Christian Tielmann

Wir drei aus Nummer 4

Mit Illustrationen von Stefanie Scharnberg

Deutscher Taschenbuch Verlag

© 2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

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eBook ISBN 978-3-423-42278-9 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-76093-5

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Für Iris, Felix und Jette

Kleine Straße, die; (im Würfelspiel vier Zahlen in Folge, also 1, 2, 3, 4 oder 2, 3, 4, 5 oder 3, 4, 5, 6. Zählt 30 Punkte) vgl. →

Große Straße, die; (im Würfelspiel fünf Zahlen in Folge, also 1, 2, 3, 4, 5 oder 2, 3, 4, 5, 6. Zählt 40 Punkte)

Full House, das; <englisch> Volles Haus (im Würfelspiel Zweierpasch und Dreierpasch. Zählt 25 Punkte)

Wie ich in die Rabenstraße
Nummer 4 einzog

Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich mit Papa in die Rabenstraße Nummer 4 einzog. Es war der 5. Juni, also der 5. 6., und wir zogen in das Haus mit der Nummer 4.

4, 5 und 6, das konnte doch nur gut werden. Schade, dass ich schon acht war. Sonst hätten wir mit 4, 5, 6 und 7 eine schöne kleine Straße gehabt wie beim Würfelspiel. Und das hätte gut gepasst, denn die Rabenstraße ist auch eine schöne kleine Straße. Zwischen Gartenstraße und Frankenplatz schlängelt sich die Rabenstraße durch das Viertel. Obwohl die große Berliner Straße mit den vielen Geschäften und Cafés, in denen Tag und Nacht jede Menge los ist, nur zwei Ecken weiter ist, ist es in der Rabenstraße ruhig. Wie in einer kleinen Straße eben.

Na ja, so richtig ruhig ist es in der Rabenstraße eigentlich nie. Jedenfalls nicht in der Rabenstraße 4. Aber es fahren hier nicht so viele Autos herum wie in den anderen Straßen unseres Viertels. Dafür ist die Rabenstraße nämlich viel zu eng und versteckt.

Die meisten Leute scheinen gar nicht zu wissen, dass es die Rabenstraße gibt. Das ist einerseits schade, weil ihnen eine der schönsten Straßen der Stadt entgeht. Andererseits ist es nicht schade, denn wenn die Rabenstraße so berühmt wäre, wie sie eigentlich sein sollte, dann würden hier ja ständig die Busse mit den Touristen durchfahren. Und dann wäre es vorbei mit der Ruhe.

Ein Reisebus könnte aber auch gar nicht durch die Rabenstraße fahren. Die ist so eng, dass der Bus bestimmt stecken bleiben würde. Außerdem parken meistens links und rechts jede Menge Autos.

Nur vor unserer Toreinfahrt, da parkt niemand. Da ist Parken verboten.

Weil die Straße so schmal ist, ist sie für Lastwagen gesperrt. Unseren Umzugswagenfahrer interessierte das aber nicht.

»Passt schon«, sagte er, als er den Laster in die Einbahnstraße quetschte.

»Luft anhalten und schmal machen!«

Wir hielten die Luft an. Und sein Kollege, der draußen stand und winkte, wollte den Umzugswagen mit Hautcreme einschmieren. »Dann flutscht der Laster hier durch wie ein Zäpfchen im Popo.«

Ein bisschen seltsam waren sie schon, diese Umzugsleute.

»Aber billig«, sagte Papa.

Und nett waren sie auch. Sonst hätten sie mich ja nicht vorne im Laster mitgenommen.

»Kleine Jungs sind in großen Autos immer willkommen!«, hat der Fahrer gesagt.

Aber jetzt sagte er nichts mehr. Begann zu schwitzen und zu schnaufen. »Verflixt, ist das eng hier!«

Trotzdem hat er es geschafft.

Fast jedenfalls.

Nur einen Außenspiegel von einem grauen Ford hat er leider abgefahren. Und das Mofa, das stand aber auch ganz blöd im Weg. Und dann natürlich noch das Schild, auf dem steht, dass Lastwagen gar nicht in die Rabenstraße fahren dürfen, das hat er auch noch umgelegt. Aber erst beim Rausfahren und auch nur, weil er der schimpfenden Oma auf dem Fahrrad ausweichen musste. Das Schild krachte zwar voll auf ein Cabriolet und hat das Stoffdach aufgeschlitzt. Aber sonst ist wirklich nicht viel passiert. Hautcreme hätte vermutlich auch nicht geholfen.

