Inhaltsverzeichnis
 
Titel
Impressum
Bildungslandschaften vor Ort gestalten und wirkungsorientiert steuern
 
1 Bildungsmanagement
1.1 Educational Governance
1.2 Bildungsberichterstattung und Evaluation
 
2 Die Entwicklungen in Freiburg und Ostwestfalen-Lippe
2.1 Vorgeschichte
2.2 Kernaufgaben und Zielgruppen
2.3 Verfahren der Qualitätsentwicklung
 
3 Wirkungsorientierung in der Praxis
3.1 Evaluationszweck und Nutzen für Beteiligte klären
3.2 Gegenstand eingrenzen
3.3 Evaluationsart festlegen
3.4 Ressourcen sichern
3.5 Wirkungen fokussieren
 
4 Praxis systematisch untersuchen
4.1 Fragestellungen entwickeln
4.2 Datenerhebung
4.3 Datenauswertung
 
5 Ergebnisse nutzen
5.1 Berichtsformate
5.2 Darstellung von Ergebnissen
5.3 Auswertungsworkshop
 
6 Anregungen und Handlungsempfehlungen
 
Literatur
Anhang
Zusammenfassung
Executive Summary
Die Autoren

Bildungslandschaften vor Ort gestalten und wirkungsorientiert steuern
Anja Langness, Heinz Frenz, Kirsten Witte Bertelsmann Stiftung, Programm »Lebenswerte Kommune«
 
 
 
