IMG

Liebe künftige Hundeversteher

Buddy verliert keine Worte. Auch wildes Gehampel hat er nicht nötig. Wenn mein Irish Terrier etwas von mir will, stellt er sich gerade auf alle viere und neigt nur ganz leicht sein Köpfchen. »Bitte« sagt er damit, »bitte gib mir etwas von deinem Essen!«, »Bitte lass uns spazieren gehen!«, »Bitte lass mich auf deinem Sofa kuscheln!« Ich verstehe das gut und antworte mit Worten. »Nein« – Buddy bekommt nichts vom Tisch. »Na gut« – wir gehen täglich zwei Stunden spazieren. »Und hopp« – Hunde dürfen bei mir aufs Sofa.

Der minimale Neigungswinkel seines Kopfes reicht, um mit mir Kontakt aufzunehmen. Wenn ich jedoch meinen eigenen Kopf neige und die Augenbrauen hochziehe, weil ich nicht möchte, dass er seine Pfote auf meinem weißen Hemd platziert oder das Pferd auf Nachbars Weide vor sich hertreibt, hüpft Buddy entweder an mir hoch wie ein Gummiball oder pest mit dem wilden Hengst von nebenan auf und davon. Versteht er meine Sprache nicht?

»Eine Beziehung lebt von ihrem Bindegewebe«, hat der deutsche Aphoristiker und Hochschullehrer Michael Marie Jung einmal gesagt. Leichter gesagt als getan. Hunde und Menschen sind bekanntlich zwei verschiedene Arten und sprechen unterschiedliche »Sprachen«. Dennoch hilft es, wie in Beziehungen unter Menschen viel von dem zu »produzieren«, was Nähe schenkt, Vertrauen weckt und die Beziehung wachsen lässt. Bindegewebe macht Lebenspartner unverwechselbarer füreinander – und zur wichtigsten Bezugsperson auf der Welt. Stellt sich nur die Frage: Welches Bindegewebe bilden Hunde, wenn sie Nähe suchen oder aufbauen wollen? Und welches wir Menschen? Ist der »Stoff«, den jeder von uns schafft, der gleiche? Oder arbeiten sich Hunde und Menschen auf ganz unterschiedliche Weise vor in Richtung Harmonie?

Rückblickend auf mich und mein persönliches Leben mit Hund kann ich behaupten: Es gibt nicht die »Körpersprache«, nicht die »Beziehungsregeln«, weil es nicht den Hund und den Menschen gibt. Mein erster Hund, Bastian, ein Langhaardackel, hat mich kaum wahrgenommen. Für ihn zählte meine Mutter als Bezugsperson und Futtergeberin. Damals machte man sich kaum Gedanken um die Körpersprache und Wahrnehmung von Hunden. Viel später kam Jupiter, mein erster eigener Hund, zu mir. Er war ein Parson Russell Terrier und ein Hund, den der Himmel schickte. Jupiter verstand superschnell und war mir emotional sehr nah. Leider ist er viel zu früh an Staupe gestorben. Danach wurde Sammy, auch ein Parson, mein ständiger Begleiter und blieb stolze 16,5 Jahre. Sammy war ein ausgesprochen unabhängiger Hund. Er hat gemacht, was er wollte, was er nicht wollte, hat er nicht gemacht. War er genervt, fing er gern an zu hüsteln. Heute, mit Buddy, arbeite ich in der Hundeerziehung bewusster als früher und setze meinen Körper viel gezielter ein, um meinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. Zugegeben, manchmal komme ich mir dabei albern vor, aber es hilft ungemein. Der Hund versteht mich besser. Psychologen sagen, wenn der Empfänger nicht oder falsch versteht, ist es immer ein Problem des Senders!

 

Herzlichst, Ihr

IMG

Chefredakteur DOGS

IMG

Wolf – Mensch – Hund eine uralte Beziehung in neuem Licht

IMG

Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Tiere können viel mehr als wir bisher dachten. Doch auch in uns Menschen ist die tierische Vergangenheit immer noch lebendig.

Ein Paradigmenwechsel

Es ist noch nicht lange her, da lebten Hunde einfach neben uns Menschen. Sie mussten machen, was wir ihnen befahlen. Das ist heute anders. Ein grundsätzlicher Wandel hat stattgefunden, weg von Dominanz und strenger Hierarchie, hin zu Kooperation und Partnerschaft.

Bis vor einigen Jahrzehnten war es dem Menschen relativ egal, was der Hund empfand. Solange er seinen Zweck erfüllte, wurde er gefüttert und versorgt. Meine Mutter wurde auf einem Bauernhof in der Eifel geboren. Die Hofhunde, meist Schäferhunde, waren wie die Kühe und die Katzen auch Nutztiere. Sie lebten tagsüber im Zwinger, in einer Kälberbox und auch mal an der Kette. Nachts liefen sie frei, um Haus und Hof zu bewachen. Spezielles Hundefutter war meinen Großeltern unbekannt und wäre ihnen wahrscheinlich völlig dekadent erschienen. Die Hunde bekamen, was der Mensch nicht aß.

Ein grundsätzlicher Wandel fand statt

Heute ist das völlig anders. Viele Familienhunde werden ähnlich umsorgt wie Kinder. Sie besuchen die Huta, die Hundetagesstätte, während Herrchen und Frauchen arbeiten gehen, und wenn sie dort abgeholt werden, erzählt die Hundesitterin genau, was der Liebling den Tag über erlebt und gelernt hat. Schwimmkurse und Frühförderung für Hunde sind an der Tagesordnung. Das Leben für den Hund ist in den letzten 50 Jahren nicht unbedingt besser oder schlechter geworden, nur anders. Nie zuvor wurden gerade in Großstädten so viele Hunde gehalten wie jetzt, fast ausschließlich als Sozialpartner, als tierisches Familienmitglied. Und nie zuvor war das Bedürfnis, das Wesen des Hundes und seine Sprache zu verstehen, größer als heute.

