Inhaltsverzeichnis
kapitel 1
Pablo! Paaablooo!« Die Stimme klang so durchdringend wie die schrillen Schreie der Möwen über dem Hafen von Sevilla.
Der Junge duckte sich hinter den Schanktisch. Seine Stiefmutter hatte zweifellos Arbeit für ihn. Das hatte sie immer. Er hatte schon die Schankstube gefegt, die Tische gescheuert und die Weinkrüge ausgespült. Das langte.
»Paaablooo!«
Er schob sich zu dem Vorhang aus Holzperlenschnüren, der die Tür ersetzte, aber bevor er auf die Gasse entwischen konnte, stand seine Stiefmutter Ines Alvarez im Raum, eine große, kräftige Frau ganz in Schwarz, die dunklen Haare zum Knoten hochgesteckt, an den Schläfen schon ein paar graue Strähnen.
»Wieso antwortest du nicht? Bist du immer noch nicht fertig hier? Du schläfst wohl im Stehen, was?« Sie feuerte eine Frage nach der anderen ab, ohne auf Antwort zu warten. »Hier, trag die Abfallkübel zur Stadtmauer! Aber trödele nicht wieder herum, sondern komm gleich zurück, hast du verstanden?«
Pablo nickte nur und packte die Henkel der Eimer, die sie ihm hinhielt. Ihre Blicke liefen über die blanken Tische, den sauberen Boden, die tropfenden Krüge – und das Gesicht mit den groben, fast männlichen Zügen wurde sanfter. Sie griff in den Geldbeutel unter ihrer schwarzen Schürze und schob Pablo zwei Münzen in die Hosentasche.
»Gute Arbeit! Du kannst, wenn du willst, das sag ich ja immer. Kauf dir ein paar gegrillte Sardinen am Strand. Denn du machst ja doch einen Umweg über den Hafen, wie ich dich kenne.«
Pablo nickte wieder und grinste. »Danke!«
Eigentlich verstand er sich gut mit seiner Stiefmutter. Sie hatte zwar ein Mundwerk wie ein Marktweib, aber sie arbeitete für zwei und hatte es sogar fertig gebracht, seinem Vater das Saufen zu verleiden. Seit sie im Haus war, ging es der kleinen Familie viel besser. An seine Mutter konnte sich Pablo kaum noch erinnern, er war erst fünf gewesen, als sie bei der Geburt seiner Schwester Maria gestorben war. Ines war so wie Pablos Vater verwitwet gewesen und hatte zwei kleine Töchter mit in die Ehe gebracht, aber die waren schon im Jahr darauf an den Blattern gestorben.
Die Seuche hatte auch Pablos älteren Bruder José und die kleine Maria getötet, und Pablo selbst wäre bestimmt ebenfalls daran gestorben, wenn Miguel ihn nicht so unermüdlich gepflegt hätte, das sagte Ines immer wieder. Pablo hatte von der Krankheit viele kleine Narben am ganzen Körper und im Gesicht behalten, die sich hell von seiner braunen Haut abhoben. Miguel nannte ihn deshalb Kiebitz-Ei, aber weil dieser Spitzname von Miguel stammte, hatte Pablo nichts dagegen.
Pablo liebte seinen großen Bruder. Eines Tages würde er zur See fahren, genauso wie er – auch wenn er deshalb Krach mit seinem Vater kriegen würde. Der wollte, dass sein zweiter Sohn die Schänke übernahm, aus der die Familie ihren Lebensunterhalt bezog.
»Du bist der geborene Gastwirt«, behauptete er ständig. »Du kannst mit den Leuten umgehen. Man muss sie zum Reden bringen, da vergessen sie, wie viel sie schon getrunken haben. Und das kannst du.«
»Jedenfalls wär er geeigneter als du – aber dazu gehört nicht viel.« Ines nahm nie ein Blatt vor den Mund. »Du bist immer noch dein bester Kunde, Juan. Du solltest dich mehr um die Gäste kümmern statt um deinen eigenen Durst. Und von Pablo hast du keine Ahnung. Wenn du glaubst, dass er dein Nachfolger werden will, dann hast du Knöpfe im Kopf statt Augen. Ihn interessieren doch nur die Seeleute.«
»Du redest mal wieder Unsinn, Alte! Seit wann kommt es darauf an, was die Kinder wollen? Der Vater hat über seinen Nachwuchs zu bestimmen, das steht schon in der Bibel.«
Dann zog Ines nur spöttisch die Augenbrauen hoch und sagte nichts mehr. Sie ging Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann möglichst aus dem Weg, denn Streit war schlecht fürs Geschäft. Sie war zufrieden, dass Juan nicht mehr täglich betrunken war und ihr weder im Haushalt noch in der Taverne dreinredete.
Er hatte schnell gemerkt, dass sie von beidem mehr verstand als er, und drückte sich vor allem, was nach Arbeit aussah. Schließlich war Juan Alvarez fast ein Herr und hatte bessere Tage gesehen, nämlich als Verwalter in dem großen Warenmagazin vor der Stadt. Neidische Kollegen und finstere Ränke hatten ihn um diese angesehene Anstellung gebracht, wie er immer wieder erzählte, aber alle Eingeweihten wussten, dass es in Wahrheit der Rotwein gewesen war.
Auch Pablo ergriff jeden Vorwand, um aus seinem Vaterhaus zu verschwinden. Es war ein hohes, schmales Gebäude in einem der ärmsten Viertel von Sevilla. Seine Mauern schienen durchtränkt zu sein vom Weindunst und vom Modergeruch des Kellerraums, dessen Tür immer offen stand, damit die Gäste hinabsteigen konnten, wenn in der Wirtsstube kein Platz mehr war. Deshalb hieß die Taverne auch schlicht Celler. Im ersten und zweiten Stock des Celler hatte Ines Alvarez ein paar Gästezimmer eingerichtet, die so eng und karg waren wie Klosterzellen – und genauso sauber. Die Eltern und Pablo schliefen in zwei winzigen Kämmerchen unterm Dach, aber während der unerträglichen Hitze des langen andalusischen Sommers zog der Junge auf das Schuppendach im winzigen Hinterhof um, wo zwei kümmerliche Weinstöcke mit einigen Hühnern und triefenden Wäschestücken um einen Platz an der Sonne kämpften.
Pablo schwenkte vergnügt die Abfalleimer. Heute hatte er keinen Vorwand suchen müssen, um aus dem Haus zu kommen. Seine Stiefmutter hatte ihm tatsächlich erlaubt, zum Hafen zu gehen, zumindest hatte sie es nicht verboten. Pablo liebte den Hafen – und die Schiffe noch mehr. Im letzten Frühjahr war er von zu Hause ausgerissen und mit einem Lastkahn den Guadalquivir hinauf bis nach Cordoba und wieder zurückgeschippert. Der Schiffer war so zufrieden mit ihm gewesen, dass er den Jungen einem Kollegen empfohlen hatte. Und so hatte Pablo zum ersten Mal Seeluft geschnuppert, denn diese Fahrt war den Guadalquivir hinunter bis zur Mündung und dann noch weiter bis nach Cadiz gegangen und dann immer noch weiter an der Costa de los Vinos entlang bis zum Kap Trafalgar.
Als er nach einigen Wochen wieder aufgetaucht war, hatte der Vater ihn grün und blau geschlagen. Und von Miguel hatte er ebenfalls eine schwere Tracht Prügel bezogen, als der im Herbst nach Hause kam und von den Eskapaden seines Bruders erfuhr.
