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»Dreh dich schnell einmal um, mein Sohn! Lächerlich siehst du aus! Was habt ihr für Pfaffenkutten am Leib? Lauft ihr auf der Akademie alle in solchen Kutten herum?«
So begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die auf der geistlichen Schule in Kiew studiert hatten und nun ins Vaterhaus heimkehrten.
Die Söhne, stämmige Burschen, die als kürzlich entlassene Seminaristen noch ein bißchen ducknackig dreinsahen, waren grade von den Pferden gestiegen. Ihre kräftigen, gesunden Gesichter zeigten den ersten Bartflaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte. Daß ihr Vater sie so empfing, verblüffte sie nicht wenig; sie standen reglos, mit gesenkten Lidern.
»Halt, halt! Laßt euch doch richtig ansehn!« fuhr Bulba fort. »Was für lange Kittel habt ihr da an? So was von Kitteln! Solche Kittel muß es auf der Welt noch nicht gegeben haben. Lauft doch einmal ein Stück! Ich möchte sehn, ob ihr nicht über eure Schöße stolpert und in den Dreck fliegt.«
»Laß doch das dumme Lachen, Vater, laß das!« sagte endlich der ältere von den beiden.
»Sieh nur den Hitzkopf an! Warum soll ich nicht lachen?«
»Darum! Und magst du zehnmal unser Vater sein – wenn du mich auslachst, nun, bei Gott, dann hau ich zu!«
»Na, du bist mir ein Sohn …! Was …? Deinen Vater …?« sagte Taraß Bulba und prallte vor lauter Staunen ein paar Schritte zurück.
»Vater oder nicht! Wenn mir einer dumm kommt, hau ich zu, wer es auch ist.«
»Also, wie tragen wir es aus? Durch Faustkampf?«
»Ist mir gleich!«
»Recht! Also Faustkampf!« sagte Bulba und krempelte die Ärmel hoch. »Wird sich ja zeigen, wie du dich bewährst im Faustkampf!«
Und Vater und Sohn begannen sich, statt einer Begrüßung nach der langen Trennung, Püffe in die Rippen, gegen Bauch und Brust zu geben. Bald traten sie zurück und maßen sich mit den Blicken, bald gingen sie wieder aufeinander los.
»Seht nur, liebe Leute: der Alte ist närrisch! Er hat einfach den Verstand verloren!« sagte die blasse, abgehärmte weichherzige Mutter der beiden, die in der Tür stand und ihre Lieblinge noch nicht hatte umarmen können. »Die Kinder kommen heim, man hat sie länger als ein Jahr nicht gesehen; und was denkt er sich aus: Faustkampf!«
»Na, er haut nicht schlecht zu!« sagte Bulba und hielt inne. – »Ja, das kann man sagen!« fuhr er fort, nachdem er sich etwas verpustet hatte. »Scheint mir fast klüger zu sein, man versucht es nicht erst. Das wird mir ein guter Kosak! Na, sei gegrüßt, mein Sohn! Gib mir nen Kuß!« Und Vater und Sohn begannen sich zu küssen. »Brav, mein Sohn! Hau jeden so, wie du mich jetzt verdroschen hast; laß dir nichts gefallen, von keinem! Aber einen lächerlichen Kittel hast du darum doch an! Was baumelt denn da für ein Strick herunter? – Und du, Grünling, was stehst du da und läßt die Pfoten hängen?« wendete er sich an den jüngeren. »Warum haust du mich nicht, Hundsfott?«
»Was er sich nicht noch alles ausdenken wird!« sagte die Mutter, die inzwischen ihren Jüngsten umarmt hatte. »Setzt sich in den Kopf, der leibliche Sohn soll den Vater schlagen! Und noch dazu grade jetzt: wo das arme Kind solch einen Weg hinter sich hat und so müde ist …!« Das Kind war gut zwanzig Jahre alt und genau sechs Fuß hoch. »Der Junge muß sich jetzt erst ausruhn und ein bißchen essen; und er will sich mit ihm prügeln!«
»Ach, du bist ein Schlappschwanz, seh ich schon!« sagte Bulba. »Hör nicht auf die Mutter, mein Sohn: sie ist ein Weibsbild, sie weiß gar nichts. Wozu braucht ihr Erholung? Eure Erholung ist das freie Feld und ein guter Gaul! Das ist eure Erholung! Und seht ihr den Säbel da? Das ist eure Mutter! Lauter Dreck, was man euch in die Köpfe trichtert: die Akademie und alle die Bücher und Fibeln und Philosophie und das alles, was weiß ich – gepfiffen ist auf den ganzen …!« Hier gebrauchte Bulba ein Wort, das man einfach nicht drucken kann. »Nein, das Beste ist schon, ich schick euch noch diese Woche ins Lager. Das nenn ich Wissenschaft. Das ist die Schule für euch; da und sonst nirgends geht euch ein Licht auf.«
»Und bloß eine Woche sollen die Jungen daheim sein?« sagte betrübt, mit Tränen in den Augen, die verhärmte alte Mutter. »Und kein Vergnügen sollen sie haben, die armen Kinder, und ihre Heimat sollen sie nicht kennenlernen, und ich soll sie nicht einmal richtig ansehn!«
»Hör auf mit dem Heulen; hör auf, Alte! Ein Kosak ist nicht auf der Welt, um sich mit Weibsbildern abzugeben. Wenn du die beiden nur unter deinen Rock stecken und dich draufsetzen könntest, wie eine Henne auf ihre Eier …! Marsch, marsch, tisch auf, was da ist! Aber nichts von Krapfen, Honigkuchen, Mohnwecken und solchen Leckereien; einen ganzen Hammel trag auf, Lammsbraten trag auf und vierzigjährigen Met! Und nicht zu wenig Schnaps – keinen Schnaps mit neumodischen Erfindungen, nichts von Rosinen und dergleichen überspanntem Kram drin, reinen, schäumenden Schnaps – perlen muß er und zischen wie toll.«
