MAYA BANKS
Dark Surrender
Liebe
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Jana Kowalski
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Epilog
Über die Autorin
Die Romane von Maya Banks bei LYX
Impressum
MAYA BANKS
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Jana Kowalski
Zu diesem Buch
»Von jetzt an wirst du bei mir immer an erster Stelle stehen«, schwor er. »Du wirst nie wieder deinen Platz in meinem Herzen oder meiner Seele in Frage stellen.«
Fünf Jahre ist es her, dass Chessy und Tate sich das Ja-Wort gaben. Damals glaubten sie, gemeinsam die Welt erobern zu können – ihre Liebe zueinander war stärker, leidenschaftlicher und intensiver als alles, was sie zuvor kannten. Für Chessy hat sich daran bis heute nichts geändert. Sie würde sich Tate noch immer mit jeder Faser ihres Körpers hingeben, sich ihm bedingungslos unterwerfen. Und sie wünscht sich nichts sehnlicher, als eine Familie mit ihm zu gründen. Doch der Alltag hat die beiden inzwischen eingeholt: Tates berufliche Verpflichtungen nehmen mehr und mehr seiner Zeit in Anspruch, und mit jedem Abend, den Chessy allein zu Bett geht, beobachtet sie resigniert, wie ihre Ehe ein weiteres Stück zu zerbrechen droht. Auch Tate spürt, dass Chessy sich immer mehr von ihm distanziert. Er weiß, dass er seine Prioritäten ordnen muss, wenn er die Liebe seines Lebens nicht verlieren will. Eine unvergessliche Nacht soll das Feuer der Leidenschaft zwischen ihnen neu entfachen – heißer und mitreißender, als sie es je gespürt haben. Doch Tates Plan geht schief: Statt Chessy von seiner Liebe zu überzeugen, bringt er sie durch einen Moment der Unachtsamkeit in große Gefahr. Und plötzlich steht für ihn viel mehr auf dem Spiel, als er je hätte ahnen können …
Für Carrie –
von ganzem Herzen
Chessy Morgan fuhr in eine Parklücke auf dem Parkplatz des Lux Cafés in Houston und sah überrascht, dass sowohl Kylies als auch Joss’ Auto bereits nicht weit entfernt abgestellt waren.
Dass Kylie schon da war, verblüffte sie nicht weiter. Kylie war immer pünktlich. Aber Joss? Joss kam ständig zu spät. Chessy und Kylie mussten fast immer auf Joss warten, die dann lachend in das Restaurant gestürmt kam, in dem sie miteinander verabredet waren, und stets eine überflüssige Entschuldigung für ihre Saumseligkeit auf den Lippen hatte.
Aber, ach, wer konnte auf Joss böse sein? Vor allem wegen etwas so Unwichtigem wie regelmäßigem Zuspätkommen. Joss war eine Frau, die mit ihrer Fröhlichkeit und Güte jeden Raum erstrahlen ließ. Joss hatte viel durchgemacht, und es hatte lange gedauert, bis aus der trauernden Witwe nach dem Tod von Carson die Joss von heute geworden war … glücklich, verliebt und verheiratet mit Dash, dem besten Freund ihres früheren Ehemannes. Chessy freute sich unbändig für ihre Freundinnen. Joss und Kylie hatten beide ihre große Liebe gefunden. Besonders für Kylie war das eine große Sache. Sie hatte riesige Fortschritte gemacht, als es ihr schließlich gelungen war, die Dämonen der Vergangenheit zu besiegen, die so lange Einfluss auf ihr Leben genommen hatten.
In Jensen hatte Kylie mehr als nur den passenden Partner gefunden; die beiden gaben ein wundervolles Paar ab. Chessy zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass Jensen für Kylie absolut perfekt war.
Wenn Chessy über ihr eigenes Liebesleben – ihre Ehe – doch nur das Gleiche sagen könnte … dass alles genauso perfekt wäre wie bei ihren Freundinnen.
Sie stieß einen leisen Seufzer aus, stieg aus ihrem Mercedes SUV und bedachte den Siebensitzer mit einem kläglichen Blick über die Schulter. Als sie von Tate damit überrascht worden war, hatte sie sich gefragt, warum um Himmels willen er ihr etwas so Großes besorgt hatte. Aber er hatte sie nur mit seinem charmant schelmischen Funkeln in den Augen angesehen und ihr gesagt, dass es das am besten geeignete Fahrzeug wäre, um ihre Kinder damit zu transportieren. Die Kinder, von denen sie immer sagten, dass sie sie haben wollten. Das war am Anfang ihrer Ehe ein Thema gewesen, über das sie häufig gesprochen hatten. Sie hatten in gemeinsamen Träumen von einer großen Familie und einem Haus voller Kinder geschwelgt, das von Liebe und Lachen erfüllt war. Doch in letzter Zeit war er dem Thema Kinder ausgewichen.
