John Milton
Das
verlorene Paradies
Anaconda
Titel der englischen Originalausgabe: Paradise Lost (London 1674).
Die Übersetzung von Karl Eitner folgt der Ausgabe Miltons Das verlorene Paradies. Episches Gedicht. Leipzig: Bibliographisches Institut o. J. [um 1870]. Orthografie und Interpunktion wurden unter Wahrung von Lautstand und grammatischen Eigenheiten auf neue Rechtschreibung umgestellt.
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ISBN 978-3-641-28391-9
V002
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Erster Gesang
Des Menschen erste Schuld, die Frucht des Baumes,
Des untersagten, deren gift’ge Kost
Tod in die Welt gebracht, all unser Wehe
Und Edens Einbuß, bis ein Mächt’gerer
Uns sühnt’ und neu errang den Sitz des Heiles:
Sing, Himmelsmuse, die auf ödem Gipfel
Des Horeb oder Sinai den Hirten
Entflammt, der das erkorne Volk zuerst
Gelehrt, wie anfangs Himmel sich und Erde
Entrang dem Chaos. Doch wenn Zions Hügel
Dir lieber und Siloas Bach, der nahe
Des Herren Tempel floss: fleh ich von dorther
Um Hilfe dich für meinen kühnen Sang,
Der nicht bloß mittlern Flugs den Berg Äoniens
Zu überschweben sucht; denn er erstrebt
In Pros’ und Vers noch ungewagte Dinge.
Vornehmlich du, o Geist, der allen Tempeln
Du vorziehst das aufricht’ge, reine Herz:
Belehre mich! Du kennst es; gegenwärtig
Warst du von Anfang; mächt’ge Schwingen breitend,
Brütetest überm Abgrund taubengleich du.
Ihn fruchtbar machend. Das, was in mir dunkel,
Erleuchte! Was zu niedrig, heb und stütze!
Dass ich, entsprechend dem gewalt’gen Stoffe,
Die ew’ge Vorsicht preisen und den Menschen
Rechtfertigen die Wege Gottes mag. –
Sag – nichts ja birgt der Himmel deinem Blicke,
Nichts auch der Hölle Schlund – sag, was bewog
Denn dies Urelternpaar, im Glückesstande,
Vom Himmel so begünstigt, abzufallen
Von ihrem Schöpfer und um ein Verbot
Sein Wort zu übertreten, Herrn der Welt sonst?
Wer hat sie zu der schnöden Tat verleitet?
Der Höllendrach’; er war es, dessen Tücke,
Von Neid und Nachsucht aufgereizt, die Mutter
Der Menschen hinterging, da ihn sein Hochmut
Stürzt’ aus dem Himmel samt dem ganzen Heere
Rebellischer Engel, unter deren Beistand,
Sich über seinesgleichen stolz erhebend.
Er sich dem Höchsten gleichzustellen hoffte,
Wenn er ihm trotzt’; und mit ehrsücht’ger Absicht
Begann er gegen Gottes Thron und Obmacht
In stolzer Schlacht ruchlosen Kampf im Himmel.
Fruchtlos jedoch. Es stürzt ihn der Allmächt’ge
Blitzschleudernd häuptlings vom ätherischen Sitze
Mit schreckenvollem Fall und Brand zum Abgrund
In bodenlos Verderben, dass dort weile
In Demantfesseln und in Flammenpein,
Er, der gewagt, der Allmacht Schwert zu trotzen.
Neunfach die Zeit, die Tag und Nacht abmisst
Den Sterblichen, lag mit der Gräuelrotte
Besiegt er, sich im Feuerschlunde krümmend,
Betäubt und doch unsterblich; denn sein Bannspruch
Bewahrt ihn größerm Zorn. Von nun an quält
Ihn der Gedank’ an das verlorne Glück
Und stete Pein. Rings wirft er düstre Blicke;
Von tiefem Grame zeugten sie und Schrecken,
Gemischt mit hartem Stolz und starrem Hass.
Mit eins, so weit als Engel schaun, durchblickt er
Die schreckenvolle Gegend, wüst und wild
Nach jeder Seit’, ein furchtbares Gefängnis,
Durchflammt von Ofenglut; jedoch kein Licht
Strahlt von der Glut; vielmehr sichtbares Finster
Dient nur, des Wehs Graunszenen zu enthüllen!
Der Qual Gefilde! Jammervolle Schatten!
Wo Fried’ und Ruh nicht weilt, nicht Hoffnung naht,
Die allen naht, nur endelose Pein
Stets drängt und eine Feuerflut, genährt
Von immer glühndem, unverzehrtem Schwefel!
Den Ort schuf ew’ges Recht für die Empörer.
Zum Kerker ihnen hatte sie bestimmt
Und zuerteilt urtiefe Finsternis,
So weit von Gott und Himmelslicht entlegen
Als zu dem fernsten Pol dreimal vom Zentrum.
O wie ungleich dem Ort, von wo sie fielen! –
Dort schaut sogleich er seines Falls Genossen,
Von Feuerflut und Wirbelsturm bedeckt,
Auch einen, ihm an Macht und Schuld der nächste,
Noch lang nachher bekannt in Palästina,
Genannt Beelzebub, der sich zur Seit’ ihm
Hinwälzte. Drauf zu ihm mit wilden Worten
Der Erzfeind, drum Satan genannt im Himmel,
Sein furchtbar Schweigen brach und so begann:
»Bist du’s? – O wie gefallen, wie verwandelt
Von dem, der in dem sel’gen Lichtgebiet
Im Strahlenglanz Myriaden, noch so leuchtend,
Weit übertraf! – Bist du’s, den Wechselbündnis,
Gleichart’ger Sinn und Rat, wie gleiches Hoffen
Und Wagnis im ruhmvollen Unternehmen
Mir einst gesellt und Elend jetzt verbunden
In gleichem Sturz? – In welchen Abgrund, siehst du,
Von welcher Höh’ gestürzt! Um so viel mächt’ger
Bewies sein Donner sich; und wer erkannte
Bis da der Schreckenswaffen Kraft? Doch nicht sie
Noch was in seinem Zorn der mächt’ge Sieger
Sonst antun kann, lässt mich bereun, noch ändert’s,
Obwohl an Ruhm verkürzt, den festen Sinn,
Den hohen Stolz gekränkten Selbstgefühls,
Der mit dem Mächtigsten zum Kampf mich antrieb.