Bulba führte seine Söhne in die Stube. Dort waren zwei Mägde beim Aufräumen, hübsche Dinger mit roten Perlenschnüren um den Hals. Die Mädchen machten sich eilig zur Tür hinaus. Sie waren wohl erschrocken über die Ankunft der Jungherrn, die einem nicht gern etwas durch die Finger sahen, oder sie wollten vielleicht auch nur einfach die weibliche Sitte wahren, die einem Mädel gebietet, mit Gekreisch Hals über Kopf davonzurennen, sobald es ein Mannsbild erblickt, und dann noch lange vor übergroßer Scham das Gesicht hinterm Arm zu verstecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit eingerichtet, deren Gedächtnis nur noch in den Liedern und Volksballaden lebt, die heute im Grenzland keiner mehr von den langbärtigen blinden Alten singt, die sie einst zum leisen Geklimper der Pandora im Ring des Volkes sangen. Die Stube paßte gut in jene kriegerisch harte Zeit, da die Scharmützel und Schlachten wider die Union im Grenzland zu entbrennen begannen. Sie war mit lichter Leimfarbe sauber getüncht. An den Wänden Säbel, Knuten, Vogelgarne, Fischnetze und Flinten, ein kunstreich geschnitztes Pulverhorn, ein goldbeschlagener Pferdezaum und ein Spannstrick mit silbernen Plättchen. Die Fenster der Stube waren klein, mit trüben Butzenscheiben, wie man sie heutzutage nur noch in alten Kirchen findet; hinausblicken konnte man nur, wenn man die eine bewegliche Scheibe hinaufschob. Um die Fenster und Türen liefen rote Fassungen. Auf Regalen in den Zimmerecken standen Becher, Karaffen und Flaschen aus grünem und blauem Glas, gravierte Silberpokale, vergoldete Trinkschalen von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische, tscherkessische, die auf allerhand Wegen durch dritte und vierte Hand in Bulbas Stube gekommen waren, wie es zu gehen pflegte in jenen nicht gar so heikeln Zeiten. Die Bänke aus ungeschältem Birkenholz rundum an den Wänden, der riesige Tisch im Herrgottswinkel, der große Ofen aus lichtbunten Kacheln mit breiter Ofenbank und breitem Sims – das alles kannten unsere zwei Burschen recht gut, waren sie doch jedes Jahr für die Ferien heimgekommen – zu Fuß, weil sie noch keine Pferde besaßen und es nicht Brauch war, Scholaren reiten zu lassen. Sie trugen lange Schöpfe, an denen sie jeder waffenfähige Kosak nach Lust und Laune zupfen durfte. Dies Mal aber, zu ihrer Entlassung, hatte ihnen Bulba ein paar Hengste aus seiner Herde nach Kiew geschickt.
Bulba ließ zur Feier der Ankunft seiner Söhne alle Hauptleute und Chargen des Regiments zusammenrufen, soviele ihrer eben präsent waren; und als zwei davon mit dem Oberstleutnant Dmitro Towkatsch, seinem alten Kameraden, erschienen, stellte er ihnen gleich seine Söhne vor und sagte:
»Na, seht sie euch an! Tüchtige Burschen, was? Die sollen mir bald ins Lager.«
Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute und sagten, das ließen sie sich gefallen;, eine bessere Schule als das Lager gäbe es in der Welt nicht für einen jungen Menschen.
»Also, ihr Herren und Brüder, setzt euch nun an den Tisch, ein jeder, wo es ihm gefällt! Na, Burschen, vor allen Dingen einmal einen Schnaps!« sprach Bulba. »Gott stärk uns! Dein Wohl, Ostap, und das deine, Andri! Geb euch der liebe Gott nur alle Zeit Glück im Krieg! Die Ungläubigen sollt ihr verhauen, die Türken sollt ihr verhauen, und das Tatarenpack sollt ihr verhauen; und wenn die Polacken was gegen unsern Glauben anstiften, sollt ihr auch die recht tüchtig verhauen! Also, her mit dem Glas! Ist er nicht gut, der Schnaps? Halt, wie heißt Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, mein Sohn, Dummköpfe sind sie gewesen, die alten Römer: auch nicht ‘nen Dunst davon, daß es so was wie Schnaps gibt auf Erden. Wie war noch gleich der Name von dem Kerl, der die lateinischen Verse gemacht hat? Am Lesen und Schreiben bin ich kein Held, und da vergißt man es eben. Horatius, oder wie?«
– Sieh nur den Vater! dachte der ältere Sohn Ostap bei sich. – Alles weiß der durchtriebne Bursche und stellt sich nur so scheinheilig an.
»Na«, fuhr Taraß fort, »der Herr Präzeptor hat euch an Schnaps wohl nicht einmal riechen lassen? Und, Burschen, nun rückt mal raus: haben sie euch eure Buckel und, wißt schon, was der Kosak sonst noch hat, tüchtig mit frischem Birkenreisig verwichst? Oder wart ihr dafür vielleicht schon zu klug, und haben sie euch da lieber mit der Karbatsche in Behandlung genommen? Und wie oft denn? Bloß sonnabends, oder am Mittwoch und Donnerstag auch?«
»Hat keinen Wert mehr, davon zu reden«, gab Ostap gelassen zurück. »Vorbei ist, unberufen, vorbei.«
»Jetzt sollen sie’s einmal probieren!« sagte Andri. »Nur anfassen soll mich noch einer! Soll mir nur irgend so ein Tatarenlump in die Quere kommen, der wird schon merken, was ein Kosakensäbel fürn Ding ist!«
»Recht so, mein Sohn! Kreuzsakrament noch einmal! Und wenn man’s bedenkt – ich reite mit euch! Bei Gott, ich reit mit. Auf wen, zum Teufel, soll ich hier passen? Ist das ne Arbeit für unsereins: Buchweizen säen, das Haus bewachen, Schafe und Schweine hüten und schön tun mit meinem Weib? Verrecken soll sie; ich bin ein Kosak und mag den Kram nicht! Was frag ich darnach, daß jetzt kein Krieg ist? Ich reit ganz einfach so mit euch ins Lager – weil es mich freut. Bei Gott, ich reit mit!« Der alte Bulba erhitzte sich immer mehr und kam zum Schluß in helle Wut. Er sprang auf und warf sich in die Brust und stampfte mit dem Fuß. »Morgen in aller Frühe wird abgeritten! Worauf denn noch warten? Mit dem Hiersitzen kommen wir nie an den Feind! Was brauchen wir denn die Hütte da! Was brauchen wir den lumpigen Kram! Die Töpfe und Schüsseln!« Sprachs und begann das Geschirr zu zerschlagen und es vom Wandbrett auf den Boden zu werfen.