Über die Sprache der Hunde und die richtige Weise, sich mit diesen Tieren zu verständigen, gab es noch nie so viele Informationen wie heute. Doch das macht es nicht unbedingt leichter. Je menschenähnlicher der Status von Hunden wird, desto eher vermenschlichen wir die Kommunikation mit ihnen. Das führt zu vielen Missverständnissen und zu sogenanntem Problemverhalten, wie Raufen oder unkontrolliert Jagen. Wir glauben, der Hund verstehe jedes Wort, und merken nicht, wie oft man aneinander vorbeiredet. Der Satz: »Aus heiterem Himmel hat er plötzlich ...« ist in der Regel falsch. Vielmehr sind uns Menschen die entsprechenden Signale des Hundes entgangen, oder wir haben sie schlichtweg nicht richtig gelesen, falsch interpretiert und übersehen, womit er dieses Verhalten ankündigte.

Nicht nur unsere Beziehung zum Hund hat sich verändert, sondern unser Verhältnis zur Tierwelt an sich ist im Umbruch. Je mehr wir über Tiere wissen, desto geringer wird anscheinend der grundsätzliche Unterschied zwischen ihnen und uns. Fast alles, worin man glaubte, als Mensch einzigartig zu sein, entdeckt die Forschung gerade in abgewandelter Form auch im Tierreich. Soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl, Fairness, Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit und vorausschauendes Handeln sind nicht exklusiv menschlich, sondern haben sich ebenso aus dem Tierreich entwickelt, wie unser Körper und unser Verstand. Dass Tiere Stimmungen wie Stress oder Begeisterung empfinden und ausdrücken können, ist unter den meisten Wissenschaftlern inzwischen kein Streitpunkt mehr. Anstelle der traditionellen Rangfolge von Mensch und Tier ist etwas anderes getreten: Die Erkenntnis, dass Tiere nur anders sind. Sie sprechen und denken zwar nicht wie wir, aber sie sprechen und denken. Unser Nichtverstehen ist kein Beleg für ihr Unvermögen, im Gegenteil, manchmal scheint es so, als ob insbesondere der Hund uns besser kennt und versteht als wir uns selbst.

IMG Sammy und ich

IMG

Ich sitze am Schreibtisch und arbeite. Mein Hund Sammy kommt ins Zimmer, bleibt stehen und sieht mich an. Als ich nicht reagiere, stupst er zart mit seiner Nase an mein Knie. Er schaut zu mir hoch. Unsere Blicke treffen sich und halten einander fest. Ich beuge mich hinunter, um ihn zu streicheln. Sammy schmatzt, drückt den Rücken durch und streckt sich meiner Hand entgegen. Sein Schmatzen wird lauter, als ich ihn hinter seinen Ohren massiere. Ein Außenstehender könnte meinen, dieser Hund braucht Aufmerksamkeit, bettelt um Zuwendung. In Wirklichkeit ist es ein Austausch, ein Geben und Nehmen. Die Freude des Hundes wird zu meiner Freude, und ich genieße die Berührung ebenso wie er. Als ich meine Hand wegziehe und mich aufrichte, scheint er kurz abzuschätzen, ob ich nur eine Pause einlege oder das Tête à Tête tatsächlich beende. Als er sieht, dass ich mich wegdrehe und weiterschreibe, dreht auch er sich um, geht durch die Tür und macht sich auf die Suche nach einem anderen Zeitvertreib.

Ein Stück Wildnis im Wohnzimmer

Domestikation, also Haustierwerdung, wurde lange Zeit als Naturbeherrschung, als »Zähmung der wilden Bestie« beschrieben. Noch Konrad Lorenz, der berühmte österreichische Verhaltensforscher und Nobelpreisträger, verstand Mitte des letzten Jahrhunderts die Haustierwerdung als einen Verlust der Wildheit. Lorenz sah in den Veränderungen der instinktiven Verhaltensmuster domestizierter Tiere Symptome des Verfalls. Dagegen verstehen heutige Verhaltensbiologen Domestikation nicht mehr als einen Akt der Zähmung oder als Vorboten des Niedergangs der Art, sondern als die Fähigkeit eines Tieres, sich an ein Leben mit dem Menschen anzupassen. Und kein Tier ist so gut angepasst an das Leben mit uns Menschen wie der Hund. Zu dieser Erkenntnis beigetragen hat nicht zuletzt die moderne Wolfsforschung. Seitdem die Telemetrie systematische Freilandbeobachtung von Wölfen erlaubt, ist das Wissen über diese Tierart geradezu explodiert. Insbesondere das Bild von der strengen Hierarchie im wölfischen Sozialverband hat sich in Luft aufgelöst. Alpha-Tiere dominieren das Rudel keineswegs mit Härte und Gewalt, sondern sorgen freundlich und als einschätzbare, verlässliche Sozialpartner für die Verbundenheit der Gruppe. Chef ist, wer ausgeglichen ist, das Rudel zusammenhält und seinen Fortbestand sichert. Im Umgang mit Hunden hat dieser Paradigmenwechsel weg von der Dominanz, hin zur Kooperation eine Art Kulturrevolution angestoßen.

