Buddy Giovinazzo

Broken Street

Ein Vorwort von Frank Nowatzki

Der neue Roman liegt endlich vor, aber für Buddy Giovinazzo ist er eigentlich gar nicht so neu, denn die Idee dazu kam ihm bereits vor seinem Buchdebüt Cracktoum. Er war immer schon fasziniert davon, den Alltag von heranwachsenden Ghetto- Teenagern im autobiographisch angehauchten Tagebuch-Stil zu erzählen. Der Titel Broken Street fungiert dabei als eine Art Synonym für einen x-beliebigen, austauschbaren Neighbourhood in den Randbezirken von New York. Buddy G fühlte aber, dass seine literarische Stimme dem Vorhaben noch nicht gewachsen schien, und war mit dem Ergebnis schlichtweg unzufrieden — seine damalige Grundstimmung bezeichnet er noch heute als ›permanent depressiv‹. Er fing daher an, mit Sprache zu experimentieren. Die Experimente in einem zwölf Quadratmeter großen Apartment in der Lower East Side führten dann über die gewalttätigen Sprachattacken in Cracktown bis hin zu den düsteren, kaputten Visionen in Poesie der Hölle und zeigen eine Welt penetranter Alltagsgewalt und Hoffnungslosigkeit auf. Einmal am finstersten Punkt dieses Buches angelangt, kann man nur noch zwei spärliche Lichter erkennen, die man als Liebe und Freundschaft bezeichnen könnte und die aber nur schwach den Weg zum Notausgang beleuchten.

Genau hier setzt Broken Street an und wirkt im Vergleich zu seinen Vorgängern gereifter und präziser, auch die beiden Lichter strahlen diesmal viel, viel heller in die allgegenwärtige, düstere Ohnmacht, der sich die Charaktere bisher ausgesetzt sahen. Die straighte Art, mit der Buddy G diesmal zu Werke geht, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier im Wesentlichen um das Ausloten der dunklen Abgründe der menschlichen Seele in einem angeschlagenen Gesell-schaftssystem geht. Der namenlose Protagonist in Broken Street erzählt in einfacher Sprache Erlebnisse aus seiner Perspektive, andere Sichtweisen spielen weder fiir ihn noch für andere in seinem Milieu eine Rolle. In der Broken Street bestimmen Verzweiflungstaten das Tagesgeschehen und provozieren radikale Konsequenzen. Erst zentrale Konflikte kön-nen ihn dazu veranlassen, sein bisheriges Leben überhaupt in Frage zu stellen. Die Erkenntnis führt über fortschreitendes Bewusstsein hin zu Verantwortung; und selbst Liebe, die wie ein Geschenk daherzukommen scheint, entwickelt sich zu einer echten Mission, bei der man sich beweisen muss. Buddy G hat diesmal verdammt schweres Geschütz aufgefahren und es sogar einmal geschafft, mir das Wasser in die Augen zu treiben. Broken Street habe seine ›touchy moments‹, bestätigt Buddy G und weist auf den jahrelangen Einfluss hin, den das unfertige Buch auch auf seine Arbeit als Filmemacher gehabt hat; die Openingszene für den Film No Way Home beispielsweise stammt aus Broken Street.

*

Die Karriere als Independant-Regisseur lag ein ganzes Jahr auf Eis, weil der Drehbeginn des Thrillers mit dem Arbeitstitel The Unscarred, für den Buddy G nach Berlin kam, immer wieder verschoben werden musste. Erst war die Finanzierung nicht sicher, dann sprangen die Hauptdarsteller wieder ab, weil die Drehverzögerung zu Terminüberschneidungen führte, und zuletzt musste Buddy G selbst Hand anlegen, um Ungereimtheiten beim Drehbuch auszumerzen. Er saß die ganze Zeit wie auf heißen Kohlen und pendelte zwischen Berlin und L.A. hin und her, um in der Zwischenzeit in den USA neue Projekte anzuleiern, was in der US-Filmbranche mit kritischen, düsteren Filmen wie Combat Shock und No Way Home als Referenz nicht gerade einfach ist. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wie ein netter Kerl wie Buddy G in angesagten Restaurants in Beverly Hills mit Agenten und Produzenten verhandelt, in einer Branche, in der die Kunst des ›pretending‹ lebenswichtig ist: Während die Gesprächspartner Austern und Hummer auffahren lassen, nippt man selbst nur an sündhaft teuren Wodka Martinis, obwohl die magere Brieftasche und der knurrende Magen eher für saftige Hamburger in Downtown votieren. Man hält sich an das oberste Gebot der Filmbranche, nie direkt nach einem Job zu fragen, sondern tut so, als sei man im Geschäft. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass man Buddy Gs Image eher in Europa schätzt, was die zahlosen guten Kritiken bewiesen haben. Der in Berlin abgedrehte Film The Unscarred, der im Herbst 2000 in die Kinos kommen soll, gibt Buddy G somit die Möglichkeit, das internationale Filmgeschäft von Europa aus anzugehen und im Gespräch zu bleiben.

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Das auch das Verlagsgeschäft in Deutschland kein Zuckerschlecken ist, musste Buddy G in Frankfurt/M erfahren, als er im Rahmen der Frankfurter Buchmesse ftir uns lesen wollte. Als wir nachts im Frankfurter Bahnhofsviertel ankamen und uns den Weg durch eine Melange aus Fixern, Nutten und gebrochen deutsch sprechenden dunkelhaarigen Gestalten bahnten, dachte Buddy G noch, ich wolle ihm eine echte Broken Street in good old Germany zeigen. Doch als ich in der Münchener Straße 55 das Klingelschild begutachtete und ihm erklärte, dass wir hier bei Freunden unterkämen, schien seine Begeisterung nachzulassen. Einer der Fixer, der sich kurz vorher zwischen parkenden Autos einen Druck gesetzt hatte, versuchte, sich hinter uns in den Hausflur zu schieben, aber wir waren über die Sprechanlage gewarnt worden, keine Junkies ins Haus zu lassen. Der stechend penetrante Uringestank im Hausflur erklärte dann einiges. Am nächsten Morgen trauten wir kaum unseren Augen, die Broken Street hatte sich in eine Straße mit bunten Geschäftsauslagen verwandelt, die Junkies waren wie vom Erdboden verschluckt, und ein würziger Duft frischen Basilikums wehte vom türkischen Gemüsestand herüber. Die Welt schien vorerst wieder in Ordnung, und der Tag auf der Buchmesse verging wie im Flug.

Nachts nach der Lesung fand sich eine heitere Gesellschaft aus Autoren und deren Anhang in der Münchener Straße 55 auf einen Schlummertrunk ein. Buddy G machte den folgenschweren Fehler, die Tür zu unserem Zimmer offen zu lassen, in dem unsere netten Gastgeber Sepp und Birgit uns ein paar Matratzen hingelegt hatten. Noch bevor wir reagieren konnten, packte der besoffenste der anwesenden Autoren sich ein Groupie und wankte hinein. Buddy G rief noch ungläubig: »Thats our room!«, aber da war es schon zu spät. Wir gaben den beiden dreißig romantische Minuten, dann traten wir rücksichtslos ein, um unsere Matratzen zurückzuerobern, denn die Wohnung war plötzlich mit Schnapsleichen überfüllt. Den zuckenden Bewegungen des menschlichen Knäuels neben uns zu urteilen, sah es nicht mehr so aus, als ob der vor ein paar Stunden noch umjubelte Autor seinen Job hier erfolgreich beenden würde. Besoffen vorlesen konnte er ziemlich gut, aber das hier erinnerte eher an Jello Biafras ›too drunk to fuck‹. Dafür schien er sich auf seine Sprachgewalt zu besinnen und lallte wie eine Schallplatte mit Sprung: »Du bist so schön«, und das Groupie kicherte jedes Mal. Die wellenförmigen Bewegungen, die von der linken Matratze ausgingen, übertrugen sich rhythmisch auf unsere und erschwerten das Einschlafen. Ich musste etwa eine Stunde geschlafen und von in der Brandung gestrandeten weißen Walen geträumt haben, als ich fast von der plötzlich bebenden Matratze rollte. Der Typ neben uns stand wankend auf, pisste in der Küche ins Spülbecken, kam grunzend zurück und bestieg sein Groupie aufs Neue. Nächster Versuch. Buddy G erzählte mir später noch, dass er in der ganzen Nacht kein Auge zugetan habe, weil das Groupie ständig versucht habe ihm die Decke wegzuziehen.

*

Buddy Giovinazzo gibt trotz aller Hürden nicht auf, unbeirrbar schreibt er immer noch. Er arbeitet schon wieder an einem neuen Roman. Diesmal ist es eine Art Thriller. Einer der Besten, die ich bisher gelesen habe, und dass erste Mal, das ich einen Roman gekauft habe, der noch kein Ende hat. Für die schlaflose Nacht in Frankfurt hat Buddy G sich inzwischen revanchiert, indem er mir das Manuskript Broken Street gab. Ich konnte es nicht mehr aus den Fingern legen und musste es in einer Nacht durchlesen. Hoffentlich wird es allen anderen genauso ergehen.

Kapitel 9

Ich sah in den Spiegel, meine Augen waren nur noch verquollene Schlitze, meine Lippen aufgesprungen wie der Gehweg vor Jenkins Laden, und meine Haut hatte einen milchiggelben Ton. Ich sah aus wie ein blutrünstiger Zombie.

Es war spät am Nachmittag, und ich hatte mir das ganze Nachmittagsgeschäft versaut. Fünf Minuten lang pisste ich die dreihundert Dollar aus, die Koks, Gras und Wodka wert gewesen waren. Ein kräftiger Strahl klarer Pisse, der nicht einmal das Wasser färbte.

Als ich aus dem Badezimmer kam, hörte ich Schritte im Hausflur, dann Schlüsselklappern und das Zersplittern von Holz. Blitzschnell stieg ich in meine Hose, schnappte mir ein Messer aus der Kochnische und stürzte in den Hausflur, wo ich einen Einbrecher vermutete.

Stattdessen hatte Mr. Stamovich das Schloß von Mrs. Baileys Tür geknackt und war im Begriff, ihre Wohnung zu betreten. Stamovich war unser Vermieter. Wir sahen ihn zweimal im Jahr. Ende Dezember, wenn er die Heizung anstellte, jedoch erst nachdem die Mieter mit Einstellung der Mietzahlungen gedroht hatten, oder wenn er Mieterhöhungen verteilte. Trotz Mietpreiskontrolle, Gerichtsverfügungen und bewaffneten Aufständen versuchte er das jedes Mal im Frühjahr.

Stamovich war ein gedrungener, kompakter Mann mit Kürbiskopf, einem heimtückischen Grinsen und Augen, winzig wie Nadelspitzen, die in den wulstigen Falten seiner Wangen verschwanden, sobald er sprach. Er unternahm nicht mal den Versuch, die Tatsache zu leugnen, dass er uns, die Mieter dieses Hauses, hasste. Ließ er sich herab, uns auf Englisch anzusprechen, dann bezeichnete er uns als verdammt faule Hunde. Unsere überzogenen Forderungen nach intakten Toiletten, Beleuchtung im Hausflur und Heizung im Winter nährten seine Feindseligkeit. Um fair zu sein, er war der Ansicht, er sei ein sehr großzügiger Vermieter, da er uns gestattete, Ratten als Haustiere zu halten, die von der Wand abblätternde Farbe zu sammeln und an dem umfangreichen Sortiment von Kakerlaken, das er aus allen Ecken der Welt zusammengetragen hatte, entomologische Studien zu treiben. Für Mieter im obersten Stock gab es noch einen Extrabonus: individuell gestaltete Duschen im Wohnzimmer, wann immer es auch regnete. Alle Freude war dahin, wenn Stamovich in der Gegend auftauchte. Eigentlich gab es gar keine Freude mehr im Umkreis von sieben Kilometern.

Er war also in Mrs. Baileys Wohnung, und dazu hatte er ohne ihre Einwilligung kein Recht. Und das wollte ich ihm unmissverständlich zu verstehen geben.

»Was machen Sie in ihrer Wohnung, Stamovich? Das hat sie Ihnen nicht gestattet.«

Stamovich grinste schleimig und sah aus wie eine Kürbislaterne an Halloween, gleichzeitig traten seine Zähne hervor, und seine Lippen wurden so weit auseinandergezogen, dass er ein Baguette hätte quer fressen können.

»Mrs. Bailey ist nicht in der Verfassung, irgendetwas zu gestatten«, antwortete er; natürlich sprach er mit einem Akzent, der einem die Socken auszog.

»Wovon sprechen Sie eigentlich, Stamovich?« schoss ich zurück, immer darauf bedacht, seinen Nachnamen an das Ende eines jeden Satzes zu hängen; es kam so mehr Verachtung rüber.

Er berichtete mir die Neuigkeit. Dabei lächelte er. Stolz. Als hätte er seinen Anteil daran. Sehr plötzlich wurde ich mir

des Messers in meiner Hand sehr bewusst und trat schnell zurück. Ich ließ die Tür offen und konnte hören, wie Stamovich durchs Wohnzimmer ging, wie ein Müllmann, der sich seinen Weg über eine Müllhalde bahnt. Ich musste hier raus oder hätte etwas getan, was ich bereut hätte.

Ich ging in den Hausflur, und Stamovich beschwerte sich über den Geruch in ihrer Wohnung.

»Dieser Geruch kommt vom Krebs in Ihrem beschissenen Herzen, Stamovich!«

Er brummte etwas auf Polnisch. Ich ging noch mal an die Tür und schrie zurück: »Heil Hitler!«

Stamovich stürmte aus der Wohnung und brüllte dabei in seiner Muttersprache. Ich hatte seinen wunden Punkt getroffen. Bei allen gab es etwas, was sie hochgehen ließ. Bei ihm war es alles, was mit Hitler zu tun hatte, obwohl ich nicht wusste, warum.

Ich ging zur Telefonzelle an der Ecke und wählte die Nummer des Krankenhauses; wer zum Teufel gab schon etwas auf das Gerede von Stamovich. Ich erkundigte mich nach dem Zustand von Mrs. Bailey, Zimmer 413.

