»Ich bin der Ansicht, dass der Everest
dem Volk der Sherpa gehört.«
Tashi Tenzing,
Enkel von Tenzing Norgay Sherpa
Reinhold Messner im Gespräch mit Bene Benedikt und Andreas Erkens
»Das ist parasitär, da haben die Sherpas schon recht«
Bene Benedikt/Andreas Erkens: Herr Messner, wie sehen Sie die Ereignisse am Everest vom Frühjahr 2013?
Reinhold Messner: Nun, am Everest wurden zwei traditionelle Bergsteiger von Sherpas angegriffen. Dabei hat es im Grunde genommen die falschen Leute getroffen.
Wie meinen Sie das?
2013 bereiteten 500 Sherpas den Weg zum Everest-Gipfel vor. Währenddessen warteten die Klienten im komfortablen Basislager mit Feldbett, Schreibtisch und Internet. Plötzlich tauchen oberhalb von Lager II zwei Freaks auf. Die Sherpas sagen: »Es ist abgesprochen, dass wir den Weg vorbereiten. Ihr habt hier nichts verloren.« Worauf die sagen: »Wir sind keine Touristen, sondern wollen Lhotse und Everest besteigen oder überschreiten.«
Ein reines Missverständnis …
Naja, ganz ohne Kritik kann man Ueli Steck und Simone Moro nicht durchkommen lassen: 2013 wurden Nuptse, Lhotse und Everest präpariert. Das heißt, ein guter Bergsteiger konnte locker in vier Tagen alle drei Berge machen, ohne eigene Erschließung, als Tourist. Diese Möglichkeit zu nutzen, um sich eine Überschreitung zuschreiben zu können, war nicht eleganter traditioneller Alpinismus. Aber die Wut der Sherpas galt eigentlich nicht diesen beiden Burschen.
Wem galt der Ärger denn dann?
In den letzten zwanzig Jahren sind viele Alpinisten nach dieser Methode auf den Gipfel gestiegen: Sie sitzen im Basislager, warten, bis alles präpariert ist, ohne mitzuhelfen oder zu bezahlen, und gehen dann »über die Piste« hoch. Die Infrastruktur zu benutzen, nicht dafür zu bezahlen: Das ist parasitär, da haben die Sherpas schon recht.
Also muss jeder zahlen, ob Tourist oder Bergsteiger?
Man hätte doch bloß danke sagen müssen und nicht auf die Sherpas, die die Piste bauen, hinunterschauen. In unserer Zeit haben wir den Eisbruch selber präpariert, und die Sherpas haben getragen. Das war früher die Regel. Wenn ich heute traditionellen Alpinismus am Everest betreiben möchte, muss ich halt irgendwo einsteigen, wo die Sherpas keine Piste legen.
Sie waren kurz nach der Affäre selbst am Everest …
Ja, ich war zum sechzigjährigen Jubiläum im Basislager, habe mit mindestens hundert Touristen und hundert Sherpas geredet, weil viele zu mir kamen und alle gejammert haben.
Gejammert?
Ja, den älteren Sherpas tut der Streit sehr leid. Die Jungen sagen: »Das war erst der Anfang. Wenn wir noch mal einen erwischen, der als Parasit hinaufgeht, den schmeißen wir hinunter.« Die wollen den Everest als Tourismusmotor für sich haben! So wie Matterhorn und Jungfraujoch seit mehr als hundert Jahren touristisch erschlossen sind, wird der Everest Jahr für Jahr für Massenaufstiege präpariert. Im Grunde genommen ist das Tourismus, wie wir ihn in den Alpen machen, seit Hütten und Steige gebaut werden.
Und ernst zu nehmender Alpinismus?
Findet an Bergen statt, an denen keine Touristen sind.
Dieser Text ist ein Auszug aus einem Interview, das in voller Länge in der Jubiläumsausgabe »50 Jahre ALPIN«, Oktoberheft 2013, erschienen ist.
Russell Brice im Gespräch mit Ed Douglas
Schlägerei am Everest: Die Geschichte aus der Sicht der Sherpas
Während der Everest wieder für ein Jahr aus den Schlagzeilen verschwindet, ziehen Expeditionsveranstalter nach der Auseinandersetzung zwischen westlichen Bergsteigern und Sherpas im Lager II Bilanz. Der Zwischenfall hat ein großes Medienecho ausgelöst. Der erfahrene Expeditionsausrüster Russell Brice berichtet Ed Douglas im folgenden Exklusivinterview, welche Wirkung dieser Vorfall auf die Sherpa-Community hatte und weshalb sie sich ungerecht behandelt fühlen.
