht. Die Schwellenwerte sind Netto-Werte ohne Umsatzsteuer.
Die Schwellenwerte ergeben sich aus der Anpassung von europäischen Währungen an die im GPA festgelegten Sonderziehungsrechte.
Der Schwellenwert für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen »subzentraler Regierungsstellen« beträgt 200.000 SZR. Diese 200.000 SZR werden alle 2 Jahre unter Berücksichtigung von Wechselkursschwankungen neu in Euro umgerechnet.
Schwellenwerte für die Jahre 2012 und 2013 (EU-Verordnung Nr. 1251/2011)
für Bauaufträge: 5.000.000 EUR
für Verträge über Lieferungen und Leistungen: 200.000 EUR
für Sektorenauftraggeber bei Verträgen über Lieferungen und Leistungen: 400.000 EUR
Schwellenwerte für die Jahre 2014 und 2015 (EU-Verordnung Nr. 1336/2013)
für Bauaufträge: 5.186.000 Euro
für Verträge über Lieferungen und Leistungen: 207.000 Euro
für Sektorenauftraggeber bei Verträgen über Lieferungen und Leistungen: 414.000 Euro
Schwellenwerte für die Jahre 2016 und 2017 (Delegierte Verordnung (EU) 2015/2170)
für Bauaufträge: 5.225.000 Euro
für Verträge über Lieferungen und Leistungen: 209.000 Euro
für Sektorenauftraggeber bei Verträgen über Lieferungen und Leistungen: 418.000 Euro
Schwellenwerte für die Jahre 2018 und 2019 (Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365)
für Bauaufträge: 5.548.000 Euro
für Verträge über Lieferungen und Leistungen: 221.000 Euro
für Sektorenauftraggeber bei Verträgen über Lieferungen und Leistungen: 443.000 Euro
Aus der Übersicht ergibt sich, dass die Schwellenwerte regelmäßig gestiegen sind. Bei Erreichen oder Überschreiten dieser Schwellenwerte durch den geschätzten Auftragswert (siehe Kapitel II.5) ist das GWB-Vergaberecht zu beachten.
Für »soziale und andere besondere Dienstleistungen« gilt seit der Vergaberechtsmodernisierung im Jahr 2016 ein eigener Schwellenwert. Während früher die sozialen und besonderen Dienstleistungen bei Erreichen oder Überschreiten des allgemeinen Schwellenwertes für Liefer- und Dienstleistungen als nachrangige Dienstleistungen nur sehr begrenzt den Vergabebestimmungen des Oberschwellenrechtes unterworfen waren, ist nunmehr das GWB-Vergaberecht für diese Leistungen erst ab einem Schwellenwert von 750.000 Euro zu beachten (Artikel 4 Buchstabe d) der Richtlinie 2014/24/EU). Vergeben Sektorenauftraggeber soziale oder andere soziale Dienstleistungen, gilt ein Schwellenwert von 1.000.000 Euro (Artikel 15 Buchstabe c) der Richtlinie 2014/25/EU).
Was soziale und andere besondere Dienstleistungen sind, ergibt sich aus dem Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU, dort werden folgende Leistungen aufgeführt:
Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens und zugehörige Dienstleistungen
Administrative Dienstleistungen im Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und kulturellen Bereich
Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung
Beihilfen, Unterstützungsleistungen und Zuwendungen
Sonstige gemeinschaftliche, soziale und persönliche Dienstleistungen, einschließlich Dienstleistungen von Gewerkschaften, von politischen Organisationen, von Jugendverbänden und von sonstigen Organisationen und Vereinen
Dienstleistungen von religiösen Vereinigungen
Gaststätten und Beherbergungsgewerbe
Dienstleistungen im juristischen Bereich, sofern sie nicht nach Artikel 10 Buchstabe d ausgeschlossen sind; dazu gehören Schieds- und Gerichtsverfahren und diese vorbereitende Beratungsleistungen sowie notarielle Beurkundungsleistungen
Sonstige Dienstleistungen der Verwaltung und für die öffentliche Verwaltung
Kommunale Dienstleistungen
Dienstleistungen für Haftanstalten, Dienstleistungen im Bereich öffentliche Sicherheit und Rettungsdienste, sofern sie nicht nach Artikel 10 Buchstabe h ausgeschlossen sind, also Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden (siehe Kapitel I, 2.1.3)
Dienstleistungen von Detekteien und Sicherheitsdiensten
Internationale Dienstleistungen
Postdienste
Verschiedene Dienstleistungen (Reifenrunderneuerung, Schmiedearbeiten)
Im GWB finden sich einige Erleichterungen für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen. So kann zwischen den Verfahrensarten freier gewählt werden, Rahmenverträge können eine längere Laufzeit haben und der Auftraggeber kann kürzere Teilnahme- und Angebotsfristen festsetzen.
