Über dieses Buch:

Birka, die große schwedische Handelsmetropole, feiert die Hochzeit des königlichen Beraters. Aus allen Ländern des Nordens strömen die Menschen herbei, unter ihnen auch der Schiffsbauer Folke. Bei seiner Ankunft fällt dem jungen Wikinger unter mysteriösen Umständen ein besonderes Schmuckstück in die Hände – eine kunstvoll gearbeitete Bronzefibel. Was hat es damit auf sich? Und wem gehört sie? Folke macht sich im Trubel der Hochzeitsfeier auf die Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer. Zu seinem Entsetzen findet er jedoch etwas ganz anderes: zwei Tote und ein Netz aus Intrigen und Rachsucht …

Über die Autorin:

Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.

Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks bereits die historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie zwei historische Romanserien:

DIE WIKINGER-SAGA:
»Der Thorshammer – Band 1«
»Das Drachenboot – Band 2«
»Die Bronzefibel – Band 3«

DIE SACHSEN-SAGA:
»Das Blutgericht – Erster Roman«
»Donars Rache – Zweiter Roman«
»Mit Kreuz und Schwert – Dritter Roman«

Die Romane der »Sachsen-Saga« sind auch als Sammelband erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe März 2015

Copyright © der Originalausgabe 1993 by Ehrenwirth Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Atelier Nele Schütz, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Fernando Cortes

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-018-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Bronzefibel« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Kari Köster-Lösche

Die Bronzefiebel

Die Wikinger-Saga

Band 3

dotbooks.

Blut aus Yggdrasils Wipfel

1. Ein Lederbeutel

Folke Husbjörnsohn, Bootsbauer in Haithabu, auf dem Wege nach Birka, der wichtigsten Stadt der Wikinger, wunderte sich nicht, daß der Schiffsführer Innstein mit gerunzelten Augenbrauen über den Drachensteven ins Fahrwasser blickte. Auch hier, viel weiter nördlich als seine Heimatstadt, würde es einige Wochen nach der Sommersonnenwende spätestens kurz vor Mitternacht dunkel werden. Sie mußten sich beeilen, um vor Einbruch der Nacht den Hafen zu erreichen.

Folke wandte sich um. Aasa, seine Mutter, stand dicht hinter ihm, das Kinn im Fellbesatz des Reisemantels verborgen und die Augenlider halb geschlossen, als sei sie vom gleichförmigen Vorbeiströmen des Wassers an den Schiffsseiten schläfrig geworden. Sie sehnte gewiß das Ende der Reise herbei, die durch wenig Wind und etliche handelsbedingte Umwege länger als üblich gedauert hatte. Ganz im Gegensatz zu ihr brannte Tordis, Folkes junge Frau, darauf, die Fahrt bis zuallerletzt auszukosten. Seit ihrer Heirat nach Haithabu war sie nicht wieder in Birka gewesen, und schon lange bevor der Knorr in den weiten Teil des Mälarsees eingebogen war, hatte sie ohne Unterlaß die Ufer betrachtet.

Tordis strich sich die hellblonden Haare nach hinten, die ihr immer wieder in die Augen flatterten. »Dort«, sagte sie versonnen und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Ufer, »bin ich oft gewesen. Siehst du den Steg?«

Der war nicht zu übersehen. Grau wie der runde Felsen, auf dem er seinen Anfang nahm, erstreckte er sich ungewöhnlich weit in das Fahrwasser hinaus. Anscheinend verlief der Felsen als Plateau unter Wasser weiter.

Folke nickte und sah belustigt auf seine Frau hinunter, die in lautes Lachen ausgebrochen war. »Ich fiel an einem Tag dreimal ins Wasser, kannst du dir das vorstellen? Meine Mutterschwester wußte zum Schluß gar nicht mehr, was sie mir zum Anziehen geben sollte, obwohl Kleidung reichlich im Hause war. Nur paßte sie nie richtig.«

Der Hof, an dem sie vorüberfuhren, war groß und stattlich, ein Hauptgebäude mit mehreren Nebengebäuden, in einiger Entfernung die Schmiede, aus deren Firstloch sich allmählich verdünnender schwarzer Rauch quoll, und auf der Hausfenne die Kühe mit wohlgenährten, rundlichen Kälbern. Kein Zweifel, auf diesem Anwesen gab es von allem im Überfluß, wie überhaupt auf den meisten Höfen, an denen sie in den letzten Stunden vorübergesegelt waren. Das Umland von König Knubas Königshof war reich.

Hier am Mälarsee lebten die hochmütigen Jarle und die Fernkaufleute, und hier lagen die ehrwürdigsten Heiligtümer und die größten Höfe des Landes. Hier waren die Könige und die Götter der Wikinger zu Hause. Hier war der Ausgangspunkt für See- und Landreisen in alle Welt. Waren, Nachrichten und Gerüchte wurden in Birka nicht anders als in Köln oder Miklagard gehandelt.

Folke schlug erwartungsvoll die Fäuste gegeneinander, reckte den Kopf und versuchte, die Burg von Birka weit voraus zu erspähen. Sehr oft war er noch nicht in diesen Gewässern gefahren, auch konnte man sich leicht täuschen, weil ein Felsbuckel wie der andere aussah. Dennoch – sie mußten kurz vor dem Ziel sein.

»Es dauert noch«, sagte Tordis, die seine Ungeduld bemerkte.