Und mit mir bracht’ ich zu dem wilden Streite
Zahllose Scharen wohl bewehrter Geister,
Die seiner Herrschaft trotzten und, mir folgend,
Der höchsten Macht sich feindlich widersetzten
In zweifelhafter Schlacht am Himmelsplan;
Sein Thron erbebt’. Ist auch die Schlacht verloren,
Doch alles nicht: der ungebeugte Wille,
Der Rache Streben, Hass, der nimmer stirbt,
Mut, der sich niemals unterwirft noch weicht,
Und was sonst nicht zu überwält’gen ist –
Nie soll den Ruhm sein Grimm noch seine Macht mir
Entringen! Beugen mich und Gnad’ erflehen,
Demüt’gen Knies, sein Ansehn zu vergöttern,
Ihn, der vom Schrecken dieses Arms noch neulich
Sein Reich bedroht sah – traun, dies wäre niedrig!
Dies wäre Schand’ und Schmach, bei Weitem ärger
Als dieser Sturz! Das Schicksal lässt es nicht
An Götterkraft und Himmelsstoff uns fehlen;
Der große Unfall hat uns klug gemacht –
In Waffen schlechter nicht, an Vorsicht reicher:
Mit größrer Hoffnung können wir beschließen,
Durch List und durch Gewalt und unversöhnlich
Allew’gen Krieg dem großen Feind zu bieten,
Der jetzt siegprangt und in der Freude Jubel
Allein nun als Tyrann des Himmels herrscht.«
So sprach in Qual der abgefallne Engel,
Laut prahlend, ob Verzweiflung gleich ihn foltert;
Sogleich versetzte kühnlich sein Genoss:
»O Fürst! O Haupt so vieler Herrschermächte,
Der du der Seraphim Schlachtreihn zum Kampfe
Hast angeführt und, schreckensvoll in Taten,
Furchtlos angriffst des Himmels ew’gen König,
Des Oberhoheit auf die Probe stellend.
Ob Kraft, ob Zufall, ob Geschick sie stütze –
Den Schreckensfall zu wohl seh und beklag ich,
Da traur’ger Sturz und schlimme Niederlage
Uns nahm den Himmel und dies mächt’ge Heer
In fürchterliche Trümmer schlug, so sehr
Als Himmlische und Götter nur zugrunde
Gehn können; denn es bleibt ja unbesieglich
So Sinn als Geist, und Kraft bleibt unbesiegt,
Ist aller Ruhm auch hin und unser Glücksstand,
Den endeloses Elend hier verschlungen.
Doch wie, wenn unser Sieger (den ich jetzt
Allmächtig glauben muss, da kein Geringrer
Ein Heer wie unseres besiegen konnte)
Uns Geist und Stärk’ in voller Kraft gelassen,
Um ungeschwächt zu dulden unsre Qual,
Damit sein Rachegrimm befriedigt würde;
Wenn wir ihm größern Dienst als seine Sklaven
Nach Kriegsrecht leisten müssten – die Geschäfte
Hier in der Hölle Feu’r ihm zu besorgen,
Botschaft zu tragen in der finstern Tiefe?
Was kann es nützen, fühlen wir die Kraft
Und unser ew’ges Wesen unverringert,
Sich solchem ew’gen Bann zu unterziehn?« –
Worauf mit raschem Wort der Erzfeind sprach:
»Gefallner Cherub! Jämmerlich ist Schwäche,
Im Tun, im Leiden sei’s; doch des sei sicher,
Dass unser Werk nie sein wird: Gutes tun;
Nein, Übles stets, als einziges Ergötzen,
Weil’s seinem hohen Willen widerstrebt,
Dem feind wir sind. Wenn seine Vorsicht dann
Zu Gutem sucht zu wenden unser Böses:
Sei’n wir bestrebt, den Zweck zu hintertreiben
Und Übelskeim aus Gutem aufzufinden,
Was uns wohl häufig glückt und Kränkung ihm
Vielleicht gewährt und, irr ich nicht, ihn ablenkt
Vom sichern Ziel in seinen tiefsten Plänen.
Doch sieh! Der zorn’ge Sieger rief zurück
Die Diener seiner Rach’ und der Verfolgung
Zum Himmelstor; der Schwefelhagel, den er
Uns nachgesandt im Sturm, hat übertobt
Die feur’ge Flut, die uns im Niedersturze
Vom Himmel aufgenommen, und der Donner,
Beschwingt mit rotem Blitz und Sturmeswut,
Hat wohl verbraucht die Speer’ und hört nun auf,
Zu heulen durch die grenzenlose Tiefe.
Lass es uns nutzen, mag Verachtung nun,
Mag Wutersättigung den Feind nun hemmen.