»Aber ich hab ihnen einen Zettel dagelassen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen! Und ich hab Estrella gebeten, dass sie ihnen hilft, solange ich weg bin. Und das hat sie auch getan.« Estrella war die hübsche Älteste aus dem Nachbarhaus, die eine Schwäche für Miguel hatte. Und er für sie – das wusste Pablo. »Sie war sogar viel besser als ich, hat Mutter gesagt, und falls ich noch mal verschwinde, wird sie Estrella wieder fragen, ob sie ihr hilft, denn so ein volles Haus haben wir lange nicht mehr gehabt.«
»Darum geht es doch gar nicht! Du hast die Schule geschwänzt! Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass man auf einem Schiff nur etwas werden kann, wenn man eine gewisse Bildung hat?«
»Mindestens hundertmal.«
»Werde bloß nicht frech, du Milchbart! Denkst du, ich hab Lust, dir gute Ratschläge zu geben, wenn du dich dann an nichts, aber auch gar nichts davon hältst?« Miguel hatte Pablo bei den Oberarmen gepackt und ihn geschüttelt. »Also jetzt zum letzten Mal: Wenn du schon zur Schule gehen darfst, dann lerne gefälligst ordentlich. Ohne Lesen, Schreiben und Rechnen bleibst du dein Leben lang ein einfacher Seemann. Das heißt, du schuftest wie ein Esel für einen Hungerlohn, und jeder Offizier kann dich herumkommandieren, wie es ihm passt. Was glaubst du, wo ich heute stände, wenn ich geschwänzt hätte? Ich bin jetzt schon Maat und auf der nächsten Fahrt kann ich vielleicht schon als Obermaat anheuern und eines Tages werde ich Pilot sein, darauf kannst du dich verlassen.«
Miguel konnte mit der bloßen Faust einen Stier zu Boden schlagen. Pablo war sich vorgekommen wie in einem Schraubstock. »Du zerquetschst mir die Arme! Auweh! Lass mich endlich los! Ich hab’s ja begriffen.«
»Du bist ein Holzkopf! Nichts begreifst du! Kannst du dir vorstellen, dass ich noch mal in die Schule gehen werde?«
Pablo hatte sich die bloßen Arme gerieben. Die Abdrücke von Miguels Fingern waren deutlich zu erkennen gewesen. »Du? Wieso? Du bist doch erwachsen.«
»Die Handelskammer von Sevilla veranstaltet Kurse für künftige Piloten. Da lernt man, wie man Seekarten liest und sogar zeichnet und wo die Sterne stehen und wohin sie wandern und wie man mit Astrolabium und Deklinationstabellen arbeitet und...«
»Astro… – was? Und was für Tabellen?«
»Hat keinen Zweck, das einem Schuleschwänzer zu erklären. Das verstehst du ja doch nicht.«
»Na gut, ich schwänze nicht mehr. Nie mehr. Ich versprech’s dir!« Pablo hatte die Hand ausgestreckt. »Ehrenwort.«
»Abgemacht. Dann kann ich dich vielleicht im nächsten Frühjahr mitnehmen. Aber nur auf eine kleine Fahrt, merk dir das.«
Dieses Versprechen hatte Pablo förmlich beflügelt. Er hatte gelernt wie noch nie in seinem Leben und schon nach wenigen Monaten zu den besten Schülern in der Armenschule der Pfarrei San Pedro gehört.
Miguel hatte Anfang März auf der Marigalante angeheuert, die Wein und Olivenöl und den berühmten Stockfisch von Sanlucar nach Antwerpen bringen sollte. Die Fahrt entlang der von Seeräubern heimgesuchten portugiesischen Küste, durch den stürmischen Golf von Biskaya und den nebligen Ärmelkanal war ihm zu gefährlich erschienen für seinen kleinen Bruder. Das Schiff sollte aber im Mai wieder zurück sein, und dann wollte Miguel auf einem Küstenfrachter anheuern, der nur bis zur Algarve fuhr, und Pablo mitnehmen. Jetzt war gerade April, aber trotzdem suchte der Junge jeden Tag die Reihe der Schiffe im Hafen ab, ob die Marigalante schon darunter war.
Pablo stieg die Treppe an der Innenseite der Stadtmauer hoch und kippte seine Eimer über die Brüstung. Alle Einwohner von Sevilla entsorgten ihren Abfall auf diese Weise und eigentlich hätten sich am Fuß der mächtigen Mauer wahre Berge aufhäufen müssen. Doch sämtliche Hunde und Katzen der Stadt durchwühlten den Müll und zankten sich mit Raben, Krähen, Elstern, Möwen und Ratten um die besten Bissen. Oft kamen auch die Schweinehirten der Umgebung mit ihren Vierbeinern zu diesem Futterplatz. Die Reste schoben die Männer der Abfallgarde am Abend in den Guadalquivir, wo sich die Fische an ihnen mästeten. Nur im Hochsommer kehrten sie sie am Ufer zusammen, wenn der Fluss Niedrigwasser hatte, und dann hing der Gestank wie eine Wolke über der Stadt.
»Bendita la hora en que Dios nacio
Santa María que le pario
San Juan que le bautizo«, sang eine Stimme hinter Pablo. Eine sehr schöne Stimme, dunkel und weich.
Pablo drehte sich um. Estrella kam die Treppe herauf, in jeder Hand einen Abfallkübel. Sie nickte ihm zu, ohne ihren Gesang zu unterbrechen:
»La guarda es tomada
La ampolleta muele
Buen viaje haremos
Si Dios quisiere.«
Sie singt das Lied, das alle christlichen Seeleute jeden Abend singen, ob auf dem Mittelmeer oder vor der Küste Afrikas oder vor den indischen Ländern, dachte Pablo. So ist das also! Ich wette, sie denkt dabei an Miguel.
»Kannst du nicht meine Eimer mit zurücktragen, Estrella? Ich will nämlich zum Hafen. Vielleicht ist Miguel schon da. Ich sag dir dann auch gleich Bescheid.«
Estrella hob ihre Kübel auf die Brüstung und ließ den Abfall hinunterplatschen. »Wieso glaubst du, dass ich das wissen will? Was geht mich dein Bruder an?« Aber sie errötete und lächelte, als ob sie ihre Worte nicht ganz ernst meinte. »Meinetwegen, gib die Eimer her. Aber stell sie ineinander, sonst sind sie zu sperrig.«
»Danke, Estrella! Und lass sie einfach im Hof stehen, ja? Mutter braucht das nicht zu wissen.«
Vergnügt schlenderte Pablo durch das Triana-Stadttor hinunter zum Hafen. Am gegenüberliegenden Ufer, in der Vorstadt Triana, reichten die Häuser bis ans Wasser, aber vor der Stadtmauer von Sevilla hatte der Guadalquivir einen 700 Meter langen und 30 Meter breiten Sandstrand aufgehäuft: El Arenal, vor dem sich die Schiffe drängten. Sie lagen Seite an Seite, mit dem Heck zum Fluss und dem Bug zum Strand, um nur ja so wenig Platz wie möglich einzunehmen, aufgereiht wie die Sardinen auf dem Rost der kleinen Garküche, vor dem Pablo jetzt stehen blieb.