Ueli Stecks Warnung war deutlich.
Nachdem er im Lager II einer Horde aufgebrachter Sherpas entkommen und dann vom Berg geflüchtet war, zeigte er sich entschlossen, der ganzen Welt zu erzählen, was ihm am Everest passiert war: »Das war kein einmaliger Vorfall. Für kommerzielle Expeditionen wird es in Zukunft ein großes Problem darstellen, und vielleicht wird nächstes Mal jemand getötet werden. Die Anspannung ist deutlich zu spüren. Everest-Besteigungen sind inzwischen ein so großes Geschäft, es geht dabei um sehr viel Geld, und die Sherpas sind nicht dumm. Sie erkennen das und wollen das Management am Berg übernehmen und die Westler rausschmeißen.«
Steck wird vielleicht nie mehr an den Everest zurückkehren, Russell Brice sehr wahrscheinlich schon. Sein Unternehmen »Himalayan Experience« hat gerade die achtzehnte kommerzielle Everest-Expedition durchgeführt; dreizehn über die Nordseite und, nach der Schließung der Grenze nach Tibet im Olympiajahr 2008, fünf von der Südseite aus.
Das erste Mal reiste Brice 1974 in die Khumbu-Region, um für Sir Ed Hillarys »Himalayan Trust« zu arbeiten. 1981, im Alter von 29 Jahren, unternahm er in einem Zweierteam mit Paddy Freaney seinen ersten Besteigungsversuch, über den Westgrat des Everest, über den er fast den Gipfel erreichte. Freaneys Asche wurde dieses Frühjahr von dessen Ehefrau Rochelle Rafferty auf dem Gipfel verstreut.
Brice spricht liebevoll von den beiden Sherpas, die sie bei ihrem Gipfelversuch begleiteten: Ang Rita, den er immer noch regelmäßig sieht, und Ang Phu, der inzwischen verstorben ist. Brices Zusammenarbeit mit den Sherpas ist selbst für einen westlichen Bergsteiger, der regelmäßig im Himalaja Führungen organisiert, ungewöhnlich eng. Letztes Jahr ließ er seine Kunden wieder vom Berg absteigen, nachdem seine Sherpas und Bergführer Befürchtungen geäußert hatten, die Verhältnisse am Berg seien zu gefährlich.
»Als kommerzieller Veranstalter ist es eines meiner Hauptanliegen, Kunden zu finden, um den Lebensunterhalt der dreißig Sherpas zu sichern, die bei mir beschäftigt sind«, sagt er zu mir. »Ich trage Verantwortung für sie – und muss dafür sorgen, dass sie Arbeit bekommen.«
Brice ist gerade in London, um nach dem Abschluss der Expedition dieses Frühjahrs noch ein paar Dinge zu erledigen. Er versucht immer noch, den Mediensturm zu ergründen, der dieses Jahr am Everest gewütet hat. Zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung war er selbst im Basislager, aber zwei Sherpas von »Himalayan Experience« führten an dem Tag Fixierarbeiten durch. »Sie kamen herunter und gingen in ihr Zelt. Sie waren überhaupt nicht wütend. Am nächsten Tag nahmen sie sich frei, und danach machten sie sich wieder an die Arbeit.«
»Die reißerischen Schlagzeilen infolge der Berichterstattung über die Schlägerei verzerren in der Öffentlichkeit das Bild über die Sherpa-Community und darüber, wie sich die kommerziellen Aspekte des Everest auf sie auswirken«, sagt er.
Er stimmt zu, dass es ein schwerer Zwischenfall war, spricht sich aber dafür aus, den Sherpas Raum zuzugestehen, über das Geschehene zu reden und in Zukunft selbst für Veränderungen zu sorgen.
»Phurba Tashi ist mein leitender Sherpa. Er hat den Everest 21-mal bestiegen. Er ist intelligent und ein exzellenter Bergführer. Er sagt mir, wie meine Expeditionen ablaufen sollen. Er ist 38 Jahre alt und hat in der Sherpa-Community bereits großen Einfluss. Aber er schweigt sich aus. Wenn wir also über die gegenwärtige Lage reden, lautet seine Antwort, er habe dazu nichts zu sagen. Ich versichere Ihnen jedoch, dass er innerhalb seiner Community eine Menge zu sagen hat.«
Brice war an dem Abkommen beteiligt, das nach der Eskalation im Lager II zwischen den Sherpas und den westlichen Bergsteigern ausgehandelt wurde. Es sei eine aufschlussreiche Erfahrung gewesen. »Wenn ältere Chef-Sherpas zu dir kommen, um sich für etwas zu entschuldigen, was jüngere Burschen getan haben, und dabei Tränen in den Augen haben, finde ich das wirklich bemerkenswert. Ich sehe Sherpas sonst nie weinen, nicht einmal auf Beerdigungen. Wenn sich ein Sherpa auf diese Weise entschuldigt, kommt es aus tiefstem Herzen.«
»Was die Sherpas beunruhigt«, sagt er, »ist der Entschluss der drei westlichen Bergsteiger, sich an die Medien zu wenden. Paragraf 4 dieses Abkommens lautete, dass über die Schlägerei nicht geredet werde. Die Sherpas am Berg haben keinen Zugang zu Twitter und Facebook und so weiter. Sie wollen einfach nur ihre Arbeit fortsetzen. Diese Jungs haben im Basislager ein Abkommen per Handschlag besiegelt.«
»Ich mag Ueli sehr«, sagt Brice. »Er ist ein prima Kerl, genauso wie Simone. Aber die beiden haben auch einen großen Fehler gemacht, zuerst mit Simones Bemerkung (Moros eigenen Angaben zufolge hat er Mingmar Tenzing Sherpa auf Nepalesisch einen ›Motherfucker‹ genannt) und dann, weil sie sich nicht an diesen Teil der Abmachung hielten.«
In der Welt der Blogger habe es auch Leute gegeben, die für die Sherpas Partei ergriffen haben, werfe ich ein, vor allem die amerikanischen Bergführer Mike Hamill von »International Mountain Guides (IMG)« und Garrett Madison von »Alpine Ascents International (AAI)«. Madison habe Moro vorgeworfen, über eine öffentliche Funkfrequenz Drohungen ausgestoßen zu haben. Moro habe dies vehement bestritten, und andere Personen am Berg hätten seine Darstellung bestätigt.
»Es war interessant, wie gesprächig Mike Hamill im Netz war, obwohl er im Basislager kaum zu sehen war. Da sitzen all diese Leute in ihren Zelten und bloggen, wissen aber nicht unbedingt, was im Basislager vor sich geht. Die Medien nutzen diese Blogs, ohne sie auf Richtigkeit zu prüfen.«
Brice bestätigt, dass Steck gegen seine Angreifer Anklage erheben wollte. »Das ist verständlich«, sagt er. »Das Problem ist nur, dass wir nicht in der Schweiz waren. Ich sagte zu Ueli, wir können Polizei aus Lukla oder Kathmandu holen, aber dann würde am Berg alles eingestellt werden, was das Problem nur verschärfen und für alle von Nachteil sein würde.«
Mingmar Tenzing Sherpa, der sich zu Steck abseilte und ihn beschimpfte, was in der Folge zu dem Vorfall im Lager II führte, wird von seiner Community zur Rede gestellt werden, prophezeit Brice. »Er ist der jüngere Bruder eines der Chef-Sherpas, der mit seiner Familie, seinem Dorf und seiner Bergführerfirma verhandeln muss. Ich kann Ihnen garantieren, dass dieser jüngere Bruder nächstes Jahr keine verantwortungsvolle Position besetzen wird.«
Brice lacht bitter auf, als ich erwähne, dass die Sherpas Medienberichten zufolge ausgebeutet werden.
Phurba Tashi verdiene genauso viel wie ein westlicher Bergführer, sagt er. »Das steht ihm auch zu.« Seine anderen Sherpas am Berg erhalten eine Kombination aus Gehalt, Bonus und Ausrüstungszulage – zusätzlich zu der Ausrüstung, die ihnen zur Verfügung gestellt wird – und bekommen pro Saison um die 6000 Dollar, was in Nepal sehr viel Geld ist. Viele der Sherpas, die für Brice arbeiten, haben darüber hinaus in Trekking Lodges und Betriebe investiert, die von ihren Frauen geführt werden, womit sich ihre Einnahmen noch erhöhen. Solche Verdienstmöglichkeiten stehen in krassem Gegensatz zu denen jener Sherpas, die für die billigsten nepalesischen Expeditionsveranstalter arbeiten, speziell für die beliebten »Seven Summit Treks«. Diese Firma, die von drei Sherpa-Brüdern aus der Makalu-Region geleitet wird, unter anderem von Mingma Sherpa, dem ersten Sherpa, der sämtliche Achttausender bestiegen hat, bietet den Everest für 18 500 Dollar an – inklusive der Gipfelgebühren in Höhe von 10 000 Dollar – und hat dieses Jahr 98 Kunden zum Everest gebracht. Ihre Sherpas, von denen viele jung und unerfahren sind, verdienen nur einen Bruchteil dessen, was ihre Kollegen in der Khumbu-Region bei teureren Expeditionen verdienen – laut Brice gerade einmal 800 Dollar.
Dieses Lohngefälle erhöht die Spannungen am Berg. Maoistische Kader hatten während des Bürgerkriegs, der 2006 endete, in der Makalu-Region einen weit größeren Einfluss als in der Khumbu-Region. »Die Maoisten brachten den Kindern bei, dass sie durch Steinewerfen oder Gewaltandrohung bekommen konnten, was sie wollten.« Die Sherpas in der Makalu-Region haben auch nicht wie ihre Kollegen im Khumbu von den Verbesserungen im Bildungssektor profitiert.
Brice findet nicht, dass die Sherpas aus der Khumbu-Region den Zustrom aus anderen Regionen in irgendeiner Weise missbilligen. »Ich glaube nicht, dass die Jungs aus dem Khumbu das als ihren Besitz betrachten. Sie wissen, dass wir für die Arbeit am Berg noch mehr Leute brauchen. Was wir jedoch nicht tun können, ist, Leute aus verschiedenen Regionen in dasselbe Team zu stecken. Wir als Veranstalter wissen das. Und die Sherpas aus dem Khumbu wissen, dass sie gut sind, unter anderem weil sie die meiste Erfahrung haben.«
»Seven Summit Trecks« hätten kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie glaubten, westliche Veranstalter würden nicht länger gebraucht, so Brice. »Und diese Einstellung vermitteln sie ihren jüngeren Sherpas.« Er bezweifelt aber, dass bei einem so niedrigen Preis die erforderliche Sicherheit gewährleistet und umweltverträglich gearbeitet werden kann.
»Die Leute im Lager IV verlassen die Zelte mit nichts als ihren Schlafsäcken und darin eingewickeltem Proviant, lassen alles stehen und liegen. Wir hingegen tragen alles, einschließlich der Fäkalien, vom Südsattel herunter, weil unsere Kunden dafür zahlen, dass genügend Sherpas dafür zur Verfügung stehen. Der Gang vom Lager II zum Südsattel und zurück kostet pro Sherpa 110 Dollar. Örtliche Veranstalter, die 18 500 Dollar verlangen, haben dafür nicht die Mittel. Wir haben überhaupt nichts gegen andere Anbieter, solange sie ihre Arbeit ordentlich machen.«
Brice hält nichts von Forderungen nach einer besseren staatlichen Regulierung, was kaum überrascht angesichts der in der nepalesischen Verwaltung weitverbreiteten Korruption und einer Kultur der Straffreiheit, in der politischer Mord und Folter ungeahndet bleiben, ganz zu schweigen von Raufereien unter Bergsteigern. »Niemand wird diese Forderungen durchsetzen. Wir müssen das selbst in die Hand nehmen.« Auf Druck von Brice und anderen kommerziellen Veranstaltern wurde eine neue Organisation, die »Expedition Operators Association«, gegründet, die dieses Jahr von der nepalischen Regierung anerkannt wurde. Ihr Ziel ist es, die Fixierarbeiten vom oberen Ende des Khumbu-Eisfalls bis zum Gipfel zu regeln, um die Spannungen, die wegen der Beteiligung an den Kosten entstehen, zu verringern.
»Es sind auch Forderungen laut geworden, dass am Everest nur Bergführer zugelassen werden sollten, die der ›Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände‹ (IFMGA) angehören.« Brice, der selbst seit mehreren Jahrzehnten Bergführer der IFMGA ist, lehnt dies, zumindest vorläufig, ab. »Für uns arbeiten auch Bergführer, die nicht der IFMGA angehören, weil sie bereits über große Erfahrung verfügen.«
Vergangenes Jahr hat die IFMGA den neu gegründeten nepalesischen Bergführerverband mit Sonderregelungen, die den Skiführerbereich ausnehmen, in den Verband aufgenommen, um den Ausbildungsstandard der lokalen Bergführer zu erhöhen. Derzeit absolvieren dort 31 Nepalesen einen Ausbildungskurs. Einige westliche Bergführer befürchten insgeheim, dass die hohen Standards in der Bergführerausbildung verwässert werden könnten – und dass möglicherweise Bergführer, die der IFMGA angehören, an dem Tumult im Lager II beteiligt waren.
»Auch mir ging dieser Gedanke durch den Kopf, als ich davon erfuhr«, sagt Brice. »An dem Tag, an dem der Aufruhr stattfand, war aber, soweit ich weiß, kein einziger IFMGA-Bergführer dort. Ich bin daher zuversichtlich. Ich habe mich für die Anbindung an die IFMGA eingesetzt. Manchmal sage ich zu ihnen: Gut, ihr habt zwar jetzt euer Abzeichen, aber jetzt fangt ihr erst an zu lernen. Ich glaube aber nicht, dass die IFMGA-Sache hier irgendwie von Belang ist.«
Brice ist jetzt Anfang sechzig, und obwohl er fit aussieht, weiß er, dass er seinen Beruf nicht ewig ausüben kann. Zweifelsohne hält er es für eine große Verpflichtung, die Standards am Everest trotz des starken Wettbewerbdrucks aufrechtzuerhalten. Ob er pessimistisch in die Zukunft sieht?
»Nein, keineswegs.« Als Beispiel führt er Dawa Steven Sherpa an, der Expeditionen für den einheimischen Veranstalter »Asian Trekking« leitet. Die Firma hat nicht immer den besten Ruf genossen, aber Brice ist voll des Lobes für Dawa Stevens Einsatz für einen erstklassigen lokalen Service. »Ich habe im Basislager stundenlang mit Dawa über diese Fragen geredet. Er ist ein phantastischer Wortführer für die neue Generation der Sherpas.«
British Mountaineering Council, www.thebmc.co.uk, 26. 06. 2013
Deutsch von Karina Of
Luis Stitzinger im Gespräch mit Martin Becker
Nach dem Taliban-Anschlag am Nanga Parbat: »Der Bergtourismus wird leiden«
Nach dem Angriff von pakistanischen Taliban auf das Basislager des Nanga Parbat, bei dem in der Nacht zum 23. Juni 2013 elf Bergsteiger getötet wurden, hat die dortige Regierung alle Expeditionen auf den 8125 Meter hohen Berg für unbestimmte Zeit gestoppt. Der Allgäuer Bergführer und Extrembergsteiger Luis Stitzinger (44) kennt die Situation in Pakistan, er hat 2008 für den »DAV Summit Club« eine Nanga-Parbat-Expedition geleitet. Er weiß: Auch die Landbevölkerung in Pakistan wird unter dem Anschlag leiden.
Martin Becker: Sie waren mit Ihrer Frau Alix von Melle in den vergangenen Jahren dreimal zum Bergsteigen in Pakistan: 2006 am Gasherbrum II, 2008 am Nanga Parbat und 2011 am Broad Peak und K2. Gab es da schon Probleme mit der einheimischen Bevölkerung?
Luis Stitzinger: Nein, wir haben uns immer wohlgefühlt. Vielleicht mit Ausnahme von Islamabad und der Anreise ins Zielgebiet, wo es ein paar Brennpunkte gab, die gefährlich werden konnten. Gerade am Nanga Parbat hatten wir sehr freundschaftlichen Kontakt zu den einheimischen Begleitern dort. Der Nanga Parbat ist nicht so stark frequentiert wie das Baltoro-Gebiet, das viel mehr Tourismus sieht. Insofern ist die Region noch ursprünglicher, und die Einheimischen freuten sich, ihre wenigen Worte Englisch anzuwenden, und fragten uns immer wieder dieselben Fragen. Das ging einem nach einiger Zeit schon fast auf die Nerven, war aber nur lieb gemeint und zeugt von der Neugier und Aufgeschlossenheit gegenüber den Besuchern.
Friedliche Völkerverständigung also?
Absolut. Bei der Expedition hatten wir einen Arzt dabei. Als die Einheimischen das mitbekamen, machten sich zum Teil alte Frauen über viele Tage hinweg auf den Fußmarsch ins Basislager, um sich dort von ihm behandeln zu lassen. Sie waren für die Hilfe wirklich dankbar, vor allem natürlich auch, weil wir finanziell nichts von ihnen haben wollten, das hätten sie sich auch gar nicht leisten können. Ich war davon überzeugt, dass dies die beste Art von Völkerverständigung und Kennenlernen ist, die man sich vorstellen kann.
Hat es Sie überrascht, dass nun ausgerechnet Bergsteiger Opfer eines Attentats wurden?
Bislang beschränkte sich die Bedrohung für Bergsteiger darauf, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, zum Beispiel bei einem Bombenattentat zufällig im betroffenen Hotel in Islamabad. Die Taliban-Kämpfer hatten ihre Aggression nie gezielt auf Touristen oder gar Bergsteiger gerichtet. Einmal im Zielgebiet angekommen, konnte man sich eigentlich sicher sein, dass einem dort nichts mehr passieren würde. Denn: Die einheimische Bevölkerung profitiert sehr vom Tourismus, viele Jobs sind mit ihm verbunden.
Also haben die Taliban mit dem Attentat der eigenen Bevölkerung geschadet?
Sehr sogar! Ohne Bergsteiger und Trekker wird dort künftig viel weniger an Hilfsprojekten stattfinden. In dieser Hinsicht ist dieses Attentat nicht nur für die Todesopfer das Schlimmste, sondern es trifft auch die pakistanische Landbevölkerung in diesen Gebieten sehr hart. Ich bin überzeugt, dass der Bergtourismus nun zu einem nie da gewesenen Tiefpunkt absinken wird. Und der Bergtourismus war das Letzte, was dem Land an Tourismus noch verblieben war – gerade nachdem sich die Lage die vergangenen zwei, drei Jahre zunehmend zu stabilisieren schien. Alle renommierten Bergreiseveranstalter im deutschsprachigen Europa organisierten zuletzt wieder Reisen in Pakistan, und es gab keine Zwischenfälle. Diese Zeiten sind nun wohl vorbei.
Das Auswärtige Amt hat eine Reisewarnung erlassen, und die pakistanische Regierung hat die 51 Bergsteiger aus achtzehn Nationen, die sich auf Expedition am Nanga Parbat befanden, zum Abstieg aufgefordert. Andererseits heißt es, die Region werde jetzt vom Militär gesichert, sodass die momentan über 300 Bergsteiger dort andere Achttausender erklimmen könnten. Genügt das? Wie werden Anbieter von Expeditions- und Trekkingreisen reagieren?
»Hauser Exkursionen« hat bereits alle Pakistan-Reisen für dieses Jahr abgesagt, ich bin mir sicher, die allermeisten anderen Veranstalter werden in den nächsten Tagen nachziehen. Diesen Schritt kann man mehr als nachvollziehen, unter den gegebenen Umständen würde ich auch nicht auf Expedition nach Pakistan fahren wollen. Wenn so etwas im Basislager des Nanga Parbat passiert, kann dasselbe auch an den Gasherbrums, am Broad Peak oder am K2 passieren.
Das Himalajagebirge scheint ein heißes Pflaster für westliche Bergsteiger zu werden. Ende April gab es ja in Nepal schon einen schlimmen Vorfall im Basislager des Mount Everest. Ein Mob wütender Sherpas ging mit großer Gewalt gegen die internationalen Spitzenalpinisten Ueli Steck, Simone Moro und Jonathan Griffith vor – beinahe hätte es Tote gegeben.
In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich das Verhältnis zwischen Sherpas und Touristen zunehmend verändert. Viele der leistungsfähigen und gut ausgebildeten Einheimischen, die als Führer im Tourismusgeschäft arbeiten, haben ein besseres Selbstbewusstsein entwickelt. Die Zeiten des »Sahib«, des »großen Herrn und Meisters«, wie jeder Besucher einst tituliert wurde, sind mehr und mehr gezählt. Stattdessen bemühen sich die Einheimischen um ein neues Selbstverständnis, das zwischen traditionellem Devotismus und moderner Selbstsicherheit schwankt. Nicht selten orientieren sie sich dabei an dem, was ihnen wir Touristen vorleben. Nicht immer nur zum Guten.
In den Augen der Besucher sind »die Sherpas« – wie fälschlicherweise oft sämtliche einheimischen Kräfte bezeichnet werden – nach wie vor die Hilfskräfte, die die Fixseile aufbauen müssen und die »Everest-Touristen« sicher hinauf- und wieder hinabbringen. Was ursprünglich die Bezeichnung für ein stolzes Volk war, hat im westlichen Sprachgebrauch die pauschale Bedeutung von »Hochträger« oder »Hilfsarbeiter« angenommen. Das sollte Zeichen genug sein. Tatsächlich sind heute viele Einheimische, ob nun Sherpas oder Angehörige anderer Volksgruppen, qualifizierte Berg- oder Fremdenführer und gute Alpinisten. Dies gilt insbesondere für die »Climbing Sherpas«, deren Name für eine Berufsgattung steht, ohne deren Hilfe viele Bergsteiger ihr Ziel, den Gipfel, nicht erreichen würden: Sie sind persönliche Bergführer und Betreuer ihrer Gäste und kümmern sich um ihr Wohlbefinden und ihre Sicherheit in jeder Minute am Berg.
Viele der Bergsteiger, die ausziehen, um den Everest zu erobern, sind dem Unternehmen nicht gewachsen und zu unerfahren, um den Berg aus eigener Kraft besteigen zu können. Dennoch wollen sie sich ihren Traum verwirklichen und bezahlen Unsummen an Geld (zwischen 30 000 und 50 000 US Dollar kostet eine veranstaltete Everest-Besteigung) für Sherpa-Unterstützung, künstlichen Sauerstoff, professionelle Bergführer und andere Dinge. Die Sherpas erleben die scheinbar unendlich wohlhabenden Bergtouristen dabei meist bestenfalls als durchschnittlich befähigte Alpinisten, die viel Unterstützung von ihnen benötigen. Nicht selten bringen sich die einheimischen Helfer dabei selbst in Lebensgefahr. Verlief alles erfolgreich, veranstalten eben dieselben Leute oftmals einen riesigen Presserummel, in dem die Sherpas, die Fixseile oder andere Begleitumstände, die ihre persönliche Leistung in der Öffentlichkeit schmälern könnten, mit keinem Wort erwähnt werden. Das kann schon für Frust und Verdruss sorgen.
Die Sherpas haben in den letzten Jahren zunehmend Selbstsicherheit entwickelt, und es gibt sehr leistungsstarke Bergsteiger unter ihnen. Viele der Rekorde am »Big Hill« werden von ihnen gehalten. Selbstverständlich kennen auch sie bekannte Gesichter wie Steck oder Moro und wissen, dass sich diese rein über ihre Sponsoren, Vorträge und Bücher finanzieren und nicht schlecht davon leben. Sie, die Sherpas, hingegen finden keine Sponsoren, die sie rein fürs Bergsteigen bezahlen wie die Stars aus dem Westen. Obwohl sie sich den ausländischen Athleten oftmals ebenbürtig fühlen, bleibt für sie nur die »Drecksarbeit«, deren Leistung in der Öffentlichkeit nicht oder nur zu wenig gewürdigt wird. Das muss zwangsläufig zu Neid und einem Gefühl der Ungerechtigkeit führen.
Wer die stoische Ruhe dieser Menschen kennt, kann von diesem Vorfall nur betroffen sein. Dies zeigt aber auch, dass es unter der vermeintlich ruhigen Oberfläche gewaltig brodeln muss. Wenn bei der Konfrontation im Hochlager des Mount Everest keine Dritten eingeschritten wären, hätte es wohl mit einem wahrhaftigen Lynch-Mob geendet. Was dort passiert ist, ist wirklich böse und nicht akzeptabel. Ganz aus heiterem Himmel, wie dies in manchen Medien dargestellt wurde, kam die Reaktion aber wohl doch nicht. Ueli Steck gab zu, dass es zuvor einen verbalen Schlagabtausch gegeben hatte, bei dem Simone Moro den Lead Sherpa beleidigt haben soll. Er selbst dementierte dies wiederholt. Wie auch immer, rechtfertigt eine Beleidigung die überzogene Reaktion der Sherpas in keiner Weise. Dieser geringfügige Auslöser hatte aber womöglich das Ventil für all den Frust und Verdruss geöffnet, der den Bergsteigern in einer Woge des Hasses und der Gewalt entgegenschlug. Den Rädelsführern und Mitläufern muss aber klar sein, dass sie dem Ansehen Nepals und dem Tourismus – und damit letztendlich sich selbst – geschadet haben.