 
Ein besonderes Erlebnis verbindet die Menschen in Deutschland unabhängig von ihrer Herkunft: der Schulbesuch. Wir alle haben »unsere« Schule durchlaufen und dabei erfahren, wie das Bildungswesen und die Menschen, die dort unterrichten, auf uns wirkten. Somit verbinden viele den Begriff »Bildung« mit diesen persönlichen Erfahrungen. Aber Bildung ist weit mehr als Schule! Die Wissenschaft hat erwiesen, dass Bildung ebenso aus informell erworbenem Wissen besteht und dass man lebenslang lernt – und lernen muss. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« gilt heute also nicht mehr. Seit einigen Jahren verändert sich die Sicht auf Bildung, und damit verändern sich auch die Begriffe im Bildungswesen. Zugleich kommen neue Begriffe hinzu. Dies ist ein Prozess, der länger dauert und noch nicht abgeschlossen ist.
Unbestritten ist: Bildung findet an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten statt: in der Familie, im sozialen Umfeld, in den Bildungsinstitutionen, aber auch in Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, Sportvereinen, Gesundheitsinstitutionen und an vielen anderen Orten.
Bildung wird inzwischen um den räumlichen Bezug erweitert. Fast könnte man sagen: Bildung gibt es jetzt auch in 3D. Hierfür steht der Begriff »Bildungslandschaften«. Er drückt nicht nur die geografische Dimension aus, sondern veranschaulicht eine neue Sicht auf Bildung: Die formale, nonformale und informelle Bildung werden zusammengeführt. Es entsteht eine Vielfalt von Bildungsangeboten, Bildungsformen und Bildungsorten – eben eine Bildungslandschaft.
Schnell wird hier allen Beteiligten klar, dass in einer solchen Landschaft keine Institution für sich allein »Landschaftsgestalterin« sein kann. Denn Vielfalt macht großräumigere, also regionale Lösungen notwendig. Dem steht, zumindest formal, das Verfassungsrecht entgegen: die klare Aufgabentrennung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dabei liegt die Kultushoheit, also die inhaltliche Verantwortung für das Bildungswesen, bei den Ländern. Die Kommunen steuern nur »äußere« Schulangelegenheiten (wie etwa Gebäude, Hausmeister, Tafel, Kreide und Computer). Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gestalten Kommunen zudem die nonformale und informelle Bildung vor Ort.
Lernen, ob in oder außerhalb der Schule, findet am Lebensort statt. Dort, wo man arbeitet und wohnt, lernt man auch. Die überkommene Aufgabentrennung zwischen Land und Kommune beim Thema Bildung ist im übrigen Europa nur schwer zu erklären; sie greift in das Leben der Menschen vor Ort ein. Die damit verbundene Idee, Bildung ließe sich zentral von den Ländern in die kleinsten Orte hinein »durchsteuern«, ist unrealistisch und erinnert an planwirtschaftliche Ideen.
Stadt, Kreis oder Gemeinde sind beim Thema Bildung zwangsläufig immer betroffen und müssen sich dem stellen. Für die dadurch drohenden kommunal- und verfassungsrechtlichen Probleme haben Nonformalisten einen lebenspraktischen Ausweg ersonnen: die Verantwortungsgemeinschaft von Ländern und Kommunen für das Bildungswesen. Sie richtet sich auf die Ergebnisse und Interessenlagen sowie auf Verantwortungsgefühl und Vernunft. Elementar für jede regionale Bildungslandschaft ist dabei ein institutionen-, professionen- und ressortübergreifendes Arbeiten, das die Bedarfe und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in den Vordergrund stellt und nicht die Interessen einzelner Institutionen oder Sektoren. Somit sind »Bildungslandschaften« mehr als aus der Not geborene Zweckgemeinschaften – sie sind vielmehr Bildungsallianzen. Neue Instrumente und Organisationsformen wurden vielerorts bereits erprobt. Es ist ein langer Weg, Althergebrachtes durch Neues zu ersetzen – und er geht weiter.
Die Bertelsmann Stiftung unterstützt seit langem die Umsetzung und Weiterentwicklung regionaler Bildungslandschaften. Mit den Projekten »Selbstständige Schule« sowie »Schule & Co.« in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde der Weg zur Eigenverantwortung von Schule und in eine gemeinsame Bildungsverantwortung von Land und Kommunen vorgezeichnet (Lohre et al. 2008; Stern et al. 2008). Andere Projekte der Stiftung, wie etwa »Kind & Ko«, haben erprobt, wie Akteure der formalen, non-formalen und informellen (frühkindlichen) Bildung eine kommunale Verantwortungsgemeinschaft auf bauen können, um ihr Handeln auf die Bedürfnisse von Kindern auszurichten (Bertelsmann Stiftung 2008).
Mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Programm »Lernen vor Ort« testen Länder, Kommunen und Stiftungen in 35 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten neue Wege der Zusammenarbeit und werden die Erfahrungen weitergeben. Doch viele Kommunen haben sich auch ohne das Bundesprogramm auf den Weg gemacht. Sie zeigen einerseits die Vielfalt von kommunalen Ausgangsvoraussetzungen, also die Vielschichtigkeit von Lebensprozessen in den Stadt- oder Dorfgebieten, und andererseits die Vielzahl von Antworten und Lösungen für diese Herausforderung.