IMG

Partnerersatz, Spielkamerad und Couch-Kuschler: Kein Tier lebt so dicht und so vertraut mit Menschen zusammen wie der Hund. Biologisch gesehen ist ein Hund aber immer noch ein Raubtier.

Hunde verstehen Körpersprache

Hunde sprechen, aber nicht mit Worten, sondern mit ihrem Körper. Sie registrieren jede Bewegung, jede Veränderung in der Körperhaltung ihres Gesprächspartners. Wenn wir uns vorbeugen, und sei es auch bloß einen Zentimeter, könnte dies eine Aggression darstellen. Lehnen wir uns dagegen zurück, fühlen sie sich eingeladen und zu uns hingezogen. Wenn wir uns aufrecht hinstellen und
 die Schultern anspannen, wird der Hund eher unseren Anweisungen folgen, als wenn wir die Schultern hängen lassen. Ruhig und gleichmäßig atmend können wir eine Anspannung lösen, aber wenn wir die Luft anhalten, können wir sie zum Ausbruch bringen. Hunde achten sehr genau darauf, ob unser Gesicht und die Gesichtsmuskeln entspannt sind, weil das unter Hunden wichtige Zeichen sind. Menschen mit einem guten Körpergefühl, denen also jederzeit klar ist, was ihre Hände, ihre Füße, ihre Augenbrauen oder ihre Schultern gerade tun, haben es daher leichter, einem Hund ihre Botschaft zu vermitteln.

IMG

Nicht immer kommen unsere Botschaften beim Hund an. Manchmal kann und manchmal will er uns ganz einfach nicht verstehen.

Meine Botschaft

Jedem aufgeregten Kind kann man sagen: »Jetzt hol mal tief Luft und hör gut zu.« Bei Hunden funktioniert das nicht. Sie leben in ihrer eigenen Welt. Um den Hund wirklich zu erreichen, muss der Mensch in diese Welt reingehen und versuchen zu verstehen, wie Hunde fühlen und denken. Und genau das möchte dieses Buch Ihnen erklären. Welchen Handlungsrahmen hat ein Hund überhaupt? Was ist Hunden wichtig und worüber unterhalten sie sich? Was können wir von einem Hund erwarten und was nicht?

Und noch etwas möchte dieses Buch Ihnen vermitteln. Nämlich die Idee, dass die Beschäftigung mit dem Wesen des Hundes eine Chance ist, über die eigene Persönlichkeit nachzudenken und sich selber besser zu verstehen. Wie selbstsicher bin ich, wie authentisch und klar? Wer seinen Hund anschaut, blickt in einen Spiegel, in einen Spiegel der eigenen Persönlichkeit. Weil Hunde auf Körpersprache reagieren, spiegeln sie den Grad unserer Authentizität wider. Denn unser Körper macht ständig Aussagen, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Am besten kommunizieren Menschen, die es schaffen, ihre Körpersprache mit dem in Einklang zu bringen, was sie übermitteln möchten. Solche Menschen empfinden wir als glaubwürdig, weil wir uns darauf verlassen können, dass wir ihre Botschaft verstehen. Da ist nichts unklar, doppeldeutig oder verborgen. Sie wirken sicher und unmissverständlich. Und genau an diesem Punkt wird das Erlernen der Hundesprache zu mehr als nur Vokabeltraining. Wer lernen möchte, authentisch zu sein, arbeitet an seiner Persönlichkeit.

IMG

Kinder und Hunde sind authentisch. Sie zeigen ihre Gefühle offen.

IMG

Wie erfährt Hund der seine Welt?

IMG

Im Kontakt mit der Mutter und den Geschwistern lernen die Welpen die artgerechte Kommunikation.

Die Kinderstube prägt den Hund

Vom Tag seiner Geburt an kann der Welpe riechen. Ab dem Augenblick, wo er Augen und Ohren öffnet, beginnt seine Sozialisierung. In dieser sensiblen Phase der Welpenzeit merkt sich der Hund, wer zu seiner sozialen Matrix gehört. Im Zusammensein mit Mutter und Wurfgeschwistern lernt er, sich richtig zu verhalten. Viel wichtiger als zum Beispiel Dogdance ist es also für Welpen und junge Hunde, gute Beziehungen aufzubauen – zu Artgenossen und zu Menschen.

Die Welpen- und Junghundphase ist die Zeitspanne von etwa 24 Monaten, in der ein Hund körperlich, geistig und emotional heranreift. In dieser Zeit muss er an unterschiedlichste Menschen, Orte, Gegenstände und an Regeln gewöhnt, das heißt sozialisiert werden. Jedes Mal, wenn Ihr Welpe etwas Neues erlebt, neue Orte kennenlernt, fremden Menschen oder sogar anderen Tierarten begegnet, sammelt er wertvolle Erfahrungen.

Die Grundlage für eine gelungene Sozialisation des Hundes ist seine Kinderstube. Seine Mutter bringt ihm bei, Autorität zu respektieren, was ihn für den späteren Halter leichter erziehbar macht und wodurch er sich besser an die Familie anpasst. Rangeleien mit seinen Geschwistern trainieren seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten und formen seinen Charakter. Außerdem lernt er dadurch, angemessen mit Artgenossen zu kommunizieren. Welpen haben angeborene Verhaltensmuster zur Kommunikation. Diese müssen jedoch durch Lernen noch perfektioniert und erweitert werden. Daher ist es von großer Bedeutung, sie nicht zu früh von ihrer Mutter und den Geschwistern zu trennen.