Er war, nachdem er sich selbstständig gemacht hatte und von seinem Partner im Stich gelassen worden war, immer noch dabei, seine Firma aufzubauen. Er wollte abwarten, bis sich seine Situation stabilisiert und er sich am Markt etabliert hatte, ehe sie sich Kinder anschafften. Aber insgeheim fragte Chessy sich mittlerweile, ob dieser Tag wohl jemals kommen würde. Seit einem Jahr hatte sie sich nicht mehr getraut, das Thema zur Sprache zu bringen.
Sie hatte das Gefühl, als würde Tate ihr immer mehr entgleiten. Er wurde völlig von seiner Arbeit vereinnahmt, und sie kam nur noch an zweiter oder gar dritter Stelle; bloß der Himmel wusste, welche Position sie gegenwärtig auf seiner Prioritätenliste innehatte.
»Um Gottes willen, Chessy. Hör auf, so ein Drama daraus zu machen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Tate liebt dich. Du liebst ihn. Du musst einfach nur Geduld haben und diese Phase durchstehen. Alles wird in Ordnung kommen«, schalt sie sich selbst.
Sie setzte für ihre Freundinnen eine fröhliche Miene auf, als sie das Restaurant betrat, und achtete darauf, dass man ihr ihre trüben Gedanken nicht ansah. Auf keinen Fall sollten sie sich noch mehr Sorgen machen, als sie es ohnehin schon taten. Sie wussten seit Monaten, dass nicht alles so war, wie es sein sollte. Chessy hatte die Blicke bemerkt, die die beiden miteinander tauschten, wenn sie meinten, sie würde es nicht sehen. Ihr entging nichts. Weder die besorgten Blicke noch der Zweifel in den Augen ihrer Freundinnen. Sie wusste, dass sie sich wegen ihr und Tate Gedanken machten. Aber die beiden waren glücklich. Überglücklich. Und Chessy wollte sie nicht mit ihren Problemen runterziehen.
Sie war diejenige, die immer förmlich übersprudelte. Diejenige, auf deren gute Laune man sich verließ und die alle mitriss. Aber sie war eine Katastrophe, wenn es darum ging, ihre Gefühle zu verbergen. Ob es ihr nun gut ging oder nicht, man sah es ihr immer sofort an. Wenn sie glücklich war, war sie richtig glücklich. Sie schäumte dann über vor Freude und strahlte förmlich, wie ihr ihre Freundinnen häufig sagten. Das Problem an der Sache war, dass ihre Freundinnen es aber auch sofort bemerkten, wenn sie nicht gut drauf war. Sie lasen in ihr wie in einem offenen Buch, blickten hinter jede Fassade, und egal was sie anstellte, sie ließen sich nie auch nur eine Sekunde lang täuschen.
Trotzdem nahm sie Haltung an und setzte ein stählernes Lächeln auf, bei dem ihre Wangen vor Anstrengung zu schmerzen anfingen, während sie zu der Nische ging, in der Kylie und Joss bereits Platz genommen hatten.
»Gott sei Dank! Endlich bist du da!«, rief Kylie und griff sofort nach Chessys Hand, um sie auf die Rundbank neben sich zu ziehen. »Joss leuchtet förmlich, und sie hat den speziellen Blick in den Augen, der für mich auf ein Geheimnis schließen lässt, aber sie hat sich tatsächlich geweigert, vor deinem Eintreffen irgendetwas zu verraten.«
Chessy fiel fast auf die Bank, nachdem Kylie sie mit einem Ruck neben sich gezogen hatte, und grinste über Kylies Erregung, dass Joss ihre Neuigkeit erst preisgeben wollte, wenn auch Chessy eingetroffen war. Ein Teil ihres Schmerzes verflog. Wie sollte es auch anders sein, wenn sie mit ihren beiden besten Freundinnen zusammen war? Allein ihre Gegenwart nahm ihr etwas von ihrer Traurigkeit, die in letzter Zeit ihr ständiger Begleiter geworden zu sein schien.
