Dieses Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wer ohne Quellen-Angabe zitiert, den hacke heftig der Hahn!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2021 Dr. Dieter Scheidig

Gestaltung: Dieter Scheidig

Lichtbild: Muriel Jahn

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783754386736

Inhaltsverzeichnis

Und was Sie auch haben – nehmen Sie es nicht zu wichtig. Es gibt wenig, das lange wichtig bleibt.

Erich Maria Remarque (1898-1973), Arc de Triomphe, Roman, Kiepenheuer, 1999, S. 8.

Will unsere Zeit mich bestreiten,
ich lasse es ruhig geschehen.
Ich komme aus anderen Zeiten
und hoffe in andere zu gehen.

Franz Grillparzer (1791-1872), Dichter

Ein langes Wort zu einem kurzen
Essay-Streitschrift-Fragment

Technik, Kultur und Rhetorik sind einem sicht- und merkbaren Wandel unterworfen. Neue Lebenswirklichkeiten entstehen. Jedes Jahr! Ständig! Deutlich wird das auch im Vermitteln der Realität gesellschaftlicher Vorgänge: Die von wahrer, undiskreditierter, „aechter“ Opposition befreiten Lenker unserer Stimmung und unseres Schicksals tätigen widersinnige, noch vor anderthalb Jahrzehnten undenkbare, da offenkund fehlerhafte gesellschaftspolitische Entscheidungen, präsentieren diese in dauergeschwätziger, moralisierender und bildungshochmütiger Form, ohne tatsächliche Möglichkeit wirksamer Gegen-Kritik ihrer Rezipienten und Schutzbefohlenen.

Fatal erinnern diese Jahre an die Hoch-Zeit der DDR: Die hatte auch immer recht und alle anderen waren wirklich und wirkliche Bösewichter und Friedensfeinde. Verschwunden scheint fast völlig die Toleranz der alten Bundesrepublik, als diese sich – nicht ohne Zwang der sehr nahen DDR, welche beeindruckt werden musste – als lächelnder und starker Dulder auch der krudesten Meinung etablierte.

Die folgenden Zeilen entspringen durchaus nicht der Feder eines „rettungslosen Provinzlers“1 und mit der modernen Welt fremdelnden Menschen, eines „Spitzweg-Deutschen“2 der sich „in kleinen Provinzstädten (…)“3 hinter dünnen Fachwerk-Wänden seines Altbaus furchtsam vor Wirklichkeit und Welt verschanzt.

Und doch: Wieder erschreckt die gerade abgeschlossene Gegenwart uns immer noch durch die ihr eigene Dramatik des unwiderruflich und endgültig abgeschlossenen Zeithorizontes, des „Nichts-mehr-ändern-könnens": Dies dürfte wohl der eigentliche Grund für die im großen wie kleinen praktizierte „Geschichtsunwilligkeit" vieler aktueller, jeden modernistischen Modeschrei mit willigen Enthusiasmus umsetzender Zeitgenossen4 sein. Wie man vor und kurz nach 2020 lebte, die äußere, bereits morbide Erscheinung des Endes, der Auflösung erkennend, ohne jedoch zu verinnerlicht erkennen, aufpolierte Phrasen, Begriffsbinsen und Worthülsen ohne tägliche Entrüstung aufnahm, ohne diese mit Bewusstsein zu rezipieren und zu kritisieren, gleicht der endigenden DDR-Zeit: Auch dort wurde in reklamierter Deutungshoheit und Laber-Kommentaren von Politikern, Juristen und Künstlern diese späte, bereits an Gangräne leidende Gesellschaft zu einer gleichgeprügelten Schicksalsgemeinschaft oder zum übersozialen und omniumgerechten Selbstverwirklichungsparadies umgedeutet.

Man agiert im Heute ungefähr mit der adorablen Dreistigkeit der Regie von „Vier Panzersoldaten und ein Hund“ (Buch und Regie Janusz Przymanowsky, 1966-1967): Szarik, ein natürlich deutscher Schäferhund ist fast schlauer als die Welt.

Allen Realitätsverweigerern ist zu empfehlen, rasch wieder in die geschlossene Blase und das selbstwohlige Odium ihres mild temperierten Gebetskartons zu kriechen, in auffällige Veitstanz-Nähe zu Moralin, Selektivität in der Wahrnehmung, Komplexreduktion, Sanitätswahn und gekonnt erzeugter Krankheits-Furcht, in welcher die bundesdeutsche Gesellschaft, um hier, fast unerlaubt, eine Begriffsanleihe aus dem naturwissenschaftlichen Bereich zu gebrauchen, gerade jetzt und heute von einem festen Aggregatzustand in einen flüssigen, ja ansatzweise gasförmigen überzugehen pflegt.

Aber auch unser derzeiter gesellschaftlicher Hype – welcherart Wesen er auch sei und habe – ist flüchtig:

„Und was Sie auch haben – nehmen Sie es nicht zu wichtig. Es gibt wenig, das lange wichtig bleibt.“ (Remarque)

So wird es auch dem plakativen Tugenddiktat unserer Zeit ergehen. Volatilis! Flüchtig! Fliehend! Im Innersten bemerken wir es untrüglich, wie wir leicht beschwindelt werden und verweigern uns in dumpfem, ahnenden Gefühle gegen die, die diese trügenden Märchen medial verbreiten:

„Man kann der Wahrheit keinen größeren Dienst erweisen, als sie von der Last der Unwahrheit befreien“, sagte Isaac Newton. Was im Großen gültig ist, muss auch im Kleinen und Kleinsten stimmig sein.

Dieser dialektisch-philosophische Grundsatz verführt den Widerborstigen, Denkenden dazu, gegen das alltagswertende Dauerpalaver einer besinnungslosen Medienzivilisation Mythen zu entmythisieren, möglichst ohne die Möglichkeit, dass aus dem Ergebnis neue Mythen geschaffen werden können …

Natürlich soll hier die pathetische Frage gestellt werden: Was bewegt dieses veritable Modell des modernen Menschen? Zumeist nur die Beine. Bei den meisten nur die Beine …