Prägung und Sozialisierung

Die meisten Theorien über die Entwicklung von Welpen entstanden durch die Beobachtung von Wölfen und wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren vor allem an Beagles nachvollzogen. Dabei handelte es sich jedoch um Laborhunde, die kaum Menschenkontakt hatten. Damals trennte man die sogenannte Prägephase in der vierten bis siebten Woche strikt von der Sozialisierungsphase, die etwa von der 8. bis zur 14. Woche reicht. In der Prägephase macht der Welpe erstmals nennenswerte Lebenserfahrungen, indem er in ersten Raufereien mit den Wurfgeschwistern seine soziale Stellung testet. Unter Sozialisierung versteht man, dass der Hund die Lebewesen und Dinge kennenlernt, mit denen er in seinem späteren Leben zu tun haben wird. Jetzt wird eingeübt, welche Regeln für den Kontakt gelten. Mittlerweile sind die Grenzen zwischen Prägung und Sozialisation allerdings verschwommen, und zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das Gehirn der Hunde flexibler und länger plastisch ist, als man früher angenommen hat. Hunde können ohne Weiteres auch nach der 14. Lebenswoche an neue Menschen und Situationen sozialisiert werden.

Außerdem ist man inzwischen der Ansicht, dass Hunde und andere hoch entwickelte Säugetiere keine Prägephase im klassischen Sinne haben. Es gibt sowohl bei Hunden als auch Menschen Zeitabschnitte, in denen Erfahrungen eine besonders nachhaltige Wirkung haben, und die kommen während der gesamten Lebensdauer immer wieder vor. Der Welpe befindet sich zwar in einer prägenden Phase, dennoch können Dinge, die in dieser Zeit erlernt werden, später wieder verlernt oder auch modifiziert werden. Sie sind also nicht auf ewig eingeprägt und unveränderbar. Daher spricht man heute bei Hunden nicht von Prägung, sondern von sensiblen Phasen.

IMG

Eine menschliche Familie ersetzt keine Hundefamilie. Wir Zweibeiner verhalten uns einfach nicht so wie Hunde. Ohren auslecken, an der Analdrüse riechen, Maulwinkel stubsen, sich im Dreck wälzen, pföteln – all das machen nur Hunde.

Wie sich die Sinne bei Welpen entwickeln

In den ersten Tagen nach der Geburt sind die Babys noch blind, taub und unfähig zu laufen. Sie wirken insgesamt recht hilflos. Die Natur hat ihnen jedoch von Anfang an sogenannte »Reflexbewegungen« mitgegeben, die sie zum Überleben brauchen. Hierzu gehören die pendelnden Suchbewegungen mit dem Kopf, um die Zitzen der Mutter zu finden, und der Milchtritt. Letzterer dient dazu, das Gesäuge der Mutter zu stimulieren, indem sich der Welpe mit seinen Vorderbeinen an ihrem Bauch abstemmt. So bekommt er außerdem genügend Luft beim Saugen.

IMG info

Hunde sind flexibel

Der Begriff »Prägung« wurde von dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903–1989) eingeführt. Das prägungsähnliche Lernen bei Welpen ist jedoch umkehrbar und damit weitaus anpassungsfähiger als das von Lorenz beschriebene Lernen bei Graugänsen. Diese größere Flexibilität bei Hunden bedeutet, dass nicht »alles zu spät« ist, wenn der Start ins Leben nicht optimal war. Trotzdem besteht die Gefahr, dass Hunde, die unter Stress und reizarm aufwachsen müssen, Verhaltensstörungen entwickeln und sich nur schwer in unser soziales Umfeld einpassen können.

Sechs Schritte ins Leben

Der neugeborene Welpe durchlebt sechs Entwicklungsschritte, bis er zu einem erwachsenen Hund heranreift.

Vegetative Phase: Der Geruchssinn ist zwar noch nicht wesentlich ausgebildet, aber er funktioniert, wie der Tastsinn, vom Tag der Geburt an. Bis zum Alter von zwei Wochen sind Augen und Ohren noch geschlossen. Die Welpen suchen nach den Zitzen der Mutter, trinken und schlafen. Durch muckende Laute während des Trinkens geben sie der Mutter zu verstehen, dass sie sich wohlfühlen. Die Ausscheidungen erfolgen auf die Leckstimulation der Mutter hin.

Übergangsphase: Um den 10. bis 13. Lebenstag öffnen sich die Augen und die äußeren Gehörgänge der Welpen. Bis die Welpen akustische und optische Reize voll wahrnehmen können, dauert es bis zum 17. oder 18. Lebenstag. Ab dieser Zeit sind Hundebabys in der Lage, ihre Köpfe anzuheben, und aus den noch schmalen Sehschlitzen beobachten sie interessiert Mutter und Geschwister. Zudem können sie selbstständig Harn und Kot absetzen und entfernen sich dazu vom Lager. Jetzt unternehmen Welpen auch ihre ersten Steh- und Laufversuche. In der dritten bis vierten Lebenswoche brechen bei den Hundejungen die ersten Zähne durch. Welpen nehmen ihre Umwelt nun verstärkt wahr und müssen eine Vielzahl neuer Eindrücke verarbeiten.

Primäre Sozialisation: Sie vollzieht sich in der vierten bis siebten Woche. Die Hundemutter stillt ab. Jetzt beginnt das soziale Spielverhalten, die Welpen lernen die Beißhemmung, indem sie von ihren Geschwistern knurrend zurechtgewiesen werden, wenn sie zu grob waren. Gegen Ende der vierten Lebenswoche verlassen die Welpen erstmals ihr Wurflager und erkunden die nähere Umgebung. Neugier und Lernfähigkeit der Kleinen sollten wir uns nun zunutze machen und sie in Kontakt mit vielerlei Umweltreizen bringen.