Diese Vielfalt guter Wege bildet sich bei den Begriffen ebenfalls ab: Während in NRW von »regionalen Bildungslandschaften« gesprochen wird, ist in anderen Bundesländern von »Bildungsregionen« oder »Kommunalen Bildungslandschaften« die Rede. Wir benutzen im Folgenden den Begriff »Bildungslandschaften« und gehen davon aus, dass die verständige Leserin bzw. der verständige Leser ihn in die jeweils gebräuchliche Begriffsform übersetzt. Wichtig ist dabei, dass die Vielschichtigkeit des Begriffs »Bildungslandschaften« deutlich wird. Er beinhaltet, dass neue Ansätze und Strategien für kommunale Jugend- und Schulpolitik entstehen und der Bezug auf das lebenslange Lernen in den Blick genommen wird. Schließlich geht es um Netzwerke für die Zukunft der Menschen in unseren Kommunen, die von der Kindertageseinrichtung bis zur Jugendarbeit und von der Museumspädagogik bis zur Sportförderung alle Angebote abstimmen und zueinander in Bezug setzen.
Die Akteure von regionalen Bildungslandschaften stehen dabei immer vor der großen Herausforderung, die Wirksamkeit ihrer Aktivitäten nachzuweisen und die Qualität nachhaltig sicherzustellen.
Systematische Evaluation und Qualitätsentwicklung ermöglichen eine wirkungsorientierte Gestaltung von Bildungslandschaften: Bildungsakteure vor Ort können mithilfe dieser Verfahren ihre Angebote von Beginn an besser auf die Bedarfe der Zielgruppen ausrichten und somit eine höhere Wirksamkeit auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit erzielen. Gleichzeitig helfen Evaluation und Qualitätsentwicklung dabei, die Kooperationsstrukturen und Arbeitsweisen der komplexen Netzwerke vor Ort zu analysieren. Insofern können Verfahren der Qualitätsentwicklung maßgeblich dazu beitragen, dass die Akteure in gegenseitiger Wertschätzung zusammenarbeiten und die jeweiligen Stärken an den Schnittstellen der Institutionen einbringen.
Zusätzlich ermöglichen es die Ergebnisse der Evaluation und Qualitätsentwicklung, die Aktivitäten einer Bildungslandschaft nach außen darzustellen und über die investierten Ressourcen Rechenschaft abzulegen – was gerade heute, in Zeiten des knappen Geldes, sinnvoll und notwendig ist. Dabei müssen nicht immer höchste wissenschaftliche Ansprüche erfüllt werden. Nach unserer Erfahrung sind auch pragmatische Verfahren für die Akteure einer Region sehr hilfreich und nutzbringend für die Beteiligten.
Dieser Leitfaden legt den Fokus darauf, wie Bildungslandschaften wirkungsorientiert gestaltet werden können, unabhängig von ihrer räumlichen Begrenzung und ihrer Entstehungsgeschichte. Er umfasst konkrete Handlungsanregungen für Leitende und Mitarbeitende aus Bildungsbüros sowie für alle anderen Akteure in der Kommune, die an der Qualitätssicherung von regionalen Bildungslandschaften beteiligt sind. Der Leitfaden zeigt, wie man Transparenz über angestrebte und erreichte Wirkungen herstellt und wie man eine Diskussionsbasis schafft, damit alle Akteure der Bildungslandschaft in gegenseitiger Wertschätzung die vor Ort geeigneten Strategien entwickeln können. Evaluation und Qualitätsentwicklung werden hier als Mittel zum Zweck verstanden, die wichtige und herausfordernde Aufgabe »Bildungslandschaft« gemeinsam mit den Akteuren der Region zu gestalten. Praxisorientierte Anregungen und Hilfestellungen sollen sachorientierte Dialoge ermöglichen und sie moderierend begleiten.
Aufbereitet wurden Erfahrungen aus der Stadt Freiburg und sechs ostwestfälischen Kreisen (Gütersloh, Herford, Höxter, Lippe, Minden-Lübbecke, Paderborn) sowie der kreisfreien Stadt Bielefeld im Regierungsbezirk Detmold. Diese Kreise bzw. Städte haben in den letzten Jahren unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen Evaluations- bzw. Qualitätsentwicklungsverfahren angewandt. Die Bertelsmann Stiftung unterstützt diesen Prozess in Freiburg durch eine Grundpatenschaft bei »Lernen vor Ort« und in Ostwestfalen-Lippe (OWL) durch die enge Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Detmold.
Dieser Leitfaden basiert auf der konzeptionellen Arbeit von Stefan Schmidt (schmidt evaluation, Köln) sowie den praktischen Umsetzungen in OWL und in Freiburg. Stefan Schmidt hat die Initiative LEIF in Freiburg intensiv beim Thema Qualitätssicherung begleitet und beraten und seit 2010 alle Leitenden und Mitarbeitenden der sieben Bildungsbüros in OWL zum Thema Evaluationsverfahren im Auftrag der Bertelsmann Stiftung fortgebildet. Christoph Höfer, Schulaufsichtsbeamter und Leiter der »Servicestelle Bildungsregion OWL« bei der Bezirksregierung Detmold, hat den gesamten Leitfaden konzeptionell mitentwickelt und Teile des Textes verfasst. Wir danken Stefan Schmidt und Christoph Höfer für ihre engagierte und kompetente Arbeit.
Viele Praxisbeispiele aus OWL und Freiburg sind zur Veranschaulichung eingefügt. Daher sind wir allen Beteiligten vor Ort zu großem Dank verpflichtet, denn sie haben hoch engagiert die Ergebnisse aus ihren Regionen für den Leitfaden aufbereitet und Dokumente für den Anhang zur Verfügung gestellt. Insbesondere danken wir Veronika Schönstein, Stadt Freiburg, Leiterin der Initiative LEIF in Freiburg; Carolin Busch, Stadt Freiburg, Mitarbeiterin der Initiative LEIF (Bildungsmonitoring); Dr. Oliver Vorndran, Kreis Paderborn, Leiter des Bildungsbüros; Martina Soddemann, Kreis Herford, Leiterin des Amtes für Schule, Kultur und Sport; Frank Wedekind, Kreis Herford, pädagogischer Mitarbeiter der Bezirksregierung im Bildungsbüro; Horst Tegeler, Kreis Lippe, Leiter des Bildungsbüros; Jörg Stickling, Kreis Lippe, pädagogischer Mitarbeiter des Bildungsbüros; Georgia Schönemann, Stadt Bielefeld, Leiterin des Bildungsbüros; Dr. Sandra Legge, Kreis Höxter, Leiterin der Abteilung Bildungsmanagement; Christina Dunschen, Kreis Höxter, Koordinatorin Frühe Bildung; Gudrun Mackensen, Kreis Gütersloh, Leiterin des Bildungsbüros; Annegret Spilker, Kreis Gütersloh, Mitarbeiterin des Bildungsbüros; Maik Evers, Kreis Gütersloh, Mitarbeiter des Bildungsbüros; Antje Gieselmann, Kreis Minden-Lübbecke, Leiterin des Schulamtes.