Die arme Alte, die solche Anfälle bei ihrem Mann schon gewohnt war, saß betrübt auf der Bank und sah ihm zu. Sie getraute sich nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Doch als sie seinen Beschluß vernahm, konnte sie die Tränen nicht halten. Sie blickte auf ihre Kinder, von denen sie sich morgen schon wieder trennen sollte, und unbeschreiblich war die stumme Kraft des Schmerzes, der heiß in ihren Augen flackerte und die zusammengepreßten Lippen zittern hieß.
Bulba war ein hartnäckiger Eisenschädel, ein Kerl, wie ihn nur das harte sechzehnte Jahrhundert hervorbringen konnte, und nur in jenem von halben Nomaden bevölkerten Winkel Europas, zu der Zeit, da das ganze südliche Altrußland, im Stich gelassen von seinen Fürsten, als Wüste dalag, preisgegeben dem Sengen und Brennen der mongolischen Räuber, deren Überfällen seit Menschengedenken keiner ein Ziel hatte stecken können. Jedoch aus dieser Not erwuchs hier, nachdem ihm Haus und Dach genommen waren, ein wagelustiges Geschlecht; umringt von schlimmen Nachbarn, umdroht von ewiger Gefahr, siedelte es sich auf den Trümmerstätten an, lernte dem Tod gerade ins Auge sehn und verlor die Erinnerung daran, daß es so etwas wie Furcht auf der Welt gibt. Da schlug der von Hause aus friedliche slawische Geist zu kriegerischer Flamme empor, geboren wurde das Kosakentum, der gewaltige, fröhliche Sproß am russischen Stamm. Alle Ufer, alle Plätze an Furten, alle wohnlichen Hänge an den Flüssen des Grenzlandes wurden besetzt von Kosaken, deren Menge niemand ermaß. Jene kecken Kameraden unter ihnen, die vom Sultan gefragt wurden, wie viele es ihrer wären, hatten wohl ein Recht, ihm zu erwidern: »Wer soll das wissen! Die ganze Steppe wimmelt von uns. Wo ein Grashümpel ist, da ist ein Kosak.« Dies war, Gott weiß es, ein loderndes Zeugnis von russischer Kraft: aus der Brust des Volkes hatte der Feuerstahl der Leiden den Funken geschlagen. An Stelle der Fürstentümer von einst, der engen Städtchen, bevölkert von Hundejungen und Jägern, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich ewig befehdeten oder Land und Leute verschacherten, erwuchsen wehrhafte Siedlungen, Hetmanschaften und Kosakengemeinden; und um die woben geteilte Gefahr und Haß gegen die räuberischen Ungläubigen ein unverbrüchliches Band. Jedermann weiß aus der Geschichte, wie der Kosaken ewiger Kampf, ihr wildes Leben Europa vor den gewaltigen Anstürmen behütet hat, die es über den Haufen zu werfen drohten. Die polnischen Könige, die statt der kleinen Fürsten Herrscher über diese weiten Landstriche geworden waren, freilich nur Herrscher aus der Ferne und ohne viel Macht, begriffen die Bedeutung der Kosaken sehr wohl und erkannten den Nutzen, den ihre Kampflust und Wachsamkeit ihnen brachten. Sie munterten diesen Geist noch auf und schmeichelten den Neigungen dieser Männer. Unter ihrer fernen Oberhoheit formten die Hetmane, die aus der Mitte der Kosaken selber erwählt wurden, die Gaue und Gemeinden zu Regimentern und regelrechten Wehrkreisen um. Dies war kein stehendes Frontheer – davon fand man hier nichts –, doch wenn es Krieg gab, und es ging eine große Bewegung durch unser Land, dann dauerte es nicht länger als acht Tage, bis jeder hoch zu Roß mit voller Bewaffnung antrat. Der König zahlte nur einen Dukaten Sold auf den Kopf, doch binnen zwei Wochen schon war ein Heer versammelt, wie es keine Aushebung hätte hinstellen können. War dann der Feldzug vorbei, so zerstreuten sich die Krieger über Wiesen und Weiden, zogen zu ihren Dnjeprfurten heim, fischten, trieben Handel, brauten Bier, waren freie Kosaken. Jeder Gast aus dem Ausland bewunderte zu der Zeit ihre vielseitige Geschicklichkeit. Es gab kein Handwerk, worauf sich der Kosak nicht verstanden hätte: er war Branntweinbrenner und Stellmacher, Pulvermüller, Schlosser und Schmied, und nebenbei wußte er tolle Feste zu feiern, zu zechen und zu schlemmen, wie nur der Russe zu schlemmen versteht – das alles war so richtig sein Fall. Außer den eingeschriebnen Kosaken, die verpflichtet waren, sich für den Krieg zu stellen, konnte man jederzeit, wenn Not am Mann war, ganze Horden von Freiwilligen zu den Waffen rufen – es brauchte nur der Oberstleutnant auf die Märkte und Plätze der Dörfer und Flecken zu ziehen, dort auf den Wagen zu steigen und aus vollem Halse zu rufen: »He, ihr Biersäufer und Brauer! Jetzt habt ihr lang genug Bier gebraut und euch auf den Ofenbänken gesielt und mit euern fetten Leichnamen die Fliegen gemästet! Vorwärts für Rittertum und Kosakenehre! Ihr Pflüger, ihr Säemänner, ihr Schafhirten, ihr Weiberhelden, lang genug seid ihr hinterm Pfluge gegangen und habt eure gelben Schuhe mit Erde verdreckt, lang genug habt ihr um die Weibsbilder geschwänzelt und eure Ritterkraft bei ihnen gelassen! Heute ruft der Kosakenruhm!« Solche Worte wirkten wie Funken, die auf dürres Holz springen. Der Pflüger zerbrach seinen Pflug, die Brauer ließen ihre Kufen und schlugen die Fässer entzwei, die Handwerker und Händler schickten Gewerbe und Kram zum Teufel, jeder zerbrach die Töpfe in seinem Haus, und alles, was da war, stieg in den Sattel. Kurz, der russische Geist flammte auf und schaute aus tapfern Augen hell in die Welt.