Siehst du die traur’ge Wüste, einsam wild,
Sitz der Verzweiflung, alles Lichtes bar,
Bis auf den Schimmer dieser blauen Flammen
Bleich und erschreckend? Dorthin lass uns gehen,
Von dem Gewoge dieser Feuersgluten
Dort auszuruhn, wenn Ruh dort wohnen kann,
Und, die verstörten Scharen wieder sammelnd,
Beraten, wie wir unsern Feind am besten
Verletzen können, den Verlust herstellen,
Wie überwinden diesen grausen Unfall,
Wie wir durch Hoffnung uns erholen können;
Wenn nicht – was für Entschluss das Elend endet.«
So sprach Satan zum nächsten Schuldgenossen,
Mit aus der Wog’ erhobnem Haupt und Augen,
Die funkelnd brannten; seine andern Glieder
Bedeckten schwimmend, lang und breit gestreckt,
Der Flut gar manche Hufe, ungeheuer,
Wie, die die Sag’ erwähnt von Riesengröße,
Titanen, Erdgeborne, Jovis Feinde,
Briareus oder Typhon, den die Hölle
Beim alten Tarsus barg, wie auch das Seetier,
Leviathan, welches Gott als größtes schuf
Der Tiere, die im Ozean sich regen,
Das, wenn’s gestreckt auf Norwegs Schaume schlummert,
Der Schiffer in dem nachtverirrten Kahn
Oft für ein Eiland hält – wie sie erzählen –
Und in die schupp’ge Haut den Anker heftet
An der windsichern Seit’, indes die Nacht
Das Meer deckt und, ersehnt, der Morgen zögert:
So lag der Erzfeind riesig hingestreckt,
Gefesselt an den Glutsee; niemals hätt’ er
Auch nur sein Haupt erhoben, hätte nicht
Des höchsten Herrschers Will’ und Zugeständnis
Ihm seine dunklen Pläne freigelassen,
Damit durch neue Frevel er auf sich
Verdammung häufen möcht’, indes er andern
Unheil ersann, und dann mit Ingrimm sähe,
Wie all sein Böses nur unendlich Gutes
Und Gnad’ und Gunstbeweis dem Menschen brächte,
Den er verführte; doch ihm selber nur
Dreifache Schmach und Zorn und Rach’ erwirkte.
Sofort erhebt er aufrecht aus dem Pfuhl
Den mächt’gen Leib; die Flammen, weggedrängt
Zu beiden Seiten, senken ihre Spitzen
Und bilden, wogenhaft, ein grausig Tal.
Dann mit gespanntem Flug erhebt er sich.
Die düstre Luft, der Last ganz ungewohnt,
Zur Stütze nehmend, bis auf trocknes Land er
Sich niederlässt – war Land das, was stets flammte
Von festem wie der See von flüss’gem Feuer –
Und so von Ansehn schien, als wenn der Stoß
Von unterird’schen Winden vom Pelorus
Ein Stück reißt, oder auch der morsche Rand
Vom donnergrollenden Ätna, dessen brennbar
Entzündlich Eingeweide, Feuer fangend,
Mit Wut des Steins ausbricht, den Wind verstärkt,
Und brand’gen Boden rücklässt, ganz bedeckt
Mit Rauch und Stank: den Ruhplatz fand die Sohle
Vom Fuß des Bösen. Sein Genoss folgt ihm.
Sie rühmen sich der Flucht aus styg’scher Flut
Als Götter und durch eigne neue Kraft,
Nicht durch die Zulassung der höchsten Macht.
»Ist dies die Gegend, dies der Grund, das Klima«,
Sprach der verlorne Engel, »dies der Sitz,
Der uns statt Himmels dient, dies traur’ge Düster
Statt himmlisch heitren Lichts? Sei’s so, da er,
Jetzt Oberherr, kann ordnen und gebieten,
Was Recht sei. Wohl, am fernsten ihm – am besten,
Den, an Vernunft uns gleich, Gewalt erhoben
Zum Herrn ob uns! Fahrt wohl, ihr Glücksgefilde,
Wo ewig Freude wohnt. Gegrüßt, ihr Schrecken,
Du Unterwelt, du, abgrundtiefe Hölle,
Empfang den neuen Eigner, welcher mitbringt
Den Sinn, den weder Ort noch Zeit verändert.
Der Geist ist selbst sich Ort, und in sich selbst
Schafft er aus Himmel Höll’, aus Hölle Himmel.
Was tut das Wo, bin ich nur stets derselbe
Und was ich sein soll; dem nur untertan,
Den Donner größer machte. Hier zum Mindsten
Sind wir doch frei; hier schuf nicht der Allmächt’ge,
Dass er uns neid’; er treibt uns nicht von hinnen;
Hier herrschen sicher wir, und Herrschen ist mir
Selbst in der Höll’ Ehrgeizes wert; ja besser
Ist’s, Herr der Hölle sein, als Sklav’ im Himmel.
Doch warum lassen wir die treuen Freunde,
Genossen und Teilhaber unsres Falles,
Betäubt auf dem verwirrnden Pfuhle liegen,
Und rufen sie zu ihrem Anteil nicht
In diesem Qualort oder dass noch einmal
Vereint im Kampf sie sehn, was man im Himmel
Gewinnen mag, verlieren in der Hölle?«
So sprach Satan, und ihm antwortete
Beelzebub: »Fürst der glanzvollen Scharen,
Die der Allmächtige nur schlagen konnte,
Tönt’ erst die Stimm’, ihr stärkstes Hoffnungspfand,
In Furcht und in Gefahr so oft gehört.
In ärgster Not, nah der bedrohnden Schneide
Der Schlachtenwut, ihr sicherstes Signal
Bei jedem Angriff: sind gewiss sie bald
Ermutigt und belebt, sie, die noch liegen
Gestreckt und kriechend auf dem Feuersee
Wie wir zuvor, betäubt und stumpf; kein Wunder,
Da wir aus solch furchtbarer Höhe fielen.«
Kaum schwieg er, als sich auch das Haupt der Feinde
Schon nach dem Ufer schwang; der schwere Schild
Äther’schen Stoffes, massig, groß und rund,
Bedeckt die Schultern ihm; sein breiter Umfang
Hing auf dem Rücken, gleich des Mondes Scheibe,
Wenn ihn durchs Fernglas schaut Toskaniens Künstler
Am Abend von der Höh’ Fiesoles
Und in Valdarno, Neues zu entdecken,
Ström’ oder Berg’ auf der gefleckten Kugel.