Jedenfalls passte der Laster genau vor die Hofeinfahrt.

»Raus mit dir, Wenzel!«, sagte der Fahrer.

Ich kletterte aus dem Laster, und da sah ich unser neues Haus das erste Mal.

Ich wusste zwar schon seit zwei Wochen, dass Papa und ich in eine Straße ziehen sollten, die »Rabenstraße« hieß. Aber das Haus mit der schönen roten 4 hatte mir Papa bisher noch nicht gezeigt. Dazu hatten wir keine Zeit, weil wir ja ganz und gar mit Einpacken, Aussortieren und Wegschmeißen beschäftigt waren. Umzug eben. Warum wir umziehen mussten, das wollte ich lieber schnell vergessen. Das ist eine andere Geschichte, und die lässt mein Herz auch nicht hüpfen.

Das Haus mit der Nummer 4 in der Rabenstraße, das ließ mein Herz aber herumspringen wie einen wild gewordenen Flummi. Es roch ein bisschen nach Knoblauch, Kaffee und Pommes, und ich wusste gleich, dass das hier ein gutes Zuhause werden würde. Jedenfalls sah das Haus nach einem superguten Wenzel-Haus aus. Du willst wissen, wie ein supergutes Wenzel-Haus aussieht? Das kann ich dir erzählen:

Unser Haus hat vier Stockwerke und oben noch einen ausgebauten Spitzboden. Es ist alt und hat dicke Mauern. Die Fenster sind groß und oben halbrund. Außerdem ist das Haus bunt gestreift: Das Erdgeschoss ist blau angemalt mit roten Rahmen um die Fensteröffnungen herum. Der erste Stock ist grau mit grauen Rahmen. Der zweite Stock ist gelb gestrichen mit grünen Rahmen um die Fenster und die dritte Etage ist rot von den Dachziegeln mit blauen Rahmen um die Fenster. Das Dach ist sehr steil und sieht ein bisschen aus wie ein zu groß geratener Räuberhut.

»Du musst die Wohnung von innen sehen, Wenzel«, sagte Papa. »Es ist nicht so groß wie bisher, aber ganz nett. Außerdem haben wir eine Dachterrasse.«

Ich nahm Papa in den Arm. »Ich find’s jetzt schon super«, sagte ich. Wir würden in die rote  Etage ziehen. Und Rot ist meine Lieblingsfarbe.

Papa streichelte mir über den Kopf. Er murmelte: »Danke.«

Ich wusste nicht, wofür er sich bedankte. Schließlich hatte er doch das neue Haus gesucht und die Wohnung gemietet. Also hätte ich mich eigentlich bei ihm bedanken müssen.

Aber dann dachte ich nicht mehr an Papas »Danke«. Denn ich sah das Mädchen im zweiten, gelben Stock. Es stand am Fenster und guckte runter.

Und es entdeckte nicht nur unseren Möbelwagen. Es entdeckte auch mich. Und genau das war der Augenblick, in dem ich Helma das erste Mal sah.

Ich konnte noch nicht wissen, was für ein Mädchen Helma ist. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann hatte ich auch bei ihr direkt ein gutes Gefühl. Denn Helma war kein Mädchen-Mädchen. Das konnte ich ihr schon von unten ansehen.

Mädchen-Mädchen sind so wie Jule-Luise an meiner neuen Schule. Dauernd sind sie beleidigt, immer ist alles geheim, und niemals darf ein Junge mitspielen, weil alle Jungs angeblich nur Fußball im Kopf haben. Was natürlich Quatsch ist. Aber ein Mädchen-Mädchen versteht das irgendwie nicht.

Es gibt auch Jungen-Mädchen, wie die wilde Wilma aus meiner alten Schule. Die benimmt sich genau so, wie ein Mädchen-Mädchen meint, dass ein Junge sein sollte: Sie interessiert sich nur für Fußball.