Taraß war einer von den angestammten alten Obersten. Er schien geschaffen fürs Kampfgetümmel und war ein Mann von rauher Geradheit der Sitten. Damals begann schon der polnische Brauch auf den russischen Adel zu wirken. Viele machten sich die fremden Sitten zu eigen, trieben Aufwand, hielten sich zahlreiche Dienerschaft, Falken, Hundemeuten, gaben Gastmähler und befleißigten sich eines höfischen Tons. Das alles war nicht nach Bulbas Sinn. Er liebte das einfache Leben des Kosaken und bekam Streit mit denen von seinen Kameraden, die nach der Warschauer Seite hinüber liebäugelten, weil er sie geradeheraus Leibeigne der polackischen Junker hieß. Ein ewig unruhiger Kopf, hielt er sich für den gottgewollten Schirmer des rechten Glaubens. Er setzte sich selber zum Richter ein und ritt in jedes Dorf, wo die Leute über Bedrückungen durch die Pächter oder neue Erhöhungen des Grundzinses klagten. Mit seinen Kosaken hielt er Gericht und hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen ohne langes Besinnen zum Säbel zu greifen: wenn die Kommissare den Ältesten die Ehre nicht gaben und das Haupt vor ihnen bedeckt ließen, wenn sie sich über den rechten Glauben lustig machten und den Sitten der Altvordern die Achtung versagten, und schließlich, wenn die Feinde Ungläubige und Türken waren. Gegen die war es immer erlaubt, zur Ehre des Christenglaubens die Waffen zu brauchen.
Jetzt freute er sich im voraus bei dem Gedanken, wie er mit seinen beiden Söhnen im Lager erscheinen und sagen würde: »Da seht, was für tüchtige Burschen ich bringe!«, wie er sie allen seinen alten, schlachtgehärteten Kameraden vorstellen, wie er ihre ersten Taten mit erleben würde, beim frohen Kampfspiel und beim weidlichen Pokulieren, das für ihn gleichfalls eine der wichtigsten Pflichten des Ritters war. Zuerst hatte er sie allein reiten lassen wollen, aber angesichts ihrer frischen Mannbarkeit, ihrer gesunden Körperschönheit packte ihn mächtig der soldatische Geist. Er beschloß, selbst mit ihnen zu reiten, und das gleich am nächsten Tag, wenn dafür auch keine andre Nötigung vorlag als sein eigensinniger Wille. Alsbald war er frisch an der Arbeit und erteilte Befehle, wählte Rosse und Sattelzeug für die Söhne aus, sah in Stall und Scheuer nach dem Rechten, bestimmte die Knechte, die morgen mit ihnen reiten sollten. Er übertrug dem Oberstleutnant Towkatsch seine Gewalt und erteilte ihm den gemessenen Befehl, sich ohne Verzug mit dem ganzen Regiment in Marsch zu setzen, sobald er aus dem Lager Botschaft schickte. War er auch angeheitert, und rumorte ihm auch noch der Rausch im Kopf – er dachte an alles. Er kümmerte sich sogar darum, daß die Pferde zu saufen bekämen und ihnen der schönste Großweizen in die Krippen geschüttet würde. Schließlich trat er, matt von der vielen Arbeit, wieder ins Zimmer.
»Na, Burschen, Schlafenszeit! Und morgen tun wir, was Gott gefällt. Laßt nur sein die Bettmacherei! Wir brauchen kein Bett: wir schlafen im Hof.«
Die Nacht stieg erst am Himmel empor; Taraß ging aber gern zeitig zur Ruhe. Er streckte sich auf den Teppich und wickelte sich in den Schafpelz. Die Nachtluft war kühl, und Bulba hatte es am liebsten schön warm, solang er daheim war. Bald schnarchte er, und der ganze Hof tat es ihm nach. Alles, was dort in Ecken und Winkeln herumlag, schnarchte und orgelte laut. Als erster sank der Wächter in Schlaf – er hatte den Jungherrn zum Willkomm am meisten getrunken.