Sein Speer, der höchsten Tanne gleich, gefällt
Auf Norwegs Bergen, um als Mast zu dienen
Des größten Admiralschiffs, schien ein Stab nur,
Womit er seine schwanken Tritte stützte
Auf brand’gem Mergel, nicht den Tritten gleich
Auf himmlischem Azur; der glühnde Luftkreis,
Von Feuer überwölbt, bedrängt’ ihn schrecklich.
Doch er ertrug es, bis er an dem Ufer
Des Flammensees stand und seinen Scharen,
Engelgestalten, rief, die dicht wie Blätter
Des Herbstes lagen, so die Bäche decken
In Valombrosa, wo Hetruriens Schatten
Sie hoch umwölben; oder losem Schilfe
Gleich, als Orion mit gewalt’gen Winden
Das rote Meer gepeitscht, des Wogenschwall
Busiris und sein memphisch Heer ertränkte,
Da er mit tück’schem Hasse die Bewohner
Gosens verfolgte, die vom sichern Strande
Die Leichname wie von zerbrochnen Wagen
Die Räder schwimmen sahn: So dicht gestreut,
Gehäuft nun lagen sie, die Flut bedeckend,
Betäubt noch von der schrecklichen Verwandlung.
Er rief so laut, dass ganz die hohle Tief’ es
Der Höll’ erfüllte: »Fürsten, Herrscher, Krieger,
Des Himmels Blut, der eu’r einst, nun verloren:
Kann solcherlei Bestürzung euch ergreifen,
Ihr ew’gen Geister; oder habt den Ort ihr
Erwählt, des Kampfes müd, um auszuruhn
Vom Schlachtenwerk, weil Rast ihr glaubt zu finden,
Zum Schlummer hier, wie in des Himmels Talen?
Habt ihr gelobt, in dieser Knechtsgebärde
Den Sieger anzubeten, der nun sieht,
Wie Cherub sich und Seraph in der Flut,
Verstreut so Wehr als Fahnen, wälzen, bis
Vom Himmelstor sein schnelles Heer den Vorteil
Erspäht, herniederfliegt und, die hier liegen,
In Grund tritt oder mit Kettendonnerkeilen
Uns an den Boden dieses Abgrunds heftet.
Erwacht, ersteht, für ewig sonst Gefallne!«
Beschämt vernahmen sie’s und huben sich
Zum Flug empor, wie die, gemahnt zu wachen,
Im Schlaf ertappt von einem, den sie fürchten,
Auffahren und, schlaftrunken noch, sich regen.
Auch merkten sie den schlimmen Zustand wohl,
Worin sie waren, fühlten wohl die Pein;
Doch flugs gehorchten sie des Führers Stimme,
Sie all, zahllos. Wie, da den Zauberstab
Der Sohn Amrams, zur bösen Zeit Ägyptens,
Schwang ob der Küst’ und eine schwarze Wolke
Heuschrecken rief, vom Ostwind hergeweht,
Die überm Reich des frevlen Pharao schwebte
Wie Nacht, und alles Nilland finster machte:
So zahllos sah man jene bösen Engel
Unterm Gewölb der Höll’ im Flug sich regen,
Von Gluten oben, unten, rings umschlossen.
Bis, als ein Zeichen, den erhobnen Speer
Ihr großer Sultan schwingt, um anzudeuten
Die Richtung, sie zum festen Schwefel senkrecht
Sich niederlassen und die Ebne füllen:
Ein Schwarm, wie nie der völkerreiche Norden
Aus seiner Lend’ entließ, Rhein oder Donau
Zu überschreiten, als die rohen Söhne
Den Süden einer Sündflut gleich bedeckten,
Bis hin zu Libyens Sand, jenseits Gibraltar.
Sofort von allen Rotten und Geschwadern
Eilt jeder Führer, jeder Hauptmann hin,
Wo ihr Gebieter stand; gottgleiche Wesen,
Nicht menschlichen, vielmehr fürstlichen Ansehns,
Und Mächte, die auf Himmelsthronen saßen,
Obgleich ihr Name jetzt im Buch des Himmels
Nicht mehr vorhanden, weil ihn ihr Empören
Gelöscht, getilgt hat aus dem Buch des Lebens.
Auch hatten bei den Kindern Evens sie
Noch Namen nicht, bis, irrend auf der Erde,
Weil’s Gott zuließ, die Menschen sie versuchten,
Durch Lug und Trug den größten Teil der Menschen
Verderbten, dass Gott, ihren Schöpfer, sie
Verließen und den unsichtbaren Ruhm
Des, der sie schuf, oftmals verwandelten
In eines Tieres Bildnis, das sie schmückten,
Leichtfert’gen Andachtsinns, mit goldnem Prunk,
Um Teufel als Gottheiten anzubeten:
Dann kannten Menschen sie bei vielen Namen,
Und nannte Götzen sie die Heidenwelt.
Die Namen, Muse, sag, wer erst, wer letzt
Vom Schlaf erwacht’ auf jenem glühnden Lager
Beim Ruf des Herrschers, die als nächst’ im Range
Ihm einzeln nahten, wo am Strand er stand,
Indes die große Menge fern sich hielt.
Die Ersten waren, die vom Höllenabgrund
Nach Raub auf Erden schweifend, später wagten
Die Sitze neben Gottes Sitz zu stellen,
Altäre neben seinen, von den Völkern
Geehrt als Götter, selbst Jehova trotzten,
Der, zwischen Cherubim auf Zion thronend,
Von dorther donnerte, ja oft aufstellten
In seinem Tempel ihre Götzenbilder,
Als wahren Gräul, und mit verruchtem Tun
Die heil’gen Bräuch’ und hohen Fest’ entweihten
Und durch Verfinstrung trübten oft sein Licht.