»Wie lange?« fragte Folke und nahm seinen kleinen Sohn Grane auf den Arm, damit dieser besser sehen konnte. Seit vier Jahren war nun die Sippe von Husbjörn Granesohn auf Bärenhof zu Missunde in der Schlei mit der von Holmfast in Näsby bei Birka durch Folke Björnsohns Heirat mit Tordis Holmfasttocher verbunden. Folke hatte noch keine Stunde die umsichtige Wahl seiner Eltern bereut. Er liebte Tordis und war zufrieden. Zärtlich beobachtete er, wie der Dreijährige einmal die eine, dann die andere Wange nach vorne hielt. »Siehst du, er wird ein guter Seefahrer, er weiß schon jetzt, woher der Wind weht.«

»Das muß man heutzutage auch«, murmelte Aasa plötzlich in ihren Fellbesatz hinein. »Die Welt wird immer stürmischer.« Mit einem Seufzer setzte sie sich auf eine der Ruderbänke, die frei waren, weil das Handelsboot noch unter Segeln lief und die Ruderer sich auf der hinteren Plattform die Zeit mit Brettspiel vertrieben.

Tordis warf Folke einen fragenden Blick zu, und er zuckte die Schultern, dann rückte er den Schwertgurt über seinem blauen Wams zurecht. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre alt, hatte eine Frau und einen Sohn und war erfahrener Bootsbauer, dessen Können im Süden des Wikingerreiches nicht unbekannt geblieben war. Er war mit sich und seinem Dasein sehr zufrieden; daran konnte auch Mutter Aasa nichts ändern. Sie war in letzter Zeit häufig überkritisch, zog Vergleiche zwischen der Zeit ihrer Jugend und der heutigen, und immer öfter schnitt dabei die Gegenwart schlecht ab. Vor allem über die christlichen Männer schimpfte sie, die vor Schmutz starrten, Armut predigten, sich am liebsten auf den Höfen von Kleinkönigen und Jarlen durchpraßten und nie vergaßen, Goldreifen und Goldmünzen einzusacken.

»Wenn wir. erst Helgö passiert haben«, sagte Tordis, »ist es nicht mehr weit.« Sie streckte die Hände nach ihrem Sohn aus und nahm ihn wieder auf den Schoß.

Als hätte sie den Befehl auf dem Schiff, sprangen die Männer auf, packten die Spielsteine ein und zogen ihre Wämser an. Und doch dauerte es noch eine ganze Weile, bis Birka durch den langsam aufkommenden nächtlichen Dunst auf sie zukroch. Plötzlich aber ragte die Burg vor ihnen auf.

Die Männer ließen die Rah fallen, räumten das Segel ein wenig aus dem Weg, schlugen die Deckel aus den Pforten und schoben die Ruder hinaus. Mit leichten, vorsichtigen Schlägen trieben sie das Schiff vorwärts, und neben dem Steven starrte der Ausguck ins schwarze Wasser, um vor den Felsen zu warnen, die wie Walrücken unvermutet auftauchen konnten. An denen kamen sie gut vorbei, und das war ein Glück, denn inzwischen konnte auch der geschnitzte Thor, der dort oben zwischen den Büschen mit aufgerissenem Mund und preiselbeerroten Lippen für die Seeleute wachte, nicht mehr weit sehen. Als sie aber um die vorgelagerte Landzunge unterhalb der Burg eingebogen waren, ragte gegen den hellen Nachthimmel ein Mast neben dem anderen in die Höhe. Der Hafen war voll.

Von dem Rudel Wachleute, die sich über die Mauer gehängt hatten, kam leises Gelächter, aber keiner hinderte sie einzufahren. Man kannte sich.

»Hej, was soll denn das!« brummelte der Ausguck.

Die Ruderer ließen die Ruder ruhen und starrten dümmlich durch die Hafenpforte. Dümpelnd blieb das Schiff innerhalb der Hafenpalisade liegen.

»Daß Thor sie ausrülpse!« schrie Innstein. »Was machen diese Brocken auf meinem Platz?« Er stand auf der vorderen Plattform; wutschnaubend zog er die Finger durch seinen üppigen Kinnbart und starrte auf den Steg, an dem sein Schiff sonst zu liegen pflegte. Am Kopfende schwojte das äußerste von fünf Schiffen im Halbkreis, obwohl es an Leinen nicht mangelte. Auch die anderen beiden Stege waren vollbesetzt mit rundlichen Handelsschiffen und schlanken Kriegsschiffen, dazwischen lagen weitere Boote an Bug- und Heckanker. Kreuz und quer verliefen die Taue zwischen den Schiffen. Da paßte nicht einmal mehr ein Einbaum zwischen die Schiffsrümpfe.

»Ich schwöre, ich werde sie in Grund und Boden bohren«, fluchte Innstein.

»Aber erst morgen«, knurrte einer der Ruderer, warf sich auf seine Bank und packte den Ruderschaft. »Jetzt müssen wir zum Koggenhafen.«

Das fanden die anderen auch. Keiner hatte Lust, in stockdunkler Nacht zwischen den unheimlichen Wesen von Utgard draußen auf dem Wasser zu sein, weil der Schiffsführer Schiffe versenken wollte. Innstein bleckte die Zähne und hastete ans Steuer. Folke verbiß sich das Lachen. So, wie er den Schiffsführer in den letzten Tagen kennengelernt hatte, würde er das Schiffeversenken morgen schon vergessen haben.

