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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-029-5
Wenn es nur jemandem gäbe, dem sie sich anvertrauen könnte, dachte Maren Bredenbrock. Sie war voller Wünsche und voller Hoffnungen. Ihr Leben flog ihr derzeit ganz schön um die Ohren.
War das ein Wunder?
Auch wenn sie bereits fünfzehn Jahre alt war, war sie noch weit davon entfernt, ganz cool ihr Leben allein zu meistern. In diesem Alter brauchte man nicht nur einen Elternteil, sondern man sehnte sich nach einer heilen Weg, die aus Vater und Mutter bestand. Sie und ihr Bruder Tim hatten nur ihren Vater. Zum Glück. Und der kümmert sich wirklich sehr um sie, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sie einfach verlassen hatte, um sich zu verwirklichen. Und es war ganz schlimm, dass Maren ganz zufällig mitbekommen hatte, dass ihr Vater der Mama einen großen Batzen Geld zahlen musste, damit sie sie endlich in Frieden ließ. Das war zwar gut so, weil sie mit ihr nichts mehr anfangen konnten. Doch es war schon bitter zu erfahren, dass ihre Mutter überhaupt nicht an ihnen interessiert war, dass sie Tim und sie gar nicht haben wollte.
War das normal?
Wollte eine Mutter nicht um jeden Preis mit ihren Kindern zusammen sein? Kämpfte eine Mutter nicht darum?
Dass sie sich so herzlos verhalten hatte, das tat noch immer ganz schön weh. Doch der Schmerz ließ nach, und das lag zum großen Teil an Nicki. Sie waren mittlerweile schon so etwas wie ziemlich beste Freundinnen geworden, und sie telefonierten sehr oft miteinander. Sie verstanden sich blendend.
Maren konnte Nicki ihr Herz ausschütten!
Nun ja, wenigstens teilweise. Über das, was sie wirklich bewegte, konnte sie mit Nicki nicht reden, noch nicht. Das wusste nicht einmal ihr Bruder Tim, und dem sagte sie beinahe alles. Sie hatte daran gedacht, mit Pamela Auerbach darüber zu sprechen, doch das hatte sie dann bleiben lassen. Es war wohl keine so gute Idee. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Sophia von Bergen. Mit der hatte sie gesprochen, doch Sophia war von ihrer Idee nicht begeistert gewesen.
Nein!
Sie musste allein da durch, und sie würde es schaffen, ihren Vater und Nicki, die Freundin von der Frau Doktor, zusammenzubringen. Es wäre doch gelacht!
Freilich gab es da noch ein paar Schwierigkeiten. Und eine davon war, dass Nicki den Sonnenwinkel schrecklich fand, sie hatte gesagt, dass sie da nicht einmal tot über dem Zaun hängen wollte.
Das war nicht ganz so schlimm. Wenn Maren daran dachte, wie sie und Tim herumgezickt hatten, als ihr Vater sie in den Sonnenwinkel verfrachtet hatte. Es war gruselig gewesen, und einmal waren sie sogar abgehauen, weil sie ihr altes Leben wiederhaben wollten. Nein, daran wollte sie nicht mehr denken, es war die Enttäuschung pur gewesen. In ihrem Haus wohnten andere Leute, es war schrecklich gewesen, das sehen zu müssen, doch es war noch schlimmer gekommen. Ihr Freund, für den sie so sehr geschwärmt hatte, hatte eine andere und war so richtig blöd gewesen. Und dann war es noch schlimmer gekommen, obwohl das kaum vorstellbar war. Sie hatten ihre Mutter auf der anderen Straßenseite gesehen, und die war eilig davongelaufen, um nur ja nicht mit ihnen sprechen zu müssen. Krasser ging es ja wohl nicht!
Tim und sie waren ganz schön durch den Wind gewesen, weil sie sich das so nicht vorgestellt hatten.
Ihr Papa hatte sie bei der Bahnhofsmission abgeholt, wohin die Polizei sie gebracht hatte, weil sie in ihrer Verwirrtheit aufgefallen waren. Und er hatte überhaupt nicht gemeckert. Ja, ja, er war schon ein toller Vater!
Und so schlimm war es im Sonnenwinkel auch nicht. Das hatten Tim und sie mittlerweile festgestellt. Nicki würde auch noch dahinterkommen.
Aber wie sollte sie es anstellen, Nicki und ihren Papa ganz unverfänglich zusammenzubringen?
