HOLLÄNDISCHE & FLÄMISCHE
MEISTER WERKE
MIT DER RITUELLEN VERBORGENEN GEOMETRIE
QUALITÄTEN DES KUNSTBILDES
DARSTELLUNG/ GEGENÜBERSTELLUNG EINES PROBLEMS
IM BILD UND DESSEN LÖSUNG DURCH SPIRITUELLE
ENTWICKLUNG/ ÜBERSCHAU MIT ZUSAMMENFALL
DER GEGENSÄTZE IM KUNSTBILD
mit einer kurzen Einführung in die „Verborgene Geometrie“,
mit einer Liste der Definitionen und Abkürzungen,
mit einem Register für den theoretischen Teil
BAND 8: „HOLLÄNDISCHE & FLÄMISCHE MEISTER-WERKE“
Books on Demand
ZU DEN QUALITÄTEN DES KUNSTBILDES
EINFÜHRUNG C („QUALITÄTEN“ / Bd. 8)
[s. EINFÜHRUNG A („ELEMENTE“ / s. Bd. 6]
[s. EINFÜHRUNG B („FUNKTIONEN“ / s. Bd. 7)]
FÜR SUCHENDE
des urreligiösen Einweihungsweges (induktiv evident gesehen) dargestellt in der „rituellen Verborgenen Geometrie“ des Kunstbildes
Holländische Landschaft
Maer fchoon men wort al groot of rijck
’T is al maer’t Spinne web gelijck,
Indien men op het eeuwigh fiet,
Want dan is al de werelt niet.
Auch wenn man groß und reich wird,
ist doch alles dem Spinnennetz gleich,
wenn man aber auf das Ewige sieht,
dann ist all das Weltliche nichts.
Es vergeht – und doch zeigt die Spinne uns ihre Mitte in der von ihr entworfenen Welt.
Nachdem im Rahmen einer Einführung in die „RITUELLE VERBORGENE GEOMETRIE“ des Kunstbildes
A die „Elemente des Kunstbildes“ (im Band 6 / EINFÜHRUNG A) – mit der Darstellung der geometrischen Figuren von Tempel, Rastergitter, Rauten, Handgriffen, Magischem Dreieck, Wegen der 12 Stufen der Wandlung, Kubus, Gral, Lichtschwingung im Lichtschacht, solarerRobe, Baukran –
B und die „Funktionen des Kunstbildes“ (im Band 7 / EINFÜHRUNG B) mit den Aussagen über künstlerische, mythische, religiöse, moralische, soziale und informative Tendenzen dargelegt wurden, folgen nun
C die „Qualitäten des Kunstbildes“ (im vorliegenden Band 8 / EINFÜHRUNG C) dem wohl schwierigsten Thema der Einführung mit dem der Blick auf die kommunikative / vermittelnde Arbeit des Künstlers gelenkt wird, die zum einen zwischen seinem „gegenständlich Vorbefindlichen“ (dem vor ihm stehenden Gegenständlichen), das zum „Bildgegenständlichen“ wird, und seinem „spirituell Gemeinten“ (dem im Einweihungsgeschehen Beabsichtigten) das zur „Verborgenen Geometrie“ wird, abläuft, – und welche vermittelnde Arbeit zum anderen zwischen dem Kunstbild (bestehend aus dem Bildgegenständlichen und der Verborgenen Geometrie) und dem Kunstbild-Interpreten abläuft.
Es soll in diesem dritten Teil der „Qualitäten des Kunstbildes“ (in Einführung C) um das Verhältnis von Bilddarstellung und beigefügter Verborgener Geometrie gehen, welche beiden Teile eine besondere Beziehung aufweisen, welche Beziehung eine eigene Qualität ausmacht, die auch noch dem Kunstbild-Interpreten beim Verstehen hilfreich ist. (Was hier als Behauptung aufgestellt wird, soll beispielhaft ausgeführt werden.)
Damit wird von einer „Kommunikativen Didaktik“ gesprochen, die im Kunstbild seine beiden Teile (die Bilddarstellung und die darin enthaltene Verborgene Geometrie) derart auswählt und zusammenstellt, dass diese beiden Teile in ihrem Zusammenhang eine besondere Qualität besitzen, die den Interpreten zum Entschlüsseln der Botschaft anregt und dem Verstehen hilft.
Die „Qualitäten des Kunstbildes“ betreffen im Kunstbild (bestehend aus dargestelltem Bildgegenständlichen und aus der Verborgenen Geometrie) methodisch angelegte Hilfen zur Erleichterung der Aufnahme des Dargestellten und Gemeinten. – Soweit einige voraus gehende Gedanken, Genaueres wird nach den folgenden Untersuchungen zu erfahren sein. (Wer im Vorgriff einen Blick auf die Ergebnisse werfen möchte, kann den letzten Absatz der SUMME lesen.)
Zur Einführung werden drei bereits analysierte Kunstbilder aus der Reihe „Holländische & flämische Meisterwerke“ angeführt, um einen Blick auf mögliche Auffälligkeiten zu werfen, die zeigen, dass die „Weise der Vermittlung“ in ihnen auch thematisiert wird: Es wird nach Hinweisen gefragt, die die Aufnahme der Botschaft des Kunstbildes beeinflussen: lenken, fördern vorantreiben. In dieser Hinsicht auf die Weise der Vermittlung werden besondere Qualitäten (der Hilfen zur Erkenntnis und der Bewusstwerdung) erwartet.
[s. Ritters Nr. 16, S. 79 - 116]
[Abb. 1 /B] Der Kesselflicker hebt die Metallschüssel hoch, hält sie gegen das im Bild von links einfallende Licht und schaut von innen auf den schattigen Boden der Schüssel, um nachzusehen, ob durch diesen an „undichten Stellen“ Licht hindurch fallt. Er ist also zunächst ein Handwerker, der ein möglicherweise aufgefundenes Loch reparieren wird.
Dann ist er aber auch allegorisch gesehen ein „Lichtsucher im Dunkeln“, ein Diogenes (von Sinope), der am hellen Tage mit der Laterne umher ging und (bestimmte) „Menschen“ suchte: Das zugehörige Sprichwort heißt nach Erasmus von Rotterdam „Je gebruikt een lantaarn op de middag“ [Er benutzt eine Laterne am Mittag], das auf Diogenes Laërtes zurück ging. [1] – Ein anderes Sprichwort betrifft die Besitzerin der wohl löchrigen Schüssel: „Drinken uit een lekke beker“ [Trinken aus einem undichten Becher], das auf leichtsinnige und wenig vertrauenswürdige Menschen zutrifft [2].