»Das ist überhaupt kein richtiger Hafen hier«, sagte Miguel immer. »Bloß ein Sandstrand mit einem einzigen Kran. Du müsstest mal den Hafen von Antwerpen sehen! Da gibt es sieben Piers aus Stein und drei Kräne und riesige Lagerhäuser und Trockendocks und...«
»Hör doch auf! So was kann doch jeder bauen. Aber haben sie etwa auch Schiffe, die nach Indien fahren? Na bitte!« Pablo konnte es nicht leiden, wenn sein Bruder den Hafen ihrer Heimatstadt schlecht machte.
Seitdem der Admiral Colón vor zehn Jahren den Seeweg nach Indien entdeckt hatte, war Sevilla der Heimathafen der indischen Flotte. Hier wurden die Seeleute für die Schiffe angeheuert; hier wurden Ausrüstung und Proviant für die wochenlange Seereise gekauft und alle Dinge, die in den Kolonien nötig waren; hier nahmen die Händler die Schätze aus Übersee in Empfang und verkauften sie nach ganz Europa; hier saßen die Bankiers und Kaufleute, die das alles finanzierten. In den letzten Jahren waren so viele Menschen nach Sevilla geströmt, dass mehrstöckige Mietshäuser gebaut werden mussten. In diesen Corrales wohnten mehrere hundert Menschen eingepfercht wie in Hühnerkäfigen. Trotzdem wuchs die Zahl der Zuwanderer unaufhörlich und die Vorstädte außerhalb der Mauern weiteten sich aus.
Pablo balancierte den Holzspieß mit den gegrillten, dampfenden Sardinen zwischen beiden Händen, ging langsam an den Schiffen vorbei und musterte sie. Die Marigalante war nicht dabei. Am Ende des Strandes erhob sich der Hafenkran, von dessen Brüstung aus man den Lauf des Guadalquivir bis zur nächsten Biegung verfolgen konnte. Pablo kletterte hinauf.
»Verpiss dich!«, sagte er grob, und Sancho, ein magerer Zehnjähriger, machte ihm hastig Platz.
Die Brüstung war Pablos Stammplatz und jeder Straßenjunge von Sevilla wusste das, auch Sancho. Miguel hatte seinem Bruder ein paar sehr wirkungsvolle Fausthiebe beigebracht und keiner legte sich ohne Not mit Pablo an. Pablo war zwar noch keine dreizehn, aber er war der Anführer einer ganzen Horde von Halbwüchsigen aus den Corrales in der Nachbarschaft des Celler, obwohl es einige Jungen gab, die schon vierzehn waren. Doch Pablo rannte am schnellsten, kletterte am höchsten, schwamm und tauchte wie eine Ente – und er erfand die besten Streiche.
Pablo verzehrte die erste Sardine. Sie war ziemlich angekohlt, aber so mochte er sie am liebsten. Er spuckte Sancho die Schwanzflosse nach. Sie traf ihn im Nacken, aber er merkte es nicht, denn sein Hals war von einer dicken Schmutzkruste überzogen. Die nächsten Flossen blieben in Sanchos zerlumpter Jacke hängen. Pablo gab das Spucken auf und setzte sich bequemer zurecht. Die Frühlingssonne wärmte seine bloßen Füße, in seinem Rücken ertönten die knarrenden Geräusche der riesigen hölzernen Räder, mit denen der Kran bewegt wurde, und die Stimmen der Männer, die in den Speichen standen wie Hamster im Laufrad.
Pablo legte den Kopf in den Nacken. Hoch über ihm ragte auf einer Ecke der Stadtmauer der mächtige Torre del Oro empor, der seinen Namen den goldglänzenden Dachschindeln verdankte. Der Junge musterte den Fluss, aber kein Schiff tauchte in der Biegung auf. Er ließ seine Blicke die Stadtmauer entlang laufen und dann über den breiten Sandstrand zu ihren Füßen.
Maultiere schleppten Lasten von den Schiffen zu den Stadttoren oder aus der Stadt zu den Schiffen, angetrieben von schreienden Treibern. Reiche Herrschaften ließen sich in Sänften heraustragen, gefolgt von Lastträgern mit Gepäck. Arme Passagiere verschwanden fast unter den Bündeln, die sie sich aufgeladen hatten. Kalfaterer hockten neben den Schiffsrümpfen und dichteten die Fugen mit Werg und Teer. Matrosen stapelten Ballen und Kisten aus den Schiffsrümpfen an Deck oder wuchteten sie an Land.
Längs der Stadtmauer breitete sich ein Trödelmarkt aus. Hier verkauften Händler blanke Messer und Dolche, angeblich aus feinstem Toledo-Stahl. Hausiererinnen priesen bunte Seidentücher und Spitzenschals an, denen angeblich kein Frauenherz widerstehen konnte. Bauern hatten Sonnensegel über ihre Obstund Gemüsekarren gebreitet. Fischer schleppten Körbe mit frischem Fang zu den Fischhändlern oder zu den Kohlebecken der Garküchen.
Von den Decks der Schiffe ertönten auf einmal gellende Pfiffe und Rufe, die den allgemeinen Lärm übertönten.
»Schaut euch den Kerl an!«
»Gleich wirst du bluten, du Hundsfott!«
»Das geschieht dir recht!«
Die Menschen am Ufer unterbrachen ihre Tätigkeiten. Alle Köpfe wandten sich dem Soldaten in der Uniform der städtischen Garde zu. Er trieb einen Esel vor sich her, auf dem ein Mann mit nacktem Oberkörper festgebunden war. Die bloßen Füße, die weiten, knielangen Hosen, die rote Mütze verrieten den Matrosen. Er trug einen Strick um den Hals und hielt den Kopf gesenkt. Jeder Mensch im Hafen wusste bei diesem Anblick, dass der Mann gestohlen hatte und zur öffentlichen Auspeitschung vor das Gefängnis außerhalb der Stadtmauer gebracht wurde. Der Ritt an den Schiffen vorbei sollte zur allgemeinen Abschreckung dienen und den Zuschauern Gelegenheit geben, den Dieb zu verspotten.
»Soll ich herausbringen, wie viele Schläge er kriegt?« Sancho betrachtete sehnsüchtig die letzte Sardine an Pablos Holzspieß. »Wenn es nur zwanzig sind, dann lohnt es sich nicht, hinter ihm herzulaufen.«
»Ja, tu das.« Pablo bemerkte den Blick, brach den Fisch durch und warf Sancho die Hälfte zu. Dass er immer bereitwillig mit allen teilte, war auch ein Grund für Pablos Beliebtheit.
Sancho stopfte sich die Sardine in den Mund und wieselte davon. Nach wenigen Minuten stand er wieder am Sockel des Krans.
»Komm, es lohnt sich. Er kriegt hundert Schläge!«, rief er hinauf. »Das überlebt fast keiner. Die meisten verbluten schon bei achtzig.«
Pablo rutschte von der Brüstung und trabte hinter Sancho her, aber schon nach ein paar dutzend Schritten ließ ihn eine Männerstimme innehalten.