Darüber zerbrach Maren sich unentwegt den Kopf, zumal die Frau Droste, die Lehrerin aus der Oberstufe, mittlerweile bei ihnen gewesen war. Eigentlich war sie ja ganz nett, aber trotzdem durfte da nicht etwas einreißen. Sie mussten die Droste aus dem Haus ekeln. Wenn Tim bloß mitspielen würde! Tat er nicht, er lachte sogar mit dieser Person.
Sollte sie ihm nicht doch sagen, was da auf dem Spiel stand? Kein leichtes Unterfangen, er kannte Nicki ja nicht einmal.
Tim war noch in der Schule, ihr Vater war daheim und mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt. Er konnte ganz gut kochen mittlerweile, das hatte Angela ihm beigebracht. Die Angela war ebenfalls supernett. Die wäre auch was für ihren Papa gewesen, doch die war für ihn viel zu alt. Nein, sie musste an nichts und niemanden mehr auch nur einen Gedanken verschwenden.
Nicki war es!
Die passte perfekt zu ihrem Papa, und Nicki würde ihn auch wieder zum Lachen bringen. Sie war so humorvoll, und ihr Papa war viel zu ernst, seit die Mama damals einfach abgehauen war.
Bei dem Gedanken an ihre Mutter waren Zorn und Trauer in ihr, und so würde es vermutlich auch noch eine ganze Weile bleiben.
Aber Nicki mit ihrem Humor würde ihren Schmerz sehr schnell heilen. Sie brauchten ja auch überhaupt keine neue Mutter, sie hatten ja eine, auch wenn die ein schrecklicher, egoistischer Mensch war. Aber ihr Papa brauchte eine Frau, und Tim und sie, nun, es wäre doch schön, mit Nicki so etwas wie eine sehr viel ältere Schwester zu haben, eine Cousine, nein, Nicki sollte ihre mütterliche Freundin sein.
Maren hatte den Begriff einmal irgendwo gelesen, und er hatte ihr gefallen, auch wenn sie keine so richtige Vorstellung hatte, was mit einer mütterlichen Freundin gemeint war.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als das Telefon schrillte. Da ihr Papa in der Küche beschäftigt war, nahm Maren das Gespräch an.
Das konnte jetzt nicht wahr sein!
Sie hätte mit allem gerechnet, damit nicht!
Die Anruferin war diese Jutta Droste. Was wollte die denn schon wieder? Sie war doch erst gestern bei ihnen gewesen, und sie hatte heute ihren Papa auf jeden Fall im Lehrerzimmer gesehen. Wollte sie sich bei ihm so richtig einschleimen?
»Hallo, hier ist Jutta Droste, kann ich bitte mit …«
Maren ließ die Frau überhaupt nicht erst aussprechen, sondern drückte das Gespräch wortlos weg.
Als es erneut klingelte, unterbrach Maren das Gespräch schon nach dem zweiten Klingelton.
Hoffentlich versuchte diese Droste es nicht erneut, denn ihr Vater kam aus der Küche gelaufen und erkundigte sich: »Wer hat denn da angerufen, Maren?«
Ihr Vater hatte sie dazu erzogen, immer bei der Wahrheit zu bleiben, auch in schwierigen Situationen. Das war jetzt eine Ausnahme, und Maren wünschte sich nur, dass sie jetzt nicht anlief wie eine reife Tomate und dass man ihr nicht ansah, dass sie flunkerte, als sie antwortete: »Niemand, da hat sich jemand verwählt.«
Ihr Vater hinterfragte es nicht, er war mit der Antwort zufrieden, doch Maren fühlte sich schlecht. Seinen Vater zu belügen, der immer für einen da war, der alles für einen tat, das war schon ganz schön krass.
»Okay, dann deck doch bitte schon mal den Tisch, damit wir direkt essen können, wenn Tim gleich nach Hause kommt. Du weißt doch, dass er immer einen Bärenhunger hat. Dabei ist er beinahe schon dünn und isst wie ein Bauarbeiter. Er hat immer Hunger.«
Das stimmte, doch Tim bewegte sich auch sehr viel. Er war immer in Aktion, während sie es eigentlich eher gemütlich liebte. Sie las gern, sie war eine richtige Couchpotato!
Maren deckte den Tisch, und sie war froh, dass ihr Vater mit dem Kochen des Mittagessens beschäftigt war. So konnte sie nachdenken.