Sie schlängelten sich rückwärts wieder hinaus aus dem Hafen, dessen Tor schmal war und nicht ganz so solide befestigt wie das von Haithabu. Dann legten die Männer sich kräftig in die Riemen, um das Boot schnellstens in die benachbarte Bucht zu rudern, die mit ihren steil abfallenden Wänden für die tiefergehenden friesischen Koggen ausreichend Wasser und gegen die Winde aus Osten, Süden und Westen guten Schutz bot. Er war der zweite Handelshafen der Stadt – aber weniger beliebt als der Knorrehafen, weil ihm das unterhaltsame städtische Leben fehlte.

Kurze Zeit später scherten sie bereits in den Koggenhafen ein. Am Nordende war er von schwarzen Bäumen gesäumt, und Innstein hielt auf die Nordspitze zu, vorbei an den schemenhaft sichtbaren Schiffen, die behäbig um ihre Anker schwojten. Sie mußten aufpassen, daß sie ihren Knorr von diesen Ankerliegern gut freihielten.

In der Bucht war es windstill. Kurz vor den ins Wasser hängenden Büschen bog der Schiffsführer ab, so daß sie parallel zum Ufer entlangruderten. Endlich fand Innstein einen Platz, der ihm zusagte, und hielt auf die schwarze Wand zu, bis ein leises Knirschen unter dem Kiel das Ende der Fahrt signalisierte.

Während Innsteins Mann mit der Bugleine an Land watete, rührten sich auf den anderen Schiffen Gestalten. Deren Besatzungen konnte Folke im schnell schwindenden letzten Licht nicht mehr genau erkennen, aber er wußte, daß sie aufmerksam bleiben würden, bis der Neuankömmling sicher vertäut lag. Schon mancher Dummkopf hatte vergessen, sein Schiff festzumachen.

Endlich waren sie vorn und hinten fest. Der Steven berührte mit seiner stumpfen Spitze den untersten Zweig des Baumes, an dem sie festgemacht waren; Fichtennadeln kratzten an den Planken.

Von der anderen Seite der Bucht schallten Stimmen herüber, während Folke auf den überfluteten Felsen sprang und Aasa und Tordis aus dem Boot half. Er verstand nur wenig; die Leute gehörten wohl zu den Männern von den Koggen. Mit Grane unter dem Arm watete er auf dem Felsen entlang, bis das Knirschen der Muscheln unter seinen Schuhen aufhörte und er unter den Zehen Tang und dann die weiche, nadelübersäte Erde spüren konnte. In einer geschützten Nische setzte er Grane ab, der sofort anfing zu jammern.

»Ist ja gut«, tröstete Aasa ihn und nahm seine Hand.

Der Mann an der Bugleine winkte unbestimmt mit der Hand, als Folke ihn nach dem kürzesten Weg zur Stadt fragte, und Folke konnte sich aus den vielen angegebenen Richtungen eine passende aussuchen. Er stapfte los, den immer noch greinenden Grane auf den Schultern, einen Sack unter dem Arm, Tordis und Aasa auf dem schmalen Pfad hinter sich. Folke hatte dem Verwandten zwar eine Botschaft geschickt, aber niemand konnte erwarten, daß er sie vom Hafen abholte.

Es hatte sich bewölkt, seitdem die Sonne untergegangen war; der Mond war noch nicht aufgegangen, und es war stockfinster. Zuweilen kam Folke vom Steig ab, dann stand er plötzlich bis zu den Waden in niedrigen Sträuchern, an denen seine Gamaschen hängenblieben. Mit den Wolken war auch Wind aufgekommen, die Luft war frisch und duftete nach Nadelholz und Blaubeeren.

Und trotzdem war Folke nicht wohl in seiner Haut. Grane war eingeschlafen und über ihm zusammengesunken; außer dem warmen Kinderatem an seiner Ohrmuschel und Aasas Schnaufen hinter sich hörte er Wortfetzen, die der Wind ihm zutrug und die ihm unheimlich waren, das Zischeln von Leuten, die nicht gehört und nicht erkannt werden wollten, das Knacken trockener Äste und eilig davontappende Füße. Die Mannschaften der Koggen waren anscheinend ohne jeden Respekt vor den Geschöpfen Utgards noch unterwegs.

Tordis zupfte Folke vorsichtig am Wams, und er blieb stehen. »Meinst du, wir sind hier richtig?«

»Nach dem, was der Mann sagte, ja«, raunte Folke in Tordis Ohr. »Aber eigentlich müßtest du hier ja besser Bescheid wissen als ich.«

Tordis überlief ein Frösteln. »Nachts war ich noch nie hier«, flüsterte sie, »und du weißt selber, wie sich da alles verändert. Hinter jedem Baum steht ein Waldtroll, und die Huldren und Disen ...«

Folke nickte schweigsam, während er seine Sinne in alle Richtungen zugleich lenkte. Das Kribbeln in seinem Nacken war ein untrügliches Warnsignal. Er mußte sich gewaltsam zusammenreißen, um nicht mit gezogenem Sax ins Gebüsch zu stoßen.

Während er sich fast geräuschlos umdrehte, redete er munter drauflos: »Ach was, die Trolle wagen sich nicht in die Nähe so vieler Menschen.« Mit dem Ellenbogen stieß er Tordis an.