Bloß die arme Mutter konnte nicht schlafen. Sie setzte sich ihren geliebten Söhnen zu Häupten nieder; sie schlichtete die jungen wirren, verfitzten Locken mit ihrem Kamm und ließ heiße Tränen darauf niederrinnen. Sie sah sie gleichsam mit dem ganzen Körper an, all ihr Gefühl, ihre ganze Kraft legte sie in den Blick und konnte sich gar nicht sattsehen. An dieser Brust hatte sie ihre Jungen gesäugt, hatte sie großgezogen, sie treulich gehegt; und nur so flüchtig sollte sie sich ihrer jetzt freuen. – »Ihr meine Kinder, meine geliebten Kinder! Was wird nun mit euch? Wie wirds euch ergehen?« murmelte sie, und Tränen funkelten in den Runzeln, die ihr einstmals schönes Gesicht so traurig verwandelt hatten. Ja, sie konnte einen wohl dauern, wie jede Frau jener fernen Zeiten. Einen kurzen Augenblick der Liebe hatte sie genossen, im ersten Fieber der Leidenschaft, im ersten Fieber der Jugend, und schon hatte ihr rauher Verführer sie weggeworfen und nur noch seinen Säbel, die Kameraden und lustige Zechgelage gekannt. Sie sah ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr, und dann war wieder ein paar Jahre lang nichts mehr von ihm zu hören. Und wenn sie ihn sah, wenn sie zusammen lebten – was für ein Leben war das denn schon für sie! Schimpfworte, selbst Schläge setzte es; und wurde ihr einmal schöngetan, so wars wie ein Bettelgroschen, den man ihr hinwarf. Als etwas wunderlich Fremdes stand sie im Kreis dieser unbeweibten Kosaken, deren Sitten das Kriegerleben einen wilden und rohen Anstrich gegeben hatte. Ihre Jugend schwand freudlos dahin, ihre schönen, frischen Backen und Brüste verblühten ungeküßt und wurden vor der Zeit faltig und welk. Ihre ganze Liebe, alle ihre Gefühle, alles was an Zärtlichkeit und Leidenschaft im Frauenherzen zu Hause ist – das alles floß zusammen in ihrem Muttergefühl. Mit Glut, mit Leidenschaft, mit Tränen warf sie sich über ihre Kinder, wie die Möwe der Steppe über die Brut ihres Nestes. Ihre Söhne, ihre geliebten Söhne nahm man ihr weg, riß sie ihr für immer vom Herzen! Nie wieder sollte sie sie sehen! Wie leicht konnte ihnen in der ersten Schlacht der Tatar die Köpfe vom Rumpfe schlagen, und sie würde nicht wissen, wo ihre verlassenen Leiber lägen und den Schnäbeln der schweifenden Raubvögel zur Beute fielen. Schluchzend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon schloß, und dachte bei sich: – Vielleicht gibt Bulba doch noch zwei Tage zu; vielleicht war das nur eine trunkne Laune von ihm.
Der Mond goß aus himmlischen Höhen sein Licht über den mit Schläfern dicht belegten Hof, über das struppige Weidengebüsch und das hohe Steppengras, in dem der Knüppelzaun um den Hof förmlich versank. Immer noch saß sie ihren geliebten Söhnen zu Häupten, nicht für eine Sekunde wendete sie den Blick von ihnen und dachte gar nicht an Schlaf. Schon witterten Bulbas Pferde Morgenluft, sie hatten sich ins Gras gelegt und fraßen nicht mehr; die obersten Blätter der Weiden wisperten leise, und mählich lief dieses Wispern hinab zu den Zweigen dicht über dem Boden. Die Mutter saß, bis es tagte, sie spürte keine Müdigkeit und wünschte in ihrem Herzen, die Nacht möge noch lange, recht lange dauern. Von der Steppe herüber kam eines Fohlens helles Gewieher; blaßrote Streifen standen schweigend am Himmelszelt.
Bulba erwachte plötzlich und sprang auf. Er wußte noch ganz genau, was er gestern beschlossen hatte.
»Auf, auf, Gesellschaft! Zeit, höchste Zeit! Tränkt flink die Gäule! Wo ist die Alte? Nur munter. Alte, deck uns den Tisch: wir haben heut einen weiten Weg!«
Die arme Frau, der nun die letzte Hoffnung dahinschwand, schlich betrübt in die Hütte. Während sie mit Tränen in den Augen das Frühstück bereitete, gab Bulba seine Befehle, trieb sich im Stall herum und holte selbst für seine Söhne die besten Gewänder aus den Truhen.
Die Seminaristen sahen mit einem Schlag wie andre Menschen aus: statt der alten schmutzigen Stiefel trugen sie Stiefel von rotem Saffian mit silbernen Hufeisen unter den Hacken; die Pluderhosen, weit wie das schwarze Meer, mit tausend Falten und zehntausend Fältchen, waren mit goldner Schnur besetzt. Riemen hingen von dieser Schnur herab, mit Quasten und anderm Klapperkram; an denen schaukelte die Tabakpfeife. Den Rock aus feuerrotem Tuch hielt ein geblümter Gurt zusammen; fein ziselierte türkische Pistolen staken im Gurt; der Säbel klirrte kriegerisch um die Füße der Burschen. Ihre Gesichter, die die Sonne noch nicht hatte richtig braun brennen können, schienen hübscher und zarter als tags zuvor; der junge schwarze Schnurrbart hob die Weiße der Haut, die gesunde, frische Farbe der Jugend schärfer hervor; hübsche Kerle waren sie in ihren schwarzen Lammfellmützen mit dem goldnen Boden. Arme Mutter! Kein Wort konnte sie sagen, da sie die zwei so erblickte; ihr standen die Tränen blank in den Augen.
»Na, Burschen, alles fertig? Trödeln wir nicht mehr lange herum!« rief Bulba. »Und jetzt setzt sich, nach christlichem Brauch, ein jeder vor der Reise noch einmal hin.«
Alle setzten sich, auch die Knechte, die ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.
»Nun, Mutter, gib deinen Kindern den Segen!« sprach Bulba. »Bitte den lieben Gott, sie sollen tapfer kämpfen, sollen ihre ritterliche Ehre allezeit verteidigen, sollen immer und überall einstehen für ihren Christenglauben; tun sie es nicht, so mögen sie auf der Stelle verrecken, daß nicht ein Hauch von ihnen bleibt in der Welt! Kinder, kommt her zur Mutter; Muttergebet gibt Schutz zu Wasser und Land!«
Die Mutter, schwach wie eine Mutter, umarmte die Söhne, zog zwei kleine Heiligenbilder hervor und hängte sie ihnen schluchzend um den Hals.