Danach begegnen hier im allegorischen Sinne ein „spiritueller Menschensucher“ (der den göttlichen Funken des Menschen im anderen sucht, bzw. der jenen Menschen sucht, der sich seines göttlichen Funkens bewusst ist) mit einer „leichtsinnigen Frau“ (die ihre Wirtschaft verkommen lässt). – Damit wird gesagt, dass es für die Frau am besten wäre, wenn er das Loch abdichten würde (zur Verbesserung ihrer verkommenen Wirtschaft), dass es aber für den Mann am besten wäre, wenn er das möglicherweise existierende Loch, das den Lichtschein hindurch scheinen ließe, so belassen würde, wie es sei, als allegorisches Beispiel für ein „Licht im Dunkeln“.
In der allegorischen Ebene tut sich also eine Spannung auf, die hier durch die Vermutung überbrückt werden kann, dass der Mann wohl von der anscheinend neuerdings um Ordnung bemühten Frau gerufen wurde. In dieser Auflösung jenes Widerspruches kündigt sich eine zielgerichtetes Verhalten der Frau an, das auf ihre Entwicklung angelegt ist, die in der Mythologie der „jungfräulichen Mutter“ (die sie im Bild als Frau dreier Kinder, ohne einen Hinweis auf den zeugenden Mann, darstellt [3]), als eine Ganzheit, als Selbsterhaltende und Selbstgenügsame auftritt, als „Mutter aller Weisheit, Selbstbeherrschung und Erlösung durch Erleuchtung und Verwandlung, sie, die herausführt aus Dunkelheit und Gebundensein, und als Göttin der Weisheit der Umwandlung den Menschen von den elementaren auf die höchste Stufe begleitet. Sie ist das letztendliche Geheimnis: >lch bin alles, was gewesen ist, ist und sein wird, und meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet<.“ [4]
Sie ist nach Rudolf Steiner als Mutter die Seele [5], die die göttliche Intuition (Kraft des Hervorbringens) unmittelbar empfängt [6] und die als Witwe gar das sich selbst lenkende Seelische bedeutet, die den göttlichen Befruchter nicht mehr vor sich hat [7], sich also autonom steuert.
Diese mythische Figur der „Großen Mutter“ steht symbolisch hinter der Frau mit der defekten Schüssel. Die „Große Mutter“ (als Archetyp der Seele [8]) mag die bildgegenständlich dargestellte Frau zielweisend anspornen zu ihrer Entwicklung zum Licht hin, wobei ihr der Kesselflicker bildgegenständlich als Handwerker auftretend und als mythische Figur (als Archetyp des Geistes [9]) helfend zur Seite steht (für ihre Umwandlung von einer „Haushaltsgeräte-Verwalterin“ zu einer „Licht-Sucherin“).
Der Kesselflicker als archetypische Figur des Geistes ist der Vater, der Unterweiser. [10]
[Abb. 2 /B] Und die von der „Großen Mutter“ geschickte Hilfe wird in der Verborgenen Geometrie dieses Kunstbildes in Gestalt der Einweihungswege des einzuweihenden Kesselflickers das spirituelle Licht nahe bringen und sie mit dem Kesselflicker in die solare Robe einbeziehen zu ihrer Umwandlung in göttliches Licht, nämlich zu ihrer Erleuchtung:
Die Weise des Sehens wird in diesem Bild einmal bildgegenständlich im Kesselflicker thematisert (er sieht Licht durch das Loch im Kessel – oder nicht), und es wird verborgen-geometrisch durch die gleichlaufende Achse des Lichtschachtes thematisiert (sie läuft ebenfalls – wie sein Sehen – durch das Loch im Kessel). Das bildgegenständliche Suchen nach dem Lichtstrahl und der verborgen-geometrisch gesuchte und herbei gezogene Lichtstrahl kommen in eins überein, sie werden eins, der Suchende und das Gesuchte, das Suchen und dessen Ergebnis. Das Ergebnis (der Lichtstrahl) beinhaltet also die Bemühung um den Weg (die Lichtsuche) mit.
Und der einzuweihende Suchende (der Mann mit St.) hat verborgen-geometrisch das Gesuchte, das Gemeinte, sein Ziel (den Wert M/ Mitte, das wirkende Gotteswort) bereits unwissend über sich (mit M über seinem Kopf). Was er sucht ist bereits nahe bei ihm, es zeigt sich ihm aber erst durch seine Suche, durch sein Verlangen nach Licht. Sein Verlangen nach Licht bringt ihn zielgerichtet zum Licht, wobei dann sein Weg (seine Methode) vom Ergebnis her gesehen zielführend angelegt war.
Ebenso ist des Kesselflickers Weg als Helfer für die zum Lichten strebende Frau (die ihn gerufen hatte) ans Ziel gekommen, indem sie mit ihrem rechten Ohr (auf P12) Gottes Einstrahlung in ihren Körper und in den Oranierbaum (in P12C), im Sinne der Ausbreitung von Gottes wirkendem Wort, hört. Das Sehen, das der herbei gerufene Kesselflicker (als Helfer und Archetyp des Geistes) leistet (im Sehen der Achse P12-P12A-P12C), – und das Hören der Frau (in P12), die sich im Herbeirufen des Geistes/ Helfers dem Göttlichen öffnet, sind die Ergebnisse des Wunsches (der Frau) nach dem Geistigen und das Ergebnis des Helfens (des Mannes) auf dem Weg zum Geistigen.
Das Suchergebnis des durch den Kesselboden hindurch scheinenden Energiestrahles des göttlichen Lichtes, das letztendlich in den „Oranierbaum“ (in P12C) einstrahlt (also vom Ende her gesehen diesem Baum als Ziel zugeordnet ist), das auf dem Einweihungs-Weg des Mannes (mit St.) erreicht wurde, liegt schließlich in einer graphischen Notierung vor und kann als Vorlage dienen für eine Aneignung und Aufnahme durch die innere Vorstellung und Vergegenwärtigung des Kunstbild-Betrachters.
Die besondere Qualität dieses Kunstbildes (zur Erleichterung einer geistigen Orientierung hier bereits im Bildgegenständlichen) liegt im vermuteten Loch/ bzw. Lichtdurchlass in der Schüssel – und in der Ausrichtung der Sehachse des Suchenden, bzw. eines möglichen Lichtstrahles auf den der Kraft bedürfenden Oranierbaum (hier vor dem Jahr 1657 dargestellt).
[Abb. 3 /B] Angesichts des auch bildgegenständlich überzeugenden Ergebnisses der Lichtsuche (dass ein bildgegenständlicher Sehstrahl und mit diesem gleichgerichtet ein verborgen-geometrischer Lichtstrahl in den alten Weidenbaum eindringt) kann hier auch noch von der Qualität einer „geistigen Erleichterung“ gesprochen werden hinsichtlich der einfachen Anordnung der „bildhaften Gegenstände“ und der „geometrischen Figuren“: In diese Kombination ist als Summe der Botschaft des Kunstbildes eine sicherlich leicht erinnerbare Komposition/ ein übersichtliches Erinnerungsbild (als Angebot) vom Künstler Frans van Mieris geschaffen.