Diese Droste war an ihrem Vater interessiert. Sonst hätte sie jetzt nicht angerufen. Dass sie mit ihm sprach, hatte sie ja gerade noch verhindert, doch sie konnte nicht immer am Telefon sitzen, und sie konnte auch nicht immer auflegen.
Was also sollte sie tun?
Sie blickte auf ihre Armbanduhr.
Noch hatte sie ein paar Minuten, ehe Tim nach Hause gepoltert kam. Sie musste nachdenken, und das konnte sie am besten in ihrem Zimmer. Da störte sie keiner.
Gesagt, getan.
Sie rannte die Treppe hinauf, warf sich in ihrem sehr hübsch eingerichteten Zimmer auf ihr Bett und starrte an die Decke. Wenn sie doch bloß wüsste, was sie tun sollte!
Sie hatte da noch keine Minute gelegen, als ihr Handy klingelte. Sollte sie sich melden? Eigentlich hatte sie keine Lust, mit jemandem zu reden. Bestimmt war es jemand aus ihrer Klasse und wollte etwas zu den Schularbeiten wissen. Das hatte sich in letzter Zeit eingebürgert, denn Maren war eine sehr gute Schülerin, ohne eine Streberin zu sein. Sie war hat sehr intelligent und hatte eine rasche Auffassungsgabe. Sie kam halt ganz auf ihren Papa! Was für ein Glück.
Das Klingeln hörte nicht auf, also angelte sie sich das Handy und meldete sich ein wenig lustlos, doch sie wurde sofort hellwach, als sie merkte, wer sie da anrief.
Es war Nicki!
»Du bist ja doch daheim«, rief Nicki, »ich wollte schon auflegen. Schön, dass wir miteinander ein wenig quatschen können. Ich habe gerade Mittagspause und muss mich von einer langweiligen technischen Übersetzung, die ich gerade machen muss, ein wenig erholen.«
Wie schade, dass Nicki nicht sehen konnte, wie sehr Maren jetzt strahlte. Sie war geradezu glücklich.
»Nicki, es ist so schön, dass du anrufst. Ich bin nämlich augenblicklich nicht so gut drauf, und du kannst einen immer aufheitern.«
»Was ist los, Maren?«, erkundigte Nicki sich sofort ganz besorgt. »Hast du eine Arbeit versemmelt?«
Jetzt hätte Maren beinahe gelacht. Sie hatte noch niemals eine schlechte Note für eine Arbeit bekommen.
»Nö, ich weiß selbst nicht, was es ist«, wich Maren aus. »Ich wollte, es wäre eine schlechte Note in der Schule, wenn man sich auf den Hosenboden setzt und lernt, dann kann man so etwas rasch wieder ausbügeln.«
Der Kleinen ging es nicht gut, das spürte Nicki.
»Maren«, sagte sie deswegen sofort, »weißt du, manchmal ist es so im Leben, dass nichts richtig klappt, dass man von etwas enttäuscht ist. Aber manchmal mag man einfach nur ein wenig traurig sein. Ich weiß, wovon ich spreche, denn mir geht es nicht anders. Manchmal stürzt ebenfalls der Himmel über mir ein, und ich glaube aus diesem Scherbenhaufen niemals wieder herauszukommen. Du weißt schon, dass du mit mir über alles reden kannst, nicht wahr? Ich höre dir zu, und ich behalte es für mich. Ich kann schweigen wie ein Grab. Was zwischen uns ist, davon weiß nicht einmal meine Freundin Roberta etwas, und eigentlich reden wir über alles. Also, magst du reden, Maren?«
Maren zögerte einen Moment.
War das jetzt der Augenblick?
Nein!
So gut kannte sie Nicki nicht, um vorhersagen zu können, dass aus ihr und ihrem Papa ein Paar werden würde. Und sie wollte Nicki nicht vergraulen. Auch wenn es verdammt schwer war, sie musste Geduld haben.
Nicki erwartete eine Antwort.
»Na ja, vermutlich ist es wirklich so, dass ich nur ein wenig traurig sein mag«, sagte sie ein wenig halbherzig. Doch das bemerkte Nicki zum Glück nicht. Sie setzte jetzt alles daran, Maren aufzumuntern, und schließlich gelang ihr das sogar ein wenig. Ihre kleine Freundin konnte sogar über etwas lachen, was Nicki ihr erzählt hatte. Nicki ahnte nicht, dass sie durch dieses Gespräch bei Maren wieder eine ganze Menge Pluspunkte gesammelt hatte.