»Ah, genau, ich sehe, was Kylie meint, Joss«, sagte Chessy, während sie ihre Freundin musterte. »Du hast eindeutig den Ausdruck einer Katze im Gesicht, die sich am Sahnetopf bedient hat, und du leuchtest wirklich. Jetzt komm schon, spuck’s endlich aus. Die Schwesternschaft ist zusammen, worauf wartest du also noch. Ich will dir keine Daumenschrauben ansetzen müssen, denn ich garantiere dir, dass Kylie in dieser Sache zu mir halten wird. Die Arme hat schon so lange warten müssen, bis ich endlich da war. Wenn’s sein muss, quetschen wir dich aus. Erzähl es uns also lieber freiwillig!«
Kylie nickte energisch, und beider Blicke hingen an Joss’ strahlendem Lächeln, das sich über ihrem Gesicht ausbreitete und ihre zarten Züge erhellte. Das versetzte Chessy einen unerwarteten Schlag. Joss strahlte wirklich, und sie sah so glücklich aus, dass es Chessy fast wehtat, sie anzuschauen. Aber sie würde ihrer Freundin diesen glücklichen Moment auf keinen Fall vermiesen, indem sie auch nur ansatzweise durchblicken ließ, dass es ihr selbst nicht gut ging. Sie wollte das Zusammensein mit ihren Freundinnen damit nicht überschatten.
»Dash und ich sind schwanger«, erklärte Joss mit unverhüllter Freude. »Ich bin schwanger«, verbesserte sie sich, und es legte sich ein sanfter Ausdruck über ihr Gesicht, bei dem ihre Augen vor Liebe und Glück strahlten. »Wir bekommen ein Baby!«
Kylie kreischte und zog Joss sofort in ihre Arme. Die verwirrten Blicke der anderen Gäste, die in der Nähe der Frauen saßen, beachtete sie überhaupt nicht.
Chessy sprang auch sofort auf, obwohl ihr der Magen in die Kniekehlen gerutscht war, und eilte um den Tisch herum, weil Kylie ihr von der anderen Seite den Weg zu Joss versperrte. Sie rutschte neben Joss auf die Bank und zog sie aus Kylies Umarmung.
»Ich freue mich so für dich«, flüsterte Chessy, denn sie hatte einen Kloß im Hals, der es ihr unmöglich machte, es laut auszusprechen.
Joss erwiderte ihre Umarmung, doch als sie sich von ihr löste, musterte sie Chessy mit durchdringendem Blick.
»Danke«, sagte Joss ruhig. »Aber vielleicht erzählst du uns jetzt, was mit dir los ist und warum du so unglücklich aussiehst. Hat es was mit Tate zu tun? Steht es noch schlimmer?«
Chessy rutschte das Herz in die Hose. Sie hätte wissen müssen, dass ihre besten Freundinnen die Letzten war, die sie hinters Licht führen konnte. Joss sonnte sich im Glanz der frohen Kunde – eine herrliche Nachricht – und im Bewusstsein, dass ein lang gehegter Traum endlich in Erfüllung ging. Chessy wollte den Moment, der zum Feiern einlud, nicht trüben.
Sie griff nach Joss’ Hand und drückte sie. »Das ist jetzt dein großer Augenblick, Liebes. Wir können ein anderes Mal über meine Probleme reden. Jetzt wollen wir erst einmal auf die werdende Mutter anstoßen und uns über Erfreuliches wie Babykleidung und eventuelle Namen austauschen! Ach, du meine Güte, Kylie, wir müssen eine Riesenbabyparty für Joss planen. Wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Und die ziehen wir so auf, dass auch die Männer mit einbezogen werden. Es gibt kein Kneifen, weil es angeblich Frauensache ist.«
Kylie und Joss tauschten einen Blick, wie sie es häufig taten, wenn sie nicht daran dachten, dass Chessy es mitbekam, und Chessy zuckte innerlich zusammen, weil sie ihren Freundinnen offensichtlich so viel Sorgen bereitete.
»Glaubst du wirklich auch nur eine Sekunde lang, dass ich von der wundervollen Neuigkeit, ein Kind zu erwarten, so vereinnahmt bin, dass ich nichts anderes mehr mitbekomme?«, fragte Joss. In ihrer Stimme schwang Tadel mit, wenn auch ganz behutsam.
Joss gehörte nicht zu den Frauen, die zickig oder kleinlich waren. Das war ihr einfach nicht gegeben. Sie war die Freundlichkeit in Person und der gütigste und nachsichtigste Mensch, den Chessy je kennengelernt hatte.