Eine besondere Qualität einer Anregung zur Erkenntnisgewinnung liegt hier im „Gegenständlichen“ (Blickrichtung, Sehachse), das durch verborgen-geometrische Nachforschungen ergänzt wird (Lichtschacht, Lichtachse).
[s. Ritters Nr. 19, S. 151-182]
[Abb. 4, 5 /B] Die Betrachtung des Endes des dritten Einweihungsweges (nach P03) gibt weitere Beispiele für in der Verborgenen Geometrie thematisch gewordene Hinweise auf evidente Denkanstöße und zielführende Schritte:
a) Der Wert „Stärke/ St.“ liegt auf der Stuhl-Rückenlehne oben drauf. Im Sinne der Theorie der Verborgenen Geometrie ist danach der „Stuhl mit St.“ einzuweihen. Da dieses aber abwegig ist, muss nun nachgedacht werden, wer einzuweihen ist: Es ist sicherlich der auf dem Stuhl sitzende „Zeitungsleser“. Wenn diese (nach der Zeichnung mit der solaren Robe) aufsteht, befindet sich sein Bauch (der wandelt) in der solaren Robe, was anzeigt, dass er eingeweiht ist.
b) Der sich mit seinem Rücken am lodernden Feuer wärmende Pfeifenraucher hält seine auf seine Rückseite gelegte und nach außen geöffnete rechte Hand dermaßen, dass die letzte Schwingungsfigur des Lichtschachtes (nach P03) über die Finger dieser geöffneten Hand läuft. Danach ist deutlich geworden, dass er die Robe „handhabt“, also mit ihr umgeht, dass sie ihm nicht unbekannt ist. Er ist also bereits ein Eingeweihter, der wahrscheinlich in der Stube auf und ab geht und darauf wartet, dass der Sitzende den Text studiert hat, so dass er (als Eingeweihter) mit diesem Suchenden darüber sprechen kann, insbesondere über den Punkt P12 auf der Zeitung. Da dieser Punkt auf der Zeitung die „Vereinigung im Höchsten“ bedeutet, wird es sich nicht um eine gewöhnliche Zeitung im Sinne von Neuigkeiten im Zeitgeschehen handeln, sondern um ein religiöses Traktat, das ihn in Richtung seiner Lichteinstrahlung (des Lichtschachtes) auf das Zentrum des kugeligen Bauches des Kruges (auf dem Fass) lenkt, um das formlos lodernde Feuer in dieser Gestalt einer zentrierten Kugel als Bild und Erscheinung Gottes anzusehen, welcher darin als „Kraftzentrum und Umfang SEINER Schöpfung“ vorstellbar wird und ist.
c) Die dreifache Schwingungsfigur läuft auf den Gehstock zu und halbiert diesen, so dass die Proportion der Oktave entsteht (unterteilend im Sinne von 1 zu 2) mit der Bedeutung des Oktavsprunges [1], einer Bewegung nach oben, einer Aufrichtung. Damit kann sein „Aufstehen“ gemeint sein.
Diese Beispiele gehen über die Darstellung der reinen Figuren der Verborgenen Geometrie hinaus und führen zu weiter ausholenden (die einzelnen Figuren übersteigenden) Interpretationen und Bewusstseinsinhalten.
Eine besondere Qualität einer Anregung zur Erkenntnisgewinnung liegt hier im „Verhältnis von geometrischer Figur zum Bildgegenstand“ (der „Stuhl mit St.“ sagt „steh auf“; die Schwingungsfigur in der Hand des Rauchenden sagt „er kennt das jenseitige Licht“; die Kugel im vom Einzuweihenden erkannten Lichtstrahl vor dem Feuer sagt „er hat im formlos lodernden Feuer die Struktur Gottes erkannt als >wirkendes Zentrum im allseitig kugelrunden Umgebenden/ Bewirkten/ in SEINER Schöpfung<“).
[s. Ritters Nr. 19, S. 118 – 150 d]
[Abb. 6 /B] Vor der Reise der 12 Stufen der Wandlung wird auf der Basis des leeren Fasses (d.i. des hohlen/ leeren Geredes [1]) eine Verbindung von „Wort Gottes bei IHM/ M“ und „Kirchturm“ (also Verkündung von Gottes Wort in der Kirche) hergestellt (im Kreis um das Fass/ B mit Radius B-M, welcher Kreis den Kirchturm/ C überschneidet). Dort wird also (nach dieser Darstellung auf der Basis des Hohlen/ Nichtigen) das „in der Kirche verkündete Gotteswort“ als hohl und leer bezeichnet, – ohne weiterhin zu sagen, wie denn das Gotteswort angemessen zu verkünden und zu verstehen sei. Durch den Kreissektor M-B-C mit seinem Winkel von 130 Grad wird auf die Bedeutung der Zahl 13 hingewiesen, die von einem Überschreiten einer Ganzheit (der 12) spricht [2], – womit aber auch noch nicht gesagt ist, wohin gehend die Basis B (das leere Gerede) überschritten werden soll.
[Abb. 7 /B] Dagegen wird nach der Reise der 12 Stufen der Wandlung die eingeweihte Wirtin nach ihrem Bewusstseins-Stand gefragt, indem der Kreis um ihren Mund (der als Organ des Wortes und des Geistes [3] gilt) geschlagen wird, einmal mit dem Radius „Mund der Wirtin/ W – Wort Gottes/ M“ und zum anderen mit dem Radius „Mund der Wirtin/ W – Fassloch/ F“. Der erste Kreis überquert die rechte obere Fensterecke mit der Bedeutung von „rechts-oben = Süd-Osten = Himmel“. Die Eingeweihte erkennt also das Gotteswort als ein himmlisches. Und der zweite Kreis überquert die rechte obere Ecke des Kunstbildformates mit der gleichen Bedeutung, dass nun das Fassloch himmlisch sei, also dass es göttlich rede. Der Wert des leeren Fasses/ des leeren Wortes ist also durch die Einweihung im Bewusstsein der eingeweihten Wirtin gewandelt, welche Wandlung auch ablesbar ist: Der zweite Kreis (um W mit Radius W-F) überquert auch noch den hoch oben in der Luft fliegenden Vogel (mit Punkt V) und bildet damit den Winkel (F-W-V) von 46 Grad. Das ist die Zahl des Tempelbaus [4]. Damit wird also gesagt, dass „im Tempel“ das „leere Wort“ eine „Öffnung nach oben/ zum Himmel“ erfahre und damit im religiösen Sinne wie ein „leeres Gemut“ [5] eine spirituelle Botschaft des „Himmels“ empfangen könne.
