Die Kurfürstenklinik
– 59–

Wer hilft der schönen Laura M.?

Sie setzt alle Hoffnung auf den Chefarzt

Nina Kayser-Darius

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-128-6

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»Natürlich liebe ich dich noch, Laura«, sagte Ernst Richter nervös. »Wieso zweifelst du überhaupt daran?«

Die schöne junge Frau, die vor ihm stand, war sehr blaß, und sie hielt sich fast unnatürlich gerade. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als sie nun leise erwiderte: »Ich habe dich gesehen, Ernst. Mit einer anderen Frau.«

Er schluckte, damit hatte er ganz offensichtlich nicht gerechnet. Das Lachen, das er dann hören ließ, klang nicht echt. »Du mußt dich irren, Laura«, sagte er, wobei seine Stimme noch eine Spur nervöser klang als zuvor, was der jungen Frau keineswegs entging.

»Ich irre mich nicht«, entgegnete sie, dieses Mal in ausgesprochen bestimmtem Ton. »Und ich finde, daß du wenigstens jetzt den Mut aufbringen solltest, mir die Wahrheit zu sagen. Du hast dich in eine andere Frau verliebt, und ich glaube, daß das schon vor einer ganzen Weile passiert ist. Du hattest so oft keine Zeit für mich – angeblich mußtest du immer bis spät in die Nacht noch arbeiten. Und du warst mit deinen Gedanken häufig woanders. Glaubst du, ich hätte davon nichts bemerkt?«

Er versuchte es noch einmal. »Aber du irrst dich, Laura, ich habe mich nicht in…«

Sie unterbrach ihn ungeduldig. »Ich habe euch vor der Oper gesehen«, sagte sie. »Ihr habt euch lange geküßt. Und leidenschaftlich. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal einen solchen Kuß von dir bekommen habe.«

Er schwieg verwirrt, dann stammelte er: »Aber wieso denn vor der Oper?«

»Ich habe mich an dem Abend nicht gutgefühlt, erinnerst du dich?« Ihre Stimme klang nun ganz sanft, so, als spräche sie mit einem verstockten Kind. »Und ich habe dich gedrängt, nicht auch deine Karte verfallen zu lassen.«

»Ja, ja«, stammelte er, »daran kann ich mich erinnern, natürlich.«

»Nun«, sagte sie, »mir schien gleich, als wärst du gar nicht so böse darüber, daß ich nicht mitkommen wollte. Und wie ich dann sah, hast du dich ja ohne mich auch sicher sehr viel besser unterhalten.«

»Ich… ich verstehe immer noch nicht«, sagte er. Sein Unbehagen wuchs sichtlich. »Wieso warst du an der Oper? Du hast doch gesagt, du fühlst dich nicht gut und legst dich ins Bett.«

Ihr Lächeln war traurig und wissend. »Du hättest dich nicht darauf verlassen sollen«, sagte sie. »Jedenfalls wollte ich dich abholen, weil es mir leid getan hat, daß ich dich allein hatte gehen lassen. Und ich dachte, vielleicht hast du Lust, mir bei einem Glas Wein von der Aufführung zu erzählen. Das wäre dann fast so gewesen, als hätte ich sie auch gesehen. Oder vielleicht sogar noch schöner, du kannst ja sehr gut erzählen. Aber dann sah ich, daß du nicht allein warst. Und ich sah noch mehr…«

»Aber das ist doch schon über zwei Wochen her«, sagte er. »Wieso erzählst du mir das erst jetzt?«

»Ich habe Zeit gebraucht, um zu verarbeiten, was ich an jenem Abend gesehen habe«, antwortete sie schlicht.

»Es tut mir leid, Laura«, murmelte er. »Ich wollte es dir sagen, wirklich, aber ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht.«

»Nicht übers Herz gebracht?« wiederholte sie, verwundert über diese Formulierung. »Was meinst du damit? Irgendwann hättest du es mir doch auf jeden Fall sagen müssen – es wird ja nicht einfacher mit der Zeit, sondern eher schwieriger.«

Er wand sich vor Verlegenheit. Wie hätte er ihr sagen können, daß es gar nicht seine Absicht gewesen war, ihr die Wahrheit zu gestehen? Es ging doch auch so alles gut, er hatte eben zwei Freundinnen, die nichts voneinander wußten – das war nichts Außergewöhnliches, viele seiner Freunde lebten so und fanden nichts dabei.