Wenn sie auch nur die geringste Ahnung davon hätte, wäre sie jetzt nicht so entspannt.
Unten im Haus hörte Maren ein Getöse, Tim war nach Hause gekommen, er machte immer einen solchen Radau, und wenig später rief ihr Vater nach ihr.
Maren musste sich von Nicki verabschieden. Schade. Ihre letzten Worte waren: »Und wann sehe ich dich, Nicki?«
»Wenn ich das nächste Mal meine Freundin besuchen werde. Da will ich auch dich treffen, versprochen, Maren.«
Ihr Vater rief erneut, und Maren sagte rasch, dass sie das Gespräch leider beenden müsse, weil sie essen wollten.
Das verstand Nicki, obwohl sie über Marens Familie wirklich kaum etwas wusste. Immer, wenn sie fragen wollte, wich Maren aus. Vermutlich war es eine ganz schreckliche Familie.
»Geht es dir etwas besser?«, erkundigte Nicki sich behutsam.
Es kam die strahlende Antwort: »Immer, wenn ich mit dir telefoniere, gehe es mir gut, Nicki.«
Wie rührend!
Nicki wusste nicht, was es eigentlich war, was sie so sehr berührte. Vor allem wunderte sie sich über sich selbst, normalerweise hatte sie es nicht so mit Kindern und Jugendlichen. Im Gegensatz zu ihrer Freundin Roberta hatte sie es mit den Zeichen. Es hatte etwas zu bedeuten, dass sie an der Bushaltestelle in Hohenborn angehalten hatte, um Maren vor diesem grässlichen Jungen zu beschützen, der sie angemacht hatte. Da war etwas zwischen ihnen! Doch was, da konnte Nicki noch keinen Zusammenhang feststellen.
»Maren, meine Liebe, das freut mich sehr. Doch ich verrate dir etwas, wenn wir miteinander telefoniert haben, geht es mir ebenfalls direkt besser, so wie jetzt. Meine miese Laune ist vorbei. Ich werde gleich sehr viel entspannter an meine Arbeit gehen. Das habe ich einzig und allein dir zu verdanken. Sag mal, hast du da einen Gute-Laune-Zauber?«
Das ging bei Maren natürlich herunter wie Öl.
Nicki war ja so toll, sie war …
Es gab überhaupt keine Worte dafür, um das zu beschreiben.
»So, Maren, und jetzt muss ich unser Gespräch beenden. Es war schön wie immer, und ich freue mich auf unser nächstes Telefonat. Auf bald.«
Maren hätte jetzt so gern noch ein paar nette Worte gesagt, es ging nicht, denn Tim kam in ihr Zimmer gepoltert, einfach so.
Dabei wusste er das doch, dass sie es überhaupt nicht leiden konnte, wenn man einfach nur bei ihr hereintrampelte.
Sie verabschiedete sich nur knapp und unverfänglich, auch Tim durfte noch nichts von Nicki erfahren. Das würde eine Überraschung sein.
Außerdem war ihr kleiner Bruder gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
»Maren, wo bleibst du denn?«, beschwerte er sich. »Hast du nicht gehört, dass der Papa bereits gerufen hat? Wir wollen essen, und ich falle schon um vor lauter Hunger.«
Maren stand auf.
Dass Tim immer so maßlos übertreiben musste!
»So schnell fällt man nicht um, Tim«, bemerkte sie pampig.
»Übertreibe nicht immer so.«
Tim verdrehte die Augen.
Seine große Schwester!
Immer musste sie das letzte Wort haben. Dabei war sie gerade mal zwei Jahre älter als er. Das war doch überhaupt nichts.
Tim rannte mit Getöse die Treppe hinunter, und Maren folgte ihrem Bruder sofort, weil sie nämlich ebenfalls hungrig war. Das allerdings musste Tim nicht wissen, das musste sie ihm wirklich nicht auf die Nase binden. Kleine Brüder musste man halt unter Kontrolle halten. Aber das war es auch schon, sie und Tim waren ein Herz und eine Seele, und sie waren noch inniger zusammen, seit ihre Mutter sie verlassen hatte, um sich zu verwirklichen. Schmerz und Enttäuschung schweißten zusammen. Davon konnte sie ein Lied singen.