Während „anfangs vor dem Gehen des Einweihungsweges“ das „leere Faß als leeres Gerede“ angesehen wurde, kann „nun nach dem Gehen des Einweihungsweges“ „das leere Fass im Sinne des leeren Gemütes“ als ein produktiver Anfang eines neuen und offenen Bezuges zum „Himmlischen/ Spirituellen“ angesehen werden.
Eine besondere Qualität einer Anregung zur Erkenntnisgewinnung liegt hier im Vergleich eines (auf der Basis eines leeren Fasses gesehenen „sachlichen Bezuges“), nämlich dass das „Gotteswort/ M“ ein „leeres Gerede in der Kirche“ sei, – während (auf der Basis des „gewandelten Bewusstseins-Standes“ (nach der vollzogenen Einweihung) das „leere Aufnahmegefäß des leeren Gemütes“ für die Aufnahme von „Himmlischem“ offen ist. Die zwischenzeitlich erfolgte Einweihung wandelt die Sicht und Bedeutung des im Bild zentral angelegten hohlen Fasses vom nach außen gewandten, sachlichen Bezug eines „leeren Geredes“ zum nach innen gewandten, spirituellen Bezug eines „leeren Gemütes“.
Die besondere Qualität einer Anregung zur Erkenntnisgewinnung liegt also in einer nach der Einweihung erneut durchführbaren Prüfung eines Bewusstseins-Standes mit dem Kreis um den Mund (Wort/ Geist) des/ der Eingeweihten mit Radius „Mund – erneut in seiner Bedeutung zu überprüfender Ort“), wobei der Kreis einen neuen, weiteren bedeutungsvollen Ort überqueren mag (hier: den Ort eines Vogels/ Mittlers /Boten mit dem Zahlenwert des Tempels/ „46“).
Die drei voraus geschickten Beispiele zeigen
a) die „bildgegenständliche Blickrichtung des Kesselflickers“ und die nach der Einweihung vom eingeweihten Kesselflicker gefundene „Lichtachse des Lichtschachtes“ zeigen hier vom Ergebnis her gesehen eine im Kunstbild vorgegebene Suchrichtung,
b) die verborgen-geometrisch vom Einzuweihenden gefundenen Elemente „St.“ und „dritte Schwingungsfigur“ und „Lichtachse“ (mit rundem Krug auf dieser Achse) zeigen hier die auf das Bildgegenständliche zurück weisenden Deutungen eines „Steh-auf“, eines „Vertrautseins mit dem spirituellen Licht“ und einer „gegenständlichen Gestaltfindung für das inkommensurable formlose Feuer“,
c) das vom Bildinterpreten eingangs gesehene leere Faß in seiner allegorischen Bedeutung gewinnt nach dem Einweihungsweg in der Sicht der Eingeweihten eine spirituelle Bedeutung.
Hier zeigen sich besondere Qualitäten, die a) vom Bildgegenständlichen auf das Figurale der Geometrie und b) umgekehrt vom Figuralen der Geometrie auf das bildgegenständliche Geschehen und c) auf eine Bedeutungswandlung während des Einweihungsgeschehens verborgen-geometrisch hinweisen und derart besondere Bedeutungen hervorbringen (die jene der einfachen Figuren der Verborgenen Geometrie übersteigen).
Damit ist das Thema „besonderer Qualitäten“ des Kunstbildes angesprochen, welche jenseits der einfachen Bedeutungen der einzelnen Figuren jener Verborgenen Geometrie liegen. In der Spannung zwischen geometrischer Figur und bildhaftem Gegenstand können neue Hinsichten entstehen, die produktiv die Deutung des Kunstbildes voran treiben können. – Hiervon soll folgend die Rede sein.
Soweit wurde in den beiden ersten Beispielen das Suchergebnis gezeigt (das hauptsächlich in der dreifachen Schwingungsfigur der Energieeinstrahlung bestand) mit seinem Beitrag an bewusster Arbeit des Suchenden (welcher Beitrag hauptsächlich im Weg nach P12 bestand). Und es wurde behauptet, dass diese Ergebnisse in den graphischen Notierungen als Vorlagen für innere Vergegenwärtigungen des Kunstbild-Interpreten dienen würden. Diese Aussagen sollen folgend theoretisch untermauert werden: die Suche im Sinne eines Zieles und die Beziehung zwischen Entäußerung und Verinnerlichung.
Die Vorüberlegungen zur „Qualität des Kunstbildes“ deuten eine vorgängige (im Voraus gegebene) im Menschen angelegte Zielgerichtetheit, deren Theorie zunächst vorgestellt wird.
Angesichts des Kunstbildes „Der Kesselflicker“ sahen wir die „junge Mutter dreier Kinder ohne Vater“ als die mythische Figur der „jungfräulichen Mutter, … die herausführt aus Dunkelheit und Gebundensein, … [und] als Göttin der Weisheit … den Menschen von den elementaren auf die höchste Stufe begleitet.“ [1]
Dort wird eine im Menschen angelegte archetypische Instanz genannt, die ein zielgerichtetes Verhalten bezogen auf eine „höchste Stufe“ bewirke, – bzw. unter dem zielgerichteten Anspruch nach einer „höchsten Stufe“ wird die archetypische Instanz der „jungfräulichen Mutter“ (der aus sich ohne Anstoß von außen hervorbringenden Mutter) angenommen.
Ebenso wird in der Freimaurerei (nach dem Schwedischen System) auf eine dem Menschen innewohnende Bestimmung hingewiesen: „Des Menschen innerstes Wesen kommt aus der Ewigkeit; es weist über ihn hinaus in die Ewigkeit, in eine höhere Welt, in der sich das vollendet, was hier unvollkommen bleiben muß. Dieses Wesen ist in jedem Menschen vorhanden.“ [2] „Diese innere Entwicklung, die zur höchstmöglichen Vollendung der Persönlichkeit führen soll, ist die Aufgabe der Freimaurerei.“ [3] Da die Freimaurerei des Schwedischen Systems Elemente der Urreligion enthält (etwa den Sturz in den Sarg zur Überwindung materieller und persönlicher Begierden), können deren Aussagen auch zur Erklärung der Verborgenen Geometrie herangezogen werden, welche auf der Urreligion gründet.