Chessy hob beide Hände. »Ich weiß, Liebes. Ich weiß. Wirklich. Glaub mir. Ich will alles nur nicht an einem Tag aufwärmen, an dem es etwas zu feiern gibt. Es hat sich nichts geändert. Alles ist beim Alten geblieben, und ich führe mich einfach nur wie ein weinerliches Kind auf. Ich werde mich irgendwann bessern.«
Joss senkte die Stimme, und es trat ein so liebevoller Blick in ihre Augen, als sie ihre beste Freundin ansah, dass es Chessy fast die Tränen in die Augen getrieben hätte.
»Ich weiß, dass es für dich hart sein muss zu erfahren, dass ich schwanger bin«, erklärte Joss sanft. »Ich weiß, dass du Kinder haben wolltest. Du und Tate, ihr wolltet es früher mal beide, und du willst es zwar immer noch, aber er will damit erst einmal noch warten. Du hast in letzter Zeit sogar angefangen, die Gründe, ein Kind haben zu wollen, infrage zu stellen, und zugestimmt, dass ein Baby in der schwierigen Phase, in der ihr euch gerade befindet, alles nur noch komplizierter machen würde.«
Chessy würde die beiden Frauen, die ihr mehr als alle anderen am Herzen lagen, nicht belügen. Sie waren ihre besten Freundinnen. Ihre Schwestern. Ihr Fels in der Brandung.
»Ich muss gestehen, dass es mir schon einen kleinen Stich versetzt. Okay, einen großen Stich«, korrigierte sie sich, als sie den Blick sah, den Kylie ihr zuwarf. Ein Blick, der sagte: Du führst hier keinen hinters Licht. »Es ist kein Geheimnis, dass ich Kinder wollte. Eine große Familie. Ich will, was ich als Kind nie hatte. Eine Kinderschar, die weiß, dass ich sie von ganzem Herzen liebe.«
»Du willst ihnen geben, was du von deinen Eltern nie bekommen hast«, stellte Kylie sanft fest.
Chessy warf ihr einen verständnisinnigen Blick zu. Chessy und Kylie hatten in Bezug auf ihre Kindheit eine Gemeinsamkeit. Sie waren beide unerwünscht gewesen, aber damit endeten die Übereinstimmungen ihres Schicksals auch schon. Kylie hatte eine grauenvolle Kindheit erlebt, in der sie durch ein Monster in Gestalt ihres Vaters missbraucht worden war.
Chessy konnte nicht behaupten, körperlich oder verbal missbraucht worden zu sein. Sie hatte für ihre Eltern einfach nicht existiert. Chessy war nicht geplant gewesen und hatte Eltern gehabt, die es nie auch nur erwogen hatten, Kinder in die Welt zu setzen. Deshalb hatten sie ihr Leben auch nicht geändert, um sich auf ein Kind einzustellen. Sie hatten ihr Leben so weitergeführt wie zuvor und Chessy als unerwünschte Belastung gesehen. Ihre Kindheit war von Vernachlässigung, nicht von Missbrauch geprägt gewesen, allerdings würden viele Menschen Vernachlässigung als eine Form des Missbrauchs betrachten. Chessy war körperlich kein Schaden zugefügt worden, emotional aber sehr wohl.
Tate wusste über Chessys Kindheit Bescheid, über das Gefühl der Einsamkeit und der fehlenden Beachtung. Die Vorstellung hatte ihn in Wut versetzt, und er hatte geschworen, dass sie mit ihm niemals so empfinden würde. Bis jetzt. Sie hatte für ihn immer an erster Stelle gestanden. Die meisten ihrer Wünsche, ihrer Bedürfnisse, ihrer Sehnsüchte, waren von Tate intuitiv erfasst und erfüllt worden, ohne dass sie darum bitten musste. Er hatte Bedürfnisse befriedigt, von denen sie vorher nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt da gewesen waren. Er war weit über das hinausgegangen, was man von einem Ehemann erwarten konnte, um ihr zu geben, was sie als Kind hatte entbehren müssen.
Ach, wie sehr wünschte sie sich diese Zeiten zurück. Sie wollte ihren Ehemann zurückhaben. Sie wollte, dass alles wieder so war wie damals, ehe er sich selbstständig gemacht und eine Finanzplanungsfirma mit einem Partner gegründet hatte, von dem er später im Stich gelassen worden war, sodass er sich ganz allein um alle Klienten kümmern musste.