Erst Moloch, Schreckensfürst, beschmiert mit Blut
Von Menschenopfern und mit Elterntränen,
Ward auch durch Trommel- und durch Paukenlärm
Der Kinder Schrei’n gedämpft, die Feu’r verzehrte
Des grimmen Götzenbilds. Der Ammoniter
Verehrt ihn in den Wasserau’n von Rabba,
In Argob und in Basan, bis zum Strom
Des fernen Arnon. Doch genügt ihm nicht
So kühne Nachbarschaft. Durch Trug verführt er
Salomons weises Herz, ihm einen Tempel
Zu baun, dem Tempel Gottes gegenüber,
Auf jenem Berg der Schmach, und nennt das schöne
Tal Hinnom seinen Hain, das Tophet dann
Und schwarz Gehenna hieß, das Bild der Hölle. –
Dann Chemos, Moabs schmutz’ges Schreckbild, herrschend
Von Aroar bis Nebo und der Wüste
Südlich bis Abarim; in Hesebon
Und Horonaim, Sihons Reich, und jenseits
Des blühnden Tals von Sibma, voller Weines,
Und Eleale bis zum Asphalt-See.
Auch Peor war sein Nam’, als er verlockte
Israel in Sittim, auf dem Zug vom Nil,
Zu üpp’gem Dienste, der ihm Weh gebracht.
Dann dehnt er seine wüsten Orgien aus
Selbst bis zum Berg des Ärgernisses, nahe
Dem Hain des Mörders Moloch, Lust zum Hass,
Bis sie Josias fort zur Hölle jagte. –
Mit diesen kamen welche von der Grenzflut
Des alten Euphrats bis zum Bach, der trennet
Von Syrien Ägypten, gleich benannt,
Die Astaroth und Baalim; die männlich
Und jene weiblich. Denn beliebig können
Annehmen Geister jed’ Geschlecht, auch beide:
So sanft und einfach ist ihr reines Wesen,
Nicht durch Gelenk und Glieder je verbunden
Noch durch gebrechliches Gebein gestützt
Wie lästig Fleisch; nein, was für Form sie wählen,
Verdichtet, ausgedehnt, licht oder dunkel,
Drin können sie die luft’gen Zweck’ erfüllen,
Der Liebe wie der Feindschaft Werk’ ausführen.
Für sie gab oft das Volk von Israel
Hin seine Lebenskraft, und unbesucht
Ließ es den rechten Altar, tief sich beugend
Vor Tiergottheiten, drob es auch so tief
Das Haupt in Schlachten beugt’ und von dem Speer
Elender Feinde sank. – Mit diesen kam herbei
Auch Astoreth, Astarte der Phönizier,
Des Himmels Königin, mit Halbmondhörnern;
Ihr glänzend Bild erhielt bei Mondenschein
Sidonischer Jungfraun Lieder und Gelübde,
Nicht unbekannt in Zion, wo ihr Tempel
Vom Berg des Ärgernisses schaut’, erhoben
Vom buhlerischen König, der, großherzig,
Jedoch beglückt von schönen Heidinnen,
Dem Götzendienst verfiel. – Nun kam Thammuz,
Des Wund’ alljährlich zog zum Libanon
Die syrischen Jungfraun, um in Liebesklagen
Sein Schicksal einen Sommertag zu feiern,
Weil der Adonis sanft vom felsigen Ursprung
Jährlich zum Meere floss, so hieß es, purpurn
Von Thammuz’ Blut. Das Liebesmärchen fachte
Die Töchter Zions an zu gleicher Glut.
Ezechiel sah in dem geweihten Vorhof
Die üpp’gen Bräuch’, als, durch Vision geleitet,
Sein Aug den schnöden Götzendienst erblickte
Des abgefallnen Juda. – Dann kam einer,
Der ernstlich klagt’, als die gefangne Lade
Sein Tierbild stümmelte, ihm Haupt und Händ’
Am Schwellenrand abschlug im eignen Tempel,
Wo er hinfiel zu der Verehrer Schmach:
Dagon war dies, Meerungetüm, Mensch oben,
Nach unten Fisch; doch hob sein Tempel hoch
Sich in Azotus, Schrecken für die Küste
Von Palästin’, in Gad und Ascalon
Und Accason und Gazas Grenzgebieten.
Ihm folgte Rhimmon, dessen prächt’ger Sitz
Damaskus war, das schön’, an fruchtbarn Ufern
Der hellen Ströme Abbana und Parphar.
Auch er erhub sich wider Gottes Tempel:
Ein Aussätz’ger entging, ein König ward ihm,
Ahas, sein tör’ger Sieger, den er zwang,
Zu schmähn Jehovas Altar und zu tauschen
Für einen syrischen, drauf darzubringen
Schmachopfer und die Götter anzubeten,
Die er besiegt. – Nach diesen nun erschienen
Viele, die unter Namen alten Ruhmes,
Osiris, Isis, Horus und ihr Zug,
Mit Schreckgestalt und Zauberkünsten täuschten
Ägyptens Priester und fanatisch Volk,
Zu sehn vielmehr in Tiergestalt die Götter
Als Menschenform. Auch Israel entging nicht
Der Ansteckung, als schuf geborgtes Gold
Das Kalb am Horeb, und der widerspenst’ge
Fürst mehrt die Sünd’ in Bethel und in Dan,
Den Schöpfer gleichend dem Gras mäh’nden Stier,
Jehova, der, beim Auszug aus Ägypten,
In einer Nacht gleich traf mit einem Streiche
So Erstgeburt wie all die Göttertiere.
Zuletzt kam Belial. Unsaubrer fiel
Kein Geist vom Himmel, welcher mehr das Laster
Liebt’ an sich selbst: Kein Tempel stand ihm wo,
Noch raucht’ ein Altar; doch wer mehr erfüllte –
In Tempeln, an Altären, wenn der Priester
Von Gott abfiel, wie Elis Söhne taten –
Mit Wollust und Gewalt den Tempel Gottes?