Weiterhin werden im Ritus jenes Ordens zur Aufnahme rituelle Reisen unternommen, die auch das Ziel zeigen: „Alle drei Reisen haben den Zweck, vom Westen, dem Sitz der Sterblichkeit, des Irdischen, Beschränkten, nach Osten, dem Sitz des Lichtes, der Wahrheit und Ewigkeit, zu gelangen.“ [4] Das Einweihungsgeschehen bearbeitet Ziele, die im Ritual festgeschrieben sind, und „in ihrer Eigenheit und Wesenheit für alle Zeit unverändert beibehalten werden sollen.“ [5]
Das Leitmotiv des Lichtes, das gesucht werden soll [6], ist (nach dieser Ordenslehre) bereits angelegt im Herzen des Maurers in Gestalt des in ihm wohnenden „göttlichen Funkens“. [7] Das, was er bereits seit seiner Geburt besitzt, das soll der Maurer durch eigene Arbeit in noch größerer Helligkeit erwerben. [8] Das im Menschen angelegte Licht (im göttlichen Funken) stellt also sein Ziel der Vermehrung und Vergrößerung dieses Lichtes dar „die uns vom Schöpfer geschenkte Seele [mit ihrem göttlichen Funken im Herzen] … zu formen zu einem Ebenbilde Gottes, genauer: nach diesem Ebenbilde hin (Kol. 3, 10).“ [9] Dieses derart genannte „Bild“ Gottes zu dem der Mensch sich (als Ebenbild) hin entwickeln solle, wird als „Licht“ bezeichnet, das Gott sei. [10] Des Menschen Ziel sei das reine Licht, er solle „das höchste Licht suchen, das ewig und keinem Mangel unterworfen ist“. [11]
„Die >Ursprüngliche Offenbarung< oder die >Ur-Religion< der alten göttlichen Lehrer und Heilande erklärt, daß am Beginn des Zyklus der menschlichen Evolution die Monade [die Dyade Buddhi und Atma] zuerst durch die niederen Bereiche des Kosmos und dann zur Erde herabsteigen mußte, und zwar zu dem einzigen Zweck der graduellen Entfaltung von Sieben Prinzipien, um dann mit Hilfe der Gesetze der Natur ihre eigene Befreiung und Selbstverwirklichung auszuarbeiten. Dieser Zyklus der menschlichen Evolution vom Anfang zum Ende wird der > Kreislauf der Notwendigkeit< genannt.“ [12]
Es ist „der Lebenszweck und das Ziel einer jeden Ich-Persönlichkeit, die durch den unfreiwilligen >Kreislauf der Notwendigkeit<, durch das >Dornental< der Erde hindurch muß, bis sie wiederum zum >Himmel< hinaufsteigen kann als ein siegreicher Eingeweihter, ein Khepe-Ra … auch Planetengeist genannt.“ [13]
Während des Erdenlebens „existiert tief im Bereich des Unbewußten ein spirituell-göttlicher Wunsch, ein heiliges Streben, dem unheilvollen, aber notwendigen Wirbel der unfreiwilligen und schmerzhaften Inkarnation auf dieser Hölle Erde zu entgehen und sich seinem Zwang zu entziehen. Die sogenannte >Kreuzigung< bedeutet nur den Tod des Tiermenschen [seine Überwindung], resultiert [führt] aber in den Zustand eines spirituellen Astronauten, der bewußt wieder in den Weltenraum eintritt…“ [14]
Die Urreligion erklärt den „Abstieg des spirituellen Geistes in die Materie der Erde, seine Gefangenschaft und sein >Tod< darin [seine Unterdrückung] und schließlich seine > Wiedererweckung< und >Neugeburt< [durch Überwindung des Irdischen] durch die heroische Anstrengung des Individuums und seine Rückkehr zur >Heimat< und > Ursprünglichen Quelle<, nämlich zum >Einen Göttlichen und Universalen Geist< im Kosmos. Hierbei wird der ursprüngliche Zustand der spirituellen Reinheit und Unsterblichkeit erreicht, jedoch mit der Zufügung von Erfahrung und Weisheit, als die Frucht aller seiner persönlichen Leben auf Erden …“ [15]
Das Ziel der Einweihung ist die „Umwandlung des Menschen in göttliches Licht und Energie“. [16]
„Ja, Atma ist die ewige, dynamische Kraft, die uns stets zu unserem vorgeschriebenen Zile der Vollkommenheit und Göttlichkeit im Rahmen der Gesetze der Evolution vorantreibt, so daß wir den notwendigen und unvermeidbaren > Kreislauf der Notwendigkeit< vollenden können.“ [17]
Nach der Urreligion gibt es einen vorgeschriebenen geistigen Weg als „Abstieg des spirituellen Geistes in die Materie der Erde, seine Gefangenschaft und sein >Tod< darin und schließlich seine >Wiedererweckung< und >Neugeburt< durch die heroische Anstrengung des Individuums und seine Rückkehr zur >Heimat< und >Ursprünglichen Quelle<, nämlich zum >Einen Göttlichen und Universalen Geist< im Kosmos. Hierbei wird der ursprüngliche Zustand der spirituellen Reinheit und Unsterblichkeit erreicht, jedoch mit der Zufügung von Erfahrung und Weisheit, als die Frucht aller seiner persönlichen Leben auf Erden, jedoch ohne ihr Böses und ihre Versuchungen. […] Es ist jedoch dieser >Geist< oder die >Monade< des Menschen, der, obwohl lediglich […] überstrahlend<, aber niemals direkt dem Körper innewohnend, die Persönlichkeit und ihr Manasprinzip [Buddhi-Manas] antreibt, diese vollkommene Geistigkeit und Göttlichkeit wieder zu erlangen [in einer] gewaltigen Anstrengung der Selbstbefreiung aus der Materie […].“ [18]
Hier wird das (5.) Prinzip des Menschen, das Manas-Prinzip per se (an sich), das Denkprinzip per se (an sich) mit dem Buddhi-Anteil der >spiritualisierten, mitleidvollen Intelligenz und höheren Intuition und einer scharfen Unterscheidungsfähigkeit< (als Buddhi-Manas) angesprochen, das >eigentliche reinkarnierende Ego< [19], das im Menschen vom >Geist< (von der >Monade< aus Buddhi-Manas, Buddhi/ Horus und Atma/Atmu-Osiris [20]) angetrieben wird zur Befreiung und Erleuchtung. Derart steht der Mensch (seine Ich-Individualität) mit seinem höheren Denken/ Buddhi-Manas/ 5. Prinzip) unter dem (urreligiös gesehenen) zielgerichteten Anspruch der Rückkehr in die „spirituelle Heimat“ (mit eigener Kraftfülle) im Kosmos,
Der Einweihungsweg der Verborgenen Geometrie zeigt (gemäß der Urreligion) als Ziel stets die >solare Robe<, bzw. das Erreichen der >solaren Robe<, gefüllt mit dem im Lichtschacht einströmenden Licht und einströmender Energie aus der Quelle des 7. Prinzips des universalen transzendenten Geistes, Atma. „Atma ist die ewige, dynamische Kraft, die uns stets zu unserem vorgeschriebenen Ziel der Vollkommenheit und Göttlichkeit im Rahmen der Gesetze der Evolution vorantreibt, so daß wir den notwendigen und unvermeidbaren >Kreislauf der Notwendigkeit< vollenden können.“ [21]
[Abb. 1 /C,I.] Ein Sprichwort sagt: „Wie twee hasen jaegt / vangt ´er veeltijts geen.“ [Wer zwei Hasen jagt, fängt meistens keinen.]