»Du alte Schlampe! Bildest du dir ein, dass du mir Abfall andrehen kannst?«
Der Mann schrie eine Austernverkäuferin an, und zwar so laut, dass die Menschen an den Nachbarständen verstummten. Pablo schlängelte sich näher an den Verkaufstisch mit dem ausgeblichenen Sonnensegel heran. Er gehörte seinen alten Bekannten Andres de Morena und Luisa Tommasina. Die beiden hatten seit Jahren ihren Austernstand an dieser Stelle und Pablo hatte schon viele Botengänge für sie gemacht und manche Auster dafür bekommen. Luisa Tommasina konnte schimpfen, dass Pablos Stiefmutter wie eine Klosterschwester dagegen wirkte. Pablo grinste voller Vorfreude. Dem Mann würde es bald Leid tun, dass er so unverschämt gewesen war.
»Señor, ich bin eine ehrbare, verheiratete Frau!«, erwiderte Luisa Tommasina leise und würdevoll. »Auf so etwas antworte ich nicht.«
Pablo traute seinen Ohren nicht und schob sich neben den Stand. Ob heute etwa eine andere Frau die Austern verkaufte? Aber nein, das war unverkennbar Luisa Tommasina mit der Warze am Kinn und dem Schnurrbartflaum auf der Oberlippe.
Er wandte sich an die Sardinenverkäuferin vom Nachbarstand. »Was ist los mit ihr? Ist sie krank?«
Die schüttelte den Kopf. »Der Herr Pfarrer hat ihr ins Gewissen geredet. Sie verscherzt sich die ewige Seligkeit, wenn sie im Zorn böse Worte ausspricht, hat er gesagt. Sie hat ein Gelübde getan, dass sie sich mäßigen will.«
Der Mann schien sich durch die vornehme Antwort ermutigt zu fühlen, weiterzuschreien. »Glaub bloß nicht, dass ich dir diesen Mist bezahle, du Betrügerin! Keinen Peso kriegst du von mir, dass du’s nur weißt. Am liebsten würde ich dir das faule Zeug ins Gesicht schmeißen!«
Pablo sah, wie Luisa Tommasinas Lippen zuckten und sich öffneten. Aber wenn sie ein Gelübde getan hatte, dann würde sie eine schwere Sünde begehen, wenn sie es brach!
»Was fällt Euch ein? Wie könnt Ihr in diesem Ton reden?« Pablos schrille Stimme klang so durchdringend wie ein Nebelhorn. Jetzt hoben auch die Händler an den weiter entfernten Ständen die Köpfe. Pablo genoss die allgemeine Aufmerksamkeit. »Wollt Ihr beweisen, dass Ihr in den Hurenhäusern verkehrt? Das interessiert hier keinen Menschen, da könnt Ihr sicher sein. Es ist eine Unverschämtheit, diese Dame so zu beschimpfen. Das wird Euch der ganze Malbaratillo bestätigen.«
Von den Marktständen kamen beifällige Rufe.
Der Mann drehte sich wütend zu Pablo um. Er trug die Uniform eines Bordschützen. Diese Seeleute fühlten sich den einfachen Matrosen überlegen und beanspruchten überall Vorrechte. »Misch dich nicht ein, du Großmaul! Willst du mir etwa weismachen, dass ich eine frische Auster nicht von einer verdorbenen unterscheiden kann?«
»Diese Dame ist bekannt für die unerreichte Qualität ihrer Ware.« Pablo kannte die Anpreisungen der Marktschreier auswendig und wiederholte sie in gleicher Lautstärke. »An ihrem Stand gibt es die besten Austern von Sevilla, das weiß jeder.«
»So ist es!«
»Recht hat er!«
»Das stimmt!«, schrien die Nachbarn.
Luisa Tommasina nickte geschmeichelt und griff nach einem Austernmesser. Sie öffnete geschickt eine Schale und reichte sie dem Jungen. Pablo schlürfte die Auster und verdrehte die Augen vor Entzücken.
»Köstlich! Sie schmeckt nach Meer – und nach mehr!«
Luisa Tommasina lächelte und nahm eine zweite Auster.
»Halt endlich die Klappe, du Rotzlöffel! Wenn du Geld willst, Frau, dann kannst du lange warten, denn ich verschwinde jetzt.«
»Und warum habt Ihr die Austern gegessen, wenn sie nicht frisch waren, Ihr... Ihr...?« Der Händlerin gelang es gerade noch, ein Schimpfwort zu unterdrücken.
»Ich hab sie nicht alle gegessen. Da hast du den Rest!« Der Bordschütze öffnete das Sacktuch, in das er die Austern gewickelt hatte, und ließ eine auf den Verkaufstisch fallen.
»Eine? Von sechsen?«, rief Luisa Tommasina empört.
»Die fünf waren schlecht und du kriegst eher vom Teufel einen Peso als von mir!«
»Das ist Zechprellerei!« Pablo stellte sich dem Mann in den Weg.
Der gab ihm einen Stoß vor die Brust. »Willst du dich hier als Beschützer aufspielen, du Gernegroß? Weißt du eigentlich, wie du aussiehst? Dir hat wohl ein Esel ins Gesicht geschissen?«
»Andres! Andres!«, rief Pablo gellend. »Zu Hilfe! Deine Frau wird betrogen!«
Aber er hätte sich das Schreien sparen können, denn man hatte den Wortwechsel an sämtlichen umliegenden Ständen verfolgt, und der Bordschütze sah sich nicht nur dem erbosten Andres, sondern einer ganzen Reihe von Männern gegenüber, die alle die Hand am Griff der Messer hatten, die in ihren Gürteln steckten.
Auch der Bordschütze fasste nach seinem Messer. »Rodrigo! Alejo! Her zu mir!«, schrie er. »Diese dämlichen Fischer wollen Prügel kriegen.«
Aber keiner seiner Kumpane kam ihm zu Hilfe. Die Fischer rückten schweigend näher. In der plötzlichen Stille hörte man durcheinander schreiende Männerstimmen – und dann einen einzelnen durchdringenden Ruf:
»Die Söhne des Admirals der westlichen Meere wollt ihr sein? Dass ich nicht lache! Den Admiral der Moskitos sollte man ihn nennen!«
Das Stimmengewirr verebbte. Stattdessen erklang im Chor: »Admiral der Moskitos! Admiral der Moskitos!«
Die Menschen um den Austernstand reckten die Hälse. Nur die Zunächststehenden behielten noch den Bordschützen im Auge. Die anderen beobachteten die Menge, die durch die kleine Kohlenpforte in der Stadtmauer drängte. Von dort führte eine Gasse direkt in das königliche Schloss, den Alcázar. Pablo stellte sich auf einen umgestülpten Eimer, um über die Köpfe hinwegsehen zu können.
Durch die Kohlenpforte strömte eine lange Reihe von Matrosen, mindestens fünfzig, schätzte Pablo, die meisten zerlumpt und abgemagert. Sie bildeten einen Kreis um zwei junge Männer, die beide in der Tracht der königlichen Pagen gekleidet waren. Jeder in Sevilla wusste, dass sich der König und die Königin in der Stadt aufhielten und der ganze Hofstaat mit ihnen, denn die Herolde hatten sie angekündigt, und außerdem wehten die königlichen Fahnen über dem Alcázar.
»Admiral der Moskitos! Admiral der Moskitos!«, brüllten die Männer wieder.
Der Bordschütze hatte inzwischen begriffen, dass er vergebens um Hilfe gerufen hatte. Er starrte Andres und seine Freunde noch einige Augenblicke lang mit wütendem Gesicht an, dann zog er ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie mit verächtlicher Geste auf den Tisch. Bevor er sich davonmachte, musterte er Pablo, als ob er sich sein Gesicht genau einprägen wollte.