Sie war letzte Nacht um neun Uhr dreißig gestorben. Eineinhalb Stunden, nachdem wir sie besucht hatten. Scheiße. Wie konnte Stamovich so schnell Wind davon bekommen haben? Hatte er eine Hotline zum Leichenschauhaus?

Ich stand neben dem Süßwarenladen, rauchte zwei Joints hintereinander und hielt nach Ray Ausschau. Ich wollte nicht, dass er es von diesem Mistkerl Stamovich erfuhr.

Ich malte mir aus, wie ich Stamovich am liebsten umbringen würde, unter Verwendung von Gartenwerkzeugen und Küchengeräten zum Beispiel. Ganz nah und persönlich. Seine Augen, wenn ich ihm den alles entscheidenden Schlag mit

dem Schneebesen versetzte. Oh, was für ein herrliches Massaker würde ich anrichten. Ein Aschenbecher mit seiner Leber drin, Seilspringen mit seinen Gedärmen, seine Lungenflügel könnte man als Buchstützen benutzen.

Bevor ich mich entschieden hatte, war der Abend angebrochen und noch immer keine Spur von Ray. Ich hatte nur sieben Tüten verkauft, weniger als ein Drittel des normalen Umsatzes, aber ich hatte so viel Spaß, Stamovich zu töten, dass es mir egal war.

Ich kam in den Hausflur und fand Mrs. Baileys Tür weit offen vor. Niemand war da. Stamovich war verschwunden. Genau genommen war alles verschwunden, die ganze Wohnung war ausgeräumt worden. Das Bettzeug lag abgezogen mitten im Zimmer. Alle Schubladen waren geleert und auf den Boden geworfen worden. Überall war schmutzige Kleidung verstreut, aber alles annähernd Wertvolle war verschwunden. Stamovich hatte die Tür offen gelassen und in Umlauf gebracht, dass Mrs. Bailey gestorben war. Einige der Mieter, die wussten, dass sie allein lebte und keine Familie hatte, hatten die Wohnung leergeräumt. Ich hasste es, das zugeben zu müssen, aber Stamovich war ein guter Menschenkenner.

Zu Hause lag Ray auf der Couch und sah fern. Paps stand in der Kochnische. Ich setzte mich neben Ray und bemerkte ein kleines Photo, das neben seinem Bein lag. Es zeigte Mrs. Bailey als junge Frau in einem Vergnügungspark. Ray sagte, er habe es in ihrem Apartment gefunden, und es sei das Einzige, was er von ihr haben wolle. Auf dem Bild lächelte sie, wie ich sie nie hatte lächeln sehen. So glücklich und unbeschwert. Ich fragte mich, ob sie jemals gedacht habe, dass ihr Leben diesen Verlauf nehmen werde.

Ich nahm das Photo in die Hand und betrachtete es, ver-suchte, mir die Welt jenseits des Rahmens vorzustellen. Ich schloss meine Augen und versetzte mich in diese Welt. Die Lichter und die Attraktionen, rosa Zuckerwatte und regenbogenfarbene Luftballons; der Duft gerösteter Erdnüsse und frischen Popcorns; Wagen voller kreischender Kinder auf der Achterbahn, die alberne, nahezu lächerliche Musik des Karussells. Ich sah Mrs. Bailey vor mir; Ray und mich an der Hand, führte sie uns von einer Fahrt zur nächsten; ihr lächelndes Gesicht, als wir mit der Schiffsschaukel an ihr vorbeisausten, ihr zuwinkten, und sie winkte zurück. Es machte mich froh, dass sie zumindest einmal in ihrem Leben glücklich gewesen war. Denn dieses Gefühl war selten. Könnte man es nur in eine Flasche füllen und sie auf ein Regal stellen; und wenn man sich mies fühlt, öffnet man sie einfach und fühlt sich wieder gut, so wie man sich gefühlt hat, bevor alles so beschissen wurde. So wie sie sich auf diesem Photo fühlt.

Paps kam mit einem Pappteller und zwei Sandwiches darauf ins Zimmer. Schinken und Käse. Er gab Ray und mir je ein Sandwich und ging schweigend in die Küche zurück. Heute Abend war er nicht er selbst. Vor allem war er nicht betrunken, und ich glaube, er ging tatsächlich zurück in die Küche, um sich ein Sandwich zu machen. Mich interessierte, wie sein Körper auf diese fremde, feste Substanz reagieren würde.

Wie Mäuse nagten wir an unseren Sandwiches. Paps kam ins Zimmer und setzte sich mit seinem Sandwich ans Ende der Couch. Ray saß in der Mitte, Paps an dem einen und ich am anderen Ende. Niemand sagte ein Wort. Der Fernseher war an, aber wir sahen nicht hin.

Paps zog eine kleine Flasche aus der Tasche und nippte dran. Ich holte einen Joint raus, zündete ihn an und reichte ihn Ray rüber. Paps sah zu, wie Ray einen Zug nahm und mir den Joint zurückgab.

»Lass mich den Shit mal probieren.«

Zuerst dachte ich, es käme aus dem Fernsehen, aber Paps sah mich direkt an. Also reichte ich ihm den Joint, und er nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, zog und behielt den Rauch in der Lunge, solange er konnte, und ließ ihn dann aus der Nase strömen, es sah aus, als hätte er zwei elfenbeinerne Stoßzähne. Er nahm noch einen Zug und reichte den Joint an Ray weiter. Ray nahm ihn mit einer Mischung aus Erschrecken und Begeisterung.

Lange saßen wir schweigend da, unsere einzige Ablenkung war der Fernseher, als Paps dann ziemlich unvermittelt zu reden anfing. Zuerst langsam, ein paar miteinander verbundene Worte, ein oder zwei Sätze, bis sich nach und nach ein richtiges Gespräch zwischen uns entwickelte. Er erzählte uns von seiner Jugend in Detroit. Vor vielen Jahren habe er Gras geraucht, in der High School, zusammen mit seinem Bruder. Ich sagte ihm, dass ich Gras für eine neue Erfindung gehalten hätte. Darüber musste er lachen und erklärte mir, dass die Indianer es in ihren Friedenspfeifen geraucht hatten; klang einleuchtend, denn Gras macht einen ja irgendwie friedlich.

Er sprach über unsere Mutter. Er hatte sie noch nie erwähnt. Niemals. Jetzt beschrieb er sie, als hätte er sie gestern erst gesehen. Eine kleine Frau, sagte er, eine Miniausgabe von einer Frau, ovales Gesicht und eine Haut wie Porzellan — ich hätte mein Aussehen von ihr, behauptete er. Große, leuchtende Augen, die aber scharf und durchdringend blicken konnten, sie wechselten ihre Farbe, je nach Licht und Tageszeit, von Grau nach Grün; das Haar trug sie zu einem Knoten aufgesteckt, wie ein Türknauf; und er neckte sie immer, indem er danach griff, wenn sie vorbeiging.

Er beschrieb, wie ihre Augen ihn angefunkelt hatten, wenn er etwas Falsches gesagt oder getan hatte. »Wie die Medusa«, fügte er hinzu, »man war wie versteinert.« Ich fragte ihn, ob dieser Blick wie der von Mrs. Bailey gewesen sei, und er kicherte und sagte, er sei ähnlich gewesen. Und während er von anderen Dingen erzählte, von anderen Details, wich langsam alle Farbe aus seinem Gesicht. Nie zuvor hatte ich Verlust als etwas so Wertvolles, Bleibendes erlebt.

Er sagte, sie habe ihn möglicherweise vor dem Gefängnis bewahrt. Bevor sie sich kennen lernten, hatte er seine Finger in allem möglichen drin, Schnapsschmuggel und Buchmachergeschäfte, einmal sogar Raub — Er raubte Lastwagen aus, die Zigaretten transportierten, und verkaufte die Zigaretten an den Mob.

Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da hörte!

Er kicherte, als er beschrieb, wie diese kleine Frau sein Leben in die Hand nahm, ihn unterstützte und ermutigte und ihm manchmal die Hölle heiß machte. Sie verliebten sich und heirateten, er nahm dann einen Job bei Procter & Gamble in der Seifenherstellung an.

Ray fragte, ob er ein Photo von ihr sehen könne, aber Paps sagte, als sie an Krebs gestorben sei, habe er durchgedreht und einen Nervenzusammenbruch bekommen und alles, was sie besessen hätten, zerstört. Wir seien damals noch zu klein gewesen, um uns daran erinnern zu können, fugte er hinzu, aber wir hätten auf Staten Island gelebt. Er setzte alles in der Wohnung dort mit Benzin in Brand und beinahe auch das ganze Haus mit all denen, die drin waren. Daraufhin wurde er für ein Jahr ins Krankenhaus gesteckt, auf die Psychostation, wie er es nannte.

Während er sprach, raste ich gedanklich in meine Kindheit zurück. Vage erinnerte ich mich daran, bei fremden Leuten gewesen zu sein, als ich sehr klein war. Ich erinnerte mich, in meine Hände geweint und versucht zu haben, meine Tränen zu sammeln. Ich bildete mir damals ein, sie brächten mir Glück. Wahrscheinlich war das eine der ersten Erinnerungen an meine Kindheit.

Paps sackte auf der Couch leicht zusammen, er war am Einnicken. Seine Augen waren nur noch dunkelrote Schlitze, und ich dachte, er würde vielleicht weinen. Zum ersten Mal in meinem Leben steckte ich in seiner Haut, einer alten, müden Haut, faltig und überall vernarbt. Jahrelang war ich davon überzeugt gewesen, dass er mich hasste oder ich zumindest schuld daran war, dass ihm alles scheißegal war. Jetzt wusste ich, dass es nicht an mir lag. Nie gelegen hatte.

Er schlug die Augen auf, als hätte man ihn wachgerüttelt, und völlig unvermutet, sozusagen als Nachtrag, sagte er zu uns: »Die Liebe der richtigen Frau hilft einem, alles zu erreichen. Jeden Gipfel zu erklimmen. Solltet ihr jemals so eine Frau finden, werdet ihr wissen, was ich meine.« Seine Lider flatterten, und er war weggetreten.

Eine halbe Flasche Whiskey war noch übrig. Sie wanderte zwischen Ray und mir hin und her, bis sie leer war. Dann hoben wir Paps an den Armen hoch und trugen ihn in sein Zimmer und brachten ihn ins Bett, eine alte Armeematratze. Ray deckte ihn mit einer zerschlissenen Baumwolldecke zu, und er fing an zu schnarchen. Als Ray an mir vorbei ins Wohnzimmer ging, blieb ich im Türrahmen stehen und betrachtete Paps, und ich ertappte mich dabei, wie ich, ohne es zu wollen, flüsterte: »Es tut mir Leid, Paps.«

Kapitel 10

Winston, Ernest und ich snifften Koks und hingen bereits die ganze Nacht draußen rum, als Winston den Vorschlag machte, zum Schießplatz rüberzugehen.

»Welchen Schießplatz?« fragte ich.

Er brachte uns zum Müllplatz unten am Wasser. Wegen des Gestanks wohnte niemand in dieser Ecke. Es war ein

Abladeplatz für alte Möbel, gestohlene Autos, Mordopfer und wer weiß, was sonst noch alles.

Winston nutzte das Gelände für Schießübungen und sagte, er würde uns mit der Kanone schießen lassen. Es war stockfinster. Der Mond wurde von Wolken verdeckt, doch vereinzelt sah man eine Möwe vorbeifliegen. Ernest schoss zuerst und versuchte, eine zu erwischen. Bei jedem Schuss ging ein Ruck durch seinen Arm. Er versuchte, noch eine Möwe zu treffen und schoss dann auf Flaschen und Dosen, die Winston auf einen Holzblock gestellt hatte.

Dann war ich dran. Winston schob das Magazin für mich rein und entsicherte die Waffe. Zuerst hatte ich Angst, aber als Ernest anfing, sich über mich lustig zu machen, wurde ich schnell mutig.

Der erste Schuss, das war schon geil. Dieser Kick im Arm, man fühlt sich unbesiegbar. Es gab einen dumpfen Knall, wie bei einem schwachen Chinakracher, ganz anders als Waffen im Fernsehen. Nach jedem Schuss fiel die leere Patronenhülse seitlich raus; jeder, der rechts neben einem stand, konnte davon getroffen werden, und sie war heiß.

Oben auf der Straße wurde eine Autotür zugeschlagen. Es war ein Streifenwagen mit flackerndem Rotlicht. Winston griff sich die Kanone, sicherte sie und wir hauten nach hinten ab, immer am Ufer endang. Ich trat auf eine tote, aufgedunsene Katze, die unter meinem Gewicht zerdrückt wurde, Ernest stolperte über eine Matratze. Ein Bulle befahl uns stehen zu bleiben, während er mit seiner Taschenlampe die Gegend absuchte. Winston schnappte sich die Hand seines Bruders, und wir rannten wie die Teufel. Fünf Minuten später waren wir auf der Straße und kurz danach wieder sicher bei den Courts.

Später kreuzte ein Typ auf, den Winston kannte; er sei auf der

Suche nach einem Freund oder so, meinte er. Ein Knochenge-stell mit verfilztem Haar und in zerlumpten, dreckigen Sachen, die wie Vorhänge um seine krumme Gestalt flatterten; der Schritt seiner Hose hing in Kniehöhe, und seine zerfetzten Sneakers waren von unterschiedlichen Herstellern und hatten unterschiedliche Größen. Er roch nach saurer Milch. So zapplig und nervös, wie er war, machte er den Eindruck, als erwartete er jeden Moment einen Angriff aus heiterem Himmel.

Winston und dieser Typ wollten zu der Bank nahe der Betonmauer, als Winston fragte, ob wir — Ernest und ich — mitkommen könnten. Der Typ meinte, wenn wir cool seien, könnten wir kommen. Wir waren cool, also gingen wir mit.

Ich traute meinen Augen nicht, als er seinen Ärmel hoch-schob. Sein Arm war eine Landkarte mit sich schlängelnden Venen und angetrockneten Blutflecken, verschorften Einstich-stellen wie Schlaglöcher auf der Straße. Einige der Venen traten so stark hervor, als lägen sie auf der Haut und nicht darunter.

Er nahm seinen Gürtel ab und schlang ihn lose um seinen Bizeps. Aus seiner Hemdtasche nahm er einen durchsichtigen Umschlag; eine Pipette und einen schmutzigen Löffel. Ich wusste, im Umschlag war das Dope, aber weder mit der Pipette noch mit dem Löffel konnte ich was anfangen.

Der Typ schüttete das Pulver in den Löffel und befeuchtete es mit der Pipette. Dann hielt er ein brennendes Streichholz unter den Löffel. Ich wollte schon fragen, was er da veranstaltete, hielt aber den Mund. Stattdessen fragte Ernest.

Der Typ sagte, der Stoff müsse aufgekocht werden, bevor er sich den Schuss setze. Er bat Winston, den Löffel zu halten, was Winston auch tat. Einen Moment später schäumte es im Löffel, als wäre Seife drin. Der Typ legte einen braunen Wat-tebausch darauf.

Er zog eine altmodische Spritze aus Glas hervor und ließ seine Finger in die drei Silberringe, einen am Ende und zwei in der Mitte des Zylinders, gleiten; selbst im Dunkeln konnte ich die Risse und Flecken am Glaszylinder erkennen.

Zwei Leute vom Court kamen vorbei, und sofort flippte der Typ aus. »Wer s das? Was wollen die hier? Kennst du die? Wenn die näher kommen, bring ich sie um!« Ich dachte schon, er würde einen Herzanfall bekommen und mich davor bewahren, mitansehen zu müssen, was er als Nächstes tun würde. Doch Winston beruhigte ihn, die Leute gingen vorbei, und er wandte sich wieder seinem Job zu.

Er zog die Flüssigkeit in die Spritze, hielt sie dann gegen das Licht der Straßenbeleuchtung und inspizierte die Nadelspitze wie ein Drucker den Andruck, dann zog er den Gürtel um seinen Arm fest. Wie der Gürtel so zog sich auch mein Magen zusammen. Ich hatte Spritzen noch nie gemocht. Er setzte die Kanüle an einer winzigen Stelle an, die noch nicht verschorft war, stach blitzschnell zu und genauso schnell zog er sie wieder heraus.

»Daneben«, murmelte er.

Er zog den Gürtel noch enger und bat Winston, das Ende festzuhalten. Winston tat ihm den Gefallen. Diesmal stieß er die Nadel hinein und zog etwas Blut in den Zylinder. Er tippte mit der Fingerspitze gegen die Seite, dann drückte er sich alles in den Arm. Er bekam einen Gesichtsausdruck, als fickte er gerade mit Marina.

Er zog die Nadel heraus und sackte auf der Bank zusammen. Sein Kopf fiel nach hinten, und die Augen rutschten in den Schädel; unter den flatternden Lidern war nur noch das Weiße zu sehen. Blut tröpfelte aus dem Arm, lief als Rinnsal an seinen Venen entlang und sammelte sich als Pflitze in seiner Handfläche.

Er war kaum bei Bewusstsein, aber er brachte es schließlich

fertig, ein braunfleckiges Taschentuch hervorzuziehen und es sich gegen den Arm zu drücken. Die Zunge rutschte in seinen Mundwinkel, und er fing an zu stöhnen. Wie in Zeitlupe hob er den Kopf, sah uns aus den Augenwinkeln an und gab uns mit dem Taschentuch Zeichen, wir sollten abhauen. Er konnte nicht sprechen, er konnte nicht stehen, und ich dachte, er würde direkt vor meinen Augen sterben.

Winston meinte, wir sollten besser verschwinden. Als wir losgingen, brach der Typ auf der Bank zusammen und lag der Länge nach flach auf dem Bauch, die Arme hingen schlaff nach unten. Ich konnte einfach nicht wegsehen. Ich dachte, er wäre tot, doch Winston sagte, das sei das, was Gift eben aus einem mache.

Als ich nach Hause kam, saß Paps in einer Ecke der Couch und sah fern mit abgeschaltetem Ton. Ray lag am anderen Ende und schlief unter einer Decke. Ich setzte mich auf mein Bett und zog meine Sneakers aus. Im Schein des Fernsehers konnte ich sehen, dass Paps eine Flasche auf dem Schoß hielt.

»Wie läuft’s da draußen?«

»Was?«

»Ich habe gefragt, wies da draußen läuft.«

Er war völlig betrunken. »Oh, eh, es, es läuft gut.«

»Ist es nicht ’n bisschen spät, um nach Hause zu kommen?«

»Keine Ahnung.«

»Warum kommst du nicht zu einer normalen Zeit nach Hause?«

»Paps, auf einmal interessiert s dich, wann ich nach Hause komme?«

»Ich habe dir nur eine Frage gestellt, das ist alles.«

»Ich häng nun mal gern mit meinen Freuden rum, das ist alles, einfach nur rumhängen.«

»Einfach nur rumhängen, mit deinen Freunden?« sagte er

mit einem Grinsen. »Und was ist mit dem Pot, das du mit dir rumträgst und verhökerst?«

Ich sah ihn an.

»Nun?« sagte er. »Du verkaufst es hier im Block, gehört nicht gerade zu den unauffälligen Sachen, die hier ablaufen.«

Ich suchte nach einer Notlüge, nichts weiter. »Ist das wirklich so offensichtlich?« fragte ich.

Paps lachte los. Seit Jahren hatte ich ihn nicht so lachen hören. »Nein«, sagte er, »ist es nicht. Du musst nur aufpassen. Lass dich nicht erwischen.«

Ich nickte.

»Du und dein Bruder seid keine Kinder mehr. Ich kann euch nicht zwingen, etwas zu tun oder zu lassen. Ihr seid alt genug, um selbst zu entscheiden. Aber ich will, dass ihr mir die Wahrheit sagt. Egal, worum es geht, seid ihr ehrlich zu mir, bin ich ehrlich zu euch.«

Ich nickte wieder.

»Und vergiss nicht, für alles, was ihr da draußen anstellt, müsst ihr geradestehen, klar? Alles hat seinen Preis. Ihr seid alt genug, um das zu wissen.«

»Paps, ich tu eigentlich nichts Schlimmes. Es ist nur Pot, wem schadet das?«

»Ich sags dir nur. So ganz allgemein. Pass auf. Und pass auf deinen Bruder auf. Er ist nicht wie du.«

»Paps, er ist schlimmer als ich.«

Paps sah den engelsgleichen Ray an, der wie ein Baby schlief, kicherte leise und nickte mit dem Kopf. Ich ging ins Bett und machte die Augen zu.

Kapitel 11

»Winston ist verschwunden!«

Zuerst hörte ich es von den Mädels auf der Straße, auf dem Weg zu den Courts dann auch von anderen. Ich war fast die ganze Nacht mit ihm zusammen gewesen, wahrscheinlich schlief er noch. Die Leute neigen zu Uberreaktionen, das macht ihr Leben spannender.

Aber auf dem Weg zu ihm zog ich noch eine andere Möglichkeit in Betracht. Die Kolumbianer hauten wieder mal auf die Kacke. Erst letzte Woche hatte mir Winston eine Story erzählt, die typisch war für die Scheiße, die sie anstellten. Ich hatte ihn nach Marina und der gewissen Nacht gefragt. Er erzählte mir von Marinas Zuhälter, einem Kolumbianer namens Toot.