Mit „Ausgeben/ Evolution“ meint Rudolf Steiner die Leidenschaft der Kainskinder in ihrem weltlichen Erkenntnisdrang [1] durch „Sammeln und Bauen in der Welt“ Gedanken/ Geist (im Bereich des Bauens, etwa von Häusern, Brücken, von Feldanbau, von Kunstwerken) in die Außenwelt zu geben [2], um dann nachzusehen, wie gut es funktioniert, um derart weltliche Erkenntnisse zu gewinnen (etwa über Bedingungen des Ackeranbaues). Weiterhin standen derart geistig konstruierte Werke und Untersuchungsmethoden in der Außenwelt, deren Absicht, Plan, Konstruktion für spätere Erkenntnis ihrer Eigenart für eine geistige Aufnahme zur Verfügung standen. Dieses geistige Aufnehmen von einem sinnvoll Gebauten nennt Rudolf Steiner „Involution/Einsaugen“. [3] Weiter führt Steiner aus, dass es diese beiden Weltzustände (im Leben der Kainskinder) gebe, das Ausgeben (von Geist) und das Einsaugen (von Geist). [4] Da das Kainskind nicht direkt/ unmittelbar an der göttlichen Einstrahlung der Intuition teilhabe, habe er sich selbst in seinem weltlichen Rahmen diese Möglichkeit weltlicher Erkenntnis (eines Erfahrungswissens) geschaffen.
Damit wurde die intuitive Weisheit in den Kainskindern verdrängt und abgetötet (damit wurde der Abel getötet). Die Kainskinder bauten Geist in die Materie [5], sehnten sich aber nach dem verspürten Verlust der Intuition, diese zurück zu erlangen [6] durch Arbeit [7].
Im Gegensatz hierzu standen die Abelskinder, die in ihrer abgeklärten, intuitiven Weisheit (der Priesterweisheit) lebten. Kain war derart nach außen gerichtet männlich wirkend (bauend) und in seiner Erkenntnis passiv von außen nehmend (reaktiv Erfahrung durch Prüfung des Gebauten sammelnd) [8]. Sein Widerpart Abel war dagegen weiblich unmittelbar in seiner Intuition die göttliche Kraft empfangend. Danach sehnten sich die Kainskinder zurück.
Es war derart die Aufgabe aller (kainsmäßig orientierten) Geheimgesellschaften gewesen, die mineralische Welt geistig zu formen [9], um für spätere Zeiten geformten Geist zu haben für die Aufnahme nach innen. Soviel wie an Geist in die Außenwelt, bzw. in die Materie eingebaut war, soviel würde an Bewusstsein zurück fließen. [10] Das äußere Bauwerk wurde ein Abbild des Geistigen. [11] Und die Kainskinder nahmen sich vor, durch Arbeit die Intuition zurück zu erlangen. [12] Sie versuchten durch Konstruktion (durch erzwingende Arbeit) die verlorene Intuition (die unmittelbar zu empfangende aktive, schöpferische Intuition) zurück zu gewinnen.
Diesem Ziel entspricht auch die in Kunstwerken angelegte „rituelle verborgene Geometrie“. Sie wurde konstruiert und in die Materie der Farben und Formen (bzw. der Oberflächen-Bewegungen des Steines, der Modelliermasse des Tones, der Linien auf dem Papier, der Architekturteile von Gebäuden, der Garten- und Landschaftselemente von Parks usw.) eingearbeitet – für späteres Herauslesen zur inneren Vergegenwärtigung des darin eingeschlossenen Geistes.
Das Besondere an diesen Arbeiten am Kunstwerk liegt nun hinsichtlich der darin eingearbeiteten geistigen Aussagen (die an geometrische Figuren gebunden wurden) darin, dass die Inhalte dieser „Kunstwerke“ den allgemeinen Plan (die Absichten in allen gestalteten Werken) zum Inhalt hatten: Die grundlegende Absicht, Geist in Materie zu tragen, um dann aus dieser gestalteten Materie den einst hinein gelegten Geist wieder heraus zu lesen. Dieses alles tragende Konzept der Arbeit bezüglich Evolution/ Ausgeben und Involution/ Einsaugen lag so in der speziellen Form des Kunstwerkes. Das Kunstwerk als „geistig gestaltetes Werk“ beinhaltet die besondere Anleitung für das Lesen dieser Art eines „geistig gestalteten Werkes“, – welcher methodische Eigenbezug in anderen Werken von Brücken, Schiffen, Transportmitteln, Waffen…) nicht wahrscheinlich erscheint und zumindest erst noch zu suchen wäre. – Jedenfalls ist das „Kunstwerk“ im Eigenbezug mit seiner Leseanleitung ausgestattet, die die enthaltene, geistige verborgene Geometrie in Beziehung zu den Darstellungen des „Bildes“ setzt. Derart ist immer die gleiche Leseanleitung in ihrem prinzipiellen Aufbau im „Kunstwerk“ vorhanden und dazu noch ihr Bezug auf das, was im „Bild“ (in seiner bildgegenständlich erzählenden Darstellung) thematisch ist.
Dieser Eigenbezug des Kunstbildes auf das „Kunstbild“ mit Erweiterungen zu Aussagen des „Bildes“ hin macht diese Klasse an Werken (diese Kunst-Werke) zu einem besonderen Feld für Untersuchungen der Kains-Arbeit, nämlich im Werk geistige Strukturen bis hin zur im Kunstwerk untergebrachten eigentlichen Aufgabe, den Geist zu schärfen für die geistige Rückgewinnung der verlorenen Intuition, zu untersuchen.
Mit einer praktizierten Involution (mit einem Einsaugen) der geistigen Aussage speziell eines Kunstwerkes, wird also das leidvolle Thema, die Abweisung der Intuition durch die Kainskinder (und damit die Aufkündigung einer Gottesnähe bis hin zu einer Aufkündigung einer Gotteskindschaft) rückgängig zu machen, erkannt: die Arbeit an einer Rückkehr in eine „Gemeinschaft in Gott, in SEIN Licht, [13] – wobei der biblische Begriff der Kainskinder weiter gefasst werden kann im urreligiösen Sinne der „materie- und weltverhafteten Kinder Gottes“.
Nur ist bis heute diese Involution (dieses Einsaugen) anscheinend noch nicht geschehen, so dass das Konzept (der Kunstbilder) der „Aufnahme von erarbeitetem Geist bei fehlender Intuition – mit dem Ziel einer unmittelbaren Aufnahme der Intuition“ bisher scheinbar noch keine Wirkung gezeigt hat. – Ohne ein inneres Verstehen bleibt die Darstellung (Objektivation jener Gedanken) im Außen.