»Ich glaube, Grane ist eingeschlafen. Kinder spüren am schnellsten die Mächte der Unterwelt. Da ist nichts«, sagte sie laut und schob sich näher an Folke heran, der das scharfe Kurzschwert bereit zum Zustechen vor sich hielt.

»Dann solltest du jetzt weitergehen, Folke«, hörten die beiden jungen Leute Aasas ruhige Stimme. Doch Folke kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, daß ihre Gelassenheit vorgetäuscht war. Auch sie wußte Bescheid.

Er setzte sich wieder in Bewegung. Irgendwo vor ihnen war jemand. Doch je weiter sie auf dem Steig vorwärtstappten, desto sicherer wurde Folke, daß der Unsichtbare keinen Überfall plante. Es wurde unwahrscheinlicher, je näher sie der Stadt kamen. Das Kribbeln in seinem Nacken legte sich allmählich. Von links mündete ein Pfad in ihren eigenen; von nun an wurde der Weg breiter.

»Jetzt weiß ich, wo wir sind«, sagte Tordis, und ihre Stimme klang wieder zuversichtlich. »Das ist der Weg, den die Christen zur Bucht ihres Kirchengründers nehmen, Kreuzesbucht heißt sie bei den Leuten. Den Christen ist sie heilig ...«

Mutter Aasa schnaubte. »Sonst sind ihnen doch nur goldene Kreuze und Becher heilig, ihre und unsere ...«

Folke beteiligte sich nicht am Gespräch. Solange die Frauen sich unterhielten, würden die Leute, die im Unterholz herumschlichen, nicht argwöhnisch werden. Er machte einige lange Schritte vorwärts, um sich von den Lauten hinter ihm abzusetzen.

Noch bevor er etwas hören konnte, spürte er bereits in den Zehen, daß jemand ihnen in vollem Lauf auf dem Pfad entgegenkam. Folke drückte Aasa und Tordis rasch zur Seite, setzte Grane ab, der viel zu müde war, um zu schreien, und erwartete dann den Mann mit dem blanken Schwert.

Plötzlich war der Fremde da; auf sein Gesicht trat ein verschreckter Ausdruck, als er Folke entdeckte. Im selben Moment, in dem der Mann den schwachen Widerschein eines fernen Lichts in den Wolken auf Folkes Sax bemerkte, erfaßte der Bootsbauer, daß der andere nur ein Knecht war, nahezu waffenlos und vermutlich ohne böse Absichten.

»Willst du etwas von mir?« fragte er zögernd und senkte das Schwert.

Der dunkelhaarige Fremde sah einen Moment verwirrt aus, dann stieß er Folke beiseite, stürmte an Tordis vorbei, die er fast umwarf, und war im Handumdrehen in der Schwärze der Nacht verschwunden.

Folke starrte ihm ratlos nach. Als die Schritte des Fremden verklungen waren, bückte er sich, um den Packsack wieder aufzunehmen. Da fühlte er mehr, als daß er ihn sah, einen Gegenstand neben seinem Fuß, den er vorher nicht bemerkt hatte; er gehörte ihm auch nicht.

Wortlos hob er ihn auf. Es war ein kleiner Lederbeutel. Das Leder war fein und der Verschluß mit doppeltem Zugband und Verschlußklappe gearbeitet. Im Beutel befand sich ein ovaler Gegenstand.

Folke zuckte die Schultern. Er schob den Beutel in sein Wams und hob den Sack auf.

Kurze Zeit später endete der Pfad am Ufertor des Stadtwalls. Da zeigte sich endlich, daß die ungewöhnliche Betriebsamkeit in der Stadt auch ihr Gutes hatte: Das Tor war mit Fackeln hell erleuchtet und durch zwei Wachen besetzt, die sorglos von ihrem Ausguck herunterkletterten, als Folke mit den zwei Frauen und einem Kleinkind am Tor anlangte. Die Krieger hatten auch nichts dagegen, sie zu so später Stunde einzulassen.

»Ihr habt euch Zeit gelassen«, brummte der Wachmann gutmütig. »Von den finnischen Inseln müßt ihr nicht erst nachmittags losrudern, wißt ihr?«

Folke grinste, doch er registrierte sofort, daß man bemerkt hatte, aus welcher Richtung sie über See gekommen waren und mit welchem Boot. Das war wohl in Birka nicht anders als in Haithabu ...

»Mein Name ist Tordis Holmfasttochter«, sagte Tordis nachdrücklich und eine Spur verärgert, weil Folke sich und sein Anliegen nicht erklärte. Sie konnten von einem Wachmann Respekt erwarten. »Wir werden von meinem Vaterbruder, dem Goldschmied Tjodolf, erwartet.«

»Du bist so schön, Tordis Holmfasttocher, ich glaube gerne, daß du von jemandem erwartet wirst ...«

Beide Wachleute brachen in schallendes Gelächter aus, und auch Folke verzog das Gesicht. Grane wachte auf und brüllte los. Während Tordis vor Zorn rot anlief, sagte Aasa laut und deutlich und richtete sich dabei vor allem an ihren Sohn: »Recht so, meine Tochter. Aus unserer Sippe braucht sich niemand von einem Wachmann belehren zu lassen. Er hat dich einzulassen – auch ohne die Unterstützung deines Mannes.«