Es schien, als wäre Toot eine ganze Weile hinter ihr her gewesen, die ganze sechste Klasse und dann in der High School, doch Marina wollte nichts von ihm wissen. Also setzte Toot ein paar Kumpels auf sie an, die sie brutal vergewaltigten. Sie schleppten sie in eine Seitengasse und ließen sie als blutendes Etwas zurück. Tagelang verfolgten sie sie und lauerten ihr sogar vor dem Haus auf. Sie konnte nicht mal ihre Nase rausstecken, ohne angemacht zu werden. Zwei Wochen lang ging das so, bis sie es nicht mehr aushielt. Dann kommt Toot daher, erzählt ihr, er wisse, was die Typen gemacht hätten und verspricht, auf sie aufzupassen. Marina ist erst sechzehn, hat keine Familie, niemanden, dem sie sich anvertrauen kann — die Bullen können einen Scheiß tun —, also ist sie einverstanden, dass Toot ihr hilft. Zwei Minuten, nachdem Toot mit ihr gesprochen hatte, hätte sie nackt die Straße runterspazieren können und niemand hätte gewagt, sie auch nur zu berühren. Es hatte sich herumgesprochen, dass sie Toots Eigentum war und niemand hatte Bock, sich mit Toot anzulegen. Also schickte er sie anschaffen. Zuerst weigerte sie sich, und er schlug sie zusammen; als das nichts half, schickte er ihr wieder seine Freunde auf den Hals. Als nächstes fixte er sie an. Jetzt musste sie auf den Strich gehen, um ihren Druck zu kriegen.

Es war so unglaublich sadistisch, ich konnte es nicht glauben. Aber Winston sagte: »Wenns ums Geschäft geht, ist nie-mand gnadenloser als die Kolumbianer. Sie töten oder foltern jeden, es ist ihnen völlig gleichgültig. Wenn die einen kriegen wollen, schnappen sie sich seine Mutter und schicken ihm ihr Herz per Post.«

Ich klopfte an die Tür und Ernest öffnete; die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hinter ihm sah ich seine Mutter am Tisch, in den Händen ein Handtuch, dass sie ständig hin und her drehte.

Ernest kam in den Hausflur.

»Wo gehst du hin, Ernest? Ich will nicht, dass du die Wohnung verlässt!« rief seine Mutter ihm hinterher.

»Ich geh nur in den Hausflur, Mama. Bin gleich wieder zurück.«

Ernest erzählte mir, dass Winston letzte Nacht nicht nach Hause gekommen sei; sie hätten bis vier Uhr morgens auf dem Court rumgehangen, und da habe er ihn zum letzten Mal gesehen. Er sagte, er habe ihn überall gesucht, auf den Courts, dem Müllplatz, in den Projects.

Ich vermutete, Winston sei vielleicht weggetreten und schlafe irgendwo. Ernest warf mir* einen Blick zu, der mir sagte, wie lächerlich meine Vermutung sei. Beide wussten wir, was geschehen war, aber hatten Angst davor, es laut auszusprechen, Angst, dass es dadurch real werden könnte. Solange er nicht vierundzwanzig Stunden verschwunden war, unternahmen die Bullen gar nichts. Sie sagten, er sei möglicherweise weggelaufen. Doch Ernests Mutter wusste, dass er nicht weggelaufen war. Sie wusste, dass ihr Sohn in Schwierigkeiten steckte.

Auf den Courts hatte jeder seine eigene Theorie oder Ansicht. Dieselben Dreckskerle, die Basketball gespielt hatten, während er von vier Typen zusammengeschlagen wurde, zeig-ten sich auf einmal besorgt. Ich erwog jede nur denkbare Möglichkeit, wo er sein könnte, stellte mir vor, dass er uns nur verarschte und irgendwann antanzen und sich über uns bepfeifen würde, weil er uns so einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt hatte. Wir würden mächtig ablachen, uns antörnen, und alles wäre wie immer. Ich war zu Besuch im Märchenland, und ich wusste es.

Was war mit seinem Verbindungsmann? Sollte der nicht alles regeln? Verdammte Scheiße, wer war dieser Typ über-haupt? Es gab so viele Fragen, ich fühlte mich hilflos. Am lieb-sten hätte ich jemanden umgelegt. Wo ist dieser Stamovich, wenn man ihn wirklich braucht? Es ist wichtig für mich, in solchen Situationen meinen Sinn für Humor zu behalten.

Denn Winston wird wieder auftauchen ... natürlich wird er das ... dessen bin ich sicher.

Kapitel 12

Drei Tage später wurde Winstons Leiche auf dem Müllplatz gefunden. Mit zweiunddreißig Messerstichen. Verteilt über Arme und Beine, in seiner Brust; Stiche im Gesicht, im Nacken und ins Herz. Ich war auf der Straße und sah einen Streifenwagen vor dem Haus. Ich wartete draußen.

Die Detektives kamen mit Mrs. McKenzie und Ernest her-aus, beide weinten verzweifelt und stützten sich gegenseitig. Ernest sah mich und schrie: »Sie haben ihn umgebracht. Diese Wichser haben ihn niedergestochen und ihn fertiggemacht, Mann!«

Einer der Cops hielt die Wagentür auf, als sie einstiegen.

Ich sah sie wegfahren, sah das Blaulicht in der Ferne verblassen, glaubte es aber immer noch nicht. Es stimmte nicht. Es konnte einfach nicht sein.

Ich fühlte etwas in mir hochkochen, etwas Massives, Gemeines. Ich musste weg von hier, so weit wie möglich. Also fing ich an zu rennen. So schnell wie noch nie zuvor, meine Füße berührten kaum den Asphalt. Alles um mich herum ver-schwamm zu einem verschmierten, streifigen Grau. Der Wind verätzte meine Ohren und meine Wangen wurden taub, er ließ den Schleier vor meinen Augen erstarren, doch ich rannte und rannte ohne Ziel, denn wäre ich stehen geblieben, hätten sich meine Füße nicht mehr bewegt ... dann wäre es aus mit mir gewesen.

Ich erinnerte mich, was Paps gesagt hatte, dass er alles, was sie besaßen, hatte zerstören müssen, jeden Hinweis auf ihr gemeinsames Leben, alles, was Erinnerung barg. Ich wusste jetzt, was er gemeint hatte. Ich musste etwas zerstören, irgend jemanden verletzen, den Schock an einen anderen weitergeben, nur so konnte ich ihn überwinden. Aber niemand war da, den ich verletzten konnte.

Etwa ein Dutzend Mal musste ich um den Block gerannt sein, wie eine Ratte im Laufrad. Meine Lungen brannten, und meine Nase blutete, hätte ich jetzt nicht aufgehört zu rennen, wäre ich ohnmächtig geworden. Auf den Treppen vor unserem Hauses brach ich zusammen und schnappte nach Luft. Mein Mund war so trocken, ich konnte kaum schlucken, fuhr mit dem Handrücken über mein Gesicht und spürte den roten Sirup. Er schmeckte nach nichts. Ich saß da, allein, fühlte mich stumpf, frustriert und konnte nicht mal weinen; es fehlte mir einfach die Kraft dazu. Das überraschte mich. Ich lehnte mich zurück und plante ruhig meinen nächsten Angriff, fragte mich, was diese ganze Scheiße solle, als es mich überkam wie ein plötzlicher Kokskick.