Die Vergabe von Konzessionen ist erst seit der Vergaberechtsmodernisierung im Jahr 2016 vergaberechtlich geregelt. Regelungen finden sich im GWB und in der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV).
Dieses Konzessionsvergaberecht ist aber nur dann anzuwenden, wenn der geschätzte Auftragswert den Schwellenwert von 5.350.000 Euro erreicht oder überschreitet, § 106 GWB. Dieser Schwellenwert gilt sowohl für Dienstleistungskonzessionen als auch für Baukonzessionen.
Für Konzessionsgeber gilt nach § 151 GWB, dass sie Vergabeverfahren im Rahmen der KonzVgV frei gestalten dürfen. Auch andere Erleichterungen sind für Konzessionsvergaben vorgesehen; sie finden sich in der KonzVgV.
Das GWB-Vergaberecht gilt nicht für alle Vergaben öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber, deren geschätzte Auftragswerte den EU-Schwellenwert erreichen oder übersteigen. Neben allgemeinen Ausnahmen, die für alle öffentlichen Aufträge gelten, finden sich besondere Ausnahmen und zwar jeweils für die »klassischen« öffentlichen Aufträge, die Sektorenaufträge und die Konzessionsaufträge.
Tabelle 2: Schwellenwerte für 2020 und 2021
Art der Beschaffung Art des AuftraggbersLieferleistungenDienstleistungenSoziale und andere besondere Dienstleistungen 5BauleistungenKonzessionen
Tabelle 3:
Allgemeine AusnahmenBesondere Ausnahmen
Die Organisation des Rettungsdienstes ist Sache der Bundesländer und wird in den Rettungsdienstgesetzen der Länder unterschiedlich ausgestaltet. Entsprechend gibt es für die Organisation des Rettungsdienstes unterschiedliche Modelle:
Eigenerbringung: Der Träger des Rettungsdienstes erbringt die Rettungsdienstleistungen selbst.
Submissionsmodell: Der Träger des Rettungsdienstes beauftragt Dritte, wie Hilfsorganisationen oder private Unternehmen mit der Erbringung der Rettungsdienstleistungen. Der Träger vergütet die Leistungen unmittelbar an den Dritten und refinanziert die Kosten bei den zuständigen Versicherungsträgern.
Konzessionsmodell: Der Träger des Rettungsdienstes beauftragt Dritte mit der Erbringung der Rettungsdienstleistungen. Der Dritte erhält als Gegenleistung keine Vergütung vom Träger des Rettungsdienstes, sondern rechnet die erbrachten Leistungen direkt mit den zuständigen Sozialversicherungsträgern ab.
Das Submissionsmodell stellt einen öffentlichen Auftrag dar: Ein öffentlicher Auftraggeber schließt einen entgeltlichen Vertrag mit einem Dritten über die Erbringung von Leistungen.
Auch das Konzessionsmodell unterliegt im Grundsatz dem GWB-Vergaberecht in Verbindung mit der Konzessionsvergabeverordnung, sofern der entsprechende Schwellenwert erreicht ist (siehe Kapitel II, 2.1.1).
Nun sieht aber § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, mit dem Art. 10 Buchstabe h der Richtlinie 2014/14/EU in deutsches Recht umgesetzt wurde, vor, dass Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung, vom Vergaberecht ausgenommen sind.
Im Hinblick darauf, dass es im Rettungsdienst unterschiedliche Formen von Krankentransporten gibt, herrschte Unsicherheit darüber, welche konkreten Leistungen unter die Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB fallen.
Der Rettungsdienst umfasst:
Die Notfallrettung: Die Notfallrettung hat die Aufgabe, bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten lebensrettende Maßnahmen am Notfallort durchzuführen, deren Transportfähigkeit herzustellen und sie unter Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit und Vermeidung weiterer Schäden mit Notarzt- oder Rettungswagen oder Luftfahrzeugen in ein für die weitere Versorgung geeignetes Krankenhaus zu befördern (vgl. bspw. § 2 RettG NRW).
