… ein Stück echten Jungmädchenlebens. Britt-Mari schreibt sich in zahllosen Briefen alles von der Seele runter, was sich da Tag für Tag so anhäuft. Sie erzählt von ihrem merkwürdigen, aber wunderschönen Elternhaus, von Schulsorgen und ersten Liebesschmerzen, und zwar ganz natürlich und unsentimental. Britt-Mari ist nämlich kein alberner Backfisch, wie er hin und wieder immer noch in Jungmädchenerzählungen herumgeistert. Sie ist so, wie wir alle einmal waren und wie heute unsere heranwachsenden Töchter sind, sehr kritisch, ziemlich empfindlich, hin und wieder unsicher und ein bißchen verschreckt vor dem eigenen Älterwerden. Astrid Lindgren ist eine gute Psychologin, sie versteht etwas von dem, was in einem jungen Mädchen vorgeht, und dadurch ist sie imstande, Antworten auf quälende Fragen zu geben. Ganz abgesehen davon, daß ihr amüsanter Plauderton die Herzen aller Leserinnen im Sturm gewinnt.
Astrid Lindgren wurde 1907 im schwedischen Småland geboren und starb 2002 im Alter von 94 Jahren in Stockholm. Zu den berühmtesten Büchern der »bekanntesten Kinderbuchautorin der Welt« (DIE ZEIT) gehören neben Pippi Langstrumpf die Geschichten über die Kinder aus Bullerbü, über Michel, Madita, Kalle Blomquist und Ronja Räubertochter. Astrid Lindgren wurde u.a. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Alternativen Nobelpreis, dem Schwedischen Staatspreis für Literatur sowie dem Hans-Christian-Andersen-Preis ausgezeichnet. Postum wurde sie mit dem Internationalen Buchpreis CORINE geehrt.
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© Text: Astrid Lindgren 1944 / The Astrid Lindgren Company AB
Die schwedische Originalausgabe erschien 1944 bei Rabén & Sjögren, Stockholm, unter dem Titel »Britt-Mari lättar sitt hjärta«
Die deutsche Ausgabe erschien erstmalig 1954 im Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg
Deutsch von Anna-Liese Kornitzky
Cover nach einer Illustration von Helma Baison (1960)
Auslandsrechte vertreten durch The Astrid Lindgren Company AB, Lidingö, Schweden. Mehr Informationen unter info@astridlindgren.se
www.astridlindgren.com
www.astrid-lindgren.de
E-Book-Umsetzung: Arhebis Digital Systems, Timisoara, Rumänien, 2019
ISBN 978-3-86274-467-1
www.oetinger.de
www.oetinger.de/ebooks
20. September
Hallo Kajsa!
Da bin ich schon wieder. Und du ahnst nicht, wie spät es ist oder besser wie früh. Nämlich halb sieben! Und es ist ein blanker klarer Morgen. Das ganze Haus schläft noch, aber ich sitze in unserem Garten unter der Linde und um mich herum blühen Phlox und noch immer massenhaft späte Rosen. Das ist eine Farbenpracht, sage ich dir!
Überhaupt ist der September ein wundervoller Monat, er ist irgendwie glutvoller als der zarte Frühling und von so unbeschreiblicher Schönheit. Ich brauche nur von der Maschine aufzugucken, dann kriege ich geradezu eine Gänsehaut vor Entzücken. Und denk mal dran, was für einen Reichtum uns der September schenkt! Wie herrlich ist es jetzt auf dem Wochenmarkt. Diese bunte Fülle von Äpfeln, Birnen, Pflaumen und Trauben, von Tomaten, Pilzen, Melonen, von Erbsen, Bohnen und Kohl. Und all die Farben, Formen und Düfte! Hab ich nicht Recht mit dem September?
Dazu gehört auch, dass wir dann jedes Jahr unseren Preiselbeerausflug machen. Der fand letzten Sonntag statt. Wir mieten immer eine schöne Kutsche mit zwei Pferden, und wenn wir dann über das Holperpflaster in unserer Hauptstraße rumpeln, weiß die ganze Stadt, die Preiselbeeren sind reif.