Der Leitfaden gliedert sich wie folgt: Einführend wird in Kapitel 1 die große Bedeutung einer partizipativen Steuerung von Bildungslandschaften im Sinne einer educational governance herausgestellt. Zudem erläutert das Kapitel die Schnittstellen und Anknüpfungspunkte von Bildungsberichterstattung und Evaluation.
Um den Leserinnen und Lesern den Transfer auf die eigene Region zu erleichtern, werden in Kapitel 2 kurz die wesentlichen Entwicklungsschritte der Bildungslandschaften in OWL und in Freiburg geschildert.
Anschließend folgen praxisorientierte Kapitel, in denen allgemein verständliche evaluationsmethodische Erklärungen gegeben werden, denen Umsetzungsbeispiele aus OWL und Freiburg zugeordnet sind. Diese Beispiele finden sich zum einen in den blauen Kästen im Hauptteil dieses Leitfadens, zum anderen sind Beispiele und Dokumente aus den Regionen im Anhang beigefügt.
Kapitel 3 ist das Herzstück des Leitfadens. Hier wird dargelegt, mit welchen Schritten Wirkungsorientierung in der Praxis zu erreichen ist. Dabei wird deutlich, welche Synergien zwischen Praxisgestaltung und Evaluation dieser Prozess mit sich bringt und welche kritischen Punkte beachtet werden müssen, um unerwünschte Folgen zu vermeiden.
In den Kapiteln 4 und 5 wird gezeigt, wie Ergebnisse aus Evaluation und Qualitätsentwicklung dazu beitragen können, Aushandlungsprozesse in den komplexen Netzwerken der Akteure einer Bildungslandschaft zu gestalten. Abschließend werden in Kapitel 6 Anregungen und Handlungsempfehlungen für strategisch verantwortliche Bildungsakteure abgeleitet.
Die besonderen Herausforderungen der kommunalen Akteure in organisatorischer Hinsicht (Zusammenwirken der Stabsstellen, wie z. B. Bildungsbüro, mit der Linienorganisation, also den Ämtern und Dezernaten der klassischen Verwaltung) oder aus rechtlicher Sicht (Zuständigkeiten Bund – Land – Kommune) werden nicht ausdrücklich dargestellt. Dies gilt ebenso für die Zusammenarbeit zwischen der Kommunalverwaltung und der politischen Vertretung dieser Selbstverwaltungskörperschaften. Hierzu gibt es eine Reihe anderer Veröffentlichungen (Luthe 2009; Bleckmann und Durdel 2009; Bleckmann und Schmidt 2011; Weiß 2011). Die Methoden, Hinweise, Anregungen und Verfahren in diesem Leitfaden sind jedoch für die Arbeit mit allen Akteuren geeignet, also auch den Ländern und den politischen Gremien, oder für die Darstellung in den politischen Gremien.
Für die zielgerichtete Arbeit an einer Bildungslandschaft hat die Bertelsmann Stiftung eigene Workshops entwickelt. Diese haben Werkzeugcharakter und mit ihrer Hilfe kann ein mehrdimensionales Bildungsmodell für die Region entwickelt werden (www.bildungsworkshop-kommunen.de).
Synergien zwischen Steuerung und Evaluation von Bildungslandschaften
Zu den Begriffen
Bildungsakteure kennen aus eigener Erfahrung die häufig komplexen, teils inhaltlich und teils förderrechtlich begründeten Regelungen zur Verwendung von Begrifflichkeiten. Da wir in diesem Leitfaden mit Praxiserfahrungen aus der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) und der Stadt Freiburg arbeiten, haben wir für eine bessere Lesbarkeit einheitliche pragmatische Lösungen gefunden.
In der Bildungslandschaft Freiburg und den Bildungsregionen in OWL werden Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung durchgeführt. Dabei werden Konzepte, Methoden und Instrumente der Evaluation verwendet.
In Freiburg startete im Jahr 2005 das Projekt »Bildungsregion«, in dem zentrale Akteure der schulischen Bildung zusammenarbeiten (koordiniert vom Regionalen Bildungsbüro). Durch die Beteiligung am Bundesprogramm »Lernen vor Ort« (LvO) wurde 2009 ergänzend die Initiative »Lernen Erleben In Freiburg« (LEIF) gestartet, die über die schulische Bildung hinaus das lebenslange Lernen in den Blick nimmt. Aus Gründen der Differenzierung wird in Freiburg der Begriff der »Bildungsregion« verwendet, wenn es um das Projekt »Bildungsregion« und die Aktivitäten des Regionalen Bildungsbüros geht. Als übergeordneter Begriff wird »Bildungslandschaft« verwendet: Die Bildungslandschaft umschreibt den Bereich des Lernens im gesamten Lebensverlauf, in dem sich auch die Initiative LEIF bewegt. Im ostwestfälischen Regierungsbezirk Detmold werden seit dem Jahr 2006 die Kreise und kreisfreien Städte dabei unterstützt, Bildungsbüros aufzubauen. In den Gebietskörperschaften wird der Begriff »Bildungsregion« verwendet.
Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, haben sich die Verantwortlichen der Bildungsregionen in OWL freundlicherweise damit einverstanden erklärt, dass in diesem Leitfaden der Begriff »Bildungslandschaft« verwendet wird. Ausnahmen bilden die Ausführungen im Kapitel 2, in dem die Entstehungsgeschichte der Bildungsregionen in Ostwestfalen beschrieben wird, und die in den Leitfaden integrierten Praxisberichte von Bildungsbüroleitungen aus OWL.