Den qualifizierten Krankentransport: Der Krankentransport hat die Aufgabe, Kranken oder Verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die keine Notfallpatienten sind, fachgerechte Hilfe zu leisten und sie unter Betreuung durch qualifiziertes Personal mit Krankenkraftwagen oder mit Luftfahrzeugen zu befördern.
Daneben gibt es außerdem den »nichtqualifizierten Krankentransport« oder die »Krankenfahrten«. Dabei handelt es sich um die Beförderung von kranken, verletzen oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die während der Fahrt nicht der medizinisch fachlichen Betreuung durch medizinisches Fachpersonal oder besonderer Einrichtungen des Krankenkraftwagens bedürfen und bei denen solches aufgrund ihres Zustandes nicht zu erwarten ist (vgl. Art. 3 Nr. 6 BayRDG.).
Zu der Frage, welche der genannten Rettungsdienstleistungen unter die Bereichsausnahme fallen, hat der Europäische Gerichtshof im März 2019 einige klarstellende Aussagen getroffen; der Entscheidung lag der folgende Fall zugrunde:
Die Stadt S vergab einen Auftrag über die Durchführung der Notfallrettung und den qualifizierten Krankentransport in zwei Losen. Eine Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union erfolgte nicht. Stattdessen forderte S vier Hilfsorganisationen unmittelbar zur Angebotsabgabe auf und vergab an zwei von ihnen den jeweiligen Auftrag.
Ein privates Rettungs- und Krankendienstunternehmen warf der Stadt S daraufhin vor, den Auftrag ohne vorherige Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben zu haben. Daher beantragte das Unternehmen eine Nachprüfung mit dem Ziel, festzustellen, dass es durch die De-facto-Vergabe in seinen Rechten verletzt sei. Nachdem die Vergabekammer den Antrag als unzulässig verworfen hatte, rief das Unternehmen das OLG Düsseldorf an. Es trug vor, die vergebenen Rettungsdienstleistungen seien keine Dienstleistungen der Gefahrenabwehr. Der Begriff der »Gefahrenabwehr« erfasse nur die Abwehr von Gefahren für große Menschenmengen in Extremsituationen und nicht die Abwehr von Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit einzelner Personen. Daraus folge, dass der qualifizierte Krankentransport, der neben der Transportleistung die Betreuung und Versorgung durch einen Rettungssanitäter, unterstützt durch einen Rettungshelfer, enthalte (qualifizierter Krankentransport), nicht unter die Ausnahme nach Art. 10 Buchstabe h der Richtlinie 2014/24 falle, da es sich nur um einen Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung handele. Außerdem seien die beteiligten Organisationen nicht als gemeinnützige Organisation oder Vereinigung im Sinne von Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/14/EU anzusehen.
Das OLG legte dem Europäischen Gerichtshof daraufhin vier Fragen zur Auslegung der des Artikel 10 Buchstabe h der Richtlinie 2014/24/EU vor (EuGH, C-465/17).
Der Europäische Gerichtshof stellte zu den Fragen des OLG folgendes fest:
Die Notfallrettung unterfällt als Dienstleistung der Gefahrenabwehr der Bereichsausnahme des Artikel 10 Buchstabe h der Richtlinie 2014/24/EU und damit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB.
Der qualifizierte Krankentransport unterfällt der Bereichsausnahme, wenn ein Patient befördert werden muss, bei dem das Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert.
Die nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erforderliche Gemeinnützigkeit ist im Einzelfall zu prüfen und wird nicht durch die nationale Anerkennung als Hilfsorganisation ersetzt.
Rettungsdienstleistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes mit Verschlechterungsrisiko unterliegen nicht dem GWB-Vergaberecht.
Diese Rettungsdienstleistungen können also ohne förmliches Ausschreibungsverfahren an gemeinnützige Hilfsorganisationen vergeben werden.
Wie eine solche Vergabe ausgestaltet sein muss, ob also ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen ist oder Aufträge direkt vergeben werden können, hat der Europäische Gerichtshof allerdings offengelassen. In der Literatur werden unterschiedliche Modelle diskutiert (vgl. Kieselmann und Friton, 2019); eine abschließende Klärung muss aber noch erfolgen.
Bis zu einer abschließenden Klärung sollten Auftraggeber bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen, die der Bereichsausnahme unterfallen, transparente und wettbewerbliche Verfahren durchführen.
Die dargestellten Bereichsausnahmen gelten gemäß § 1 Abs. 2 UVgO auch für die Vergabe von Rettungsdienstleistungen, die den EU-Schwellenwert nicht erreichen.