»Ich finde es einfach spitze, hier oben zu thronen«, sagt Svante, »und die Pferde zu riechen und zu wissen, ich werde den ganzen Tag lang im Wald sein!« Wir alle nicken zustimmend.
Wir fahren immer zu demselben Bauernhof, der etwa zehn Kilometer weit von der Stadt entfernt liegt. Der Besitzer ist ein ehemaliger Schüler von Papa und in seinem Wald dürfen wir Beeren und auch Pilze pflücken und tun, was wir wollen.
Es wurde ein herrlicher Tag und wir waren fleißig und pflückten, bis alle Körbe gefüllt waren. Aber was heißt eigentlich »wir«? Monika suchte die Wohnung der Wichtel, Jerker schnitt sich Flitzbogen und Svante spielte auf seiner Ziehharmonika oder schlief wohl meistens im Gras. Papa wanderte gedankenvoll umher, untersuchte Pflanzen und beobachtete den Buntspecht. Meine Bescheidenheit verbietet mir Namen zu nennen, aber wahrscheinlich hast du dir schon selber ausgerechnet, wer so fleißig Beeren gepflückt hat. Zwischendurch haben wir natürlich auch gepicknickt. Mir schmeckt das Essen nirgends besser als im Wald, wenn wir alle um ein kariertes Küchentuch im Moos hocken unter hohen, majestätischen Fichten inmitten von rotem Preiselbeergestrüpp.
Jetzt höre ich Alida in der Küche mit dem Frühstücksgeschirr klappern und ich muss mich beeilen, Tee und Toast zu mir zu nehmen, bevor ich in die Schule laufe.
Drück mir die Daumen! Wir schreiben heute eine Bio-Arbeit!
»Das Haus ist still und es dunkelt« und eigentlich ist es längst Schlafenszeit, jedenfalls für ein armes Schulmädchen, das morgen schon in aller Herrgottsfrühe wieder aus den Federn muss. Aber bevor ich hineinkrieche, muss ich dir noch erzählen, was heute los war.
In der Schule war es ziemlich öde, aber mit der Bio-Arbeit ging es besser als befürchtet, nur fiel mir um die Welt nicht ein, dass Insekten durch Tracheen atmen. Dann folgten zwei Stunden Mathe, und da wünsche ich mir immer, ich wäre die Tochter eines netten Steinzeitjägers, dem es genügt, dass seine Kinder Striche in die Wand ritzen können. Und sonst? Ja, Mariann Uddén hat sich mal wieder unmöglich benommen. Mariann ist diejenige, die in unserer Klasse den Ton angibt. Sie hat das Sagen und so eine gibt es ja fast in jeder Klasse, oder? Sie ist erst voriges Jahr bei uns aufgetaucht, weil sie bis dahin zu Hause von einer Gouvernante unterrichtet worden ist (der Papa ist nämlich Direktor einer großen Fabrik), und als sie erschien, blieb uns allen der Mund offen stehen. So schön, so schick und so selbstsicher war sie! Und ist sie, und alle oder fast alle in der Klasse sind ihr total hörig.
Aber mir ist das zu dumm, ich mache diesen Kult nicht mit. Kajsa, jetzt denkst du vielleicht, ich bin nur neidisch, aber ich habe mich ernsthaft geprüft und festgestellt: Nein, das bin ich nicht! Keinen Augenblick wünsche ich mir, so reich, so hübsch und so schick zu sein wie sie! Und damit würde Neid doch anfangen, oder? Nein, was mich an Mariann stört und ärgert, ist, dass sie nicht solidarisch ist und Unfrieden in unsere Klasse gebracht hat!