Zur besonderen Qualität der Kunstbilder:
Die besondere Qualität des Kunstbildes besteht offensichtlich in der dargestellten graphischen Notierung einer rituellen verborgenen Geometrie (mit den Inhalten einer datailliert aufgeführten geistigen Aufgabe der Rückkehr zur unmittelbaren göttlichen Intuition – als Evolution –) als Vorlage für die innere Vergegenwärtigung dieser geistigen Aufgabe – als Involution –). Und diese Vorlage kann betrachtet, geprüft, neu formuliert werden, so dass die Gefahr einer verfestigenden Dogmatisierung als nicht gegeben erscheint.
C. G. Jung spricht von „Projektion“ (einer Art von Entäußerung) und „Introjektion“ (einer Art von Hineinnahme) im Zusammenhang mit der Seele, der „Anima“: „Seele ist das Lebendige im Menschen, das aus sich selbst Lebende und Lebenverursachende… Wäre die Bewegtheit und das Schillernde der Seele nicht, der Mensch würde in seiner größten Leidenschaft, der Trägheit, zum Stillstand kommen.“ [1]
Das Leben der Seele wird „auf dem Wege der Projektion, d. h. gespiegelt in den Naturereignissen, dem menschlichen Bewußtsein faßbar…“ [2] Unter Projektion versteht Jung nicht ein Herausnehmen von Inhalten aus der Seele [3], sondern eben ein Wiedererkennen gespiegelt im Außen [4] und er sagt, „vielmehr ist die Psyche durch eine Reihe von Introjektionsakten zu der Komplexität geworden, als die wir sie heute kennen. Ihre Komplexität hat zugenommen proportional der Naturentgeisterung.“ [5]
Grundlegend ist für den Aufbau der Seele demnach die Aufnahme von belebten Naturbildern (in Introjektionsakten), hingegen sei zur Erkenntnis von inneren Seelenbildern deren Spiegelung im Außen (in Projektions-Bildern) nötig. – Angewendet auf das Verhältnis von „Entäußerung eines Gedankens/ Evolution“ aus einer geistigen Objektivation in einem geschaffenen Kunst-Werk zu einer „Verinnerlichung eines Gedankens/ Involution“ aus einer geometrischen Darstellung“ (bei Rudolf Steiner) fällt nun (im Gegensatz zu Jung) auf, dass Steiner vom Geist ausgeht (der in Materie/ ins Außen eingebaut wird) und Jung von der Seele ausgeht (die in der belebten Natur/ im Außen gespiegelt wird). Weiterhin besteht ein Unterschied darin, dass bei Rudolf Steiner die Materie erst mit Geist versehen wird (um sie nachfolgend nach innen zu nehmen), während bei Jung die Seele erst mit Naturwesen aufgebaut wird (um sie nachfolgend im Außen wieder zu erkennen).
Und doch könne nach beiden Blickrichtungen die Befindlichkeiten und Vorgänge von „Entäußerung“ und „Verinnerlichung“ (bei Rudolf Steiner und bei Jung) auf die Verborgene Geometrie angewendet werden: Die „Evolution/ Entäußerung“ (von Steiner) und die „Projektion/ Widerspiegelung“ (von C. G. Jung) betreffen ein Herausgeben von Geist oder Seele in die Außenwelt (ins Bauwerk oder ins Naturgeschehen) und ein erkennendes/ bewusstes Hereinnehmen von Geist oder Seele in die innere Vergegenwärtigung, – wobei beide mal der Inhalt über ein Gegenüber im Außen zur derart ermöglichten Wahrnehmung (des Geistigen, bzw. des Seelischen) im Innen gewechselt sind. Und beide Sichten ergänzen sich, wenn in der „Entäußerung Rudolf Steiners“ das gedankliche System der geometrischen Figuren (außen im Werk) innen vergegenwärtigt wird, und wenn in der „Widerspiegelung Jungs“ das gedankliche System der geometrischen Figuren im Zusammenhang mit den lebendigen Bildinhalten – an welcher Stelle des Bildes liegt jene geometrische Figur – (außen im Werk) innen vergegenwärtigt wird.
Derart hilft Jungs Sehweise, der geistigen Sicht Rudolf Steiners „der Bearbeitung der Materie“, seine / C. G. Jungs seelische Sicht „der Bearbeitung des Lebendigen“ hinzu zu fügen. Es geht neben der „Verwandlung des Mineralreiches durch die Kunst“ [6], auch um die „Erweckung der Meisterschaft im Lebendigen“ mit dem „Bau am Lebendigen“ [7].
Beide Sehweisen haben ihre Grenzen: Die von Rudolf Steiner erkannte Gegenüberstellung (Evolution, Ausgeben nach außen) birgt die Gefahr in sich, jenes im Gebauten objektivierte Geistige im Gegenüber zu verfestigen und dort stehen zu lassen und es nicht ins Innere, ins eigene Geistige, hinein zu nehmen. Dieses ist anscheinend mit der „rituellen Verborgenen Geometrie“ als einer in Kunst-Werken objektivierten Geheimsprache (ohne ersichtliche Leser) geschehen.
Ebenso birgt die von C. G. Jung genannte Projektion (Widerspiegelung im Außen) die gleiche Gefahr einer Verfestigung in Form von vollständigen Projektionen (vergleichbar den Dogmenbildungen), etwa in der Figur der Psyche (des unberechenbaren Lebendigen, das im Außen als selbständige Wesenheit wandelt), etwa in der Figur von Amor usf. Es wird von C. G. Jung die Gefahr einer vollständigen Projektion innerhalb einer Religionsform beschrieben:
„Jeder Archetypus [seelisches Urbild; etwa der des Gottesbildes] ist unendlicher Entwicklung und Differenzierung fähig. Es ist daher möglich, daß er mehr oder weniger entwickelt ist. In einer äußerlichen Religionsform, wo aller Nachdruck auf der äußeren Figur liegt (wo es sich also um eine mehr oder weniger vollständige Projektion handelt), ist der Archetypus identisch mit der äußeren Vorstellung, bleibt aber als seelischer Faktor unbewußt. Wenn ein unbewußter Inhalt durch ein Projektionsbild dermaßen ersetzt ist [und hinter diesem verblasst], so wird er vom Mitleben im und Einflußnehmen auf das Bewußtsein ausgeschlossen. Damit büßt er sein Leben weitgehend ein, weil er an der ihm natürlichen Gestaltung des Bewußtseins verhindert ist…“ [8]
Die anhand eines Kunstbildes ausgearbeitete „Verborgene Geometrie“ ist in ihrer Darstellung/ Präsentation als eine Objektivierung mit der Aufgabe einer dem erkennenden Blick empfohlenen Gegenüberstellung (Evolution und Projektion) anzusehen: Der Abstand in der Gegenüberstellung hilft dem trennenden Erkennen. – Jedoch in der Aufnahme ins Innere (Involution und Introjektion) tritt es in Beziehung zu Geist und Seele des Kunstbild-Interpreten: zum Geist mit den bereits bekannten geometrischen Figuren, zur Seele durch das mit den geometrischen Figuren (jeweils am Ort) verbundene Lebendige in der besonderen Bilddarstellung.