Sekundäre Sozialisation oder Sozialisierungsphase: Sie findet in der 8. bis 14. Woche statt. Die Welpen lernen über intensive Sozialspiele mit Artgenossen die Auseinandersetzung mit der Umwelt, bilden ihr Sozialverhalten aus und erlernen die hündische Kommunikation.

Junghundephase: Sie dauert bis zur Pubertät, die je nach Rasse im sechsten bis neunten Monat einsetzt. In dieser Zeit übt und verfestigt der Hund sein Sozialverhalten und seine Kommunikationsfähigkeit. Statusverhältnisse in der sozialen Gruppe etablieren sich.

Nach der Pubertät: Der junge Hund ist nun körperlich erwachsen. Die soziale Reife ist bei großen Rassen zum Teil erst im Alter von 36 Monaten erreicht.

IMG

Mit diesem Rempler sagt der Kleine seinem Kollegen: »Weg da! Das gehört mir.« Diese Botschaft wird verstanden.

Umzug in die Menschenfamilie

Laut Tierschutz-Hundeverordnung darf ein Welpe in Deutschland erst nach Vollendung der achten Lebenswoche von der Mutter getrennt werden. In Österreich ist die Abgabe der Welpen erst mit neun Wochen erlaubt, wohingegen es in England absolut üblich ist, Welpen direkt nach dem Abstillen mit sechs oder sieben Wochen zu vermitteln. Es scheint also unterschiedliche Ansichten darüber zu geben, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die Welpen von der Mutter zu trennen. Viele Fachleute halten den Wechsel in die neue Umgebung schon mit acht Wochen allerdings für zu früh. Die bisherige Vorstellung, dass die Sozialisierung der Welpen mit der neuen Bezugsperson eine Abgabe zwischen der achten und neunten Woche erforderlich mache, ist inzwischen überholt. Eine zu frühe Trennung von Mutter und Wurfgeschwistern kann sich negativ auf das Wohlbefinden und das Verhalten der Welpen auswirken, vor allem weil die Kommunikation mit anderen Hunden noch nicht ausgereift ist. Diese wird nur durch Kontakt mit Artgenossen gelernt. Positive Effekte einer frühen Abgabe waren hingegen nicht nachweisbar. Es wird daher inzwischen empfohlen, Welpen erst zwischen der zehnten und zwölften Woche abzuholen, es sei denn Aufwachsbedingungen oder Atmosphäre in der Zuchtstätte lassen eine frühe Trennung von Mutter und Geschwistern sinnvoll erscheinen. Ansonsten steht auch einem noch späteren Abholtermin zwischen der 13. und 16. Woche nichts entgegen.

Wichtig: Kontakt zu Artgenossen

Hunde werden nicht menschenfreundlich geboren. Der Grundstein für ein entspanntes Miteinander von Mensch und Hund wird im Welpenalter gelegt. In dieser Zeit sollen die Vierbeiner sozial kompetent und umweltsicher werden. Soziale Kompetenz, also hündische Umgangsformen wie »bitte« oder »danke«, lernt der Kleine aber am besten in der Gemeinschaft mit Artgenossen, nicht von Menschen. Sie zeigen ihm, wann und wie er weichen, meiden oder beschwichtigen muss.

Die meisten Familienhunde wachsen jedoch recht isoliert auf. Denn bereits mit etwa acht Wochen kommen sie zu Menschen, die oftmals noch hundeunerfahrener sind als der Welpe selbst. Missverständnisse und Verhaltensstörungen sind häufig die Folge. Viele Hundeneulinge meinen nämlich, sie müssten den Junghund einfach nur überallhin mitnehmen und ihn unsere Welt erfahren lassen, damit er später zu einem gelassenen und alltagstauglichen Vierbeiner wird. Sie zeigen ihm nicht, wie man sich in der Hundewelt benimmt, weil sie es selbst nicht wissen. Der junge Hund lernt nicht, Konflikten aus dem Weg zu gehen oder sich deeskalierend zu verhalten. So kommt es, dass er dem Blick eines dominanten Artgenossen unbedarft standhält, statt zur Seite zu schauen. Womöglich springt er sogar ungestüm und mit dem Gefühl »Hoppla, hier komm ich« in ihn hinein statt höflich Distanz zu wahren. Er tappt von einem Fettnapf in den nächsten. Unsere menschlichen Sinne funktionieren außerdem ganz anders als die des Hundes. Unterbewusst spielen Gerüche für uns zwar ebenfalls eine Rolle. Konkrete Hinweise auf Stimmung und Charakter unseres Gesprächspartners erhalten wir aus dessen Duft jedoch nicht. Das einzige, was wir unserem Welpen daher anbieten können, ist eine klare, respektvolle und freundliche Art der Kommunikation, der Wille, seine Sprache zu lernen und zu verstehen, und ihm möglichst viel Kontakt zu gut sozialisierten, erwachsenen Hunden zu bieten, am besten in der eigenen Familie.

IMG

Kinder gehen oft aus dem Bauch heraus richtig mit Welpen um. Sie machen sich klein und reden mit hoher Stimme.

IMG

Hunde sind Nasentiere, die Welt erschließt sich ihnen über den Geruch.

Die Nase als Tor zur Welt

Riechen, hören, sehen – in dieser Reihenfolge tritt der Hund mit seiner Umwelt in Kontakt. Nase, Ohren, Augen, diese Abfolge prägt die Wahrnehmung des Hundes ein Leben lang. Der Geruch liefert dem Hund die entscheidenden Informationen, auch bei der Kommunikation. Er verrät ihm, wer sein Gegenüber ist. Wie dieser Jemand aussieht oder was er sagt, ist für Hunde Nebensache.