Und heute hat sie sich etwas echt Gemeines geleistet! Heute brummte uns Fräulein Hedberg in Französisch Nachsitzen mit einer Strafarbeit auf, weil wir alle ziemlich schlampig gearbeitet hatten. Und das passte Mariann natürlich nicht (die Strafarbeit) und in der Pause gab sie die Parole aus, einfach zu streiken und diese Extraseite nicht zu übersetzen. Natürlich protestierte ich sofort, sagte, das sei kindisch und ich würde den Streik nicht mitmachen.
Nun haben wir in unserer Klasse so ein armes Hascherl, wie es wohl in jeder Klasse gibt. Bei uns ist es Britta. Sie steht immer abseits, wird nirgends eingeladen und ist außerdem schlecht in der Schule. Ganz besonders in Französisch, wo sie immer nur knapp um eine Fünf herumkommt. Britta konnte es sich gar nicht leisten zu streiken, und als sie dann auch tatsächlich als Erste rankam ihre Übersetzung vorzulesen, überraschte sie alle mit einem recht ordentlichen Ergebnis und heimste überglücklich ein Lob ein. Als Nächste kam Mariann an die Reihe, die natürlich ihrem eigenen blöden Vorschlag gefolgt war, nichts übersetzt hatte und darum auch nichts vorlesen konnte und nur stumm und patzig dastand. Der ganze Erfolg war, dass ihr ein Tadel eingetragen wurde. Dann kam die Hedberg auf ein anderes Thema und die ganze dumme Geschichte hatte ein Ende.
Aber nicht für Mariann, und jetzt kommt das, was ich so gemein finde. Sie war nicht wütend über sich selber, sondern auf die arme Britta und gab sofort die Parole aus: Britta muss bestraft werden, weil sie »unsolidarisch« gewesen war, und während der nächsten vierzehn Tage sollte keine von uns auch nur ein einziges Wort mit ihr reden. »Wie wär’s denn, wenn wir ihr ein Glöckchen umhängen? «, fragte ich ironisch. » Das kriegten im Mittelalter doch alle Aussätzigen und seitdem scheinen wir ja keine Fortschritte gemacht zu haben.« Damit ließ ich Mariann einfach stehen und ging.
»Wo willst du denn hin?«, rief sie mir nach.
»Britta einholen und sie nach Haus begleiten!«, rief ich zurück.
Ach, weißt du, Kajsa, ich war richtig froh, als ich dann endlich zu Hause war. Es tat gut, wieder unter vernünftigen Menschen zu sein. Ganz zu schweigen davon, wie gut mir Alidas Kohlrouladen schmeckten.
Aber jetzt fallen mir fast die Augen zu. Darum Kuss und Schluss,
Britt-Mari
Småstad, 1. September
Liebe unbekannte Brieffreundin!
Falls du das sein möchstest, was ich natürlich hoffe! In meiner Klasse haben fast alle Mädchen eine Brieffreundin, oder sogar mehrere, nur ich nicht. Und das ist ja nicht normal. Darum wirst du mich verstehen, dass ich wie ein Tiger aus dem Dschungel vorstürzte, als Mariann Uddén heute verkündete, dass du eine Brieffreundin suchst. Jemand hatte ihr deinen Namen mit Adresse genannt.
Und da bin ich nun! Aber ich muss mich wohl erst mal vorstellen: Also, ich heiße Britt-Mari Hagström, bin 15 Jahre alt und gehe in das hiesige Lyzeum.
Wie ich aussehe? (Mein Bruder Svante behauptet, das ist immer das Erste, wonach Mädchen fragen.) Also, ich bin sündhaft schön, habe rabenschwarze Haare, dunkle strahlende Augen und eine Pfirsichhaut – was willst du mehr?
Glaubst du das etwa? Dann muss ich dir leider gestehen, dass ich nur davon träume, so auszusehen. Die Wirklichkeit ist nicht ganz so umwerfend.
Offen gestanden sehe ich aus wie die meisten andern Mädchen auch, ich habe die üblichen blauen Augen, die üblichen blonden Haare und auch die übliche Stupsnase. An mir ist überhaupt nichts Besonderes. Im Grunde bin ich ja froh darüber, denn stell dir vor, ich hätte eine besonders große Warze auf der Nase und ganz besonders krumme O-Beine, na, danke bestens!