1 Bildungsmanagement

Bildung: Grundlage für Selbstverwirklichung und soziale Verantwortung

Bildung ist das Humankapital einer Gesellschaft und somit ein zentraler Zukunftsfaktor. Wer diesem Grundsatz gerecht werden möchte, darf Bildung nicht auf den Erwerb von Wissen reduzieren. Der Bildungsbegriff muss alle individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse einbeziehen, die für das Individuum und die Gesellschaft relevant sind. Zur Entwicklung dieses Bildungsverständnisses hat die Denkschrift der Kommission »Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft« des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), die 1995 vom damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau eingerichtet wurde, wegweisende Denkanstöße für eine breite öffentliche Debatte gegeben (Bildungskommission NRW 1995). Darin wird gefordert, dass Menschen
• den Anspruch auf Selbstbestimmung und die Entwicklung eigener Lebens- und Sinnbestimmungen verwirklichen und für alle Mitmenschen anerkennen sollen;
• eine Mitverantwortung für die ökonomischen, politischen, kulturellen, zwischenmenschlichen, also für die gesellschaftlichen Verhältnisse übernehmen sollen;
• die eigenen Ansprüche, die ihrer Mitmenschen und die Anforderungen der Gesellschaft in eine vertretbare, den eigenen Möglichkeiten entsprechende Relation bringen und weiterentwickeln sollen.

Entwicklung der Bildungslandschaften

Die Entwicklung der Bildungslandschaften wurde im weiteren Verlauf durch die Modellprojekte »Schule & Co.« und »Selbstständige Schule« von dem Ministerium für Schule in NRW und der Bertelsmann Stiftung weiter gefördert (Schmidt und Höfer 2012). Bildungslandschaften verfolgen ein Ziel mit großer gesellschaftlicher Relevanz: Sie sollen Chancengerechtigkeit im Bildungswesen sicherstellen. Um dies zu erreichen, wird derzeit deutschlandweit in vielen Regionen ein systematisches Bildungsmanagement mit effektiven und effizienten Vernetzungsstrukturen zwischen bildungsrelevanten Institutionen aufgebaut, wie Kindertagesstätten, Schulen,
Abbildung 1: Aufgaben des Bildungsmanagements im Kreis Höxter
Abbildung 2: Aufgabenbereich des Bildungsmanagements in der Stadt Freiburg
Ausbildungsbetrieben, Jugendhilfe, Bibliotheken, Museen, Volkshochschulen, Musikschulen, Sportvereinen, Kirchen, Polizei, Wirtschaftsverbänden. Dieser Ansatz wird auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen verfolgt – daher unterscheidet man zwischen regionalen, kommunalen und lokalen Bildungslandschaften.
Zu Beginn werden die Schwerpunkte meist im schulischen Bereich gelegt, wie etwa im Kreis Höxter (vgl. Abbildung 1). Perspektivisch kann das Lernen im gesamten Lebensverlauf in den Blick genommen werden, wie etwa in der Stadt Freiburg (vgl. Abbildung 2).