»Du hast dich so verändert«, sagte er endlich. »Früher hast du gesprüht vor Lebenslust, wir hatten immer so viel Spaß miteinander. Aber seit einiger Zeit…« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich in Inga verliebt, weil sie mich an dich erinnert hat, wie du warst, als wir uns kennenlernten. Mit ihr kann ich lachen und unbeschwert sein. Du bist jetzt oft so niedergedrückt, das kann ich nur schwer aushalten.«

»Und du hast gedacht, besser du betrügst mich hinter meinem Rücken, als es mir offen zu sagen?« fragte sie ungläubig. »Das kann ich nicht glauben, Ernst.«

»Ich dachte, ich breche dir sonst das Herz«, murmelte er unbehaglich, und das war ja irgendwie auch die Wahrheit.

Obwohl sie bereits kerzengerade stand, schien sie sich nun noch ein wenig mehr aufzurichten und dadurch einige Zentimeter zu wachsen. »Das tust du nicht!« sagte sie, erneut in diesem bestimmten Ton, den er gar nicht an ihr kannte. »Ich betrachte unser Verbindung hiermit als gelöst – du kannst dich von nun an deiner neuen Freundin ganz ohne Angst vor Entdeckung widmen.« Sie drehte sich um und wollte gehen, doch er hielt sie zurück.

»Aber wir können doch nicht so auseinandergehen, Laura!« rief er beschwörend. »Wir haben so viel zusammen erlebt, das wirft man doch nicht von einem Moment zum anderen einfach weg!«

Sie sah ihn an, ihre klaren blauen Augen hielten seinen Blick fest. »Ich habe nichts ›einfach so‹ weggeworfen, Ernst. Du warst das, vergiß das nicht!«

»Aber ich liebe dich doch«, sagte er hilflos, »das mußt du mir glauben.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du liebst mich nicht, sonst hättest du mich nicht wochenlang hintergangen, Ernst. Ich werde nie wieder Vertrauen zu dir haben können. Leb wohl.« Wieder drehte sie sich um, und dieses Mal machte er keine Anstalten mehr, sie am Weggehen zu hindern. Sie lief langsam, so wie sie es seit einiger Zeit tat – er hatte sie schon lange nicht mehr so stürmisch laufen sehen wie früher, als er sie kennengelernt hatte. Nein, sie ging langsam, aber sie sah sich nicht noch einmal nach ihm um.

*

Dr. Hilmar Behrends, ein weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannter Architekt, saß hinter seinem Schreibtisch und studierte aufmerksam einige Papiere. Im Augenblick arbeitete er an einem eleganten Erweiterungsbau des Hotels King’s Palace in Charlottenburg. Die Arbeiten kamen gut voran, er war mit der beauftragten Baufirma sehr zufrieden.

Es klopfte, und auf sein aufforderndes »Nur herein!« kam seine Mitarbeiterin Laura Malvin ins Zimmer. Dr. Behrends schätzte die junge Frau außerordentlich – sie war nicht nur klug und fleißig, hatte eine ausgezeichnete Ausbildung und sehr gute Ideen, sondern sie war auch ein ungemein erfreulicher Anblick. Insgeheim hoffte er, sie seinen Kollegen als seine Nachfolgerin präsentieren zu können, wenn er sich aus dem Arbeitsleben zurückzog.

Er war Teilhaber des Architekturbüros, in dem Laura Malvin als Angestellte arbeitete, und da mußte die Nachfolge beizeiten geregelt werden. Allerdings machte ihm Laura, die bisher als seine Assistentin arbeitete, in letzter Zeit Kummer. Ihr heiteres Lachen war völlig verschwunden, tiefe Traurigkeit schien sie einzuhüllen wie ein düsteres Gewand. Entweder, hatte er schon öfter gedacht, ist sie krank oder sie hat großen Kummer. Er tippte auf Letzteres, vor allem, seit er ihren Freund Ernst Richter kennengelernt hatte. Ein gut aussehender Mann mit tadellosen Umgangsformen – aber doch kein Mann für Laura! Er hatte kein Format, das sah man auf den ersten Blick, wenn man ein wenig Erfahrung hatte. Aber woher sollte Laura die haben? Sie war gerade erst siebenundzwanzig geworden.

»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr Dr. Behrends?« fragte Laura schüchtern. »Oder störe ich Sie?«

»Sie stören mich nie, Laura, das wissen Sie doch!« Sie hatte ihm erlaubt, sie beim Vornamen zu nennen – aber das war die einzige Vertraulichkeit zwischen ihnen. Auch das gefiel ihm gut an seiner jungen Assistentin. Sie wahrte Distanz, ohne kühl oder unfreundlich zu wirken. Auf diese Weise hatte sie sich auch bei seinen kritischen Kollegen durchgesetzt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihr zu nahe zu treten, obwohl sie wirklich eine verdammt schöne Frau war mit ihren dunklen Haaren und den blauen Augen. Aber sie sah auch heute nicht fröhlich aus, das stellte er mit einem einzigen prüfenden Blick fest.