Und jetzt zu meiner Familie. Doch nein, davon erzähle ich dir im nächsten Brief. Es ist ja dumm, schon jetzt alles auszuplappern, bevor ich weiß, ob du mir überhaupt antworten wirst.
Ich warte also! Sehr ungeduldig! Ich selber habe einen Schreibtick und werde dich wahrscheinlich mit meinen Ergüssen bombardieren.
Aber ehrlich, ich fände es toll, dich als Brieffreundin zu haben, schon allein deshalb, weil du in Stockholm wohnst. Dann wird mir aus deinen Briefen die Großstadt entgegenbrausen. In unserm kleinen Kaff braust gar nichts, hier plätschert alles nur so dahin. Aber ich schwöre dir, wenn es bei dir braust, wird es bei mir plätschern, Seite auf und Seite ab.
Alles Gute, liebe noch unbekannte Kajsa. Lass bald von dir hören.
Britt-Mari
Alles fing damit an, dass Mama mir ihre alte Schreibmaschine geschenkt hat. Es ist ein großer plumper Klapperkasten, ein wahres Monstrum, bei dessen bloßem Anblick jeden Fachmann der Schlag treffen würde. So scheußlich sieht das Ding aus. Und wenn ich darauf schreibe, macht es einen Höllenlärm. Mein Bruder Svante ließ mich wissen, was er davon hält. Er fragte mich:
»Britt-Mari, hast du schon mal darüber nachgedacht, was für ein Gefühl es ist, wenn ein Presslufthammer aufhört zu hämmern?«
»Nein, wieso, was soll denn die Frage?«
»Na, weil es etwa zehnmal so wohltuend ist, wenn du aufhörst auf diesem Ungetüm herumzuhacken«, antwortete er mit einem verächtlichen Blick auf meine Maschine.
Natürlich ist er nur neidisch. Er hätte sie nämlich wahnsinnig gern selber. Nicht etwa, um darauf zu schreiben, sondern um sie auseinander zu bröseln und dann wieder zusammenzusetzen und danach zu zählen, wie viele Schrauben übrig geblieben sind. Aber Mama hat entschieden, dass Maschineschreiben für mich nützlich sein könnte. Wie auch immer, jedenfalls hab ich sie gekriegt. Und ich freue mich sehr darüber.
Aber es ist schon komisch mit Besitztümern. Alles stellt Ansprüche. Hat man eine Kuh, muss man sie melken. Hat man ein Klavier, muss man drauf spielen, und hat man eine Schreibmaschine, muss man drauf schreiben. Klar, dass ich die ersten Tage wie eine Wilde drauflostippte. Aber nichts Vernünftiges, nur dummes Zeug. Bis mir allmählich aufging, was für eine irre Verschwendung von Papier das ist, wenn auf einem ganzen Bogen nichts weiter steht als:
Britt-Mari Hagström
Villa Ekeliden, Småstad
Britt-Mari Hagström; geb. 15. Juli
15. Juli 15. Juli 15. Juli
und dann die Namen aller meiner Geschwister:
Majken Hagström, Svante Hagström,
Jerker Hagström, Monika Hagström
und dann wieder mein eigener Name:
Britt-Mari Hagström Britt-Mari Hagström
In einem unbewachten Augenblick hatte Svante darunter getippt:
Was soll das ewige Gezeter über Britt-Mari Hagström! Schreib zur Abwechslung doch mal Amanda Finkvist.
Eigentlich hatte er ja Recht. Aber das wollte ich natürlich nicht zugeben und tippte:
ACHTUNG! Auf MEINER Schreibmaschine schreibe ich, was ich will.
Als ich mich später wieder an die Maschine setzte, stand da:
Reek dich nicht auf!
(Mein lieber Bruder ist miserabel in Rechtschreibung.)