1.1 Educational Governance


Vielfalt der Akteure als Stärke nutzen

Der Kontext von Bildungslandschaften verlangt von den Verantwortlichen eine große Bereitschaft zur Kooperation mit regionalen Bildungsakteuren sowie die Fähigkeit, eine partizipativ angelegte Steuerung im Sinne einer modernen educational governance umzusetzen. Bildungslandschaften werden auf strategischer Ebene durch eine Kooperation von staatlichen (je nach Fördermodell von Bund und/oder Land) und kommunalen Akteuren verantwortet. Regionale Bildungsbüros und Bildungsinitiativen wie LEIF stehen unter einem hohen Legitimationsdruck gegenüber den jeweiligen Mittelgebern. Darüber hinaus stellen sich vielschichtige Herausforderungen: die Zusammenarbeit in der Kommune und die Verständigung in einem multidisziplinären Team, extern werden – im Zuge des bildungsbiografischen und sozialräumlichen Ansatzes – neben den Schulen auch weitere, teils privatwirtschaftliche und freie Träger in Projekte einbezogen, etwa aus dem frühkindlichen Bereich, der Sprachförderung, der Kinder- und Jugendhilfe oder dem Berufsbildungssystem.
Die Partner sind nicht weisungsgebunden und müssen inhaltlich überzeugt werden. Ihre Ressourcen sind begrenzt und ihre Kooperationsbereitschaft ist zum Teil noch entwicklungsfähig. Außerdem bringen sie eigene Wertvorstellungen und organisationale bzw. berufliche Selbstverständnisse in die Zusammenarbeit ein. Dies gilt für Schulen genauso wie für freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe oder für Migrantenorganisationen. Auf der anderen Seite stehen oft vielfältige Ziele und umfangreiche Ansprüche von Zielgruppen und Akteuren. »Der Governancebegriff verweist auf das reduktionistische Moment eines linear-direktiven Verständnisses von Steuerung und fokussiert die Frage der Handlungskoordination, der Art und Funktionalität des Zusammenwirkens verschiedener Einzelbeiträge zur Koordination und Entwicklung des Gesamtsystems« (Altrichter, Brüsemeister und Wissinger 2007: 24).

Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe gestalten

Gefragt sind somit Vorgehensweisen, durch die Ziele und Bewertungskriterien für gemeinsam getragene Projekte dialogisch ausgehandelt werden. Die netzwerkartige Struktur der unterschiedlichen Akteure einer Bildungslandschaft lässt sich nicht direktiv steuern. Vielmehr muss das Zusammenwirken auf Augenhöhe und mit gegenseitiger Wertschätzung gestaltet werden. Die sich entwickelnden Koordinations- und Kooperationsmuster müssen analysiert werden, um aus Erfahrungen lernen zu können.

Qualitätsentwicklung verbindlich vereinbaren

Eine systematische Qualitätsentwicklung schafft eine gute Grundlage, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Sie stellt jedoch gleichzeitig eine neue Herausforderung dar, weil selten gesonderte bzw. nur geringe Mittel dafür vorgesehen sind, etwa zur Vergabe von Evaluationsaufträgen an Externe. Dennoch hat die Evaluationsmethodik geeignete und finanzierbare Verfahren entwickelt – auch wenn diese häufig nicht bekannt sind. Im Schulkontext haben viele Personen bis zu einer ersten positiven Erfahrung zudem eher Vorbehalte gegenüber Evaluationen. Hier gilt es, die Vorstellung zu entkräften, dass dabei in einem nicht transparenten Verfahren vor allem praxisferne Empfehlungen entwickelt werden. Eine gute Möglichkeit, Qualitätsentwicklung als festen Bestandteil in Kooperationsprojekten zu verankern, zeigt das Vorgehen des Bildungsbüros im Kreis Paderborn: Die Kooperationsverträge für einzelne Projekte enthalten einen Artikel zur Evaluation sowie die konkreten Zuständigkeiten der Partner.
Im Anhang 1 (S. 109) finden Sie die Vertragspassagen zur Evaluation aus Kooperationsvereinbarungen des Bildungsbüros im Kreis Paderborn.