Daraufhin riß der Stillere von den Wachleuten das hölzerne Tor so hastig auf, daß der Schild, der an der Außenseite der Palisade lehnte, polternd davonflog, und verbeugte sich albern wie ein Franke vor seinem König. »Wir versuchen ja geradezu, euch hereinzulocken«, lallte er und mußte sich am Gebälk festhalten, um nicht umzufallen. »Kein Grund zur Beschw... zur Beschwerde.«

Aasas Augenbrauen hoben sich; wortlos schritt sie durch das Tor in die Stadt. Folke kümmerte sich nicht um den Tadel seiner Mutter. Sie war müde – und er auch. Statt dessen fragte er sich, was das für ein Fest sein mochte, bei dem selbst die Wachleute sich in solchem Maße betranken, daß sie ihre Waffen vor dem Tor verstreuten und jeden Fremden bereitwillig einließen.

2. Das Vorzeichen

Das nächtliche Birka war genausowenig still wie die Wachleute aufmerksam. Tordis ging voraus, schnell und leise auf der geraden Straße, die parallel zum Wasser nach Süden führte. Ihr Vaterbruder Tjodolf hatte seine Werkstatt am südlichen Ende der Stadt, unterhalb der Burg und in der Nähe des Burgtores, und vor ihrer Heirat war sie hin und wieder hier zu Gast gewesen.

Mehrmals torkelten betrunkene Krieger in ihrer Nähe durch die Straßen, aber niemand belästigte sie. Aasa und Tordis waren weder eingeschüchtert noch ängstlich, denn auch in Haithabu gab es Feste, die in allgemeiner Trunkenheit endeten, und der beste Weg, Unannehmlichkeiten zu vermeiden, war, den allzu Fröhlichen bis zum nächsten Morgen aus dem Wege zu gehen.

Aber Folke bemerkte, wie seine Mutter mit Entsetzen auf eine Gestalt blickte, die ärmlich wie ein Sklave gekleidet war, an einem Holzzaun lehnte und langsam an ihm herabrutschte. Sie schien trotz eines weiten grauen Umhangs viel zu schmächtig für einen erwachsenen Mann zu sein. Folke begriff nach einer Weile, daß Aasa sie längst als Frau erkannt hatte, während er sich noch wunderte, in welch jungem Alter man hier Kinder auf die Metvorräte losließ. Nach einer Weile sah Folke sich unauffällig um und bemerkte, wie die Sklavin zitterte und sich dann erbrach. Er rümpfte die Nase: Met war das Getränk Odins und das freier Männer; unfreie Frauen sollten darin höchstens ertränkt werden. Ihr Besitzer würde sich wohl um ihre Bestrafung kümmern müssen.

Die Frauen atmeten auf, als sie endlich vor dem Tor zu Tjodolfs Anwesen standen. Die Verwandten mußten gewartet haben, denn schon nach dem ersten Klopfen wurde die Tür aufgezogen. Der langbärtige rote Tjodolf und seine Frau umarmten die Gäste herzlich, froh, daß sie nach einer ungewissen Seereise gut angekommen waren. Tjodolf humpelte sofort an den Kessel, in dem die Mägde vorsorglich Bier warm gehalten hatten, und schenkte großzügig aus. Selbst Aasa mußte einige tüchtige Schlucke nehmen, bevor er gestattete, daß sie den Reiseumhang ablegte, und er selber füllte sich vor lauter Erleichterung doppelt so häufig das Horn wie seinen Gästen.

Folke nutzte die Atempause in Tjodolfs Trink- und Begrüßungssprüchen, um seine Waffen und das Kapuzenwams an der Wand aufzuhängen. Das Wams war wind- und regendicht – und Tjodolfs Holzhaus war aufgeheizt wie ein Backofen: Ihm lief jetzt schon der Schweiß. Tjodolf selbst hatte nur eine dünne, schmuddelige Untertunika an, die sehr gegen die sommerliche, vornehme Kleidung seiner Frau Gunnhild abstach. Endlich saßen sie. Tjodoll blickte zufrieden vom Hochsitz aus auf seine Gäste hinunter und bestritt weiterhin das Gespräch ganz allein. Zu seinen Späßen lachte er selbst am lautesten.

»Es ist gut, daß ihr jetzt gerade kommt«, meinte er mit dröhnender Stimme, und seine breite Pranke mit den unzähligen Sommersprossen holte so weit aus, daß sie an den Deckenbalken schlug, »wir feiern in diesen Tagen die Hochzeit von Ask Schieflippe mit Embla von Trondheim. Unser König Knuba richtet sie aus. Es ist ein großes Fest.«

Als Tordis pflichtschuldig, aber ohne Interesse nickte, stieß er ihr mit seinem dicken Zeigefinger auffordernd an die Schulter. »Weißt du's nicht mehr, Tordis? Ask ist der Mann, dem der König so viel Dank schuldet, daß er ihn niemals wird abtragen können. Und noch immer weiß keiner, warum.«

»Nein?« fragte Tordis höflich, aber sie gähnte dabei. Sie wollte weder Unterhaltung noch Bier haben, sondern ein Lager für sich und Grane, der zusammengerollt neben ihr auf der Bank schlief. Aber sie war zu höflich, um es dem Hausherrn direkt zu sagen.

»Von Ask redet man noch nicht lange. Sie kann's nicht wissen«, warf Gunnhild, die Hausfrau, leise ein.