Helma ist kein Mädchen-Mädchen und auch kein Jungen-Mädchen. Helma ist ein ganz eigenes Mädchen. Ein Helma-Mädchen. Aber das konnte ich ihr nicht an der Nasenspitze ansehen. Sie guckte neugierig runter auf die Straße, und sie winkte mir direkt freundlich zu, als sie mich zwischen den Umzugskisten entdeckte.

»Warum ist das Haus so bunt?«, fragte ich Papa. »Ist das, weil hier viele Kinder wohnen?«

Papa schüttelte den Kopf. »Ob hier Kinder wohnen, weiß ich noch gar nicht. Doch, irgendwo wohnt eine Familie. Das Haus ist so bunt, weil Hubert ein bisschen verrückt ist. Der meint, dass jede Etage selbst bestimmen darf, welche Farbe sie hat. Und die Bewohner haben sich eben für diese Farben entschieden.«

Hubert ist unser Vermieter. Er war mal der Chef von meinem Vater, als Papa noch in der Werbeagentur gearbeitet hat. Hubert hat das Haus in der Rabenstraße gekauft, obwohl er gar nicht da wohnt. Der hatte das Geld einfach übrig, und das Haus war zu kaufen.

»Ihr seid meine Sparschweine«, sagt Hubert immer. Schließlich muss mein Vater Miete dafür bezahlen, dass wir in der Rabenstraße wohnen dürfen.

Ich finde das ja ein bisschen ungerecht, dass Hubert von uns Geld kriegt und das Haus eigentlich gar nicht braucht. Aber Papa meint: »Das ist schon in Ordnung. Er kümmert sich um das Haus, aber nicht zu oft. Das ist ein guter Vermieter.«

Ich sah noch mal das bunt gestreifte Haus an. Na klar wohnen hier Kinder, dachte ich. Nur in der grauen ersten Etage, da wohnten vermutlich keine. Aber der Rest sah ganz und gar nach Kindern aus.

Und da hatte ich recht. Es wohnen eine Menge Kinder in der Rabenstraße 4. Ich war das sechste Kind, das in das Haus einzog. Leider nicht das siebte. Sonst hätte ich ja doch wieder eine kleine Straße voll gehabt: Rabenstraße 4, am 5. 6. zieht das 7. Kind ein.

War aber nicht. Ich war das sechste Kind.

Die kleine Straße kriegte ich aber trotzdem schon an meinem ersten Tag voll. Nur eben nicht mit einer 7, wie ich dachte, sondern mit einer 3. Und 3, 4, 5, 6 ist ja auch eine kleine Straße.

Du willst wissen, wo die fehlende Drei herkam?

Das will ich dir gerne erzählen. Das war, als Papa im Suppentopf stand und mit zwei linken Händen versuchte, einen Vulkan mit Gips zu verstopfen.

Kleine Straße

»Männerwirtschaft« nannte Papa das, was wir machten.

Männerwirtschaft kannte ich schon. Aus Italien. Da haben Papa und ich Urlaub gemacht. Am Vesuv war das. Der Vesuv ist ein Vulkan und sieht echt super aus. Wir haben jeden Tag Pizza gegessen und Postkarten vom Vesuv gekauft. Die haben wir aber nicht verschickt. Denn erstens fand ich die meisten Postkarten selbst ganz schön. Und zweitens haben wir es bis zum letzten Tag nicht geschafft. Und jetzt wäre es ja auch blöd, eine Karte vom Vesuv zu schicken, wo doch jeder weiß, dass wir längst wieder zu Hause sind. Aber Männerwirtschaft in Italien war toll.

Männerwirtschaft heißt, dass nur Männer in der Wohnung sind. Und dass man beim Fernsehgucken die Füße auf den Tisch legen darf. Und manchmal darf man sogar beim Essen rülpsen. Aber das geht nur, wenn Papa gute Laune hat und mitrülpst. Sonst ist es verboten.

Männerwirtschaft hatten wir auch bei unserem Einzug in die Rabenstraße Nummer 4. Klar. Es waren ja nur Männer in der Wohnung.

Nur: Die Umzugsmänner waren zwar echt flott mit dem Ausladen vom Umzugswagen. Dann aber hatten sie es ziemlich eilig. Die hatten noch nicht mal Zeit, die Füße auf den Tisch zu legen und Pizza zu essen.