»Behüt euch die … Gottesmutter … Liebe Söhne, vergeßt eure Mutter nicht … Laßt manchmal etwas hören von euch …« Weitersprechen konnte sie nicht.
»Los, Kinder!« rief Bulba.
Vor der Treppe standen die Pferde gesattelt bereit. Bulba schwang sich auf seinen »Teufel«, der wild zur Seite taumelte, als er die Dreizentnerlast auf seinem Rücken spürte. Taraß war fürchterlich dick und schwer.
Als die Mutter ihre Söhne aufsitzen sah, stürzte sie zu dem jüngeren hin, dessen Gesicht sie wohl etwas zärtlicher dünkte; sie griff ihm an den Bügel, hängte sich ihm an den Sattel, Verzweiflung in jedem Zug ihres Gesichts, ließ ihn nicht aus den Armen. Zwei stämmige Kosaken packten sie behutsam und schleppten sie ins Haus zurück. Aber als sie zum Tor hinausgeritten waren, rannte sie mit einer Gemsenbehendigkeit, die man ihren Jahren kaum zugetraut hätte, hinterdrein, fiel dem Gaul mit unwiderstehlicher Kraft in die Zügel und umarmte einen ihrer Söhne in beinah irrer, besinnungsloser Glut. Sie wurde wieder fortgeschleppt.
Die jungen Kosaken ritten trübsinnig dahin und verbissen sich die Tränen aus Angst vor dem Vater, den die Sache auch etwas angegriffen hatte, wenn er sich gleich Mühe gab, nichts davon merken zu lassen. Es war ein grauer Tag, das Grün leuchtete grell, die Vögel zwitscherten sonderbar kreischend. Als sie ein Stück geritten waren, sahen sie zurück: Ihr heimatlicher Hof war gleichsam in die Erde gesunken; nur die beiden Schornsteine ihres bescheidnen Vaterhauses lugten hervor und die Wipfel der Bäume, in deren Zweigen sie einst wie Eichhörnchen umhergeklettert waren; noch breitete sich vor ihnen die Wiese, auf der sich die ganze Geschichte ihres Lebens abgespielt hatte, von jenen Jahren an, da sie auf allen Vieren durch das taufeuchte Gras gekrochen waren, bis zu den Jahren, da sie hier ein schwarzäugiges Kosakenmädchen erwartet hatten, das ängstlich auf jungen, flinken Beinen über das Grün herangehuscht kam. Jetzt ragte nur noch der Brunnenbaum mit dem Wagenrad auf der Spitze einsam gen Himmel; und schon sah die glatte Fläche, die sie durchritten hatten, von fern einem Berge gleich und verbarg alles hinter sich. – Lebt wohl, Kindheit und Spiele der Jugend und all das andre, lebt wohl!
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Die drei Reiter ritten schweigsam dahin. Der alte Taraß gedachte früherer Zeiten: seine Jugend zog an ihm vorüber, seine Jahre, die verronnenen Jahre, um die der Kosak immer weint; denn er wünscht sich das ganze Leben als eine ewige Jugend. Er überlegte, wem von den alten Kameraden er wohl im Lager begegnen würde. Er rechnete nach, wer von ihnen schon tot war und wer noch lebte. Stille Tränen glänzten in seinen Augen, er ließ den grauen Kopf trübselig hangen.
Seine Söhne waren von andern Gedanken hingenommen. Aber es gehört sich wohl, etwas mehr von den Söhnen zu sagen. Sie waren mit zwölf Jahren nach Kiew auf die Akademie geschickt worden, weil alle angesehenen Würdenträger jener Zeit es als heilige Ehrenpflicht ansahen, ihren Söhnen eine Erziehung zu geben, allerdings unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß sie sie nachher wieder völlig zu vergessen hätten. Als in Freiheit aufgewachsene Wildlinge kamen diese Burschen auf die Schule; dort pflegten sie dann ein bißchen abgeschliffen und dadurch gewissermaßen über einen Leisten geschlagen zu werden – sie glichen sich merkwürdig untereinander.
Der ältere Sohn Bulbas, Ostap, begann seine Laufbahn damit, daß er schon im ersten Jahr durchbrannte. Er wurde zurückgeholt, fürchterlich verhauen und wieder hinter die Bücher gesetzt. Viermal vergrub er seine Fibel in die Erde, und viermal wurde ihm, nach einer unmenschlichen Tracht Prügel, eine neue gekauft. Sicherlich hätte er es zum fünften Mal ebenso gemacht ohne die feierliche Drohung seines Vaters, ihn dem Kloster für volle zwanzig Jahre als Knecht zu verdingen; er schwöre ihm einen heiligen Eid, daß er das Lager seiner Lebtage nicht erblicken solle, wenn er nicht zuerst auf der Akademie alle Wissenschaften richtig hinter sich brächte. Merkwürdig: dies sagte derselbe Taraß Bulba, der auf alle Gelehrsamkeit schalt, und, wie wir sahen, seinen Söhnen riet, sich um so etwas überhaupt nicht zu scheren. Von Stund an setzte sich Ostap mit seltnem Eifer hinter sein langweiliges Buch und gehörte bald zu den besten Schülern. Die damalige Gelehrsamkeit stach wunderlich von dem ganzen Zuschnitt des Lebens der Zeit ab: diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Spitzfindigkeiten hatten nirgends einen Berührungspunkt mit dem Zeitgeist, paßten sich dem Leben nicht an und fanden nie eine praktische Verwendung. Die Schüler konnten ihre scholastischen Kenntnisse nirgends in die Wirklichkeit einhaken. Die Gelehrten von damals waren unwissender als andre Leute, weil ihnen jede Lebenserfahrung fehlte. Die republikanische Verfassung des Seminars, diese Riesenmenge von kraftstrotzenden, gesunden jungen Leuten – das mußte die Schüler auf Dinge bringen, die ihren gelehrten Studien sehr ferne lagen. Die magre