Evaluation als Dienstleistung für Bildungsakteure

Nicht nur Bildungsakteure, sondern auch Evaluationsexpertinnen und -experten haben unterschiedliche Selbstverständnisse und Wertvorstellungen. Dieser Leitfaden hat nicht den Anspruch, die Wirklichkeit in Bildungsinstitutionen und Bildungslandschaften mit empirischen Messverfahren vollständig zu erfassen. Die sehr komplexen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, die sich aus den dort herrschenden vielfältigen Faktoren ergeben (u. a. der Bildungsinstitution, dem Elternhaus, der Peergroup, der psychosozialen und physischen Entwicklung im Kinder- und Jugendalter), sind empirisch nicht adäquat zu erfassen, zumindest nicht ohne sehr aufwendige Verfahren.
Der hier dargestellte Ansatz geht ferner davon aus, dass es nicht nur den einen – einzig richtigen – Weg zur gut funktionierenden Bildungslandschaft gibt. Vielmehr müssen geeignete Wege zu einer effektiven und effizienten Bildungslandschaft von kompetenten, motivierten und informierten Bildungsakteuren gestaltet werden. Die Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung sollten eine Dienstleistung für Bildungsakteure sein, die ihre Institution und deren Vernetzung in der Bildungslandschaft auf die Bedarfe ihrer Zielgruppen hin und im Interesse des Gemeinwohls optimal ausgestalten möchten.

»Standards für Evaluation«: praxisnahe Umsetzungshilfen

Im Rahmen von Qualitätsentwicklungsmaßnahmen können dafür beispielsweise Zielklärungsprozesse initiiert und empirische Erhebungsergebnisse bereitgestellt werden. Diese ermöglichen es Bildungsakteuren, in einen konstruktiven Dialog zu treten. Externe Fachleute können diese Aushandlungsprozesse moderierend begleiten. Ein solches Vorgehen liefert nützliche und genaue Ergebnisse, deren Belastbarkeit und Reichweite transparent sind; mit den beteiligten Akteuren wird fair und wertschätzend umgegangen. Einen geeigneten Rahmen bieten die Standards für Evaluation (Gesellschaft für Evaluation 2001) und die Empfehlungen zu ihrer Anwendung im Handlungsfeld der Selbstevaluation (ebd. 2004). Diese beiden Publikationen sind in jedem Fall empfehlenswert. Sie beschreiben sehr praxisnah die wesentlichen Kriterien zur Durchführung einer nutzbringenden Evaluation.

1.2 Bildungsberichterstattung und Evaluation


Stand der Bildungsberichterstattung berücksichtigen

Zentrale Voraussetzung für ein koordiniertes Handeln regionaler Bildungsakteure ist es, möglichst weitgehende Transparenz zu schaffen über Handlungsbedarfe sowie über Prozesse und Ergebnisse von gemeinsam getragenen Projekten. Zu diesem Zweck wird derzeit bundesweit eine regelmäßige Bildungsberichterstattung aufgebaut. In Freiburg existiert diese seit dem Jahr 2008 (Stadt Freiburg 2010). Auch in einigen Kreisen der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) wurde jetzt damit begonnen, Bildungsberichte zu erstellen. Dabei zeigt sich, dass eine hochwertige Bildungsberichterstattung sehr anspruchsvoll und ressourcenintensiv ist (Beispiele guter Praxis finden Sie online im »Wegweiser Kommune« der Bertelsmann Stiftung unter www.demographiekonkret.de). Anfangs umfassen Bildungsberichte häufig »nur« eine Aufstellung statistischer Daten, aus denen sich Handlungsbedarfe ableiten lassen (z. B. die Quote der Schulabschlüsse in bestimmten Sozialräumen). Im Folgenden werden Unterschiede zwischen einer Bildungsberichterstattung und einer Evaluation skizziert, und es wird gezeigt, wie sich beide Ansätze ergänzen können.

Bildungsbericht schafft Transparenz über Handlungsbedarfe

Ein Bildungsbericht gibt Auskunft über zentrale Aspekte von aktuellen und künftig zu erwartenden Handlungsbedarfen und über zentrale Aspekte der Bildungsqualität in einer bestimmten Region, bezogen auf festzulegende Themengebiete (z. B. frühkindliche Bildung, schulische Bildung, berufliche Bildung). Zweck der Bildungsberichterstattung ist es, Probleme zu identifizieren und Entwicklungen über bestimmte Zeiträume hinweg zu verfolgen. Grundlage sind statistische Kennzahlen bzw. Daten, manchmal auch Evaluations- und Forschungsergebnisse, die in Zeitreihe vorliegen. Ein Bildungsbericht muss konzeptgestützt erstellt werden. Die Indikatoren müssen auf Grundlage einer fachlichen Problemanalyse entwickelt werden, für die unter anderem Evaluationen zuarbeiten können.
Eine hochwertige Bildungsberichterstattung ermöglicht es, auf Basis von statistischen Daten und Indikatoren wesentliche Fragen im Hinblick auf gelingende Bildung gemeinsam mit allen relevanten Akteuren zu erörtern. Darüber hinaus sind Bildungsberichte mithilfe ausgereifter Indikatoren-Sets dafür geeignet, die Erreichung zentraler Impacts (Veränderungen in sozialen Systemen) in Bildungslandschaften zu erfassen (z. B. die Umsetzung von Inklusion in den Schulen einer Region).