In einem Winkel ihres Herzens wusste sie, dass Tates Antrieb noch immer darin bestand, ihr alle Wünsche zu erfüllen. Er wollte ihr alles bieten, es sollte ihr nie an etwas mangeln. Finanziell. Sie wusste, dass bei ihm das Herz am rechten Fleck war, aber Geld war nicht das, was sie sich am meisten wünschte. Finanzielle Sicherheit war schön und gut, aber auf Kosten einer Ehe? Sie wollte ihren Ehemann zurück. Einen, für den ihre emotionalen Bedürfnisse an erster Stelle standen und nicht die finanziellen. Denn Geld war kein Ersatz für Liebe, kein Ersatz für den Mann, den sie über alle Maßen bewunderte und liebte. Wie sollte sie ihm das begreiflich machen, ohne dass dadurch eine Kluft zwischen ihnen entstand? Eine Kluft, die unter Umständen nicht mehr überbrückt werden konnte. Das kam für sie nicht infrage. Nichts war es wert, Tate dadurch zu verlieren. Ganz bestimmt nicht ihre lächerliche Unsicherheit und die Befriedigung ihrer fast schon klammernden Anhänglichkeit. Diese Dinge waren einfach nicht wichtig, wenn man das Gesamtbild betrachtete. Die meisten Frauen wären dankbar, wenn sie einen Ehemann hätten, der sich jeden Tag ein Bein ausriss, um seiner Frau einen bestimmten Lebensstil zu bieten. Wie sollte man jemandem begreiflich machen, dass materielle Dinge für sie ohne Bedeutung waren, wenn sie auf Kosten ihrer Ehe gingen und zu einer immer größer werdenden Entfremdung zwischen ihnen führten?
»Liebes, was läuft da zwischen dir und Tate?«, fragte Joss, die vor lauter Sorge die Stirn runzelte. »Wir haben so häufig darüber gesprochen, trotzdem beschleicht mich immer wieder das Gefühl, als würdest du uns nicht alles erzählen, oder vor uns zurückhalten, was du empfindest und wie du die Situation erlebst. Machst du dir immer noch Sorgen, dass er fremdgeht?«
Chessy holte tief Luft. Allein der Gedanke, wie flüchtig er auch sein mochte, dass Tate sie betrügen könnte, war so qualvoll für sie, dass sie ihn wegen des Schmerzes, den er ihr bereitete, sofort verdrängte. Sie bedauerte den Moment der Schwäche zutiefst, als sie ihren Freundinnen diese Befürchtung anvertraut hatte, an die sie selbst kaum glaubte.
»Ich weiß, dass er mich liebt«, erklärte Chessy mit fester Stimme. »Ich weiß, dass er mich nicht betrügen würde. Dafür ist er viel zu anständig. Wenn er eine andere Frau wollte, würde er ganz offen mit mir sprechen und mich um die Scheidung bitten.«
Himmel, schon das Wort Scheidung schnitt ihr wie eine rostige Klinge durch Herz und Seele, obwohl sie wusste, dass eine Trennung gar nicht zur Debatte stand. Trotzdem stieg schon bei der Vorstellung, dass ihre Ehe enden könnte, Panik in ihr auf. Das war kein Gedanke, bei dem sie länger verweilen durfte, denn er hatte eine verheerende Wirkung auf sie.
»Aber in der Liebe bereitet man dem Menschen, der einem etwas bedeutet, doch keinen Schmerz«, meinte Kylie leise.
Gerade Kylie hatte vor Kurzem erlebt, wie nah Liebe und Schmerz beieinander lagen und wie schrecklich es war, wenn eine Beziehung zu Ende ging. Wenn sie Jensen keinen Tritt dafür versetzt hätte, dass er die Sache mit Kylie zu ihrem eigenen Besten beendet hatte, wären sie wahrscheinlich immer noch getrennt und würden sich ohne den anderen ganz elend fühlen.