Verglichen mit der Flut an visuellen Eindrücken, die täglich auf uns einströmen, spielen Gerüche in unserem bewussten Denken nur eine untergeordnete Rolle. Wenn wir ein Zimmer betreten, nehmen wir Farben, Umrisse, Oberflächen, Licht und Schatten wahr. Gerüche hingegen dringen erst in unser Bewusstsein, wenn sie besonders gut oder besonders abstoßend sind. Wollen wir Menschen ein Ding genau erkunden, betrachten wir es zuerst von allen Seiten. Erst wenn uns das Angucken keinerlei Aufschluss über das unbekannte Objekt gibt, nehmen wir es in die Hand und befühlen es. Vielleicht riechen wir auch mal daran oder strecken sogar unsere Zunge aus, um daran zu lecken. Bei Hunden ist diese Reihenfolge eigentlich genau anders herum. Sie strecken erst einmal ihre Nase vor und riechen. Und dabei nehmen sie ganz andere Dinge wahr als Formen, Farben und Funktionen. So wie für uns Augen und Hände das Tor zur Welt sind, erschließt sich dem Hund die Welt durch die Nase. Und seine Geruchswelt ist mindestens ebenso facettenreich wie unsere Welt der Bilder. Die Geruchsempfindlichkeit des Hundes ist je nach Stoff bis zu 10.000.000-mal höher als beim Menschen.

Der Duft liegt in der Luft

Riecht ein Hund an einer benutzten Tasse, weiß er nicht nur, welches Getränk sie enthalten hat, ob es gesüßt war oder nicht, er weiß auch, wer diese Tasse zuvor in der Hand gehabt hat, wie lange das her ist, ob es ein Mann war oder eine Frau, und wahrscheinlich weiß er auch, wie sich dieser Mensch gefühlt hat, während er aus besagter Tasse trank: Ob er glücklich war, gestresst oder krank.

Dazu braucht es nicht mal viele Duftmoleküle, ein Fingerabdruck reicht. Denn wenn wir einen Gegenstand berühren, hinterlassen wir etwas von uns darauf: Abrieb von unserer Haut mitsamt ihren Bakterien, die sich unter anderem von Hautschuppen und Schweiß ernähren. Etwa zwei Wochen bleiben diese Hautbakterien unverändert an Gegenständen haften. Das ist unsere Duftsignatur, sozusagen ein bakterieller Fingerabdruck.

Aber es kommt noch besser: Wir müssen Dinge nicht einmal berühren, damit Hunde uns riechen können. Denn während wir gehen, stehen und laufen, verlieren wir einen Cocktail bestehend aus Hautschuppen, Schleimtröpfchen, Körperzellen, Ausatemluft, Schweiß und Haaren. Den Schweiß können Hunde besonders gut riechen, denn er enthält sogenannte flüchtige Fettsäuren, wie Ameisen-, Essig- oder Buttersäure. Außerdem liegt er bei jedem Menschen in einer ganz persönlichen Mischung vor, die je nach Stimmungslage des Menschen auch noch in sich variieren kann. Dieses Aroma aus Informationen über uns liegt selbst dann noch in der Luft, wenn wir schon lange nicht mehr in der Nähe sind.

So können Suchhunde, sogenannte Mantrailer, den Duft, den eine Person hinterlassen hat, noch Tage später verfolgen, sowohl draußen in der Natur als auch in der Stadt. Dabei ist es egal, ob die betreffende Person selbst gegangen ist, also ihre Fußabdrücke auf dem Boden hinterlassen hat, mit dem Fahrrad unterwegs war oder getragen wurde. Wie das geht? Hunde können die Spur eines einzelnen Menschen oder eines Tieres selbst dann noch verfolgen, wenn andere Tiere oder Menschen kreuz und quer darübergelaufen sind, oder sogar wenn eine ganze Herde derselben Art sie gekreuzt hat. Wir Menschen können zwar einen bestimmten Geruch wahrnehmen, verlieren aber im Gegensatz zum Hund sofort den Kontakt, wenn er von einem anderen, stärkeren Geruch überdeckt wird.

Außerdem können Hunde auch die Laufrichtung bestimmen. Denn die Frische eines Duftes wie des Individualgeruchs nimmt mit der Richtung zu, in die eine Person gegangen ist. Und diese Fähigkeit, die Bewegungsrichtung eines Geruchs zu bestimmen, kann bislang kein technisches Gerät der Welt leisten. Bislang – denn in Amerika wird versucht, ein Gerät mit den Qualitäten einer Hundenase zu entwickeln. Ob das klappt?

IMG

Ein Objekt, das die Neugierde weckt, wird zuerst von allen Seiten beschnuppert.

Ein Hauch von Vergangenheit und eine Prise Zukunft

Etwas, das nicht im Raum ist, können wir Menschen nicht wahrnehmen. Ganz anders der Hund. Ein Mensch, der schon vor Stunden den Raum verlassen hat, ist für ihn noch tagelang riechbar, in seiner Gegenwart also immer noch präsent. Aufgrund ihrer Lebensdauer geben Gerüche Aufschluss über Zeit: Je intensiver der Duft, desto »jünger« ist er. Sind Gerüche schwächer oder überdeckt, stehen sie für Vergangenes. Gerüche künden auch die Zukunft an. Denn das, was wir noch gar nicht sehen, weht dem Hund als Duft bereits in die Nase.