Evaluationen begleiten Projekte

Evaluationen beziehen sich auf einen abgrenzbaren Gegenstand, etwa auf ein kleines oder auch komplexes Programm bzw. Projekt eines Bildungsbüros. In Evaluationen werden sozialwissenschaftliche (qualitative und quantitative) Methoden angewandt. Bewertungen des Evaluationsgegenstandes erfolgen systematisch auf einer gesicherten Datenbasis. Dafür werden empirische Methoden der Erhebung und Auswertung angewandt – transparent und nachvollziehbar entlang ausgewiesener Kriterien. Evaluationen werden meist aus einem oder mehreren dieser Gründe durchgeführt: um ein Programm oder Projekt zu optimieren, um über erreichte Ergebnisse Rechenschaft abzulegen, um Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu treffen oder um Wissen zu generieren, das perspektivisch für die fachliche Weiterentwicklung im Themenfeld genutzt werden soll.
Tabelle 1: Merkmale von Evaluation und Bildungsberichterstattung
Evaluation Bildungsberichterstattung
bezieht sich auf ein abgrenzbares Programm (z. B. Programm zur Erhöhung des Anteils von Mädchen/Frauen in MINT-Berufen)bezieht sich auf Entwicklungen in der Region (z. B. Mädchen/Frauen in MINT-Berufen)
hat den Zweck, die Umsetzung von Programmen zu optimieren, Rechenschaft abzulegen, Entscheidungen zu treffen, neues Fachwissen zu generieren (z. B. Evaluation des Programms zur Erhöhung des Anteils von Mädchen/Frauen in MINT-Berufen)hat den Zweck, Handlungsbedarfe zu identifizieren und Entwicklungen zu verfolgen (z. B. Messung der Anzahl von Mädchen/Frauen in MINT-Berufen über mehrere Jahre)
Grundlage sind systematisch erhobene empirische Daten (z. B. eine schriftliche Befragung per Fragebogen oder ein Face-to-Face-Interview)Grundlage sind statistische Daten und Indikatoren für Wirkzusammenhänge (z. B. Anzahl an Mädchen/Frauen in MINT-Berufen, die an einem Förderprogramm teilgenommen bzw. nicht teilgenommen haben)

Bildungsbericht und Evaluation können sich gut ergänzen

Ein Bildungsbericht kann Evaluationsergebnisse hinzuziehen; ebenso kann im Rahmen von Evaluationen auf Bildungsberichtsergebnisse zurückgegriffen werden. »Bildungsberichterstattung ist im Kontext von Bildungsforschung und Evaluation von Bildungsinstitutionen und bildungspolitischen Programmen zu sehen. (…) Sie stützt sich auf Ergebnisse einer empirischen Bildungsforschung und stellt diese Ergebnisse in einer aufbereiteten, der Öffentlichkeit zugänglichen Form zur Verfügung. (…) Bildungsberichterstattung verbessert damit auch die Basis für Evaluation im Bildungsbereich auf der Ebene der Systeme und der einzelnen Institutionen« (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004).
In kommunalen und regionalen Bildungsberichten wird bereits auf Ergebnisse aus Evaluationsstudien zurückgegriffen. Häufig wird jedoch deutlich, dass es einen großen Weiterentwicklungsbedarf hinsichtlich einer Professionalisierung der angewendeten Verfahren gibt. Exemplarisch zeigt dies ein Zitat aus dem Bildungsbericht für die Region Ruhr: »So wird in Bezug auf die Überprüfung längerfristiger Effekte (…) nur in zwei Fällen ausdrücklich angegeben, dass die Evaluation extern durchgeführt wird. Bei mehr als der Hälfte (59%) der angegebenen Evaluationsmethoden wird nicht deutlich, ob überhaupt bzw. wenn ja, welche Instrumente eingesetzt werden. Hier werden informelle Evaluationsverfahren genannt, wie Austausch im Team, mit Eltern und vor allem mit Grundschulen« (Regionalverband Ruhr 2012).

Schnittstellen und Anknüpfungspunkte klären