Kost, die häufigen Fastenstrafen, auf der andern Seite die Fülle von Gelüsten, die in einem frischen, vollsaftigen, starken Burschen kochen – dies alles vereint gebar in ihnen jene Unternehmungslust, die später im Lager ihre Früchte trug. Die hungrigen Seminaristen strolchten durch die Straßen von Kiew und nötigten alle Welt zu äußerster Wachsamkeit. Die Marktweiber schirmten ihre Pasteten, Kringel und Sonnenblumensamen mit beiden Händen sorglich wie ein Adler seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen von weitem daherkommen sahen. Der Konsul, dessen Amt und Pflicht es war, die Aufsicht über eine Anzahl Kameraden zu führen, hatte in seinen Pluderhosen so grausam große Taschen, daß er darin leicht den ganzen Kram einer Händlerin verstauen konnte, die es sich hätte beifallen lassen, etwa sorglos ein Schläfchen zu machen. Diese Seminaristen bildeten durchaus eine Welt für sich – zu den höheren Kreisen des polnischen und russischen Adels hatten sie keinen Zutritt. Der Marschall Adam Kißel selber, der doch der Protektor der Akademie war, führte sie nicht in die Gesellschaft ein und hatte Weisung gegeben, sie so streng wie möglich zu halten, übrigens brauchte er sich darum nicht zu sorgen – der Rektor und die mönchischen Professoren schonten Rute und Karbatsche sowieso nicht; und oft genug mußten die Aktoren ihre eignen Konsuln so gewaltig durchwalken, daß die sich noch ein paar Wochen lang die Pluderhosen rieben. Vielen von ihnen galt das einfach für nichts – wirkte es doch nur um eine Kleinigkeit kräftiger als ein guter Branntwein mit Pfeffer; andre wieder bekamen die ewigen heißen Umschläge bald gründlich satt und brannten nach dem Lager durch, wenn sie den Weg dahin zu finden wußten und nicht unterwegs wieder aufgegriffen wurden. Daß Ostap Bulba sich mit großem Eifer auf die Logik und sogar auf die Theologie geworfen hatte, konnte ihm die grausamsten Prügel nicht ersparen. Natürlich mußte das in gewissem Sinn den Charakter stählen und jene standhafte Härte erzeugen, auf die sich der Kosak von je etwas zugute getan hat. Ostap galt für einen der zuverlässigsten Kameraden. Er spielte bei frechen Streichen – wenn etwa ein fremder Obst-oder Gemüsegarten geplündert werden sollte – selten den Rädelsführer; doch war er dafür stets einer der ersten, die unter die Fahne eines andern unternehmungslustigen Seminaristen traten. Auf keinen Fall verriet er jemals einen Kameraden – nicht Prügel noch Rutenstreiche konnte ihn dazu bringen. Er hatte wenig Sinn für andre Dinge als Krieg und frohes Becherschwingen – kaum, daß er überhaupt an etwas andres dachte. Gegen seinesgleichen war er ein lieber Kerl, gutherzig, soweit man es eben bei solcher Veranlagung und in jener Zeit zu sein vermochte. Die Tränen seiner Mutter hatten ihm ehrlich ans Herz gegriffen – nur darum ritt er jetzt tief in Gedanken durch den Morgen.
Sein jüngerer Bruder Andri besaß ein regeres und sozusagen entwickelteres Gefühlsleben. Er hatte mehr Freude am Lernen, und es kostete ihn nicht die Anstrengung, die ein schwerfälliger und starker Charakter darauf verwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, warf sich öfter zum Anführer bei allerhand gewagten Streichen auf und verstand es manchmal, sich kraft seines anschlägigen Kopfes um die Strafe zu drücken, während sein Bruder Ostap, ohne groß etwas daraus zu machen, den Kittel auszog und sich auf den Boden legte, sehr fern von dem Gedanken, um Gnade zu bitten. Auch Andri brannte vor Tatendurst, zugleich aber stand sein Herz andern Gefühlen offen. Ein starker Liebeshunger begann ihn zu plagen, als er die achtzehn hinter sich hatte – das Weib ging immer häufiger durch seine heißen Träume. Während der philosophischen Dispute tauchte es plötzlich vor ihm auf, frisch, schwarzäugig, verliebt. Ohne Ende gaukelten feste Brüste vor seinen Augen und schlanke, schöne, splitternackte Arme; leichte Gewänder, die er um üppige Mädchenleiber wallen sah, hauchten unsäglich schwülen Duft in seine Träume. Keiner der Kameraden durfte von diesen Wallungen seines leidenschaftlichen jungen Herzens etwas ahnen – galt es doch zu jener Zeit als Schande für einen Kosaken, an Weiber und Liebe auch nur zu denken, bevor er im Krieg gewesen war. Zumal in den letzten Jahren war Andri immer seltner als Rädelsführer bei tollen Streichen auf den Plan getreten und hatte sich dafür um so häufiger allein in den entlegnen Gassen von Kiew herumgetrieben, zwischen den schattigen Kirschgärten, aus denen niedere Häuschen verlockend auf die Straße blinzelten. Manchmal war er auch in das vornehme Viertel geraten, die heutige Altstadt von Kiew, wo die kleinrussischen und polnischen Edelleute wohnten und die Häuser einen gewissen Glanz zeigten. Eines Tages, als er recht in Gedanken war, hätte ihn beinah die Kalesche eines polnischen Junkers überfahren; der grimmig beschnauzbartete Kutscher wischte ihm vom Bock herunter tüchtig eins mit der Peitsche aus. Der Seminarist kam in Wut: leichtsinnigen Mutes griff er mit seiner starken Faust ins Hinterrad und brachte