An Höfen, in Palästen herrscht’ er auch,
In schwelgerischen Städten, wo der Lärm
Der Völlerei die höchsten Türm’ erreicht,
Und Frevel und Gewalttat; und wenn Nacht
Die Straßen dunkelt, schweifen um die Kinder
Des Belial, voll Übermuts und Weins.
Des zeugen Sodoms Gassen und die Nacht
In Gibeah, als eines Gastfreunds Tür
Ausschloss ein Weib, um Ärgres zu verhüten. –
Die Ersten waren dies an Rang und Macht;
Der andern, wenn auch weit berühmter, schweigt man.
Ioniens Götter, so man Javans Sprossen
Gewähnt, doch jünger noch als Erd’ und Himmel,
Die edlen Zeuger: Titan, Himmels Erstling,
Mit seiner Riesenbrut und dem vom jüngern
Saturn entrissnen Vorrecht; der von Zeus,
Sein und der Rhea Sohn, Vergeltung fand.
Durch Eigenmacht herrscht der. Sie nun in Kreta
Und Ida erst bekannt, beherrschten dann
Auf schneeigem Olymp die Mittelluft,
Den höchsten Himmel, oder Delphis Felsen
Und in Dodona und durch alle Grenzen
Des dorischen Landes; andre, mit Saturn,
Flohn über Adria zu Hesperiens Au’n
Und schweiften zu der Kelten letzten Inseln.
All dies’ und andre scharten sich, mit Blicken,
Gesenkt und düster, doch worin ein Funke
Von Freud erschien, dass in Verzweiflung nicht
Ihr Führer war, dass im Verlust sie nicht
Sich selbst verloren; drob in seinem Antlitz
Sich Zweifel malt; doch, den gewohnten Stolz
Zusammenraffend, lobt mit prächt’gen Worten,
Die nur der Hoheit Schein, nicht Wesen trugen,
Lobt er den schwachen Mut und dämpft die Furcht.
Denn stracks befiehlt er, dass sein mächtig Banner
Mit Kriegesschall von Zinken und Trompeten
Erhoben werde, was ein schlanker Cherub,
Azazel, sich zu stolzer Ehre heischt.
Sogleich entrollt vom Schaft, dem glänzenden,
Die Herrscherfahn’ er, die, hoch aufgerichtet,
Gleich einem Meteor im Winde wallte,
Mit Gold und Edelsteinen reich verziert,
Mit Seraphwappen und Trophä’n, indes
Kriegskläng’ aus tönendem Metall erschollen
Und einen Schrei ausstieß das ganze Heer,
Der fast der Hölle Wölbung sprengt’ und jenseits
Chaos und alte Nacht in Schrecken setzte.
In einem Augenblick sieht man durchs Dunkel
Zehntausend Banner in die Luft sich heben,
In Ostens Farben wogend; auch erhebt sich
Ein Wald von Speeren, ein Gedräng von Helmen,
Geschlossnen Schilden, dicht zur Schlacht gereiht
In unmessbarer Tief’, und sie bewegen
Sich in vollkommner Phalanx zu dem Spiel
Dorischer Pfeif’ und Flöte, die einst hoben
Zum Gipfel edlen Muts der Vorzeit Helden,
Zur Schlacht sie kräft’gend, und anstatt mit Wut
Mit ruh’ger Kraft sie stählten, unbewegt
Rückzug und Flucht mehr als den Tod zu scheun.
Auch fehlt dem Klang die Macht nicht, zu besänft’gen
Mit Feierton bedrängende Gedanken,
Angst, Zweifel, Furcht und Sorg’ und Pein zu scheuchen
Von Sterblichen und von Unsterblichen.
So, festen Sinns, vereinte Kraft nur atmend,
Ziehn schweigend sie bei Flötenton, der lindert
Peinvolle Schritt’ auf glühndem Weg; und jetzt
Stehn sie, zur Schau gelangt, als Riesenfronte
Von ungeheurer Läng’ im Glanz der Waffen,
Nach alter Krieger Art, bereit mit Speer
Und Schild, erwartend, was ihr mächt’ger Fürst
Befehlen würde. – Durch die Waffenreihen
Schießt sein erfahrner Blick, der schnell durchfliegt
Die Massen alle, wie die nöt’ge Ordnung,
Ihr Ansehn, ihre Haltung, Göttern gleich,
Und überzählt sie. Und nun schwillt von Stolz
Sein Herz und härtet sich in seiner Stärke
Für Ruhm; denn nie kam, seit der Mensch erschaffen,
Solch Heer zusammen, das, erwähnt bei diesem,
Dagegen mehr galt als das kleine Fußvolk,
Bekriegt durch Kraniche, möcht’ auch sich sammeln
Die Riesenbrut von Phlegra mit den Helden
Von Ilium und Theben, nebst den Göttern,
Wie beiden halfen und was sonst verlautet
In Sag’ und in Roman von Uthers Sohn
Mit Brit’schen und Armorican’schen Rittern,
Und allen, die, getauft und ungetauft,
Gekämpft in Aspramont und Montalban,
Damask, Marokko oder Trapezunt,
Auch was Biserta sandt’ aus Afrika,
Als Karl der Große fiel, mit allen Pairs
Bei Fontarabia. – Kann mit jenen auch
Nicht Menschenmacht sich gleichen, doch gehorchten
Sie ihrem furchtbarn Führer; über alle
Ragt stolz empor an Bildung er, an Haltung,
Gleich einem Turm. Noch hatt’ er allen Glanz
Des Ursprungs nicht verloren; schien nichts Mindres
Als ein gefallner Engel, bloß verdunkelt
Des Ruhmes Größ’, als wenn die junge Sonne
Schaut durch des Horizontes Nebelluft,
Beraubt der Strahlen, oder hinterm Mond
Sich bei Verfinstrung bleich Zwielicht ergießt
Auf halber Welt und dies mit Furcht vor Wechsel
Kön’ge bestürzt. Verdunkelt, glänzte doch
Vor allen der Erzengel; war sein Antlitz
Von tiefen Blitzesnarben auch zerfurcht
Und saß auch Sorg’ auf der gesunknen Wange,
Doch unter Brau’n voll Muts und sichern Stolzes,
Der Rach’ erhofft; sein Blick, zwar wild, gab doch
Von Reu und Mitleid Zeichen, die Genossen
Des Fehls zu schaun, vielmehr die ihm gefolgt,
Die er weit anders sah im Glück, für immer
Verdammt nunmehr zum Jammerlos, Millionen
Von Geistern wegen seines Fehls vom Himmel
Verbannt und aus dem ew’gen Glanz vertrieben
Ob seines Abfalls, treu, wie sie ihm waren;
Ihr Ruhm verwelkt, wie wenn des Himmels Glut
Waldeichen hat zerschellt und Bergestannen
Und stattlich sie, doch nackt, versengten Gipfels,
Auf schwarzer Heide stehn. Er schickt sich an
Zu reden; drauf von Flügel sie zu Flügel
Krümmen die Doppelreihn, ihn halb einschließend
Mit seinen Pairs; sie stehn aufmerksam stumm.
