Gunnar Kaufman, ein etwas linkischer schwarzer Jugendlicher, zieht mit seiner Familie vom schicken und multikulturellen Santa Monica nach Hillside, einem schwarzen Vorort von Los Angeles. Schlimmer konnte es nicht kommen, denn Gunnar liest Kant, Hegel und Homer, tanzt wie ein Weißer und hat von den Ghettoregeln keine Ahnung. Wie Gunnar dennoch den Durchbruch zum Dichter, Basketballstar und schließlich Erlöser der gesamten afroamerikanischen Kultur schafft – das erzählt Paul Beatty frech, virtuos und in schnellen, wechselnden Rhythmen. »Schlechter tanzen« ist ein abgründig komischer Entwicklungsroman und Kultbuch einer Generation.
PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie – als erster Amerikaner – mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.
Paul Beatty
Schlechter tanzen
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Ulrich Blumenbach
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »The White Boy Shuffle« bei Houghton Mifflin Company, Boston/New York.
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Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe Dezember 2018
by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © der Originalausgabe 1996 by Paul Beatty
All rights reserved
Erstmals auf Deutsch erschienen 1999 im Rowohlt Berlin Verlag
unter dem Titel »Der Sklavenmessias«
Covergestaltung: semper smile, München
Covermotiv: © Lisa Schaetzle/Getty Images; Shutterstock/Elovich
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
cb · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-22247-5
V002
www.btb-verlag.de
Für Yvonne Beatty,
meine Mutter
Prolog
Diese Messiasnummer ist ein Schuss in den Ofen. Andrerseits habe ich es geschafft, das ewige Machtvakuum an der Spitze des schwarzen Amerika zu füllen. Genervte Bürger zweiter Klasse müssen in ihrem Sonntagsblättchen nicht mehr inserieren:
Negerdemagoge
Muss imstande sein, ein verschlepptes, geknechtetes und gespaltenes Volk ins Gelobte Land zu führen. Kommunikationstalent erwünscht. Gehalt begabungsabhängig. Keine Berufserfahrung erforderlich.
Als Dichter und Experte für Seelenquälerei bin ich erwiesenermaßen qualifiziert. Mein Buch Wassermelanin hat sich 126millionenmal verkauft. Auf mich hört der Akademiker, der Mann auf der Straße und der politische Kabbalist. Wortführer der schwarzen Community? Der perfekte Job für mich.
Ich musste nicht mal zum Bewerbungsgespräch. Ich wurde von zweiundzwanzig Millionen unorganisierten Seelen beauftragt, hauptberuflich als Haustyrann und Pflegevater eines verlassenen Volkes zu arbeiten. Ich füttere das schwarze Amerika mit dem Brei der Vergeblichkeit, ich enthülle den Teufelskreis seines Kampfes und die Perspektivlosigkeit, in der es dahinvegetiert. Dafür bringt man mir blinden Gehorsam entgegen. Wo ich auftauche, schließen sich die schwarzen Küken einem aufgedrehten Plastikbarden an, der unaufhaltsam auf die Selbstzerstörung zusteuert und die Datenautobahn überquert, ohne nach links und rechts zu sehen. Sollte ein Medienmogul je die Filmrechte an meinem Leben kaufen, steht in der Fernsehzeitschrift wahrscheinlich:
Im Freiheitskampf überredet ein verstockter junger Lyriker die schwarzen Amerikaner, alle Hoffnung fahrenzulassen und kollektiven Selbstmord zu begehen – Showdown mit Feuerzauber. Atemberaubende Actionszenen. Bedingt jugendfrei.
Beim Kampf um Gleichberechtigung haben Schwarze alles versucht. Wir haben appelliert, revoltiert und amüsiert, wir sind Mischehen eingegangen und werden trotzdem noch wie der letzte Dreck behandelt. Nichts hat was gebracht, warum also erst groß an Toxinen und amerikanischer Leistungsethik dahinsiechen, wenn wir die Freiheit zur zügigen Selbstliquidierung haben? In heroischer Verneinung des Willens zum Leben strömen Neger wie die Lemminge nach Hillside, Kalifornien. Tag für Tag erheben sie die Augen flehentlich zum Himmel und suchen im Smog über Kalifornien nach dem metallisch grau schillernden Pünktchen, das wächst und wächst, bis es schließlich ein paar hundert Meter über ihren naturkrausen oder geglätteten Haaren explodiert. Das Ende aller Emanzipation. Scheiß auf Lunch-Theken, Luxustoiletten und Sitzplätze im Bus; unser Massenselbstmord wird zum ultimativen Sit-in.
Alle sind sie gekommen, die Heiligen des schwarzen Amerika, die rund fünfhundert Jahre nach unserer Ankunft in diesem Fegefeuer die letzten Vorbereitungen zur Himmelfahrt treffen. Der gut gekleidete Bursche, der in der Postabteilung Ihrer Firma arbeitete und radebrechte, wenn Sie ihn mit gönnerhaftem Smalltalk zuschwallten, überlegt, ob er das Gas abgedreht hat, und lacht schallend, als ihm der Irrwitz aufgeht. Der zahnlose demokratische Ex-Bürgermeister Ihrer Stadt verfasst mittelmäßige Elegien, ohne dass ihm der Irrwitz aufginge. Auf der Suche nach einer schnellen Nummer schwingt die scharfe junge Schwarze, die Sie beim Sport in der achten Klasse immer zum Sabbern gebracht hat, ihre Kurven ein letztes Mal um den Block. Die Frau neben Ihnen an der Bushaltestelle, die ihre Handtasche umklammerte und Ihnen den Ellenbogen in die Rippen rammte, um den letzten freien Platz zu ergattern, nimmt sich vor, ihren Boss anzurufen, pausenlos Stuss zu reden und im letzten Moment den Hörer in Richtung der Explosion zu halten: »Ich komm morgen nicht zur Arbeit. Dann bin ich nämlich längst zu Kohlestaub verdampft, Sie mieser Sklaventreiber.«
Letzte Woche hat mich Time »den Rattenfänger aus Ebenholz« genannt. Für den U. S. News & World Report war ich »der Leithammel beim ethnischen Harakiri«. Die Nachwelt wird mich unter die wahnsinnigen Messiasse einreihen, die im Wartesaal der Hölle schmoren und sich melden, wenn Satan den Appell abnimmt: Jim Jones, David Koresh, der namenlose Anführer der leichten Brigade, Charles Manson, General Westmoreland und ich. Diese Seiten sind meine Memoiren, das Schlachtfeld, das ein feiger Deserteur aus dem ewigen Krieg um Anstand hinterlassen hat.
»Mama fein,
Papa fern«