»Aber billig«, sagte Papa.

Wir standen zwischen Umzugskartons und Möbeln und dem Fernseher und dem ganzen Chaos, und ich wusste nicht so recht, wo wir eigentlich anfangen sollten. Papa wusste das leider auch nicht, glaube ich.

Unsere Wohnung hat drei Zimmer, eine Küche, ein Badezimmer und die Dachterrasse. Ein Zimmer ist Papas Schlafzimmer. Das stand voll mit Möbeln, die wir noch zusammenbauen mussten, und ungefähr tausend Kartons. Dazwischen lag Papas breite Matratze. Im Wohnzimmer standen das Sofa, die Küchenschränke, die wir noch an die Wand hängen mussten, die alten Gartenmöbel, Lampen, Gardinenstangen und noch mal tausend Kartons. Vom Wohnzimmer aus kommt man auf die Dachterrasse, und die ist wirklich große Klasse.

Von meinem Zimmer aus kann ich auf die Dachterrasse gucken, denn die ist um die Ecke gebaut. Aber als wir eingezogen sind, konnte ich das Fenster nicht öffnen und auch nicht rausschauen. Daran waren die Umzugsmänner schuld.

Die Zimmer in unserer Wohnung sind alle nicht sehr groß, und meines ist das kleinste. Ich habe Platz für ein Bett und meinen Schrank, den Schreibtisch und Stuhl und die beiden Regale mit meinem Kram  – den Büchern, Comics, Spielsachen und der elektrischen Autorennbahn und meinen 27 liebsten Kuscheltieren. Beim Einzug standen die Regale aber noch nicht an der Wand, das Bett lag in Einzelteilen irgendwo in Papas Schlafzimmer, mein Kleiderschrank stand im Flur, nur die Matratze, die war schon in meinem Zimmer gelandet. Die hatte einer der Männer vor das Fenster gelehnt, sodass das Zimmer ziemlich dunkel war. Aber der Kühlschrank stand bei mir im Zimmer und noch einmal ungefähr tausend Kartons.

Ich mochte mein Zimmer trotzdem. Es sah nach Männerwirtschaft aus. Und es war irgendwie gemütlich. Mit den ganzen Kartons könnte man eine super Höhle oder ein Labyrinth bauen, dachte ich.

Dummerweise hatten die Möbelmänner Waschmaschine und Herd verwechselt, und jetzt stand der Herd im Badezimmer und die Waschmaschine in der Küche. Das ist natürlich sehr praktisch, wenn man auf dem Klo sitzen und sich gleichzeitig ein Spiegelei braten will. Aber das will man ja nicht so oft.

»Aber billig«, stöhnte Papa, als er den Herd aus dem Badezimmer zerrte.

Es war ein herrliches Durcheinander. Papa stolperte über eine Gardinenstange, verhedderte sich im Kabel der Bohrmaschine und schlug sich den Kopf an meinem Kleiderschrank an, der im Flur rumstand.

»Ich hab Hunger«, sagte ich.

»Ich auch«, sagte Papa. »Wir bestellen gleich Pizza. Aber vorher hänge ich noch diese Stange auf und räum ein bisschen Zeug weg …«

Er schnappte sich die Gardinenstange und die Bohrmaschine und marschierte ins Wohnzimmer.

Früher hat immer Mama die Löcher gebohrt, wenn es was zu bohren gab. Mama kann das. Die kennt sich aus mit Löcher-Bohren, und deshalb hat sie sich wohl auch in den Zahnarzt verliebt und sich von Papa ent-liebt. Vielleicht. Jedenfalls hatte ich Papa noch nie mit einer Bohrmaschine in der Hand gesehen. Ich wusste nicht, warum. Noch nicht.

Wir hatten keine Leiter.

»Macht nichts«, knurrte Papa und schob einen Drehstuhl vor das Fenster. Er stieg mit einem Bein auf den Drehstuhl, suchte sich einen Bohrer aus und bohrte.

Es ist nicht so, dass Papa kein Loch in die Wand kriegte. Oh nein. Ganz im Gegenteil. Papa kriegte ein gewaltiges Loch in die Wand. Es war ein großes Loch, das mich an Italien erinnerte. Und zwar an eine ganz bestimmte Stelle von Italien: Das Loch sah ziemlich genau aus wie der Vulkankrater. Es sah aus wie der Vesuv kurz nach dem Ausbrechen. Nur dass es nicht Asche auf die Kisten unter Papa regnete, sondern eben Wand-Brösel.