»Er weiß gar nicht, dass er mir wehtut, weil ich es ihm nicht gesagt habe«, erklärte Chessy leise. »Das habe ich mir selber zuzuschreiben. Man kann nicht von ihm erwarten, etwas in Ordnung zu bringen, von dem er gar nichts weiß und dementsprechend auch keine Lösung parat hat. Ich gebe zu, dass ich feige bin. Einerseits will ich ihn einfach bitten, sich nicht mehr so sehr auf die Firma zu konzentrieren, und ihm sagen, dass ich mir nichts daraus mache, viel Geld auf der Bank liegen zu haben, andererseits denke ich, dass ich die Zähne zusammenbeißen und durchhalten sollte, bis sich alles von allein regelt. Dann habe ich meinen Ehemann wieder und alles wird wieder so sein wie früher.«
Joss und Kylie stießen beide einen resignierten Seufzer aus. Schließlich hatten sie schon mehrfach über das Thema gesprochen. Chessy wusste, dass die beiden nicht mit ihr übereinstimmten und auch nichts davon hielten, wie sie das Problem anging, aber sie liebten sie und unterstützten sie ohne Vorbehalte. Dafür liebte sie die beiden über alle Maßen.
Sie wusste, dass die beiden das Recht hatten, ihretwegen frustriert zu sein. Sie hatten ihr jedes Mal geduldig zugehört, wenn sie über ein Problem geklagt hatte, dass sie selbst nicht angehen wollte und noch weniger zu regeln versuchte. Chessy war klar, dass sie eine Vogel-Strauß-Politik betrieb und die Augen davor verschloss, in welchem Zustand ihre Ehe sich befand. Aber sich Gedanken über Alternativen zu machen, würde bedeuten, sich eingestehen zu müssen, dass ihre Ehe in Schwierigkeiten steckte. Und dazu war sie nicht bereit. Noch nicht.
»Freitag ist unser Hochzeitstag«, sagte Chessy und schlug bewusst einen heiteren Tonfall an, um dem Gespräch wieder eine andere, fröhlichere Richtung zu geben. »Tate hat mir einen Abend in dem Restaurant versprochen, in das wir an unserem Hochzeitstag immer gehen. Kein Handy. Keine Klienten, die unterhalten werden wollen. Er will früher Schluss machen und sagt, dass das ganze Wochenende uns gehört. Und«, sagte sie und zog das Wort in die Länge, »er sagt, er hätte Pläne, wie es nach dem Abendessen weitergehen soll, deshalb kann ich es kaum erwarten. Ich glaube dieses Wochenende wird, was meine Unsicherheit und dummen Anwandlungen angeht, Wunder wirken. Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Ich glaube, es war mein Fehler, nicht mit Tate geredet und ihm mitgeteilt zu haben, dass ich unglücklich bin. Aber an diesem Wochenende, wenn wir ganz unter uns sind, habe ich mir fest vorgenommen, mit ihm über alles zu sprechen.«
Auf Kylies und Joss’ Gesichtern zeichnete sich Erleichterung ab.
»Das ist wundervoll, Liebes«, sagte Joss.
»Ich bin so froh, dass du diesen Schritt endlich tust«, erklärte Kylie. »Und ich stimme dir zu. Ein gemeinsam verbrachtes Wochenende ist wahrscheinlich genau das, was du brauchst, um dich besser zu fühlen. Und mit ihm zu reden und ihm zu sagen, wie du dich in letzter Zeit gefühlt hast, ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. Ich bin mir sicher, dass Tate Himmel und Erde in Bewegung setzen wird, um dich wieder glücklich zu machen. Aber wie du schon selber sagtest: Er muss das Problem kennen, damit er es in Ordnung bringen kann.«
Chessy lächelte und ihr wurde leicht ums Herz, als sich die vorbehaltlose Liebe ihrer Freundinnen wie Balsam auf ihre Seele legte. Der Himmel wusste, dass normalerweise Chessy diejenige war, die Ratschläge erteilte und drohte, Joss und Kylie in bestimmten Situationen zu treten, wenn es um ihr Glück ging. Wie scheinheilig von ihr, die Ratschläge, die sie ihren Freundinnen gab, in den Wind zu schlagen. Wie schnell sie war, ihnen zu sagen, was sie tun sollten, aber wenn vernünftige Ratschläge von ihnen kamen, diese einfach mit Füßen zu treten.
Ab jetzt würde das anders sein. Sie war entschlossen, aus dem Wochenende die schönste Hochzeitstagfeier denn je zu machen. Sie und Tate würden die Liebe wiederentdecken, von der sie wusste, dass sie sie immer noch füreinander empfanden. Sie würden ein wundervolles Wochenende miteinander verbringen, einander lieben und miteinander lachen, und sie würde mit ihm über ihren Kummer sprechen, der mit der Zeit immer größer geworden war. Es war an der Zeit, dass sie aufhörte, sich wie ein rückgratloses Ding aufzuführen, und für ein Leben mit dem Mann eintrat, den sie von ganzem Herzen liebte.