Tjodolf wurde endlich auf die Erschöpfung der Frauen aufmerksam. »Ich glaube gar, ihr wollt jetzt nicht wissen, wer hier in der Stadt feiert und warum«, stellte er ohne Verärgerung fest. »Ich werde euch morgen alles haarklein erzählen.« Er tätschelte Grane, und dann ließ er es sich nicht nehmen, ihnen selber die Felldecken aufzuschlagen und das Stroh am Kopfende zu lockern. Wieder einmal wußte Folke nicht, welche Seite des Goldschmieds ihn mehr erstaunte: die des einst berüchtigten Kriegers, den man ihm noch auf zehn Schritt ansah, obwohl er wegen einer schweren Verletzung hatte aufgeben müssen, – oder die des gewichtigen Mannes, der sich mit der Fürsorglichkeit eines guten Königs um alles kümmerte, was Hof und Haus betraf.

Mit verworrenen Gedanken um einen König und einen schieflippigen Schiffsführer sank Folke in einen erholsamen Schlaf, aus dem er erst erwachte, als gegen die lebhaften Stimmen der Frauen selbst ein Rentierfell über den Ohren nichts nutzte. »Tordis«, rief er gequält und streckte die Arme in die Höhe, um seine Frau mit geschlossenen Augen einzufangen, »verjag sie, schick sie nach draußen!«

Eine Hand zauste seinen Haarschopf. »Im Gegenteil«, sagte Tordis zärtlich, und ihre Hand war fort, bevor Folke nach ihr greifen konnte. »Dich werden wir nach draußen schicken, an den Brunnen! Es ist eine Schande, wie du den Tag verschläfst.«

Im Hintergrund kicherten Frauen.

»Ich weiß«, murmelte Folke schläfrig, »Embla Schieflippe heiratet heute den König. Aber ich soll sie ja nicht heiraten.«

»Oh, Folke«, tadelte Aasas Stimme.

Als Folke die Augen öffnete, sah er seine und Tjodolfs Verwandte sowie einen Knecht und Mägde, die auf den Bänken saßen und ihren Morgenbrei löffelten. Er selber war der einzige, der noch in seinem Bett lag. Und alle lachten sich schief und krumm über seine unsinnige Rede. »Bei Thor, warum hat mich denn niemand geweckt?« fragte er verlegen und war mit drei Sätzen draußen am Brunnen.

Als er wieder ins Haus kam, das Haar noch feucht, aber das Wams ordentlich gegürtet, sahen ihm viele Augen entgegen. Folke, noch von der strahlenden Sonne draußen geblendet, holte sich gähnend eine Holzschale vom Stapel, schlug eine Kelle voll honiggesüßtem Brei hinein und suchte sich einen Platz auf einer der Bänke. Kaum saß er, wußte er, warum neben Tjodolf soviel Platz frei gewesen war. Der Hausherr füllte den Raum nicht nur mit seiner Rede, sondern auch mit seinen Armen, und Folke mußte mehrmals seine Schüssel in Sicherheit bringen, während er hörte, was es in Birka Neues gab.

Hier stand das Rad nie still. Birka war der Handelsknotenpunkt zwischen Ost und West, und jeder, der neu eintraf, brachte Nachrichten aus irgendeinem entfernten Teil der Welt; Tjodolf kannte sie alle innerhalb kürzester Frist.

In diesen Tagen aber drehte sich das städtische Geschwätz nur um die Hochzeit.

»Heute oder morgen soll Embla ankommen, und ihr Schiff soll bis zum Rand gefüllt sein mit Kostbarkeiten.« Der Goldschmied schloß die Augen mit den spärlichen rötlichen Wimpern, und sie versanken in seinem massigen Gesicht wie bei einem zufriedenen Jungschwein. So hat er bestimmt früher ausgesehen, wenn Beute in Sicht war, dachte Folke, der nicht mitreden konnte, und zwischen Plünderer und Händler war ja manchmal auch kein großer Unterschied. Manches Stück, das Embla mitbrachte, würde im Tausch gegen etwas anderes bei Tjodolf landen. Vielleicht stimmte ihn die Aussicht auf das Geschäft so heiter.

»Haben sie so weit im Westen überhaupt Gold?« näselte ein verhutzelter älterer Sklave, von dem sich Folke sofort dachte, daß er in der Goldschmiede half, denn er sah Narben an den Händen, die nur Brandspuren sein konnten. »Ich denke, die handeln nur mit Trockenfisch, und was soll Ask schon mit Trockenfisch?«

»Hast du schon mal eine Braut auf Trockenfisch dahersegeln sehen?« Tjodolf lachte dröhnend, verschluckte sich fast, und auf Folke kleckerten Breibrocken vom Löffel herunter. Aber einem Mann wie Tjodolf konnte niemand böse sein, und beim nächsten Löffelgefuchtel versuchte Folke den Geschossen auszuweichen.

»Ein Mann wie Ask gibt sich nicht mit Fisch als Morgengabe zufrieden. Wahrscheinlich ist die Braut häßlich wie Vardruns Warze, und er läßt sie sich mit Gold aufwiegen.«

»Ich«, sagte Gunnhild leise und bedächtig, was zur Folge hatte, daß jeder hinhörte, wenn sie einmal sprach, sogar ihr Mann, »würde keinen Mann wie Ask nehmen, und wenn er selbst der König wäre!«

Die beiden Sklavinnen nickten, wie Folke auffiel, während Tjodolf zu Ask nichts zu sagen hatte. Er schien noch den Gedanken an goldene Armbänder und Spangen nachzuhängen.