Das bedeutet: Das »Fenster«, durch das der Hund die Gegenwart geruchlich wahrnimmt, ist größer als unser visuelles. Er »sieht« nicht nur das, was gerade geschieht, sondern auch ein bisschen vom soeben Geschehenen und von dem, was gleich geschehen wird – einen Hauch von Vergangenheit und eine Prise Zukunft.

Das bedeutet, Menschen und Hunde »sehen« das Jetzt anders. Dadurch ergeben sich bei der Erziehung viele Missverständnisse, die wir oft als Fehlverknüpfungen wahrnehmen. Wenn sich Hunde schwer tun, etwas von uns zu lernen, dann liegt das oft daran, dass wir sie nicht richtig verstehen, weil wir die Gegenwart unterschiedlich erleben.

IMG

Beim Auffinden von Minen, Sprengstoff, Drogen oder Menschen sind Suchhunde unschlagbar. Sie haben gelernt, ihre Fähigkeiten in den Dienst des Menschen zu stellen.

Wunderwerk Nase

Anatomisch gesehen ist die Hundenase ähnlich aufgebaut wie die des Menschen. Beide verfügen über eine durch die Nasenscheidewand in zwei Hälften geteilte Nasenhöhle. Sie ist zum Teil ausgekleidet mit dem sogenannten Riechepithel, einer dünnen Schleimhaut, die bei uns Menschen etwa 25 Quadratzentimeter misst. Bei einem großen Hund mit langer Nase können es bis zu 250 Quadratzentimeter sein! Das liegt daran, dass bei ihm der Bereich mit der Riechschleimhaut in viele Falten gelegt ist, wodurch sich die Oberfläche enorm vergrößert. In diese Schleimhaut eingebettet liegen die Riechzellen. Das sind Sinneszellen, die über den Riechnerv mit dem Gehirn verbunden sind. Riechzellen wachsen kontinuierlich und haben einen Lebenszyklus von ein bis zwei Monaten. Sie sind die einzigen Nervenzellen, die sich lebenslang immer wieder erneuern. Mit den 10 bis 20 Millionen Riechzellen, die wir Menschen haben, wirken wir im Vergleich zu den 100 bis 300 Millionen Riechzellen der Hunde ziemlich schlecht ausgestattet. Wissenschaftlich ausgedrückt sind wir Menschen Mikrosmaten (Wenigriecher), Hunde dagegen Makrosmaten (Vielriecher).

Das liegt aber nicht nur an der unterschiedlich großen Riechschleimhaut und der Anzahl der Riechzellen. Eine ebenso wichtige Rolle spielt das Gehirn. Hier werden die eintreffenden Daten verarbeitet und ausgewertet. Das Gehirn eines Menschen hat etwa die zehnfache Größe eines Hundegehirns. Trotzdem ist das Riechhirn eines Hundes absolut größer als das des Menschen. Während unser Riechhirn etwa 500 Quadratmillimeter misst, stehen einem großen Hund etwa 7000 Quadratmillimeter zur Verfügung. Beim Hund dient also ein viel größerer Anteil seines Gehirns, nämlich zehn Prozent, der Funktion Riechen, bei uns nur ein Prozent.

IMG info

Einen Hund kann man nicht belügen

Hunde können riechen, wie wir uns fühlen, und stellen sich in ihrem Verhalten entsprechend darauf ein. Wenn wir einen Hund loben, sollten wir das daher immer von ganzem Herzen tun und auch wirklich ehrlich meinen. Halbherziges Tätscheln und gekünstelte Freude können den Hund nicht über unsere wahren Gefühle hinwegtäuschen. Selbst wenn wir Stimme und Körpersprache perfekt verstellen würden, unseren Körpergeruch können wir nicht verändern, und der Hund nimmt diesen Widerspruch wahr. Respekt und Vertrauen schenkt uns der Hund aber nur, wenn wir authentisch sind, wenn also Fühlen, Denken und Handeln übereinstimmen – oder aus der Perspektive des Hundes gesprochen, wenn unser Geruch zu unserer Körpersprache und zu unserem Verhalten passt.

Über die Nase die Umwelt »sehen«

Im Lauf der Evolution hat sich die Hundenase zu einem Instrument der Dufterkennung entwickelt, das elektronischen Instrumenten weit überlegen ist. Hunde kennen Düfte, die uns Menschen immer verborgen bleiben werden. Sie nehmen Gerüche aktiver auf als wir. Sie warten nicht ab, bis sie zufällig einen Duft in die Nase bekommen, sondern gehen zielstrebig auf ihn zu. Zusätzlich kann der Hund die Herkunft eines bestimmten Geruchs über die Luftströme genau orten, denn er ist aufgrund seiner beweglichen Nase in der Lage zu erkennen, ob ein Geruch eher von links oder von rechts kommt.

Beim Schnuppern unterbricht der Hund seine normale Atmung, bei der die Luft durch die Nase in die Lungen fließt. Beim »Schnüffeln« hingegen verbleibt die Atemluft längere Zeit in den Nasenkammern. Dabei intensiviert der Hund die Atmung – er kann bis zu 300-mal pro Minute atmen –, wodurch er maximale Duftinformationen aufnimmt. Hundenasen haben noch einen weiteren Vorteil: Sie sind immer feucht. Im klebrigen Schleim der Nasenhöhlen werden die Duftmoleküle aus der Luft gesammelt und gelöst. Feine Flimmerhärchen im Inneren der Nase schieben die Duftmoleküle weiter zu den Riechzellen. Von diesem Schleim produziert ein mittelgroßer Hund täglich etwa einen halben Liter – daher sollte er immer genug Trinkwasser zur Verfügung haben.

