Umschlag und Fotos: Jörg Winkler
Copyright © Jörg Winkler
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9-783743-1458-94
Eingerahmt von Wäldern des Reinhards- und Bramwaldes fließt die Weser von ihrem Ursprungspunkt, dem Zusammenfluss von Werra und Fulda, 451 Kilometer dem Meer entgegen. Burgen und romantische Orte sollen die Brüder Grimm zu ihren Märchen inspiriert haben. Märchenhaft auch die idyllischen Dörfer, Wiesen, Felder, Täler und Bachläufe, welche den ruhig dahin fließenden Fluss auf ihrem Weg begleiten.
Eine Landschaft, die ich aus meiner Kindheit kenne. Kennen? eigentlich zu viel gesagt. Ausflüge aus meinem Heimatort Uslar nach Bodenfelde oder Lippoldsberg waren in den fünfziger Jahren etwas Besonderes. Eine Dampferfahrt von Hann. Münden nach Karlshafen war für uns Kinder eine Sensation. Das Interesse galt allerdings mehr den technischen Dingen. Was interessierte uns die Schönheit der Landschaft oder gar der geschichtliche Hintergrund.
Kein geringerer als Kaiser Wilhelm II war es, der den Nutzen der Weser als Wasserstraße erkannt und 1905 unterhalb des Schlosses Waldeck in der Eder eine Staumauer errichten ließ. Der dadurch aufgestaute Edersee sollte die Schifffahrt auf der Weser sichern, die in trockenen regenarmen Jahre wegen eines zu niedrigen Wasserstandes nicht gewährleistet war. Je nach Größe und Tiefgang eines Transportschiffes, musste der See eine „Welle“ machen, die für die Dauer der Fahrt einen höheren Wasserstand sicherstellte. Schwere Transporte werden heute über die Straße, bzw. Schiene geführt und der Edersee erfreut sich bei Erholungssuchenden zunehmender Beliebtheit. Dies könnte bei erneutem Bedarf an zusätzlichem Wasser in der Weser einen Konflikt hervorrufen.
Damals war die Weser also noch eine wichtige Verkehrsader für Holzflöße und Lastkähne, in denen schwere Geräte oder Schüttgut transportiert wurden. Zum Glück wurde das Wesertal wegen seiner zahlreichen engen Stellen nicht als Bahntrasse genutzt. Dadurch blieb viel der Ursprünglichkeit des Tales erhalten. Lediglich der Fluss war seit dem Mittelalter der Transportweg nach Bremen. Heute ist er kein offizieller Wasserverkehrsweg mehr, der Freizeit- und Erholungswert überwiegt.
Inzwischen hat sich naturgemäß etwas verändert. Ich bin älter geworden, habe die Welt bereist und eine andere Sicht auf die nähere Umgebung bekommen. Auf diesen Reisen habe ich grandiose Landschaften gesehen und halte sie auch heute noch für besonders schön und sehenswert. Traumhafte Küsten, tierreiche Steppen, schneebedeckte Berge und dichte naturbelassene Wälder haben ihren eigenen Reiz. Unzählige Hochglanzbildbände darüber zeigen was hier in der Kürze nicht zu beschreiben ist. Vieles jedoch relativiert sich.
... deutsch bis zum Meer der Weserfluss, ist die letzte Zeile aus dem Spruch vom Zusammenfluss der Fulda und Werra in Hann. Münden, den wohl jeder Schüler in der Region auswendig lernen musste. Eine Stadt, die weit über ihre Grenzen hinaus für ihre Fachwerkhäuser und ihre schöne Umgebung bekannt ist. Hier soll Doktor Eisenbarth mit seinen sagenumwobenen Heilmethoden gewirkt haben. Eingebettet in die Talmündungen von Werra und Fulda, macht sich nach deren Zusammenfluss die Weser auf den Weg in Richtung Nordsee. Dort, auf der sogenannten „Hessischen Strecke“ bis nach Karlshafen, beginnt dieses Buch kleine Geschichten über die Landschaft und die Menschen zu erzählen. Ein Buch, das zwischen einem hochglänzenden Bildband und einer kulturhistorischen Abhandlung angesiedelt ist. Wie kam ich dazu dieses Buch zu verfassen?
In der „Drei-Flüsse-Stadt“ Hann. Münden, mit etwa 25.000 Einwohnern, treffe ich Konrad Wagner, einen eingebürgerten Oberlausitzer, der als Diplomingenieur für Gartenbau tätig war. Uns verbindet eine gemeinsame Zeit als Wanderer und Bergsteiger. Heute genießt er den verdienten Ruhestand in seinem Garten am Schäferhof, in dem nicht nur Stiefmütterchen, sondern einige Schätzchen weltweit gesammelter Edelpflanzen gedeihen.