»Pass bloß auf, dass du mir nicht vor die Fäuste gerätst, du Eselsschiss!«, knurrte er.
Luisa Tommasina reichte Pablo die zweite Auster. »Das hast du gut gemacht, Kiebitz-Ei. Schau mal nach, warum die Kerls da so schreien, und erzähl’s uns, ja?«
Pablo bedankte sich und lief hinter der schreienden Gruppe her, überholte sie seitlich und kletterte wieder auf seinen Stammplatz auf der Kranbrüstung. Von hier aus konnte er die beiden Pagen deutlich sehen. Was ihm als Erstes ins Auge sprang, war die ungewöhnliche Farbe ihrer kinnlangen Haare: bei dem Älteren ein dunkles Kastanienrot, bei dem Jüngeren ein leuchtendes Kupferblond. Beide waren sehr schmal, der Ältere hoch gewachsen, der Jüngere reichte ihm nur bis zur Schulter. Sie trugen wadenhohe schwarze Stiefel, schwarzseidene, kurze Pluderhosen über schwarz bestrumpften Beinen, Westen aus schwarzem Samt mit Goldstickereien, schwarze ärmellose Umhänge, aus denen die Ärmel der dunkelgrauen Seidenblusen schauten, und schwarze Kappen auf dem Kopf. Die goldenen Knopfreihen der Westen und die glänzenden Stoffe schimmerten in der Sonne.
Die Sachen kosten bestimmt ein Vermögen, dachte Pablo. Aber sie sehen verflixt unbequem aus. In solchen Stiefeln durch den Sand zu stapfen, ist bestimmt nicht angenehm. Zufrieden rieb er seine bloßen verhornten Fußsohlen gegeneinander.
»Seht ihr die Söhne des Vizekönigs von Indien, die Söhne des Entdeckers?« Da war die durchdringende Stimme wieder. »Aber was hat er entdeckt? Soll ich es euch sagen? Nur die Länder der Eitelkeit und Illusion. Ein Taschenspieler ist er, der ein paar Inseln aus dem Hut gezaubert hat und von den Schätzen Indiens faselt, von Gold und Perlen und Gewürzen. Habt ihr Gold gesehen?«
»Gesehen schon!«, schrie einer. »Aber keins in die Finger gekriegt. Alles hat der Admiral eingesackt.«
»Also kein Gold?«, wiederholte der Wortführer.
»Kein Gold!«, antworteten die Seeleute im Chor.
»Habt ihr Perlen gesehen?«
»Keine Perlen!«
»Und Gewürze?« »Keine Gewürze!«
Pablo beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Das war doch – natürlich, der Wortführer der Schreihälse war Martin Bermejo aus der Vorstadt Triana, der Bruder des Juan Rodriguez Bermejo, den ganz Sevilla nur Rodrigo de Triana nannte.
Und ganz Sevilla kannte auch seine Geschichte, denn Rodrigo de Triana war der Matrose, der auf der ersten Fahrt des Christóforo Colón über das unbekannte Meer im Mastkorb der Pinta gesessen hatte. Er war es gewesen, der am 12. Oktober 1493 im letzten Mondschein oder im frühesten Morgendunst eine Insel aus dem Wasser hatte auftauchen sehen – obwohl auch auf der Santa María und der Niña alle Augen versucht hatten, ein erstes Anzeichen zu entdecken. Er hatte »Land in Sicht!« geschrien und hatte sich damit die seidene Jacke verdient, die Christóforo Colón ausgelobt hatte, und die 10 000 Maravedis der Königin. Die Jacke hatte er bekommen, aber das Geld hatte der Admiral für sich beansprucht, weil er wenige Stunden zuvor ein Licht am Ufer gesehen hatte.
»Ein Licht am Ufer? Auf die Entfernung? Da hätte man schon einen Ochsen am Spieß braten müssen! Aber es gibt überhaupt keine Ochsen auf San Salvador. Und Schafe und Ziegen auch nicht. Da kennt man nämlich kein Vieh. Warum hätten die Indianer ein riesengroßes Feuer am Strand machen sollen? Sie liegen nachts in ihren Hängematten und schlafen und ihre Hütten stehen tief im Urwald. Dieser geldgierige Genuese hat mich um meine Belohnung gebracht! Und kein Mensch kann mir sagen, warum! Die Königin hat er beschwatzt, dass sie ihm ein Zehntel von allen Einnahmen aus den neuen Ländern zugestanden hat, und Vizekönig wird er außerdem. Wozu braucht er da meine 10 000 Maravedis? Für mich ist das ein Vermögen, na ja, jedenfalls ein Jahresgehalt, aber für ihn ist das nicht mehr als ein Fliegendreck.«
Überall hatte Rodrigo de Triana diese Geschichte erzählt und immer neue Versuche unternommen, doch noch an das Geld zu kommen, aber es hatte nichts genützt. Der Admiral hatte zwei Zeugen von der Santa María, denen er das Licht gezeigt hatte. Weil nur der eine es gesehen hatte und der andere nicht, hatte er die Mannschaften der drei Schiffe nicht in Aufregung versetzen wollen. Gegen diese Erklärungen war Rodrigo de Triana machtlos gewesen und schließlich war er zum allgemeinen Entsetzen in maurische Dienste getreten.
Das war ein schwerer Schlag für seine Familie. Die Mauren waren die Erzfeinde des Christentums, die Diener Allahs, die Gefolgsleute des Propheten Mohammed und seiner Nachfolger, die das ganze Abendland in die Gewalt des Islams bringen wollten. Jahrhunderte hatte es gedauert, bis man die Mauren aus Spanien vertrieben hatte. Erst vor zehn Jahren war die letzte maurische Festung, Granada, gefallen und ganz Andalusien gehörte seitdem wieder zum Reich der christlichen Könige Fernando und Isabella. Wer für die Mauren kämpfte, der war ausgeschlossen aus der Gemeinschaft aller rechtgläubigen Menschen, sein Leib war der irdischen Gerechtigkeit und seine Seele dem Teufel verfallen.
»Ein Lügner ist er, dieser Admiral der Moskitos!« Martin Bermejo schüttelte die Fäuste. »Meinen Bruder hat er um seine Belohnung gebracht und der hat vor Kummer darüber den Verstand verloren. Denn nur ein Wahnsinniger geht zu den Mauren, das ist doch wohl klar.«
Die Meute der Zerlumpten brüllte Zustimmung.
»Und mein Bruder ist nicht der Einzige, den der Moskito-Admiral auf dem Gewissen hat.« Bermejo hob die Rechte und zählte an den Fingern ab. »In Kastilien – und Aragon – und Andalusien – und Navarra – und im Baskenland haben hunderte von Männern seinen Lügen geglaubt. El Dorado hatte er angeblich gefunden, das Goldland. Viele haben ihr letztes Geld für eine Fahrt nach Española eingesetzt. Und was haben sie dort gefunden? Fast alle den Ruin. Und viele sogar das Grab!«
»Betrüger! Lügner! Verbrecher! Verdammter Genuese! Mörder!«, schrien die anderen durcheinander.
Der Lärm schwoll bedrohlich an.