Dreimal beginnt er; dreimal, trotz des Hochmuts,
Vergießt er Tränen, wie sie Engel weinen;
Dann tönt, vermischt mit Seufzern, diese Rede:
»O Myriaden ew’ger Geister, Mächte,
Vergleichbar dem Allmächt’gen nur: Der Kampf
War nicht unrühmlich, trotz des schlimmen Ausgangs,
Wie dieser Ort bezeugt und schnöde Wechsel,
Erwähnt mit Groll. Doch welche Geisteskraft,
Voraussicht oder Weissagung, Vergangnes
Wie Jetziges durchschauend, konnte fürchten,
Wie dies vereinte Götterheer, wie dieses,
Das so sich hielt, je Widerstand erführe?
Denn wer kann’s glauben, selbst nach dem Verlust,
Dass all die mächt’gen Scharen, deren Bannung
Verwaist den Himmel, durch sich selbst sich nimmer
Zurück zum Heimatsitz erheben sollten?
Das ganze Heer des Himmels sei mir Zeuge,
Ob ich durch falschen Rat, Scheu vor Gefahr
Verscherzt, was wir gehofft? Nein, er, der herrscht,
Der als des Himmels Fürst bis jetzt so sicher
Saß auf dem Thron, auf alten Ruhm sich stützend,
Auf Beifall und Gewohnheit Herrscherpomp
Voll übte, doch stets seine Stärke barg,
Was zum Versuch uns lockt’ und so uns stürzte.
Wir kennen seine Macht nun und die eigne,
Um weder ihn zu reizen, noch, gereizt,
Den Kampf zu scheun; wohl tun wir besser,
Geheim zu wirken durch Betrug und List,
Was durch Gewalt nicht geht: Dann mag zuletzt er
Von uns erfahren, dass, wer durch Gewalt
Allein siegt, auch nur halb den Feind besiegt.
Der Raum zeugt neue Welten, davon oftmals
Die Sag’ im Himmel ging, die er aufs Neu
Zu schaffen dächt’ und ein Geschlecht auf sie
Zu setzen, das er mit besondrer Liebe
Begünst’gen würde wie des Himmels Söhne.
Dorthin – sei’s nur zu spähn – lasst uns vielleicht
Den ersten Ausfall tun, auch anderwärts hin.
Denn dieser Höllenpfuhl soll Himmelsgeister
Nie mehr in Fesseln halten noch der Abgrund
Im Dunkel lang verbergen. Doch durch Vorsicht
Reif’ erst der Plan, und Friede sei verpönt;
Wer wollt’ auch Unterwerfung? Krieg denn, Krieg,
Versteckter oder offner sei beschlossen.«
Er sprach’s, und zur Bestät’gung dessen flogen
Millionen Flammenschwerter von den Hüften
Gewalt’ger Cherubim; der jähe Glanz
Durchblitzt’ weitum die Hölle: Heftig tobten
Sie wider Gott und schlugen mit den Waffen
An ihren Schilden wild den Kriegeslärm,
Trotz brüllend gegen das Gewölb des Himmels.
Ein Hügel stand nicht fern, des grauser Gipfel
Rauchwolken spie und Feu’r, das Übrige
Zeigt eine blanke Krust’, ein sichres Zeichen,
Dass ein metallisch Erz, das Werk des Schwefels,
Sein Innres birgt. Dahin schwang eine Schar
In Eile sich, wie wenn mit Hack’ und Spaten
Schanzgräber einem Königsheer voraus
Sich eilig machen, Gräben auszustechen
Und Schanzen aufzuwerfen. Mammon führt sie,
Er, der gefallnen Geister unterster;
Denn selbst im Himmel waren seine Sinne
Stets nur abwärtsgerichtet, mehr bewundernd,
Worauf man trat, des Himmels goldner Estrich,
Als etwas Göttliches und Heil’ges sonst,
Das sel’ge Schau gewährt. Durch sein Einflüstern
Zuerst bewogen, plünderte der Mensch
Der Erden Innres, und mit frechen Händen
Wühlt’ er in seiner Mutter Eingeweiden
Nach besser unerforschten Schätzen. Bald
Macht’ in den Berg er eine große Wunde
Und grub Goldrippen aus. Es staune keiner,
Dass Reichtum in der Höll’ am besten ziemt
Dem Ort, kostbares Gift. Und hier lasst jene,
Die Irdisches preisen und mit Staunen reden
Von Babels und von Memphis’ Königsbauten,
Erfahren, wie verworfne Geister leicht
Die größten Ruhmdenkmal’ und Kraft und Kunst,
Und zwar in einer Stunde übertreffen,
Was jen’ in langer Zeit mit schwerer Mühe
Und mit unzähl’gen Händen kaum vollbrachten.