»Sch…wand!«, schimpfte Papa. Er zog den Bohrer zurück und ließ die Bohrmaschine sinken. »Gips. Wir müssen das Loch mit Gips füllen«, sagte er. »Oder Zahnpasta. Die geht im Grunde auch. Wird doch genauso hart.«

Er holte echt die Zahnpastatube, kletterte wieder auf den Stuhl, begann, das Zeug aus der Tube in den Krater zu schmieren. Und genau in dem Augenblick, in dem ihm der ganze Mist, den er aus der Tube gequetscht hatte, entgegenfiel und er laut noch einmal das »Sch-Wort« schrie, verlor er das Gleichgewicht auf dem Stuhl, stellte schnell ein Bein auf eine Kiste, krachte durch den Deckel und steckte fest.

»Mist. Ich steck im Suppentopf«, sagte Papa.

Es klingelte an der Wohnungstür.

Ich flitzte direkt hin. Vor der Tür stand das Mädchen vom Fenster und neben ihm noch ein Junge. Der Junge sagte nichts. Das ist normal bei Jorge. Das wusste ich aber noch nicht.

Das Mädchen sagte: »Ich heiße Helma. Ich wohne schräg unter dir. Ich bin acht Jahre alt. Und wir können Freunde sein, wenn du nicht total bescheuert bist.«

»Hi, ich bin Wenzel und auch acht und nicht bescheuert. Und hast du zufällig Ahnung von Bohrmaschinen?«

»Theoretisch.« Helma marschierte an mir vorbei in unsere Chaos-Wohnung. »Meinen Freunden helfe ich immer. Und wir sind ja jetzt Freunde.«

So ist das mit Helma. Wenn sie etwas sagt, dann ist das früher oder später auch so. Wir sind seit diesem Tag jedenfalls echt Freunde. Und wie.

»Das ist Jorge«, sagte Helma im Flur. »Der ist auch acht. Und auch dein Freund.«

Jorge sagte noch immer nichts. Er guckte mich nur kurz an und nickte. Jorge sagt nur dann was, wenn es echt sein muss. Aber es ist nicht so, dass er nichts mitkriegt. Schließlich war es Jorge, der den Zahnpastageruch bemerkte.

»Riecht nach Zahnpasta bei dir.« Das musste gesagt sein.

Wir erreichten das Wohnzimmer. Mein Vater sah nicht so lässig aus wie normalerweise. Normalerweise hat mein Vater nämlich keine Bohrmaschine in der Hand und keinen Zahnpastafladen im Gesicht. Und normalerweise hat Papa auch keinen Karton voller Suppentöpfe am Fuß.

»Hallo Leute!«, sagte er möglichst lässig. »Schön, dass ihr vorbeischaut. Sieht noch ein bisschen unordentlich aus, aber wir räumen gleich auf und wischen mal kurz durch.«

Helma und Jorge sahen sich um.

Mein Vater reichte mir die Bohrmaschine, hielt sich an der Wand fest und zog den Fuß aus dem Suppentopfkarton.

Das Loch, das er mit der Bohrmaschine über dem Fenster in die Wand gefräst hatte, war noch genauso kratergroß. Und von Zahnpasta wollte Papa nichts mehr wissen.

Es gibt eben Dinge, die mein Vater nicht kann. Zu denen gehört alles, was mit Werkzeugen zu tun hat.

»Ich habe zwei linke Hände«, sagt Papa immer. »Zum Glück bin ich Linkshänder.«

Es gibt aber auch Sachen, die mein Vater wirklich gut kann. Zum Beispiel zeichnen. Schließlich ist Papa Comiczeichner von Beruf. Und als Helma und Jorge nicht aufhörten, auf den Krater an der Wand zu starren, da nahm sich Papa einfach einen seiner dicken Filzstifte und malte um den gebohrten Krater herum ein Bild vom Vesuv und davor zwei kleine Männchen. Eines knipst ein Bild vom Krater, und das andere sagt: »So was haben wir zu Hause nicht.«