Pablo sah die beiden Pagen jetzt direkt unter sich. Der Ältere war schon ein junger Mann, bestimmt über zwanzig, den Jüngeren schätzte Pablo auf ungefähr vierzehn. Sie waren ruhig weitergegangen, als ob sie die Beschimpfungen gar nicht gehört hätten. Wenn sie wirklich die Söhne des Admirals waren, dann gingen sie sicher zu den vier Karavellen am Ende der langen Schiffsreihe, die für die neue Fahrt des Entdeckers ausgerüstet wurden. Trotz ihrer Empörung wagten die Männer nicht, den beiden den Weg zu verstellen, sondern wichen vor ihnen zurück. Die Pagen blickten starr geradeaus, ihre Gesichter waren sehr bleich und sie hatten die Lippen zusammengepresst.
Als der Schrei: »Mörder!« ertönte, schossen dem Jüngeren die Tränen in die Augen. Seine Hand fuhr an den kleinen Degen, der in einer verzierten Scheide an seinem Gürtel hing. Der Ältere legte ihm den Arm um die Schultern, um ihn zurückzuhalten, aber der Blonde schüttelte ihn ab und war mit zwei Sprüngen vor dem Mann, der ihm am nächsten stand: ein langer Dürrer mit zerfurchtem Gesicht und zotteligen grauen Haaren. Der Blonde zog langsam den Degen aus der Scheide. Die Seeleute verstummten. Eine erwartungsvolle Stille breitete sich aus.
»Hast du ›Mörder‹ gerufen?« Die Stimme des Jungen klang hell und kindlich. »Dann sag das noch mal, wenn du dich traust.«
Er ist wahrscheinlich doch jünger als ich, überlegte Pablo, der schon im Stimmbruch war.
Der Zottelhaarige grinste bloß, wobei ein paar braune Zahnstummel zum Vorschein kamen. In seiner Rechten blitzte auf einmal ein Messer.
»Bist wohl jähzornig, was?«, nuschelte er. »Wie dein Alter.«
»Fernan! Hör auf!« Der Ältere sprach so, als ob er daran gewöhnt wäre, dass der Jüngere ihm gehorchte. »Ein Page der Königin schlägt sich nicht mit dem Abschaum des Hafens!«
»Was fällt dir ein, du geschniegelter Laffe?« Martin Bermejo machte einen Schritt nach vorn. »Abschaum des Hafens? Wir sind ehrliche Seeleute! Und wenn uns dein Vater nicht um unseren letzten Peso gebracht hätte, dann könnten wir auch in Samt und Seide herumlaufen so wie du.«
Der Ältere würdigte ihn keiner Antwort, sondern blickte hochmütig an ihm vorbei und zuckte bloß mit den Schultern, als ob ihn eine Schmeißfliege belästigen würde.
Martin Bermejos Gesicht lief rot an. »Du willst wohl den Hidalgo spielen, du... du Geck, du! Das hast du sicher deinem Alten abgeschaut, was? Der stolziert auch so arrogant herum wie ein Herzog aus uraltem Adel. Aber ist er von Adel? Hat er auch nur den kleinsten Tropfen edlen Bluts in sich? Wahrscheinlich nicht einen! Denn wenn er ihn hätte, er hätte es längst ausposaunt.« Seine Stimme triefte vor Hohn. »Du nennst uns Abschaum, aber war seine Familie besser als unsere? Das weiß kein Mensch. Ja, schau mich nur an, als ob du mich erdolchen möchtest! Ein jämmerlicher Habenichts aus Genua war er, mit verrückten Plänen, verlacht und verspottet. Und heute nennt er sich Vizekönig von Indien. Und Admiral des Ozeans. Aber warte nur, bis ihn die Inquisition in die Fänge kriegt! Die Genuesen sind doch alle jüdisch versippt, denn sonst könnten sie nicht so gut mit Geld umgehen, das weiß jeder. Wir haben vor zehn Jahren alle Juden aus dem Land gejagt. Und wer jüdische Vorfahren hat und sich verdächtig macht, der brennt auf dem Scheiterhaufen.«
Das war eine tödliche Beleidigung. Jetzt riss auch der Rothaarige seinen Degen aus der Scheide.
Fünfzig gegen zwei, das kann nicht gut gehen, dachte Pablo – und weiter dachte er nicht, denn er hatte schon drei Finger im Mund und stieß einen Pfiff aus, den man bis an beide Enden von El Arenal hören konnte. Um diese Kunst beneidete ihn sogar Miguel. »Falls du eines Tages doch noch Obermaat werden solltest, dann brauchst du jedenfalls keine Pfeife, Kiebitz-Ei«, sagte er oft.
Die Männer am Fuß des Krans legten die Köpfe in den Nacken und blickten zu dem Jungen hinauf.
»Die Stadtgarde marschiert durch das Arenal-Tor«, schrie Pablo.
Die Seeleute sahen sich erschrocken an. Dieses Stadttor lag nicht weit vom Kran entfernt; wenn man sich beeilte, konnte man die Strecke in wenigen Minuten zurücklegen.
Pablo kauerte sich hinter die Brüstung, sodass er von unten nicht mehr zu sehen war. Mit den Fersen hämmerte er gegen das hölzerne Laufrad des Krans, gleichzeitig pfiff er aus Leibeskräften einen Marsch. Es hörte sich an, als ob die Soldaten mit Pfeifen und Trommeln näher kämen.
Pablos Gedanken wirbelten im Takt der Melodie. Der Admiral stand zwar nicht mehr so hoch in der Gunst der Könige wie früher und hatte am Hof viele Neider und Feinde, das wussten in Sevilla selbst die Kinder. Vor zwei Jahren war er sogar in Ketten von Española nach Spanien zurückgebracht worden, zusammen mit seinen jüngeren Brüdern Bartolomé und Diego. Pablo konnte sich noch gut daran erinnern, wie die drei durch die Straßen geführt worden waren, die schweren Eisenketten hinter sich herschleifend, und alle Leute bei diesem Anblick entsetzt geschwiegen hatten. Aber später hatten die Könige von einem Missverständnis gesprochen und jetzt rüsteten sie dem Don Christóforo Colón sogar Schiffe für eine vierte Entdeckungsfahrt – also musste er doch noch Einfluss haben. Immerhin war er Admiral und Vizekönig geblieben. Da kostete es ihn bestimmt nur einen Federstrich, Miguel zum Piloten zu machen.
kapitel 2
Als Pablo nach einigen Augenblicken nach unten schaute, waren die zerlumpten Seeleute in der Menschenmenge am Strand verschwunden. Er schwang sich über die Brüstung und ließ sich in den Sand fallen. Die beiden Pagen sprangen zur Seite, denn die Plattform befand sich mehrere Meter über dem Boden, aber Pablo war gelenkig wie eine Katze und kam sofort wieder auf die Füße. Er hatte schon ganz andere Sprünge überstanden.
»Das war bloß ein Trick von mir«, sagte er stolz. »Mit der Stadtgarde, meine ich. Am besten verschwindet Ihr, bevor sie es merken und zurückkommen.«
Die Söhne des Admirals betrachteten ihn erstaunt. Sie sahen einen stämmigen, kraushaarigen Jungen mit dunklen Kulleraugen im runden Gesicht, um den Mund herum deutliche Spuren von Fett und Kohle. Hemd und Hose waren fadenscheinig und geflickt, aber ziemlich sauber. Er war braun gebrannt, im Gesicht und auf den bloßen Armen und Beinen schimmerten kleine, helle Narben.