Eingebung kann man nicht erzwingen, sie ist da, wenn man sie am wenigsten erwartet. Wie eine kühle Sommerbrise, die man spürt oder auch nicht. Es war etwas wirklich Inspirierendes. Etwas, was selbst Winston mit Stolz erfüllt hätte.

Ich stand auf und brach einen Ziegelstein aus dem Treppenaufgang. Ein halber Ziegelstein, nicht zu schwer, nicht zu leicht, mit feinkörniger Oberfläche; er fühlte sich gut an in meiner Hand. Langsam machte ich mich auf den Weg. Doch nicht im Laufschritt, sondern schleichend, ich schlich mich an meine Beute heran. Ich stattete sie mit einer Persönlichkeit aus, mit einem Gesicht; der Höllen-Hispano gekreuzt mit dem fiesesten Kolumbianer, den ich mir vorstellen konnte. Vorbei an Treppen und Einfahrten, vorbei an einem Auto mit aufgestellter Kühlerhaube und einem Typ, der sich über den Motor beugte. Auf der anderen Seite der Straße standen einige Erwachsene im Halbkreis; sie unterhielten sich und würdigten mich keines zweiten Blickes. Ich hatte die Ecke erreicht und machte einen Schritt zurück in den Rinnstein. Blitzschnell kreuzte eine räudige schwarze Katze meinen Weg und verschwand unter einem Chevy, ich war zu weit weg mit den Gedanken, um auch noch an ein Omen zu glauben. Regungslos stand ich da, nahm mein Ziel ins Visier, präparierte mich psychisch und kanalisierte meine Wut. Arme und Beine fingen an zu zittern wie vor einem Kampf, als plötzlich Mr. Jenkins wie aus dem Nichts auftauchte. Er sah mir nur ins Gesicht, stürmte aus dem Laden und schrie wie ein Wahnsinniger, fuchtelte mit den Armen und rief nach jemandem — irgendjemandem —, er solle ihm helfen. Niemand machte Anstalten. Ich hielt meine Hände wie ein Werfer beim Baseball, biss die Zähne fest aufeinander, so dass ich hören konnte, wie sie knirschten. Zwei Damen aus dem dritten Stock sahen aus ihren Fenstern, eine schüttelte gerade ein Handtuch aus. Jenkins stieß eine letzte verzweifelte Bitte um Rettung aus, duckte sich, als mir ein perfekter Wurf über seinen Kopf gelang.

Als er wieder hochkam, sah er aus, als wäre ihm der Teufel persönlich begegnet. Noch nie hatte ich derartig weit aufgeris-sene Augen gesehen. Er griff sich mit den Händen an den Kopf und stampfte umher, als bekäme er einen Durchfall. Ich dachte, er würde gleich hier einen Haufen hinlegen, dann rannte er rein, um die Bullen zu rufen. Mit einem zufriedenen Lächeln blieb ich stehen und bewunderte meine Arbeit; und ich glaube, das regte ihn mehr auf als alles andere.

Inzwischen war fast jeder aus seinem Haus gekommen, um zu sehen, was die ganze Aufregung sollte. Ich sah mich um, und da waren sie, meine Nachbarn, und inspizierten den Schaden. Die Erwachsenen waren wütend, die Kids aufgeregt, aber die meisten waren verblüfft.

Ich drehte mich, wollte gehen, und wie vor zwei Jahren beim Höllen-Hispano teilte sich die Menge wieder. Ich setzte mich auf die Stufen vor meinem Haus, um auf die Cops zu warten, fühlte mich gut, wie neugeboren, irgendwie erlöst. Doch dann kam mir in den Sinn, was die ganze Sache ausgelöst hatte. Und es traf mich wie ein Schlag mit dem Brecheisen.

In Sekundenschnelle brach es aus mir heraus. Ich wimmerte wie ein verletzter Hund, Schreie verstopften meine Kehle, und in meinem Innern hämmerte die Trauer wie eine Faust. Ein endloser Strom von Tränen floss aus meinen Augen, und sobald ich sie trockenwischte, waren sie schon wieder feucht. Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich war kurz davor zu kotzen. Ich holte ein paar Mal tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Dann sah ich sein Gesicht vor mir und stieß einen weiteren Schrei der Verzweiflung aus.

Auf der anderen Straßenseite saß sie auf ihrer Treppe und beobachtete mich; das machte mich rasend. Ich warf ihr einen wütenden Blick zu, als wäre ich glücklich, dass ich weinte und auch stolz darüber. Sie huschte zurück ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Was ftir ein Glück.

Inzwischen war Bewegung in die Nachbarschaft gekommen. Kids, die vier, fünf Blocks entfernt wohnten, kamen auf Rädern, um die zerbrochene Schaufensterscheibe zu sehen. Die Bullen fuhren um die Ecke und ließen ihre Sirene aufheulen. Jenkins rannte flennend umher, seine Haare standen ab wie Antennen, und er erinnerte mich an einen wahnsinnigen Wissenschaftler. In Gegenwart der Bullen zeigte er auf mich, sie schauten herüber und stiegen in ihren Wagen.

Alle Augen waren jetzt auf mich gerichtet, den Mann für die Schlagzeilen. Ich ahnte, was sie erwarteten, »Ob der es auf einen Kampf ankommen lässt? Wird er es leugnen?«

Ich gab offen zu: »Ja, ich habs getan.«

»Aber warum?« fragte einer der Bullen.

»Weil sie da war«, antwortete ich und zitierte damit aus der Großen Enzyklopädie des Sports. Sie leierten irgendwas über meine Rechte runter, legten mir Handschellen an und brachten mich zum Streifenwagen. Ein Bulle drückte meinen Kopf herunter, damit ich ihn mir beim Einsteigen nicht stieß. Sie stellten die Sirene an, und die Kids jubelten, als ich an ihnen vorbeifuhr. Ich kam mir vor wie ein Politiker.

Der Bulle auf dem Beifahrersitz fragte, ob ich Winston McKenzie kennen würde. Ich bekam die Frage nicht mit, und der Bulle sah seinen Partner an. Als wir auf dem Revier anka-men, war mein T-Shirt völlig durchgeschwitzt. Sie leerten meine Taschen und fanden zwei Tüten Gras. Ich wurde wegen Besitzes von Marihuana angeklagt. Glücklicherweise hatte ich keinen Koks bei mir; Koks hätte die Sache in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Jenkins tauchte auf, um Anzeige zu erstatten, und ich wurde in einen kleinen Raum geführt, dessen eine Wand nur aus Fenstern mit Milchglas bestand. Dort standen ein Metalltisch und ein paar Stühle, und ein Bulle fragte wieder und wieder, warum ich es getan hätte. Doch ich sagte nur, ich wolle meinen Vater sehen, und der Bulle antwortete, dass man versuche, ihn zu erreichen.

Gegen Mittag tauchte Paps mit zwei Detectives auf. Mein Gesicht leuchtete auf, als hätte ich eine Erscheinung gehabt, doch er war nicht so glücklich, mich zu sehen, wenigstens nicht hier. Eine Stunde lang sprach er draußen mit den Polizisten.

Wenn es drauf ankam, konnte Paps richtig gut quatschen, er erklärte, dass ein Junge unter schwerem Schock ... immerhin wurde sein bester Freund ermordet ... eben mal einen Fehler machen kann.