[Anmerkung: Die Seele wird bei C.G. Jung verstanden als das Lebendige im Menschen. Esoterisch gesehen gilt sie als Gefäß für den göttlichen Funken im Menschen. Sie wird allgemein im westlichen Sinne verstanden als das Begehrende. Sie wird im östlichen Sinne verstanden als die Sammlung spiritueller/ auf das Jenseitige gerichteter geistiger Erfahrungen.]
„Gnosis (griechisch Erkenntnis), eine Sammelbezeichnung für eine spätantike, religiöse Bewegung, die einerseits von großem Einfluss auf die christliche Kirche war, andererseits von ihr bekämpft, als häretisch verurteilt und schließlich entweder assimiliert oder verdrängt wurde. Kennzeichnend für Positionen der Gnosis ist ein harter Dualismus zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen bzw. der Materie überhaupt. Da Gott uneingeschränkt gut ist, kann er nicht Schöpfer der durchweg schlechten und von den Gnostikern rigoros abgelehnten materiellen Welt sein. Als Schöpfer der Welt wird daher ein Demiurg angenommen, der Gott zwar untergeordnet, aber ihm dennoch als eigenständiges, böses Prinzip entgegen gesetzt ist. Die menschliche Seele ist als geistiges Prinzip in der materiellen Welt gefangen. Gott sendet zu ihrer Befreiung Boten des Lichtes, mittels deren Hilfe diejenigen Menschen, die den heilbringenden Lichtfunken in sich tragen, über verchiedene, von verschiedenartgen Wesen besetzten Stufen zum Licht aufsteigen können. Da die Lehre der Gnosis meist Geheimwissen war, sind ihre Positionen fast ausschließlich durch die polemisch verzerrten Beschreibungen ihrer meist christlichen Gegner überliefert.“ [1]
„Für die stark an Rationalität orientierte griechische Kultur stellte sichere und von bloßer Wahrnehmung abgegrenzte Erkenntnis einen hohen Wert dar. In der Philosophie des Athener Philosophen Plato (428/427 – 348/347 v. Chr.) wird die zentrale Stellung der Erkenntnis erkennbar und gewinnt die Gestalt eines strengen philosophischen Systems: Im Erkennen, so definiert der Philosoph, wird das wirkliche Sein der Dinge angeeignet. Erkenntnis im primären Sinne gibt es daher nur von den hinter der Erscheinungswelt stehenden Strukturen aller Wirklichkeit, die Plato >ldeen< nennt. Richtiges Erkennen ist Voraussetzung für richtiges Handeln. Plato ist überzeugt, daß solches Erkennen Wiedererinnern ist, Wiederherstellung einer ursprünglich dem Menschen eigenen Schau. Die ursprüngliche Erkenntnis ist verloren gegangen und wird in glücklichem Leben vermittelt durch begriffene Anschauung teilweise wiederhergestellt.“ [2]
„Im Kontext einer Lebens- und Lerngemeinschaft wird eingeübt, >die Seele umzuwenden<, d.h. Die wahrnehmbaren Einzeldinge als Repräsentanten von elementaren Strukturen zu erkennen, die als mathematische Formeln ausgedrückt werden können.“ [3]
„Prinzipiell bringen alle Menschen die Fähigkeit mit, auf solche Weise die sinnlich wahrnehmbare Welt zu durchschauen; diejenigen, die zu tieferer Erkenntnis der Strukturen der Wirklichkeit vorstoßen, gleichen sich, soweit es dem Menschen überhaupt möglich ist, Gott an (Plato, Res Publica 613 c).“ [4]
„Seit hellenistischer Zeit beginnt sich in Griechenland die Vorstellung auszubreiten, daß Erkenntnis nicht nur die Folge einer engagierten Tätigkeit des menschlichen Verstandes […] ist, sondern ein Gnadengeschenk eines Gottes, der ohne dieses Geschenk unerkennbar bliebe. […] Wer die Wiedergewinnung ursprünglicher Erkenntnis >Angleichung an Gott< nennt […], trennt nicht zwischen einer weltanschaulich neutralen Philosophie und einer religiös orientierten Theologie. Da >Gleiches immer durch Gleiches erkannt wird<, verbindet das Prädikat >göttlich< den, der erkennt, das, was er erkennt, und den, der Erkenntnis schenkt [als Gnade]. [5]
Da Plato ein Eingeweihter in die ägyptischen Kleinen Mysterien war [6] ist anzunehmen, dass über ihn (und andere, z.B. Sophokles, Aischylos, Solon, Heraklit, P indar, Lycurgus, Thales, Demokritus, Plotinus, Plutarch, Apuleius, die Kaiser Augustus, Julian, Hadrian [7]) altägyptisches Geheimwissen der Urreligion nach Griechenland gekommen ist.
Die Theorie der „Verborgenen Geometrie“ mit ihren „Zahlen und Figuren“ – von Tempel/ 4+3=7, Rastergitter/ 3x3, Raute/ 3x3x4, Magischem Dreieck/ 3+1, Reisen/ 12x „lzu2“ bzw. „lzu3“ (mit Einweihendem, Fall und Aufrichtung, Einzuweihendem, Sternreise, Kehret-um-Weg), Lichtschacht/ 4 zu 3, Kubus/ 6+1, Gral/ 6+1 und solarer Robe/ 6+1 – steht hinter den bildgegenständlichen Erscheinungen des erzählenden Bildes. Sie generiert die Bedeutungen in der Ebene des „zugrunde liegenden Geistigen“, das hinter der Mannigfaltigkeit des bildhaft Wahrnehmbaren der „hinzu tretenden Erscheinungen“ liegt. Das Kunstbild mit seinen mathematisch fassbaren Figuren birgt in sich die „hinter der Erscheinungswelt stehenden Strukturen aller Wirklichkeit“, die vom Erkenntnisliebenden freizulegen sind. Das Verborgene kann (aufgrund seiner Strukturiertheit) entborgen werden. Damit ist eine Angleichung des Erkennenden an die göttlichen „Strukturen der Wirklichkeit“, an das göttliche „zugrundeliegende Sein aller Dinge“, an den Urgrund, an Gott, möglich.
[Abb. 2, 3, 4, 5/C]: