»Scheiße«, sagte Ash. Aber er sagte es auf eine Weise, die nahelegte, dass Vinnie das A an der richtigen Stelle getroffen hatte. An der genau richtigen Stelle. Ash schien regelrecht erschüttert, und diesmal war sein Grinsen echt. Nicht dieses irre Koksgrinsen, sondern ein richtiges, wie früher. Eins, wie es ihnen allen ins Gesicht geschrieben stand. Was hier passiert war ... nun, das hatte eine ganze Menge mit Musik zu tun gehabt.
Als Ash hinging und dem neuen die Hand hinstreckte, war die Sache beschlossen. Sie klatschten ihn alle ab, und er war drin. So einfach war das. Während sie zusammenpackten, ließ Izzy seiner Begeisterung freien Lauf: »Scheiße, das war absolut gruselig, Mann. Als stünde Joey hier. Da kannst du Gift drauf nehmen.«
»Nein, Mann«, widersprach Ash. »Das war Welten besser. Joey hat das mit dem verdammten A nie kapiert! Genau da kommt es hin.« Er sang ein Stück des Refrains, dann klopfte er Vinnie auf die Schulter. »Bist echt ein Ass, Mann!«
»Nein«, sagte Vinnie. »Aber den kenn´ ich übrigens auch.«
Ash sah ihn fragend an.
»Ace, Mann. Ace Frehley. Schonmal von einer Band namens Kiss gehört?«
»Bullshit.«
»Kein Bullshit. Hab´ den Roadie für die gemacht, auf der Hit`n´Run-Tournee. Was meinst du, wo ich den Bass herhab?« Er drehte das Instrument um. Auf der Rückseite war eine gravierte Platte angebracht. Sie beugten sich darüber und da stand: »Für unseren Bro Vinnie, den besten Roadie, der jemals diesen Planeten in Angst und Schrecken versetzt hat. Und darunter, unverkennbar, die Unterschriften aller vier Kiss-Bandmitglieder. Eingraviert in eine verdammte Metallplatte auf der Rückseite seines Basses.
Izzy pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Aber ich dachte, The Demon spielt nur diesen komischen Bass, der aussieht wie ´ne Axt. Mit seiner Zunge! So!« Ash hielt einen unsichtbaren Bass in die Luft, streckte die Zunge raus und leckte dann auf den imaginären Saiten des Instruments herum. »I was made … Bumm!« zitierte er ziemlich frei, und ziemlich schief. »You were made … Bumm!« Das »Bumm« sollten vermutlich die Stellen sein, an denen im Original das Bühnenfeuerwerk losging.
»Die Axt spielt er auch. Aber nur Live«, sagte Vinnie. »Den hier hatte ich im Studio.« Schiefes Grinsen. »Äh, ich meine … er hatte ihn im Studio.«
Während sie ihn anglotzten, legte er das Instrument zurück in den Koffer und klappte den Deckel zu. Nachdem auch die anderen zusammengepackt hatten, gingen sie gemeinsam raus auf den Parkplatz. Dawg fühlte sich immer noch berauscht von dem, was da eben passiert war. Dieser Typ hatte den Groove, und zwar kräftig. Sein Bass hatte einen Sound wie ein schnurrendes Kätzchen, und zwar ein verdammt großes. Und jeder Schlag saß so verdammt tight auf der Kickdrum, dass es schien, als ahne er Dawgs Schläge voraus. Sie würden alle noch ein bisschen üben müssen, um da mithalten zu können. Ja, dachte Dawg, dieses Gefühl muss es sein, nachdem die Großen suchen, wenn sie sich den ganzen Tag Zeug in die Nase ziehen oder in die Venen jagen. Das ist das verdammte große Geheimnis des Rock´n´Roll. All diese Typen brauchen im Grunde nur einen vernünftigen Bassisten.
» ... eigentlich mit dem passiert?« hörte er Vinnie gerade noch fragen.
»Oh, Joey. Naja, der hat eine kleine Abkürzung genommen. Allerdings auf der falschen Seite der Bucht.«
»Er ist in die Bucht gestürzt?« Nun grinste Vinnie nicht mehr.
»Ja«, sagte Ash beiläufig, und dann setzte er hinzu: »Und blöderweise mit unserem Bandbus.«
»Ist er tot?«
»Der Bandbus?« versuchte Ash einen Scherz, über den keiner so recht lachen wollte. Auch Vinnie nicht. Was Dawg sehr in Ordnung fand. Ein Irrer pro Band genügte ihm vollauf.
Izzy nickte, ein »Ja« zu beidem.
»Scheiße«, sagte Vinnie und damit war das Thema offenbar erledigt. Zumindest das Thema »Joey.«
Ash warf seinen Koffer in Izzys Wagen, eine vormals knallgelbe Rostlaube von einem zweiundsiebziger Road Runner, und dann begleiteten sie Vinnie noch ein Stück über den Parkplatz. Am anderen Ende des Areals stand ein schwarzer Van. Ash deutete darauf und sagte:
»So einen müsste man haben. Passt ´ne Menge rein. Und ...« er sah genauer hin. Auf der Seite war ein großes Pentagramm angebracht. Glänzendes Schwarz auf der Mattlackierung des Fahrzeugs. »Geil«, entfuhr es Izzy. Das stimmte, fand Dawg. Dezent, aber ziemlich geil. Die Blinklichter an dem Wagen blitzten kurz auf, als Vinnie die Fernbedienung in seiner Hand betätigte.
»Das ist ... deiner?« Ash glotzte zwischen dem Van und Vinnie hin und her und sah dabei ausgesprochen dämlich aus.
»Jep. Ist von meiner alten Band. Haben uns aufgelöst, da hab´ ich ihn übernommen«, erklärte Vinnie.
»Heißes Gerät«, bestätigte Dawg und schaute hinten rein, wo sich die Türen geöffnet hatten. Roter Samt, überall, Ledersitze, ebenfalls rot und dezente rotschimmernde Bordbeleuchtung.
»Mann, das Ding sieht ja aus wie ein Puff. Pussywagon! Kannst du Gift drauf nehmen«, lachte Izzy.
»Die Mädels«, erklärte Vinnie bescheiden, »fahren voll auf sowas ab.« Und dann setzte er grinsend hinzu. »Und das Zeug lässt sich gut abwaschen.«
Als sie sich von ihrem gemeinschaftlichen Lachanfall erholt hatten, zog Ash einen zerknitterten Joint aus der Tasche seiner Lederweste und reichte ihn Vinnie. Das hatte er, soweit sich Dawg erinnern konnte, noch niemals zuvor getan. Was seinen Stoff betraf, war Ashs Knausrigkeit geradezu legendär.
»Alter, dich schickt der Himmel! Ein Pussywagon. Mann«, sagte Ash, und gab Vinnie Feuer, der den Joint lässig in seinem Mundwinkel hielt. Vermutlich würde er dem Typen gleich um den Hals fallen und ihn abknutschen, dachte Dawg. Aber wo er recht hatte ...
Der Bassist ließ sich ein paar Züge schmecken und gab den Joint dann weiter an Izzy. Dann wackelte er mit dem Kopf, während er den Rauch durch seinen Mund entweichen ließ, und ihn gleich darauf wieder durch die Nase zog. Izzy, der gerade an der Reihe war, machte es ihm sofort nach.
»Ich glaub´ nicht dran. An den Himmel, mein ich«, sagte Vinnie nachdenklich. Ash brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass sich das auf seinen letzten Kommentar bezogen hatte. »Was? Ach, hab´ ich nur so dahergesagt. Ehrlichgesagt ist es mir so ziemlich scheißegal, wer dich geschickt hast, aber hier bist du auf jeden Fall richtig.«
»Freut mich.«
»Scheiße ja. Und an den Himmel glaubt hier keiner. Oder, Jungs?«, fragte Ash in die Runde.
Herrgott, dachte Dawg, was sollte dieser Mist jetzt schon wieder? Vinnie musste doch denken, er wäre im Kindergarten gelandet, wenn Ash nicht bald mit diesem Scheiß aufhörte.
»Nein, Mann«, stieg Izzy dämlicherweise ein. »Wir glauben an den Typen weiter südlich, verstehst du? Yeah!«
»Genau«, bestätigte Ash, und versuchte nun ebenfalls den Rauch aus seinem Mund durch die Nase zu ziehen, wie Vinnie es getan hatte. Als er mit dem Husten fertig war, ergänzte er: »Wir sind nur Seine Werkzeuge, um Seinen düsteren Plan zu erfüllen. Und unsere Musik, Mann? Die ist Seine Botschaft, die wir in die Köpfe der Idioten hämmern, und zwar mit voller Lautstärke! Daher der Name.«
»Satan´s Dollz – Satans Puppen.«
»Genau, Mann.«
»Ich hab´ sogar Spinnen zu Hause«, rief Izzy, »Und ´nen Skorpion, denn Luzifer liebt solche Tiere. Alles, was garstig ist, und giftig. Venomous Poison, verstehst du?«
»Alice Cooper«, stellte Vinnie fest, »Guter Song.«
»Guter Song?«, schnaufte Izzy verächtlich. »Der Typ ist Gott, da kannst du aber Gift drauf nehmen!«
»Und er sammelt auch Schlangen und Vogelspinnen und sowas«, wusste Ash. »Nur hauen sie ihm nicht ab, so wie deine!« Er rempelte Izzy an.
»Ich hab´ keine Schlangen, Mann! Und außerdem ist mein Skorpion abgehauenen, du Idiot.«
»Dein Skorpion ist verschwunden?«, fragte Vinnie. Und sein Interesse sah dabei sogar halbwegs echt aus, fand Dawg. Netter Typ. Viel zu nett für diese beiden Clowns.
»Ja, er war eines Abends einfach nicht mehr in seinem Glas. Ist ausgebüxt, der kleine Kerl. Sitzt jetzt wahrscheinlich unter dem Bett, und wartet darauf, Einbrecher totzustechen. So, und so! Yeah!«
»Ist er denn giftig, dein Skorpion?«, fragte Vinnie und zwinkerte Dawg verschwörerisch zu. Er nimmt sie nur hoch, dachte Dawg, und die beiden Komiker merken es nicht mal.
»Nee, nicht wirklich. Solche darfst du gar nicht daheim halten, glaube ich. Aber er ist fast so groß wie meine Hand«, Izzy streckte die Hand vor.
»Pass auf, dass er dir nicht in den Dödel piekst, du Schlangenbändiger«, ließ sich Ash hören. Und setzte dann hinterher: »Izzy hat nämlich sehr wohl eine Schlange. Die bändigt er jeden Abend, hehe. Aber nur, wenn seine Mom nicht zu Hause ist, versteht ihr?«
»Fick dich, Arschloch!«, rief Izzy, aber Ash ließ sich nicht bremsen.
»Vielleicht piekst er dich ja auch in die Eier, dann werden die so groß wie ein Paar Luftballons.« Offenbar fand Ash die Vorstellung echt zum Schießen. Tränen liefen über sein Gesicht, während er sich nochmals an dem Joint verschluckte.
»Das soll der mal versuchen, dann beiß´ ich ihm den Kopf ab, wie Schwarzenegger in Conan. Haps, ab ist der Kopf von dem Skorpion!«
»Das war ´ne Schlange, du Vollidiot!«, rief Ash, und bog sich vor Lachen. Vinnie sog milde lächelnd an dem Joint, und ließ den Quatsch geduldig über sich ergehen.
»Was? Na sag´ ich doch! Kopf ab! Haps!«, machte Izzy es vor. Schlange oder Skorpion, ihm war es offensichtlich einerlei.
»Du hast echt ´nen Knall!« sagte Ash.
»Komisch, das hat deine Mutter auch gesagt, als ich mit ihr fertig war, gestern Nacht.«
»Ey, ich geb dir gleich ...«, sagte Ash und knuffte Izzy in die Schulter, das heißt, er versuchte es. Izzy war aber schneller und wich mit einer geschickten Drehung seines Oberkörpers aus.
»Ja, genau wie ich´s deiner Mutter gestern Nacht gegeben habe!«, rief Ash, während er zu seinem Wagen trabte. »Tschau, ihr Luschen! Und Tschau, Vinnie, Mann! Große Klasse heute, so machst du´s auch im Ballroom, dann ist dein Job hier gesichert!« Dann stieg er in seinen rostigen Plymouth.
»Ey, warte auf mich!«, rief Izzy und stiefelte hinterher.
Vinnie lächelte den beiden hinterher.