Die Bullen hatten mich Rotz und Wasser heulen sehen, sie wussten also Bescheid. Einer nahm Paps beiseite und sagte, sollte Jenkins seine Anzeige zurückziehen, könnte man das Gras vielleicht verschwinden lassen.

Paps ging zu Jenkins.

Jenkins war ein sturer alter Kerl. Paps bekniete den Mann, versprach ihm, dass ich das Schaufenster bezahlen und nicht mal mehr in der Nähe seines Ladens auftauchen würde. Er brachte sogar Ray ins Spiel, schlug vor, der sollte einen Monat umsonst im Laden arbeiten.

Jenkins hatte einen anderen Vorschlag. Ray sollte einen Monat gegen Bezahlung bei ihm arbeiten — er sah nicht ein, warum Ray meinetwegen bestraft werden sollte —, und ich sollte zur gleichen Zeit ebenfalls im Laden arbeiten, und zwar ohne Bezahlung. Und sollte ich während dieser Zeit nicht aufkreuzen oder alles hinschmeißen, gebe es eine neue Anzeige, wenn nötig, werde er ein Verbrechen erfinden.

Was folgte, waren eine Standpauke und eine Ermahnung, und ich war wieder auf freiem Fuß. Niemand schien sich daran zu erinnern, dass man bei mir Gras gefunden hatte.

Es war bereits dunkel, als wir nach Hause gingen; Paps starrte auf seine Füße, seine Augen, eher traurig als wütend, fixierten irgendetwas. Keiner von uns sprach. Erst auf dem Treppenabsatz drehte er sich um zu mir und sagte: »Ich weiß, dass du aufgeregt bist, aber was du getan hast, war falsch. Er hat keinem was getan, kümmert sich nur um seinen eigenen Kram. Wenn du das nächste Mal was kaputtschlagen musst, machs bei uns. Wenigstens ist das dann unser Zeug, und du tust niemandem weh außer dir selbst.« Dann drehte er sich um und ging rein. Ich wusste, dass er Recht hatte, und das war das Schlimmste.

Das Schaufenster war mit einer Sperrholzplatte vernagelt worden, im Rinnstein glitzerten die Glassplitter. Ich sah einen Schatten, der sich im Laden bewegte, Jenkins war immer noch beim Zusammenfegen.

Ich wollte hinübergehen, um mich zu entschuldigen. Aber ich tat es nicht.

Kapitel 13

Es wurde eine Autopsie vorgenommen, und ein paar Tage darauf lag Winston aufgebahrt im Johnston Beerdigungsinstitut. Weder Winston noch ich waren jemals bei einer Trauerfeier gewesen. Von irgendwoher borgte sich Paps ein paar Jacketts, um uns so gut wie möglich auszustaffieren.

Für mich war alles irgendwie verschwommen. Nichts schien wirklich, eher wie ein Traum, als wäre ich unter Wasser. In meinen Albträumen bin ich nie in der Lage wegzurennen. Gleichgültig, wie panisch ich auch bin, meine Füße haben keine Bodenhaftung. Aber ich schwimme. Mein Körper schwebt etwa eineinhalb Meter über dem Boden, und ich schwimme wie im Meer; paddle und stoße so kräftig wie möglich durch die zähflüssige Luft, aber es gelingt mir nie, das, was auch immer mich verfolgt, mehr als einen halben Meter hinter mir zu lassen. Die Trauerfeier für Winston war genau das für mich.

Er sah aus, als schliefe er. Ich dachte, er würde jeden Augenblick seine Augen öffnen, das Gesicht zu einem dämonischen Grinsen verziehen und uns alle als einen Haufen Pussies bezeichnen. Ich war so vollgeknallt mit Gras, Koks und Alkohol, dass Ray mich sogar ein paar Mal stützen musste, sonst wäre ich vornübergekippt.

Ernest und ich konnten einander nicht ansehen. Wir gingen uns die ganze Zeit aus dem Weg.

Fast die gesamte Nachbarschaft war da. Nicht um zu trauern oder um ihm die letzte Ehre zu erweisen, für sie war es ein Ereignis. Es waren sicher nicht seine Freunde, zumindest nicht das, was ich Freunde nennen würde. Winston hatte keine Freunde. In erster Linie war er Geschäftsmann. Bei ihm gab es keine Drogen auf Kredit, sein Lieblingsmotto war: »Zahlst du bar, ist alles klar«. Das ärgerte die Leute. Komisch, sie würden niemals in den Supermarkt gehen, Kartoffeln kaufen und dann darum bitten, erst am Dienstag bezahlen zu dürfen.

Ich war Winstons Freund, und darauf bin ich stolz. Er kümmerte sich um mich und brachte mir so viele wichtige Dinge bei. Ich kam mir nie blöd vor, wenn ich ihm Fragen stellte.

Deshalb hätte ich alles für ihn getan.

Als er ins Grab hinuntergelassen wurde und aus unserem Blickfeld verschwand, fUhlte ich einen Teil von mir mit ihm gehen. Diesen Verlust sollte ich noch sehr sehr lange spüren. Ich wurde nie mehr derselbe.

Kapitel 14

Osterferien. An unserem ersten Arbeitstag gingen Ray und ich schweigend zum Laden; wir hatten keine Vorstellung, was uns erwarten würde; Winston war mein letzter Boss gewesen.

Jenkins hatte ein neues Fenster einbauen lassen und ein Stahlgitter, das er abends herunterließ. Dieses neue Sicher-heitsdenken hatte er nur mir zu verdanken, aber er schien das nicht sonderlich zu schätzen, als ich den Laden betrat und meine Gegenwart ihm das bewusst machte. Stattdessen drückte er mir einen Besen in die Hand und forderte mich auf, den Gehweg vor dem Laden zu fegen. Draußen hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt, die darauf wartete, dass ich anfing. Ich besaß mehr Anziehungskraft als die Scheibe vor einer Woche. Einige Erwachsene hatten sogar ihre Kinder mitgebracht, um ihnen zu zeigen, was mit Jungen passiert, die sich danebenbenehmen. Glücklicherweise ließ meine Unbeholfenheit im Umgang mit dem Besen sie schnell in einer Wolke aus Dreck und Staub verschwinden.

Während ich draußen fegte, trank Ray drinnen eine Cola und aß Kartoffelchips; so läuft das eben, dachte ich. Vergleich und Kontrast. Ich gelobte, dass welche Aufgabe mir auch immer zufallen würde, ich auch den denkbar miesesten Job machen würde. Das kostete manchmal mehr Anstrengung, aber es war mir egal.

Jedermann kam jetzt in den Laden. Während der gesamten dreißig Jahre hatte Jenkins noch nie so ein Geschäft gemacht. Kinder kamen herein, einfach nur um einen Schokoriegel zu kaufen und Zeuge zu werden, wie Jenkins mir einen Befehl gab, der einen indischen Bettler gedemütigt hätte. Und die Leute wiesen darauf hin, was erledigt werden musste. »Mr. Jenkins, das Schaufenster sieht heute schmutzig aus.« Das erniedrigte mich am meisten; dieses beschissene Fenster zu putzen. Er ließ mich das zweimal die Woche machen.