»Warum das?« fragte Aasa geradeheraus, wie es ihre Art war. Sie hatte sich von der Fahrt gut erholt und saß wieder straff und fast jugendlich auf dem erhöhten Sitz, der sonst dem Hausherrn vorbehalten war und den man ihr in diesem Hause aus Freundlichkeit und Achtung überließ.

»An ihm ist nicht viel Gutes«, erwiderte Gunnhild zurückhaltend. »Ich glaube, selbst Odin würde keine Freude an dem Mann haben, höchstens Loki ...«

Tjodolf zog die Augenbrauen zu einem feuerroten Strich zusammen und machte ein finsteres Gesicht. Plötzlich war seine gute Laune wie weggeblasen.

Der Goldschmiedeknecht aber beugte sich vor, und seine fast kahle Kopfhaut glänzte im Schein des Feuers. Das etwas griesgrämige Gesicht bekam einen lüsternen Ausdruck. »Er stellt Frauen nach«, flüsterte er heiser. »Allen Frauen. Keine ist sicher vor ihm. Auch unter den Wachleuten munkelt man einiges ...«

Aasa runzelte die Stirn über ihren schönen grauen Augen. Es war nicht ihre Art, sich mit männlichen Sklaven über dergleichen zu unterhalten. Aber sie hielt es für ihre Pflicht, in Frauenangelegenheiten Bescheid zu wissen. Und sie kannte ihre stille Verwandte ... »Vergewaltigt er sie?« fragte sie streng, damit keine Zweifel über ihre Gründe bei ihm aufkommen konnten.

»Wenn es nur das wäre ...«, erwiderte der Mann geringschätzig; dann traf ihn Aasas Blick, und er zuckte zusammen. »Er quält alle ...« Mehr wollte er nicht sagen. Geräuschlos wie eine graue Assel schlüpfte er durch die Tür, bevor Aasa eine weitere Frage stellen konnte.

Sein Verschwinden war das Signal zum Aufbruch für alle anderen. Die Frauen blieben schwatzend zurück, kümmerten sich um Felle, Stroh und Breitöpfe, klapperten mit Holzschalen und fingen an, mit Spülwasser zu plätschern.

Folke verzog sich nach draußen. Tjodolf war verschwunden, und so schlenderte er ganz allein auf dem Gelände umher und sah sich um.

Der Goldschmied hatte an nichts gespart, als er für seine stille Frau ein Haus gebaut hatte: Das eingezäunte Gelände war ziemlich weitläufig für ein Stadtgrundstück. Außer dem Langhaus, das an der einen Seite die Wohnräume enthielt und an der anderen die Werkstatt, gab es noch einen kleinen Schuppen und einen überdachten Lagerraum für Holzvorräte. Folke mußte lachen. Neben dem Schuppen hatte seine Mutter bereits Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen: Die Pflaumenbaumstecklinge, die sie für Gunnhild mitgebracht hatte, waren schon gepflanzt und mit Reisig gegen die Hühner geschützt.

Das Wohnhaus war für die Dauer gebaut, das konnte man sehen, und hätte auch den Söhnen noch als Werkstatt dienen können. Aber Gunnhild und Tjodolf hatten keine Söhne ... Die kräftigen Holzplanken zwischen den Pfosten waren genauso sauber behauen, wie er selber Schiffsplanken zurichtete. Nur wenige Fenster waren in die Wände eingelassen und mit dünngeschabter Ochsenhaut bespannt. Den Luxus von Glasscheiben hatte der Verwandte sich noch nicht geleistet, aber er konnte es sich leisten, seine Mägde ausdauernd und sorgfältig an der Zubereitung der Haut arbeiten zu lassen ... Plötzlich fiel Folke der kleine Lederbeutel wieder ein.

An zwei Sklavinnen vorbei, die gemeinsam einen Waschwasserkübel über die Schwelle schleppten, stürmte Folke ins Haus und rannte dabei die eine von ihnen nieder. Sie war wohl zehn oder elf Jahre alt, und bevor er sie auffangen konnte, ergoß sich das Schmutzwasser über die Diele. Die erwachsene Frau versteckte ihren Ärger hinter zusammengebissenen Zähnen, stellte den Bottich wieder auf und kehrte die Brühe mit einem Reisigbesen aus der Tür.

Die Kleine blieb in der Pfütze sitzen, stützte sich auf die Hände und legte den Kopf in den Nacken. »Kannst du nicht aufpassen?« fragte sie keck. »Du machst uns nämlich Arbeit – so oder so, aber so noch mehr.«

Folke schnaubte wie ein überraschtes Pferd. Man mußte hoffen, daß nicht alle Sklavinnen in Birka so schnippisch waren. In etwas gemäßigterem Tempo betrat er den Wohnraum und fing gerade noch den vielsagenden Blick auf, den die Frauen wechselten. Er ärgerte sich ein wenig. Frauen!

Unter den erstaunten Augen von Aasa, Tordis und Gunnhild begann er in seinem Packsack zu wühlen und beförderte endlich den Lederbeutel zutage. Er atmete auf. Grundlos hatte er plötzlich Angst gehabt, er hätte ihn verloren.