Also nahm ich mich zusammen und »reekte« mich nicht auf. Am nächsten Tag spannte ich einen neuen Bogen ein und begann ein Gedicht zu schreiben – ein nach meiner Meinung wunderschönes Gedicht. Leider kam ich nicht über die ersten beiden Zeilen hinaus und die lauteten:
Ich wandle unter Sternen
versunken in tiefe Gedanken.
Dann musste ich in die Schule. Als ich wieder nach Haus kam, hatte Svante mein poetisches Werk vollendet. Und jetzt stand da:
Ich wandle unter Sternen
versunken in tiefe Gedanken
da werden mir die Beine müde
und ich kann nur noch wanken
Außerdem hatte er darunter noch eine Ermahnung getippt:
Denke nicht so viel, sonst drehst du durch!
Mir wurde klar, dass die Maschine für dieses dumme Geplänkel mit Svante zu schade ist. Also machte ich mich daran, richtig tippen zu lernen. Und ich übte und übte, dass mein alter Kasten dröhnte und stöhnte. Und bald konnte ich es – nach allen Regeln der Kunst. Aber wozu? Meine Hausaufsätze durfte ich nicht getippt abliefern. Tagebuch ließ sich nicht auf der Maschine schreiben. Überhaupt habe ich für ein Tagebuch nicht viel übrig. Es bringt doch nichts, sich leerem Papier anzuvertrauen. Dazu braucht man doch einen Menschen, jemanden, der einem zuhört und antwortet.
Plötzlich wusste ich es: Ich musste mir eine Brieffreundin suchen, ein Mädchen, das ich zwar nicht kannte, dem ich aber mein Herz ausschütten konnte. Und das mir auch antworten würde. Fast alle in meiner Klasse hatten Brieffreundinnen, sogar in fremden Ländern. Ich habe mir immer vorgestellt, wie diese Briefe hin- und herflitzen und Fäden knüpfen zwischen den Menschen und sie einander näher bringen.
Eines Tages rief ein Mädchen in meiner Klasse:
»Wer will eine Brieffreundin haben? Sie heißt Kajsa Hultin und wohnt in Stockholm.«
Ich sprang auf wie von der Tarantel gestochen und schrie:
»Ich! Ich schreibe an sie!«
Und sobald die Schule aus war, rannte ich nach Hause, setzte mich an die Maschine und schrieb:
8. September
Du wolltest also, Kajsa, hurra!
Ich freue mich so darüber, dass meine Finger nur so über die Tasten tanzen.
Du hast mir einen so langen und wahnsinnig netten Brief geschrieben. Jetzt weiß ich also schon eine ganze Menge über dich und deine Schwestern und Eltern. Hast du Lust etwas von meiner Familie zu hören? Die ist ziemlich groß und alle sind grundverschieden, darum lässt sie sich nicht im Handumdrehen schildern. Es wird dauern, wenn du es dicke hast, dann schreie!
Also schön der Reihe nach: Das Oberhaupt unsrer Familie ist Papa. Er ist Direktor vom Jungengymnasium hier. Ich liebe ihn. Er ist der wunderbarste Papa der Welt, das steht fest! Seine Haare sind schon silbergrau, aber sein Gesicht ist noch jung und er weiß einfach alles. Er ist sehr ruhig und hat Humor und hockt meistens in seinem Zimmer und liest. Aber ab und zu widmet er sich auch seinen Kindern. Er kann Lammbraten nicht ausstehen, na ja, ich weiß, das ist nicht gerade eine edle Eigenschaft, aber so ist es nun mal. Es gibt noch so allerlei, was er nicht ausstehen kann, zum Beispiel Lügen, Klatsch und Kaffeekränzchen. Außerdem ist er unheimlich zerstreut. Ich kenne keinen Menschen, der so zerstreut ist – höchstens noch Mama.
Bei solchen Eltern ist es eigentlich ein Wunder, dass wir Kinder nicht schon von Geburt an Professoren sind, zumindest im Fach Zerstreutheit, aber erstaunlicherweise scheinen wir so weit ganz normal zu sein.