»Ich möchte kündigen, Herr Dr. Behrends«, sagte Laura.

Kein anderer Satz hätte ihn mehr schockieren können als dieser. Er starrte sie an, konnte und wollte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. »Ich glaube«, sagte er schließlich langsam, »ich habe Sie nicht richtig verstanden, Laura.«

»Ich möchte kündigen«, wiederholte sie, wobei sie es sorgsam vermied, seinem Blick zu begegnen. »Und zwar zum nächstmöglichen Termin.«

Er war ein temperamentvoller Mann und wäre jetzt gern aufgesprungen und hätte sie angebrüllt, was ihr denn eigentlich einfiele, einen solchen Unsinn zu reden. Doch er wußte, daß er damit nur Schaden angerichtet hätte. Mit Laura mußte man in Ruhe reden – Geschrei und Beschimpfungen nützten da gar nichts. Dann fiel eine Maske über ihr Gesicht und sie sagte einfach nichts mehr. Er hatte solche Situationen schon erlebt.

»Warum?« fragte er. »Aus welchem Grund?«

Sie nickte, als hätte sie diese Frage erwartet. »Ich bin Ihnen wohl eine Erklärung schuldig«, sagte sie dann, und es klang fast resigniert. »Es wäre mir lieber, Sie ließen mich einfach so gehen, Herr Dr. Behrends, das wäre einfacher.«

»Gefällt es Ihnen nicht mehr bei uns?«

»Wie kommen Sie denn auf die Idee?« rief sie erschrocken. »Sie wissen doch, wie gern ich für Sie arbeite! Eine Stelle wie diese werde ich nie wieder finden, da bin ich ganz sicher.«

»Und warum wollen Sie sie dann aufgeben?« fragte er, den Blick aufmerksam auf ihr Gesicht gerichtet, um sich nur ja keine Bewegung darin entgehen zu lassen.

Laura Malvin war eine Frau mit kompliziertem Innenleben, das wußte er schon seit langem. Sie war nachdenklicher als andere ihres Alters, stellte vieles in Frage, grübelte oft über den Sinn des Lebens. Aber sie konnte auch herzlich lachen und sich des Lebens freuen – zumindest war es so gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Doch jetzt war sie fast immer still und zurückhaltend. Und in letzter Zeit war noch eine gewisse Niedergeschlagenheit hinzugekommen, die neu war. Ob es ihm gelang, den Grund dafür herauszufinden?

»Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich mich verändert habe?« fragte sie in diesem Augenblick leise.

Er war ihr eine ehrliche Antwort schuldig, und so nickte er. »Doch«, gab er zu, »das ist mir durchaus aufgefallen. Sie machen oft einen traurigen und niedergedrückten Eindruck. Haben Sie Kummer, Laura?«

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe mich von meinem Freund getrennt, er hatte eine andere.«

Deshalb also, dachte Hilmar Behrends, doch schon ihre nächsten Worte belehrten ihn eines Besseren.

»Aber das ist nicht der Grund, Herr Dr. Behrends, warum ich niedergeschlagen bin. Ernst hat sich übrigens aus diesem Grund in die andere Frau verliebt – jedenfalls hat er das gesagt. Ich hätte mich so verändert, früher sei ich viel lebenslustiger gewesen.« Sie machte eine Pause und fuhr schließlich nachdenklich fort: »Das stimmt auch. Ich war anders, das weiß ich selbst. Aber was für mich am schlimmsten ist: Meine Leistungen lassen nach, ich bin nicht mehr so gut wie früher. Und ich werde über kurz oder lang zu einer Belastung für Sie werden. Deshalb kündige ich jetzt.«

»Das lasse ich nicht zu«, widersprach er energisch. »Ich lasse Sie nicht gehen, Laura. Jeder Mensch hat mal eine Phase, in der es nicht so gut läuft. Da wirft man doch nicht gleich alles hin!«

Sie lächelte traurig. »Es ist nicht nur eine Phase, Herr Dr. Behrends, das weiß ich ganz genau. Es wird immer schlimmer werden, glauben Sie mir. Und bevor Sie mir dann eines Tages sagen müssen, daß ich als Mitarbeiterin hier nicht mehr tragbar bin, gehe ich lieber von selbst.«