Aasa und Tordis, die wußten, daß der Gegenstand nicht zu Folkes Besitz gehörte, setzten sich auf die Bank und sahen neugierig zu, als er die Schnüre aufzog und den Inhalt herausholte.

Es war eine Fibel.

»Ist die schön!« sagte Tordis überwältigt und ließ ihre Fingerspitzen über das Schmuckstück gleiten, das in der flachen Hand ihres Mannes lag, ebenmäßig oval und im längsten Durchmesser so lang wie Folkes schlanker Daumen. Die Oberfläche war poliert worden, bis sie glänzte wie geölter Speckstein, gratlos weich gerundet waren alle Kanten. Vier Menschenköpfe erhoben sich aus der wie Gold glänzenden Oberfläche; sie waren umgeben von fünf etwas kleineren Drachenköpfen. »Woher hast du sie?«

»Im Wald gefunden. Es muß eine Frauenfibel sein«, stellte Folke fest und klimperte an den spiralförmigen Anhängern, die auf der Schmalseite angebracht waren. »Viel zu schade, um auf einer Männerschulter getragen zu werden. Sie wäre einer Königin würdig.«

Aasa schob die Unterlippe vor und schüttelte unzufrieden den Kopf. »Das müßte ein merkwürdiger Rock sein, der nur einen Träger hätte. Und für eine Hemdenfibel ist sie zu groß und zu schwer.«

Folke sah seine Mutter überrascht an. Sie hatte recht, wie sooft. Schulterfibeln wurden immer paarweise gebraucht und auch so hergestellt und verkauft; häufig waren sie sogar durch ein Kettchen miteinander verbunden. »Und doch ist sie nicht für einen Mann gearbeitet«, wandte er ein und drehte sie um. Auf der Rückseite war eine klobige Nadel angebracht worden, die viel zu kräftig für die feingearbeitete Vorderseite schien.

Folke drückte auf die Nadel, um sie aus der Rast herauszuhebeln, aber sie rührte sich nicht. »Der Schmied hat auf die Rückseite wenig Sorgfalt verwendet«, stellte er fest.

»Oder er ist nicht fertig geworden.« Tordis mit ihrem praktischen Verstand würde immer eine vernünftige Erklärung finden.

Folke nickte. Mit Gewalt bekam er die Nadel endlich auf und steckte sie Tordis probeweise an den Rock. Er lächelte seine Mutter an, während Tordis mit der Fibel durch den Raum spazierte und der Lichtschein vom Feuer auf dem Schmuckstück blitzte.

»Am liebten würde ich sie behalten«, sagte Tordis mit einem Seufzer, als Folke sie ihr wieder abnahm und sich beinahe an der unhandlichen Nadel stach. »Ich habe noch nie eine schönere gesehen.«

»Ich werde Tjodolf fragen, wem sie gehören könnte«, erklärte Folke, während er die Fibel einpackte und in seinem Sack verwahrte. »Wenn einer es weiß, dann er.«

Gunnhild nickte schweigsam, fast ein wenig mißtrauisch. Sie hatte eine solche Fibel noch nie gesehen und noch nie von ihr erzählen hören, obwohl das Kleinod nicht ruhmlos sein konnte. Und nun tauchte sie plötzlich auf, noch dazu bei einem Mann, der erst seit wenigen Stunden in der Stadt war. Doch ihr Unbehagen richtete sich nicht gegen Folke, sondern gegen die Fibel.

Folke wartete an der Tür, während Tordis einen leichten Umhang für sich heraussuchte. Birka – die Stadt der Seide und des Brokats. Tordis hatte es ihm oft genug erzählt, und er hatte versprochen, sie nach dem Morgenmahl zum Markt zu begleiten.

Aasa ging nicht mit. Für Frauen ihres Alters gab es Wichtigeres zu tun. Sie saß und verrieb haarige Beinwellblätter zu einem Brei, der für Träls schlecht heilende Brandwunden bestimmt war. »Geht nur«, sagte sie lächelnd.

Die Sonne stand schon beinahe an ihrem höchsten Punkt, und Folke ärgerte sich fast, daß Tordis ihn hatte ausschlafen lassen. Aber sie hatte es gut gemeint. Er nahm ihre Hand, und sie schritten erwartungsvoll die schnurgerade Straße zum Hafen hinunter. Er pfiff unbekümmert und starrte so neugierig auf den fernen Punkt, der glitzerndes Wasser sein mußte, daß er gar nicht bemerkte, wie seine Frau hier- und dorthin winkte und lieber stehengeblieben wäre, um mit alten Bekannten Neuigkeiten auszutauschen.

Schon bevor sie die Uferstraße erreicht hatten, wurde es immer voller: Krieger, Hausfrauen, Handwerker, Sklaven und Kinder waren in großer Zahl unterwegs. Der Menschenstrom hatte keine bevorzugte Richtung – anscheinend mußten alle überall gewesen sein, wo sich etwas tat – am Hafen, wo die fremden Schiffe sich drängten, auf den Wällen, wo man fast alle Tore und Straßen gleichzeitig überblicken konnte, auf der Burg mit der besten Fernsicht auf die von der See her eintreffenden Gäste. Und vor Asks Haus in der breiten Straße zwischen Hafen und Osttor.

»Fast so viel wie bei der Hochzeit des Königs selbst«, stellte Tordis fest und sah sich mit großen Augen um.