die Kalesche zum Stehen. Der Kutscher aber, der wohl die Vergeltung fürchtete, schlug auf die Pferde ein; sie zogen an, und Andri, der zum Glück grade noch hatte loslassen können, fiel längelang zu Boden, mit der Nase in den Schmutz. Ein silberhelles Lachen erscholl von oben. Er blickte auf und sah ein Mädchen am Fenster stehen, so schön, wie ihm noch keins zu Gesicht gekommen war: schwarze Augen, eine Haut, weiß wie der Schnee zur Stunde der Morgenröte. Das Mädchen lachte herzlich; dies Lachen lieh der blendenden Schönheit ihres Gesichtes zaubrische Gewalt. Er war wie von Sinnen. Er sah verloren zu ihr empor und wischte sich dabei mit der Rechten den Schmutz vom Gesicht, wodurch er natürlich nur noch schmutziger wurde. – Wer war dies schöne Mädchen? Er wollte das von dem vielköpfigen, prunkvoll gekleideten Gesinde erfahren, das sich auf dem Hof um einen jungen Pandoraspieler geschart hatte. Aber die Diener und Mägde mußten hellauf lachen, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich erfuhr er, daß das Mädchen die Tochter des Marschalls von Kowno war, der zu Besuch in der Stadt weilte. In der folgenden Nacht stieg Andri mit echter Seminaristenfrechheit über den Zaun in den Garten, kletterte auf einen Baum, dessen Äste bis an das Hausdach reichten, schwang sich auf das Dach und ließ sich durch den Kamin geradeswegs in das Schlafzimmer seiner Schönen hinunter. Die Polin saß beim Licht einer Kerze und nahm grade die kostbaren Ringe aus ihren Ohren. Sie erschrak so furchtbar beim Anblick des fremden Menschen, daß sie kein Wort hervorbringen konnte; als sie aber sah, daß der Seminarist mit niedergeschlagnen Lidern dastand und vor lauter Schüchternheit keinen Finger zu rühren vermochte, als sie in ihm den jungen Menschen erkannte, der vor ihren Augen lang in den Schmutz geschlagen war, da packte sie wieder das Lachen. Andris Gesicht hatte eigentlich auch nichts Schreckliches – er war ein sehr hübscher Kerl. Sie lachte von Herzen und trieb eine ganze Weile ihren Spaß mit ihm. Das schöne Mädchen war eine Polin, das heißt, ein kokettes Ding; aber ihre Augen, wundervolle, durchdringend klare Augen, hatten jenen langsamen Aufschlag, der von Beständigkeit zeugt. Der Seminarist stand wie in einen Sack genäht, als die Tochter des Marschalls keck auf ihn zutrat, ihm ihr blitzendes Diadem auf den Kopf setzte, ihre Ohrringe an seine Lippen hängte und ihn in ein Jäckchen aus durchsichtigem Nesseltuch schlüpfen ließ, das mit goldnen Ranken bestickt war. Sie putzte ihn und machte tausend Dummheiten mit ihm, kindlich ausgelassen, wie es die koketten Polinnen nun einmal sind. Den armen Seminaristen machte sie dadurch immer verlegner. Er sah sehr komisch aus, wie er da stand und ihr mit offnem Mund und ohne sich zu rühren in die blendenden Augen starrte. Ein Klopfen an der Tür jagte ihr dann einen Todesschrecken ein. Sie befahl ihm, sich unter ihr Bett zu verkriechen, und als es wieder ruhig geworden war, rief sie gleich nach ihrer Zofe, einer tatarischen Gefangnen, und gab ihr die Weisung, ihn vorsichtig in den Garten hinauszugeleiten und wieder über den Zaun steigen zu lassen. Diesmal aber hatte der Seminarist weniger Glück beim Zaunklettern: der Wächter schlief nicht mehr und erwischte ihn an den Beinen, und nachher lief das Gesinde zusammen und drosch draußen auf der Straße tüchtig auf ihn ein, bis ihm schließlich die Schnelligkeit der Füße zur Rettung wurde. Darnach bildete es künftig ein zu gewagtes Unterfangen, an dem Hause vorbeizugehn; denn das Gesinde des Marschalls war groß an Zahl. Er begegnete der Schönen noch einmal in der katholischen Kirche: sie bemerkte ihn sofort und lächelte ihm strahlend liebenswürdig zu, wie einem guten Freund. Ein letztes Mal noch sah er sie dann flüchtig von weitem, und bald darauf reiste der Marschall von Kowno ab; statt der schönen schwarzäugigen Polin schaute nun irgendein fettes Weibsbild aus jenem Fenster. Dies war es, woran Andri dachte, als er so vor sich hinritt, hangenden Hauptes und den Blick auf die Mähne seines Pferdes gesenkt.
Derweil hatte längst die Steppe ihre grünen Arme um den kleinen Trupp geschlagen. Der dichte und hohe Graswuchs verbarg ihn, nur die schwarzen Kosakenmützen sahen noch zwischen den Rispen hervor.
»Potz Kuckuck, warum so trübselig, Burschen?« rief Bulba endlich und raffte sich aus der Versunkenheit auf. »Sind wir denn Mönche, was? Immer munter! Hol der Fuchs die Gedanken! Steckt euch ne Pfeife zwischen die Zähne! Rauchen wir eins, drücken wir unsern Gäulen die Sporen ein! Und los, daß uns der Vogel in den Lüften nicht nachkommt!«
Die Kosaken bückten sich auf die Gäule und verschwanden im Gras. Auch die schwarzen Mützen sah man nicht mehr, nur ein niedergetretner Streifen im Gras blieb als Spur ihres eilenden Rittes.
Die Sonne schaute schon lange von einem entwölkten Himmel herab und tauchte die Steppe in ihr belebendes, wärmendes Licht. Alle Düsternis und Verträumtheit war aus den Köpfen der Kosaken wie weggeblasen; ihre Herzen schüttelten sich gleich erwachenden Vögeln.