Der Ebne nah, da viele Zellen standen,
Worunter Adern flüss’gen Feuers sich
Vom See ergossen, schmilzt ein zweiter Haufe
Mit wunderbarer Kunst das dichte Erz,
Und schäumt, das Ganze sondernd, ab die Schlacken.
Ein dritter hat im Boden schnell gebildet
Der Formen viel’, und aus den glühnden Zellen
Füllt er durch Abzug allen hohlen Raum,
Wie bei der Orgel auch der Stimmendeckel
Mit einem Hauch durch alle Pfeifen bläst.
Alsbald stieg aus der Erd’ ein groß Gebäu,
Gleich einem Dunstgebilde, mit dem Ton
Von sanften Symphonien und süßen Stimmen,
Nach Tempelart, allwo Pilaster rings
Mit dorischen Säulen standen, überdeckt
Mit goldnem Architrav; auch fehlten nicht
Karnies und Fries, verziert mit Bildnerwerk,
Das glänzend Gold doch war. Nicht Babylon,
Noch Groß-Kairo zeigten solche Pracht
In ihrer Ruhmeszeit für ihre Götter,
Serapis oder Belus; noch als Sitz
Der Kön’ge, da Ägypten und Assyrien
An Pracht und Reichtum stritten. Fest nun steht
Der hohe Bau in stolzer Höh; es öffnen
Sich stracks die ehrnen Tor’ und überm glatten
Und ebnen Estrich lassen sie tief innen
Die weiten Räume sehn. Durch Zauberkunst
Hängt von der Decke Wölbung manche Reihe
Sternheller Lampen und entflammter Fackeln,
Genährt von Naphta und Asphalt, die leuchten
Wie Himmelslicht. Bewundernd tritt hinein
Die hast’ge Menge, die, den Meister lobend,
Und die, das Werk. Man kannte jenen wohl
Im Himmel durch manch aufgetürmten Bau,
Worin bezepterte Lichtgeister wohnten,
Als Fürsten thronend, die der höchste Herrscher
Zu solcher Macht hob und sie leiten ließ
In seiner Hierarchie die lichten Scharen.
Bekannt auch war sein Nam’ und hochverehrt
Im alten Griechenland, und in Ausonien
Hieß man ihn Mulciber; und wie vom Himmel
Er stürzt’, erzählte man, vom zorn’gen Zeus
Geworfen von der Himmelsburg; vom Morgen
Fiel er bis Mittag, bis zum tau’gen Abend
Des Sommertags, und mit der Sonne Neigen
Sank er, gleich einem Sternfall, vom Zenith
Auf Lemnos, dies ägäische Eiland. Also
Die irr’ge Sage; denn er fiel weit früher
Mit den Empörern. Und jetzt frommt ihm nicht
Der Bau der Himmelstürm’; ihn rettet nicht
All seine Kunst: Köpflings ward er gefördert
Zum Höllenbau mit seiner ems’gen Schar.
Indes tun auf Befehl der höchsten Macht
Beschwingte Herolde, mit würd’gem Aufzug
Und bei Trompetenschall, dem Heere kund,
Dass einen feierlichen Rat man halte
Im Pandämonium, dem hohen Sitze
Satans und seiner Pairs. Und sie beriefen
Von jeder Schar und jeglichem Geschwader
Nach Rang und Wahl die Würdigsten. Sie kamen
Von Hunderten und Tausenden begleitet.
Umdrängt war jeder Zugang; Tor’ und weite
Vorhöf’, in Sonderheit die große Halle
(Gleich dem bedeckten Feld, wo kühne Streiter
In Waffen ritten und vorm Thron des Sultans
Ausforderten der Heiden beste Ritter
Zum Kampf aufs Leben und zum Lanzenrennen)
Ganz dicht umschwärmt, und Erd’ und Luft gefegt
Vom Sausen wehnder Flügel. Wie die Bienen
Im Lenze, wenn die Sonn’ im Stiere weilt,
Ihr junges Volk in Trauben um die Stöcke
Herdrängen; sie durchfliegen frischen Tau
Und Blumen oder ruhn auf plattem Brett
Der Vorstadt ihrer stroherbauten Burg,
Frisch übertüncht mit Balsam, und beraten
Des Staates Wohl: So dicht schwärmt auch und drängt sich
Die luft’ge Schar, bis auf ein tönend Zeichen,
O Wunder, schau! Sie, die noch eben größer
Erschienen als der Erde Riesensöhne,
Sich drängen zahllos, kleinsten Zwergen gleich,
In engem Raum, wie das Pygmä’ngeschlecht
Jenseits von Indiens Bergen oder Elfen,
Die in der Nacht ein Mann, der sich verspätet,
Am Waldsaum und der Quelle schwärmen sieht,
Wohl auch es träumt, weil über ihm der Mond
Als Zeug’ ihm dient und seinen bleichen Lauf
Der Erde nähert. Sie, auf Lust und Tanz
Bedacht, erfreun sein Ohr durch süße Töne:
Es klopft sein Herz von Freud’ und Furcht zugleich.
So schwand zu kleinstem Maß die Riesenbildung
Unkörperlicher Geister, und sie hatten,
Obgleich zahllos gedrängt, Raum in der Halle
Des Höllenhofes. Aber tiefer drinnen,
In eigner, angestammter Größe, saßen
Die Großen, Seraphim und Cherubim,
Entfernt und in gesondertem Konklave,
Tausend Halbgötter, dicht geschart auf goldnen
Thronsesseln. Dann, nach kurzem Schweigen, las man
Das Aufgebot und hielt den großen Rat.