Ein Straßenjunge, dachte Diego. Und er stinkt nach Fisch. Aber immerhin hat er uns die unverschämten Kerle vom Hals geschafft. Warum wohl?
»Wir sind dir zu Dank verpflichtet«, sagte er förmlich und öffnete den Geldbeutel an seinem Gürtel.
»Ich brauche kein Geld! Das heißt, ich brauche es schon, aber etwas anderes wäre mir noch lieber – nein – ich wollte sagen – wenn ich – also wenn Euer Gnaden die Güte haben würden...« Pablo verhaspelte sich. Wie sprach man eigentlich mit dem Sohn eines Vizekönigs?
Der Rothaarige zog die Augenbrauen hoch. Er sieht wirklich ziemlich hochnäsig aus, da hat Martin Bermejo Recht, dachte Pablo.
»Ich heiße Pablo Alvarez, halten zu Gnaden«, sagte er hastig. »Und mein großer Bruder Miguel ist Seemann und möchte unbedingt Pilot werden. Er ist erst 21 und ist doch schon Obermaat und vielleicht könnte Euer Vater, der Herr Admiral...«
Er verstummte, denn über das Gesicht des Rothaarigen flog ein Ausdruck, dass Pablo sich vorkam wie geohrfeigt. Empört, nein – fassungslos, nein – angewidert, ja – das war das richtige Wort.
»Mein Vater beschäftigt sich nicht mit solchen Nichtigkeiten.« Der Große warf Pablo eine Münze zu und zog seinen Bruder mit sich fort, hinüber zu den Karavellen, die für die vierte Fahrt des Admirals bestimmt waren.
Pablo starrte hinter den beiden her, während er mechanisch die Münze in den Fingern drehte, ohne sie zu beachten. Der Jüngere hat sich nicht mal bedankt, dachte er. Wieso bin ich eigentlich so wütend?
Er spürte Tränen des Zorns hinter seinen Lidern brennen. Der Blonde eben hatte auch vor Wut geheult. Pah! Das fehlte noch! Pablo schluckte und zwinkerte schnell. Er konnte sich überhaupt nicht erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Er war schließlich Pablo Kiebitz-Ei und kein verweichlichter Page. Und warum sollte er wütend sein? Vornehme Herren kümmerten sich nicht um Straßenjungen, das wusste er doch. Kein Grund zur Aufregung! Er würde die beiden ohnehin nicht wieder sehen. Pagen mussten am Hof bleiben und dem König oder der Königin dienen. Über kurz oder lang würden sie Sevilla verlassen und in die nächste Residenz ziehen.
Er drehte sich um und ging zum Arenal-Tor. Er hatte nicht die geringste Lust, Luisa Tommasina von dem Vorfall zu erzählen. Aber auf einmal verstand er die schimpfenden Seeleute.
Zu seiner Erleichterung entdeckte er einen Fischerjungen,der einer bettelnden Blinden leere Muscheln in die Schürze warf. Nachdem er ihn verprügelt hatte, fühlte Pablo sich besser. Aber er hatte noch weniger Lust als sonst, nach Hause zu gehen. Er würde einen Abstecher in die Stadt machen.
Wenig später saß er auf einer Stufe vor der Kathedrale. Dieser Platz gefiel ihm fast genauso gut wie die Brüstung des Hafenkrans und er war fast ebenso oft hier wie dort.
Die Gradas de la catedral waren der Mittelpunkt von Sevilla. Hier warteten Matrosen, Zimmerleute, Kalfaterer, Bordschützen und Schiffsjungen auf Anstellung. Schiffseigentümer und Kapitäne stiegen die Stufen auf und ab, musterten die Männer und suchten sich die aus, die ihnen geeignet schienen. Seeleute, die erst kürzlich an Land gekommen waren, saßen mit Freunden zusammen und erzählten von ihrer letzten Reise. Passagiere erkundigten sich nach Abfahrtszeit und Ziel der Schiffe und nach den Kosten für einen Platz an Bord. Kaufleute suchten die günstigste Beförderung für ihre Waren.
Priester, Nonnen und Kirchgänger gingen zu den Messen und Andachten, gefolgt von Steinmetzen, Malern und Bildhauern, denn die Kathedrale war immer noch nicht ganz fertig, obwohl schon seit hundert Jahren an ihr gebaut wurde – aber dafür war sie auch eine der größten und schönsten der gesamten Christenheit. Krüppel, Lahme, Blinde und Bettler kauerten vor den Portalen. In den Bogengängen um den Kathedralenplatz hatten Schreiber ihre Pulte aufgestellt und verfertigten Kontrakte für Fracht, Passagen und Heuer, die dann in den Büros der Notare unterschrieben wurden.
Pablo beobachtete durch halb geschlossene Lider einen Mann, der eine Stufe unter ihm saß. Eigentlich war es kein Mann, sondern ein Herr, das sah man an den Kleidern aus feinen Stoffen und an der pelzverbrämten Kappe, die er achtlos neben sich gelegt hatte. Außerdem hielt er ein kleines Buch in der Hand, in dem er ab und zu eine Seite umblätterte, und nur Reiche konnten sich Bücher leisten.
Aber er schien nicht wirklich zu lesen, sondern die Leute zu beobachten, denn immer, wenn jemand eilig die Stufen herauflief, streckte er blitzschnell ein Bein vor, sodass der Eilige darüber stolperte, und rief laut: »Au! Auweh!« Dann entschuldigte sich der andere mit vielen Worten, und der Herr rief erfreut: »Nein, wie schön! Ein Landsmann!« Darauf unterhielten sich die beiden eine Weile und tauschten Neuigkeiten aus, und nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging das Spiel von neuem los.
Was Pablo am meisten verwunderte, war der ständige Wechsel der Sprachen und Dialekte. Denn ganz gleich, ob der Stolpernde aus Kastilien oder Aragon oder Andalusien kam oder sogar aus Mallorca oder Genua – Miguel hatte seinem Bruder ein paar Brocken von diesen Sprachen beigebracht -, der Herr redete immer so flüssig mit ihm, als ob er sich in seiner Muttersprache unterhalten würde.
Eine volle Stunde lang ging das so, dann begannen die Glocken in der Giralda das Mittagsläuten. Die gewaltigen Töne übertönten alle anderen Geräusche. Die Menschen erhoben sich von den Stufen oder blieben auf ihrem Weg zu den Portalen stehen, falteten die Hände und beteten den Angelus, auch Pablo und der fremde Herr neben ihm. Alle bekreuzigten sich, als die Glockentöne schwächer wurden und verebbten.
Die Menschen gerieten wieder in Bewegung. Am Fuß der Treppe erschien ein Schwarzer in einem langen bunten Gewand, dann tauchte ein zweiter aus der Calle del Mar auf. Niemand drehte sich nach ihnen um. Sklaven aus Afrika waren eine Zeit lang außergewöhnlich gewesen, aber inzwischen hatte jeder einen, der seinen Reichtum beweisen wollte.
Pablo kannte die beiden. Der eine gehörte einem dicken Kaufmann, der andere einem Grafen, der ein Stadtschloss in Sevilla hatte. Sie begrüßten sich, blieben stehen und sprachen miteinander. Der Herr sprang die Stufen hinunter und stellte sich neben die beiden, wobei er das Buch in einen Beutel am Gürtel schob. Seine Kappe ließ er liegen. Die Schwarzen blickten ihn verwundert an, woraufhin er sich verneigte und mit vielen Gesten etwas zu erklären schien.