Düfte bestehen aus vielen unterschiedlichen Komponenten. Was als unverwechselbarer Duft wahrgenommen wird, ist in der Regel ein Gemenge aus Hunderten oder Tausenden von unterschiedlichen Bestandteilen. Die Fähigkeit von Hunden, eine Mischung von Gerüchen in einzelne, identifizierbare Düfte zu zerlegen, gleicht in etwa dem Auflösungsvermögen unserer Augen. Wenn wir zum Beispiel in eine Küche kommen, wo gerade Tomatensauce gekocht wird, erkennen wir am Geruch, um welches Gericht es sich handelt, während ein Hund uns die einzelnen Zutaten des Rezeptes aufsagen könnte.

IMG

Geruch verhält sich ganz anders als feste Materie. Er tanzt in der Luft, bewegt sich, wabert und flimmert. Er liegt in Schichten übereinander und ist nie plötzlich weg. Gerüche haben eine Lebensdauer. Je intensiver der Duft, desto niedriger sein Alter.

IMG Sammy und ich

Sein Hals wird immer länger und bildet fast eine Linie mit der Nase. Nur der schwarze Nasenspiegel zuckt. Konzentriert starrt Sammy auf eine Stelle im Grün am Wegesrand. Dann pirscht er vorsichtig nach vorn und schiebt seine Nase unter ein Büschel mit fleischigen Blättern. Er leckt daran, schmatzt, scheint den Geruch über die Zunge schmecken zu wollen. Dabei tänzelt er von rechts nach links und untersucht den Duft von allen Seiten. Als er schließlich sein Bein hebt und markiert, weiß ich, dass hier ein Hund eine Botschaft hinterließ und Sammy ihm auf Hundeart geantwortet hat.

Gerüche »schmecken«

Im Prinzip hat ein Hund zwei Möglichkeiten zu riechen: erstens über das oben beschriebene Riechfeld im Inneren der Nasenhöhle und zweitens über das sogenannte Vomeronasalorgan am Gaumendach, auch Mund-Riech-Organ oder Jacobson’sches Organ genannt. Zwar besitzen auch wir Menschen ein Vomeronasalorgan, allerdings nur in verkümmerter Form. Beim Hund ist es für das Erkennen von Pheromonen (siehe >) zuständig. Es analysiert speziell diejenigen Gerüche, die Informationen über Geschlecht, Fortpflanzungsstatus und Rangstellung von Artgenossen liefern. Das Vomeronasalorgan ist sozusagen auf die Sozialdüfte spezialisiert. Alle anderen Düfte, also die ohne soziale Relevanz, werden vom Riechfeld am Nasengrund wahrgenommen. Die Eindrücke, die der Hund über das Jacobson’sche Organ gewinnt, werden direkt an das limbische System weitergeleitet, den Teil des Gehirns, der für Gefühle zuständig ist. Dort werden Gerüche und die damit empfundenen Gefühle kombiniert abgespeichert.

Hat ein Hund zum Beispiel bestimmte Pheromone als beglückend erlebt, wird er immer wieder versuchen, an diesen Duftmarken zu riechen. Dann wirkt allein der Geruch als Reizauslöser und ist bereits selbstbelohnend.

Duftgesteuertes Verhalten

Nicht nur äußerlich wird das Gesicht des Hundes von der Nase dominiert. Viele Triebe werden beim Hund über den Geruch angesprochen, etwa der Sexual- und der Beutetrieb. Lange bevor wir etwas gesehen oder gehört haben, entfacht der Duft einer läufigen Hündin oder eines Rehs den Instinkt unseres Vierbeiners und er stürmt davon, während wir überrascht, weil geruchsblind zurückbleiben. Wer mit seinem Hund in den Wald geht, sollte daher vorher seine Hausaufgaben gemacht und die Körpersprache seines Hundes kennen, das heißt, wie er aussieht, wenn er Interessantes in der Nase hat. Nur dann können Sie ihn vielleicht noch rechtzeitig unterbrechen und abrufen.

Doch die Realität sieht anders aus. Die meisten Hundebesitzer gehen viel zu früh und viel zu oft im Wald spazieren. Dabei gibt es kaum einen Reiz, der den Hund instinktiver anspricht als der Geruch von Reh, Hase und Kaninchen. Die Beziehungswaage aus Respekt und Interesse müsse gut ausgependelt sein, um den Hund zum Stillstand zu bringen, wenn diesen das Jagdfieber packt, meint Trainerin Tanja Schweda. Was es schwierig macht: Der Hund nimmt den Geruch von Wildspuren wahr, wir nicht. Er wird nur über die Körpersprache des Hundes für uns sichtbar. Und dann ist es oft zu spät.

IMG

Hier haben Artgenossen interessante Botschaften hinterlassen. Das Schnüffeln ist für den Hund, als ob wir die neuesten Nachrichten aus der Tagespresse erfahren.

IMG

Windhunde wurden in den Steppen und Wüsten Asiens und Afrikas gezüchtet, um schnelle Beute auf Sicht zu hetzen.

Ich sehe was, was du nicht siehst!

Das Auge ist – vor dem Ohr – das zweitwichtigste Sinnesorgan des Hundes. Zwar besitzt das Auge eines Hundes deutlich weniger Sehnerven als das des Menschen, aber in zwei Bereichen ist es dem menschlichen Auge überlegen: im Wahrnehmen von Bewegungen und im Sehen bei Dämmerlicht.

(siehe >)