Bei einem Besuch bei ihm kommt unser Gespräch auf die malerische Stadt Hann. Münden, den Reinhardswald und natürlich die Weser. Im Verlauf des Gespräches fällt mir auf, dass ich, obwohl ich in Uslar nicht weit von der Weser entfernt aufgewachsen bin, wenig über die Geschichte des Flusses und der Orte weiß. Konrad Wagner hingegen erweist sich als wahrer Kenner und erzählt mir Geschichten, die mich staunen lassen. Eine dieser Geschichten ist die Ansiedlung der Waldenser und später der Hugenotten in Bad Karlshafen, auf die ich im Laufe des Buches noch zurückkommen werde. Mir kommt der Gedanke, den Fluss und die an ihrem Ufer liegenden Orte von Hann. Münden bis zum Dreiländereck (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen) nach Bad Karlshafen zu besuchen und darüber in Wort und Bild zu berichten.
Doch wie stelle ich das an? Ich bin weder Reisejournalist noch Reisefotograf. Die Aufgabe reizt mich, und ich beschließe, den Fluss und die Orte aus der Perspektive des Flusses zu beschreiben. Ich miete mir ein Kanu und mache mich auf den Weg. Bevor ich mir jedoch einen Sonnenbrand und nasse Füße hole, erzähle ich etwas über die Stadt Hann. Münden.
Die Stadt, die oftmals mit Minden, Linden oder gar München verwechselt wurde, bekam den Zusatz Hannoversch oder kurz Hann. Münden. Namenspate war das Kurfürstentum bzw. spätere Königreich Hannover, zu dem Münden gehörte.
Der weitgereiste Naturforscher Alexander von Humboldt soll gesagt haben, dass Hann. Münden zu den sieben am schönsten gelegenen Städten der Welt gehöre. Ich denke, dass jeder Besucher zumindest zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, wobei unklar bleibt, welches die übrigen sechs Städte sind.
Über fast 600 Jahre (1247 – 1823) gehörte die Stadt Münden zu den wichtigen Handelsstädten entlang der Weser bis nach Bremen und besaß das sogenannte Stapelrecht. Handelsschiffe, die Werra, Fulda und die Weser als Transportweg benutzten, mussten ihre Waren für drei Tage abladen und zum Verkauf anbieten, bevor sie weiter verschifft werden durften. Eine Felsbarre (Untiefe, meist in der Nähe einer Flussmündung) in der Werra erzwang ein Umladen der Ware auf weiterfahrende Schiffe. Männer der Sackträgerinnung fanden hier Arbeit und ein gutes Auskommen. Das Stapelrecht machte die Stadt zu einem attraktiven Marktplatz und verhalf ihr zu Wohlstand. Dass die Waren mit einem Preisaufschlag weiter verkauft wurden, versteht sich von selbst. Dies alles geschah an den Schlagden, den Uferbefestigungen, die gegen Unterspülung der Ufer früher aus Strauchgeflecht und später aus Steinen gemauert, eine Anlegemöglichkeit für Schiffe boten. Aus den Namen Bremer-, Wanfrieder- oder Fuldaer Schlagd ergibt sich, welche Schlagd für welche Schiffe fungierte.
In der Altstadt sind Fachwerkhäuser aus verschiedenen Stilepochen zu sehen. Das von 1603 – 1618 erbaute Rathaus präsentiert sich nach mehreren Umbauten als besonderes Schmuckstück im Stil der Weserrenaissance. Hier findet auch heute noch, gespielt von dem Fremdenführer Jürgen Flentje, von Mai bis Oktober die kleine Sprechstunde des umstrittenen Doktor Eisenbarth statt. Der Wanderarzt Dr. Johann Andreas Eisenbarth (1663 - 1727) zog als praktizierender Arzt mit Gauklern und einem kleinen Wanderzirkus von Stadt zu Stadt. Erfolgreich war er mit selbst entwickelten Geräten als Operateur und Starstecher (Starstechen: eine Jahrhunderte alte Methode den grauen Star zu behandeln). Seine ärztlichen Künste zeigte er teilweise in der Öffentlichkeit und galt als weltberühmter und erfahrener Arzt. In der ersten Strophe eines Spottliedes sind folgende Zeilen zu finden:
Ich bin der Doktor Eisenbarth, Kurier die Leut’ nach meiner Art, Kann machen, dass die Blinden geh’n, Und dass die Lahmen wieder seh’n.
Dominiert wird das Stadtbild vom kürzlich renovierten und im Stil der Weserrenaissance erbauten Schloss (ursprünglich gotisch), das heute ein Museum, das Amtsgericht und das Stadtarchiv beherbergt.
Weserrenaissance: Bezeichnung einer eigenen regionalen Stilentwicklung an Bauwerken im Weserraum, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Ausgelöst wurde der Bauboom durch die gute wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit, wobei die Weser als Verkehrsweg eine wesentliche Rolle spielte. Er zeichnet sich aus durch ausgefallene dekorative Gestaltungsformen an Häusern reicher Bürger. Schweifgiebel (geschwungene Giebelkontur), Fächerrosetten, Utluchten (Fenstervorsprung einer Gebäudefront), Bossenquader (vorstehendes Material eines Natursteins im Mauerwerk) und Beschlagwerk (Dekorationselemente für Räume und Fassaden).0