Pablo wäre ihm gerne gefolgt und hätte zugehört, aber in diesem Augenblick merkte er, dass ein kleines Mädchen unauffällig auf die Kappe zurutschte. Füße, Hände und Gesicht starrten vor Schmutz, ihre Kleidung bestand aus Lumpen, die schwarzen Haare hatten bestimmt seit Monaten weder Kamm noch Wasser gesehen. Die Kleine schob sich immer näher und breitete schon ihre durchlöcherte Schürze über die Kappe, als Pablos Hand nach vorne schoss und beide festhielt.
»Weißt du nicht, dass Diebe ausgepeitscht werden?«, fragte er streng.
Das Mädchen fuhr zusammen wie unter einem Schlag und starrte ihn einen Moment fassungslos an. Dann sprang sie auf und verschwand im Gewimmel der Menschen auf den Treppen. Ein Teil der Schürze blieb in Pablos Hand zurück. Er lief zu dem Eigentümer hinunter und schwenkte die Kappe.
»Señor! Ich habe sie! Beinahe wäre sie gestohlen worden.«
Der Herr drehte sich um. Auf den ersten Blick erinnerte sein Gesicht Pablo an einen Kaplan von Santa Catalina. Das war eine reiche Pfarrei und die Priester sahen entsprechend wohl genährt und zufrieden aus. Doch Pablo stromerte durch die Gassen, Hinterhöfe und Spelunken Sevillas, seit er laufen konnte, und hatte sich dabei eine erstaunliche Menschenkenntnis erworben. Deshalb sah er beim zweiten Blick, dass der Herr einen Zug um den Mund hatte, der ihn an Miguel während einer Strafpredigt erinnerte, und einen durchdringenden Blick, als ob er ans Befehlen und vor allem an Gehorsam gewöhnt sei. Die Adlernase ließ ihn herrisch wirken. Das war kein Kaplan.
»Bin ich nicht ein Schwachkopf? Das sieht mir ähnlich. Aber wenn ich Ausländer sehe, vergesse ich alles andere.« Der Fremde lachte, fischte ein paar Münzen aus der Tasche und sah auf einmal gar nicht mehr herrisch aus. »Vielen Dank, Junge! Um die Kappe hätte es mir Leid getan.«
Er setzte sie auf und wandte sich wieder den beiden Sklaven zu.
Pablo betrachtete die Münzen und schnaufte überrascht. Ob die Kappe wirklich so wertvoll war? Oder war der Herr einfach sehr großzügig? Jedenfalls konnte man jetzt nicht einfach weggehen, für so viel Geld musste man sich richtig bedanken. Er wartete in einigem Abstand, bis die drei ihre Unterhaltung beendet hatten, aber er hatte kaum ein paar Worte gesprochen, als der Herr ihn unterbrach.
»Schon gut, Junge, nichts zu danken. Ich hab heute meinen spendablen Tag.« Er lachte wieder. »Darf ich dich auf einen Schluck einladen? Da drüben steht ein Weinverkäufer.«
»Mich? Ich... oh ja! Gerne!«
Gab es das also doch: ein vornehmer Herr, der freundlich war? Er gefiel Pablo immer besser. Wie hatte er bloß an den Priester von Santa Catalina denken können, der meistens nur abwesend nickte, wenn man ihn grüßte, oder bestenfalls eine Antwort murmelte? Vielleicht wegen der Adlernase? Oder wegen der schräg geschnittenen dunklen Augen? Oder weil er so breit war?
Sie legten den Kopf in den Nacken, als sie vor dem Verkäufer standen, erst der Herr, dann Pablo. Der Mann hob den Schlauch und ließ ihnen geschickt den Wein in den offenen Mund spritzen. Der Herr zahlte und sie gingen zusammen weiter.
»Wie heißt du?«
»Pablo Alvarez.«
»Du hast mich beobachtet, Pablo, nicht wahr?«
Der Junge nickte überrascht. Wieso hatte der Herr das gemerkt? Er hatte doch gar nicht in seine Richtung geschaut.
»Und du hast dir mein Verhalten nicht erklären können, stimmt’s?«
Pablo nickte wieder.
»Ich liebe Sprachen, musst du wissen. Und ich übe meine Zunge, wo ich nur kann. Wenn jeder mich für seinen Landsmann hält, dann bin ich zufrieden.«
Pablo merkte auf einmal, dass der Herr mit ihm in dem weichen Singsang sprach, der typisch für den Dialekt von Sevilla war. »Ja – aber – die Schwarzen?«
»Bei denen kann ich natürlich nicht den Landsmann spielen, da hast du Recht. Dafür spreche ich auch noch lange nicht gut genug. Aber ich mache Fortschritte. Sieh mal, da drüben gibt es gegrillte Hähnchenteile. Magst du ein Stück?«
Pablo zögerte. Geflügel war teuer, genau wie Fleisch und Edelfisch. »Meine Mutter sagt immer, das ist nichts für arme Leute.«
»Ab und zu muss man sich auch mal etwas leisten. Komm, wir holen uns einen Schenkel. Heute früh hab ich nämlich meine Pferde verkauft und angeheuert und jetzt hab ich die Taschen voller Geld.«
Angeheuert? Also ein Seemann? Pablo betrachtete ihn verblüfft. Er hatte sich eingebildet, dass er jeden Matrosen sofort erkennen würde. Aber ein einfacher Seemann war das nicht, dafür hätte Pablo alle Münzen der Welt verwettet.
»Angeheuert?«, wiederholte er fragend.
»Als Escudero und Dolmetscher auf der Capitana. Kennst du die?«
Pablos Verblüffung wuchs. Die Capitana war seit Wochen Stadtgespräch, samt ihren Schwestern Gallega, Santiago de Palos und Vizcaina, denn mit diesen vier Schiffen wollte der Admiral Colón eine neue Entdeckungsfahrt unternehmen.
Lange hatte fast niemand mehr daran geglaubt, dass die Majestäten ihm eine vierte Reise finanzieren würden. Vor wenigen Wochen erst war Nicolas de Ovando mit 30 Schiffen und 2500 Menschen nach Española aufgebrochen, der Insel, die Columbus entdeckt und über die er geherrscht hatte – und von der man ihn vor zwei Jahren in Ketten zurückgebracht hatte. Ovando, nicht Columbus, war der Befehlshaber dieser riesigen Flotte und Ovando sollte auch als Vertreter der Könige in Santo Domingo auf Española residieren.
»Mit dem Admiral wollt Ihr fahren? Aber er hat bloß vier jämmerliche Karavellen. Die Flotte von Gouverneur Ovando hättet Ihr sehen müssen! Ganz Sevilla hat auf der Stadtmauer gestanden, als sie abgefahren ist. So viele Segel auf einmal könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen.«
»Darauf kommt es doch nicht an! Karavellen sind die besten Schiffe für Entdeckungsfahrten, klein und wendig und so flach, dass sie auch an Stränden entlangsegeln können. Oder in Flüsse hinein. Ich fahre schon seit vielen Jahren zur See, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Das sagt Miguel auch. Das ist mein großer Bruder. Momentan ist er auf der Marigalante, aber wenn er zurückkommt, sucht er sich eine neue Heuer und nimmt mich mit. Ich bin nämlich schon mal bis zum Kap Trafalgar gefahren und der Kapitän war sehr zufrieden mit mir.«